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Anästhesie bei alten Menschen Herausgegeben von Bernhard M. Graf Barbara Sinner Wolfgang Zink Mit Beiträgen von B. Alt-Epping M. Bauer C. Beck M. Bernhard A. Bräuer I. F. Brandes T. Brenner N. Butte T. A. Crozier S. Eberl G. Geldner B. M. Graf
A. Gries R. Gust D. Heise M. H. Hessmann J. Hinz S. Hofer M. W. Hollmann S. Jungeblodt F. Kehl T. D. Lemke E. K. Löffler F. Mielck
48 Abbildungen 52 Tabellen
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
J. Motsch F. Nauck D. Nauheimer P. Neumann B. Pannen T. Perl O. Picker R. Pschowski M. Quintel J. Roggenbach H. Schwilden C. Seif
Ch. Serf B. Sinner P. Teschendorf A. Timmermann H. Wagner-Berger A. Walther F. Wappler M. A. Weigand C. H. R. Wiese Y. Zausig W. Zink
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IV
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2010 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart Deutschland Telefon: +49/(0)711/8931-0 Unsere Homepage: www.thieme.de Printed in Germany Zeichnungen: Adrian Cornford – medicalart, Reinheim-Zeilhard Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlaggrafik: Martina Berge, Erbach, unter Verwendung eines Fotos von Christian Holdenried, Ascona, Tessin, Schweiz Satz: Druckerei Sommer, Feuchtwangen Gesetzt in Arbortext APP-Desktop 9.1 Unicode M120 Druck: Mohn media – Mohndruck GmbH, Gütersloh ISBN 978-3-13-148451-2
1 2 3 4 5 6
Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.
Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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V
Geleitwort
„Der in den letzten Millionen Jahren auf der Erde erzielte Fortschritt in der Evolution der Arten hat seinen Preis, und zwar keinen geringeren als den unweigerlichen Tod des Individuums, ein durch planmäßiges Altern erfolgtes ‚Ableben‘. Das Gesetz der Evolution klingt hart, aber ist absolut zweckdienlich und damit nützlich. Ohne Evolution gäbe es den Menschen nicht und damit keinen von uns.“1 Das biologische Altern ist ein normales grundlegendes Phänomen. Heute leben wir in einer Zeit, in der durch den Fortschritt der Wissenschaften, und damit auch durch den Fortschritt der Medizin, sich das Antlitz der menschlichen Gesellschaft nachhaltig verändert. Faszinierend sind nicht nur die Erkenntnisgewinne an sich, die sich aus allen Wissenschaftsgebieten ergeben, sondern die unglaubliche Geschwindigkeit, mit der alles geschieht. Man blicke nur zurück auf unsere medizinisch-wissenschaftliche Arbeitswelt vor 20, 30, 40 Jahren. Dann wird uns dies bewusst. Stichworte sind heute: das Internet, die Bildgebung, die Genforschung, die Forschung in allen medizinischen Disziplinen, auch der Anästhesiologie. Ein Summeneffekt ist die Verlängerung der Lebenserwartung der Menschen. Alles deutet darauf hin, dass bei vergleichbaren Lebensumständen und bei weiterem Fortschritt der Wissenschaften, hier im Besonderen der Alterns- bzw. Altersmedizin, mit einer weiteren Verlängerung der Lebenserwartung gerechnet werden kann. Auch wenn die genetisch angelegte längste Lebenserwartung des Menschen bei ungefähr 120 Jahren liegen mag, wird der medizinische Fortschritt dafür sorgen, dass diese Spanne stetig verlängert wird. Unter dem Aspekt der Alterung der Gesellschaft müssen wir mit einem stetig steigenden Anteil von alten Patienten in der Medizin und auch in der operativen Medizin rechnen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung zurückgeht. Eine Frau von heute in Deutschland hat im Durchschnitt nur mehr 1,38 Kinder. Es ist dem Thieme Verlag, den Herausgebern und Autoren des vorliegenden Buches zu danken, dass sie sich mit den Problemen und Möglichkeiten der Anästhesie bei alten Patienten auseinandersetzen.
1 Wissenschaftlicher Vortrag von Hubert Mörl (Mannheim): Altern aus internistischer Sicht. In: Nova Acta Leopoldina, Altern und Lebenszeit, herausgegeben von Werner Köhler, Bd. 81, Nr. 314, 1999
Über Einzelfragen der Anästhesie bei alten Patienten kann man sich in zahlreichen allgemeinen Lehrbüchern der verschiedensten medizinischen Fachgebiete und auch in Originalbeiträgen wissenschaftlicher Zeitschriften informieren. Das vorliegende Buch jedoch gibt dem Leser die Möglichkeit, sich einen Überblick zu verschaffen, sich gleichermaßen umfänglich und detailliert die neuesten Erkenntnisse anzueignen. Die Themen reichen von der Demografie und Ökonomie über physiologische und pharmakologische Veränderungen und Besonderheiten im Alter, über die präoperative Evaluation bis zum intraund postoperativen Management. Nicht ausgelassen sind so wichtige Aspekte wie die Einwilligungsfähigkeit des Patienten, die Patientenverfügung, die postoperative Schmerztherapie beim alten Menschen und die Palliativmedizin. Wo sonst hat man eine so umfängliche Information in einem Lehrbuch verfügbar? Ich bin überzeugt, dass dieses Lehrbuch einen großen Erfolg haben wird, es werden weitere Auflagen folgen. Was dürfen wir an wichtigen Forschungsergebnissen in unserem Fach für die nächsten Jahre erwarten, was dann auch Eingang in die folgenden Auflagen Anästhesie und der alte Patient finden wird? Hierauf möchte ich in aller Kürze eingehen. Ein gewagtes Unternehmen. Die anästhesiologische Forschung wird sich in Zukunft nicht mehr so intensiv wie bisher auf eine weitere Reduktion von Nebenwirkungen der angewendeten Medikamente und die Entwicklung technischer Neuerungen konzentrieren können. Der Weg zeichnet sich immer mehr im Sinne einer Neuausrichtung ab, das heißt neben der bisher überwiegend auf die Sicherheit von Patienten ausgerichteten Forschung muss eine noch stärker mechanismusorientierte Forschung also Grundlagenforschung, mit dem Ziel der Protektion der Patienten hinzukommen. Dies sei an drei Beispielen verdeutlicht. 1. Aufklärung der molekularen Wirkungsweise von Anästhetika am intakten Organismus, wo, wann und vor allem über welche Rezeptoren, Kanäle oder nach geordneten Signalmoleküle wirken die Narkosemittel? Es könnten neue Anästhetika entwickelt werden, die ihre Wirkungen nur in bestimmten Hirnabschnitten entfalten oder sogar nur auf bestimmte Neuronenpopulationen spezifisch wirken. Am Ende stünden hochselektive Anästhetika, die zum Beispiel nur mehr das Bewusstsein ausschalten, ohne die Aktivitäten im Atem- oder Herzkreislaufzentrum zu supprimieren. 2. Ausgehend von den Kenntnissen über die Wirkmechanismen der peripheren Analgesie könnten hochpo-
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Geleitwort tente Opioide synthetisiert werden, die aufgrund ihrer physikochemischen Eigenschaften, die Blut-HirnSchranke nicht passieren können. Ihre Wirkung wäre dann auf die Opioidrezeptoren beschränkt, die sich auf den peripheren Nerven befinden. Unerwünschte Wirkungen wie Atemdepression, Sucht- und Toleranzentwicklung blieben aus. Schmerzzustände, die bei Patienten selbst unter hohen Dosen von zentral wirksamen Opioiden nur unzureichend wirksam gelindert werden, könnten effektiv therapiert werden. Eine nebenwirkungsarme Schmerzbekämpfung scheint keine Utopie, sondern in greifbarer Nähe zu sein. 3. Im Rahmen der Ergebnisse der Stressforschung darf man mit etwas Optimismus auf die Entwicklung von
neuen Substanzen zur pharmakologischen Prä- und Postkonditionierung hoffen. Dies würde in der operativen Anästhesie und in der Intensivmedizin gerade auch beim alten Patienten völlig neue Behandlungsperspektiven eröffnen. Den Herausgebern, den Autoren und dem Verlag gratuliere ich zu diesem gelungenen Werk. München, im September 2009
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Klaus Peter
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Vorwort der Herausgeber
Als direkte Folge der demografischen Entwicklung wird in der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Ländern der Anteil hochbetagter Patientinnen und Patienten am operativen Krankengut weiter ansteigen. Für klinisch tätige Anästhesistinnen und Anästhesisten bedeutet dies konkret, dass in Zukunft die perioperative Betreuung alter und ältester Patientinnen und Patienten immer mehr zum „alltäglichen Routinefall“ wird. Erst in letzter Zeit – spät, vielleicht sogar zu spät – beginnt man innerhalb der jeweiligen medizinischen Fächer die Tragweite dieser Entwicklung in vollem Umfang zu begreifen: Es wird zunehmend klarer, dass der geriatrische Patient nicht einfach ein „betagter Erwachsener“ ist, der nach den gleichen anästhesiologischen Grundsätzen narkotisiert und behandelt werden kann wie der Patient in der dritten oder vierten Lebensdekade. Vielmehr müssen beim perioperativen Management alter Menschen eine Vielzahl von physiologischen und pathologischen Veränderungen berücksichtigt werden, die dazu führen, dass die Kompensationsmechanismen der einzelnen Organsysteme reduziert oder gar aufgebraucht sind. Fatalerweise sind es gerade Situationen in der perioperativen Periode, die dieses labile Gleichgewicht (z. B. durch Stressreaktionen und Schmerzen) ins Wanken geraten lassen und auf dramatische Weise die eingeschränkten Kompensationsfähigkeiten des alten Organismus aufdecken. Trotz der Erkenntnis, dass es sich beim alten Menschen um einen hoch komplexen Patienten handelt, ist kritisch anzumerken, dass ernstzunehmende anästhesiologische Forschungsbemühungen zu diesem Thema eher selten anzutreffen waren – ein Phänomen, das sich glücklicherweise in jüngster Zeit ins Gegenteil verändert. Nichtsdestotrotz konnten bislang nur wenige anästhesiologische Konzepte und Vorgehensweisen im Sinne der evidence based medicine in dieser Altersgruppe etabliert
werden; vieles beruht daher nach wie vor auf Erfahrungswerten und „Tradition“. Mit dem vorliegenden Buch möchten wir all den Anästhesistinnen und Anästhesisten, die tagtäglich mit der Versorgung geriatrischer Patienten betraut sind, ein Kompendium an die Hand geben, das möglichst viele Teilbereiche der „Altersanästhesie“ – von relevanten (patho-) physiologischen Veränderungen bis hin zu rechtlichen und ethischen Aspekten – aktuell, klar und praxisrelevant zusammenfasst. Für dieses Vorhaben haben wir namhafte Wissenschaftler, besonders aber auch kompetente Kliniker als Autoren der jeweiligen Kapitel gewonnen, um die vielerorts fehlende Evidenz durch „Know How“ zu ersetzen. Ohne deren Engagement und deren vorzügliche Expertise wäre das Buch sicherlich nicht in der vorliegenden Form realisierbar gewesen. Allen Autorinnen und Autoren sei deshalb an dieser Stelle aufs Herzlichste gedankt. Unser weiterer Dank gilt der fortwährenden Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Georg Thieme Verlag KG, Stuttgart, vor allem aber Frau Korinna Engeli, Frau Silke Neugebauer und Frau Ursula Biehl-Vatter, die von Beginn an dieses Projekt kompetent unterstützt und mit viel Enthusiasmus begleitet haben. Ihnen, den Lesern, wünschen wir, dass dieses Buch dazu beiträgt, die anästhesiologische Versorgung geriatrischer Patienten noch sicherer zu gestalten und dass es vielleicht auch einen Anstoß zur wissenschaftlichen Bearbeitung der einen oder anderen ungeklärten Frage hinsichtlich der „Anästhesie bei alten Menschen“ liefern kann. Regensburg, im September 2009
Bernhard M. Graf Barbara Sinner Wolfgang Zink
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IX
Anschriften
Dr. med. Bernd Alt-Epping Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Abteilung Palliativmedizin Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Prof. Dr. Dr. Martin Bauer Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Christopher Beck Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Dr. med. Michael Bernhard Interdisziplinäre Notfallaufnahme Klinikum Fulda gAG Pacelliallee 4 36043 Fulda Priv.-Doz. Dr. med. Anselm Bräuer, D.E.A.A Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Ivo F. Brandes Zentrum Anästhesiologie, Rettungs-und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Thorsten Brenner Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg Dr. med. Nils Butte Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinik Köln Kerpener Straße 62 50937 Köln
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas A. Crozier Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Susanne Eberl University of Amsterdam (AMC) Department of Anesthesiology Meibergdreef 9 Postbus 22660 H1Z-112 1100 DD Amsterdam NIEDERLANDE Prof. Dr. med. Götz Geldner, M.A. Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin Klinikum Ludwigsburg Posilipostraße 4 71640 Ludwigsburg Prof. Dr. med. Bernhard M. Graf, MSc. Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Prof. Dr. med. André Gries Interdisziplinäre Notfallaufnahme Klinikum Fulda gAG Pacelliallee 4 36043 Fulda Priv.-Doz. Dr. med. René Gust, D.E.A.A. Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Siloah St. Trudpert Klinikum Wilferdinger Straße 67 75179 Pforzheim Dr. med. Daniel Heise Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
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Anschriften
Dr. med. Bernd Alt-Epping Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Abteilung Palliativmedizin Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Prof. Dr. Dr. Martin Bauer Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Christopher Beck Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf Dr. med. Michael Bernhard Interdisziplinäre Notfallaufnahme Klinikum Fulda gAG Pacelliallee 4 36043 Fulda Priv.-Doz. Dr. med. Anselm Bräuer, D.E.A.A Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Ivo F. Brandes Zentrum Anästhesiologie, Rettungs-und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Thorsten Brenner Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg Dr. med. Nils Butte Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinik Köln Kerpener Straße 62 50937 Köln
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Thomas A. Crozier Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Susanne Eberl University of Amsterdam (AMC) Department of Anesthesiology Meibergdreef 9 Postbus 22660 H1Z-112 1100 DD Amsterdam NIEDERLANDE Prof. Dr. med. Götz Geldner, M.A. Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin Klinikum Ludwigsburg Posilipostraße 4 71640 Ludwigsburg Prof. Dr. med. Bernhard M. Graf, MSc. Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Prof. Dr. med. André Gries Interdisziplinäre Notfallaufnahme Klinikum Fulda gAG Pacelliallee 4 36043 Fulda Priv.-Doz. Dr. med. René Gust, D.E.A.A. Klinik für Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Siloah St. Trudpert Klinikum Wilferdinger Straße 67 75179 Pforzheim Dr. med. Daniel Heise Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
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Anschriften Priv.-Doz. Dr. med. Martin H. Hessmann Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Klinikum Fulda gAG Pacelliallee 4 36043 Fulda
Prof. Dr. med. Johann Motsch, MD Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. med. José Hinz Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
Prof. Dr. med. Friedemann Nauck Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Abteilung Palliativmedizin Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
Dr. med. Stefan Hofer Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Markus W. Hollmann, D.E.A.A University of Amsterdam (AMC) Department of Anesthesiology Meibergdreef 9 Postbus 22660 H1Z-112 1100 DD Amsterdam NIEDERLANDE
Dr. med. Dirk Nauheimer Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin Klinikum Ludwigsburg Posilipostraße 4 71640 Ludwigsburg Prof. Dr. med. Peter Neumann Institut für Klinische Anästhesiologie Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende e. V. An der Lutter 24 37075 Göttingen
Stefan Jungeblodt Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur Leibnizufer 9 30169 Hannover
Prof. Dr. med. Benedikt Pannen Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf
Prof. Dr. med. Franz Kehl Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin Städtisches Klinikum Karlsruhe gGmbH Moltkestraße 90 76133 Karlsruhe
Dr. med. Thorsten Perl Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Georg-August-Universität Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
Dr. med. Thees D. Lemke, M.A. Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Kiel Schwanenweg 21 24105 Kiel
Priv.-Doz. Dr. med. Olaf Picker, MBA Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf
Dr. med. Eva K. Löffler Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Priv.-Doz. Dr. med. Frank Mielck Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
René Pschowski Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg Prof. Dr. med. Michael Quintel Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen
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Anschriften Dr. med. Jens Roggenbach, D.E.S.A Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Walther Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Heidelberg Im Neuenheimer Feld 110 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Helmut Schwilden Klinik für Anästhesiologie Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Krankenhausstraße 12 91054 Erlangen
Prof. Dr. med. Frank Wappler Universität Witten/Herdecke Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Kliniken der Stadt Köln gGmbH Ostmerheimer Staße 200 51109 Köln
Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Seif Urologie Zentrum Alter Markt 11 24103 Kiel Dr. med. Christiane Serf, D.E.A.A Abteilung Anästhesie und Intensivtherapie Gesundheitszentren Rhein-Neckar gGmbH Krankenhaus Sinsheim Alte Waibstadter Straße 2 74889 Sinsheim Dr. med. Barbara Sinner Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Dr. med. Peter Teschendorf Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Universitätsklinik Köln Kerpener Straße 62 50937 Köln Priv.-Doz. Dr. med. Arnd Timmermann, D.E.A.A, MME Zentrum Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen Dr. med. Horst Wagner-Berger Institut für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Evangelisches Krankenhaus Göttingen-Weende An der Lutter 24 37075 Göttingen
Univ.-Prof. Dr. med. Markus A. Weigand Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen Rudolf-Buchheim-Straße 7 35392 Gießen Dr. med. Christoph H. R. Wiese Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Dr. med. York Zausig, D.E.A.A Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg Priv.-Doz. Dr. med. Wolfgang Zink, D.E.A.A Klinik für Anästhesiologie Klinikum der Universität Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11 93053 Regensburg
XI
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XIII
Inhaltsverzeichnis
1
Demografie und Ökonomie Demografie und Ökonomie . . . . . . . . . . . 3 T. D. Lemke, M. Bauer
1 1.1.2 Demografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1.3 Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.1.1 Demografischer Trend und Auswirkung auf das Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . 3
2
Physiologische Veränderungen im Alter
2.1
Zentrales und peripheres Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Rückenmark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Peripheres Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Autonomes Nervensystem . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.2
Kardiovaskuläres System . . . . . . . . . . . . . 13
B. Sinner
W. Zink 2.2.1 Einführung und epidemiologischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2.2 Gefäßsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2.3 Herz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.2.4 Kreislaufregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
2.3
Respiratorisches System . . . . . . . . . . . . . . 18
7
2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.4.8
Magen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Dünndarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Dickdarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
2.5
Urogenitaltrakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 C. Seif
2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Muskulärer Apparat von Blase und Urethra . . 29 Periphere Innervation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Funktionell-anatomisches Korrelat typisch weiblicher bzw. männlicher Inkontinenzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.5.5 Zentrale Neuroanatomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.5.6 Einfluss neurodegenerativer Erkrankungen auf die Blasenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.5.7 Physiologie der Harnentleerung bei älteren Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
I. F. Brandes 2.3.1 Strukturelle und funktionelle Veränderungen des respiratorischen Systems im Alter . . . . . . 18 2.3.2 Präoperative Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.3.3 Häufige Komorbiditäten des älteren Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.3.4 Perioperatives Management . . . . . . . . . . . . . . 21 2.3.5 Prädiktoren für pulmonale Komplikationen . . 21 2.3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.6
Endokrines System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5 2.6.6
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Glukosestoffwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Schilddrüse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Nebenschilddrüse und Kalziumregulation . . . 34 Nebenniere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.4
2.7
Skelettsystem und Muskulatur . . . . . . . 37
Gastrointestinaltrakt und Leber . . . . . . . 24 C. Beck, B. Pannen, O. Picker
2.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.4.2 Mundhöhle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.4.3 Ösophagus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
E. K. Löffler
F. Wappler 2.7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.7.2 Skelettsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.7.3 Muskulatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
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XIV
Inhaltsverzeichnis
2.8
Wärmeregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 A. Bräuer
2.8.2 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.8.3 Besonderheiten beim alten Menschen . . . . . 47
2.8.1 Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 45
3 3.1
Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Allgemeine Pharmakokinetik und Pharmakodynamik . . . . . . . . . . . . . 51
3.4.4 Neuromuskuläres Monitoring . . . . . . . . . . . . 74
H. Schwilden
3.5
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verteilungsvolumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Clearance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen . . . .
3.2
Analgetika, Ko-Analgetika und Opiate . 59
51 53 53 54
3.5.1 Inhalationsanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3.5.2 Veränderte Pharmakokinetik im Alter . . . . . . 76 3.5.3 Veränderte Pharmakodynamik im Alter . . . . 78
3.6
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einflüsse der Vormedikation . . . . . . . . . . . . . Neurobiologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . Pharmakokinetische Aspekte . . . . . . . . . . . . Opioide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht-Opioid-Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . .
3.3
Injektionsanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . 65
59 59 59 60 60 61
3.6.1 3.6.2 3.6.3 3.6.4 3.6.5 3.6.6
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absorption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemische Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . Elimination/Clearance . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klinische Implikation der Pharmakologie . . . Therapie bei Lokalanästhetikaintoxikation . .
3.7
Katecholamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
J. Motsch
82 82 83 84 84 86
M. W. Hollmann, S. Eberl
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurz wirksame Barbiturate . . . . . . . . . . . . . . Propofol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Etomidate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ketamin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3.4
Muskelrelaxanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72
65 65 67 68 69 69
3.7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.7.2 Veränderungen der Rezeptordichte und -funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.7.3 Veränderungen der Aktivität des autonomen Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.8 D. Nauheimer, G. Geldner 3.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.4.2 Blockade der neuromuskulären Übertragung 72 3.4.3 Antagonisierung der neuromuskulären Blockade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 T. Perl, M. Quintel
3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4
Besonderheiten von Infektionen im Alter . . . Inzidenz und Morbidität . . . . . . . . . . . . . . . . Keimspektrum in der Geriatrie . . . . . . . . . . . Antibiotika in der Geriatrie . . . . . . . . . . . . . .
Präoperative Evaluation Anästhesierisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Y. Zausig
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4
Lokalanästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 B. M. Graf
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6
4.1
Volatile Anästhetika . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 F. Kehl
C. H. R. Wiese
4
49
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Präoperative Untersuchungen . . . . . . . . . . . 98 Präoperative Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Strategien zur Reduktion des perioperativen kardialen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
91 91 91 92
95
4.2
Prämedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 T. Brenner, A. Walther
4.2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.2.2 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.2.3 Perioperativer Umgang mit der Dauermedikation . . . . . . . . . . . . . . . 109
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
Inhaltsverzeichnis
4.3
Rechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 S. Jungeblodt
4.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.3.2 Betagte Patienten im anästhesiologischen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.3.3 Grundsatz der selbstbestimmten Einwilligung aufgrund angemessener Aufklärung . . . . . . . 127 4.3.4 Grundlegende Anforderungen an eine angemessene Risikoaufklärung . . . . . . . . . . . 128 4.3.5 Erfordernis der individualisierten Aufklärung 130 4.3.6 Besonderheiten bei der Aufklärung betagter, gebrechlicher Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . 131
5 5.1
Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie, Analgosedierung und „Stand by“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 B. M. Graf
5.1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5.1.2 Analgosedierung und „Stand by“ . . . . . . . . . 141 5.1.3 Kardiale Effekte – hämodynamische Stabilität . . . . . . . . . . . . . . 142 5.1.4 Respiratorische Effekte – respiratorische Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.1.5 Gastrointestinale Integrität – verminderte gastrointestinale Komplikationen . . . . . . . . . 144 5.1.6 Zentralnervöse Stabilität – postoperative Verwirrtheit und Delir . . . . . . 144 5.1.7 Hämopoetische Stabilität – verminderte perioperative Thromboserate und Blutverluste . 145 5.1.8 Perioperative Homöostase – das endokrine System, Stressantwort und Immunsystem . . 145 5.1.9 Klinische Vorteile der Regionalanästhesie? . . . . . . . . . . . . . . . . 146
5.2
4.3.7 Eingeschränkte Aufklärung und Aufklärungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.3.8 Behandlungsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . 133 4.3.9 Aufklärungsadressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.3.10 Fragliche Einwilligungsfähigkeit . . . . . . . . . . 134 4.3.11 Betreuerbestellung und Betreuung . . . . . . . . 134 4.3.12 Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.3.13 Patientenverfügung, Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen . . . . . . . . . . 135
Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 F. Mielck
5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Kardiovaskuläres Monitoring . . . . . . . . . . . . . 149 Monitoring des respiratorischen Systems . . . 150 Zusatzmonitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
5.3
Wärmemanagement . . . . . . . . . . . . . . . . 153 A. Bräuer
5.3.1 Entstehung von perioperativer Hypothermie bei Allgemeinanästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . 153
139
5.3.2 Entstehung von perioperativer Hypothermie bei rückenmarksnaher Regionalanästhesie . . 154 5.3.3 Komplikationen durch perioperative Hypothermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 5.3.4 Messung der Körperkerntemperatur . . . . . . 154 5.3.5 Adäquates Wärmemanagement – Wärmeprotektionsverfahren . . . . . . . . . . . . . 155 5.3.6 Präoperative Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.4
Volumenmanagement . . . . . . . . . . . . . . 158 Y. Zausig
5.4.1 Veränderungen des Wasserelektrolythaushaltes im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5.4.2 Perioperative Flüssigkeitstherapie . . . . . . . . . 159 5.4.3 Perioperative Gabe von Blutprodukten . . . . . 160
5.5
Atemwegsmanagement . . . . . . . . . . . . . 164 A. Timmermann
5.5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5.5.2 Veränderungen der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . . . 164 5.5.3 Techniken zur Atemwegssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.5.4 Die schwierige endotracheale Intubation . . . 166
5.6
Intraoperative Beatmungsprinzipien . 168 P. Neumann
5.6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5.6.2 Physiologischer Alterungsprozess des respiratorischen Systems . . . . . . . . . . . . 168 5.6.3 Intraoperative Beatmungseinstellung . . . . . . 170 5.6.4 Rekruitmentmanöver . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
XV
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
XVI
Inhaltsverzeichnis
6 6.1
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Patienten mit Herzschrittmacher oder ICD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
6.7
Ch. Serf
6.7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 6.7.2 Definition und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . 220 6.7.3 Perioperatives anästhesiologisches Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
6.1.7 6.1.8
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 HSM und ICD im Überblick . . . . . . . . . . . . . . 177 Aktuelle ICD-Klassifikation und Funktion . . . 178 Indikationen zur permanenten Schrittmacher- bzw. ICD-Therapie . . . . . . . . . 179 Praktisches perioperatives Vorgehen beim Schrittmacher- bzw. ICD-Patienten . . . . . . . . 179 Muss ein Herzschrittmacher bzw. ICD präoperativ umprogrammiert werden? . . . . 181 Intraoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . 181 Postoperatives Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . 184
6.2
Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . 185
6.1.5 6.1.6
P. Teschendorf, N. Butte 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Prädisponierende Faktoren . . . . . . . . . . . . . . 185 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Akutintervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
6.3
Neurologische Erkrankungen . . . . . . . . 188 B. Sinner
6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Demenzerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Morbus Parkinson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Zervikale Spondylomyopathie . . . . . . . . . . . . 192 Postoperative zentralnervöse Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 6.3.6 Zerebrovaskuläre Erkrankungen . . . . . . . . . . 196
6.4
175
Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler . 199
Arterieller Hypertonus . . . . . . . . . . . . . . 220 W. Zink
6.8
Nierenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . 225 D. Heise
6.8.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.8.2 Komorbiditäten bei beeinträchtigter Nierenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 6.8.3 Perioperatives Management . . . . . . . . . . . . . 226
6.9
Endokrine Erkrankungen . . . . . . . . . . . 229 T. A. Crozier
6.9.1 6.9.2 6.9.3 6.9.4 6.9.5 6.9.6
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Schilddrüse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Nebennierenrinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Hypophyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Stressantwort beim geriatrischen Patienten 235
6.10 Urologische Erkrankungen . . . . . . . . . . 237 H. Wagner-Berger 6.10.1 6.10.2 6.10.3 6.10.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Urologische Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Transurethrale Resektion der Prostata (TURP) 238 Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und Thromboembolieprophylaxe/antithrombotische Medikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 6.10.5 Wahl des Anästhesieverfahrens . . . . . . . . . . . 240 6.10.6 Bedeutung einer suffizienten Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
W. Zink 6.4.1 Koronare Herzkrankheit (KHK) . . . . . . . . . . . 199 6.4.2 Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 6.4.3 Herzklappenfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
6.5
Chronische Lungenerkrankungen . . . . 209 P. Neumann
6.5.1 6.5.2 6.5.3 6.5.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 COPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Asthma bronchiale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Interstitielle Lungenerkrankungen . . . . . . . . 212
6.6
Gefäßerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 R. Pschowski, J. Motsch
6.6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 6.6.2 Arterielles System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6.6.3 Venöses System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
6.11 Augenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . 241 R. Gust 6.11.1 6.11.2 6.11.3 6.11.4
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Präoperative Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Lokalanästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Anästhesie-Standby (Monitored Anaesthesia Care) . . . . . . . . . . . 242 6.11.5 Allgemeinanästhesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 6.11.6 Wahl des Anästhesieverfahrens . . . . . . . . . . . 244 6.11.7 Besonderheiten bei ophthalmochirurgischen Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . 244
6.12 Trauma im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 M. Bernhard, M. H. Hessmann, A. Gries 6.12.1 6.12.2 6.12.3 6.12.4
Einführung und Epidemiologie . . . . . . . . . . . 246 Pathophysiologie und Komorbidität . . . . . . 248 Anästhesiologisches Management . . . . . . . . 249 Schockraummanagement . . . . . . . . . . . . . . . 249
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
Inhaltsverzeichnis
7 7.1
Postoperatives Management Aufwachraumphase . . . . . . . . . . . . . . . . . 255
253
7.3
J. Roggenbach, M. A. Weigand, S. Hofer 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Kardiovaskuläre Komplikationen . . . . . . . . . . 255 Pulmonale Komplikationen . . . . . . . . . . . . . . 257 Neurologische Komplikationen . . . . . . . . . . . 258 Postoperative Schmerztherapie . . . . . . . . . . 259 Verlegungskriterien aus den Überwachungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
7.2
Postoperative Schmerztherapie . . . . . . 262
F. Nauck, B. Alt-Epping 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.3.7
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4
Palliativmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
J. Hinz
7.3.8
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Physiologische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . 262 Schmerzmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
7.3.9 7.3.10 7.3.11 7.3.12
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Strukturen in der Palliativmedizin . . . . . . . . . 273 Palliativmedizinische Therapieangebote . . . . 274 Palliativpatient heute und morgen . . . . . . . . 275 Symptomkontrolle in der Palliativmedizin . . 275 Palliativmedizin, Hospizarbeit und die Debatte um aktive Sterbehilfe . . . . . . . . . . . 279 Palliativmedizin und die Entwicklungen der modernen Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . 279 Anästhesie und die Entwicklungen der modernen Onkologie . . . . . . . . . . . . . . . 279 Anästhesie und Palliativmedizin . . . . . . . . . . 280 Palliativmedizin und Intensivmedizin . . . . . . 280 Ethische Entscheidungen in der Notfallmedizin und Intensivmedizin . . . . . . . 281 Palliativmedizin und Altersmedizin . . . . . . . . 281
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
XVII
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
XIX
Abkürzungsverzeichnis
5-HT3Rezeptoren ACC ACE ACT ACTH ADH AGE AHA AIS ALI ANH ANP ANV AP ap APP Appl. ARCD ARDS ASA ASK ASS ATC-Code ATII-Antagonisten ATP AV AVK AV-Knoten BGA BIS BMI BPE BPH BPO BPS BZ cAMP caO2 CC CCS cGMP CGRP chron. CK CMP
Serotonin-Rezeptoren des Subtyps 3 American College of Cardiology Angiotensin-converting-Enzyme activated clotting time adrenokortikotropes Hormon antidiuretisches Hormon advanced glycation End-products American Heart Association Abbreviated Injury Scale acute Lung Injury akute normovolämische Hämodilution atriales natriuretisches Peptid akutes Nierenversagen Aktionspotenzial anterior – posterior Amyloid-Precursor-Protein Applikation Age related cognitive Decline Adult Respiratory Distress Syndrome American Society of Anesthesiologists Arthroskopie Acetylsalicylsäure anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem Angiotensin-II-Rezeptoren-Blocker Adenosintriphosphat atrioventrikulär arterielle Verschlusskrankheit atrioventrikulärer Knoten Blutgasanalyse Bispektralindex Body Mass Index benign prostatic Enlargement benigne Prostatahyperplasie benigne Prostataobstruktion benignes Prostatasyndrom Blutzucker zyklisches Adenosinmonophosphat arterieller Sauerstoffgehalt Closing Capacity Canadian Cardiovascular Society zyklisches Guanosinmonophosphat Calcitonin Gene related Peptid chronisch Kreatinkinase Kardiomyopathie
COMT COPD COX CPAP CRT CTZ CYP d DGAI DHEA DHPR DIC DM DO2 EARSS ECT EDA EGF EKG ERC ESWL ETT EVLW FDA FeO2 FEV1 FFP FiO2 FPS FRC FSH FVC GABA GERD GFR GH GKW GnRH h H1/H2Rezeptoren HAES Hb HDL HHL
Katecholamin-O-Methyltransferase chronic obstructive pulmonary Disease Zyklooxygenase continuous positive airway Pressure kardiale Resynchronisation Chemorezeptortriggerzone Cytochrom-P Tage Deutsche Gesellschaft für Anaesthesiologie und Intensivmedizin Dihydroestrogenandrogen Dihydropyridinrezeptor disseminierte intravasale Gerinnung Diabetes mellitus Sauerstoffangebot European antibiotical Resistance Surveillance Systems Ecarin-Clotting-Time enddiastolische Fläche des linken Ventrikels epidermal Growth Factor Elektrokardiogramm European Resuscitation Council extrakorporale Stoßwellenlithotrypsie endotrachealer Tubus extravaskuläres Lungenwasser Food and Drug Administration exspiratorische Sauerstofffraktion forciertes exspiratorisches Einsekundenvolumen fresh frozen Plasma inspiratorische Sauerstofffraktion Face Pain Scale funktionelle Residualkapazität follikelstimulierendes Hormon forcierte Vitalkapazität Gamma-Amino-Buttersäure gastroesophageal Reflux Disease glomeruläre Filtrationsrate Growth Hormone Gesamtkörperwasser Gonadotropin-stimulierendes Hormon Stunde(n) Histamin1/2-Rezeptoren Hydroxyäthylstärke Hämoglobin high Density Lipoprotein Hypophysenhinterlappen
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XX
Abkürzungsverzeichnis HHNA
Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenAchse HMG-CoA- 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-AReduktase Reduktase HSM Herzschrittmacher HVL Hypophysenvorderlappen HWS Halswirbelsäule HZV Herzzeitvolumen i. m. intramuskulär i. v. intravenös ICD implantierbarer Cardioverter Defibrillator IDDM insulinabhängiger Diabetes mellitus IGF Insulin-like Growth-Factor Ind. Indikation INR International Normalized Ratio ITBV intrathorakale Blutvolumen ITN Intubationsnarkose KC Kreatininclearance kg KG Körpergewicht in Kilogramm KHK koronare Herzkrankheit LA Lokalanästhesie/Lokalanästhetika LADA late autoimmune Diabetes in Adults LCA left coronary Arteria LH luteinisierendes Hormon LMA Larynxmaske LSD Lysergsäurediethylamid LSK Laparoskopie LUTS lower urinary Tract Symptoms LVEDP linksventrikulärer enddiastolischer Füllungsdruck MAC minimale alveoläre Konzentration MAO-Hem- Monoaminooxidase-Hemmer mer MAT maschinelle Autotransfusion MCI mild cognitive Impairement MET metabolic Equivalent, metabolisches Äquivalent min Minute(n) Mio. Million(en) MOV Multiorganversagen Mrd. Milliarde(n) MRF myogene Regulationsfaktoren MRSA methicillinresistenter Staphylococcus aureus MSH melanozytenstimulierendes Hormon MTL medialer Temporallappen NA Noradrenalin ndMR nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien NIBP nicht invasive Blutdruckmessung NIDDM nicht insulinabhängiger Diabetes mellitus NIV nicht invasive Beatmung NMDA N-Methyl-D-Aspartat NMH niedermolekulares Heparin NNM Nebennierenmark NNR Nebennierenrinde NNT Number needed to treat NO Stickstoffmonoxid NRS numerical Rating Scale
NSAID NSAR NSTEMI NYHA OP OR OSAS p. o. paCO2 PAF PAK paO2 PAOP PAP pAVK PCA PCEA PCI PCIA PDK PEEP PFA-100 PFC PNS POCD PONV PPI PPV PRIND PTCA PTH PTT pvO2 PVR RAAS RCT RSI RV RYR s s. c. SAPV SaO2 SAS SCLC SgvO2 SIADH SNS SR SSRI STEMI SV SVR SVV SzvO2
nicht steroidale Antiphlogistika, non-steroidal anti-inflammatory Drugs nicht steroidale Antirheumatika Non-ST-Elevation-Infarkt New York Heart Association Operation Odds Ratio obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom per os arterieller Kohlendioxid-Partialdruck Plättchen aktivierender Faktor pulmonalarterieller Katheter arterieller Sauerstoff-Partialdruck pulmonalarterieller Verschlussdruck pulmonalarterieller Druck periphere arterielle Verschlusskrankheit Patient controlled Anaesthesia patientenkontrollierte epidurale Analgesie perkutane Koronarintervention patientenkontrollierte intravenöse Analgesie Periduralkatheter positive endexspiratory Pressure Plättchenfunktionsanalyzer-100 präfrontaler Kortex parasympathisches Nervensystem postoperative kognitive Dysfunktion postoperative Nausea and Vomiting Protonenpumpeninhibitoren Pulse Pressure Variation prolongiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit perkutane transluminale koronare Angioplastie Parathormon partielle Thromboplastinzeit venöser Sauerstoff-Partialdruck pulmonalvaskulärer Widerstand Renin-Angiotensin-Aldosteron-System randomisierte kontrollierte Interventionsstudie rapid Sequence Induction Residualvolumen Ryanodinrezeptoren Sekunde(n) subkutan spezialisierte ambulante Palliativversorgung fraktionelle arterielle Sauerstoffsättigung Schlafapnoesyndrom kleinzelliges Bronchial-Carcinom gemischtvenöse Sauerstoffsättigung Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion sympathisches Nervensystem sarkoplasmatisches Retikulum selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren ST-Elevation-Infarct Schlagvolumen systemvaskulärer Widerstand linksventrikuläre Schlagvolumenvariation zentralvenöse Sauerstoffsättigung
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Abkürzungsverzeichnis Tab. TBG TCA TCI TEE TEP TIA TIVA TLC TNF TPTD TRH TSH TTS TURP
Tabelle Thyroxin-bindendes Globulin tri- und tetrazyklische Antidepressiva Target controlled Infusion transösophageale Echokardiografie totale Endoprothese transitorisch ischämische Attacke total intravenöse Anästhesie totale Lungenkapazität Tumornekrosefaktor transpulmonale Thermodilutionsmethode Thyreotropin-Releasing-Hormon Thyreoidea-stimulierendes Hormon transdermal therapeutisches System transurethrale Resektion der Prostata
TVT u. a. UAW UFH URS VAS VDS VEGF V/Q VO2 VRE vs. WHO ZNS
tiefe Beinvenenthrombose unter anderem unerwünschte Arzneimittelwirkungen unfraktioniertes Heparin Ureterorenoskopie Visual Analog Scale Verbal Descriptor Scale vascular endothelial Growth Factor Verhältnis Ventilation zu Perfusion Sauerstoffaufnahme (Sauerstoffverbrauch) vancomycinresistente Enterokokken versus World Health Organization zentrales Nervensystem
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1 Demografie und Ökonomie
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1.1 Demografie und Ökonomie T. D. Lemke, M. Bauer
1.1.1 Demografischer Trend und Auswirkung auf das Gesundheitswesen Die Bevölkerungsentwicklung wird in Zukunft vermehrt zentrale Fragestellungen im Bereich des Managements von Gesundheitseinrichtungen aufwerfen. Zu Beginn dieses Werkes soll dieser Tatsache Rechnung getragen werden, indem wichtige Einflussgrößen auf die Population und deren Alterszusammensetzung beschrieben werden. Im zweiten Teil werden die ökonomischen Auswirkungen auf das Gesundheitswesen dargestellt.
1.1.2 Demografie Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird eine steigende Lebenserwartung verzeichnet. So betrug die Lebenserwartung eines im Jahre 1871 geborenen Säuglings nur etwa 35 Jahre, während im Jahre 2002 geborene Jungen mit 76 Jahren und Mädchen mit 81 Jahren statistisch mehr als doppelt so alt werden können. Den größten Beitrag zu dieser Entwicklung leistet die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich gesunkene Säuglingssterblichkeit, welche zur heutigen Zeit nur noch 0,5 ‰ beträgt. Insgesamt ist die Sterbewahrscheinlichkeit in den jüngeren Altersstufen heute auf einem niedrigen Niveau. Hieraus folgt, dass die steigende Lebenserwartung zum Großteil aus Veränderungen der Sterbewahrscheinlichkeit in den älteren Teilen der Bevölkerung hervorgerufen wird. Der Trend bei den Senioren zeichnet sich zwar nicht ganz so ausgeprägt ab wie bei den oben angesprochenen jüngeren Bevölkerungsgruppen, er wird aber in Zukunft einen der entscheidenden Treiberfaktoren im Gesundheitswesen darstellen. Waren erst einmal die mit einem hohen Sterberisiko behaftete Säuglingszeit und Kindheit überlebt, so wurden die 60-Jährigen vor 140 Jahren durchschnittlich 72 Jahre alt. Ein Mann des gleichen Alters in heutiger Zeit hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 80, bei einer Frau beträgt sie 84 Jahre (Abb. 1.1). Der Anteil der über 65-Jährigen und der Hochbetagten an der Gesamtbevölkerung erfährt in den nächsten 30 Jahren eine stetige Zunahme. Hierbei wird sich die Zahl der über 80-Jährigen von heute 4 Mio. auf ca. 10 Mio. mehr als verdoppeln. Die Bevölkerungsgruppe der 65- bis unter 80-Jährigen sollte zwischenzeitlich von 12 Mio. auf über 16 Mio. anwachsen, dann aber wieder fallen.
Als Folge dieser Entwicklungen ist eine Beeinflussung des Durchschnittsalters unserer Bevölkerung zu erwarten. Berechnungen des Statistischen Bundesamts gehen von einem Durchschnittsalter zwischen 48 und 52 Jahren im Jahr 2050 aus, wobei das aktuelle Durchschnittsalter unserer Bevölkerung bei ca. 43 Jahren liegt (Abb. 1.2). Die Gründe für das steigende Durchschnittsalter sind vielfältig. Zum einen ist der medizinische Fortschritt als ein Faktor zu nennen, der den Menschen länger leben lässt. Hierbei ist nicht nur an die „High-Tech-Medizin“ zu denken, sondern auch an die gewonnenen Erkenntnisse im Bereich der Präventionsmedizin. Sicherlich ist auch die Verfügbarkeit von medizinischer Versorgung ein wichtiger Beitrag in Richtung der steigenden Lebenserwartung. Die Bundesrepublik liegt im Vergleich der Versorgungsdichte bezüglich der Ärzte pro Einwohner im oberen Drittel aller OSZE-Staaten. Hinzu kommt eine hohe Qualität der medizinischen Ausbildung in Deutschland bei den Ärzten und den Assistenzberufen. Seit der „Großen Pest von London“ im Jahre 1655 gewannen die Maßnahmen der Hygiene an Bedeutung und trugen bis heute ebenfalls zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen und zur Verlängerung des Lebensalters bei. Auch die Arbeitsmedizin und die damit verbundenen Änderungen der Rahmenbedingungen mit immer weniger körperlich belastender Arbeit führten zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung. Schließlich sei noch das zunehmende Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung selbst zu nennen, welches sich in bewussterer Ernährung und der anhaltenden Fitness-Welle ausdrückt. Neben den beschriebenen Einflussgrößen gibt es noch weitere Faktoren, die demografisch von großer Bedeutung sind. Vor allem sind an dieser Stelle die Entwicklungen von Geburtenziffer und Migration zu nennen. Seit den frühen 1970er Jahren besteht in der Bundesrepublik ein sog. Geburtendefizit. Die Anzahl der Gestorbenen in einem Jahr ist größer als die Zahl der Geburten. Die mittlere Geburtenhäufigkeit von 1,6 Kindern pro gebärfähiger Frau führt dazu, dass sich unsere Gesellschaft nicht reproduziert und sich somit verringert. Die notwendige Zahl von 2,1 Kindern pro gebärfähige Frau wird weit unterschritten. Diese Situation wird in Zukunft noch dadurch verschlechtert, dass die Anzahl der heranwachsenden Mütter dezimiert ist, und diese wiederum eine geringere Anzahl von Kindern zur Welt bringen. Das Statistische Bundesamt rechnet im Vergleich zu der heutigen Situation für das Jahr 2050 mit einem vierfach höheren Geburtendefizit.
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1 Demografie und Ökonomie
Abb. 1.1 Entwicklung der Lebenserwartung 60-Jähriger seit 1871/1881. Die Werte sind für folgende Gebietsstände aufgeführt: 1871/81 bis 1932/34 Deutsches Reich; 1949/51 bis 1986/88 früheres Bundesgebiet; ab 1991/93 Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: „Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung“, 2006–15–1315).
Die zurzeit steigenden Bevölkerungszahlen werden durch eine vermehrte Zuwanderung hervorgerufen. Das Verhalten der Migration ist aber nur sehr ungenau vorherzusagen. Die Gründe hierfür liegen in der Mannigfaltigkeit der Einflussfaktoren hierauf. So ist die politische und wirtschaftliche Situation der Herkunftsländer als auch die der Bundesrepublik für die nächsten Jahrzehnte nicht abzusehen. Sicher scheint laut Statistischem Bundesamt jedoch zu sein, dass das Migrationsgeschehen vorwiegend von Ausländern bestimmt wird. Menschen mit deutscher Herkunft scheinen sich auch in Zukunft in geringerem Maße der Migrationsbewegung anzuschließen. Die bisher genannten Aspekte zeigen einen deutlichen Trend: In den nächsten Jahrzehnten kommt es zu einer demografischen Umverteilung unserer Bevölkerung in Richtung einer älteren Gesellschaft mit höherer Lebenserwartung und damit einer Zunahme der älteren Patienten mit Multimorbiditäten respektive den chronischen Erkrankungen des Alters.
1.1.3 Ökonomie Aus den Veränderungen der demografischen Rahmenbedingungen ergeben sich gesundheitsökonomische Aspekte. Die Änderung der Altersverteilung hat für den sich zurzeit entwickelnden Gesundheitsmarkt bedarfsinduzierende Einflüsse. Diese Tatsache wird durch die steigenden Gesundheitsausgaben untermauert. Sind Mitte der 1990er Jahre noch ca. 195 Mrd. Euro in das Gesundheitssystem geflossen, so haben sich die Ausgaben im Jahre 2005 auf fast 240 Mrd. Euro vermehrt. Das bedeutet einen Zuwachs von ca. 23 % in 10 Jahren. Über die vergangenen 10 Jahre lag der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt konstant um 10,5 % (10,6 % im Jahre 2007). Prognosen gehen von einer Steigerung auf bis zu 13 % im kommenden Jahrzehnt aus. Der Trend der steigenden Nachfrage für medizinische Leistungen und Produkte scheint in der veränderten Altersverteilung begründet zu sein. Das Statistische Bundesamt ermittelte im Jahre 2006, dass ca. 45 % aller Gesundheitskosten durch die über 65Jährigen verursacht wurden (Abb. 1.3). Gründe hierfür könnten in der „Verlängerung“ von chronischen Krankheiten im Alter liegen. Ebenfalls spielt natürlich eine längere Pflegebedürftigkeit eine wichtige Rolle. Aber auch
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Demografie und Ökonomie
Abb. 1.2 Durchschnittliches Alter der Bevölkerung. Ab 2006 Ergebnisse der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: „Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung“, 2006–15–1304).
Abb. 1.3 Bevölkerung und Krankheitskosten nach Alter (Quelle: Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: „Gesundheit – Ausgaben, Krankheitskosten und Personal 2004“, 2006–15–0944).
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1 Demografie und Ökonomie Abb. 1.4 Ergebnisse je Fall nach Altersgruppen (Clinotel DRG-Kalkulation 2006) (Quelle: Beck et al. 2008).
die direkt vor dem Tode auftretenden Kosten stellen einen großen Anteil der Gesundheitsausgaben im Alter dar, wobei z. B. immer komplexere und damit teurere intensivmedizinische Behandlungen oder symptomatische Therapien des Leidens im palliativmedizinischen Sinn zu nennen sind. Analog zu dieser gesteigerten Nachfrage wird sich in Zukunft auch das Angebot der stationären und ambulanten Leistungen ändern müssen, um den kommenden Bedürfnissen unserer Bevölkerung gerecht zu werden. Eine Auseinandersetzung mit den Problemen des „Älteren“ im medizinischen Sinn scheint an Bedeutung zu gewinnen. Schließlich seinen noch die Einflüsse des DRG-Systems auf die Krankenversorgung des „Älteren“ und dessen Vergütung erwähnt (Abb. 1.4). In verschiedenen Bereichen der Krankenhausversorgung konnte gezeigt werden, dass bei der Behandlung von älteren Patienten die Ergebnisbilanz in den negativen Bereich verlagert wurde (Beck et al. 2008). Als Grund hierfür sind die Erlöse aus den Fallpauschalen zu nennen, die nicht die Kosten der durchschnittlich teureren Behandlung dieser Patientenklientel decken können. Abzuwarten bleibt, ob in Zukunft der demografischen Entwicklung auch beim Fallpauschalensystem durch politische Maßnahmen Rechnung getragen wird. Den Leistungserbringern der Krankenversorgung bleibt die Möglichkeit, durch eine hohe Qualität ihrer Arbeit die Inzidenz von kostenintensiven Komplikationen zu minimieren.
Kernaussagen ●
●
●
Das Durchschnittsalter der Menschen in der Bundesrepublik wird steigen. Die Kosten der Gesundheitsversorgung älterer Menschen werden zunehmen. Der Gesundheitsmarkt wird eine Orientierung in Richtung der Bedürfnisse der älteren Generationen erfahren.
Literatur Beck U, Becker A, Frieling M et al. Ist der alte Patient ein „Budgetkiller“? Das Krankenhaus 2008; 100: 216–220 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: „Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung“, 2006–15–1304; www.destatis.de; http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2006/ Bevoelkerungsentwicklung/bevoelkerungsprojektion2050, property =file.pdf (S. 19) Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: „Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – 11. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung“, 2006–15–1315 www.destatis.de; http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2006/ Bevoelkerungsentwicklung/bevoelkerungsprojektion2050, property=file.pdf (S. 39) Statistisches Bundesamt, Wiesbaden: „Gesundheit – Ausgaben, Krankheitskosten und Personal 2004“ 2006–15–0944; www. destatis.de; http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/ destatis/Internet/DE/Presse/pk/2006/Gesundheit/Pressebroschuere,property=file.pdf (S. 27)
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Physiologische Veränderungen im Alter 2.1
Zentrales und peripheres Nervensystem
2.2
Kardiovaskuläres System
2.3
Respiratorisches System
2.4
Gastrointestinaltrakt und Leber
2.5
Urogenitaltrakt
2.6
Endokrines System
2.7
Skelettsystem und Muskulatur
2.8
Wärmeregulation
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2.1 Zentrales und peripheres Nervensystem B. Sinner
2.1.1 Einführung Das zentrale und das periphere Nervensystem älterer Menschen unterscheiden sich sowohl quantitativ als auch qualitativ von dem junger Individuen. Die ersten Veränderungen beginnen bereits beim jungen Erwachsenen und beschleunigen sich rapide nach dem 60. Lebensjahr. Für die perioperative Betreuung alter Menschen sollten diese neurologischen Veränderungen erfasst und berücksichtigt werden. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die altersbedingten Veränderungen des zentralen, peripheren und autonomen Nervensystems.
2.1.2 Gehirn Morphologie Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Reduktion der Hirnmasse. Früher wurde postuliert, dass dies mit einer Reduktion der Neuronenzahl einhergehe. Heute weiß man dagegen, dass die altersabhängige Volumenreduktion bestimmter Bereiche des Gehirns nicht auf einen signifikanten Untergang von Neuronen zurückzuführen ist. Umfangreiche Magnetresonanz- und Positronenemissionsuntersuchungen zeigen, dass die Ausprägung in den einzelnen Gehirnabschnitten unterschiedlich ist. Von allen Bereichen des Gehirns erfährt der präfrontale Kortex (PFC) beim gesunden alten Menschen die größte Volumenreduktion. Der PFC spielt im Rahmen von Neulernen, Erinnerung und Gedächtnis eine entscheidende Rolle: Neuronale Schaltkreise dieses Bereichs dienen dazu, neue und alte Informationen abzuwägen, zu vergleichen, verschiedene Aufgaben gleichzeitig auszuführen und Erinnerungen zu speichern und aufzurufen. Hier werden sensorische Signale verarbeitet und mit verschiedenen Gedächtnisinhalten und den aus dem limbischen System stammenden emotionalen Bewertungen integriert. In Longitudinalstudien konnte gezeigt werden, dass die Volumenreduktion des PFC fast 1 % pro Lebensjahr beträgt (Raz et al. 2005). Weitere für das Lernen und die Konsolidierung des Gedächtnisses wichtige Strukturen stellen der Hippocampus und der mediale Temporallappen (MTL) dar. Obwohl der mit dem Alter einhergehende Gedächtnisverlust immens sein kann, findet man nur eine geringe Abnahme des Hippocampus- und des MTL-Volumens (Hinman u. Abraham 2007).
Mit zunehmendem Alter ist das Volumen der grauen Substanz nicht wesentlich vermindert. Im Gegensatz dazu verliert die weiße Substanz bis zu 15 % an Volumen (Hinman u. Abraham 2007). Dies scheint auf die Schädigung des Myelins, einen Rückgang der Myelinisierung der Neurone, eine Störung der Remyelinisierung und eine Abnahme der Länge myelinisierter Fasern zurückzuführen zu sein (Ibanez et al. 2003). Daneben unterliegen die einzelnen Neuronen alternder Patienten morphologischen Veränderungen. Die Zahl der dendritischen Aufzweigungen wird reduziert, es kommt zum Verlust dendritischer Dornen und gelegentlich auch von Synapsen. Im Tierversuch korreliert der Verlust an Dendriten und Synapsen mit dem neurokognitiven Defizit (Dickstein et al. 2007). Im Rahmen neurodegenerativer Erkrankungen akkumulieren Proteine, Eisen, Lipofuszine und weitere Pigmente im Gehirn. Ursächlich hierfür scheint ein altersabhängiger mangelnder Abbau dieser Substanzen zu sein. Proteine werden z. T. an Myelin und andere Strukturproteine gebunden und können zur Funktionsbeeinträchtigung führen.
Merke
Die altersabhängige Volumenreduktion des Gehirns ist nur zum kleinen Teil auf den Verlust von Neuronen, zum größeren Teil auf altersbedingte morphologische Veränderungen zurückzuführen, welche in den einzelnen Gehirnabschnitten unterschiedlich ausgeprägt sind.
Neurotransmitter Der wichtigste exzitatorische Neurotransmitter ist Glutamat, dessen Konzentration mit zunehmendem Alter konstant bleibt. Allerdings findet man im Hippocampus und PFC eine Reduktion des wichtigsten exzitatorischen Glutamatrezeptors, des N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptors (NMDARezeptor) (Dickstein et al. 2007). Dies hat zur Folge, dass die Erregbarkeit und die Induktion der für die synaptische Plastizität erforderlichen Langzeitpotenzierung beeinträchtigt wird (Foster 2007). Auf der anderen Seite bleibt die Aktivität des inhibitorischen Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure (GABA) konstant. Häufig findet man außerdem eine Reduktion dopaminerger und cholinerger Zellgruppen besonders im Mittelhirn und basalen Vorderhirn. Daneben ist die Konzentration der Transmitter Noradrenalin sowie Serotonin regional unterschiedlich vermindert (Peters 2002).
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Merke
Im Alter ist die Funktion exzitatorischer Transmittersysteme reduziert. Die Funktion inhibitorischer Transmittersysteme bleibt unverändert.
Funktion Die genannten morphologischen und pathophysiologischen Veränderungen haben Auswirkungen auf die Funktionalität. Folge aller genannten Veränderungen ist eine Unterbrechung vorhandener neuronaler Schaltkreise zwischen den verschiedenen Gehirnabschnitten, vor allem zwischen dem PFC und dem Temporallappen, die sich in einem inter- und intraindividuellen neurokognitiven Defizit äußert. Mit steigendem Alter beobachtet man bei gesunden Menschen eine fortschreitende Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit (ARCD: age related cognitive Decline). Extreme Formen stellen in diesem Zusammenhang die Demenz und der Morbus Alzheimer dar, bei denen es im Gegensatz zu altersbedingten Verlusten der geistigen Leistungsfähigkeit ein pathologisches Korrelat gibt. Die Veränderungen, die man im Rahmen des ARCD beobachtet, betreffen nicht alle Funktionen des Gehirns gleichsam. Einzelne Fähigkeiten des Gehirns bleiben mit zunehmendem Alter nahezu intakt. Hierzu gehören das implizite und das Kurzzeitgedächtnis. Kognitive Fähigkeiten wie Vokabular und semantische Kenntnisse bleiben ebenso wie das emotionale Gedächtnis weitgehend erhalten (Salthouse 1996), während die Geschwindigkeit, Informationen zu verarbeiten, das Arbeitsgedächtnis und die Fähigkeit, Neues zu erlernen, abnehmen (Grady u. Craik 2000). Höhere kognitive Leistungen sind eng verknüpft mit Empfindung, Aufmerksamkeit, Auffassungsgabe und Gedächtnis. Altersabhängig reduziert sich die Qualität sensorischer Eigenschaften wie Sehkraft und Hörvermögen. So wundert es nicht, dass sich mit dem Verlust der sensorischen Eigenschaften die intellektuellen Fähigkeiten
parallel vermindern (Murphy et al. 2000). Das primäre Gedächtnis (z. B. das Merken einer Buchstaben-, Zahlenoder Wörterreihe) ist im Alter nicht wesentlich eingeschränkt. Schwieriger wird es, wenn Buchstaben- oder Zahlenfolgen bearbeitet werden, also z. B. in eine andere Reihenfolge gebracht werden sollen. Dies wird vom so genannten Arbeitsgedächtnis geleistet, welches typischerweise einem altersabhängigen Abbau unterliegt (Grady u. Craik 2007). Das neuronale Korrelat für das Arbeitsgedächtnis ist der PFC. Untersucht man die Hirnaktivität während der Verarbeitung verbaler Informationen, so findet man im Gegensatz zum jungen Menschen neben der typischen Aktivierung des linken PFC auch eine Aktivierung des rechten Kortex. Dies wird als eine Rekrutierung zusätzlicher Gehirnbereiche interpretiert, um die zerebrale Leistungsfähigkeit zu erhöhen (Cabeza et al. 1997). Auch die Art der Information ist entscheidend. Die Aufnahme verbaler Informationen aktiviert den PFC weniger stark als die Aufnahme optischer Informationen (Grady u. Craik 2007). Auch für das Abrufen gelernter Informationen benötigen ältere Menschen mehr Zeit. Um Ereignisse adäquat wiedergeben zu können, sind bestimmte Aspekte des Originalhintergrundes erforderlich (z. B. wann und wo ein bestimmtes Ereignis stattgefunden hat) (Craik et al. 1990). Die Fähigkeit, den Kontext oder die Quelle einer Information oder eines Ereignisses in Zusammenhang zu bringen, sinkt mit zunehmendem Alter. Als Konsequenz verlassen sich Ältere auf Vertrautes, was sie besonders anfällig für falsche Erinnerungen macht (Schacter et al. 1997). In einer Studie konnte sogar gezeigt werden, dass diese Eigenschaft tageszeitabhängig ist und besonders in den Abendstunden auftritt (Intons-Peterson et al. 1999). Ebenso sinkt die Fähigkeit, zwei oder mehr Dinge parallel auszuführen. So kann bereits das Gehen auf unebenem Untergrund zu einer Unterbrechung der Informationsaufnahme und Verarbeitung führen (Lindenberger et al. 2000). Ebenso findet man eine Abnahme des prospektiven Gedächtnisses, also der Fähigkeit, sich daran zu erinnern, in der Zukunft etwas zu tun (Tab. 2.1).
Abnahme des Hirnvolumens
Schrumpfen von Neuronen, Verlust von Dendriten, Axone, Myelin, Synapsen
Neurotransmitter
Verminderung von Dopamin, Acetylcholin, Noradrenalin, Serotonin Verlust von NMDA-Rezeptoren
Abnahme der neuronalen Genexpression erhaltene Funktionen
Kurzzeitgedächtnis semantisches Gedächtnis emotionales Gedächtnis
verminderte Funktionen
Sehkraft Hörvermögen Arbeitsgedächtnis assoziatives Gedächtnis prospektives Gedächtnis
Tabelle 2.1 Zusammenfassung der neurobiologischen und funktionellen Veränderungen des Gehirns.
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2.1 Zentrales und peripheres Nervensystem
Zerebraler Blutfluss Mit zunehmendem Alter nimmt der zerebrale Sauerstoffverbrauch ab. Gleichzeitig sinkt der zerebrale Blutfluss um ca. 4–5 ml/min/Jahr. In einigen Studien konnte gezeigt werden, dass diese Reduktion besonders die graue und weniger die weiße Substanz betrifft. Gelegentlich wird eine asymmetrische Abnahme bzgl. der rechten und der linken Hemisphäre beschrieben. Die Abnahme des Blutflusses korreliert mit den Bereichen verminderter metabolischer und elektrischer Aktivität und ist im Rahmen einer Demenz besonders stark ausgeprägt. Sowohl die zerebrovaskuläre Autoregulation als auch die CO2-Reagibilität bleiben im Alter erhalten (Kamper et al. 2004).
2.1.3 Rückenmark Kenntnisse über die altersabhängigen Veränderungen am Rückenmark stammen hauptsächlich aus tierexperimentellen Untersuchungen. Altern ist mit einer Atrophie und Abnahme des Rückenmarksdurchmessers verbunden. Dies ist besonders im zervikalen und am wenigsten im kaudalen Bereich ausgeprägt. Auf zellulärer Ebene können hierfür eine Schrumpfung, der Verlust von Neuronen und eine reaktive Gliose verantwortlich gemacht werden. Besonders ausgeprägt findet man diese Veränderungen im Bereich des ventralen Horns, in den Columnae dorsales des zervikalen Rückenmarks und im intermediären Grau des thorakalen Rückenmarks (Ishikawa et al. 2003). Die Perfusion des Rückenmarks wird durch die Abnahme und morphologischen Veränderungen der Kapillaren des Rückenmarkes beeinträchtigt. Dabei erfahren die Kapillaren der grauen Substanz im Vergleich zur weißen Substanz eine stärkere Reduktion. Dies betrifft besonders die Vorderhörner, welche dadurch besonders anfällig für Ischämie sind (Qiu u. Zhu 2004).
2.1.4 Peripheres Nervensystem Altersabhängig können beim peripheren Nervensystem eine Reihe von Veränderungen beobachtet werden. Auch hier spielen die quantitativen Neuronenverluste eine untergeordnete Rolle. Viel häufiger wird eine selektive Atrophie neuronaler Somata, insbesondere der Vorderhornzellen und Hinterstrangganglien beobachtet. Daneben lassen sich Atrophie und Dystrophie von Axonen nachweisen. In morphologischen Studien konnte gezeigt werden, dass die altersabhängigen Veränderungen an peripheren Neuronen besonders die myelinisierten Nervenfasern betreffen. Obwohl die Fähigkeit der neuronalen Regeneration lebenslang erhalten bleibt, sinkt deren Effektivität im Alter. Die für die Integrität der Myelinscheiden notwendigen Proteine werden nicht im selben Ausmaß synthetisiert wie beim jungen Menschen. Dies führt zur Atrophie und Degeneration der Myelinscheiden. Funktionell äußert sich dies in einer Reduktion der Reiz-
schwelle und der Nervenleitgeschwindigkeit myelinisierter Nervenfasern, einer verminderten Sensitivität für mechanische Stimuli sowie einer verminderten räumlichen Auflösung taktiler Reize. Im Gegensatz dazu scheint die Nervenleitgeschwindigkeit nicht myelinisierter Nervenfasern nicht eingeschränkt zu sein. Epikritischer Schmerz und Temperatur werden über schnelle myelinisierte Aδ-Fasern geleitet, protopathischer Schmerz über C-Fasern. Schmerz- und Temperaturempfindung im Alter werden daher verstärkt über die langsamen C-Fasern weitergeleitet, was mit einem Anstieg der Reizschwelle für thermale Stimuli verbunden ist. Zusätzlich zu den Veränderungen am peripheren Nervensystem wird mit zunehmendem Alter auch die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigt. Klinische Folgen hiervon sind generalisierte Schwäche sowie Gang- und Griffunsicherheit (Wickremaratchi u. Llewelyn 2006).
2.1.5 Autonomes Nervensystem Das autonome Nervensystem beeinflusst über den Parasympathikus und den Sympathikus die zahlreiche physiologische Prozesse. Obwohl mit zunehmendem Alter die Zahl sympathischen Nervenfasern absinkt, kommt es zu einer verstärkten Aktivierung des Sympathikus. Für den gesteigerten Sympathikotonus wird derzeit die erhöhte Aktivität noradrenerger Neuronen in den subkortikalen Bereichen des Gehirns verantwortlich gemacht. Von diesen Bereichen ist bekannt, dass sie die medulläre präganglionäre sympathische Entladung modulieren. Der gesteigerte sympathoadrenerge Tonus macht sich auch am Herzen bemerkbar. Neben der gesteigerten Sympathikusaktivität ist hier auch die reduzierte Noradrenalinwiederaufnahme in die Nervenendigungen zu beobachten (s. Kap. 2.2). Folgen sind: eine höhere Herzfrequenz, Vasokonstriktion und Hypertonus. Ganz im Gegensatz zum Sympathikus ist die Adrenalinausschüttung der Nebenniere bei Ruhe und Stress im Alter abgeschwächt. Die Ursache hierfür ist bislang nicht bekannt (Seals u. Esler 2000). Die Aktivität des Parasympathikus wird altersabhängig reduziert. Dies wird u. a. erkennbar am Verlust der vagal vermittelten Herzfrequenzvariabilitiät während der Atmung und am Verlust des Barorezeptorenreflexes (Monahan 2007). Auch die neuronale Versorgung des Gastrointestinaltrakts wird im Alter beeinträchtigt, was zu Schluckbeschwerden, Reflux und Obstipation führen kann. Diese Symptome werden verstärkt durch Immobilität, Komorbidität und Nebenwirkungen von Medikamenten. Insgesamt muss im Alter aufgrund des gesteigerten sympathoadrenergen Tonus mit einer zunehmenden Limitierung der Kapazität der Stressadaptation gerechnet werden.
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Kernaussagen ●
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Mit zunehmendem Alter erfährt das gesunde ZNS morphologische Veränderungen, aus denen sich funktionelle Beeinträchtigungen für den Menschen ergeben. Wesentliche Veränderungen der Neuronen sind Schrumpfung sowie der Verlust von Axon, Dendriten und Myelin. Die neuronale Übertragung wird durch Abnahme der Neurotransmitter Dopamin, Acetylcholin, Serotonin und Noradrenalin beeinträchtigt. Die Reduktion der exzitatorischen NMDA-Rezeptoren bei gleich bleibender Funktion des inhibitorischen GABAergen Systems führt zu einer Dysbalance der Transmittersysteme und beeinträchtigt damit die Langzeitpotenzierung, die Voraussetzung für Lernen und Gedächtnis. Funktionell wird für Gedächtnisleistung die zusätzliche Rekrutierung einzelner Hirnabschnitte, wie z. B. im präfrontalen Kortex, erforderlich. Daraus resultiert eine Verminderung der neurokognitiven Reserven. Im Falle verstärkter Inanspruchnahme des Gehirns, z. B. im Rahmen einer Operation, führt diese verminderte neurokognitive Reserve schneller zu kognitiven Leistungseinschränkungen, die sich wiederum in einer verminderten Fähigkeit zur Aufnahme von neuen Informationen bzw. in einer erschwerten Anpassung an neue Situationen äußern. Im vegetativen Nervensystem beobachtet man im Alter eine Erhöhung des Noradrenalinspiegels und eine Steigerung des Sympathikotonus. Dies muss bei der Durchführung einer Anästhesie berücksichtigt werden. Funktionseinschränkungen des Rückenmarks und der peripheren Nervensystems führen zu einer Beeinträchtigung der taktilen, thermischen, nozizeptiven und posturalen Reize. Klinisch imponieren diese als Hör- und Sehminderung, Gang-, Stand- und Greifunsicherheit sowie veränderte Reaktion auf Schmerz und Temperaturschwankungen.
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2.2 Kardiovaskuläres System W. Zink
2.2.1 Einführung und epidemiologischer Hintergrund Altersbedingte Veränderungen des Herz-Kreislaufsystems sind mannigfaltig und individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Generell besteht eine enge Korrelation zwischen dem Lebensalter und der Häufigkeit kardiovaskulärer Erkrankungen, die wiederum in ihrer Entstehung durch Altersveränderungen begünstigt werden können. So waren im Jahre 2006 knapp 40 % aller Todesfälle in den Vereinigten Staaten auf Erkrankungen des HerzKreislaufsystems zurückzuführen, 83 % davon bei über 65-Jährigen (Thom et al. 2006). Die Prävalenz von HerzKreislauf-Erkrankungen lag zum Zeitpunkt der Erhebung in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen bei 68,5 % (Männer) bzw. 75 % (Frauen); bei über 75-Jährigen stiegen diese Zahlen sogar noch auf 77,8 % bzw. 86,4 % an. Dabei scheint neben dem chronologischen Alter auch das so genannte „biologische Alter“, das den funktionellen Zustand des alternden Organismus u. a. als Ergebnis des individuellen Lebensstils zu beschreiben versucht, die Häufigkeit und vor allem den Ausprägungsgrad kardiovaskulärer Erkrankungen zu bestimmen (Vaz u. Seymour 1989). So gilt als gesichert, dass eine ausgewogene Ernährung sowie regelmäßige körperliche Aktivität eine Vielzahl von altersbedingten Herz-Kreislauf-Veränderungen und bestimmte altersassoziierte Veränderungen und Krankheitsprozesse verlangsamen bzw. in ihrer Ausprägung abschwächen („healthy and successful aging“).
2.2.2 Gefäßsystem Mit zunehmendem Lebensalter nimmt die Steifigkeit des Gefäßsystems zu, was in erster Linie auf eine veränderte Zusammensetzung der extrazellulären endothelialen Matrix zurückzuführen ist. Grundsätzlich wird die Dehnbarkeit von Bindegewebsstrukturen durch das Zusammenspiel von Kollagen- und Elastinfasern bestimmt, wobei sich beide Fasertypen durch eine sehr lange Lebensdauer, aber auch durch eine sehr langsame Regenerationsrate auszeichnen. Da dehnbare Elastinfasern nur bis etwa zum 25. Lebensjahr neu synthetisiert werden, kommt es im Laufe des Lebens physiologischerweise zu einem Überwiegen der nur wenig dehnbaren Kollagenfasern in der extrazellulären Matrix, was schließlich in einer reduzierten Compliance von Arterien, Venen und
myokardialen Strukturen resultiert (Najjar et al. 2005). Die vermehrt vorhandenen Kollagenfasern werden im Laufe der Zeit mehr und mehr durch freie Radikale geschädigt und reagieren als Proteine vermehrt mit reduzierenden Zuckermolekülen. Diese so genannte endogene, nicht enzymatische Glykation führt zu einer zunehmende Quervernetzung der Fasern untereinander, was zu einer weiteren Abnahme der Gefäßdehnbarkeit beiträgt. Glykierte Proteine (so genannte „Advanced glycation End-products“, AGE) stehen darüber hinaus im Verdacht, ursächlich an der Atherogenese beteiligt zu sein und eine Proliferation glatter Muskelzellen der Gefäßwand zu induzieren. Diese wird im Senium noch durch eine verminderte endotheliale Stickstoffmonoxid-Produktion verstärkt, zumal endogen freigesetztes NO erwiesenermaßen die Schlüsselvorgänge der Atherogenese effektiv verlangsamen oder gar verhindern kann (Lakatta u. Levy 2003a, Lakatta u. Levy 2003b). Hämodynamisch bedingen die strukturellen Veränderungen vor allem des arteriellen Gefäßbetts einen kontinuierlichen Anstieg des systolischen Blutdrucks, des systemvaskulären Widerstands sowie der Pulswellengeschwindigkeit (Sutton-Tyrrell et al. 2005). Die reflektierten Pulswellen erreichen die thorakale Aorta nun also nicht mehr frühdiastolisch, sondern bereits in der späten Auswurfphase, was eine signifikante Mehrbelastung für das alternde Herz darstellt (Abb. 2.1). Im Rahmen der altersbedingten Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems kommt dem Rückgang der arteriellen Compliance also eine zentrale Rolle zu, zumal dieser eine Reihe kardialer Umstellungsprozesse nach sich zieht. Vor diesem Hintergrund ist auch das Konzept zu sehen, die individuelle Steifigkeit des Gefäßbaums als direktes Korrelat des „biologischen“ (und nicht des chronologischen) Alters zu betrachten (Bulpitt et al. 1999).
Merke
Veränderungen der extrazellulären Bindegewebsmatrix sowie eine zunehmende Verdickung von Intima und Media sind die Hauptursachen für eine Abnahme der Gefäßdehnbarkeit im Alter.
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Abb. 2.1 Schematische Darstellung der physiologischen Veränderungen des Gefäßsystems im Alter.
2.2.3 Herz Grundsätzlich kann das menschliche Herz im Laufe des Lebens atrophieren, sich in Form und Größe nur unwesentlich verändern oder aber in variablem Ausmaß hypertrophieren. Während die Atrophie des Herzens nur sehr selten im Rahmen konsumierender Erkrankungen mit ausgeprägter und weit fortgeschrittener Kachexie beobachtet wird, findet sich eine moderate kardiale Hypertrophie nahezu regelhaft im höheren Lebensalter, u. a. aufgrund der stetig ansteigenden linksventrikulären Nachlast. Auch in Abwesenheit von relevanten Herz-KreislaufErkrankungen steigt das spezifische Herzgewicht um etwa 1,0–1,5 g pro Jahr an, und es kommt gleichzeitig zu einer kontinuierlichen Zunahme der linksventrikulären Wanddicke. Dabei nimmt die absolute Zahl der hypertrophierten Herzmuskelzellen ab, während der Anteil kardialer Bindegewebsstrukturen – die nur wenig zur Zunahme der Herzmasse beitragen – ansteigt (Ebert u. Rooke 2008). In Analogie zum Gefäßsystem unterliegen kardiale Bindegewebselemente ebenfalls den genannten altersbedingten Veränderungen, was zusammen mit der zuneh-
menden myokardialen Hypertrophie zu einer verminderten Compliance führt und sich primär als diastolische Funktionsstörung äußert. Gleichzeitig auftretende Störungen der intrazellulären Kalziumhomöostase von Herzmuskelfasern erschweren dabei die Ventrikelrelaxation noch weiter, was in der Summe die frühdiastolische Füllungsphase um bis zu 50 % verkürzen kann (Kass et al. 2004). Da zumindest initial das enddiastolische Volumen beim alten Menschen trotz der verminderten Ventrikelcompliance annähernd konstant bleibt, steigen die atrialen Füllungsdrücke mit fortschreitendem Lebensalter immer weiter an, und die aktive Ventrikelfüllung durch zeitgerecht einsetzende Vorhofkontraktionen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Durch die konsekutive Vorhofdilatation begünstigt, kann es im weiteren Verlauf schließlich zu einem stauungsbedingten Anstieg der Drücke im Pulmonalkreislauf bzw. im gesamten venösen Schenkel des Körperkreislaufs kommen (Wessells u. Bodmer 2007). Strukturelle und funktionelle Veränderungen der Herzklappen im höheren Lebensalter können diese hämodynamischen Veränderungen noch weiter verstärken. Häufig wird im Senium eine beachtliche Verdickung der ursprünglich zarten Klappensegel beobachtet, und die fibrösen Klappenringe nehmen an der Herzbasis in ihrem Umfang zu. Darüber hinaus finden sich vor allem im Bereich der Aorten- bzw. der Mitralklappe ektope Verkalkungen der Segel bzw. des Halteapparats als Folge der veränderten Bindegewebsbeschaffenheit. Funktionell kann all dies schließlich zum Auftreten von Klappeninsuffizienzen (bzw. -stenosen) unterschiedlichen Schweregrades führen. Die diastolische Dysfunktion spielt bei den altersbedingten Veränderungen des Herzen wie erwähnt eine pathophysiologische Schlüsselrolle – weiterhin kommt es im höheren Lebensalter oftmals aber auch zu einer Beeinträchtigung der systolischen Ventrikelfunktion. Um das Herzzeitvolumen bei starrem Gefäßsystem und erhöhter Nachlast aufrecht zu erhalten, verlängert sich die ventrikuläre Kontraktionsdauer auf Kosten der Füllungsphase, was in Ruhe häufig noch toleriert wird. In Phasen schwerer körperlicher Belastung hingegen bzw. bei einem plötzlichen Anstieg der linksventrikulären Nachlast kann sich diese Einschränkung der kontraktilen Reserve im schlimmsten Falle als Pumpversagens demaskieren (Lakatta 2003). Altersbedingte Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems sind nicht als eigenständige pathologische Prozesse zu verstehen, sondern vielmehr untrennbar miteinander verbunden. Ein starres Gefäßsystem hat unmittelbar zur Folge, dass ein verhältnismäßig hoher systolischer Druck aufgebracht werden muss, um das Schlagvolumen in die nunmehr wenig dehnbare Aorta auszuwerfen. Dies führt direkt zur myokardialen Hypertrophie bzw. zur diastolischen Dysfunktion, was durch eine enge Beziehung zwischen verminderter Compliance des arteriellen Systems und dem Ausprägungsgrad der diastolischen Dysfunktion belegt wird (Mottram et al. 2005). Da in dieser Situation
2.2 Kardiovaskuläres System Dieser Umstand ist experimentell gut gesichert, und auch klinische Beobachtungen weisen auf die Bedeutung der ischämischen Präkonditionierung bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit hin. So sind die Auswirkungen eines Herzinfarktes oftmals geringer ausgeprägt, wenn bereits 24–48 Stunden zuvor eine Minderdurchblutung bestanden hat (Präinfarktangina). Darüber hinaus wird oftmals beobachtet, dass eine wegen pektanginösen Beschwerden beendete körperliche Belastung nach kurzer Zeit beschwerdefrei mit gleicher Intensität wieder aufgenommen werden kann (so genanntes „Warm up“-Phänomen). Interessanterweise lassen sich die myokardprotektiven Effekte einer „Warm-up“- bzw. Präinfarktangina bei Patienten jenseits des 70. Lebensjahres nicht mehr nachweisen, sodass man derzeit davon ausgehen muss, dass der Mechanismus der ischämischen Konditionierung im Laufe des Lebens verloren geht (Longobardi et al. 2000). Abschließend ist noch festzustellen, dass die kardialen Veränderungen im Alter zudem eine Prädisposition für das Auftreten von Herzrhythmusstörungen darstellen. So
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die diastolischen Blutdruckwerte oftmals auf unverändert niedrigem Niveau bestehen bleiben (so genannte „pulse pressure“-Hypertonie mit einer Differenz zwischen erhöhtem systolischen und normalem diastolischen Druck von über 80 mmHg), droht unter Belastung ein Missverhältnis zwischen myokardialem Sauerstoffbedarf und -angebot, zumal die Koronarperfusion nicht adäquat gesteigert werden kann (Aronson et al. 2007). Vor allem bei signifikanten Koronarstenosen, die im Alter mit höherer Prävalenz zu finden sind, kann dies zu rezidivierenden subendokardialen Ischämien mit konsekutiven Wandbewegungsstörungen führen, was den ganzen Prozess im Sinne eines Circulus vitiosus weiter verstärkt (Abb. 2.2). Vor diesem Hintergrund ist auch die Attenuierung der so genannten ischämischen Präkonditionierung des Myokards im höheren Alter von klinischer Relevanz. Die ischämische Präkonditionierung beschreibt das Phänomen, dass eine kurzzeitige Minderdurchblutung des Herzmuskels bzw. der damit einhergehende, temporäre Sauerstoffmangel vor den Auswirkungen eines späteren, abermals ischämiebedingten Myokardschadens schützt.
Abb. 2.2 Schematische Darstellung der physiologischen Veränderungen des Herzens im Alter.
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2 Physiologische Veränderungen im Alter kann ein progredienter Rückgang von modifizierten Kardiomyozyten im Bereich des Sinusknotens („Schrittmacherzellen“) sowie des Reizleitungssystems zu bradykarden Rhythmusstörungen und zum „Sick-Sinus-Syndrom“, aber auch zu ventrikulären Extrasystolen und höhergradigen AV-Blockierungen führen. Vor allem bradykarde Rhythmusstörungen, aber auch alterskorrelierte kurzzeitige supraventrikuläre Tachykardien begünstigen in Verbindung mit einer zunehmenden atrialen Dilatation die Entstehung eines Vorhofflimmerns, was die hämodynamische Situation aufgrund der konsekutiv eingeschränkten Ventrikelfüllung empfindlich beeinträchtigen kann (Gupta et al. 2002).
Merke
Aufgrund der kontinuierlich steigenden Nachlast ist das Herz des alten Menschen oftmals hypertrophiert und funktionell durch eine diastolische Dysfunktion gekennzeichnet. Besonders unter körperlicher Aktivität kann sich zusätzlich noch eine systolische Funktionseinschränkung demaskieren, zumal eine adäquate Steigerung der Herzleistung nur in begrenztem Umfang möglich ist. Folglich neigt das alte Herz zur Belastungsinsuffizienz bei ausgeschöpften Reserven, was im Rahmen der Narkoseführung unbedingt beachtet werden muss.
2.2.4 Kreislaufregulation Während bei der Kreislaufregulation zum Zeitpunkt der Geburt und im Kleinkindesalter der Parasympathikus überwiegt, dominiert im Alter zunehmend der sympathische Anteil des vegetativen Nervensystems. Hier zeigt sich die verminderte Parasympathikusaktivität unter anderem in einer Attenuierung der Herzfrequenzvariabi-
lität, was per se einen Risikofaktor für eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität darstellt. Darüber hinaus sind Effektivität und Sensitivität des Baroreflexes zur Regulation von Herzfrequenz und Blutdruck eingeschränkt (Ebert et al. 1992). Man weiß mittlerweile, dass diese Phänomene sowohl auf einem über die Jahre abnehmenden Ruhetonus des Parasympathikus als auch auf einer abgeschwächten rezeptorvermittelten Zellantwort beruhen (s. Kap. 3.7). Zu alledem reduziert sich mit höherem Lebensalter die Dichte muskarinerger Acetylcholinrezeptoren – v. a. im Bereich des rechten Vorhofs – signifikant (Brodde et al. 1998). Der sympathische Tonus dagegen nimmt beim alternden Menschen kontinuierlich zu. Im Plasma steigen die basalen Noradrenalin um etwa 10–15 % pro Lebensjahrzehnt an, was in erster Linie auf einem reduzierten neuronalen Katecholamin-Reuptake beruht (Brodde u. Leineweber 2004). Gleichzeitig vermindert sich beim älteren Menschen die Effektivität der β-adrenergen Stimulation, sodass Kontraktilität und Herzfrequenz unter Belastung nur wenig gesteigert werden können (s. Kap. 3.7). Diese „Desensibilisierung“ des Myokards gegenüber Katecholaminen beruht wohl primär nicht auf einer reduzierten Rezeptordichte, sondern vielmehr auf einer auf „stromabwärts“ lokalisierten Beeinträchtigung von Second-Messenger-Kaskaden. Folglich hängt die bedarfsadaptierte Herzfunktion in zunehmendem Maße vom Frank-Starling-Mechanismus ab, der im Senium allerdings selbst in seiner Effektivität eingeschränkt ist (Abb. 2.3). Nicht nur β-Rezeptoren, sondern auch α-Rezeptoren und ihre Subtypen unterliegen altersbedingten Veränderungen. Im Gegensatz zu α1-Rezeptoren, deren Dichte im Laufe des Lebens weitgehend konstant bleibt, nimmt die Zahl der α2-Rezeptoren signifikant ab. Auch hier lässt sich eine Desensibilisierung gegenüber katecholaminerger Stimulation nachweisen, was oftmals als kompensatorischer Abb. 2.3 Schematische Darstellung der physiologischen Veränderungen der Kreislaufregulation im Alter.
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2.2 Kardiovaskuläres System Mechanismus bei erhöhten plasmatischen Katecholaminspiegeln gedeutet wird. Trotz alledem erweist sich beim alten Menschen die reflektorische Vasokonstriktion zur Regulation des Blutdrucks in der Regel als intakt. Die komplexen humoralen Mechanismen zur Kreislaufregulation unterliegen ebenfalls altersbedingten Veränderungen. Beim alten Menschen finden sich regelhaft erhöhte basale Vasopressinspiegel sowie eine überschießende Vasopressin-Freisetzung bei Wassermangel und konsekutiv steigender Osmolarität. Renin dagegen wird sowohl in Ruhe als auch nach adäquatem Stimulus nur vermindert freigesetzt, was direkt in erniedrigten Angiotensin-Spiegeln resultiert. Allerdings erhöht sich im Alter die Empfindlichkeit des Gefäßbetts gegenüber Angiotensin I bzw. II, und die spezifische vasokonstriktorische Antwort fällt deutlich ausgeprägter aus (Ferrari 2002).
Merke
Die Kreislaufregulation des alten Menschen ist durch ein Dominieren des sympathischen Nervensystems gekennzeichnet. Kreislaufreflexe mit parasympathischer Beteiligung dagegen sind abgeschwächt, und die Herzfrequenzvariabilität ist attenuiert. Trotz alledem nimmt im Alter die Effektivität einer Sympathikusaktivierung auf Rezeptorebene ab, was die ohnehin schon reduzierte Kompensationsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems weiter einschränkt.
Kernaussagen ●
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Die Dehnbarkeit des Gefäßsystems nimmt mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich ab. Dies beruht zum einen auf einer veränderten extrazellulären Bindegewebsmatrix, zum anderen auf einer Verdickung der Gefäßwand. Die verminderte arterielle Compliance verursacht sowohl einen Anstieg der linksventrikulären Nachlast als auch der Pulswellengeschwindigkeit. Die individuelle Steifigkeit des Gefäßbaums wird oftmals als direktes Korrelat des „biologischen“ Alters betrachtet. Bedingt durch die erhöhte Nachlast kommt es im Alter häufig zu einer Zunahme der linksventrikulären Wanddicke bis hin zur Hypertrophie. Dadurch nimmt die kardiale Dehnbarkeit im Alter ab, was sich funktionell in erster Linie als diastolische Dysfunktion äußert. Das Herz des alten Menschen neigt zur Belastungsinsuffizienz. Eine systolische Dysfunktion demaskiert sich häufig erst unter Anstrengung, da die kontraktilen Reserven deutlich reduziert sind. Die Herzleistung des alten Menschen kann durch eine Sympathikusaktivierung nur unzureichend gesteigert werden. Bei der Kreislaufregulation des alten Menschen dominiert der sympathische Anteil des vegetativen Nervensystems; dennoch ist die Zellantwort auf katecholaminerge Reize hin rezeptorbedingt attenuiert.
Literatur Aronson S, Fontes ML, Miao Y et al. Investigators of the Multicenter Study of Perioperative Ischemia Research Group; Ischemia Research and Education Foundation. Risk index for perioperative renal dysfunction/failure: critical dependence on pulse pressure hypertension. Circulation 2007; 115: 733–742 Brodde OE, Konschak U, Becker K et al. Cardiac muscarinic receptors decrease with age. In vitro and in vivo studies. J Clin Invest 1998; 101: 471–478 Brodde OE, Leineweber K. Autonomic receptor systems in the failing and aging human heart: similarities and differences. Eur J Pharmacol 2004; 500: 167176 Bulpitt CJ, Rajkumar C, Cameron JD. Vascular compliance as a measure of biological age. J Am Geriatr Soc 1999; 47: 657–663 Ebert TJ, Morgan BJ, Barney JA et al. Effects of aging on baroreflex regulation of sympathetic activity in humans. Am J Physiol 1992; 263: H798–803 Ebert TJ, Rooke GA. Alterations in circulatory function. In: Silverstein JH, Rooke GA, Reves JG, McLeskey CH. Geriatric Anesthesiology, 2nd ed. New York: Springer; 2008; 137–148 Ferrari AU. Modifications of the cardiovascular system with aging. Am J Geriatr Cardiol 2002; 11: 30–33 Gupta AK, Maheshwari A, Tresch DD et al. Cardiac arrhythmias in the elderly. Card Electrophysiol Rev 2002; 6: 120–128 Kass DA, Bronzwaer JG, Paulus WJ. What mechanisms underlie diastolic dysfunction in heart failure? Circ Res 2004; 94: 1533–1542 Lakatta EG, Levy D. Arterial and cardiac aging: major shareholders in cardiovascular disease enterprises: Part I: aging arteries: a „set up“ for vascular disease. Circulation 2003a; 107: 139–146 Lakatta EG, Levy D. Arterial and cardiac aging: major shareholders in cardiovascular disease enterprises: Part II: the aging heart in health: links to heart disease. Circulation 2003b; 107: 346–354 Lakatta EG. Arterial and cardiac aging: major shareholders in cardiovascular disease enterprises: Part III: cellular and molecular clues to heart and arterial aging. Circulation 2003; 107: 490–497 Longobardi G, Abete P, Ferrara N et al. „Warm-up“ phenomenon in adult and elderly patients with coronary artery disease: further evidence of the loss of „ischemic preconditioning“ in the aging heart. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2000; 55: M124–129 Mottram PM, Haluska BA, Leano R et al. Relation of arterial stiffness to diastolic dysfunction in hypertensive heart disease. Heart 2005; 91: 1551–1556 Najjar SS, Scuteri A, Lakatta EG. Arterial aging: is it an immutable cardiovascular risk factor? Hypertension 2005; 46: 454–462 Sutton-Tyrrell K, Najjar SS, Boudreau RM et al., for the Health ABC Study. Elevated aortic pulse wave velocity, a marker of arterial stiffness, predicts cardiovascular events in well-functioning older adults. Circulation 2005; 111: 3384–3390 Thom T, Haase N, Rosamond W et al. American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee. Heart disease and stroke statistics – 2006 update: a report from the American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee. Circulation 2006; 113: 85–151 Vaz FG, Seymour DG. A prospective study of elderly general surgical patients: I. Pre-operative medical problems. Age Ageing 1989; 18: 309–315 Wessells RJ, Bodmer R. Cardiac aging. Semin Cell Dev Biol 2007; 18: 111–116
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2.3 Respiratorisches System I. F. Brandes
Respiratorische Komplikationen verursachen ca. 40 % der perioperativen Todesfälle bei Patienten > 65 Jahre (Seymour u. Vaz 1987). Dieses Kapitel erläutert die strukturellen und funktionellen Veränderungen des respiratorischen Systems im Alter und ihre Auswirkungen auf das anästhesiologische Management.
2.3.1 Strukturelle und funktionelle Veränderungen des respiratorischen Systems im Alter Mit zunehmendem Alter treten Veränderungen in den oberen und unteren Atemwegen auf. Während der Knorpel weiter wächst, kommt es zum Verlust von Kollagen, Elastin und zur Muskelatrophie. Der Verlust der muskulären Unterstützung des Pharynx prädisponiert ältere Patienten für die Obstruktion der oberen Atemwege (Berry et al. 1987). Die verringerte Effektivität der Schutzreflexe (Husten und Schlucken), vermutlich aufgrund einer altersbedingten peripheren Deafferenzierung und einer verringerten zentralen Reflexaktivität, erhöht das Aspirationsrisiko (Pontoppidan u. Beecher 1960). Typische Erkrankungen des alten Patienten (Morbus Parkinson, zerebrovaskuläre Erkrankungen, s. Kap. 6.3) gehen mit Dysphagie einher und schwächen den Hustenreflex zusätzlich (Ebihara et al. 2003). Im Lungenparenchym verursacht die Verringerung des kapillaren Strombettes einen Anstieg des pulmonalarteriellen Druckes um 30 % und einen Anstieg des pulmonalen Gefäßwiderstands um 80 % (Davidson u. Fee 1990), unabhängig vom Auftreten einer koronaren Herzerkrankung oder linksventrikulärer Dysfunktion (s. Kap. 2.2). Die Anzahl der Alveolen bleibt im Alter nahezu unverändert, aber durch verringerte Surfaktantproduktion und Vergrößerung der terminalen Bronchiolen und Alveolargänge kommt es zur Duktektasie (Ryan et al. 1965). Das Alveolarvolumen und die Alveolaroberfläche nehmen um ca. 15–30 % zwischen dem 20. und 70. Lebensjahr ab (Thurlbeck u. Angus 1975). Abzugrenzen sind hiervon die auf einer Entzündung beruhenden pulmonalen Veränderungen beim Lungenemphysem. Zur Unterscheidung zwischen Emphysem und der alternden Lunge hat das National Heart, Lung and Blood Institute der USA den Begriff „aging lung“ vorgeschlagen, um die im Alter auftretenden Veränderungen zu charakterisieren (NHLBI 1985).
Altersbedingte Veränderungen von Lunge und Thorax und ihr funktionelles Korrelat: ● Atemwege und Lungenparenchym: – erhöhter Durchmesser von Trachea und zentralen Atemwegen – vermehrter Totraum – reduzierte Reflexe der oberen Atemwege – reduzierter Hustenreflex – reduzierte Zilienfunktion des respiratorischen Traktes – reduzierte totale Alveolaroberfläche – reduzierte elastische Rückstellkräfte – reduzierte Lungenabwehrkräfte ● Lungenmechanik: – reduzierte Compliance der Thoraxwand – erhöhte Compliance der Lunge – reduzierte Kraft der Atemmuskulatur – erhöhte Atemarbeit – reduzierte maximale in- und exspiratorische Flüsse – reduzierte maximale Atemkapazität – erhöhter pulmonalarterieller Druck und pulmonalvaskulärer Widerstand ● Lungenvolumina: – erhöhtes Reservevolumen – reduzierte Vitalkapazität – reduziertes FEV1 – geringe Zunahme der funktionellen Residualkapazität (FRC) – verfrühter Verschluss der kleinen Atemwege mit erhöhtem Closing Volume – geringe Abnahme der totalen Lungenkapazität (TLC) ● Gasaustausch: – erhöhtes Ventilation/Perfusionsmissverhältnis – erhöhter alveolar-arterieller Sauerstoffgradient – reduzierte Diffusionskapazität für CO und O2 ● Kontrolle der Atmung: – reduzierte Atemantwort auf Hyperkapnie und Hypoxie – Zunahme der Atempausen während des Schlafes (Schlafapnoesyndrom) – gesteigerte Sensibilität auf durch Narkotika induzierte Atemdepression
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2.3 Respiratorisches System
Atemmechanik Im Alter verändern sich die elastischen Eigenschaften des Lungenparenchyms und der Thoraxwand. Die elastischen Rückstellkräfte der Lunge sind abhängig von der Wandspannung in den kleinen Atemwegen und Alveolen und von den elastischen Fasern (Janssens et al. 1999). Das Parenchym verliert im Alter seine Elastizität, wird stärker compliant, es erfolgt eine Linksverschiebung der DruckVolumen-Kurve. Parallel dazu versteift die Thoraxwand durch Kalzifizierung der Rippen und Vertebralgelenke, es kommt zur Rechtsverschiebung der Druck-VolumenKurve. Die Druck-Volumen-Kurve des gesamten Systems (Lunge und Thorax) ist im Alter daher kaum verschoben, sondern flacher und zeigt eine geringere Compliance (Mittman et al. 1965). Diese Veränderungen manifestieren sich im Röntgenbild als Abflachung des Diaphragmas mit erhöhtem ap-Durchmesser (Fassthorax) und führen zur Abnahme der Maximalkraft (Mihara et al. 1993). Im Alter steigt die Atemarbeit daher um bis zu 30 % an (Turner et al. 1968) und führt zu einem vermehrten Sauerstoffbedarf unter Belastung (Johnson et al. 1991). Daher ermüdet die Atemmuskulatur des älteren Patienten schneller, und die Entwöhnung vom Respirator ist erschwert.
Lungenvolumina und Kapazitäten Das forcierte exspiratorische Einsekundenvolumen (FEV1) nimmt um ca. 30 ml/Jahr ab (Hankinson et al. 1999). Die Verschlusskapazität (closing capacity, CC), das Volumen, bei dem die Alveolen kollabieren, weil die elastischen Rückstellkräfte der Lunge nicht mehr ausreichen, die nicht durch Knorpel gestützten Atemwege offen zu halten, nimmt im Alter zu. Wird die CC größer als die funktionelle Residualkapazität (FRC), dann verschließen sich die kleinen Atemwege vor Ende der Exspiration, es kommt zum sog. Air trapping und zur Beeinträchtigung des pulmonalen Gasaustauschs. Der Einfluss des Alters auf verschiedenen Lungenvolumina ist in Abb. 2.4 dargestellt. Obwohl die FRC im Laufe des Alters leicht zunimmt, wird sie durch die kraniale Verschiebung des Diaphragmas bei der Narkoseeinleitung deutlich reduziert (Don et al. 1970).
spiegelt sich in dem stetig steigenden alveolär-arteriellen Sauerstoffgradienten wider, der ab dem 75. Lebensjahr relativ konstant bei ca. 85 mmHg liegt (Cerveri et al. 1995). Die Hauptursache hierfür ist das fortschreitende · · Ventilations-Perfusions-Missverhältnis (V/Q), da sich bei älteren Patienten die basalen Atemwege bereits während der Inspiration verschließen und die Atemluft in die schlechter perfundierten apikalen Lungenareale umgeleitet wird (Cardus et al. 1997).
Neurologische Kontrolle der Ventilation Das zentrale Nervensystem steuert die Atmung über zentrale und periphere Chemorezeptoren. Im Alter reagieren jedoch die chemosensitiven Neurone des respiratorischen Zentrums im Hirnstamm schlechter auf O2 und CO2. Auch die peripheren Chemorezeptoren (Glomus caroticum und Glomera aortica) sind weniger sensibel für Sauerstoff (Carskadon u. Dement 1981). Aufgrund dieser verringerten Sensitivität erleiden ältere Patienten im Schlaf häufiger Apnoephasen mit konsekutiver Hypoxie. Zusätzlich haben sie eine verringerte Atemantwort auf Hyperkapnie und Hypoxie (Kronenberg u. Drage 1973).
Funktionelle pulmonale Reserve Altern bewirkt progressive strukturelle und funktionelle Veränderungen in der Lunge (siehe oben). Diese Veränderungen führen zu einer deutlichen Verminderung der pulmonalen Reserve im Alter, was jedoch meist nur unter Belastung sichtbar wird. Die Kombination aus liegender Lagerung, Vollnarkose und abdominellem Eingriff führt
Praxisanleitung Da im Alter die Vitalkapazität deutlich vermindert und die FRC deutlich erhöht ist, sollte beim älteren Patienten mindestens drei Minuten präoxygeniert werden (Valentine et al. 1990).
Gasaustausch Mit zunehmendem Alter wird die arterielle Oxygenierung erschwert, während der arterielle CO2-Gehalt aufgrund der reduzierten Stoffwechsellage nahezu konstant bleibt (Raine u. Bishop 1963). Die Oxygenierungsstörung
Abb. 2.4 Veränderungen der Lungenvolumina im Alter. Residualvolumen (RV) und funktionelle Residualkapazität (FRC) nehmen im Alter zu, während die totale Lungenkapazität (TLC) leicht abnimmt, bedingt durch die Reduktion der Vitalkapazität (VC). Der geringe Anstieg der FRC ist klinisch unbedeutend, da er von der Abnahme der FRC nach Narkoseeinleitung aufgehoben wird (Quelle: Scheid 2005).
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2 Physiologische Veränderungen im Alter zu einer Abnahme der FRC, die Vollnarkose allein verringert die FRC um 15–20 % (Don et al. 1970). Chirurgische Manipulationen (Einbringen von Sperrern, Lagewechsel des Patienten, Anlage eines Pneumoperitoneums etc.) verringern die FRC abermals. Die Abnahme der FRC · · bewirkt ein schlechteres V/Q-Verhältnis, führt zu einem schlechteren Gasaustausch und zu einem erhöhten alveolär-arteriellen Sauerstoffgradienten (Cardus et al. 1997). Die Kombination aus verminderter FRC und altersbedingtem Anstieg des Verschlussvolumens führt bei älteren Patienten zur vermehrten Atelektasenbildung. Abdominelle Eingriffe vermindern die Vitalkapazität um zusätzliche 25–50 %. Postoperative Schmerzen und Analgetikagabe bewirken eine flachere Atmung, dämpfen den Hustenreflex und erschweren effektives Abhusten. Die durch Narkotika (z. B. Benzodiazepine, Opiate oder volatile Anästhetika) induzierte zentrale Dämpfung führt zur Atemdepression und beeinträchtigt die reflektorische Antwort auf Hypoxie und Hyperkapnie (Arunasalam et al. 1983).
2.3.2 Präoperative Evaluation Ältere Patienten müssen die perioperativen Belastungen und die längerfristigen funktionellen Anforderungen pulmonal bewältigen können. Nach Lungenresektion kann es zur respiratorischen Insuffizienz kommen, wenn die Lungenfunktion präoperativ bereits eingeschränkt war (Haraguchi et al. 2001). Daher müssen diese Patienten präoperativ einer besonders kritischen pulmonalen Evaluation unterzogen werden (s. Kap. 4.1). Ein unabhängiger Risikofaktor für eine Lungenresektion ist ein Alter > 70 Jahre, v. a. aufgrund der in dieser Altersgruppe deutlich erhöhten Komorbidität (Birim et al. 2003).
Praxisanleitung Neben einer gründlichen Anamnese und körperlichen Untersuchung sollte die präoperative pulmonale Evaluation auch die Untersuchung des Zahnstatus beinhalten, da eine gute Dentalhygiene ein verlässlicher Marker für eine gute pulmonale Funktion im Alter ist (Osterberg et al. 1995). Eine präoperative Röntgenthoraxaufnahme sollte bei allen Patienten > 60 Jahre angefertigt werden, insbesondere bei Verdacht auf kardiopulmonale Vorerkrankungen, um klinisch signifikante Veränderungen zu dokumentieren, auch wenn dies nicht immer zu einer Therapieänderung führt (Seymour et al. 1982). Belastungstests sind sinnvoll zur präoperativen kardiopulmonalen Risikostratifizierung vor Elektiveingriffen bei älteren Patienten (Gerson et al. 1990). Bei allen Patienten, die sich einer Lungenresektion unterziehen müssen, sollte weiterhin die Spirometrie fester Bestandteil der präoperativen Diagnostik sein. Eine FEV1 > 1,5 l ist ein Hinweis auf ein positives postoperatives Ergebnis, während bei Werten < 55 % des Ausgangswertes pulmo-
nale Komplikationen gehäuft auftreten (Kearney et al. 1994, Ribas et al. 1998). Zur erweiterten pulmonalen Evaluation vor Lungenresektion gehören die Blutgasanalyse (BGA), die Bestimmung der Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid (DLCO) und die szintigrafische Untersuchungen zur Verlaufsdokumentation einer Lungenerkrankung. Weitere Details zur präoperativen Evaluation vor Lungeneingriffen hat das American College of Chest Physicians 2003 veröffentlicht (Beckles et al. 2003).
2.3.3 Häufige Komorbiditäten des älteren Patienten Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) COPD verursacht weltweit erhebliche gesundheitliche und ökonomische Belastungen (s. Kap. 6.5). Risikofaktoren sind Rauchen, Luftverschmutzung, Asthma, ein hyperreagibiles Bronchialsystem und genetische Prädisposition. COPD ist die Aufnahmediagnose bei 18 % der Patienten > 65 Jahre und die vierthäufigste Todesursache in den USA (Hurd 2000) und verursacht in Deutschland 7 % der jährlichen Sterbefälle (Statistisches Bundesamt Deutschland 2007).
Fettleibigkeit Mit steigendem Alter kommt es zur Zunahme des Körperfetts und des abdominalen Fetts (Dehn u. Bruce 1972). Fettleibigkeit ist häufig vergesellschaftet mit anormalen kardiorespiratorischen und metabolischen Funktionen, die wiederum die Morbidität und Mortalität erhöhen (Pelosi et al. 1996). Sie scheint jedoch per se kein unabhängiger Risikofaktor für das Auftreten postoperativer pulmonaler Komplikationen zu sein (Thomas et al. 1997) und reicht als alleiniger Grund nicht aus, einen chirurgischen Eingriff zu verschieben (Smetana 1999).
Schlafapnoe Die Inzidenz für Schlafapnoe nimmt im Alter zu, obwohl die Schwere der Erkrankung eher rückläufig ist (Shochat u. Pillar 2003). Die Prävalenz für das Schlafapnoesyndrom (SAS) liegt bei Männern > 65 Jahre bei ca. 60 % (Pack u. Millman 1986), bei Frauen ist sie erst nach der Menopause erhöht (Krieger et al. 1997). Risikofaktoren sind Fettleibigkeit und familiäre Belastung. Bluthochdruck, kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen steigern die perioperative Mortalität und erhöhen beim älteren Patienten mit SAS das Risiko einer partiellen oder kompletten Verlegung der Atemwege.
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2.3 Respiratorisches System
2.3.4 Perioperatives Management Nikotinkarenz Wenigstens 4 bis 8 Wochen vor einem Eingriff sollte der Patient mit dem Rauchen aufhören, unterstützt ggf. durch eine medikamentöse Therapie, um eine maximale Reduzierung pulmonaler Komplikationen zu erreichen (Anderson u. Belani 1990). Obwohl die Umkehr vieler Folgeschäden eine längerfristige (Wochen bis Monate) Nikotinabstinenz voraussetzt, genügen 12 bis 72 Stunden, um wichtige kardiovaskuläre Parameter zu normalisieren.
Regionale Verfahren Regionalanästhesieverfahren werden bei vielen älteren Patienten erfolgreich durchgeführt. Die Wahl des Narkoseverfahrens hat jedoch keinen substanziellen Einfluss auf die perioperative Morbidität und Mortalität. Dennoch erscheint es plausibel, dass ältere Patienten von einem regionalen Verfahren profitieren, da sie weniger sediert sind, keine Manipulationen an den Atemwegen notwendig sind und eine optimale postoperative Schmerztherapie garantiert ist (s. Kap. 5.1). Viele Faktoren müssen jedoch präoperativ gegeneinander abgewogen werden: Art des Eingriffs, Gesundheitszustand des Patienten und Erfahrung des Anästhesisten. Die Entscheidung für oder gegen ein regionales Verfahren muss für jeden Patienten individuell getroffen werden (Tsui et al. 2004).
Hypoxie Um eine perioperative Hypoxämie des älteren Patienten zu verhindern, ist eine altersadaptierte Prämedikation sinnvoll. Vor Einleitung der Narkose sollte mindestens drei Minuten mit 100 % O2 präoxygeniert werden. Postoperativ sollte eine erhöhte FiO2 angeboten werden und frühzeitig mit der Atemtherapie begonnen werden, zu der auch die Mobilisation und ausreichende Hydratation zur verbesserten Sekretolyse zählen.
Respiratoreinstellung Die Abnahme der elastischen Rückstellkraft der Lunge im Alter führt zur verlängerten Exspiration unter Narkose und Muskelrelaxation. Daher muss die Exspirationszeit angepasst werden, um der Entstehung von Air trapping und „auto-PEEP“ vorzubeugen, da es sonst zur Zunahme des Lungenvolumens und des pulmonalen Druckes kommen kann (s. Kap. 5.6).
Postoperative Schmerztherapie Analgetika, insbesondere Opiate, sollten sorgfältig titriert und die Effektivität der Therapie und mögliche Nebenwirkungen engmaschig überwacht werden (s. Kap. 7.2). Lumbale oder thorakale Epiduralkatheter helfen, die pulmonale Funktion des Patienten postoperativ rasch zu verbessern, den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen und Kosten zu senken (Gruber u. Tschernko 2003).
2.3.5 Prädiktoren für pulmonale Komplikationen Pulmonale Komplikationen bei älteren Patienten sind eine wichtige Ursache für Morbidität, Mortalität und verlängerten Krankenhausaufenthalt. In mehreren Untersuchungen wurde die Inzidenz von postoperativen pulmonalen Komplikationen mit 7–33 % angegeben und verschiedene Risikofaktoren identifiziert: Alter > 60 Jahre, präoperative kognitive Dysfunktion, Rauchen in den letzten acht Wochen vor dem Eingriff, Body Mass Index > 27, positive Tumoranamnese und ein Oberbaucheingriff (Brooks-Brunn 1998, Arozullah et al. 2001).
2.3.6 Zusammenfassung Das erhöhte perioperative Risiko älterer Patienten ist hauptsächlich auf respiratorische Komplikationen zurückzuführen. Die altersbedingten strukturellen und funktionellen Veränderungen verringern die Reserve des respiratorischen Systems substanziell. Zusätzliche Belastungen (Stress, anästhesiologische und chirurgische Massnahmen) führen perioperativ zu einem erhöhtem · · V/Q-Missverhältniss und damit zur Hypoxie. Eine ausreichende pulmonale Reserve ist daher eine „conditio sine qua non“, um einen Eingriff erfolgreich zu überstehen. Das Risiko postoperativer pulmonaler Komplikationen lässt sich reduzieren durch Nikotinkarenz, Aspirationsprophylaxe, medikamentöse und physiotherapeutische Optimierung der Lungenfunktion, Vermeidung von Hypoxie und eine suffiziente postoperative Schmerztherapie. Die Kenntnis des altersbedingten Wandel des respiratorischen Systems, zusammen mit einem profunden Verständnis der durch Anästhesie und Chirurgie verursachten Veränderungen der pulmonalen Physiologie, ermöglichen es dem Anästhesisten, respiratorische Komplikationen bei älteren Patienten vorherzusehen und angemessen zu behandeln.
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Kernaussagen ●
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Das Altern bewirkt hauptsächlich eine Abnahme der pulmonalen Reserve. Durch Verlagerung des intraalveolären Volumens in die Alveolargänge und respiratorischen Bronchiolen, durch die abnehmende Kraft der Atemmuskulatur und durch das zunehmende Closing Volume · · kommt es zu einem V/Q -Missverhältnis mit erhöhtem alveolar-arteriellen Sauerstoffgradienten. Dies wird durch anästhesiologische und chirurgische Manipulationen verstärkt. Der Patient benötigt ausreichende pulmonale Reserven, um den perioperativen Stress und die Langzeitfolgen des Eingriffs erfolgreich zu überstehen. Das Risiko postoperativer pulmonaler Komplikationen lässt sich reduzieren durch Nikotinkarenz, Aspirationsprophylaxe, medikamentöse und physiotherapeutische Optimierung der Lungenfunktion, Vermeidung von Hypoxie und eine suffiziente postoperative Schmerztherapie. Pulmonale Komplikationen des älteren Patienten sind eine häufige Ursache für erhöhte Morbidität, Mortalität und verlängerten Krankenhausaufenthalt. Die zwei wichtigsten Risikofaktoren sind das Alter und die Art des Eingriffs.
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2.4 Gastrointestinaltrakt und Leber C. Beck, B. Pannen, O. Picker
2.4.1 Einführung Die im Alter auftretenden physiologischen Veränderungen des Gastrointestinaltrakts und der Leber sind im Einzelfall nur schwer von pathophysiologischen Einflüssen abgrenzbar, wie sie zum Beispiel durch Begleiterkrankungen wie Atherosklerose, Diabetes mellitus, Leber- oder Krebserkrankungen sowie durch die häufige Dauermedikation ausgelöst oder gefördert werden können. Ein Ziel muss es sein, diese physiologischen Veränderungen im Alter zu verstehen, um die daraus resultierende, zum Teil deutlich erhöhte Morbidität und Mortalität älterer Patienten richtig einschätzen und beeinflussen zu können. Beispielhaft sei hier der häufig anzutreffende unzureichende Ernährungszustand (Mowe u. Bohmer 1996, Liu et al. 2002) genannt, dessen Ursachen sicherlich vielschichtig sind. So tragen sowohl soziale, psychologische, ökonomische, funktionelle und physiologische Veränderungen im Alter zu einer unzureichenden Nahrungsaufnahme, Verwertung im Gastrointestinaltrakt und Ausscheidung bei. Zudem ist die Rate an chronischen Grunderkrankungen im Alter deutlich erhöht, wobei Erkrankungen des Herzkreislauf-, des Muskuloskelettund des Nervensystems bei der gesundheitlichen Einschränkung im Vordergrund stehen. Diese sind jedoch zum Teil nur schwer und unvollständig durch präoperative Routinekontrollen diagnostizierbar und der Vorhersagewert von Laborkontrollen ist ebenfalls sehr gering (Dzankic et al. 2001). So können z. B. unerkannte atherosklerotische Veränderungen der Mesenterialgefäße indirekt auch zu Veränderungen und Störungen der gastrointestinalen Funktion im Alter beitragen. Aus anästhesiologischer Sicht sind altersbedingte Veränderungen des Gastrointestinaltrakts und deren Einfluss auf die Absorption, Verwertung und Elimination von Pharmaka zu berücksichtigen. Diese können beispielsweise die Aufnahme von oral applizierten Pharmaka im Rahmen der Prämedikation beeinflussen: ● Anstieg des gastralen pHs bedingt durch eine verminderte Säuresekretion – 40 % der älteren Patienten leiden unter Hypo- oder Achlorhydrie ● reduzierter Blutfluss im Hepatosplanchnikusgebiet um bis zu 30–40 % ● Verzögerung der Magenentleerung ● Malabsorption und bakterielle Überwucherung Mehr noch als bei der Aufnahme oral applizierter Pharmaka kommt den physiologischen altersbedingten Ver-
änderungen im Hepatosplanchnikusgebiet bei der Elimination von Pharmaka im klinischen Alltag eine entscheidende Bedeutung zu. Hierbei können die hepatische Metabolisierung und Elimination beeinträchtigt sein: ● Abnahme der Lebermasse mit zunehmendem Alter von ca. 2,5 % des Körpergewichts auf nur noch ca. 1,6 % ● Reduzierter Phase-I-Metabolismus und damit veränderte Medikamentenwirksamkeit bei Hydroxylierung (z. B. bei Phenytoin), Dealkylierung (z. B. bei Benzodiazepinen), Schwefeloxidation (z. B. bei Chlorpromazin) oder Hydrolyse (z. B. bei Acetylsalicylsäure) Diese altersbedingten physiologischen Veränderungen beeinflussen die Wirkung einer Vielzahl der im klinischen Alltag verwendeten Medikamente. Hierbei bestehen nicht nur alters-, sondern ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich physiologischer Veränderungen im Hepatosplanchnikusgebiet und damit der hepatischen Elimination (Schwartz 2007). Diese interindividuellen Unterschiede erschweren die Vorhersage der Medikamentenwirkung und erhöhen das Risiko für unerwünschte Wirkungen und Interaktionen (Shafer 2000). Daher gilt für den klinischen Einsatz, dass Medikamente nur mit großer Vorsicht und angepasster Dosierung angewandt werden dürfen. Nachfolgend sollen die physiologischen Veränderungen der einzelnen Organsysteme des Gastrointestinaltrakts im Alter dargestellt werden (Abb. 2.5), wobei auf die anästhesierelevanten pharmakologischen Eigenarten in einem gesonderten Kapitel eingegangen wird (s. Kap. 3).
2.4.2 Mundhöhle Mit dem Alter nimmt die Speichelproduktion ab. Bis zu 40 % der über 65-Jährigen klagen über Mundtrockenheit und reduzierten Speichelfluss (Gilbert et al. 1993). Neuere Untersuchungen legen nahe, dass zumindest die Sekretionsleistung der Speicheldrüsen nicht altersabhängig abnimmt (Eliasson et al. 2006), wobei allerdings auch weitere Faktoren, wie Medikamente oder begleitende Grunderkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus, zu der als störend empfundenen Mundtrockenheit und Schluckbeeinträchtigung beitragen können (Gilbert et al. 1993). Im Zusammenspiel mit einer Verschlechterung des Zahnstatus kommt es auch zu einer Abnahme der Geruchsund Geschmacksempfindung, welche zu einer erschwer-
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2.4 Gastrointestinaltrakt und Leber Abb. 2.5 Exemplarische Übersicht über die physiologischen Veränderungen im Alter.
ten bzw. verminderten Nahrungsaufnahme und damit einer Mangelernährung beitragen kann.
Merke
Die Verschlechterung des Zahnstatus, eine häufig als unangenehm empfundene Mundtrockenheit und eine Abnahme der Geschmacksempfindung können zu einer unzureichenden Nahrungsaufnahme beitragen.
2.4.3 Ösophagus Das im Alter vermehrt auftretende Problem der Dysphagie hat sicherlich mehrere Ursachen, wobei eine gestörte Ösophagusmotilität, verminderte Boluspropulsion im Hypopharynx und erhöhte transsphinkterische Druckgradienten zur Dysphagie beitragen (Bardan et al. 2006). Bereits bei zwei Drittel asymptomatischer älterer Patienten konnten radiografisch diskrete Schluckstörungen nachgewiesen werden, von denen ca. 39 % eine gestörte pharyngoösophageale Funktion betrafen (Ekberg u. Fein-
berg 1991). Hinzu kommen eine verminderte Wahrnehmung der Ösophagusdistension und eine Verzögerung der afferenten Nervenimpulse mit verminderter Amplitude. Der gastroösophageale Reflux ist eine der häufigsten Erkrankung älterer Patienten, mit einem Häufigkeitsgipfel in der 7. Lebensdekade. Die hierdurch begünstigte Ösophagitis ist zudem mit einer höhergradigen Schleimhautschädigung assoziiert. Interessanterweise ist diese höhergradige Schleimhautschädigung jedoch gleichzeitig mit geringeren subjektiven Krankheitssymptomen verbunden, was auf einer verminderten Säurechemosensitivität und damit einer gestörten Frühwarnehmung im Alter beruhen könnte (Fass et al. 2000). Eine zusätzliche Schleimhautschädigung könnte darüber hinaus durch die häufige Polymedikation älterer Patienten ausgelöst oder gefördert werden. Gerade in der postoperativen Frühphase muss die Möglichkeit einer bisher undiagnostizierten Schluckstörung, in Kombination mit einer verlängerten oder unerwünschten Medikamentenwirkung, beachtet werden, um das Risiko für Aspirationspneumonien möglichst gering zu halten.
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Merke
Störungen der Hypopharynx- und Ösophagusfunktion sind häufig. Sie führen zu Schluckstörungen und erhöhen das Risiko für eine Aspiration. Außerdem kommt es zu einem vermehrten Auftreten von Ösophagitiden durch eine reduzierte Säureelimination.
2.4.4 Magen Die Veränderungen der Magensäureproduktion im Alter sind noch nicht abschließend geklärt, da ältere Studien durch die Besiedelung mit Helicobacter pylori beeinflusst gewesen sein könnten. Die vermehrt auftretende Achlorhydrie oder Hypochlorhydrie scheint weniger auf altersbedingten Veränderungen, als vielmehr auf einer atrophischen Gastritis zu beruhen, welche durch den Einsatz von Protonenpumpeninhibitoren oder die Infektion mit Helicobacter pylori gefördert wird (Haruma et al. 2000). Es gibt zudem Hinweise darauf, dass die Widerstandsfähigkeit der Magenmukosa im Alter reduziert ist. Mehrere Faktoren interagieren bei der Zytoprotektion, wie zum Beispiel der mukosale Blutfluss, die Sekretion von Prostaglandinen, Glutathion, Bikarbonat oder die schützende Schleimschicht. Die im Alter häufiger auftretende perniziöse Anämie scheint ebenfalls mit einer Helicobacterpylori-Infektion assoziiert zu sein (Annibale et al. 2000). Die Studienlage zur Magenentleerung ist aufgrund der geringen Patientenzahl bisher unzureichend, es gibt jedoch aus Isotopenuntersuchungen Hinweise darauf, dass die Magenentleerung bei älteren Patienten verzögert sein kann, und hierbei zudem Unterschiede bestehen zwischen einem aktiveren und einem inaktiveren Lebensstil (Shimamoto et al. 2002).
Merke
Die Störung der Magensäureproduktion beruht häufig auf einer atrophischen Gastritis. Es gibt Hinweise auf eine verzögerte Magenentleerung, die allerdings auch abhängig vom individuellen Lebensstil und Aktivitätsgrad zu sein scheint.
2.4.5 Dünndarm Die Architektur des Dünndarms verändert sich im Alter nur wenig. Die intestinale Morphologie und damit die Höhe der Villi, Kryptentiefe und Enterozytengröße scheinen unverändert zu sein (Lipski et al. 1992) oder nur wenig abzunehmen (Warren et al. 1978). Auch die Auswirkungen auf die intestinale Motilität, Transitzeit, Absorption und Permeabilität des Dünndarms sind sehr gering. Ein häufiges Problem, gerade beim älteren Patienten, ist jedoch die bakterielle Überwucherung, welche durch Begleiterkrankungen, wie Diabetes mellitus, Hypochlorhydrie oder Infektionen und die damit verbundene Medikation, begünstigt wird. Dieses kann über Anorexie, Diarrhö oder Malabsorption zur Mangelernährung beitragen, da eine normale Darmflora besonders für die Versor-
gung mit lebenswichtigen Vitaminen und Mineralstoffen (Fe, Ca, Vit. K und B6) entscheidend ist. Dass dies klinisch von Bedeutung ist, zeigte sich schon in einer älteren Studie, bei der bei 11 % der Patienten einer geriatrischen Station eine Malabsorption diagnostiziert wurde, von denen 71 % von bakterieller Überwucherung betroffen waren (McEvoy et al. 1983). Die Absorption von Spurenelementen, wie z. B. Zink ist reduziert, wobei allerdings die gleichzeitig häufig eingeschränkte Exkretion die Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Bilanz erleichtert. Auch die Aufnahme von Kalzium nimmt mit steigendem Alter ab und die Vitamin-D-Rezeptorendichte ist im Alter zusätzlich verringert, was zu der häufig diagnostizierten Abnahme der Knochendichte mit folgender Osteoporose beitragen kann.
Merke
Eine bakterielle Überwucherung des Dünndarms kann zu einer Malabsorption und Mangelernährung beitragen.
2.4.6 Dickdarm Die Motilität von Dickdarm und Rektum scheint mit dem Alter kaum abzunehmen, allerdings ist die Wahrnehmung der Darmdistension eingeschränkt. Hinzu kommt die häufig verminderte körperliche Aktivität älterer Patienten, die in Kombination mit geänderten Ernährungsgewohnheiten zur Konstipation beiträgt. Inkontinenz ist ebenfalls ein häufiges Problem und die Ursachen hierfür vielfältig. Die Kombination von Konstipation, Laxanziengebrauch, möglichen neurologischen Störungen und kolorektalen Erkrankungen, wie Divertikulose, Rektalprolaps oder Geburtstrauma, fördert die Inkontinenz, von der bis zu 50 % aller Altenheimbewohner betroffen sein können. Durch die Schwächung der Muscularis mucosa der Darmwand und ballaststoffarme Ernährung wird die Entstehung von Darmdivertikulose gefördert. Eine chronische Mesenterialischämie oder Mesenterialinfarkte können zudem die gastrointestinalen Ausprägungen einer generalisierten Atherosklerose darstellen und müssen klinisch als Differenzialdiagnose bei einem akuten Abdomen mit in Betracht gezogen werden.
Merke
Atherosklerotische Veränderungen können zur mesenterialen Ischämie und zum klinischen Bild eines akuten Abdomens führen.
2.4.7 Pankreas Das Pankreas durchläuft mit fortschreitendem Alter anatomische Veränderungen, wie Hyperplasie des Duktus, lobuläre Fibrosierung des Corpus und Abnahme des Gesamtgewichts. Von diesen Veränderungen ist die exokrine Pankreasfunktion jedoch nur geringfügig betroffen. Die Exkretion der Pankreasenzyme fällt nur wenig ab,
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2.4 Gastrointestinaltrakt und Leber sodass die Fett- und Kohlenhydratabsorption kaum eingeschränkt ist. Jedoch sinkt im Alter die B-Zell-Funktion und damit die Insulinsekretion, die Insulinresistenz der peripheren Zielorgane nimmt zu, was in Kombination zu einer geringeren Glukosetoleranz und ggf. zu einem manifesten Diabetes mellitus führen kann. Klinisch bedeutet dies eine labilere Glukosehomöostase und bedingt eine engmaschigere Kontrolle und Steuerung, um exzessive perioperative Blutglukosespiegel zu vermeiden.
Merke
Die verminderte Insulinsekretion des Pankreas und eine erhöhte Insulinresistenz der Zielorgane reduzieren die Glukosetoleranz und machen eine engmaschige perioperative Blutglukoseüberwachung mit frühzeitiger Intervention notwendig.
2.4.8 Leber Etwa bis zum 50. Lebensjahr beträgt das Lebergewicht ziemlich konstant ca. 2,5 % des Körpergewichts. Dieses Verhältnis ändert sich mit zunehmendem Alter und beträgt mit 90 Jahren nur noch ca. 1,6 % des Körpergewichts. Auch der Leberblutfluss nimmt mit dem Alter ab (ca. 0,3–1,5 % pro Jahr). So ist der Leberblutfluss im Alter von 65 Jahren bereits um ca. 35 %, das Lebergewicht und das Volumen um ca. 25 % reduziert (Zoli et al. 1999). Dies hat zur Folge, dass auch die hepatische Elimination von im klinischen Alltag häufig verwendeten Medikamenten vermindert ist, wie z. B. von Etomidate, Ketamin, Fentanyl, Sufentanil und Lidocain. Die Oxidations-, Reduktionsund Hydrolyseleistungen der Leber (Phase 1) finden im endoplasmatischen Retikulum der Hepatozyten statt und sinken linear mit steigendem Lebensalter. Weitgehend unbeeinträchtigt scheint hingegen die Konjugationsleistung (Phase 2) zu sein, mit einer nur geringfügigen altersabhängigen Abnahme. Es besteht nur eine schlechte Korrelation zwischen den funktionellen und den histologischen Veränderungen in der Leber, die durch eine vermehrte Einlagerung von Lipofuszin in den Hepatozyten, einem Abbauprodukt des Fett- und Proteinmetabolismus, charakterisiert sind. Histologisch kommt es zu einer Vergrößerung der Hepatozyten, zu einer Abnahme der Anzahl der Mitochondrien pro Volumen und einer Zunahme des Anteils an geschwollenen und vakuolisierten Mitochondrien. Der Bindegewebsanteil erhöht sich, wobei dieses keinen Einfluss auf die metabolische Funktion hat oder bereits als Zeichen einer Fibrose gewertet werden kann. Bei der Syntheseleistung kommt es nur zu einer geringen Abnahme, was sich in leicht reduzierten Bilirubin-, Protein- und Albuminspiegeln ausdrückt, welche jedoch in der Regel noch im Normbereich liegen. Die Toleranz gegenüber Insulten und die physiologische Reserve der Leber nehmen mit dem Alter ebenfalls ab. Der durch verschiedene Medikamente ausgelöste hepatotoxische Schaden nimmt zu, vermutlich durch eine veränderte Metabolisierung, die Abnahme zellulärer Protektionsmechanismen und durch eine verminderte Rege-
nerationsfähigkeit des geschädigten Lebergewebes. Die Mechanismen der eingeschränkten hepatischen Regeneration sind bisher nur unvollständig verstanden, jedoch scheint hierfür eine geringere Ansprechbarkeit der Hepatozyten auf den Epidermal Growth Factor (EGF) mit verantwortlich zu sein (Ohtake et al. 2008). Durch die im Alter um bis zu 35 % reduzierte Blutversorgung des Hepatosplanchnikusgebiets und der Leber steigt zudem die Gefahr einer intestinalen Hypoxie bei kardialen oder respiratorischen Störungen, unbehandelter Hypotension oder Hypovolämie.
Merke
Es kommt durch eine Reduzierung der Blutversorgung der Leber, eine Abnahme des Lebergewichts und durch eine verminderte zelluläre Regenerationsfähigkeit zu einer erhöhten Vulnerabilität des Lebergewebes. Zudem ist die hepatische Elimination häufig eingesetzter Medikamente deutlich reduziert und es muss mit einer veränderten oder verlängerten Wirkung gerechnet werden.
Kernaussagen ●
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Der häufig unzureichende Ernährungszustand älterer Patienten erhöht die perioperative Mortalität und Morbidität. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, und u. a. durch physiologische, soziale, ökonomische und psychologische Veränderungen im Alter bedingt. Störungen der Pharynx- und Ösophagusmotilität erhöhen das Risiko für eine Aspiration. Zudem besteht häufig eine verminderte Säureelimination und eingeschränkte Chemosensitivität, mit erhöhtem Risiko für eine Refluxösophagitis. Die reduzierte Glukosetoleranz, durch verminderte Insulinfreisetzung und erhöhte Resistenz der Zielorgane, macht eine engmaschige perioperative Kontrolle und Steuerung notwendig. Es besteht eine erhöhte Vulnerabilität des Lebergewebes durch eine verminderte Blutversorgung und eingeschränkte Regenerationsfähigkeit. Dies erhöht das Risiko für einen hepatischen Insult bei unbehandelter Hypotension, Hypovolämie oder Hypoxie.
Literatur Annibale B, Lahner E, Bordi C et al. Role of Helicobacter pylori infection in pernicious anaemia. Dig Liver Dis 2000; 32(9): 756–762 Bardan E, Kern M, Arndorfer RC et al. Effect of aging on bolus kinematics during the pharyngeal phase of swallowing. Am J Physiol Gastrointest Liver Physiol 2006; 290(3): G458–465 Dzankic S, Pastor D, Gonzalez C et al. The prevalence and predictive value of abnormal preoperative laboratory tests in elderly surgical patients. Anesth Analg 2001; 93(2): 301–308 Ekberg O, Feinberg MJ. Altered swallowing function in elderly patients without dysphagia: radiologic findings in 56 cases. Am J Roentgenol 1991; 156(6): 1181–1184
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2 Physiologische Veränderungen im Alter Eliasson L, Birkhed D, Osterberg T et al. Minor salivary gland secretion rates and immunoglobulin A in adults and the elderly. Eur J Oral Sci 2006; 114(6): 494–499 Fass R, Pulliam G, Johnson C et al. Symptom severity and oesophageal chemosensitivity to acid in older and young patients with gastro-oesophageal reflux. Age Ageing 2000; 29(2): 125–130 Gilbert GH, Heft MW, Duncan RP. Mouth dryness as reported by older Floridians. Community Dent Oral Epidemiol 1993; 21(6): 390–397 Haruma K, Kamada T, Kawaguchi H et al. Effect of age and Helicobacter pylori infection on gastric acid secretion. J Gastroenterol Hepatol 2000; 15(3): 277–283 Lipski PS, Bennett MK, Kelly PJ et al. Ageing and duodenal morphometry. J Clin Pathol 1992; 45(5): 450–452 Liu L, Bopp MM, Roberson PK et al. Undernutrition and risk of mortality in elderly patients within 1 year of hospital discharge. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2002; 57(11): M741–746 McEvoy A, Dutton J, James OF. Bacterial contamination of the small intestine is an important cause of occult malabsorption in the elderly. Br Med J (Clin Res Ed) 1983; 287(6395): 789–793
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2.5 Urogenitaltrakt C. Seif
2.5.1 Einführung Physiologische Veränderungen im Alter betreffen im Urogenitalsystem hauptsächlich den unteren Harntrakt. Harnblasenfunktionsstörungen liegen dann in der Regel multifaktorielle Ursachen zugrunde. Multimorbidität und Multimedikation mit den daraus resultierenden Nebenwirkungen auf die Funktion des unteren Harntraktes, ebenso wie Immobilität, Bewegungseinschränkungen, um beispielsweise rechtzeitig die Toilette zu erreichen oder sich der Kleidung zu entledigen, können allgemeine Ursachen für eine Altersinkontinenz darstellen. Zerebrokortikale Erkrankungen, die eine Funktionseinschränkung des pontinen Miktionszentrums bedingen, sind neben der Degeneration von Blasen- und Beckenbodenmuskulatur, ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung einer altersbedingten Inkontinenzproblematik (van der Horst u. Jünemann 2003). Dem gegenüber steht die Gruppe der Patienten, die Restharn entwickeln und die Harnblase nicht oder nur partiell entleeren können. Ursächlich hierfür kann eine vergrößerte Prostata (BPH) oder bei weiblichen Patienten eine ausgedehnte Zystozele mit Quetschharn-Phänomen (hierbei „quetscht“ die Harnblase beim Tiefertreten ins kleine Becken die Harnröhre regelrecht ab). Des Weiteren können Patienten aufgrund eines Diabetes mellitus, einer Multiplen Sklerose oder aber z. B. eines Morbus Parkinsons einen hypokontraktilen Detrusor mit konsekutiver Harnblasenentleerungsstörung bis hin zu Harnaufstau erleiden.
2.5.2 Muskulärer Apparat von Blase und Urethra Merke
Morphologisch aus unterschiedlichen Geweben aufgebaut wirken Blase und Urethra als funktionelle Einheit zusammen und erfüllen die Aufgabe der Harnspeicherung und Entleerung. Die Harnblasenmuskulatur, der Detrusor vesicae, setzt sich aus drei muskulären Schichten zusammen – eine innere und äußere Längsschicht sowie eine zirkulär angeordnete Mittelschicht – die bei Kontraktion zu einer konzentrischen Verkleinerung der Blase führen. Im Bereich des Blasenhalses geht die Blasenmuskulatur in das dreieckförmig angelegte Trigonum vesicae
über, das die laterokranial mündenden Harnleiter aufnimmt. Das ebenfalls aus glatten Muskelzellen angelegte Trigonum vesicae verjüngt sich zum Blasenhals hin und mündet in die proximale Harnröhre. An dieser Stelle geht der dreischichtige muskuläre Aufbau verloren und wird von einer – beim Mann zirkulär angeordneten, bei der Frau längs gerichteten – glattmuskulären Schicht der proximalen Harnöhre ersetzt, die als Blasenhals bezeichnet wird. Im weiteren Verlauf der Urethra, weiter distal auf dem Niveau des Beckenbodens gelegen, findet sich der für die Kontinenz relevante Harnröhrensphinkter, der sich aus der intramuralen Harnröhrenmuskulatur, der quergestreiften Beckenbodenmuskulatur (Mm. transversi perinei profundus und superficialis und M. levator ani) und dem aus glatten und quergestreiften Muskelfasern aufgebauten O-förmigen Rhabdosphincter urethrae zusammensetzt. Die Muskelfasertypen des Harnröhrenschließmuskels erfüllen unterschiedliche Aufgaben. Durch einen Dauertonus so genannter Slow-twitch-Fasern wird die Kontinenz in Ruhe aufrechterhalten. Durch die additive schnelle Kontraktion so genannter Fast-twitch-Fasern wird die Kontinenz unter Belastung gewährleistet. Der anatomische Aufbau der genannten Strukturen unterliegt keinen spezifischen Veränderungen während des Alterungsprozesses (Dorschner et al. 2001).
2.5.3 Periphere Innervation Die periphere Innervation des unteren Harntrakts läuft sowohl über viszerale als auch über somatische Nervenfasern. Dabei führt das dem sakralen Miktionszentrum entspringende pelvine Nervengeflecht (Plexus pelvicus) parasympathische Fasern, während die sympathische Innervation über die Nn. hypogastrici erfolgt, die dem thorakalen Grenzstrang aus Th 10 bis L 2 entstammen. Die somatischen Leitungsbahnen verlaufen sowohl über den N. pudendus aus den Segmenten S 2 bis S 4 als auch separaten somatomotorischen Fasern aus S 2 und S 3 über den pelvinen Nervenplexus zum Zielorgan. Beckenboden und externer Harnröhrensphinkter werden ebenfalls aus den Sakralsegmenten S 2 bis S 4 innerviert. Neben separaten somatomotorischen Fasern aus S 2 und S 3, die zum M. levator ani ziehen, wird die übrige Beckenbodenmuskulatur einschließlich des M. transversus perineus über den N. pudendus innerviert. Für den Rhabdosphinkter wird die Innervation über den N. pudendus postuliert,
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2 Physiologische Veränderungen im Alter letztendlich steht hier bis dato eine endgültige Klärung noch aus (Juenemann et al.).
2.5.4 Funktionell-anatomisches Korrelat typisch weiblicher bzw. männlicher Inkontinenzformen Die unterschiedlichen Prävalenzen und Ätiologien der verschiedenen Inkontinenzformen zwischen Mann und Frau erklären sich in erster Linie durch den unterschiedlichen funktionell-anatomischen Aufbau des Beckenbodens. Während der Mann bedingt durch die potenziell obstruktive Prostata eher unter „Lower urinary Tract Symptoms“ (LUTS) leidet, wird der Beckenboden der Frau, bedingt durch Geburtstraumata oder hormonelle Veränderungen, eher insuffizient und ist damit prädisponiert für eine Belastungsinkontinenz. Diese eigenständigen Krankheitsbilder treten im höheren Alter mit zunehmender Inzidenz auf. Hier handelt es sich jedoch nicht um spezifische anatomische Veränderungen als Ursache einer Altersinkontinenz, sondern um eine Summation verschiedener intrinsischer und extrinsischer Faktoren des Alterns. Beispielhaft sei hier die Pathophysiologie der weiblichen Belastungsinkontinenz angeführt, derzeit durch verschiedene Ansätze erklärt. Ein suffizienter Verschlussmechanismus der Urethra ist von einer intakten Muskulatur, einer ungestörten Innervation sowie einem intakten Bandapparat abhängig. Petros und Ulmsten postulieren in der Integrationstheorie einen lokalen anatomischfunktionellen Defekt, welcher zu einer schlaffen Vaginalvorderwand mit konsekutivem Verlust eines suffizienten urethralen Verschlussmechanismus führen soll. Diese Insuffizienz wird ihrer Meinung nach durch lokale Schädigungen an der Vagina und den beteiligten unterstützenden Strukturen (Lig. pubourethralis) verursacht. Eine Abnahme der Kollagen- und Elastinfilamente durch den Alterungsprozess wird ebenfalls als Ursache dieser Stabilitätsabnahme postuliert (Peteros u. Ulmsten 1990). Demgegenüber stehen neurophysiologische Studien zur Integrität des N. pudendus. Frauen zeigten nach Geburt eines Kindes eine Zunahme der motorischen Latenzzeit des N. pudendus. Dieses Phänomen konnte bei 42 % aller Frauen mit einer stattgehabten vaginalen Entbindung reproduziert werden. Nach einer Sectio caesarea trat diese Auffälligkeit nicht auf (Snooks et al. 1984). Spätere Studien zeigten signifikant zahlreichere Denervierungspotenziale des weiblichen Beckenbodenbodens bei Frauen mit Belastungsinkontinenz und/oder Prolaps als in der Vergleichsgruppe (Smith et al. 1989). Diese Ergebnisse weisen auf eine partielle Denervierung des Beckenbodens mit subsequenter Re-Innervation als Folge einer vaginalen Entbindung hin. Waller’sche Degeneration, Polyneuropathie, neurogene Erkrankungen sowie ein alters- oder hormonellbedingter Elastizitätsverlust können multifaktoriell Einfluss auf die funktionelle und strukturelle Integrität des Beckenbodens während des Alterungsprozesses bei
der Frau und auch beim Mann nehmen. Die vom thorakalen Grenzstrang entspringenden sympathischen Nervenfasern gelangen über den N. hypogastricus an ihre beiden Angriffspunkte des unteren Harntrakts: die Blasenwand und die Blasenhalsregion. Über betaadrenerge Rezeptoren in der Blasenwand wird eine Hemmung der Detrusoraktivität erreicht, selektive alphaadrenerge Rezeptoren stimulieren den Blasenhals, wodurch bei zunehmender Blasenfüllung einerseits eine Ruhigstellung des Detrusor, andererseits eine zunehmende Tonisierung des Blasenhalses und der proximalen Urethra als Teil des Kontinenzmechanismus erreicht wird. Untersuchungen zur Rezeptorenverteilung an gealterten Ratten konnten eine Verschiebung der relativen Subtypenverteilung der α1-Adrenorezeptoren zu einem sog. α1d-Klon zeigen (Hampel et al. 2002). Dieser Subtyp wird u. a. für die obstruktionsbedingten Blasenirritationen verantwortlich gemacht (Kenny et al. 1996). Das Gebiet der Rezeptorforschung wird in den nächsten Jahren, neben einem besseren Verständnis der Inkontinenz, zu neuen, möglicherweise wirksameren medikamentösen Therapieansätzen führen.
2.5.5 Zentrale Neuroanatomie Ein wichtiger Aspekt der Altersinkontinenz ist die neuronale Integrität des unteren Harntraktes auf peripherer wie auf zentraler Ebene. Die Steuerung von Harnspeicherung und Entleerung wird durch das Großhirn kontrolliert. Die Erkenntnisse zur Aufgabenlokalisation sind heute noch dürftig. Es ist jedoch von einem komplizierten Netzwerk von Hirnarealen auszugehen. Im Bereich des Pontozerebrums sind Areale der Miktionskontrolle lokalisiert. Zwei Areale von Hirnstammneuronen im Bereich der dorsolateralen Pons sind in den Miktionszyklus involviert. Die mediale M-Region, das sog. „Miktionszentrum“ entspricht dem Nucleus Barrington, der über lange deszendierende Bahnen zur Collumna intermediolateralis projiziert. Die laterale L-Region, das sog. „pontine Kontinenzzentrum“, projiziert über das Rückenmark zum Nucleus Onuf, der den Beckenboden einschließlich des äußeren urethralen Verschlussmuskels motorisch innerviert (de Groat u. Steers 1990, Holstege et al. 1986). Zur Information der Blasenfüllung konnten aszendierende spinale Bahnen identifiziert werden, die bis in das periaquäduktale Grau (PAG) projizieren (Blok u. Holstege 1997). Ist die Harnblase ausreichend gefüllt, führt eine Aktivitätszunahme der M-Region über das PAG zur Initiierung eines Miktionsreflexes. Die M-Region erhält zusätzliche Informationen aus den präoptischen Arealen, was möglicherweise auf den Entscheidungsprozess der Miktionsinitiierung Einfluss nimmt. Das Gehirn als postmitotisches Organ ist für alterskorrelierte Veränderungen vulnerabel. Auf zellulärer wie molekularer Ebene sind jedoch verschiedenste Mechanismen an der Aufrechterhaltung der Integrität des alternden Gehirnes gegenüber Beeinträchtigung durch verschiedenste Umwelteinflüsse und andere störende,
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2.5 Urogenitaltrakt endogene und exogene Faktoren beteiligt. Eine viel versprechende Kapazität bezüglich des Problems der Hirnalterung wird den im Gehirn angesiedelten neuronalen Stammzellen zugeschrieben, die geschädigte Neurone oder Glia ersetzen können. Genetische Faktoren spielen neben neuroprotektiven Faktoren wie diätetische (Kalorienreduktion, Antioxidanzien) und allgemeinen Verhaltensmaßnahmen (intellektuelle und physische Aktivität) eine wichtige Rolle, ob der Alterungsprozess einsetzt oder nicht (Mattson et al. 2002).
2.5.6 Einfluss neurodegenerativer Erkrankungen auf die Blasenfunktion Alter ist bei weitem der wichtigste Risikofaktor in der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder Morbus Alzheimer. Diese Erkrankungen können als akzelerierte, mitunter progressive Teilalterungsprozesse selektiver Hirnareale, beispielsweise die Basalganglien beim Morbus Parkinson, betrachtet werden. Die Bedeutung des extrapyramidalen Systems für die Koordination der Miktion konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden. Eigene Untersuchungen an tiefenhirnstimulierten Parkinsonerkrankten konnte eine Normalisierung der Blasensensibilität unter Stimulation des Nucleus subthalamicus zeigen (Seif et al. 2004). Mithilfe der Magnetresonanztomografie wurden bei über 60-jährigen Patienten mit einer überaktiven Blasensymptomatik signifikant häufiger subklinische Läsionen des Hirns diagnostiziert als in einer gesunden Vergleichsgruppe. War diese Läsion im Bereich der Basalganglien lokalisiert, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Detrusorhyperaktivität (Kitada et al. 1992). Diese Annahmen lassen einen entscheidenden Einfluss der zerebralen Kontrolle auf die sog. Altersinkontinenz bzw. der Detrusorhypoaktivität mit Restharnbildung vermuten. Die nähere Erforschung dieser Erkrankungen wird zu einem besseren Verständnis von Ätiologie und Therapie altersbedingter Blasenentleerungsstörungen beitragen.
2.5.7 Physiologie der Harnentleerung bei älteren Männern Ein wichtiger Aspekt in der Betreuung von älteren Männern ist das Wissen über die physiologischen Aspekte und therapeutischen Konsequenzen der Harnentleerung. Aufgrund einer im Alter auftretenden infravesikalen Obstruktion, sei sie mechanisch oder funktionell bedingt, kommt es zu abnehmendem Harnstrahl, Pollakisurie, Nykturie und ansteigender Restharnbildung bis hin zur Überlaufinkontinenz. Wichtige Erkenntnisse zur Physiologie der Harnentleerung können aus den In-vivo-Studien der Arbeitsgruppe von Bross und Mitarbeitern abgeleitet werden (Bross et al. 1999b).
Häufig wird älteren Patienten mit obstruktiven LUTS und Restharnbildung zur Verbesserung der Blasenentleerung zu einer Doppelmiktion geraten. Bross et al. simulierten den Effekt der Doppelmiktion durch wiederholte efferente sakrale Neurostimulation. Die Intervalle zwischen den einzelnen Stimulationen wurden von 15 Minuten über 5 und 3 Minuten auf 1 Minute reduziert und die entsprechende Detrusordruckantwort registriert. Mit Verkürzung der Stimulationsintervalle kam es zu einem konsekutiven Abfall der Detrusorkontraktionskraft. Im Vergleich zur initialen Kontraktion wurden bei einem einminütigen Miktionsintervall nur noch 70–80 % des ursprünglichen intramuskulären Druckaufbaus erreicht. Dieses Tiermodell wurde bisher noch nicht auf den Menschen übertragen, es zeigt jedoch deutlich, dass die häufig empfohlene Doppelmiktion, gerade bei Männern mit chronischen obstruktiven LUTS, kontraproduktiv zu sein scheint und eher zu einer Verschlechterung der Blasensituation mit unvollständiger Harnentleerung als zu einer verbesserten Entleerungssituation führt. Diese Erkenntnisse decken sich mit den Ergebnissen der Organbadstudien an der gealterten Harnblase der Ratte. Hier konnten Lin und Mitarbeiter eine schnellere Ermüdung der alten Muskelfasern im Vergleich zum Kontrollgut darstellen (Lin et al. 1997). Bedingt durch die verschiedensten Ursachen kann es im Alter zu einer chronischen oder auch akuten Blasenüberdehnung kommen. Hierzu konnte die gleiche Arbeitsgruppe zeigen, dass eine zunehmende Überdehnung des Harnblasenmuskels zu einer Abnahme der resultierenden Detrusorkontraktionskraft führt (Bross et al. 1999a). Bei wiederholter Blasenfüllung nach vorangegangener Überdehnung konnte nur noch ein um 28 % reduzierter intramuskulärer Druckaufbau erreicht werden. Dieses Phänomen erklärt, warum massive Flüssigkeitszufuhr bei Männern mit subvesikaler Obstruktion zu einer Dekompensation der Harnblase führen kann. Wird keine ausreichende Entleerung der Harnblase, im Akutfall beispielsweise durch Katheterisierung gewährleistet, kommt es zu einem Circulus vitiosus mit nachfolgender Harnverhaltung, Überlaufinkontinenz oder gar irreversibler Schädigung des Harnblasenmuskels. In Extremfällen kann dies sogar einen Harnaufstau mit konsekutiver chronischer Niereninsuffizienz nach sich ziehen.
Cave
Eine einzige maximale Überdehnung der Harnblase, z. B. durch massive Flüssigkeitszufuhr bei Männern mit subvesikaler Obstruktion, kann zu einer Dekompensation der Harnblase führen. Daher sind Situationen mit maximaler Blasenfüllung zu vermeiden. Die Veränderungen am unteren Harntrakt im Alter sind somit vielschichtig und reichen von der der kompletten Inkontinenz mit dem entsprechenden pflegerischen Aufwand bis hin zur vollständigen Harnverhaltung und der Notwendigkeit der Harnableitung. Auch wenn diese Altersveränderungen und ihre Behandlung im klinischen Alltag oft in den Hintergrund geraten, so haben sie, wenn
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2 Physiologische Veränderungen im Alter die Patienten beispielsweise nach einem Krankenhausaufenthalt wieder in die häusliche Umgebung zurückkehren, einen erheblichen Einfluss auf die weitere Lebensqualität.
Kernaussagen ●
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Harnblasenfunktionsstörungen im Alter haben in der Regel multifaktorielle Ursachen. Ätiologisch hervorzuheben sind neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Restharnbildung (z. B. durch BPH beim Mann) und Schädigungen durch vaginale Entbindung mit Entwicklung einer Belastungsinkontinenz bei der Frau. Situationen mit maximaler Blasenfüllung sind zu vermeiden, da schon eine einzige Überdehnung des Harnblasenmuskels zu einer Abnahme der resultierenden Detrusorkontraktionskraft führt.
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2.6 Endokrines System E. K. Löffler
2.6.1 Einführung Im Vergleich zu jüngeren Menschen kommt es beim Älteren aufgrund von Veränderungen der endokrinen Regelkreise etwa doppelt so häufig zu Beeinträchtigungen der Stoffwechselfunktionen, von denen sich einige gravierend auf die perioperative Morbidität und Mortalität auswirken können. Darüber hinaus beeinträchtigen altersbedingte Veränderungen des Hormonsystems (z. B. eine nachlassende Produktion der Sexualhormone) die Lebensqualität, wobei deren pathologische Relevanz bislang noch nicht vollständig aufgeklärt ist. Auch die Produktion von Insulin und Schilddrüsenhormonen sinkt mit steigendem Alter ab und kann bei geriatrischen Patienten zu einer Reihe unspezifischer Symptome führen, die häufig als nachlassende körperliche und geistige Leistungsfähigkeit („Alterserscheinungen“) fehlinterpretiert werden.
2.6.2 Glukosestoffwechsel Während des Alterns kommt es zu einem Anstieg des Nüchternblutzuckers um ca. 1 mg/dl pro Jahrzehnt und einem steten Abfall der Glukosetoleranz. Die verminderte Glukosetoleranz wiederum hat einen erhöhten PlasmaInsulin-Spiegel zur Folge und begünstigt somit die Entstehung einer Insulinresistenz sowie eines Insulinsekretionsdefekts. Im Alter über 65 Jahren beträgt somit die Prävalenz eines manifesten Diabetes mellitus (DM) Typ 2 über 16–23 %, wobei in diesem Zusammenhang Untersuchungen an eineiigen Zwillingen auf eine genetisch bedingte Prädisposition hindeuten. Weitere Risikofaktoren sind neben einem Body Mass Index (BMI) > 27 das Vorliegen eines arteriellen Hypertonus, High-DensitiyLipoprotein-Spiegel (HDL) > 0,91 mmol/l sowie Triglyzeridspiegel > 2,8 mmol/l.
Merke
Mit zunehmendem Alter steigt der Nüchternblutzuckerspiegel an und die Glukosetoleranz wird geringer, was die Entstehung eines Typ-2-Diabetes begünstigt. Klinik. Diabetes mellitus präsentiert sich im Alter häufig atypisch ohne die klassischen Symptome Polyurie und Polydipsie. Die renale Glukoseschwelle steigt kontinuierlich an, wobei Serumglukosespiegel über 200 mg/dl ohne Polyurie einhergehen können. Die Erstmanifestation er-
folgt in vielen Fällen durch Auftreten von Gewichtsverlust, Schwindel, Leistungsminderung, Sehstörungen, Potenzstörungen, schlechter Wundheilung und eine erhöhte Infektionsrate (s. Kap. 6.9). Komplikationen. Die Hauptkomplikationen eines langjährig bestehenden Diabetes mellitus sind kardiovaskuläre, renale, gastrointestinale, neurologische und ophthalmologische Funktionseinschränkungen sowie eine erhöhte Inzidenz von Infektionen und Fußulzera. Diabetiker haben ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Wundinfektionen sowie für renale Ischämien und weisen eine erhöhte prähospitale Letalität nach einem Myokardinfarkt auf (Nesto 2004). Dyslipidämien sind bei DM Typ 2 weit verbreitet, wobei eine adäquate Statintherapie bzw. die Senkung der Triglyzeride die kardiovaskuläre Mortalität sogar bei Patienten vermindert, die nur an DM ohne Folgeerkrankungen leiden (Heart Protection Study Collaborative Group 2002 und Collins et al. 2003). Diese Studienergebnisse weisen eindrucksvoll auf den komplexen Zusammenhang zwischen altersbedingten Störungen des Glukosestoffwechsels und assoziierten kardiovaskulären und zerebrovaskulären Ereignissen hin. Bei 57–90 % aller Diabetiker bilden sich Neuropathien aus. Anästhesiologisch von besonderem Interesse sind dabei eine Ruhetachykardie, Belastungsintoleranz, orthostatische Hypotension, die Ausbildung eines stummen Myokardinfarktes, Temperaturintoleranz, Ösophagusdysmotilität, Gastroparese, neurogene Blase, reduzierte Erkennbarkeit und Reaktion auf Hypoglykämien sowie eine Allodynie und Hypoalgesie.
Cave
Die diabetische Gastroparese führt zu einem erhöhten Aspirationsrisiko.
Die Schwere einer diabetischen Nephropathie korreliert mit der Dauer des Diabetes und der Stoffwechselführung. Zu alledem sind oftmals Störungen der Gerinnungsfunktion im Sinne einer erhöhten Thromboseneigung nachzuweisen. Diese beruht sowohl auf Veränderungen der plasmatischen Gerinnung und Fibrinolyse als auch auf Thrombozytenfunktionsstörungen mit erhöhter Thromboxanproduktion (Colwell 2004). Acetylsalicylsäure reduziert in diesen Fällen erwiesenermaßen die Gefahr eines Myokardinfarktes (Physicians’ Health Study 1989).
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Merke
Die Hauptkomplikationen eines manifesten Diabetes mellitus im Alter sind kardiovaskuläre, renale, gastrointestinale, neurologische und ophthalmologische Funktionseinschränkungen sowie eine erhöhte Inzidenz von Infektionen.
2.6.3 Schilddrüse Die Spiegel des hypophysären Thyreoidea-stimulierenden Hormons (TSH) können bei Älteren durch Hungern und Glukokortikoidsubstitution vermindert sein. Andererseits sind bei 3 % der Männer und 7 % der Frauen im Alter die TSH-Spiegel erhöht, was auf eine erhöhte Prävalenz einer subklinischen primären Hyothyreose hinweist (Kunitake et al. 1992). Zudem ist die Freisetzung von TSH nach Stimulation durch das hypothalamische ThyreotropinReleasing-Hormon (TRH) im Alter reduziert. Die Serumspiegel der Schilddrüsenhormone (T3 bzw. T4) finden sich jedoch – trotz reduzierter T4-Sekretion – aufgrund einer verminderten Clearance-Rate unverändert. Auch die Spiegel von Thyroxin-bindendem Globulin (TBG) und Thyroxin-bindendem Präalbumin bleiben im Alter weitgehend konstant. Allerdings kann die extrathyreoidale Konversion von T4 in T3 bei einer Reihe von Erkrankungen vermindert sein und zu einem reduzierten T3-Gehalt im Serum führen. Hypothyreose. Bei 20 % der Frauen und 2 % der Männer über 60 Jahren liegt eine manifeste Hypothyreose vor, meistens ausgelöst durch eine Autoimmunthyreoiditis. Diese verläuft oft oligosyptomatisch mit Zeichen von Taubheit, Schwindel, Hypoventilation, Myopathie, Retardierung und Depression (Rehman et al. 2005). Kardiovaskulär können Bradykardien und Aggravierung einer vorbestehenden Herzinsuffizienz auftreten (s. Kap. 6.9).
Cave
Die Hypothyreose kann ein Myxödemkoma auslösen, insbesondere bei Patienten > 75 Jahre.
Hyperthyreose. Die Prävalenz einer Hyperthyreose im Alter liegt dagegen deutlich niedriger und wird auf 0,2– 2 % geschätzt. Beim älteren Menschen manifestiert sich diese zumeist mit Symptomen wie Vorhofflimmern, instabiler Angina, Herzinsuffizienz, Konstipation, Apathie, Schwitzen, Gewichtsverlust, Myopathie und Exophthalmus (Mokshagundam u. Barzel 1993). Die häufigsten Ursachen sind der Morbus Basedow, aber auch eine Struma multinodosa, solitäre Adenome, hyperaktive Knoten, eine subakute Thyreoiditis und das follikuläre Karzinom können eine Hyperthyreose auslösen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen, dass eine Hyperthyreose häufig mit einem erhöhten Risiko für Osteoporose und Frakturen assoziiert ist (Biondi et al. 2005).
Merke
Funktionsstörungen der Schilddrüse präsentieren sich im Alter oftmals oligosymptomatisch oder atypisch.
2.6.4 Nebenschilddrüse und Kalziumregulation Das Parathormon (PTH) der Nebenschilddrüse reguliert zusammen mit seinem Gegenspieler Kalzitonin, das in den C-Zellen der Schilddrüse gebildet wird, den Kalziumhaushalt des Körpers. Eine altersabhängige PTH-Resistenz aufgrund einer verminderten 1α-Hydroxylase-Aktivität in der Niere führt zu reduzierter 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D-Produktion mit konsekutiv verminderter intestinaler und renaler Kalziumresorption, erhöhten PTH-Spiegeln und einer gesteigerten Knochenresorption zur Aufrechterhaltung der Kalziumhomöostase. Ein Abfall des Serumkalziums sowie eine verminderte renale PTH-Clearance führen zu einem 30 %igen Anstieg der PTH-Spiegel zwischen dem 30. und dem 80. Lebensjahr (Baylink u. Jennings 1994). Eine verminderte Magensäureproduktion und die Unfähigkeit zur Steigerung der intestinalen Absorption bei niedrigem Kalziumspiegel führen ebenfalls zu einem Anstieg des PTH-Spiegels und folglich zu gesteigertem Knochenverlust (Eastell u. Riggs 1987).
Merke
Parathormonspiegel sind im Alter oftmals erhöht.
Hyperparathyreoidismus. Die Prävalenz eines primären Hyperparathyreoidismus liegt bei 2 : 1000 bei Frauen und 1 : 1000 bei Männern über 60 Jahre (Lyles 1994). Eine anhaltende Überproduktion von Parathormon durch Adenome, Hyperplasien oder Karzinome der Nebenschilddrüsen führt zu einem Anstieg des Serumkalziums und ggf. zu einer Reduktion des Serumphosphats. Bei massiv erhöhtem Serumkalzium, einer um 30 % verminderten Kreatininclearance, einer Knochendichte < 2,5 (T-score) und einem renalen Kalziumverlust > 0,4 g/24 h ist die operative Entfernung indiziert (Bilezikian et al. 2002). Der sekundäre Hyperparathyreoidismus wird aufgrund einer regulativen Hypersekretion (z. B. durch Niereninsuffizienz, Dialyse oder Nierentransplantation) verursacht und zeigt sich charakteristischerweise in der Kombination aus Normokalzämie und Hyperphosphatämie. 70–80 % der Patienten weisen eine verminderte Kreatininclearance, einen arteriellen Hypertonus, myokardiale und valvuläre Kalzifizierungen sowie Nephrolithiasis, Polyurie und Polydypsie auf. Darüber hinaus können noch unspezifische Symptome wie Depressionen, Müdigkeit und gastrointestinale Störungen auftreten. Gerade bei älteren Menschen überwiegen jedoch Beeinträchtigungen des neuromuskulären Systems („rheumatische“ Beschwerden) und Depressionen.
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2.6 Endokrines System
2.6.5 Nebenniere Katecholamine. Die Aktivität des sympatischen Nervensystems und die Noradrenalinspiegel basal und nach Stimulation sind im Alter erhöht (s. Kap. 3.7). Die basale Adrenalinsekretion des Nebennierenmarks ist im Alter deutlich reduziert. Bei einer verminderten Plasmaclearance sind jedoch die korrespondierenden Plasmakonzentrationen von Adrenalin in aller Regel unverändert. Obwohl der sympatische Tonus erhöht ist, nimmt die die α-/β-adrenerge Antwort auf katecholaminerge Stimuli im Alter ab (Supiano u. Halter 1992). Mineralokortikoide. Im Alter sinkt die Sekretion von Aldosteron, dessen Clearancerate sowie die Plasmaspiegel um ca. 30 % (Flood et al. 1967), was auf eine verminderte Plasma-Renin-Aktivität basal und nach Natrium-Restriktion zurückgeführt wird (Meneilly et al. 1988). Glukokortikoide. Täglich produziert ein erwachsener Mensch in Ruhe ca. 10–20 mg Kortisol, in Stresssituationen jedoch das bis zu 10-fache. Im Alter sind die Serumspiegel von adrenokortikotropem Hormon (ACTH) und Kortisol basal und nach ACTH-Stimulation bei sinkender Produktion und verminderter Clearance unverändert (Friedman et al. 1969). Ursache für einen Hyperkortisolismus ist bei geriatrischen Patienten eher ein paraneoplastisches ACTH-Syndrom (z. B. bei kleinzelligem Bronchialkarzinom). Ein Cushing-Syndrom dagegen ist in den meisten Fällen durch Substitution von Glukokortikoiden bedingt, ebenso das iatrogen ausgelöste Nebennierenversagen nach Kortisondauertherapie mit konsekutivem Hypoadrenokortisolismus (s. Kap. 6.9). Symptome einer chronischen Nebenniereninsuffizienz im Alter sind Anorexie und ein nachlassender funktioneller Status. Ein Drittel der Patienten weist initial keine Hyperkaliämie auf.
2.6.6 Sexualhormone Im Laufe der Jahre kommt es bei Frauen zu Rückgang der Ovarialhormonproduktion sowie zu einem Anstieg der Spiegel des luteinisierenden (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH). Darüber hinaus wird häufig eine gesteigerte Gonadotropin-Ausschüttung nach Stimulation durch das Gonadotropin-stimulierende Hormon (GnRH) aufgrund attenuierter negativer Feedback-Mechanismen beobachtet (Marshburn u. Carr 1994). Unter anderem aufgrund eines erhöhten Brustkrebsrisikos und einer erhöhten (perioperativen) Thromboseneigung ist die postmenopausale Substitution von Ovarialhormonen in den letzten Jahren zunehmend in Kritik geraten (Nelson et al. 2001, Brighouse 2001). Bei Männern dagegen kommt es im Alter zu einem Abfall der Testosteron- und DihydroestrogenandrogenKonzentrationen (DHEA) im Plasma (Stewart 2006). Auch hier sollte eine Hormonsubstitution nur bei Symptomen
und Befunden einer deutlichen Androgen-Defizienz durchgeführt werden.
Kernaussagen ●
●
Die basalen endokrinen Funktionen sind bei alten Menschen weitgehend normal, unterscheiden sich von denjenigen jüngerer Patienten aber darin, dass die unter endokriner Kontrolle stehende Homöostasefähigkeit beeinträchtigt ist und akute Störungen nur langsamer ausgeglichen werden können. Dieser Umstand spielt bei der Reaktion geriatrischer Patienten auf Stress und Trauma eine große Rolle. Vor allem Beeinträchtigungen des Glukosestoffwechsels mit konsekutiven Organmanifestationen, Schilddrüsenerkrankungen sowie Funktionsstörungen der Nebennieren und der Hypophyse sind für das anästhesiologische Management von unmittelbarer Relevanz.
Literatur Baylink DJ, Jennings JC. Calcium and bone homöostasis and changes with aging. In: Hazzard WR, Bierman EL, Blass JP et al. Principles of geriatric medicine and gerontology, 3rd ed. New York: McGraw-Hill; 1994: 879 Bilezikian JP, Potts JT jr., Fuleihan Gel-H et al. Summary statement from a workshop on asymptomatic primary hyperparathyroidism: a perspective for the 21st century. J Clin Endocrinol Metab 2002; 87(12): 5353–5361 Biondi B, Palmieri EA, Klain M et al. Subclinical hyperthyroidism: clinical features and treatment options. Eur J Endocrinol 2005; 152(1): 1–9 Brighouse D. Hormone replacement therapy (HRT) and anaesthesia. Br J Anaesth 2001; 86(5): 709–716 Collins R, Armitage J, Parish S et al. Heart Protection Study Collaborative Group. MRC/BHF Heart Protection Study of cholesterollowering with simvastatin in 5963 people with diabetes: a randomised placebo-controlled trial. Lancet 2003; 361(9374): 2005– 2016 Colwell JA. Antiplatelet agents for the prevention of cardiovascular disease in diabetes mellitus. Am J Cardiovasc Drugs 2004; 4(2): 87–106 Eastell R, Riggs BL. Calcium homöostasis and osteoporosis. Endocrinol Metab Clin North Am 1987; 16: 829 Flood C, Gheronadache C, Pincus G et al. The metabolism and secretion of aldosterone in elderly subjects. J Clin Invest 1967; 46: 961 Friedman M, Green MF, Sharland DE. Assessment of hypothalamicpituitary-adrenal function in the geriatric age group. J Gerontol 1969; 24: 292 Heart Protection Study Collaborative Group. MRC/BHF Heart Protection Study of cholesterol lowering with simvastatin in 20,536 high risk individuals: a randomized placebo controlled trial. Lancet 2002; 360: 7–22 Kunitake JM, Pekary AE, Hershman JM. Aging in the hypothalamicpituitary-thyreoid axis. In: Morley JE, Korenman SG. Endocrinology and metabolism in the elderly. Boston: Blackwell Scientific Publications; 1992: 92 Lyles KW. Hyperparathyreoidism. In: Hazzard WR, Bierman EL, Blass JP et al. Principles of geriatric medicine and gerontology. 3rd ed. New York: McGraw-Hill; 1994 Mashburn PB, Carr BR. The menopause and hormone replacement therapy. In: Hazzard WR, Bierman EL, Blass JP et al. Principles of geriatric medicine and gerontology. 3rd ed. New York: McGrawHill; 1994
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2 Physiologische Veränderungen im Alter Meneilly GS, Greenspan SL, Rowe JW et al. Endocrine systems. In: Rowe JW, Besdine RW, eds. Geriatric medicine. 2nd ed. Boston: Little, Brown & Co.; 1988: 402 Mokshagundam S, Barzel US. Thyroid disease in the elderly. J Am Geriatr Soc 1993; 41: 1361 Nelson HD, Humphrey LL, Nygren P et al. Postmenopausal hormone replacement therapy: scientific review. JAMA 2002; 288(7): 872– 881 Nesto RW. Correlation between cardiovascular disease and diabetes mellitus current concepts. Am J Med 2004; 116: 11S–22S Physiciansʼ Health Study. Final report on the aspirin component of
the ongoing Physiciansʼ Health Study. Steering Committee of the Physiciansʼ Health Study Research Group. N Engl J Med 1989; 321 (3): 129–135 Rehman SU, Cope DW, Senseney AD et al. Thyroid disorders in elderly patients. South Med J 2005; 98(5): 543–549 Stewart PM. Aging and fountain-of-youth hormones. N Engl J Med 2006; 355(16): 1724–1726 Supiano MA, Halter JB. The aging sympathetic system. In: Morley JE, Korenman SG. Endocrinology and metabolism in the elderly. Boston: Blackwell Scientific Publications; 1992: 92
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2.7 Skelettsystem und Muskulatur F. Wappler
2.7.1 Einführung Die Funktionen des Bewegungsapparates sind im Wesentlichen abhängig von der Skelettmuskulatur einschließlich der Sehnen, dem Bandapparat, der Menisken und den Gelenkknorpeln sowie dem Knochengerüst. Im Rahmen des physiologischen Alterungsprozesses kommt es zu zahlreichen Veränderungen und letztlich Einschränkungen von Funktionen, wie: ● Reduktion der groben Kraft (Muskelmasse ↓, Bewegungsinaktivität etc.) ● Minderung von Feinmotorik und Gelenkbeweglichkeit ● Degenerationsbedingte Schmerzsyndrome sowie Bewegungsschmerzen ● Einschränkung von Sinnesmodalitäten (Störung der Tiefensensibilität etc.) sowie Stell- und Gleichgewichtsreaktionen ● Verzögerung der Reaktionsgeschwindigkeit ● Störung von Kompensationsmechanismen (z. B. eingeschränkter Visus)
mit dem Knochenmark. Dieses wird im Laufe des Lebens sukzessive durch Fettgewebe ersetzt und bleibt nur in wenigen Knochen erhalten (z. B. Brustbein und Becken). Die Kortikalis macht ungefähr 80 % bis 85 % der Skelettmasse aus und bietet Festigkeit und Schutz für den Knochen. Der weniger dichte und elastischere trabekuläre Knochen macht ca. 80 % der gesamten Knochenoberfläche aus und weist einen höheren metabolischen Umsatz auf. Dabei spiegelt der Verlauf der Trabekel zumeist die Hauptbelastungsrichtungen des jeweiligen Knochens wider. Die Osteozyten sind in die Knochenmatrix eingebettet. Sie entstehen aus den Osteoblasten, als deren Gegenspieler die Osteoklasten fungieren. Die Knochenmatrix selbst besteht zu einem Drittel aus Wasser und organischen Materialien (Kollagen Typ I, Osteokalzin, Proteoglykanen etc.) sowie zwei Dritteln anorganischen Stoffen (insbesondere Kalziumhydroxylapatit).
Physiologie Obgleich spezifische Alterungsprozesse in unterschiedlichen Organen beobachtet werden, bestehen gemeinsame Grundzüge. So entwickelt sich eine Abnahme des Gewebes aufgrund einer Imbalance von Gewebsaufbau und -abbau. Die molekulare Struktur des Gewebes verändert sich bei Modifikation von Strukturproteinen sowie Anreicherung degradierter Moleküle in der Gewebsmatrix. Die Effizienz funktionaler Gewebselemente ist ebenso verringert wie zelluläre Syntheseleistungen. Die Stammzelldichte ist vermindert sowie auch die Menge zirkulierender trophischer Hormone.
2.7.2 Skelettsystem Anatomie Das Skelettsystem besteht aus 208 Knochen, wobei es individuelle Abweichungen von der Anzahl geben kann. Differenziert werden nach ihrem Aufbau Röhrenknochen, platte Knochen, kurze sowie unregelmäßige Knochen, luftgefüllte Knochen und Sesambeine, die sich in ihrer Größe erheblich unterscheiden. Der Knochen wird vom Periost umhüllt. Die eigentliche Knochensubstanz wird in die äußere Substantia corticalis und die innere Substantia spongiosa gegliedert. Im Inneren der langen Knochen befindet sich die Markhöhle
Die Osteoblasten bilden die Knochenmatrix durch Ausscheidung von Kollagen Typ 1 sowie Kalziumphosphaten und -carbonaten in den interstitiellen Raum. Die perichondrale Knochenbildung folgt dabei dem Prinzip der desmalen Ossifikation. Die Chondroblasten des Knorpelmantels wandeln sich in Osteoblasten um, wobei die Verknöcherung in der späteren Diaphyse beginnt und in Richtung Epiphyse fortschreitet. Die Knochenmanschette stört den Stoffwechsel der noch vorhandenen Knorpelzellen und führt zur Hypertrophie und Degeneration. Infolgedessen verkalkt die Knorpelmatrix und die Knorpelzellen sterben ab. Gleichzeitig legen sich Osteoblasten an die noch unverkalkten Knorpelreste an und induzieren die Neubildung von Osteoiden. Gefäße sprossen durch die Knochenmanschette und bringen Chondroklasten mit sich, die den Knorpel enzymatisch restlos abbauen. Daraufhin beginnt die enchondrale Knochenbildung. Durch ständigen Um- und Abbau entsteht die primäre Markhöhle (Spongiosabildung). Hier wird durch die äußere Knochenmanschette ein säulenartiger Aufbau der Knorpelzellen vermittelt, was die Voraussetzung für das Längenwachstum darstellt. Osteoklasten entwickeln sich aus hämatopoetischen Stammzellen und gehören zum mononukleär-phagozytären System. Die Hauptaufgabe dieser Zellen besteht in der Resorption der Knochensubstanz. Gesteuert wird die
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2 Physiologische Veränderungen im Alter Funktion der Osteoklasten durch verschiedene Hormone, wie Parathormon, Prostaglandin E2, Kalzitriol etc. Hemmend wirken Östrogene, Kalzitonin und Biphosphonate. Der An-, Ab- und Umbau des Knochens wird durch Osteoblasten und Osteoklasten in zwei verschiedenen Prozessen, dem Modelling und dem Remodelling, parallel durchgeführt. ● Das Modelling beschreibt die biologischen Vorgänge, die funktionell zweckmäßige Größen, Formen und einen entsprechenden Aufbau und Zuwachs erzeugen und damit den Knochen stärken. Während des Wachstums findet hauptsächlich das mit einer Zunahme der Knochenmasse einhergehende Modelling statt. ● Das Remodelling beschreibt den Umbau von Knochen in kleine Einheiten und ist der physiologische Weg, Knochen zu konservieren bzw. nicht mechanisch benötigten Knochen abzutragen. Koordiniert wird dieser Vorgang durch die Osteozyten, die mechanische Belastungen in biologische Signale übersetzen und diese dann an die end- und periostalen Knochenoberflächen weiterleiten. Reguliert wird das Remodelling durch Polypeptide, Steroid- und Thyroidhormone sowie durch lokale Faktoren, wie Zytokine, Prostaglandine als auch Wachstumsfaktoren (Chan u. Duque 2002).
Altersbedingte Veränderungen Bis zum 40. Lebensjahr befindet sich das menschliche Skelett in einer Aufbauphase, die durch eine Zunahme der Knochenmasse und eine sich verstärkende Mikroarchitektur charakterisiert ist. Der Hauptanteil der Knochenmasse (90–95 %), wird bis zum Alter von 18 Jahren angelegt, der Rest bis zum Ende des 30. Lebensjahres. Mädchen erreichen schon bis zum 16. Geburtstag 90–97 % der endgültigen so genannten erwachsenen Knochenmasse. Zeitlich gesehen findet die Zunahme der Knochengröße vor der Zunahme der Knochenmasse statt.
Merke
Die größte Knochenmasse oder „peak bone mass“ wird bis zum 40. bis 45. Lebensjahr er-
reicht. Mit steigendem Lebensalter überwiegen die Abbauvorgänge des Knochengewebes, die sich bei Frauen schneller entwickeln als bei Männern. Die Folgen sind „weichere“ Knochen und damit einhergehend ein erhöhtes Frakturrisiko. Die altersbedingten Veränderungen betreffen gleichermaßen den trabekulären und den kortikalen Knochen als auch das Knochenmark. Die Reduktion von trabekulären Volumen und Dicke sowie der Trabekelzahl ist gut belegt für den gealterten Knochen (Khosla et al. 2006). Diese Veränderungen beruhen auf zahlreichen Faktoren, wie dem gonadalen Status, der Ernährung sowie der physischen Aktivität (Chan u. Duque 2002). Weiterhin kommt es mit der Menopause zu einer Reduktion der Östrogen-
spiegel. Dieses bedingt, vermittelt über erhöhte Gewebsspiegel von Interleukinen, Tumornekrosefaktor (TNF) und Kolonie-stimulierenden Faktoren, eine verstärkte Osteoklastenbildung sowie Inhibition der Apoptoseraten („programmierter Zelltod“) von Osteoklasten. Der Anstieg der Osteoklastenzahlen in Kombination mit einer verlängerten Lebensdauer, induziert eine Entkopplung des Knochenumsatzes. Hiervon sind das Trabekelwerk und die Kortikalis gleichermaßen betroffen. Weitere Ursachen für die Osteopenie sind eine verminderte Toleranz der Zellen gegenüber oxidativem Stress sowie systemische Veränderungen im Alter. Oxidativer Stress führt zu einer reduzierten Knochenmineraldichte bei Frauen und Männern. Die altersbedingt höhere Sensitivität wird noch gesteigert durch konsekutiv sinkende Spiegel antioxidativ wirksamer Substanzen, wie zum Beispiel die Vitamine A, C und E. Die systemischen Ursachen verringerter Knochenmineraldichte sind vielfältig. Proinflammatorische Mediatoren wie Interleukin-6 sind erhöht und stimulieren die Bildung von Osteoklasten. Zirkulierende Parathormonspiegel sind im Alter erhöht, allerdings mit unterschiedlich ausgeprägtem Effekt auf den männlichen und weiblichen Knochen (Carrington 2005). Der „Insulin-like Growth-Factor“ (IGF) scheint ebenfalls einen Einfluss auf die Mineraldichte des Knochens zu nehmen. Darüber hinaus spielen offenbar auch andere Organveränderungen eine Rolle beim Knochenabbau, so korreliert die Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen mit der Häufigkeit der Osteoporose. Neben den Strukturänderungen am mineralisierten Knochen werden jedoch auch andere Anteile des Skelettsystems im Alter verändert. So ist das jugendliche Knochenmark nahezu frei von Fettgewebe. In höherem Alter kann der Anteil allerdings bis auf ca. 90 % ansteigen. Das Knorpelgewebe erfährt im Alter eine Funktionseinbuße. So ermöglichen die im Knorpel eingebetteten Proteoglykane eine starke Einbindung von Wasser und erreichen hierdurch eine hohe Druck- und Stoßfestigkeit. Diese Eigenschaft ist im Alter deutlich reduziert, ebenso wie die Ansprechbarkeit der Chondrozyten für Zytokine. Beide Mechanismen prädisponieren alte Menschen für Osteoarthritis und Bandscheibendegeneration. Ligamente verbinden die Knochen und stützen den Bewegungsapparat. Ihre Elastizität ermöglicht ihnen, mechanische Dehnungen zu absorbieren und ihre ursprüngliche anatomische Form anzunehmen (Freemont u. Hoyland 2007). Im Alter führen eine modifizierte Kollagensynthese sowie posttranslationale Änderungen in der Kollagen- und Elastinsynthese zu einer reduzierten Elastizität der Ligamente.
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2.7 Skelettsystem und Muskulatur
Osteoporose Merke
Die Osteoporose ist definiert als eine systemische Skeletterkrankung mit einer Verminderung der Knochenmasse und einer zunehmenden Störung der Mikroarchitektur des Knochengewebes mit nachfolgend reduzierter Festigkeit und erhöhter Frakturneigung (WHO). In Deutschland gibt es insgesamt 7 Millionen betroffene Patienten. Zwei Millionen Frauen sowie 800 000 Männer leiden unter den Folgen osteoporotisch bedingter Wirbelkörperfrakturen. Weiterhin sind 90 % aller Oberschenkelhals- und Wirbelköperfrakturen sowie 70 % aller distalen Radiusfrakturen bei postmenopausalen Frauen auf eine Osteoporose zurückzuführen. Die Inzidenz von Hüftfrakturen bei Osteoporose unterscheidet bis zum 70. Lebensjahr nicht zwischen männlichen und weiblichen Patienten, in höheren Alterstufen steigt die Inzidenz insgesamt deutlich an und liegt bei Frauen über 85 Jahren ca. 2,2fach höher als bei gleichaltrigen Männern (Abb. 2.6). Ursächlich für das steigende Frakturrisiko bei alten Patienten ist die konsekutive Verminderung der Knochendichte (EPOS 2002). So ist die Inzidenz von Wirbelkörperfrakturen abhängig von der radiologisch bestimmten Knochendichte, und steigt darüber hinaus mit zunehmendem Alter exponentiell an (Tab. 2.2). Wesentliche Faktoren, die den osteoporotischen Knochenverlust weiter fördern sind u. a. der altersbedingte Mangel an Testosteron und Östradiol (Fink et al. 2006). Die Therapie zielt je nach Stadium der Erkrankung auf die Verhinderung des Knochenschwundes, die Vermeidung osteoporotischer Frakturen sowie die Verminderung der Beschwerden durch Deformierungen und Frakturen (Ebeling 2008). Dies beinhaltet insbesondere eine suffiziente Schmerztherapie, Hormonsubstitution (z. B. Parathormon, Östrogene) und die Kyphoplastie/Vertebroplastie bei therapieresistenten Schmerzen (Bartl 2007).
Abb. 2.6 Altersabhängige Inzidenz von Hüftfrakturen bei Frauen und Männern (Quelle: Chang et al. 2004).
Arthrose Die Arthrose gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des Erwachsenen und insbesondere des alten Menschen (Swoboda 2001). Es handelt sich hierbei um ein heterogenes Krankheitsbild unterschiedlichster Ätiologien und ist charakterisiert durch ein Missverhältnis von Belastbarkeit und Belastung des Gelenkknorpels. Unterschieden werden primäre (idiopathische) von sekundären Arthrosen. Die Arthroseprävalenz steigt mit dem Alter und tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf (Tab. 2.3). Risikofaktoren für das Auftreten einer Arthrose sind u. a.: ● Geschlecht (postmenopausale Hormonumstellung?) ● zunehmendes Alter ● Adipositas ● Gelenkdeformitäten/frühere Gelenktraumata Folgen sind eine konsekutive Überlastung des Gelenkknorpels mit Chondrozytennekrosen, die letztlich zu einer Reduktion der Syntheseleistungen von Kollagen und Proteoglykanen führen. Morphologisch zeigt sich nach einer Phase der Gelenkknorpelschwellung schließ-
Diagnostische Kategorie
Knochenmineraldichte oder -gehalt
normale Knochenmasse
= innerhalb 1,0 SD des mittleren Referenzwertes eines jungen Erwachsenen (T-Score –1,0 oder höher)
niedrige Knochenmasse (Osteopenie)
= größer 1,0 SD aber kleiner 2,5 des mittleren Referenzwertes eines jungen Erwachsenen (T-Score zwischen –1,0 und –2,5)
Osteoporose
= 2,5 SD oder höher als der mittlere Referenzwert eines jungen Erwachsenen (T-Score –2,5 oder niedriger)
ernsthafte Osteoporose
= 2,5 SD oder höher als der mittlere Referenzwert eines jungen Erwachsenen in Kombination mit einem oder mehr Frakturen („low-trauma fractures“)
SD: Standardabweichung; T-Score: Maß für die Abweichung der Knochendichte eines Patienten von der Durchschnittsknochendichte („Normwert“) eines jungen Erwachsenen.
Tabelle 2.2 Diagnostische Kategorien für die Knochendichte (nach WHO).
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Altersgruppe (Jahre)
Hand (DIP 2–5)
Hüfte (rechts)
Knie (rechts)
35–39
4,2
–
–
40–44
8,9
–
–
45–49
22,0
2,6
12,7
50–54
41,6
2,0
16,1
55–59
55,5
2,6
14,0
60–64
68,9
3,8
24,2
65–69
76,0
10,9
33,3
70–74
74,7
14,8
40,2
75–79
73,5
14,5
40,2
≥ 80
72,7
26,0
54,6
lich eine Abnahme der Gelenkknorpelhöhe. In der Folge entwickeln sich Knorpelläsionen, die von zottenförmigen, zunächst oberflächlich ausgebildeten Gewebestörungen zu lokalisierten knorpelfreien Arealen führen. Im Endstadium kann der Gelenkspalt knorpelfrei mit sekundärer Deformation des subchondralen Knochengewebes imponieren. Die Klinik ist gekennzeichnet durch Schmerzen, Schwellungen der betroffenen Gelenke, muskulären Verspannungen, Funktionseinschränkungen oder -verlust sowie Deformitäten. Neben konservativen Maßnahmen (Physiotherapie, Orthesen, Analgetikagaben etc.) können letztlich operative Interventionen, wie Hüft- oder Kniegelenkersatz, indiziert sein.
2.7.3 Muskulatur Anatomie Makroskopisch unterscheidet man beim Skelettmuskel den Muskelbauch, der die kontraktilen Elemente (siehe unten) trägt, und die zumeist schmaleren Sehnen, die am Skelettknochen oder anderen Bindegewebsstrukturen inserieren. Skelettmuskeln können nur einen jedoch auch mehrere Muskelbäuche aufweisen, wie z. B. der M. quadriceps femoris. Skelettmuskeln sind als Ganzes umhüllt von der Muskelfaszie, die den Muskel gegen seine Umgebung abgrenzt und seine Verschieblichkeit innerhalb einer Muskelloge ermöglicht. Die Sehnen bestehen aus zugfesten, kollagenen Faserbündeln und sind nur sehr gering vaskularisiert. Die Verbindung zwischen Muskel und Sehne erfolgt gestaffelt, dies bedeutet eine enge Verzahnung beider Strukturen und ermöglicht eine hohe mechanische Belastbarkeit. Darüber hinaus umschließen doppelwandige Bindegewebsröhren, die Sehnenscheiden, die Sehne, um Reibungen an Knochen- und Bandstrukturen zu verhindern. Das Skelettmuskelgewebe wird mikroskopisch von quergestreiften Muskelfasern gebildet, deren Länge je nach dem Bau des Muskels sehr variabel ist. Die Fasern
Tabelle 2.3 Prävalenz (%) einer radiologisch gesicherten Arthrose bei Frauen in verschiedenen Altersgruppen und unterschiedlichen Lokalisationen (Quelle: Swoboda 2001).
der Muskulatur sind zu Faserbündeln zusammengefasst (Abb. 2.7). Jede Faser enthält Hunderte von Zellkernen, die fast ausschließlich an der Zelloberfläche liegen. Die Zellmembran der Muskelfaser (Sarkolemm) umschließt das Sarkoplasma (Zellplasma), zahlreiche Zellkerne, Mitochondrien, energiereiche Substrate sowie einige Hundert Myofibrillen. Jede Myofibrille ist in so genannte Sarkomere unterteilt, die durch die Anordnung von (dicken) Myosin- und (dünnen) Aktinfilamenten in der mikroskopischen Darstellung abwechselnd helle und dunkle Bänder erkennen lassen. Myosinfilamente bestehen aus einem Bündel von ca. 300 Myosin-II-Molekülen, die aus jeweils zwei schweren und vier leichten Polypeptidketten aufgebaut sind. Die Myosinmoleküle tragen je zwei „kopfförmige“ Strukturen, die über einen fadenförmigen Schwanzbereich mit dem Molekül verbunden sind. Die schweren Myosinketten weisen in der Kopfregion eine Bindungsstelle für Adenosintriphosphat (ATP) sowie für das Aktinmolekül auf. Energie verbrauchende Konformationsänderungen des Kopf-Schwanzbereiches ermöglichen eine aktive Bewegung des Kopfes bei der Interaktion mit dem Aktinmolekül. Das dünne Filament besteht aus Aktin und zwei Regulationsproteinen, dem Troponin und dem Tropomyosin. Troponin besteht wiederum aus drei Untereinheiten (Abb. 2.7). Das Troponin-C besitzt zwei regulatorische Bindungsstellen für Kalziumionen, Troponin-I inhibiert in Ruhe das Filamentgleiten (siehe unten) und Troponin-T interagiert mit beiden Untereinheiten sowie dem Aktin. Das Sarkolemm der Muskelfaser ist an zahlreichen Stellen senkrecht zu den Myofibrillen schlauchartig eingestülpt, diese werden als transversale Tubuli bezeichnet. Das sarkoplasmatische Retikulum (SR) ist ebenfalls spezifisch geformt und verläuft als longitudinales Tubulussystem in Längsrichtung zu den Myofibrillen. Die longitudinalen Tubuli bilden ein Reservoir für Kalziumionen und weisen damit wesentliche Bedeutung für den Muskelkontraktionszyklus auf. Die transversalen stehen mit je zwei longitudinalen Tubuli in enger räumlicher Beziehung und bilden die so genannten Triaden.
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2.7 Skelettsystem und Muskulatur Abb. 2.7 Anatomie und Physiologie der Skelettmuskulatur (Quelle: Urwyler 2006).
Physiologie Die wichtigste Funktion der quergestreiften Muskulatur ist die Muskelkontraktion. Bei Auslösung eines Aktionspotenzials (AP) kommt es zu einer Ausbreitung der Erregung entlang des Sarkolemms und des tubulären Systems bis in die Tiefe der Muskelfaser. Das AP erregt im Bereich der Triaden die spannungssensiblen Dihydropyridinrezeptoren (DHPR) und führt zu einer Konformationsänderung. Durch diese Konformationsänderung werden die benachbarten Kalziumfreisetzungskanäle oder Ryanodinrezeptoren (RYR) erregt, die sich in der Folge öffnen und
den Transport von Kalziumionen in das Myoplasma vermitteln. Dieser Vorgang ermöglicht letztlich den eigentlichen Kontraktionsvorgang. Im Ruhezustand besteht nur eine schwache Bindung zwischen Aktin und Myosin. Nach Bindung von Kalziumionen an den Troponin-Tropomyosin-Komplex aktiviert Aktin die ATPase des Myosins, sodass das an Myosin gebundene ATP gespalten wird in Adenosindiphosphat (ADP) und anorganisches Phosphat. Die Freisetzung des anorganischen Phosphats führt zu einer 1000-fach verstärkten Bindung zwischen Aktin und Myosin sowie einem Abkippen der Myosinköpfchen. Hierdurch wird
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2 Physiologische Veränderungen im Alter das Aktin am Myosin entlang gezogen und es kommt zu einer Verkürzung der Muskelfaser („Gleitfilamentmechanismus“). Für eine komplette Muskelverkürzung wird dieser Vorgang vielfach durchlaufen. Nach Abspaltung des ADP und Neubindung von ATP an das Myosin wird die Aktin-Myosin-Bindung wieder gelockert und die Myosinköpfe kehren in ihre Ruheposition zurück. Das aus dem SR freigesetzte Kalzium wird kontinuierlich in einem Energie verbrauchenden Prozess dorthin zurücktransportiert. Bei ausbleibender Erregung und entsprechendem Sistieren der Kalziumfreisetzung aus dem SR fällt die myoplasmatische Kalziumkonzentration somit rasch wieder ab und die Muskelkontraktion wird beendet.
Altersbedingte Veränderungen Während des Alterungsprozesses kommt es zu einem stetigen Verlust an Muskelmasse und -kraft. Diese Entwicklung beginnt bereits in der vierten Lebensdekade und ist ab dem 75. Lebensjahr deutlich beschleunigt (Nikolic 2005). Darüber hinaus ist dieser Prozess assoziiert mit einem gesteigerten Sturzrisiko, einer erhöhten Inzidenz von Hüftfrakturen sowie begleitenden physiologischen Veränderungen, wie einer gesteigerten Glukoseintoleranz und einem Verlust an Knochenmineraldichte. Folgende Faktoren spielen eine wesentliche Rolle bei der Alterung bzw. dem Muskelabbau: ● veränderte Muskelmorphologie ● Motoneuronverlust ● regenerative Kapazität (Rolle der Satellitenzellen) ● Veränderungen der Proteinsynthese ● hormonelle Umstellungen ● oxidative Schädigungen ● qualitative muskuläre Veränderungen ● Trainingszustand
Muskelmorphologie Merke
Zwischen dem 20. und 80. Lebensjahr kommt es zu einer ca. 50 %igen Verringerung der Muskelfaserzahlen (D’Antona et al. 2003). Diese Reduktion verläuft ab dem 60. Lebensjahr besonders rapide. Ursächlich hierfür ist eine Atrophie der Typ-II Fasern sowie der Verlust der Gesamtzahl an Typ-I- und -II-Fasern (Yu et al. 2007). Zwei grundlegende Mechanismen scheinen hierbei wesentliche Bedeutung zu haben: Zum einen verändert sich die Anzahl die Zellkerne pro Muskelfaserlänge, zum anderen das myoplasmatische Volumen (Hughes u. Schiaffino 1999). Darüber hinaus verändert sich im Laufe des Alterungsprozesses auch die Zusammensetzung der Muskelfasern. So kann in der Massetermuskulatur des jungen Menschen eine Prädominanz der Typ-I-Fasern aufgezeigt werden. Beim alten Menschen ist deren Anteil geringer und Typ-IIA- und Typ-IIAB-Fasern können nach-
gewiesen werden, die beim jungen Menschen zumeist fehlen (Monemi et al. 1999). Weiterhin weist der Massetermuskel unterschiedliche Zusammensetzungen der Myosinmoleküle in Abhängigkeit vom Alter auf. Diese Beobachtungen sind jedoch spezifisch für den jeweiligen Muskeltyp und können in anderen Regionen andere Charakteristika aufweisen.
Motoneuronverlust Merke
Die Anzahl spinaler Motoneuronen und physiologisch wirksamer Motoreinheiten sinkt im Alter. Dieser Prozess verläuft kontinuierlich und ist irreversibel. Morphologische Änderungen im Vorderhorn des Rückenmarks sind offenbar für die altersbedingte Muskelatrophie verantwortlich. Die Degeneration des Motoneurons führt zur Denervation der Muskelfaser mit Atrophie und Reduktion der Muskelmasse. Kompensatorisch können begleitende langsame („slowtwitch“) Motoneurone die Funktion der schnelleren („fast-twitch“) Fasern übernehmen und somit die Muskelatrophie verhindern. Allerdings sind eine langsamere Kontraktion und eine verringerte muskuläre Kraft die Folgen. Darüber hinaus können die Degenerationsraten der schnellen die Reinnervationsraten der langsamen Fasern übersteigen. Diese Veränderungen resultieren insgesamt in einer Imbalance und einem Geschwindigkeitsverlust von Bewegungsabläufen im Alter.
Regenerative Kapazität Muskuläre Satellitenzellen vermitteln das Wachstum von Muskelzellen sowie die Fähigkeit zur Regeneration nach Trauma. Die regenerative Kapazität des Muskels nimmt im Alter ab und könnte so einen Einfluss auf die Reduktion der Muskelmasse haben. Tierexperimentelle Daten belegen einerseits eine altersbedingte Abnahme der Anzahl von Satellitenzellen, andererseits scheinen diese auch eine verminderte metabolische Aktivität aufzuweisen. Gesteuert werden diese Prozesse durch myogene Regulationsfaktoren (MRF), deren Expression und/oder Aktivität ebenfalls im Alter vermindert sein können. Die Datenlage beim Menschen ist allerdings uneinheitlich und es wurde spekuliert, dass neben der Zahl von Satellitenzellen auch Veränderungen des inneren Milieus wesentlichen Einfluss auf deren Funktionen ausüben.
Veränderungen der Proteinsynthese Im Alter sinkt die Syntheserate von Muskelproteinen, Myosin und mitochondrialen Eiweißstoffen. Eine entscheidende Rolle hierbei spielen offenbar die MRF (siehe oben), die wesentlich zur Transkription spezifischer muskuläre Gene beitragen und somit der Synthese bestimm-
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2.7 Skelettsystem und Muskulatur ter muskulärer Proteine. Ein weiterer Mechanismus könnte in einer mitochondrialen Dysfunktion bestehen, die zu einer Reduktion der DNA-Syntheseraten sowie RNA-Konzentrationen und oxidativer Enzymaktivitäten führt.
Hormonelle Umstellungen Merke
Der Alterungsprozess geht mit Veränderungen zahlreicher hormoneller Systeme einher. Unter anderem kommt es zu einem Abfall der Spiegel von Wachstumshormon („Growth-Hormone“; GH), Testosteron sowie des „Insulin-like Growth-Factor-I“ (IGF-I). GH und IGF-I spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation des Proteinmetabolismus; GH und Testosteron sind essenziell für die Proteinbalance, während die IGF-I-Spiegel positiv mit der Synthese von Aktin- und Myosinfilamenten korrelieren. Ein permanenter Abfall dieser Hormone führt sowohl zu einer Abnahme der Muskelmasse als auch einem Anstieg des Gesamtkörperfettgehaltes.
Oxidative Schädigungen Der normale zelluläre Metabolismus generiert freie Radikale, wie reaktive Sauerstoff- und Stickstoffgruppen sowie Aldehyde, die mit Proteinen, DNA und Lipiden reagieren. Freie Radikale werden ebenso wie große Mengen an ATP in den Mitochondrien der Muskeln gebildet. Diese reaktionsfreudigen Stoffe führen wiederum durch Peroxidation von Membranphospholipiden, Modifikation nukleärer DNA und Proteinen zu einem oxidativen Schaden. Weiterhin steigern systemische Inflammation und insbesondere erhöhte Spiegel von TNF-α die Produktion freier Sauerstoffradikale. Darüber hinaus ist im Alter die Produktion des Hitzeschockproteins 70 (HSP70) verringert, welches wiederum protektiv gegenüber oxidativen Schäden wirkt.
Kraftverlust bedingen (Nair 2005). Zudem könnte auch ein Anstieg der Compliance der Sehnen im Alter zu einer unphysiologischen Verkürzung der Sarkomere während der Kontraktion führen. Diese übermäßige Verkürzung führt zu suboptimalen Kontraktionsbedingungen („FrankStarling-Kurve“!) und somit zu einer verringerten Kraftentfaltung. Letztlich könnte auch die zunehmende Glykosylierung des Myosinmoleküls eine relevante Rolle spielen, die aus einer verringerten Insulinsensitivität sowie einer verschlechterten Balance der Blutglukose resultiert.
Trainingszustand Skelettmuskulatur ist sehr anpassungsfähig und reagiert rasch auf veränderte funktionelle Bedingungen. Während z. B. muskuläres Training zu einer Erhöhung der oxidativen Kapazität und Hypertrophie führt, bedingt körperliche Inaktivität eine Muskelatrophie. Auch im Alter führt Training zu einer Steigerung von Muskelmasse und -kraft, und eine erhöhte Festigkeit der Sehnen vermittelt eine beschleunigte Kontraktion (Degens 2007). Darüber hinaus führt das Training im Alter zu geringeren TNF-α-Spiegeln sowie einer Abnahme von Apoptoseraten. Weiterhin wird hierdurch die Proteinsynthese bis zu 50 % gesteigert als auch die Bildung von Satellitenzellen. Diese Faktoren ermöglichen einerseits eine verbesserte muskuläre Arbeit und andererseits eine optimierte Regenerationsfähigkeit.
Kernaussagen ●
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Qualitative muskuläre Veränderungen Muskelschwäche sowie Verlangsamung muskulärer Aktivitäten sind bekannte Phänomene des alten Menschen. Im Alter entwickelt sich eine signifikante Abnahme der Verkürzungsgeschwindigkeit bei der Muskelkontraktion sowie Kontraktionskraft (Vandervoort 2002). Ursächlich hierfür könnten die oben beschriebenen morphologischen Veränderungen sein. Die Verkürzungsgeschwindigkeit von Typ-II-Fasern ist signifikant höher als die der Typ-I-Fasern. Da Typ-II-Fasern in höherem Maße als TypI-Fasern im Alter abgebaut werden, ist eine Verlangsamung der Verkürzungsgeschwindigkeit eine logische Folge. Auch die Zunahme bindegewebiger Strukturen und der gestiegene Fettgehalt des Muskels könnten einen
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Mit steigendem Lebensalter überwiegen die Abbauvorgänge des Knochengewebes, die sich bei Frauen schneller entwickeln als bei Männern. Die Osteoporose ist definiert als eine systemische Skeletterkrankung mit einer Verminderung der Knochenmasse und einer zunehmenden Störung der Mikroarchitektur des Knochengewebes mit nachfolgend reduzierter Festigkeit und erhöhter Frakturneigung. Die Arthrose ist eine chronische Erkrankung des Erwachsenen und insbesondere des alten Menschen. Es handelt sich hierbei um ein heterogenes Krankheitsbild unterschiedlichster Ätiologien und ist charakterisiert durch ein Missverhältnis von Belastbarkeit und Belastung des Gelenkknorpels. Während des Alterungsprozesses kommt es zu einem kontinuierlichen Verlust an Muskelmasse und -kraft. Diese Entwicklung beginnt bereits in der vierten Lebensdekade und ist ab dem 75. Lebensjahr deutlich beschleunigt. Training im Alter führt zu einer Steigerung von Muskelmasse und -kraft, eine erhöhte Festigkeit der Sehnen vermittelt eine beschleunigte Kontraktion.
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
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2.8 Wärmeregulation A. Bräuer
2.8.1 Physiologische Grundlagen Physiologie des Wärmehaushaltes Der Mensch hält seine Körperkerntemperatur trotz wechselnder Umgebungstemperatur auf einem konstanten Niveau von etwa 36,5 bis 37 °C. Als Körperkern werden dabei die inneren Gewebe des Körpers bezeichnet, deren Temperaturverhältnis untereinander nicht durch Anpassungen von Kreislauf oder durch Wärmeverlust zur Umwelt beeinflusst werden (The Commision for Thermal Physiology of the International Union of Physiological Sciences 2001). Dabei schwankt die Körperkerntemperatur tagesrhythmisch. Die niedrigsten Körperkerntemperaturen werden nachts gefunden, die höchsten am frühen Nachmittag. Die Regulation des Wärmehaushalts erfolgt im hinteren Anteil des Hypothalamus. Dort laufen afferente Impulse von Wärme- und Kälterezeptoren ein. Diese stammen zum Teil von temperaturempfindlichen Wärmeoder Kälteneuronen des vorderen Hypothalamus selbst (Area praeoptica) (ca. 20 %), zum Teil aus anderen Teilen des Gehirns (ca. 20 %), aus dem Rückenmark (ca. 20 %), aus dem Abdomen (ca. 25 %) und aus der Haut (ca. 15 %) (Sessler 1990). In der Area hypothalamica posterior werden diese Informationen durch thermoresponsive Zellen verarbeitet. Dabei spielen Transmitter wie Histamin (Hirose et al.), Noradrenalin, Dopamin, Serotonin, Acetylcholin, Prostaglandin E1 sowie verschiedene andere Neuropeptide (Sessler 1990) eine Rolle.
Reaktion auf Abkühlung Bei Abkühlung setzen Regelprozesse ein, die zunächst eine thermoregulatorische Vasokonstriktion auslösen. Durch Noradrenalinfreisetzung aus sympathischen Nervenfasern werden an arteriovenösen Shunts α1-Rezeptoren stimuliert und führen dort zur Vasokonstriktion. Diese arteriovenösen Shunts befinden sich hauptsächlich in der Lederhaut der Akren. Durch die Abnahme der peripheren Hautdurchblutung kommt es zu einer Abkühlung der der Haut. Dadurch verringert sich der Temperaturgradient zwischen Haut und Umgebung und damit auch die Wärmeabgabe über die Haut. Darüber hinaus kommt es zu einer Umverteilung des venösen Rückstroms. Das venöse Blut der Extremitäten
fließt nun weniger durch die oberflächlichen Venen zurück, sondern vermehrt durch die tiefen Venen und tauscht dort die Wärme mit der direkt danebenliegenden Arterie im Gegenstromprinzip aus. Über diesen Mechanismus führt die thermoregulatorische Vasokonstriktion zu einer funktionellen Trennung von Körperkern und Körperschale. Dies ist der entscheidende Wirkmechanismus der thermoregulatorischen Vasokonstriktion (Sessler 1990, Sessler 1997). Reicht dieser Mechanismus zur Konstanthaltung der Körperkerntemperatur nicht aus, so wird die Wärmebildung zusätzlich durch Kältezittern gesteigert (Abb. 2.8). Parallel zu diesen autonom ablaufenden Mechanismen greift der Mensch bewusst durch sein Verhalten steuernd ein.
2.8.2 Physikalische Grundlagen Physikalische Mechanismen des Wärmeaustausches Der menschliche Körper tauscht mit seiner Umgebung über vier Mechanismen Wärme aus: Konduktion, Konvektion, Radiation und Evaporation. Ganz grundsätzlich fließt Wärme immer vom Ort der höheren Energie zum Ort mit niedrigerer Energie. Die Größe des Wärmeaustausches bestimmen drei Faktoren: 1. Der treibende Energiegradient. Dies ist für Konduktion, Konvektion und Radiation der Temperaturgradient. Beim evaporativen Wärmeaustausch ist der treibende Energiegradient die Wasserdampfpartialdruckdifferenz. 2. Die wärmeaustauschende Fläche. 3. Der Wärmeaustauschkoeffizient h. Der Wärmeaustausch wird wie folgt beschrieben: . Q = ΔT · A · h. Dabei ist: . Q = Wärmeaustausch [W] ΔT = Temperaturgradient [°C] A = Fläche [m2] h = Wärmeaustauschkoeffizient [W m–2 °C–1] Verändert sich der Temperaturgradient und misst man zeitgleich den Wärmeaustausch pro Flächeneinheit, so lässt sich aus diesen Daten der Wärmeaustauschkoeffizient bestimmen. Dazu wird der Wärmefluss pro Flä-
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2 Physiologische Veränderungen im Alter
Abb. 2.8 Das Thermoregulationszentrum befindet sich im hinteren Hypothalamus. Hier laufen die afferenten Impulse aus dem vorderen Hypothalamus, aus anderen Teilen des Gehirns, aus dem Rückenmark, aus dem Abdomen und der Haut ein. Beim Erreichen bestimmter Schwellenwerte werden thermoregulatorische Gegenmechanismen wie Vasokonstriktion und Kältezittern ausgelöst.
cheneinheit über dem Temperaturgradienten aufgetragen und durch die Datenpunkte eine Regressionsgerade gelegt (Abb. 2.9). Dieser Wärmeaustauschkoeffizient erlaubt dann die Effektivität des betrachteten Wärmeaustauschmechanismus zu quantifizieren. Dabei ist der Wärmeaustauschkoeffizient vom Temperaturgradienten unabhängig. Die Kenntnis des Wärmeaustauschkoeffizienten erlaubt die Berechnung der Wärmeflüsse, wenn nur der Temperaturgradient bekannt ist (English 2001).
det konvektive Wärmeübertragung nur in Gasen oder Flüssigkeiten statt (English 2001). Beispiel: Konvektive Luftwärmer.
Konduktion Bei Konduktion wird Wärme von Molekül zu Molekül übertragen. Dabei kommt es zu einer Steigerung der Energie der Moleküle und auch der Temperatur. Bei konduktiver Wärmeübertragung bleiben alle beteiligten Moleküle an ihrem Standort. Daher kann konduktive Wärmeübertragung nur in oder zwischen Festkörpern stattfinden (English 2001). Beispiel: Elektrisch oder wasserbetriebene Wärmematten.
Konvektion Bei Konvektion wird Wärme ebenfalls von Molekül zu Molekül übertragen. Dabei kommt es auch hier zu einer Steigerung der Energie der Moleküle und der Temperatur. Anders als bei Konduktion ändern bei konvektiver Wärmeübertragung die Moleküle ihren Standort. Daher fin-
Abb. 2.9 Linearer Zusammenhang zwischen Wärmefluss pro Fläche und Temperaturgradienten bei konduktivem Wärmeaustausch zwischen einer mit Gel beschichteten Wassermatte und dem Rücken.
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2.8 Wärmeregulation
Radiation Bei Radiation wird Wärme durch elektromagnetische Wellen zwischen zwei Körpern mit unterschiedlicher Temperatur übertragen. Dabei wird kein Medium zur Wärmeübertragung benötigt. Wenn Strahlung auf einen festen Körper trifft, so kann diese Strahlung entweder den Körper durchdringen, reflektiert oder absorbiert werden. Nur extrem dünne Körper können von Infrarotstrahlung durchdrungen werden. Diese Möglichkeit kann bei der Interaktion von Infrarotstrahlung mit dem menschlichen Körper vernachlässigt werden. Der Anteil an Strahlung, der von einem Körper absorbiert wird, ist abhängig vom Absorptionsvermögen dieses Körpers. Da die menschliche Haut eine Emissivität von annähernd 1 hat, wird die auftreffende Infrarotstrahlung fast vollständig absorbiert. Der restliche Anteil der Strahlung wird reflektiert. Beispiel: Infrarotstrahler.
Vorerkrankungen. Zusammen mit der damit verbundenen Medikation sind diese Patienten schon vor jeglicher anästhesiologischen Maßnahme gefährdet, hypotherm zu werden. Auch bei gesunden älteren Menschen sind die Kälteabwehrmechanismen wie Vasokonstriktion und Steigerung der Wärmeproduktion abgeschwächt (Kenney u. Munce 2003, DeGroot u. Kenney 2006). Dies führt in Verbindung mit einer reduzierten Muskelmasse, einem geringeren Ruheenergieumsatz (Harris u. Benedict 1919) und dem reduzierten subkutanen Fettgewebe (Priebe 2000) dazu, dass ältere Menschen unter Kältestress schneller hypotherm werden (Kenney u. Munce 2003). Dies ist auch unter perioperativen Bedingungen nachgewiesen (Kurz et al. 1993).
Kernaussagen ●
Evaporation Bei Evaporation wird Wärme durch die Verdunstung von Feuchtigkeit abgegeben. Die Wassermoleküle diffundieren hierbei von einer feuchten Oberfläche mit einem hohen Wasserdampfpartialdruck zu einem Ort mit niedrigerem Wasserdampfpartialdruck. Das Ausmaß der Evaporation ist hierbei abhängig vom Unterschied des Wasserdampfpartialdrucks. Durch Zunahme der Luftgeschwindigkeit erhöht sich auch das Ausmaß der Wärmeabgabe durch Evaporation. Dabei besteht ein linearer Zusammenhang zwischen evaporativem Wärmeverlust und konvektivem Wärmeverlust (English 2001). Beispiel: Wärmeverlust über das eröffnete Peritioneum.
2.8.3 Besonderheiten beim alten Menschen Die Körperkerntemperatur von gesunden älteren Menschen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der jüngerer Menschen. Kommen allerdings zusätzliche Faktoren, wie z. B. Mangelernährung, Untergewicht, Rauchen, Alkoholkonsum, Diabetes mellitus, neurologische Erkrankungen oder der Einfluss verschiedener Medikamente wie z. B. von Neuroleptika (Kudoh et al. 2004) hinzu, dann finden sich häufig niedrige Körperkerntemperaturen bei älteren Menschen (Kenney u. Munce 2003). In aller Regel sind ältere Patienten, die sich einem größeren operativen Eingriff unterziehen müssen, nicht gesund. Sehr viele dieser Patienten haben kardiovaskuläre, pulmonale, renale, neurologische und psychiatrische
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Bei Abkühlung reagiert der menschliche Körper zunächst mit einer thermoregulatorischen Vasokonstriktion zur Aufrechterhaltung der Körperkerntemperatur. Bei Nichterfolg setzt das Kältezittern zur Wärmebildung ein. Ältere Menschen mit Vorerkrankungen haben häufig niedrige Körperkerntemperaturen. Ältere Menschen sind generell anfälliger für Hypothermie unter Stressbedingungen.
Literatur DeGroot DW, Kenney WL. Impaired defense of core temperature in aged humans during mild cold stress. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol 2006; 292: R103–108 English MJM. Physical principles of heat transfer. Curr Anaesth Crit Care 2001; 12: 66–71 Harris JA, Benedict FG. A biometric study of basal metabolism in man. Philadelphia: Lippincott; 1919 Hirose M, Hara Y, Matsusaki M. Premedication with famotidine augments core hypothermia during general anesthesia. Anesthesiology 1995; 83: 1179–1183 Kenney WL, Munce TA. Invited review: aging and human temperature regulation. J Appl Physiol 2003; 95: 2598–2603 Kudoh A, Takase H, Takazawa T. Chronic treatment with antipsychotics enhances intraoperative core hypothermia. Anesth Analg 2004; 98: 111–115 Kurz A, Plattner O, Sessler DI et al. The threshold for thermoregulatory vasoconstriction during nitrous oxide/isoflurane anesthesia is lower in elderly than in young patients. Anesthesiology 1993; 79: 465–469 Priebe H-J. The aged cardiovascular risk patient. Brit J Anaesth 2000; 85: 763–778 Sessler DI. Mild perioperative hypothermia. N Engl J Med 1997; 336: 1730–1737 Sessler DI. Temperature monitoring. In: Miller RD, Hrsg. Anesthesia. 3. Aufl. New York: Churchill Livingstone; 1990: 1227–1242 The Commission for Thermal Physiology of the International Union of Physiological Sciences. Glossary of terms for thermal physiology. 3rd ed. Jpn J Physiol 2001; 51: 245–280
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Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten 3.1
Allgemeine Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
3.2
Analgetika, Ko-Analgetika und Opiate
3.3
Injektionsanästhetika
3.4
Muskelrelaxanzien
3.5
Volatile Anästhetika
3.6
Lokalanästhetika
3.7
Katecholamine
3.8
Antibiotika
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3.1 Allgemeine Pharmakokinetik und Pharmakodynamik H. Schwilden
3.1.1 Einleitung Der Begriff „Alter“ im Zusammenhang mit medizinischer Versorgung ist ein schillernder Begriff, der eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen zulässt. In diesem Beitrag soll der Begriff in seiner einfachsten Form – nämlich Anzahl der Lebensjahre nach der Geburt – gehalten werden. Legt man diese Definition zugrunde, so muss man nach eingehender Literaturrecherche zu der Überzeugung kommen, dass die solitäre Größe „Lebensalter in Jahren über 65“ an sich und für sich allein genommen nicht als Determinante für pharmakologische Änderungen mit relevantem Einfluss auf die Verabreichung von Anästhetika identifiziert werden konnte. Die pharmakotherapeutische Aufgabe lautet für jedes Lebensalter und jegliche Arzneimitteltherapie gleich: Welche Dosierung der arzneilich wirksamen Substanz wird in welcher galenischen Formulierung über welchen Zugangsweg dem Patienten zugeführt? Hierbei meint der Begriff Dosierung den zeitlichen Verlauf der Pharmakonmenge pro Zeiteinheit, die verabreicht wird. Dies kann durch das Funktionensymbol I(t) in rechnerischer Form ausgedrückt werden. I(t) ist die mit der Dimension Masse/Zeit (z. B. mg/min) behaftete Zahl, die angibt, welche Menge des Pharmakons pro Zeiteinheit zum Zeitpunkt t appliziert wird. Für die Anästhesiologie reicht es aus, dampf- bzw. gasförmige und in Lösungsmittel gelöste Substanzen zu betrachten, die über venöse Zugänge oder die Atemwege an den Ort der Wirkung gelangen. Das klinisch praktische Problem lautet nun, wie hängt die Funktion I(t) vom Alter ab, wenn jeweils ein gleicher Effekt E angestrebt wird. Der Zusammenhang zwischen Effekt E, oder präziser dem zeitlichen Verlauf des Effektes E(t) und I(t) wird durch die Einführung eines Zwischenschrittes modelliert, nämlich des Verlaufs der Konzentration c(t) im Körper (z. B. Blutplasma). Dadurch entsteht eine zweistufige Kausalkette: I(t) → c(t) → E(t). Die erste Stufe bezeichnet man als Pharmakokinetik, die zweite Stufe als Pharmakodynamik. Um diese Beziehungen in Worten zu verdeutlichen hat sich folgender englischer Aphorismus eingebürgert: „Pharmacokinetics is what the body does to the drug“. „Pharmacodynamics is what the drug does to the body“. I(t)
pharmacokinetics
→ c(t)
pharmacodynamics
→ E(t).
Der Gesamtzusammenhang zwischen dem Effektverlauf und der Dosierung ist ein nicht linearer und in komplexer Weise von der Zeit abhängiger Prozess, den man als Funktional und nicht als Funktion bezeichnet, weil der Effekt zum Zeitpunkt t nicht nur von der Dosierung zum Zeitpunkt t, sondern von der gesamten bis zum Zeitpunkt t erfolgten Dosierung abhängt. Die pharmakokinetischpharmakodynamische Forschung der letzten fast 50 Jahre in der Anästhesiologie hat ergeben, dass die gesamte Zeitabhängigkeit in dem pharmakokinetischen Teilfunktional gebündelt ist. Dieses Teilfunktional hat aber die angenehme Eigenschaft linear zu sein. Das bedeutet, vervielfacht man den Dosierungsverlauf, so wird in gleicher Weise der resultierende Konzentrationsverlauf vervielfacht. Darüber hinaus geht man meistens von einer Zeitinvarianz aus, was konkret bedeutet, dass der Zusammenhang zwischen Konzentration und Dosierung nicht von beiden Zeitpunkten der Gabe einer Dosis und der Messzeitpunkt der Konzentration explizit abhängt, sondern nur von der relativen Zeit zueinander, also von der Zeitdifferenz zwischen Dosierung und Konzentration. Die Pharmakodynamik bündelt die gesamte Nicht-Linearität des Gesamtzusammenhangs. Dieses Teilfunktional, also der Zusammenhang zwischen Effektverlauf und Konzentrationsverlauf, kann als eine Funktion betrachtet werden, d. h. der Effekt zum Zeitpunkt t hängt nur und alleine von der Konzentration zum Zeitpunkt t und nicht von weiteren früheren Zeitpunkten ab (Schüttler u. Schwilden 2008). Es ist eine allgemeine mathematische Tatsache, dass ein linearer zeitinvarianter Zusammenhang zwischen der Konzentration c(t) und der Dosierung I(t) beschrieben werden kann durch eine Formel der Gestalt t
c(t) = ∫G(t– t′)l(t′)dt′ 0
mit einer geeigneten Funktion G(t), hierbei bezeichnet die Zeit t′ den Zeitpunkt der Dosierung und t den Zeitpunkt der Konzentration, ganz offensichtlich gilt t′ ≤ t. Besteht die Dosierung nur aus einem Bolus der Dosis D0 zum Zeitpunkt t = 0, so vereinfacht sich die Formel zu t
c(t) = ∫G(t– t′)D0δ(t′)dt′ = G(t)D0. 0
Das bedeutet, G(t) ist nichts anderes als der Konzentrationsverlauf nach einem Bolus der Einheitsdosis. Den Blutspiegelverlauf nach einem Bolus bezeichnet man auch als Dispositionfunktion. Die Anzahl der ver-
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten schiedenen Exponenten, die zur adäquaten Beschreibung des Blutspiegelabfalls c(t) benötigt wird, stimmt mit der Anzahl der Kompartimente des unterlegten Kompartmentmodells überein. Für ein 3-Kompartmentmodell ergibt sich somit ein triexponentieller Blutspiegelverlauf c(t): c(t) =
D (Ae–αt + Be–βt + Ce–γt); A + B + C = 1. V1
Diese Dispositionsfunktion kann als Lösungen eines Systems dreier Differenzialgleichungen betrachtet werden, die den Pharmakontransfer zwischen drei verschiedenen Volumina, den drei Kompartimenten, beschreibt. Im Rahmen dieser Modellstruktur wird weiterhin die Annahme gemacht, dass die Pharmakonmenge, die pro Zeiteinheit von einem Kompartiment i nach einem Kompartiment j transferiert wird, ein konstanter Bruchteil der im Kompartiment i befindlichen Pharmakonmenge ist. Dieser konstante Bruchteil pro Zeiteinheit wird als sog. Mikrokonstante bezeichnet und mit kij abgekürzt. In dieser Systematik wird die Bezeichnung k10 benutzt, um die Elimination der Substanz aus dem zentralen Kompartiment, das typischerweise die Nummer „1“ erhält, zu bezeichnen, eine andere Bezeichnung ist auch kel. Betrachtet man nunmehr ein typisches 3-Kompartmentmodell (Abb. 3.1) mit den Anästhetikamengen m1 im zentralen Kompartiment, m2 im sog. „flachen“ oder schnell äquilibrierenden peripheren Kompartiment und m3 im sog. „tiefen“ oder langsam äquilibrierenden peripheren Kompartiment, so folgen aus dem Massenerhaltungsgesetz für die Änderung der Mengen dmi/dt in den drei Kompartimenten folgende drei Differenzialgleichungen: dm1 = –(k10 + k12 + k13)m1 + k21m2 + k31m3 + I(t) dt dm2 = k12m1 – k21m2 dt dm3 = k13m1 – k31m3. dt
Dabei wird angenommen, dass die Dosierung I(t) des Medikamentes in das zentrale Kompartiment „1“ erfolgt. I(t) bezeichnet hierbei die zum Zeitpunkt t in das Verteilungsvolumen V1 verabreichte Menge pro Zeiteinheit. Eine Bolusgabe zum Zeitpunkt t = 0 entspricht dabei einer Idealisierung, nämlich der Gabe der Bolusmenge in einer beliebig kleinen, infinitesimalen Zeiteinheit. Hieraus ergibt sich, dass die Änderung der gesamten Menge im Körper (m1 + m2 + m3) durch die Differenz zwischen Zufuhr I(t) und Elimination k10m1 gegeben ist: d(m1 + m2 + m3) = I(t) – k10m1. dt Betrachtet man diese Beziehung im Steady-State, wenn m1 = c1V1 konstant und I(t)=konstant sind und die linke und rechte Seite der obigen Gleichung gleich 0 ist, so ergibt sich, dass zwischen V1, k10 und der Clearance Cl (s. 3.1.3) der Zusammenhang besteht Cl = k10V1. Natürlich sind die Mengen m1…m3 ohne besondere Vorkehrungen praktisch nie messbar. Im Regelfall ist die Konzentration im Blut bzw. Plasma die einzig messbare Größe. Die Mengen in den verschiedenen Verteilungsvolumina werden deshalb rechnerisch mit Hilfe des Verteilungsvolumens V1 ermittelt. Es ist eine ungeschriebene Konvention, dass die Exponenten α,β, γ der Größe nach geordnet werden, γ also der kleinste Exponent und damit die langsamste Zeitkonstante ist. Den Parametersatz (A, B, C, α, β, γ) bezeichnet man auch als pharmakokinetische Hybridparameter. Mit jedem Exponenten werden üblicherweise verschiedene Prozesse assoziiert. Mit dem ersten Exponenten (αPhase) wird die schnelle Verteilung in das flache periphere Kompartiment verbunden und mit der β-Phase die Verteilung in das tiefe periphere Kompartiment, während die γ-Phase mit der Elimination in Verbindung gebracht wird. Die Fläche unter der Kurve (AUC) ist gegeben durch AUC =
D A B C ( + + ) V1 α β γ
woraus sich die Clearance ergibt zu Cl =
Abb. 3.1 Das sog. 3-Kompartmentmodell ist heute das Standardmodell für die Pharmakokinetik von i. v. verabreichten Anästhetika. Es besteht aus dem zentralen Kompartment mit dem Verteilungsvolumen V1 und zwei sog. peripheren Kompartments mit den Verteilungsvolumina V2 und V3, deren Benennung üblicherweise so erfolgt, dass gilt V2 < V3. Die sog. Transfer- oder Mikrokonstanten kij bezeichnen den Bruchteil der Pharmakonmenge in Kompartment i, der pro Zeiteinheit in das Kompartment j transferiert wird. k10 bezeichnet hierbei die Elimination aus dem Körper. Dass die Elimination nur aus dem zentralen Kompartment erfolgt, ist eine Modellannahme und nicht etwa das Ergebnis eines Messprozesses.
D V1 . = AUC A + B + C α β γ
Bei der Bestimmung der Altersabhängigkeit der Pharmakokinetik wäre nun ein denkbarer Weg, die Altersabhängigkeit der einzelnen Parameter A, B, C, α, β, γ zu modellieren. Dies führt aber zu sehr abstrakten mathematischen Konstrukten, die man aufgibt zugunsten einer stärker physiologisch orientierten Betrachtungsweise durch Größen wie die Clearance und verschiedene Verteilungsvolumina.
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3.1 Allgemeine Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
3.1.2 Verteilungsvolumen
3.1.3 Clearance
Der Zusammenhang zwischen Dosis (Arzneistoffmenge) und der Konzentration ist durch ein Volumen gegeben:
Im Steady-State ist die Menge, die pro Zeiteinheit dem Körper zugeführt wird, gleich der Menge, die aus dem Körper eliminiert wird. Zur Aufrechterhaltung des Steady-State ist die Dosierungsrate praktisch immer umso größer, je höher die Konzentration des Anästhetikums ist. Bei der sog. linearen Pharmakokinetik besteht eine direkte Proportionalität zwischen Applikationsrate und Konzentration im Steady-State. Die lineare Pharmakokinetik ist dadurch charakterisiert, dass eine Verdopplung der Dosierung eine Verdopplung des Konzentrationsverlaufs bewirkt. Den Proportionalitätsfaktor zwischen der Infusionsrate im Steady-State und der Konzentration bezeichnet man als Clearance (Cl).
Konzentration =
Dosis . Volumen
Bei der Analyse der Pharmakokinetik wird diese Gleichung meistens in anderer Form genutzt: Volumen =
Dosis . Konzentration
Ein typischer Ansatz zur Bestimmung des Verteilungsvolumens ist die Verabreichung einer intravenösen Dosis D als Bolus und die nachfolgende Messung der Blut- oder Plasmakonzentration c(ti) zu gewählten Zeitpunkten ti. Um aus diesen Messwerten ein Verteilungsvolumen zu bestimmen, hat man mehrere Annahmen zu machen. Zum einen wird angenommen, dass das Medikament homogen in diesem Volumen verteilt ist, das heißt, an jeder Stelle des Volumens herrscht die gleiche Konzentration, und die Blutprobe ist repräsentativ für dieses Volumen. Da nun der Arzneistoff eliminiert wird, kennt man in aller Regel nicht die Menge, die sich zu einem beliebigen Zeitpunkt ti in diesem Volumen befindet und damit ist das Verhältnis Menge/Konzentration nicht bestimmbar. Nur am Anfang, also unmittelbar nach Applikation des Bolus zum Zeitpunkt t = 0, kann man davon ausgehen, dass die Menge gleich der Dosis D ist. Im Allgemeinen liegen zum Zeitpunkt t = 0 jedoch keine Konzentrationsmessungen c0 = c(0) vor, sodass c0 durch eine geeignete Extrapolation gewonnen werden muss. Das Volumen V, welches durch den Quotienten V = D/c0 bestimmt wird, heißt initiales Verteilungsvolumen. Es bezeichnet das offensichtliche Volumen, in dem sich das Anästhetikum anfänglich verteilt. Diese Abschätzung des initialen Verteilungsvolumens setzt voraus, dass das Medikament homogen verteilt ist. Es ist jedoch zu bedenken, dass die Mischung durch die Blutzirkulation einige Zeit benötigt, sodass diese Abschätzung des Verteilungsvolumens über die Größe c0 nur eine grobe Näherung ist, die in einer Reihe von Fällen zu einer Unterschätzung der Größe des Verteilungsvolumens führen kann.
Merke
Das initiale Verteilungsvolumen ist im Allgemeinen der pharmakokinetische Parameter mit dem größten Bestimmungsfehler. Aus diesem Grunde könnte es angeraten sein, das Verteilungsvolumen bei einer länger dauernden Dosierung zu bestimmen. Je länger jedoch die Applikation des Pharmakons erfolgt, umso wahrscheinlicher nähert man sich dem Fließgleichgewicht (Steady-State).
Infusionsrate = Clearance × Konzentration im Steady-State. Clearance ist das fiktive Blutvolumen, aus dem pro Zeiteinheit die Substanz vollständig eliminiert wird. Das klinische bekannte Konzept einer Einleitungsdosis („loading dose“) und einer Erhaltungsdosierung („maintenance dose“) findet in dem Verteilungsvolumen und in der Clearance seine quantitativen Determinanten.
Merke
Als Prinzip kann man formulieren: Einleitungsdosis = Verteilungsvolumen × gewünschter Konzentration Erhaltungsdosis = Clearance × gewünschter Konzentration Dieses Prinzip ist jedoch den klinischen Belangen anzupassen. Insbesondere was die unerwünschten Wirkungen der Substanzen angeht, ist es häufig nötig, titrierend und einschleichend die gewünschte Konzentration anzustreben und nicht instantan durch einen Bolus. Die Clearance spielt also eine ganz wichtige Rolle bei der Dosierung im Steady-State. Die Änderungen der Pharmakokinetik mit dem Alter werden unter anderem durch Änderungen der Körperzusammensetzung und der Körperfunktionen bedingt. Tab. 3.1 zeigt synoptisch eine Änderung von KörperflüsTabelle 3.1 Veränderungen der Körperflüssigkeiten und des Fettgewebes mit dem Alter und damit zusammenhängende Veränderungen in pharmakokinetisch definierten Verteilungsvolumina. Fettgewebe
↑ 35 % vom 20.–70. Lebensjahr
Plasmavolumen
↓ 8 % vom 20.–80. Lebensjahr
Gesamtkörperwasser
↓ 17 % vom 20.–80. Lebensjahr
Extrazellulärflüssigkeit
↓ 40 % vom 20.–65. Lebensjahr
●
Körpergewichtsänderung biphasisch
●
„Lean body mass“ nimmt ab
●
initiales Verteilungsvolumen (V1) nimmt gewöhnlich ab
●
Steady-State-Verteilungsvolumen (VSS) nimmt gewöhnlich ab
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Abb. 3.2 Abhängigkeit der Nierenfunktion vom Alter nach Cockcroft und Gault parametrisiert durch die Kreatininclearance und weitere davon unabhängige physiologische Größen, welche die Clearance von Arzneimitteln beeinflussen.
sigkeitsräumen und Fettgewebe zusammen mit den Änderungen pharmakokinetisch definierter Verteilungsvolumina. Nach Cockcroft und Gault ist die Nierenfunktion unmittelbar vom Alter abhängig und zwar abnehmende Nierenfunktion mit zunehmendem Alter. Damit korreliert eine im Allgemeinen abnehmende pharmakokinetisch definierte Clearance der Anästhetika, diese ist aber nicht nur durch die abnehmende Nierenfunktion bedingt, sondern auch durch die Funktionseinschränkungen anderer Eliminationssysteme wie z. B. der Leber. Abb. 3.2 gibt einen Überblick über diese Zusammenhänge.
3.1.4 Konzentrations-WirkungsBeziehungen Die Aufgabe der Pharmakodynamik ist die Beschreibung der Beziehung zwischen der Konzentration eines oder mehrerer Anästhetika und der Intensität eines Effektes. Viele Systeme weisen eine sog. „sigmoide“ Konzentrations-Wirkungskurve auf. Solche sigmoiden Kurven sind aus der elementaren Physiologie (z. B. Hämoglobin-Sauerstoff-Bindungskurve) bekannt und in vielen anderen Bereichen der belebten und unbelebten Natur vorhanden. Sie können durch die Formel E(c) = E0
cγ c0γ + cγ
beschrieben werden, die auch unter dem Namen HillGleichung bekannt ist. E(c) bezeichnet hierbei den Effekt bei der Konzentration c, die Effektgröße wird bei diesem Ansatz so normiert, dass der Ausgangswert unter Normalbedingungen (c = 0) willkürlich auf Null gesetzt wird und der maximal erreichbare Effekt mit E0 abgekürzt wird. Man unterscheidet bei dieser Kurve drei Bereiche,
●
●
●
den Bereich kleiner Konzentrationen (c << c0), hier ist der Logarithmus des Effektes proportional dem Logarithmus der Konzentration (log(E/E0) ∼ log(c/c0)), den Bereich großer Konzentrationen (c >> c0), große Konzentrationssteigerungen führen in diesem Bereich nur zur geringen Effektsteigerungen (E ≈ E0), den Bereich um c0 herum, hier ist die Abhängigkeit des Effektes von der Konzentration am stärksten ausgeprägt.
Für die Konzentration c = c0 ist der Effekt halbmaximal E (c0) = E0/2, weshalb die Größe c0 je nach Kontext auch als EC50, IC50 oder ED50 abgekürzt wird. Typische therapeutische Ziele können in unterschiedlichen Bereichen der Konzentrations-Wirkungskurve angesiedelt sein. Betrachtet man z. B. die Muskelrelaxation, so liegt der typische therapeutische Effekt bei 90 % oder mehr des Maximaleffektes. Ist auf der Effektachse die anästhetische Wirkung aufgetragen, so könnte die Sedierung beim Intensivpatienten bei ca. 50 % des Maximaleffektes angesiedelt sein, während man sich beim Studium der Spurendosentoxizität von Inhalationsanästhetika im Bereich minimaler Effekte bewegt. Die Steuerbarkeit der jeweiligen Substanz ist am besten um c0 herum, weil hier die Abhängigkeit des Effektes von der Konzentration am stärksten ist. Allerdings ist hier die Steuerung auch am schwierigsten. Bei sehr kleinen und sehr großen Effekten ist die Steuerbarkeit herabgesetzt gegenüber der Steuerbarkeit bei therapeutischen Bereichen um E0/2. Die Steilheit der Kurve hängt wie in Abb. 3.3 dargestellt vom Exponenten γ ab und kann wichtige Einflüsse auf das Aufwachverhalten haben. Bei den Muskelrelaxanzien ist es üblich, die Zeit, die erforderlich ist, um von einem Effekt von 75 % des Maximaleffektes auf 25 % abzufallen als „recovery index“ zu bezeichnen. Je steiler die Konzentrations-Effekt-Kurve ist, umso geringer fällt die Konzentrationsspanne aus, die durchschritten werden muss. Umso kürzer wird also die Zeit sein, die erforderlich ist,
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3.1 Allgemeine Pharmakokinetik und Pharmakodynamik Abb. 3.3 Konzentrations-Wirkungskurven, die durch die sog. Hill-Gleichung beschrieben werden können. Der Parameter γ kontrolliert die Steilheit der Kurve, der Parameter c0 beschreibt die Konzentration c, bei der der erzielte Effekt, die Hälfte des Maximaleffektes beträgt.
um z. B. von 75 % des Maximal-Effektes auf 25 % des Maximal-Effektes abzufallen. Eine Versteilerung der Konzentrations-Wirkungskurve kann also zu einer kürzen Aufwachzeit führen. Insbesondere beim Studium der Altersabhängigkeit der Konzentrations-Wirkungskurven ist jedoch zu bedenken, dass der Parameter γ zwar ein Maß für die Steilheit ist, diese aber nicht allein bestimmt. Tatsächlich ist die 1. Ableitung der Hillkurve an der Stelle c = c0 gegeben durch den Ausdruck E’(c0) = γ/(4c0). Die Kurve versteilert sich also nicht nur durch eine Vergrößerung von γ, sondern auch durch eine Verkleinerung von c0, also eine Erhöhung der Potenz, wie es häufig beim älteren Menschen vorkommt. Dies hat zur Folge, dass nunmehr für den Abfall von 75 % Maximaleffekt auf 25 % Maximaleffekt ein wesentlich kleinerer Konzentrationsabfall erfolgt, der mithin schneller erfolgen kann. Man würde also beim alten Menschen tendenziell ein schnelleres Aufwachen erwarten, dass dies im Allgemeinen nicht der Fall ist, liegt u. a. an einer größeren Hysterese (siehe folgenden Abschnitt). Der Pharmakologe Segré hatte schon frühzeitig beobachtet, dass die Erhöhung des Blutdrucks dem Verlauf des Blutspiegels von Noradrenalin nur verzögert folgt (Segré 1968). Der britische Anästhesist C.J. Hull beobachtete ein solches Verhalten für die Muskelrelaxation und den Blutspiegel des Muskelrelaxans Pancuronium (Hull 1978). Durch die Einführung einer sog. „biophase“, einem zusätzlichen Kompartiment, in das sich das Muskelrelaxans verteilt und in dem der Wirkort angenommen wird, wurde dieses Problem gelöst. Für den einfachen Fall eines pharmakokinetischen 1-Kompartmentmodells wurde zu der pharmakokinetischen Differenzialgleichung eine für die Konzentration in der Biophase hinzugefügt, welche die Verzögerung berücksichtigt. dm1 = – k10m1 + I(t); dt dcb = ke0(cl – cb). dt Nimmt man an, dass die Biophase ein endliches Verteilungsvolumen hat, so verletzen die beiden obigen Gleichungen den Masseerhaltungssatz, dessen Gültigkeit nur
wieder hergestellt werden kann, wenn man annimmt, dass das Verteilungsvolumen der Biophase die Größe 0 hat. Im Wesentlichen stellt das hinzugekommene Effektkompartiment nichts anderes dar, als eine Methode, den Blutspiegelverlauf c1(t) durch exponentielle Mittelung zu „verschmieren“, denn es gilt t
cb(t) = ke0∫dt′ e–ke0(t–t′)c1(t′). 0
Abb. 3.4 zeigt beispielhaft, wie für verschiedene Transferkonstanten ke0 zur Biophase der Blutspiegelverlauf nach einem Bolus regelrecht „ausgeschmiert“ wird. Je langsamer der Transfer zur Biophase erfolgt, d. h. je kleiner ke0 ist, umso später wird die Maximalkonzentration in der Biophase erreicht und umso geringer fällt die Höhe des Maximums aus. Die zeitliche Verzögerung der Biophase hinter den Blutspiegeln wird auch als Hysterese bezeichnet. Die Stelle des Maximums ist dabei so, dass diese immer auf dem Schnittpunkt mit der Blutspiegelkurve liegt, weil nämlich zum Zeitpunkt maximaler Biophasekonzentration der Blutspiegel und die Biophase im Fließgleichgewicht sind. Ältere Menschen zeigen im Allgemeinen die Tendenz, eine größere Hysterese bei Anästhetika aufzuweisen als jüngere Menschen. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Aufwachverhalten, da mit zunehmender Hysterese der Abfall der Konzentration in Biophase nicht mehr über die schnellere Umverteilung gesteuert wird, sondern zunehmend über die teils erheblich langsamere Eliminationsphase. Eine Methode, den Parameter ke0 zu bestimmen besteht darin, nach einem Bolus der jeweiligen Substanz die Zeitdauer bis zum maximalen Effekt zu messen. Aus der Pharmakokinetik der Substanz und der Zeitdauer lässt sich ke0 bestimmen. Bei der Anwendung von Infusionen kommt man mit dieser Methode nicht zum Ziel, hier sind Prozeduren für die Minimierung sog. Hystereseschleifen anzuwenden. Abb. 3.5 fasst die Veränderungen der Parameter ke0, und c0 mit dem Alter zusammen. Durch eine Vergrößerung der Hysterese (linke Seite der Abb.), das bedeutet, bei einem kleineren numerischen Wert für ke0, kommt es zu einem späteren Auftreten des Maximaleffektes und einem verlangsamten Abfall der Konzentrationen in der
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten
Abb. 3.4 Bei vielen Pharmaka tritt der Effekt häufig verzögert auf und „hinkt“ dem Blutspiegel hinterher. Modellmäßig lässt sich ein solches Verhalten durch ein sog. Biophasekompartment (B), auch „Effektkompartment“ genannt, beschreiben. Die eingezeichnete „Transferkonstante“ keo verletzt die Systematik der übrigen Transferkonstanten, die massebezogene Bruchteile darstellen. keo soll hier einen konzentrationsbezogener Bruchteil darstellen und eine graphische Darstellung für die Formel sein, die cb(t) beschreibt. Man beachte, dass das Maximum der Biophasekonzentration immer auf der Blutspiegelkurve c(t) liegt.
Abb. 3.5 Die pharmakodynamischen Parameter ke0 und c0 können maßgeblich die Potenz und Steuerbarkeit eines Anästhetikums beeinflussen. Je kleiner ke0, umso größer ist die Hysterese zwischen Blut- und Biophasekonzentration, umso später wird der maximale Effekt erzielt und umso langsamer ist die Wirkungsbeendigung. Die Konzentration c0 zu halbmaximalem Effekt bestimmt unmittelbar die Potenz der Substanz. Diese Konzentration bestimmt aber die Steigung der Hill-Kurve bei c0. Je kleiner c0, umso steiler ist die Kurve. Bei älteren Menschen ist c0 häufig erniedrigt und die Hysterese erhöht, was sich gegenseitig kompensieren kann, weil bei einer steileren Konzentrations-Wirkungskurve ein kleineres Konzentrationsintervall zu durchfahren ist und somit schneller ineffektive Konzentrationen erreicht werden können.
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3.1 Allgemeine Pharmakokinetik und Pharmakodynamik Biophase. Durch Erhöhung der Empfindlichkeit des Patienten gegenüber der Wirkung des Medikaments, also eine Erhöhung der Potenz, was eine numerische Verkleinerung von c0 bedeutet, kommt es wie oben dargelegt zu einer Versteilerung der Konzentrations-Wirkungsbeziehung, wodurch die Aufwachphase verkürzt werden könnte. Beide Effekte zusammengenommen können sich also gegenseitig kompensieren. Hinsichtlich der Abhängigkeit der Potenz an Anästhetika mit dem Alter ist sorgfältig zu unterscheiden, unter welchen Bedingungen und mit welchen Einheiten die Potenz gemessen wird, z. B. mit Hilfe der Konzentration bei maximalem Effekt oder der Bolusdosis zur Erzielung dieses Effektes oder der Erhaltungsdosis zur Aufrechterhaltung des Effektes. Um die zu c0 gehörige Bolusdosis D0 zu erhalten, hat man c0 mit dem zentralen Verteilungsvolumen V1 zu multiplizieren, um die Erhaltungsinfusionsrate Iss0 zu bestimmen, hat man c0 mit der Clearance Cl zu multiplizieren. Erweitert man deshalb den Bruch der Hill-Funktion mit V1γ bzw. Clγ , so erhält man drei äquivalente Hill-Beziehungen, einmal für die Konzentration c, einmal für die Bolusdosis D und einmal für die steady-state Infusion Iss: cγ Dγ ; E(D) = E0 γ ; c0γ + cγ D0 + Dγ γ Iss E(Iss) = E0 γ . Iss0 + Issγ
E(c) = E0
Je nachdem wie sich Volumina und Clearance mit dem Alter ändern, kann sich beim Vergleich der Potenz eines Anästhetikums zwischen Alt und Jung die Richtung der Änderung umkehren, in Abhängigkeit davon, auf welcher Basis (Konzentration, Bolusdosis, Erhaltungsdosis) man die Potenz misst und wie sich die pharmakokinetischen Größen ändern. Betrachtet man z. B. ein Pharmakon, bei dem für die Jungen die Parameter c0, V1 und Cl bestimmt
wurden, in einer Population älterer Menschen, wird anstelle c0 der Wert 0,7c0, anstelle V1 der Wert 1,4V1 und für die Clearance 0,5Cl gemessen. Dann ergäbe sich als relatives Potenzverhältnis r von Jung zu Alt bei Betrachten der Konzentration r = 1,43, bei der Bolusdosierung r = 0,71 und für die Erhaltungsdosierung r = 2. Abschließend sollen diese Überlegungen an zwei Beispielen mit Daten zu Midazolam (Hering et al. 1996, Bremer et al. 2004) sowie zu Remifentanil (Minto et al. 1997) exemplifiziert werden. Abb. 3.6 zeigt Konzentrations-Wirkungskurven von Midazolam und dem Compound Ro48– 6791 mit EEG-Veränderungen als Effekt in einer Probandenstudie mit jungen und alten Probanden. Für Midazolam erkennt man, dass c0 für Midazolam für Ältere ca. nur halb so groß ist wie für jüngere Probanden. Daten, die von Bremer et al. für die Dosierung von Midazolam auf der Intensivstation zur Sedierung erhoben wurden, sind in Tab. 3.2 zusammengefasst. Wie man aus der Tabelle ersieht, waren die Ramsay-Scores in beiden Vergleichsgruppen praktisch gleich. In Übereinstimmung mit den Probandenuntersuchungen von Hering et al. sind die zugehörigen gemessenen Konzentrationen im SteadyState in der Gruppe der Älteren nur halb so groß wie in der Gruppe der Jüngeren, bzgl. der Steady-State-Dosierung ergibt sich aber nur eine 20- bis 30 %ige Reduktion: Dies ist mit der unerwarteten Erhöhung der Clearance bei den älteren Patienten zu erklären. Über die Ursachen für diese Erhöhung kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Für Remifentanil wurde die Altersabhängigkeit der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Minto et al. untersucht. Im oberen Teil der Tab. 3.3 sind die für die Einleitungsdosierung relevanten pharmakokinetischpharmakodynamischen Daten zusammengetragen. Die Änderungen in den Volumina, keo und c0, hier als EC50 bezeichnet, resultieren in einer Reduktion der BolusAbb. 3.6 EEG-bezogene KonzentrationsWirkungskurven von Midazolam und Ro 48–6791 für junge und alte Probanden (Quelle: Hering et al. 1996).
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Tabelle 3.2 Gegensinnige Änderung der Midazolamkonzentration und der Midazolam-Clearance bei sedierten Intensivpatienten mit einem Ramsay-Score von 4,5. Das relative Potenzverhältnis zwischen jüngeren und älteren Patienten gemessen an der Konzentration ist ca. 2, während das auf die Dosierung bezogene lediglich 1,3 ist (Daten aus Bremer et al. 2004). Alter
N
Dosis (mg/h)
RamsayScore
Konzentration (ng/ml)
Dosisquotient (jung/alt)
Clearance Konzentrationsquotient (ml/min) (jung/alt)
Alter < 65 Jahre
53,0 ± 11,7
118
7,1 ± 4,6
4,5 ± 1,5
941 ± 870
1,3
2,0
Alter ≥ 65 Jahre
71,1 ± 5,1
197
5,6 ± 3,8
4,6 ± 1,3
460 ± 530
20 Jahre alt
50 Jahre alt
80 Jahre alt
Dosierung zur Einleitung V1 (l)
5,5
5,1
4,3
T½keo (min)
0,94
1,3
2,2
Vdpe (l)
17,4
17,0
17,3
EC50 (ng/ml)
16,1
11,6
7,2
Einleitungsdosis
279
197
239 ± 230 380 ± 302
Tabelle 3.3 Änderung der pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Parameter für Remifentanil bei 20-, 50- und 80jährigen Personen. Für die Einleitungsdosis besteht eine relative Potenz zwischen „jung“ und „alt“ von 2,3, für die Erhaltungsdosis von 3,4 (Daten aus Minto et al. 1997).
124
Dosierung zur Aufrechterhaltung Cl (l/min)
5,5
5,1
4,3
EC50 (ng/ml)
16,1
11,6
7,2
Infusionsrate (μg/min)
47
28
dosierung von 80-Jährigen gegenüber 20-Jährigen um den Faktor 2,3. Die für die Erhaltungsdosierung verantwortlichen Größen EC50 und Clearance verändern sich mit dem Alter so, dass die Erhaltungsdosierung bei 80Jährigen um den Faktor 3,4 gegenüber den 20-Jährigen abzusenken ist.
Literatur Bremer F, Reulbach U, Schwilden H et al. Midazolam therapeutic drug monitoring in intensive care sedation: a 5-year survey. Ther Drug Monit 2004; 26: 643–649
14
Cockcroft DW, Gault MH. Prediction of creatinine clearance from serum creatinine. Nephron 1976; 16: 31–41 Hering W, Ihmsen H, Albrecht S et al. RO48–6791 – ein kurzwirksames Benzodiazepin. Pharmakokinetik und Pharmakodynamik in Jungen und Alten im Vergleich zu Midazolam. Anaesthesist 1996; 45: 1211–1214 Hull CJ, Van Beem HB, McLeod K et al. A pharmacodynamic model for pancuronium. Br J Anaesth 1978; 50: 1113–1123 Minto CF, Schnider TW, Egan TD et al. Influence of age and gender on the pharmacokinetics and pharmacodynamics of remifentanil. I. Model development. Anesthesiology 1997; 86: 10–23 Schüttler J, Schwilden H. Pharmakologische Grundlagen. In: Rossaint R, Werner Ch, Zwissler B, Hrsg. Die Anästhesiologie. Berlin – Heidelberg: Springer; 2008: 190–207 Segré G. Kinetics of interaction between drugs and biological systems. Farmaco 1968; 23: 907–918
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3.2 Analgetika, Ko-Analgetika und Opiate C. H. R. Wiese
3.2.1 Einleitung Der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung in Deutschland (s. Kap. 1) führt dazu, dass über 40 % aller Operationen bei Patienten über 65 Jahren durchgeführt werden. Beachtenswert ist hierbei, dass die Mortalitätsrate innerhalb der ersten 30 postoperativen Tage, die Morbiditätsrate und die Krankenhausverweildauer ab einem Alter von 60 Jahren pro Dekade überproportional ansteigen (Jin u. Chung 2001). Die Risiken und spezifischen Besonderheiten der Narkoseführung bei älteren Patienten unterscheiden sich grundlegend von denen bei jüngeren, da es im Alter zu einer Einschränkung körperlicher Reserven, einer veränderten Struktur und Funktion der Organe und zu einem Umbau der Körpergewebe kommt. Zusätzlich müssen häufig multiple Vorerkrankungen mit den daraus resultierenden pathophysiologischen Besonderheiten und differenzierten medikamentösen Therapien Berücksichtigung finden. Diese Veränderungen haben in ihrer Gesamtheit eine hohe Relevanz für die Pharmakokinetik und die Pharmakodynamik der während und nach einer Narkose eingesetzten analgetisch wirksamen Medikamente. Insbesondere die Pharmakodynamik eines Medikamentes bedingt seine Hauptwirkung, aber auch seine Nebenwirkungen, sodass sich durch Veränderungen der pharmakodynamischen Eigenschaften sowohl Veränderungen in der Wirkung als auch der Nebenwirkungen ergeben können.
3.2.2 Einflüsse der Vormedikation Ältere Patienten über 65 Jahre haben häufig Vormedikationen aufgrund unterschiedlicher Begleiterkrankungen (Salzmann 1995). Diese unterschiedlichen Medikamente können sowohl zu indirekten Medikamenteninteraktionen durch Modifikationen in der Pharmakokinetik als auch der Pharmakodynamik und zu direkten Medikamenteninteraktionen mit Analgetika in der Narkose und bei der postoperativen Schmerztherapie führen (Ament et al. 2000). Als Beispiele seien hierfür eine „indirekte Interaktion“ zwischen „nicht steroidalen Antiphlogistika“ (NSAID) und Antibiotika (insbesondere Rifampicin) sowie für eine „direkte Interaktion“ von NSAID und Antiepileptika (u. a. aufgrund eines gemeinsamen Abbauwegs über Cytochrom P 450) genannt.
Merke
Im Rahmen der Prämedikationsvisite müssen vorbestehende Medikationen genau erfasst werden, um mögliche Interaktionen reduzieren zu können.
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Rahmen der Vormedikation bei älteren Patienten sind Analgetika, die der Patient unabhängig von seiner operativen Versorgung aufgrund anderer Schmerzzustände erhält. Hierbei kann die perioperative Analgesie zu schwach dosiert sein, da der Patient an wesentlich höhere analgetische Dosierungen gewöhnt ist. Weiterhin ist es von besonderer Bedeutung, die spezielle schmerztherapeutische Vormedikation auch bei der Planung der postoperativen Analgesie zu berücksichtigen.
3.2.3 Neurobiologische Aspekte Als Folge des Alters kommt es unter anderem zu folgenden neurobiologischen Veränderungen (s. Kap. 2.1): ● Abnahme des mittleren Gehirngewichts mit Veränderung des Hirnvolumens zum Schädelvolumen auf bis zu 80 % durch den Verlust von Interneuronen kortikaler grauer und subkortikaler weißer Substanz (Brody 1992) ● Verdreifachung des Ventrikelvolumens (Freye u. Levy 2004) ● Reduzierung des zerebralen Blutflusses um ca. 20 %, bedingt durch die Abnahme der Hirnmasse (Davis et al. 1983) ● Abnahme verschiedener Neurotransmitter (dopaminerges, noradrenerges, cholinerges, serotonerges und GABAerges System) ● erhöhte Schmerztoleranz durch eine verminderte deszendierende zentrale Hemmung und Suppression der Aδ-Fasern ● Schmerzleitung und Schmerzreaktion durch verstärkte Reizantwort der C-Fasern (Chakour et al. 1996) mit der Folge, dass der Schmerz verzögert, aber verstärkt wahrgenommen wird ● Reduktion der β-Endorphin-Ausschüttung nach Stimulation durch schmerzhafte Noxen mit Folge einer erhöhten Schmerzwahrnehmung und -empfindung (Washington et al. 2000)
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten
3.2.4 Pharmakokinetische Aspekte Aufnahme Mit zunehmendem Alter kommt es zu keiner relevanten Veränderung der Resorptionsrate oral zugeführter Analgetika. Ursache dafür sind Faktoren (z. B. eine verlängerte Magenverweildauer), durch die eine verminderte gastrale Azidität, Motilität, Resorptionsfläche sowie eine Abnahme des Blutflusses im Splanchnikusgebiet kompensiert werden können (s. Kap. 2.4). Diese setzt allerdings voraus, dass keine relevanten gastrointestinalen Vorerkrankungen bestehen.
Verteilung Im Alter kommt es zu einer Abnahme der Plasmaeiweißbindung für analgetisch wirksame Pharmaka (s. Kap. 3.1). Diese ist durch eine Verminderung der Konzentration von Plasmaproteinen (v. a. Albumin) um bis zu 15 % bedingt, was wiederum zu einer erhöhten freien Medikamentenkonzentration führt. Veränderungen sind vor allem bei der Anwendung von Opioiden von Relevanz, zumal deren Wirkung insbesondere durch die freien Anteile bestimmt wird und somit potenziell die Gefahr einer verstärkten und verlängerten Opioidwirkung im Alter gegeben ist. Der beim alten Menschen häufig beobachtete verzögerte Wirkungseintritt analgetisch wirksamer Substanzen kann u. a. auch auf ein reduziertes Herzzeitvolumen zurückgeführt werden (s. Kap. 2.2). Das Herzzeitvolumen nimmt mit zunehmendem Alter um bis zu 40 % ab, sodass es zu einer verzögerten Umverteilung in das zentrale Nervensystem kommt. Dadurch ist eine insgesamt verzögerte Wirkungsvermittlung zentral wirksamer Analgetika begründet (Bender 1965). Zusätzlich scheint eine gleichzeitige Wirkungsverstärkung durch die relativ erhöhte Durchblutung des Gehirns (bei um ca. 20 % reduzierter Hirnsubstanz), die mit einem größeren Anteil am Herzzeitvolumen im Verhältnis zu anderen Organen in Verbindung zu bringen ist, erklärbar zu sein: Es werden also prozentual mehr Mengen zentral wirksamer Analgetika neuronal wirksam und bedingen dadurch die Wirkungsverstärkung.
Metabolisierung und Ausscheidung Durch eine altersbedingte Einschränkung der hepatischen Perfusion kann die Phase 1 der Metabolisierung von Analgetika (hepatische Clearance) eingeschränkt sein, während Phase 2 (Glukuronidierung) häufig nicht betroffen ist. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die hepatische Clearance im Alter lediglich um durchschnittlich 3 % abnimmt und somit nicht der entscheidende Faktor für die Wirkungsverlängerung der Analgetika ist. Allerdings scheint die verminderte hepatische Perfusionsrate zu einer Abnahme der Redistribution der Analgetika aus peripheren Kompartimenten zu führen, was deren Wirkung verlängern kann (Freye u. Levy 2004).
Die Ausscheidung nierengängiger Medikamente wird durch die glomeruläre Filtration, die tubuläre Sekretion und die tubuläre Rückresorption beeinflusst. Die glomeruläre Filtration ist bei Patienten im Alter von 65 Jahren um etwa 25 % im Vergleich zu jüngeren Patienten reduziert (Freye u. Levy 2004). Dies wiederum führt zu einer verminderten Ausscheidung frei gelöster Substanzen, was insbesondere bei der Applikation von Tramadol, Morphin, Carbamazepin und Gabapentin beachtet werden muss.
Cave
Der Kreatininwert im Serum ist für die Funktionsfähigkeit der Niere nicht aussagekräftig, da er aufgrund eines Abfalls der Muskelmasse auch bei eingeschränkter Nierenfunktion weitgehend konstant bleiben kann.
3.2.5 Opioide Opioide werden bei chirurgischen Eingriffen zur perioperativen und häufig auch zur postoperativen analgetischen Therapie genutzt. Wie bereits erwähnt, ist bei älteren Patienten häufig eine verstärkte und verlängerte Wirkung dieser Substanzen zu beobachten. Die pharmakokinetischen Daten zur Opioidwirkung im Alter sind allerdings sehr widersprüchlich, sodass sich eine generelle Reduktion der Opioiddosis nicht uneingeschränkt empfehlen lässt. Allerdings muss erwähnt werden, dass perioperativ gerade bei älteren Patienten nach Applikation von Opioiden kardiozirkulatorische und respiratorische Nebenwirkungen (z. B. Blutdruckabfall, Apnoephasen, erhöhte Thoraxrigidität) in starker Ausprägung auftreten können. Im Folgenden werden die gebräuchlichsten Opioide zur perioperativen Analgesie im Hinblick auf ihren Gebrauch bei älteren Patienten näher charakterisiert.
Fentanyl Fentanyl hat eine schnelle Anflutungszeit, eine ausgeprägte analgetische Potenz und wird hepatisch zu pharmakologisch inaktiven Metaboliten verstoffwechselt. Es wurde gezeigt, dass bei älteren Patienten die verlängerte Metabolisierung von Fentanyl zu einer verlängerten Halbwertszeit führt, wobei dieser Umstand in der klinischen Praxis zu vernachlässigen ist (Bentley et al. 1982, Scott u. Stanski 1987, Singleton et al. 1988). Klinische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei älteren im Vergleich zu jüngeren Patienten lediglich etwa die Hälfte der Fentanyldosis notwendig ist, um die EEG-Aktivität maximal zu unterdrücken (Scott et al. 1991). Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass nicht die Pharmakokinetik, wohl aber die Pharmakodynamik von Fentanyl einen entscheidenden Einfluss auf die verlängerte und verstärkte Wirkung von Fentanyl im Alter besitzt. Ältere Patienten scheinen also eine erhöhte intrinsische Sensitivität auf die Wirkung von Fentanyl zu haben, weshalb die Empfeh-
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3.2 Analgetika, Ko-Analgetika und Opiate lung ausgesprochen werden kann, die perioperative Dosis auf bis zu 50 % im Vergleich zur empfohlenen Dosis bei jüngeren Patienten zu reduzieren.
Sufentanil Sufentanil ist das potenteste aller derzeit erhältlichen Opioide, dessen Pharmakodynamik bei älteren Patienten ähnlich der bei jüngeren Patienten zu sein scheint. Für pharmakodynamische Veränderungen im Alter gibt es dagegen nur wenige Hinweise. Die zentral wirksame Dosis von Sufentanil nach einer Bolusgabe zur Narkoseinduktion ist bei älteren Patienten reduziert, was u. a. zu einem verzögerten Wirkungseintritt sowie zu einer Wirkungsverlängerung führt (Matteo et al. 1990). Darüber hinaus kann die kontinuierliche intraoperative Sufentanilgabe eine verlängerte Aufwachphase zur Folge haben und eine verlängerte Überwachungszeit nach sich ziehen (Scott et al. 1991). Bei gleicher Initialdosis wurden allerdings keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils (z. B. Blutdruckabfall) zwischen älteren und jüngeren Patienten festgestellt (Helmers et al. 1994). Demnach sollte auch die Dosis von Sufentanil bei älteren Patienten sowohl zur Narkoseinduktion als auch bei repetitiver bzw. kontinuierlicher Gabe um etwa 50 % reduziert werden.
Alfentanil Alfentanil ist ein kurz und schnell wirksames synthetisches Opioid. Im Vergleich zwischen jüngeren und älteren Patienten konnte auch für Alfentanil keine signifikante Verlängerung der Eliminationshalbwertszeit, keine Abnahme des Verteilungsvolumens und keine verminderte renale Clearance nachgewiesen werden (Scott u. Stanski 1987, Helmers et al. 1994). Die Metabolisierung von Alfentanil ist in erster Linie von der hepatischen Durchblutung sowie der hepatischen Enzyminduktion abhängig. Auch bei der Applikation von Alfentanil besteht bei älteren Patienten eine nicht bislang noch nicht geklärte erhöhte Sensitivität. Im Vergleich zu jungen Menschen wurden verlängerte Zeiten zur Narkoseinduktion und eine verlängerte Wirkdauer bei gleicher Dosierung beobachtet, woraus ebenfalls die Empfehlung resultiert, die Alfentanildosis beim alten Patienten um 50 % zu reduzieren (Kirby et al. 1988).
Remifentanil Remifentanil ist ein sehr kurz wirksames Opioid Der Abbau erfolgt sehr schnell (zu 98 % durch unspezifische plasmatische Hydrolyse der Esterverbindungen und lediglich zu 2 % durch hepatische N-Dealkylierung), wobei die entstehenden Metabolite keine analgetische Wirkung mehr aufweisen. Der Metabolismus ist somit weitgehend organunabhängig; dennoch kann die Plasmaelimination
bei älteren Patienten verlängert sein, sodass eine verlängerte Wirkdauer resultiert. Im Vergleich zu jüngeren Patienten führt bei älteren eine um 50 % reduzierte Dosis zu einer vergleichbaren Suppression des EEGs (Minto et al. 1997), was als Folge einer gesteigerten intrinsischen Aktivität gedeutet werden kann. Für die Narkoseinduktion mittels Remifentanil ist von Bedeutung, dass die Substanz bei älteren Patienten eine verlängerte Anflutungszeit aufweist als bei jüngeren, was jedoch aufgrund der erhöhte Sensitivität des Zentralnervensystems in keinem Fall durch eine erhöhte Initialdosis ausgeglichen werden sollte (Minto et al. 1997). Für die Narkoseeinleitung und -aufrechterhaltung kann somit auch für Remifentanil bei älteren Patienten eine Dosisreduktion um 50 % empfohlen werden (Elliott et al. 2000, Habib et al. 2002).
Merke
Opioide sind beim alten Patienten in der Regel in einer (um ca. 50 %) reduzierten Dosis zu ver-
abreichen.
3.2.6 Nicht-Opioid-Analgetika Selektive Hemmer der Cyclooxygenase II (Coxibe) und „nicht steroidale Antiphlogistika“ (NSAID) sind daher von großer anästhesiologischer Relevanz, da sie einerseits häufig von Schmerzpatienten bereits präoperativ eingenommen werden und andererseits nahezu regelhaft zur postoperativen Schmerztherapie eingesetzt werden. Das charakteristische Nebenwirkungsprofil dieser Substanzklasse ergibt sich aus den grundlegenden Wirkmechanismen und wird im Folgenden ausführlich beschrieben. Vor allem bei älteren Patienten mit kardialen, hepatischen, renalen und diabetischen Vorerkrankungen sind NSAIDs und Coxibe mit besonderer Vorsicht und nur nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung einzusetzen.
Wirkungsweise und Nebenwirkungen der Coxibe und NSAID Wirkungsweise Die klassischen NSAIDs wirken über eine unselektive Hemmung der Zyklooxygenase (COX) und inhibieren konsekutiv die Prostaglandinsynthese. Prostaglandine selbst sind nicht schmerzauslösend, sondern steigern die Empfindlichkeit der Schmerzrezeptoren und verursachen dadurch eine Hyperalgesie. Prostaglandinsynthese-Inhibitoren wirken also deshalb analgetisch, weil sie eine gesteigerte Schmerzempfindung attenuieren. Hinsichtlich der Zyklooxygenase sind 2 Isoenzyme von besonderer Bedeutung – die sog. COX-1 sowie COX-2. COX-1 kommt in den meisten Geweben vor und ist für die Synthese gastroprotektiver Prostaglandine mitverantwortlich. Weiterhin hat die COX-1 durch ihr Vorkommen in den
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Thrombozyten und in der Nierenrinde einen Einfluss auf die Blutgerinnung und auf die glomeruläre Filtrationsrate. Die Funktion der COX-2 dagegen ist komplexer: einerseits wird sie durch spezifische Entzündungsreize, aber auch durch physiologische Adaptationsvorgänge induziert. Physiologischerweise spielt dieses Isoenzym eine bedeutende Rolle bei der Wundheilung (auch gastrointestinaler Ulzera!), bei der Ovulation und der Weheninduktion, bei der Regulation der Nierendurchblutung sowie bei der endothelialen Produktion von Prostaglandin. Acetylsalicylsäure (in niedriger Dosierung), Indometacin und Piroxicam weisen eine Präferenz für die COX-1 auf, sodass bei Anwendung dieser Substanzen ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale und renale Nebenwirkungen besteht. Dagegen hemmen Diclofenac und Ibuprofen COX-1 und COX-2 in gleichem Maße, während Meloxicam eine bevorzugt die COX-2-Aktivität herabsetzt. Die neueren Coxibe (Celecoxib, Parecoxib, Etoricoxib) dagegen sind nahezu vollständig COX-2-selektiv.
Nebenwirkungen Aus der Hemmung der Zyklooxygenase und den daraus resultierenden Einflüssen auf die Prostaglandin-, Thromboxan- und Prostazyklinsynthese ergeben sich die entsprechenden Nebenwirkungen der NSAID: Gastrointestinaltrakt. Es entfällt der schützende Effekt auf die Magenschleimhaut; außerdem wird die Magenmotilität sowie die Sekretion von Magensäure negativ beeinflusst, was sich klinisch in Form von Magenbeschwerden, Erosionen, Ulzera bis hin zu akuten gastrointestinalen Blutungen äußern kann. Gastrointestinale Nebenwirkungen sind sehr häufig und treten dosisabhängig unter Therapie mit Zyklooxygenasehemmern in ca. 30–40 % der Fälle auf. Dabei führen die Coxibe als selektive COX-2-Inhibitoren deutlich seltener zu diesen unerwünschten Effekten als unselektive COX-Inhibitoren (Pogatzki-Zahn u. Zahn 2008, Warner u. Mitchell 2008). Daher empfiehlt die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, bei erhöhtem Risiko gastrointestinaler Komplikationen (Alter > 65 Jahre, anamnestisch Ulzera oder gastrointestinale Blutungen, Glukokortikoidtherapie, Antikoagulation, schwere systemische Grunderkrankung) bei entsprechender Indikation entweder selektive COX-2Inibitoren oder alternativ herkömmlich NSAIDs in Kombination mit Protonenpumpenhemmern bzw. Misoprostol zu applizieren (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2004). Trotz alledem sind Coxibe gerade bei alten Patienten nur mit besonderer Vorsicht zu verabreichen, zumal das Risiko kardiovaskulärer Komplikationen (u. a. durch prokoagulatorische Effekte) erhöht werden kann (Pogatzki-Zahn u. Zahn 2008, Warner u. Mitchell 2008, Hennekens u. Borzak 2008). Niere. Die renale Perfusion wird durch Zyklooxygenasehemmer herabgesetzt und die Natrium- und Wasserausscheidung vermindert. Dies wiederum führt zu einer
gesteigerten Ödemneigung, einer Hyperkaliämie sowie zu einer Diureseminderung, die bei vorgeschädigtem Organ bis zum akuten Nierenversagen reichen kann. Das Risiko der Entstehung einer Nierenfunktionseinschränkung ist vor allem bei stimuliertem Renin-AngiotensinAldosteron sowie erhöhten endogenen Katecholaminspiegeln mit konsekutiver Vasokonstriktion (z. B. bei chronischer Herzinsuffizienz) gegeben. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, auf mögliche Arzneimittelinteraktionen mit ACE-Hemmern bzw. Diuretika hinzuweisen, zumal Zyklooxygenasinhibitoren diese in ihrer Wirksamkeit abschwächen können. Vor allem bei längerfristiger Anwendung von NSAIDs kann es dosisabhängig zur so genannten „Analgetikaniere“ kommen, einer irreversiblen Nierenschädigung, die histologisch durch eine interstitielle Nephritis mit Papillarspitzennekrosen gekennzeichnet ist. Thrombozyten. Die Thrombozytenfunktion wird im Sinne einer Aggregationshemmung durch Verschiebung des Thromboxan-Prostazyklin-Gleichgewichts zugunsten des Prostazyklins beeinträchtigt.
Praxisanleitung Der antikoagulatorische Effekt der NSAIDs ist je nach Indikation erwünscht und kann therapeutisch bei kardialen Risikopatienten genutzt werden, z. B. durch die orale Applikation von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure. Im Gegensatz zu konventionellen NSAIDs kommt es bei der Anwendung der Coxibe aufgrund ihrer COX-2-Selektivität zu keiner Thrombozytenaggregationshemmung. Bronchialsystem. Durch die Verminderung bronchodilatatorisch wirkender Prostaglandine und höchstwahrscheinlich erhöhten bronchokonstriktorisch wirkenden Leukotrienspiegeln kann es in seltenen Fällen zum so genannten „Aspirin-Asthma“ kommen (das jedoch grundsätzlich durch alle NSAIDs ausgelöst werden kann). Vor allem ein vorbestehendes Asthma bronchiale prädisponiert für die Entstehung dieses Krankheitsbildes. ZNS. Die (seltenen) zentralnervösen Wirkungen der NSAIDs sind bislang nicht vollständig aufgeklärt, jedoch kann es im Rahmen der Anwendung gehäuft zu Ohrensausen und Schwindelattacken, Kopfschmerzen sowie Hör- und Sehstörungen kommen.
Merke
Sowohl NSAIDs als auch Coxibe sollten bei älteren Patienten aufgrund ihres ausgeprägten Nebenwirkungsprofils nur zurückhaltend und nach strenger Indikationsstellung zur Schmerztherapie über einen längeren Zeitraum (> 3–6 Monate) eingesetzt werden sollten, zumal wirksame Alternativen (Metamizol, Paracetamol, Opioide) zur Verfügung stehen.
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3.2 Analgetika, Ko-Analgetika und Opiate
Ko-Analgetika (Antikonvulsiva und Antidepressiva) Eine analgetische Kombinationstherapie mit Ko-Analgetika kann auch beim älteren Patienten zur effektiven Schmerztherapie sinnvoll sein. In der Gruppe der KoAnalgetika haben sich insbesondere Antikonvulsiva und Antidepressiva bewährt. Antikonvulsiva unterdrücken eine erhöhte synaptische Impulsübertragung und steigern im Zentralnervensystem die hemmenden Einflüsse auf exzitatorische Neuronengruppen. Ihr Einsatz ist vor allem bei neuropathischen, einschießenden und elektrisierenden Schmerzen sinnvoll. Antidepressiva (beispielsweise Amitriptylin) wirken über eine Steigerung der Effekte inhibitorischer Transmitter durch Hemmung ihrer neuronalen Wiederaufnahme. Ihr Einsatz ist insbesondere bei der Behandlung neuropathischer Schmerzen und schmerzhafter Dysästhesien sinnvoll. Im Vergleich zu klassischen psychiatrischen Therapie werden Antidepressiva als Ko-Analgetika niedriger dosiert. Wichtig für den Einsatz der Ko-Analgetika bei älteren Patienten ist, dass beide Medikamentengruppen zu Störungen in der Reizbildung und Reizleitung am Herzen führen können. Weitere Nebenwirkungen können besonders bei zu hoher Initialdosierung auftreten. Hierbei sind verstärkte Müdigkeit, Schwindel, Ataxien, Verwirrtheit, delirante Zustände sowie Gewichtszunahme, Obstipation und Harnverhalt zu erwähnen. Daher ist regelhaft eine an das Alter und die Vorerkrankungen der Patienten angepasste Therapie zur Reduzierung der Nebenwirkungen und einer damit einhergehenden höheren Patientencompliance erforderlich. Durch das langsame Einschleichen der Medikation kommt es zu einer verzögerten Wirksamkeit. Dieses Vorgehen ist für eine effektive analgetische Therapie unabdingbar, muss jedoch dem Patienten im Detail erläutert werden. Am Beispiel von Amitriptylin kann folgendes Schema als Empfehlung gelten: ● Anfangsdosis 10 mg abends ● Steigerung der Dosis alle 3–5 Tage um 10 mg bis zu einer Dosis von 75 mg einmal abends Für das Antikonvulsivum Gabapentin ergibt sich dagegen folgendes Therapieschema: ● Anfangsdosis 100 mg dreimal täglich ● Steigerung der Dosis alle 2 Tage um 100 mg pro Einzeldosis bis zu einer Maximaldosis von 1200 mg dreimal täglich. Patienten, die entsprechende Ko-Analgetika bereits in ihrer Vormedikation haben, sollten diese auch perioperativ beibehalten, um eine mögliche Schmerzexazerbation zu vermeiden.
Kernaussagen ●
●
●
Bei älteren Patienten sind insbesondere Vorerkrankungen und die damit in Zusammenhang stehende Vormedikation von entscheidender Bedeutung für die Wahl entsprechender analgetisch wirksamer Medikamente. Für die perioperative und postoperative Opioidapplikation konnten bezüglich der Pharmakodynamik in mehreren Studien keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Patienten beobachtet werden. Trotzdem scheint es aufgrund einer erhöhten, altersabhängigen Sensitivität für Opioide sowie unterschiedlichen Verteilungsvolumina zu einem verspäteten Wirkungseintritt sowie zu einer verlängerten Wirkungsdauer zu kommen. Aus dieser Tatsache sollte eine altersabhängige Dosisreduktion für Opioide von etwa 50 % resultieren. Bei der Applikation der NSAID müssen die Kontraindikationen und individuellen Risikoprofile beachtet werden; gegebenenfalls muss auf eine alternative Substanz (z. B. Metamizol, Paracetamol) zur Sicherstellung einer adäquaten Schmerztherapie ausgewichen werden.
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Matteo RS, Schwartz AE, Ornstein E et al. Pharmacokinetics of sufentanil in the elderly surgical patient. Can J Anaesth 1990; 852–856 Minto CF, Schnider TW, Shafer SL. The influence of age and gender on the pharmacokinetics and pharmacodynamics of Remifentanil. Anesthesiology 1997; 86: 24–33 Pogatzki-Zahn EM, Zahn PK. Neue Substanzen und Applikationsformen für die postoperative Schmerztherapie. Schmerz 2008; 22: 353–369 Salzmann C. Medication compliance in the elderly. J Clin Psychiatry 1995; 56: 18–22 Scott JC, Cooke JE, Stanski DR. Electroencephalographic quantitation of opioid effect: comparative pharmacodynamics of fentanyl and sufentanil. Anesthesiology 1991; 74: 34–42
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3.3 Injektionsanästhetika J. Motsch
3.3.1 Einführung Unter dem Begriff Injektionsanästhetika oder intravenöse Anästhetika wird eine heterogene Gruppe von Pharmaka zusammengefasst, die nach intravenöser Applikation ohne Exzitation ein rasches und angenehmes Einschlafen ermöglichen. Da bei Erwachsenen eine Narkoseeinleitung per inhalationem nur in Einzelfällen zur Anwendung kommt, ist auch bei alten Patienten die Einleitung einer Narkose mit einem Injektionsanästhetikum die Methode der Wahl. Im Rahmen einer totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) werden kurz wirksame Injektionsanästhetika mit kurz wirksamen Opioiden nicht nur zur Narkoseeinleitung, sondern auch zur Narkoseaufrechterhaltung kontinuierlich zugeführt. Bei der TIVA wird auf Lachgas verzichtet. Die Narkosewirkung wird ausschließlich durch die intravenös verabfolgten Pharmaka hervorgerufen, weshalb ein höherer Bedarf an Injektionsanästhetikum und Opioiden resultiert. Um eine gute Steuerbarkeit der Narkose zu erreichen, sind kurz wirksame Substanzen mit günstigen pharmakokinetischen Eigenschaften zu bevorzugen.
3.3.2 Kurz wirksame Barbiturate Die Barbitursäure ist die Grundsubstanz der Barbiturate. Diese entsteht durch Kondensationsreaktion von Harnstoff und Malonsäure. Da sie die Blut-Hirn-Schranke nicht zu passieren vermag, weist sie keine dämpfenden Eigenschaften am zentralen Nervensystem (ZNS) auf. Durch Substitution der Wasserstoffatome durch Alkyl- oder Aryl-Gruppen entstehen Oxybarbiturate (z. B. Methohexital), durch Substitution des Sauerstoffatoms an C2 durch ein Schwefelatom Thiobarbiturate (z. B. Thiopental) mit zentral dämpfenden, hypnotischen Eigenschaften. Der Durchbruch der intravenösen Anästhesie begann 1932 mit der klinischen Einführung von Hexobarbital durch den deutschen Pharmakologen Helmuth Weese sowie 1934 mit der Einführung von Thiopental durch Waters und Lundy in den USA. Thiopental spielt heute noch immer eine wichtige Rolle als Einleitungsanästhetikum. Sowohl Thiopental als auch Methohexital besitzen Kohlenstoffatome mit vier verschiedenen Liganden als chirale Zentren. Die Substanzen liegen jedoch in Lösung nicht stereoselektiv, sondern als Razemat vor.
Wirkort und Wirkmechanismus Der Wirkort der Barbiturate ist vor allem im rostralen aufsteigenden Teil der Formatio reticularis und im limbischen System gelegen. Auf zellulärer Ebene interagieren die Barbiturate vermutlich mit dem GABAA-Rezeptor (GABA = γ-Aminobuttersäure). Barbiturate wirken GABAmimetisch und verstärken dadurch die Wirkung von GABA, dem stärksten inhibitorischen Transmitters im ZNS. Der GABAA-Rezeptor ist ein transmembranöser Rezeptorkomplex, der aus 5 Untereinheiten besteht und einen assoziierten Chloridkanal aufweist. Zudem finden sich im Bereich des Rezeptors Bindungsstellen für Barbiturate, Benzodiazepine und vermutlich auch für Etomidate sowie Propofol. Die Aktivierung des GABAA-Rezeptors mit Freisetzung von γ-Aminobuttersäure erhöht den Chlorideinstrom durch verlängerte Öffnungszeit des spezifischen Cl–-Ionenkanals, wodurch die Zellmembran hyperpolarisiert und das postsynaptische Neuron gehemmt wird. Dadurch wird es für erregende Impulse refraktär. Für die hypnotische Wirkung wird zusätzlich auch eine präsynaptische Hemmung des Kalzium-Einstroms in Neuronen als GABA-unabhängiger Wirkmechanismus diskutiert, die zur verminderten Freisetzung exzitatorischer synaptischer Neurotransmitter führt. Da Barbiturate die Aktivierung und die Öffnungszeit des Na+-Kanals beeinflussen, wird an allen erregbaren Membranen die Erregungsübertragung herabgesetzt, weshalb alle Barbiturate antikonvulsiv wirken. Barbiturate besitzen eine zuverlässige hypnotische, aber keine analgetische Wirkung. In subanästhetischen Dosen werden hyperalgetische Effekte beobachtet.
Thiopental Pharmakokinetik Nach intravenöser Injektion wird Thiopental rasch in gut durchbluteten Organen verteilt, sodass schnell ein Äquilibrium mit hoher Blutkonzentration im Gehirn erreicht und eine hypnotische Wirkung induziert wird. Thiopental weist eine geringe hepatische Extraktionsrate von 0,15 auf, weshalb nach einer Einzeldosis die Dauer des initialen Effektes vor allem von der Verteilung und nur zu einem geringen Anteil vom Metabolismus abhängt. Durch rasche Umverteilung der Substanz in weniger gut durch-
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten blutete Gewebe wie Muskulatur und Fettgewebe kommt es zum schnellen Abfall der Thiopental-Blutspiegel, wodurch der hypnotische Effekt terminiert wird. Thiopental wird in der Leber im endoplasmatischen Retikulum mit Hilfe von Cytochrom P 450 oxidativ metabolisiert. Die kurze hypnotische Wirkung von 10–15 Minuten nach einer Einzelinjektion wird demnach durch Umverteilungsvorgänge, nicht aber durch Elimination hervorgerufen. Wenn wiederholte Dosen oder eine kontinuierliche Infusion von Thiopental verabreicht werden, verlängert sich die Wirkdauer erheblich, weil die Beendigung der hypnotischen Wirkung nicht mehr durch Umverteilungsphänomene, sondern durch die Elimination in Abhängigkeit von der Leberenzymaktivität und dem Ausmaß der Plasmaproteinbindung bestimmt werden. Der Metabolismus gewinnt dann vorrangig an Bedeutung.
Pharmakodynamik Obwohl anhand von EEG-Untersuchungen keine pharmakodynamischen Unterschiede zwischen „Jung“ und „Alt“ existieren, benötigen alte Menschen eine geringere Dosis um einen vergleichbaren Effekt zu erzielen. Die Untersuchungen, die den Einfluss pharmakodynamischer und pharmakokinetischer Effekte auf die Dosis-Wirkungsbeziehung von Thiopental näher analysierten, fanden bei alten Menschen für jede verabreichte Dosis höhere Plasmakonzentrationen, die durch eine Verringerung des Verteilungsvolumens beim alten Menschen bedingt sind. Die erhöhte Empfindlichkeit des alten Menschen ist daher auf die pharmakokinetischen Veränderungen zurückzuführen, was eine 30- bis 40 %ige Dosisreduktion durch ein vermindertes Verteilungsvolumen des zentralen Kompartiments und eine verlangsamte Umverteilung erfordert. Im Gegensatz zu den Benzodiazepinen wird die Pharmakodynamik von Thiopental durch das Alter nicht beeinflusst (Homer u. Stanski 1985). Zur kontinuierlichen Infusion ist Thiopental wegen der aufgezeigten pharmakokinetischen Besonderheiten und einer langen kontextsensitiven Halbwertszeit nur bedingt geeignet und wird deshalb selten verwendet. Basierend auf einer Populationskinetik benötigen gesunde Ältere nur eine Reduktion der Infusionsrate um 20 % im Vergleich zu jungen Patienten. Wird die bei alten Patienten erforderliche Anpassung der Thiopental-Dosis gemäß den pharmakokinetischen Veränderungen vorgenommen, können ein relativ rascher Abfall der Plasmakonzentration und dadurch eine vergleichbare Wirkdauer bis zum Erwachen wie bei jungen Patienten erwartet werden (Stanski u. Maitre 1990).
Dosierung Zur Narkoseeinleitung wird Thiopental in einer Dosis von 3–5 mg/kg intravenös langsam über 30–45 s verabreicht. Besonders bei alten Menschen ist wegen des verringerten
Verteilungsvolumens und der dadurch erhöhten Barbituratkonzentration im Gehirn mit eine verstärkten Wirkung zu rechnen. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass eine oft gleichzeitig vorhandene Herzinsuffizienz mit verlängerter Kreislaufzeit den Eintritt der hypnotischen Effekte verzögert, wodurch leichter akzidentelle Überdosierungen resultieren. Da alte Menschen oft auch eine Hypovolämie durch Dehydrierung und eine verminderte Plasmaeiweißkonzentration aufweisen, ist zur Vermeidung einer Kreislaufdepression eine Dosisreduktion erforderlich. Hingegen wird bei Alkoholabusus und anderweitig (z. B. Medikamente) verursachter Enzyminduktion der Leber (Cytochrom P 450) eine Erhöhung der Dosis zur Erzielung eines hypnotischen Effektes notwendig.
Merke
Alte Patienten benötigen eine Dosisreduktion von Thiopental um 30–40 %! Infolge einer oft verlängerten Kreislaufzeit setzt die Wirkung verzögert ein, was leicht zu Überdosierung Anlass geben kann.
Nebenwirkungen Barbiturate führen zu einer Vasodilatation mit venösem Pooling in der Peripherie. Die ausgeprägte negative Inotropie reduziert das Schlagvolumen, sodass das Herzminutenvolumen trotz kompensatorischer Herzfrequenzsteigerung absinkt. Der gesteigerte myokardiale Sauerstoffverbrauch und der Blutdruckabfall können eine Myokardischämie begünstigen. Dosisabhängig kommt es nach der Injektion von Barbituraten zur Atemdepression bis hin zum Atemstillstand. Thiopental reduziert den zerebralen Sauerstoffverbrauch und vermindert den zerebralen Blutfluss, wodurch der intrakranielle Druck absinkt. Thiopental besitzt eine ausgeprägte antikonvulsive Wirkung und senkt den intraokulären Druck. Bei versehentlicher intraarterieller oder paravenöser Injektion von Thiopental entstehen wegen der stark alkalischen Lösung ausgeprägte Gewebsnekrosen. Echte Allergien sind selten. Häufiger kommt es zu einer dosisabhängigen unspezifischen Histaminfreisetzung mit den begleitenden Reaktionen.
Kontraindikationen Barbiturate sind bei akuter intermittierender Porphyrie und bei Porphyria variegata kontraindiziert, weil sie durch Enzyminduktion mit vermehrter Bildung von Porphyrinen und deren Vorstufen einen akuten Schub der Erkrankung mit schweren neurologischen Schäden bis zum irreversiblen Koma auslösen. Relativ kontraindiziert und nur mit Vorsicht sind Barbiturate bei koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Hypovolämie, Schock, Aortenstenose, Asthma und Allergie anzuwenden.
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3.3 Injektionsanästhetika
Methohexital Methohexital ist wie Thiopental ein kurz wirksames Barbiturat. Die Dauer des hypnotischen Effektes nach einer Bolusinjektion ist auf eine rasche Umverteilung aus dem Gehirn zurückzuführen. Die hepatische Extraktionsrate ist höher und dadurch die Eliminationshalbwertszeit kürzer als von Thiopental. Ebenso wie Thiopental weist Methohexital anhand von EEG-Untersuchungen keine pharmakodynamischen Unterschiede zwischen jungen und alten Patienten auf. Die Clearance von Methohexital hängt in erheblichem Ausmaß vom Blutfluss der Leber ab, der durch das Alter und andere Faktoren wie z. B. Anästhesie oder chirurgische Manipulation im Oberbauch, beeinflusst wird. Die Elimination von Methohexital ist somit bei alten Menschen im Vergleich zu jungen Kontrollpatienten verlangsamt. Eine Verringerung der Dosis ist daher bei alten Patienten angezeigt. Im Gegensatz zu Thiopental ruft Methohexital Exzitationsphänomene wie Singultus oder unkontrollierte Muskelbewegungen hervor. Die übrigen Wirkungen und Nebenwirkungen sind dem Thiopental vergleichbar.
3.3.3 Propofol Propofol, ein 2-,5-Diisopropylphenol, steht als 1 %- und 2 %ige Lösung in einer Emulsion mit Sojabohnenöl, Eiphosphatid, Glyzerol und Natriumhydroxid zur Verfügung. Da die Fettemulsion einen guten Nährboden für Bakterien darstellt, müssen zur Vermeidung einer bakteriellen Kontamination die Hygienerichtlinien für den Umgang mit diesem Injektionsanästhetikum sorgfältig eingehalten werden. Propofol darf erst unmittelbar vor der Anwendung aufgezogen werden und bei kontinuierlicher Zufuhr sind spätestens nach 12 Stunden Spritzen mit eventuellen Resten von Propofol zu verwerfen. Um diese Probleme zu überwinden, werden neue Formulierungen von Propofol intensiv beforscht. Ein Ansatz stellt das wasserlösliche Prodrug Fospropofol dar, das nach Injektion durch rasche Metabolisierung in Propofol umgewandelt wird. Der langsame Wirkeintritt lässt aber die Substanz nur für die Sedierung, jedoch nicht für die Narkoseeinleitung geeignet erscheinen (Yavas et al. 2008).
Wirkung Propofol führt wie die übrigen Injektionsanästhetika zu einer Aktivierung des GABAA-Rezeptorkomplexes wodurch die dämpfenden Effekte am ZNS hervorgerufen werden. Zudem werden hemmende Einflüsse auf weitere neuronale Ionenkanäle postuliert. Nach einer Bolusinjektion von 1,5–2,5 mg/kg bewirkt Propofol dosisabhängig eine ca. 5- bis 10-minütige Hypnose ohne Analgesie. Subhypnotische Dosen führen zur Sedierung und Amnesie. Bei alten Patienten ist eine Dosisreduktion auf 1,0–1,5 mg/kg zur Vermeidung einer ausgeprägten kardiovaskulären Depression erforderlich.
Die Kombination mit einem Opioid reduziert die erforderliche Induktionsdosis, geht aber mit einer ausgeprägten Kreislaufreaktion einher. Für eine ausreichende Anästhesietiefe ist eine Plasmakonzentration von ca. 3–6 μg/ ml Propofol erforderlich, zur Sedierung genügt eine Plasmakonzentration von 1–3 μg/ml. Die sichere Unterdrückung der pharyngealen Reflexe erleichtert das Einführen einer Larynxmaske und ermöglicht in Kombination mit einem potenten Opioid das Intubieren ohne Relaxans. Das postoperative Erwachen ist oft von subjektivem Wohlbefinden begleitet. Die ausgeprägte antiemetische Wirkung wird vermutlich durch einen direkten Effekt von Propofol am HT3-Rezeptor vermittelt (Barann et al. 2008).
Pharmakokinetik Die Pharmakokinetik von Propofol lässt sich am besten mit einem 2-Kompartiment-Modell beschreiben. Nach rascher initialer Verteilung setzt gleichzeitig die Metabolisierung in der Leber durch Glukuronidierung und Sulfatierung zu inaktiven wasserlöslichen Metaboliten, die renal ausgeschieden werden, ein. Nur 1–2 % werden nicht metabolisiert über den Urin oder die Fäzes eliminiert. Die totale Clearance ist mit 20–30 ml/kg/min größer als der Leberblutfluss. Nach einer Bolusinjektion oder Kurzinfusion von Propofol beträgt die Eliminationshalbwertszeit 0,5–1,5 h. Nach länger dauernder Infusion wird durch Umverteilungsvorgänge in ein langsames drittes Kompartiment die Eliminationshalbwertszeit in Abhängigkeit von der Infusionsdauer verlängert. Dies lässt sich als kontextsensitive Halbwertszeit am besten beschreiben. Wegen der hohen Clearance ist das Aufwachen auch nach mehrtägiger kontinuierlicher Propofolinfusion besser vorhersagbar als bei Sedierung mit den übrigen Injektionsanästhetika (Hughes et al. 1992, Kirkpatrik et al. 1988). Bei alten Patienten weist Propofol eine erhöhte Wirksamkeit (Potenz) auf. Die Konzentration von Propofol, die zu 50 % des maximalen EEG-Effekts (C50) führt, ist beim 90-Jährigen im Vergleich zu einem 30-jährigen Patienten um 30 % reduziert. Die Auswirkungen des Alters auf die Pharmakokinetik von Propofol lassen sich mit einer Reduktion der Clearance und einer Abnahme des rasch äquilibrierenden peripheren Kompartiments beschreiben. Dies führt dazu, dass bei kontinuierlicher Infusion ein älterer Patient einen 20–30 % höheren Propofol-Plasmaspiegel aufweisen wird. Dies impliziert eine Dosisreduktion. Ein 75-Jähriger benötigt eine 30–75 % geringere Propofol-Dosis, um den gleichen Medikamenteneffekt wie bei einem 25-Jährigen zu erzielen. Bei der Narkoseaufrechterhaltung mittels kontinuierlicher Zufuhr von Propofol ist zu beachten, dass die kontextsensitive Halbwertszeit sowohl vom Alter als auch von der Dauer der Zufuhr abhängt. Bei einer 1-stündigen kontinuierlichen Zufuhr von Propofol sind geringe Unterschiede in der kontextsensitiven Halbwertszeit zwischen einem 20- und 80-Jährigen zu erwarten. Hingegen wird nach einer 4-stündigen Infusionsdauer die kontextsensitive Halbwertszeit beim
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten 80-Jährigen mehr als verdoppelt sein (Schnider et al. 1999). Ausgehend von einer Populationskinetik macht man sich diese altersspezifischen Besonderheiten der Pharmakokinetik zunutze, um mit dem Konzept der Target controlled Infusion (TCI) in Abhängigkeit vom Alter und Körpergewicht eines Patienten die Infusionsrate zu bestimmen, damit eine angestrebte Plasmakonzentration erreicht und aufrechterhalten werden kann. Dies wird entweder Mikroprozessor-gesteuert über eine programmierbare Infusionspumpe oder nach klinischer Erfahrung mit vorgegebenem Dosierungsschema bewerkstelligt.
Nebenwirkungen Der unangenehme Injektionsschmerz lässt sich durch Vorinjektion einer kleinen Menge Lokalanästhetikum in die gestaute Vene oder durch Beimischung von Lidocain 0,1–0,15 % abmildern. Dosisabhängig führt Propofol zum Atemstillstand. In Kombination mit Opioiden ist zur Vermeidung einer Hyperkapnie eine assistierte oder kontrollierte Ventilation erforderlich. Der bei älteren Patienten ausgeprägte Blutdruckabfall um über 20–40 % wird durch die Absenkung des totalen peripheren Gefäßwiderstandes hervorgerufen. Wegen des herabgesetzten Sympathikotonus beim alten Menschen verstärkt eine durch zentrale Vagusstimulation verursachte Bradykardie diese negativen Kreislaufeffekte.
Kontraindikationen Bei alten Patienten mit manifesten kardiovaskulären Erkrankungen sollte Propofol wegen der ausgeprägten Kreislaufreaktion mit Blutdruckabfall und Bradykardie durch zentrale Vagusstimulation nur mit Vorsicht und mit bereitgelegten Vasopressoren eingesetzt werden.
3.3.4 Etomidate Das Imidazolderivat Etomidate wurde 1972 in die Klinik eingeführt und steht gelöst in Propylenglykol oder in einer Lipidemulsion zur Verfügung. Letztere wird wegen der geringeren Venenreizung heute bevorzugt eingesetzt.
Wirkung Etomidate führt dosisabhängig (0,2–0,3 mg/kg i. v.) zu einer Hypnose von 5–15 Minuten Dauer, bewirkt aber keine Analgesie. Die Wirkung wird über GABAA-Rezeptoren in der Formatio reticularis vermittelt. Der zerebrale Blutfluss und Sauerstoffverbrauch werden ohne wesentliche Senkung des arteriellen Mitteldrucks reduziert, wodurch es zu einem verbesserten zerebralen Perfusionsdruck mit günstigerem Verhältnis von zerebralem Sauerstoffangebot und -verbrauch kommt. Etomidate bewirkt
keine Histaminfreisetzung. Etomidate löst häufig (bis 70 %) exzitatorische Phänomene in Form von Myoklonien ohne epileptisches Korrelat im EEG hervor. Diese werden vermutlich durch Aktivierung von Hirnstamm- oder tiefer gelegenen Hirnstrukturen ausgelöst und lassen sich durch Vorgabe von Benzodiazepinen, Opioiden oder langsame Injektion reduzieren. Etomidate ruft bei der Narkoseeinleitung eine kurz dauernde Hyperventilation hervor, die manchmal von einer kurzen Apnoephase gefolgt ist. Wegen der minimalen Beeinträchtigung des HerzKreislauf-Systems wird Etomidate besonders bei Alten und kardial vorgeschädigten Patienten gerne eingesetzt. In der üblichen Dosis von 0,3 mg/kg werden beim Herzgesunden der arterielle Blutdruck, die Herzfrequenz und der periphere Widerstand um weniger als 10 % abgesenkt, sodass das Herzzeitvolumen nahezu konstant bleibt. Beim Herzkranken und alten Menschen oder in Kombination mit Opioiden sind die Kreislaufeffekte zwar ausgeprägter, aber dennoch deutlich geringer als bei den übrigen Narkoseeinleitungsmittel. Als Nachteil von Etomidate ist die reversible und konzentrationsabhängige Hemmung der Kortisolsynthese durch Hemmung der spezifischen Enzyme in der Nebennierenrinde zu werten. Eine kontinuierliche Zufuhr verbietet sich daher. Inwieweit eine Einzeldosis eine klinisch relevante Nebenniereninsuffizienz auszulösen vermag, ist derzeit wieder in der Diskussion. Insbesondere beim Intensivpatienten und Polytraumatisierten sollte der Einsatz kritisch überdacht werden.
Pharmakokinetik Mit einem 2-Kompartiment-Modell wird die Pharmakokinetik von Etomidate am besten beschrieben. Einer initialen Verteilung mit einer Halbwertszeit von 3 Minuten folgt ein rascher Abbau in der Leber durch Esterhydrolyse oder n-Dealkylierung zu unwirksamen Metaboliten. Da die Clearance durch die Leber mit 10–20 ml/kg/min hoch ist, resultiert eine Eliminationshalbwertzeit von 2,5–3,5 Stunden. Die Pharmakokinetik von Etomidate wird durch den physiologischen Alterungsprozess entscheidend verändert. Da die Clearance von Etomidate von der Leberdurchblutung abhängt, wird durch die altersbedingte Abnahme der Leberdurchblutung die Elimination von Etomidate im Alter verlängert. Weitere Faktoren, die die Leberdurchblutung beeinträchtigen, wie z. B. ein Oberbaucheingriff, beeinflussen die Clearance zusätzlich. Abgesehen von der verlängerten Elimination ist das initiale Verteilungsvolumen reduziert. Daher wird bei einem 80-jährigen Patienten nur die Hälfte der Etomidate-Dosis benötigt, um denselben hypnotischen Effekt im EEG wie bei einem 22-Jährigen zu erzielen. Alter beeinflusst nicht das Verhältnis von Etomidate-Blutspiegeln und maximalen EEG-Effekten (Arden et al. 1986).
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3.3 Injektionsanästhetika
3.3.5 Ketamin Ketamin, ein Phenzyklinderivat mit chemischen Ähnlichkeiten zu den Halluzinogenen, steht in wässriger Lösung als Razemat oder als S(+)-Ketamin zur Verfügung. Ketamin weist als einziges klinisch gebräuchliches Hypnotikum analgetische Effekte und eine starke halluzinogene Wirkung auf. Da nur das linksdrehende S(+)-Isomer die spezifischen anästhetischen Effekte hervorruft, wird beim Razemat die doppelte Dosis benötigt. In niedriger Dosierung (0,12–0,25 mg/kg i. v.) wirkt S(+)-Ketamin stark analgetisch, in höherer Dosierung (0,5–1 mg/kg i. v.) hypnotisch. Bei der intramuskulären Anwendung ist die 5-fache Dosis zum Erzielen des gewünschten analgetischen oder hypnotischen Effektes erforderlich. Die Vorteile von S (+)-Ketamin sind in der höheren Potenz und der schnelleren Metabolisierung zu sehen. Kein Unterschied besteht in der Inzidenz der psychotropen Effekte.
Wirkmechanismus Ketamin ist ein NMDA-Antagonist. Der exzitatorische Neurotransmitter NMDA (N-Methyl-D-Aspartat) vermittelt auf zerebraler und spinaler Ebene die Verarbeitung von sensorischen und nozizeptiven Impulsen, greift in Bewegungsabläufe und in die Regulation von Blutdruck und Gefäßtonus ein. Zudem bindet Ketamin am μ- und sOpioidrezeptor.
Pharmakokinetik Ca. 30–60 Sekunden nach einer i. v. Injektion setzt der Effekt am ZNS ein. Bei intramuskulärer Gabe werden die maximalen Blutspiegel nach ca. 5 Minuten erreicht. Die Wirkung endet nach 10–15 Minuten durch Umverteilung. In der Leber erfolgt die Demethylierung an Cytochrom P 450 zu Norketamin, das eine ähnliche, aber schwächere Wirkung als die Muttersubstanz aufweist.
Nebenwirkungen Die halluzinogene Wirkung schränkt die klinische Anwendung von Ketamin ein. Patienten berichten über Albträume, Sehstörungen und eine veränderte Körperwahrnehmung. Die Gabe eines Benzodiazepins oder von Propofol vor Ketamin reduziert die Inzidenz der psychotropen Effekte. Durch die sympathikomimetischen Eigenschaften werden Herzfrequenz und Blutdruck erhöht sowie der zerebrale Blutfluss gesteigert, weshalb bei intrakraniellen Raumforderungen der intrakranielle Druck ansteigt. Die bronchodilatatorische Wirkung kann beim Asthmatiker von Vorteil sein. Störend ist die Hypersalivation.
Kontraindikationen Kontraindikationen sind: erhöhter intrakranieller Druck, Psychosen, KHK, Herzinsuffizienz, arterielle und pulmonale Hypertonie.
3.3.6 Benzodiazepine Benzodiazepine weisen eine sedierende, antikonvulsive, anxiolytische und dosisabhängige hypnotische Wirkung auf. Durch die anterograde Amnesie eignen sich Benzodiazepine zur Sedierung bei diagnostischen und therapeutischen Eingriffen. Wegen der bei kontinuierlicher Gabe und vorsichtiger Titration erhaltenen kardiovaskulären Stabilität sind die Benzodiazepine bei kritisch Kranken und alten Menschen zur Narkoseinduktion, Koinduktion und Sedierung geeignet (Eilers und Niemann 2003). Da erhebliche Unterschiede im Wirkprofil zwischen den einzelnen Benzodiazepinen bestehen, ist eine sorgfältige Auswahl nach den Bedürfnissen, der Wirkdauer und dem Nebenwirkungsprofil zu treffen. Die Wirkung der Benzodiazepine lässt sich mit dem spezifischen Antagonisten Flumazenil aufheben. Die Halbwertszeit von Flumazenil ist mit 60–90 Minuten kürzer als die der anderen Benzodiazepine, sodass bei der Antagonisierung wegen der länger dauernden Wirkung des Benzodiazepins Repetitionsgaben oder eine kontinuierliche Zufuhr erforderlich werden. Alte Patienten reagieren sehr sensibel auf die Wirkung der Benzodiazepine, was auf die altersspezifischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Eigenschaften zurückzuführen ist. Benzodiazepine sind wegen der atemdepressiven Wirkung zur Sedierung bei Patienten mit respiratorischer Insuffizienz und obstruktivem Schlaf-Apnoe-Syndrom ungeeignet.
Midazolam Midazolam ist ein wasserlösliches Imidazolderivat, das im physiologischen pH-Bereich stark lipophil wird, wodurch sich der schnelle Wirkeintritt erklären lässt. Midazolam wirkt über den Benzodiazepinrezeptor, der in den GABA A-Rezeptor integriert ist. Im Gegensatz zu den Barbituraten wird der Transmitter GABA für die Entfaltung einer spezifischen Benzodiazepinwirkung benötigt. Zur Narkoseinduktion werden Midazolam 0,1–0,2 mg/ kg i. v. verabreicht. Wird eine Koinduktion mit einem anderen intravenösen Injektionsanästhetikum vorgenommen, reduziert sich die Dosis von Midazolam auf 1– 2 mg. Zur Sedierung wird Midazolam nach Wirkung verabreicht. Infolge der altersbedingten Besonderheiten können auch kleine Dosen bei alten Menschen über ausgeprägte Sedierung, Atemdepression und zentrale Muskelrelaxation zu einer bedrohlichen Ateminsuffizienz führen. Eine hinreichend lange Überwachung muss bei der Anwendung von Midazolam gewährleistet werden (Jacobs et al. 1994).
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten
Pharmakokinetik – Pharmakodynamik Midazolam wird in der Leber oxidativ hydroxyliert. Die Metabolite 1- und 4-Hydroxyl-Midazolam weisen eine geringere Wirkung am ZNS als die Muttersubstanz Midazolam auf. Die Clearance von Midazolam ist mit 6–8 ml/ kg/min die höchste unter allen Benzodiazepinen. Daraus ergibt sich eine Halbwertszeit von 2–4 h, die vergleichbar mit den übrigen intravenösen Induktionsanästhetika ist. Enzyminduktion und Veränderungen der Leberperfusion beeinflussen den Metabolismus von Midazolam erheblich, wodurch die Clearance reduziert wird und eine verlängerte Medikamentenwirkung beim alten Patienten resultiert. Beim alten Menschen weist Midazolam eine verstärkte Wirkung auf, sodass niedrigere Plasmaspiegel bereits zum Verlust des Bewusstseins führen. Die Plasmaclearance ist beim 80-Jährigen im Vergleich zum 20Jährigen um ca. 30 % verringert. Zudem bestehen geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Clearance von Midazolam ist bei älteren Männern stärker vermindert, jedoch nur in geringerem Ausmaß bei älteren Frauen. Das Alter beeinflusst die Clearance von Midazolam aber in geringerem Ausmaß als die von Diazepam (Greenblatt et al. 1984). Basierend auf diesen altersbedingten Veränderungen der Pharmakokinetik wäre eine geringfügige Dosisreduktion von ca. 25 % erforderlich. Werden jedoch die pharmakodynamischen Veränderungen, die eine zusätzliche 30 % ige Dosisreduktion erfordern, mit einbezogen, dann ist eine beträchtliche Dosisreduktion von ca. 75 % beim alten Patienten angemessen und erforderlich. Bei der kontinuierlichen Zufuhr von Midazolam ist zu beachten, dass die kontextsensitive Halbwertszeit von Midazolam nicht nur durch die Infusionsdauer, sondern zusätzlich durch das Alter des Patienten erheblich beeinflusst wird, weshalb der Abfall der Plasmakonzentration beim 80-Jährigen doppelt so lange als beim 20-Jährigen dauert (Greenblatt et al. 1991).
Tabelle 3.5
Tabelle 3.4 Dosierungsempfehlung für intravenöse Injektionsanästhetika basierend auf der veränderten Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bei alten Patienten. Barbiturate
Mäßige Reduktion einer Bolusdosis und der Infusionsrate
Etomidate
Reduktion der Bolusdosis um bis zu 50 %
Propofol
Reduktion der Bolusdosis um 30–50 % und der Infusionsrate
Benzodiazepine
Reduktion der Bolusdosis um 75 % und der Infusionsrate
Diazepam Diazepam wird in der Leber oxidativ hydroxyliert, wobei als Metabolit Desmethyldiazepam entsteht, das eine deutlich stärkere und längere ZNS-Wirkung aufweist als die Muttersubstanz. Die Pharmakokinetik von Diazepam wird durch Enzyminduktion und Veränderungen in der Leberperfusion beeinflusst, was zu einer Abnahme der Clearance führt. Bei wiederholter Applikation und Langzeitanwendung ist mit der Akkumulation des stärker wirksamen Metaboliten zu rechnen, weshalb die klinischen Effekte beim älteren Patienten erheblich verlängert sind.
Lorazepam Die unterschiedliche Plasma-Eliminationshalbwertszeit der Benzodiazepine korreliert nicht immer mit der Dauer der sedierenden (pharmakodynamischen) Wirkung der einzelnen Substanz. Die hohe Rezeptoraffinität von Lorazepam verursacht eine längere Elimination aus dem ZNS und dadurch eine längere Wirkdauer des klinischen Effekts. Lorazepam wird in der Leber glukuronidiert, wobei inaktive Metabolite entstehen. Eine Kumulation tritt bei alten Patienten nicht ein.
Pharmakologische Daten der klinisch gebräuchlichen Injektionsanästhetika.
Substanz
Induktionsdosis (mg/kg i. v.)
Wirkdauer (min)
VerteilungsHalbwertszeit t½α (min)
Verteilungsvolumen Steady State Vdss L/kg
Clearance ml/kg/min
EliminationsHalbwertszeit t½β (h)
Proteinbindung (%)
Thiopental
3–5
5–10
2–4
2,5
3,4
11
83
Methohexital
1–1,5
3–4
5–6
2,2
11
4
73
Propofol
1–2
3–5
2–4
2–10
20–30
4–23
97
Etomidate
0,1–0,3
3–5
2–4
2,5–4,5
18–25
2,9 –5,3
77
Ketamin
1–2
5–10
11–16
2,5–3,5
12–17
2–4
12
Midazolam
0,1–0,3
15–20
7–15
1,1–1,7
6,4–11
1,7–2,6
94
Diazepam
0,3–0,6
15–30
10–15
0,7–1,7
0,2–0,5
20–50
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3.3 Injektionsanästhetika
Kernaussagen ●
●
●
●
●
●
Injektionsanästhetika sind eine heterogene Gruppe von Pharmaka, die nach intravenöser Gabe ein rasches Einschlafen ohne Exzitation ermöglichen. Sie entfalten ihre Wirkung am GABAA-Rezeptor, benachbarten Ionenkanälen und NMDA-Rezeptor, wodurch erregende Impulse gehemmt und exzitatorische Neurotransmitter vermindert freigesetzt werden, was die dämpfenden Effekte im ZNS hervorruft. Bei alten Menschen wird die Pharmakokinetik der Injektionsanästhetika durch die altersbedingten physiologischen Veränderungen erheblich beeinträchtigt, was zu höheren Plasmaspiegeln und verlängerter Elimination führt. Zur Vermeidung von negativen kardiovaskulären Effekten und einer verlängerten Wirkdauer ist eine Dosisreduktion angezeigt. Die kurze hypnotische Wirkung der Barbiturate Thiopental und Methohexital nach einer Bolusinjektion ist auf die rasche Umverteilung und nicht auf Metabolisierung und Elimination zurückzuführen. Bei alten Menschen ist eine Dosisreduktion von Thiopental um 30–40 % infolge eines verminderten Verteilungsvolumens erforderlich. Eine verlängerte Kreislaufzeit mit verzögert einsetzender Wirkung begünstigt zudem akzidentelle Überdosierung mit den entsprechenden depressiven Kreislaufeffekten. Barbiturate sind bei akuter intermittierender Porphyrie und Porphyria variegata kontraindiziert. Besondere Vorsicht ist bei Herzerkrankungen, Hypovolämie und Aortenstenose geboten. Wegen seiner günstigen Eigenschaften eignet sich Propofol auch beim alten Menschen zur Induktion und Aufrechterhaltung einer Anästhesie sowie zur Sedierung. Bei alten Menschen weist Propofol durch Reduktion der Clearance und Kompartimentabnahme eine erhöhte Potenz auf. Zur Vermeidung von ausgeprägten Kreislaufreaktionen ist eine Dosisreduktion angezeigt. Die kontextsensitive Halbwertszeit wird nicht nur von der Infusionsdauer sondern darüber hinaus auch vom Alter beeinflusst. Wegen der minimalen Beeinträchtigung des kardiovaskulären Systems und der fehlenden Histaminliberation eignet sich das Imidazolderivat Etomidate besonders zur Narkoseinduktion beim multimorbiden alten Risikopatienten. Die altersbedingte Abnahme der Leberdurchblutung verlängert die Elimination von Etomidate. Ketamin weist als einziges Injektionsanästhetikum analgetische Effekte und eine starke halluzinogene Wirkung
●
auf. Daten zu altersbedingten Veränderungen der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik liegen nicht vor. Wegen der erhaltenen kardiovaskulären Stabilität eignen sich Benzodiazepine bei vorsichtiger Titration zur Narkoseinduktion und Sedierung beim kranken alten Menschen. Durch die altersbedingten Veränderungen der Pharmakokinetik und die pharmakodynamischen Veränderungen ist jedoch eine Dosisreduktion von ca. 75 % erforderlich. Denn bereits kleine Dosen von Benzodiazepinen können beim alten Menschen über Sedierung, zentrale Muskelrelaxation und Atemdepression zu einer bedrohlichen Ateminsuffizienz führen. Bei kontinuierlicher Zufuhr wird die kontextsensitive Halbwertszeit durch das Alter des Patienten erheblich beeinflusst.
Literatur Arden JR, Holley FO, Stanski DR. Increased sensitivity to etomidate in the elderly: initial distribution versus altered brain response. Anesthesiology 1986; 65: 19–27 Barann M, Linden I, Witten S et al. Molecular actions of propofol on human 5-HT3A receptors: enhancement as well as inhibition by closely related phenol derivates. Anesth Analg 2008; 106: 846– 857 Eilers H, Niemann C. Clinically important drug interactions with intravenous anaesthetics in older patients. Drugs Aging 2003; 20: 969–980 Greenblatt DJ, Abernathy DR, Locniskar A et al. Effect of age, gender and obesity on midazolam kinetics. Anesthesiology 1984; 61: 27–35 Greenblatt DJ, Harmatz JS, Shader RI. Clinical pharmacokinetics of anxiolytics and hypnotics in the elderly: therapeutic considerations (Part I). Clin Pharmacokinet 1991; 21: 165–177 Homer TD, Stanski DR. The effect of increasing age on thiopental disposition and anesthetic requirement. Anesthesiology 1985; 62: 714–724 Hughes MA, Glass PS, Jacobs JR. Context-sensitive half-time in multicompartment pharmacokinetic models for intravenous anesthetic drugs. Anesthesiology 1992; 76: 334–341 Jacobs JR, Reves JG, Marty J et al. Ageing increases pharmacodynamic sensitivity to the hypnotic effect of midazolam. Anesth Analg 1994; 80: 143–148 Kirkpatrik T, Cockshott ID, Douglas EJ et al. Pharmacokinetics of propofol (diprivan) in elderly patients. Br J Anaesth 1988; 60: 146–150 Schnider TW, Minto CF, Shafer SL et al. The influence of age on propofol pharmacodynamics. Anesthesiology 1999; 90: 1502–1516 Stanski DR, Maitre PO. Population pharmacokinetics and pharmacodynamics of thiopental: the effect of age revisited. Anesthesiology 1990; 72: 412–422 Yavas S, Lizdas D, Gravenstein N et al. Interactive web simulation for propofol and fospropofol, a new propofol prodrug. Anesth Analg 2008; 106: 880–883
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3.4 Muskelrelaxanzien D. Nauheimer, G. Geldner
3.4.1 Einführung Der Einsatz von Muskelrelaxanzien im Rahmen der Allgemeinanästhesie dient vorrangig der Verbesserung der Intubationsbedingungen sowie der Optimierung operativer Bedingungen bei Eingriffen, die eine Relaxierung der quergestreiften Muskulatur erforderlich machen. Die den Alterungsprozess begleitenden physiologischen Veränderungen und die Zunahme eines stetig älter werdenden Patientenkollektivs mit häufig vorhandener Multimorbidität haben signifikante Effekte auf die Pharmakokinetik muskelrelaxierender Medikamente (Evers et al. 1994). Die dem Anästhesisten zur Verfügung stehenden Muskelrelaxanzien (Tab. 3.6) weisen unterschiedliche Eigenschaften in ihrer Wirkweise, ihrem Wirkprofil und ihrer Elimination auf. Diese Besonderheiten und Probleme in der Anwendung von Muskelrelaxanzien müssen bei der Auswahl des angemessenen Medikamentes Berücksichtigung finden.
3.4.2 Blockade der neuromuskulären Übertragung Zur pharmakologischen Hemmung der neuromuskulären Übertragung existieren grundsätzlich die folgenden Ansätze: Blockade der postsynaptischen Acetylcholinrezeptoren durch kompetitive Antagonisten des Acetylcholins (Nichtdepolarisationsblock). Blockade des postsynaptischen Acetylcholinrezeptors durch Auslösung eines Aktionspotenzials, aber langsame Abdiffusion, bzw. Abbau und in der Folge Unerregbarkeit der postsynaptischen Membran durch Dauerdepolarisation (Depolarisationsblock).
Tabelle 3.6 zien.
Vertreter nicht depolarisierender Muskelrelaxan-
Steroidderivate
Pancuronium, Vecuronium, Rocuronium
Benzylisochinoline
Atracurium, Cis-Atracurium, Mivacurium
Sonstige, Isoquinolone
Curare, Alcuronium
Nichtdepolarisationsblock Vertreter der nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien (ndMR): Steroidderivate, Toxiferinderivat, Benzylisochinoline. Die Steroidderivate werden hauptsächlich organabhängig über hepatische Deacetylierung und biliäre wie auch durch renale Ausscheidung eliminiert (Marshal et al. 1983, Fisher et al. 1986). Es entstehen aktive Metabolite, die über neuromuskulär blockierende Wirkungen sowie eine gegenüber der Ausgangssubstanz verzögerte Eliminierung verfügen (Tab. 3.7). Die Benzylisochinoline Atracurium und sein Isomer, Cis-Atracurium, werden durch nicht enzymatischen Zerfall, die so genannte „Hofmann-Elimination“, abgebaut und zu einem geringen Teil renal ausgeschieden (Ornstein et al. 1996, Kent et al. 1989). Das kurz wirksame Mivacurium wird durch Plasmacholinesterasen abgebaut. Zu den Nebenwirkungen der nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien zählen die Histaminliberation wie auch Wirkungen an anderen nikotinergen (präganglionär Sympathikus und Parasympathikus) bzw. muskarinergen (postganglionär Parasympathikus) Rezeptoren. Da nikotinische Acetylcholinrezeptoren nicht nur an der neuromuskulären Endplatte, sondern auch an vegetativen Ganglien und dem zentralen Nervensystem lokalisiert sind, können Muskelrelaxanzien auch an diesen Bereichen ihre Wirkung entfalten. Die Nebenwirkungen der ndMR ergeben sich aus den blockierenden Eigenschaften gegenüber weiteren nikotinergen und muskarinergen Acetylcholinrezeptoren, sowie der Histaminliberation. Einige ndMR weisen durch Blockade der prä-, bzw. postganglionären Acetylcholinrezeptoren des Parasympathikus vagolytische Wirkungen auf. Auch die Gruppe der Benzylisochinoline ruft vereinzelt histaminerge Nebenwirkungen hervor. Die Ursache hierfür ist die direkte Wirkung auf serosale Mastzellen, die mit einer Histaminliberation reagieren (Veien et al. 2000). Klinisch zeigt sich dies durch Erythem- oder Quaddelbildung, Tachykardie und ggf. Blutdruckabfall. Die Stereoisomere dieser Substanzgruppe unterscheiden sich jedoch deutlich in der Ausprägung dieser unerwünschten Nebenwirkung. Cis-Atracurium, das R-cis-, R’-cis-Isomer des Atracurium, weist im Gegensatz zu allen anderen 15 Stereoisomeren so gut wie keine histaminergen Nebenwirkungen auf.
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3.4 Muskelrelaxanzien Tabelle 3.7
Klinisch übliche Muskelrelaxanzien und ihre Dosierung (Quelle: Paul et al. 1999). Intubationsdosis mg/kg
Repetetionsdosis mg/kg
Wirkdauer/Erholungsindex (Inj.-25 %)/ (25–75 % Erholung) min
Wirkungsverlängerung im Alter (nach 2-facher ED95 bis 95 % Erholung – in %)
ca. 7–12/4
0
Succinylcholin
1,0
Rocuronium
0,6
0,1
ca. 40/14
+ 50
Pancuronium
0,1
0,015
ca. 120/40
+ 50
Vecuronium
0,1
0,02–0,05
ca. 40/15
+ 50
Cisatracurium
0,1
0,02
ca. 45/18
+ 10
Atracurium
0,3–0,5
0,1–0,2
ca. 40/15
+ 10
Mivacurium
0,15
0,05–0,1
ca. 20/7
+ 30
Besonderheiten, die sich zusätzlich bei alten Patienten ergeben: ● In der Folge von reduziertem Herzzeitvolumen bei alten oder kardial insuffizienten Patienten kann durch eine langsamere Verteilung des injizierten Muskelrelaxans ein verzögerter Wirkungseintritt resultieren (Cope u. Hunter 2003). ● Einschränkungen des hepatischen Stoffwechsels durch die Abnahme von Parenchym und Perfusion kann zur Beeinträchtigung der Clearance v. a. der Steroidderivate führen. Auch eine eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate bei alten oder niereninsuffizienten Patienten kann zur Kumulation der Steroidderivate und dadurch zu einer schwer kalkulierbaren Wirkungsverlängerung der neuromuskulären Blockade führen (s. Kap. 6.8). Einen Vorteil bietet hier der nicht enzymatische, organunabhängige Abbau der Benzylisochinoline Atracurium und Cis-Atracurium. Da dieser Vorgang gleichermaßen in allen Kompartimenten stattfindet, ist eine Kumulation bei diesen Substanzen kaum zu erwarten (Fisher et al. 1986). Diese Substanzgruppe bietet sich daher zur Verwendung bei Leberund Nierenfunktionsstörungen an (Ornstein et al. 1996, Fahey et al. 1984, Kisor et al. 1996). Eine altersabhängige, reduzierte Konzentration der Plasmacholinesterase im Rahmen von Synthesestörungen der
neuromuskuläre Blockade abschwächend
neuromuskuläre Blockade verstärkend
●
●
●
Leber kann eine verlängerte Wirkung von Mivacurium verursachen (Maddieni et al. 1994). Im Alter kommt es zur Zunahme des Körperfettanteils und Abnahme der Körpermuskelmasse (s. Kap. 2.7). In deren Folge können die routinemäßig angewendeten Dosierungen, bezogen auf das Körpergewicht, zu einer unerwartet prolongierten neuromuskulären Blockade führen (Cope u. Hunter 2003). Pulmonale Veränderungen bei alten Patienten, wie die reduzierte Closing Capacity und die Neigung zu vermehrtem Alveolenkollaps, können gerade bei Relaxansüberhängen zu hypoxischen Komplikationen führen (s. Kap. 2.3). Auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die bei älteren Patienten häufig Anwendung finden, sind bekannt. Diese können zu einer Abschwächung wie auch zu einer erheblichen Verlängerung der neuromuskulär blockierenden Wirkung führen (Tab. 3.8).
Merke
Bei eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion bietet sich die Verwendung von Cis-Atracurium oder Atracurium an. Sie werden organunabhängig abgebaut und neigen nicht zur Kumulation. Aufgrund der geringeren histaminergen Nebenwirkungen empfiehlt sich der Gebrauch von Cisatracurium.
●
Phenytoin
●
Carbamazepin
●
Theophyllin
●
Sympathomimetika
●
Aminoglykoside (Gentamycin, Tobramycin, Amikacin)
●
Antiarrhythmika (Procainamid, Chinidin)
●
β-Blocker, Kalziumantagonisten
●
Magnesium
●
Lithium
●
Diuretika (Furosemid, Thiazide)
●
Ciclosporin
Tabelle 3.8 Medikamenteninteraktionen mit nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien.
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten
Depolarisationsblock Vertreter: Suxamethonium (Succinylcholin). Die ultrakurze Wirkung erklärt sich aus der schnellen Spaltung in Succinylmonocholin und Cholin durch die Plasmacholinesterase. Aufgrund des schnellen Wirkungseintritts und der kurzen Wirkdauer findet Succinylcholin seine Anwendung v. a. bei der RSI (Rapid Sequence Induction), bei erwarteten schwierigen Intubationen und Sectiones. Unerwünschte Wirkungen, die besonders beim alten Patienten schwerwiegende Folgen haben können, sind Hyperkaliämie, Herzrhythmusstörungen, Histaminliberation, Myalgien und vermehrte Speichel- und Bronchialsekretion. Dazu stellt Succinycholin einen Trigger der malignen Hyperthermie dar und führt zu intraabdominellen, intraokulären und zerebralen Druckanstiegen. Besondere Rücksicht sollte bei alten Menschen auf die häufig eingeschränkte Nierenfunktion und den damit verbundenen erhöhten Kaliumwerten, wie auch bei bereits bestehenden Herzrhythmusstörungen, genommen werden. Eine Wirkungsverlängerung kann im Alter bei eingeschränkter Leberfunktion durch die verminderte Synthese oder bei bestehender atypischer Plasmacholinesterase resultieren (Maddineni et al. 1994).
Merke
Leberfunktionsstörungen können durch verminderte Plasmacholinesterase-Synthese zu einer Wirkungsverlängerung von Succinylcholin und Mivacurium führen.
3.4.3 Antagonisierung der neuromuskulären Blockade Acetylcholinesterasehemmer Vertreter: Neostigmin, Pyridostigmin. Acetylcholinesterasehemmer erhöhen die Konzentration des Acetylcholins im synaptischen Spalt. Bei kompetitiver Hemmung der neuromuskulären Transmission durch ndMR lässt sich die neuromuskuläre Blockade antagonisieren. Die unerwünschten Wirkungen ergeben sich durch die Acetylcholin-Konzentrationserhöhung an den vegetativen Ganglien. Es können Herzrhythmusstörungen (Bradykardien, AV-Blockierungen), vermehrte Speichel- und Bronchialsekretion, Bronchokonstriktion, Miosis, Übelkeit und Erbrechen auftreten. Erkrankungen wie die COPD, Asthma und AV-Blockierungen stellen Kontraindikationen zur Anwendung von Acetylcholinesteraseinhibitoren dar.
Cyclodextrine Cyclodextrine (Sugammadex, seit Ende 2008 in Deutschland zugelassen) verfolgen ein neues Konzept in der Antagonisierung neuromuskulärer Blockaden durch steroidale ndMR. Ringförmig angeordnete Oligosaccharide schließen in ihrem lipophilen Kern die Muskelrelaxansmoleküle ein und bilden einen stabilen Komplex (de Boer et al. 2006). Das Muskelrelaxans wird dabei eingekapselt und ist klinisch nicht mehr wirksam. Der CyclodextrinMuskelrelaxans-Komplex wird renal ausgeschieden (Nicholson et al. 2007). Selbst bei eingeschränkter Nierenfunktion wirken sie uneingeschränkt und ein Rebound der neuromuskulären Blockade ist nicht zu erwarten (Sorgenfrei et al.). Aufgrund des Wirkprofils und den deutlich geringeren Nebenwirkungen im Vergleich zu den Acetylcholinesterasehemmern stellen Cyclodextrine künftig eventuell eine bevorzugte Alternative besonders bei alten Patienten dar.
3.4.4 Neuromuskuläres Monitoring Da sich Anschlagzeiten, Wirkdauer und Dosierungen der unterschiedlichen in klinischer Verwendung befindlichen Muskelrelaxanzien unterscheiden und weiter auch verschiedene individuelle Einflussfaktoren wie Begleiterkrankungen, Wechselwirkungen und synergistische Arzneimitteleffekte sich auf die neuromuskuläre Blockade auswirken, sind verlässliche Vorhersagen zu Wirkungseintritt, zur Wirkdauer und zum Abklingen einer Relaxation ohne zuverlässiges Monitoring kaum möglich (Schreiber u. Fuchs-Buder 2006). Diverse Untersuchungen zeigten, dass postoperative Restblockaden mit einem deutlichen Anstieg der Morbidität und Mortalität einhergehen können. Klinische Konsequenzen, die sich aus verschiedenen Graden von Restblockaden ergeben können, äußern sich vor allem in hypoxischen Komplikationen. Beeinträchtigung der forcierten Vitalkapazität, Obstruktion der oberen Atemwege, Störungen der pharyngealen Funktionen und Einschränkung der hypoxischen Atemantwort lassen sich bereits bei geringen Restblockaden noch nachweisen (Eikermann et al. 2006, Fuchs-Buder u. Eikermann 2006).
Merke
Muskelrelaxation nur mit neuromuskulärem Monitoring, insbesondere bei älteren Patienten.
Vor dem Hintergrund, Komplikationen durch minimale Restblockaden insbesondere bei alten Patienten mit eingeschränkten Kompensationsmöglichkeiten zu verhindern, sollte bei dem Einsatz von Muskelrelaxanzien ein quantitatives (objektives) neuromuskuläres Monitoring, wie z. B. TOF-Watch, TOF-Guard (Organon) oder NMT (Modul Datex/GE) Anwendung finden (Naguib et al. 2007).
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3.4 Muskelrelaxanzien
Merke
Eine qualitative (subjektive) Beurteilung der Relaxierung durch klinische Tests kann minimale Restblockaden nicht erfassen. Um Komplikationen durch postoperative Restblockaden auszuschließen, muss quantitatives neuromuskuläres Monitoring Anwendung finden.
Kernaussagen ●
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Die Verwendung von Muskelrelaxanzien bei alten Patienten sollte nicht unbedacht erfolgen. Cave bei Nieren- und Leberfunktionsstörungen: Steroidale ndMR werden hepatisch metabolisiert und renal ausgeschieden. Durch eingeschränktes Herzzeitvolumen kann ein verzögerter Wirkungseintritt resultieren. Steroidale ndMR neigen bei repetitiver Anwendung oder eingeschränkter Elimination zur Kumulation. Organunabhängig werden die Benzylisochinoline Atracurium und Cisatracurium über die sog. „Hofmann-Elimination“ abgebaut. Bei Einschränkungen der Leber- oder Nierenfunktion bietet sich die Anwendung der Benzylisochinoline an: hier ist insbesondere im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil die Verwendung von Cis-Atracurium zu empfehlen. Leberfunktionsstörungen können zu Wirkungsverlängerung von Succinylcholin und Mivacurium führen (Synthesestörung der Plasmacholinesterase). Postoperative Restblockaden können zu hypoxischen Komplikationen und Aspiration führen. Daher gilt: Muskelrelaxation nur mit neuromuskulärem Monitoring!
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3.5 Volatile Anästhetika F. Kehl
3.5.1 Inhalationsanästhetika Inhalationsanästhetika werden als Gase (Lachgas, Xenon) oder als Dämpfe (volatile Anästhetika) über die Lunge aufgenommen und mit dem Blutstrom in die verschiedenen Organsysteme verteilt. Zu den Inhalationsanästhetika zählen das Lachgas (Distickstoffmonoxid), das Edelgas Xenon und die volatilen Anästhetika Isofluran, Desfluran und Sevofluran. Die volatilen Anästhetika sind nicht ionisiert, haben ein niedriges Molekulargewicht und eine hohe Lipidlöslichkeit. Diese Eigenschaften bedingen eine schnelle Verteilung und Diffusion in das Gewebe entlang des Partialdruckgradienten, ohne dass die volatilen Anästhetika aktiv transportiert oder an Plasmaproteine gebunden werden. Die Pharmakokinetik der volatilen Anästhetika ist wie folgt charakterisierbar: ● Die Aufnahme in den Organismus erfolgt vollständig über die Lungen. ● Die Plasmaproteinbindung spielt keine Rolle. ● Die Elimination aus dem Organismus geschieht fast vollständig über die Atmung und zu einem geringen Teil durch Metabolisierung.
3.5.2 Veränderte Pharmakokinetik im Alter Einfluss der Lungenfunktion auf die Steuerbarkeit der volatilen Anästhetika Alveoläre Ventilation Die alveoläre Ventilation ist der wesentliche Faktor für den Anstieg und den Abfall des alveolären Partialdrucks eines volatilen Anästhetikums. Eine Störung der Lungenfunktion hat dabei Veränderungen der Pharmakokinetik zur Folge: Eine Hypoventilation, z. B. durch eine unzureichende Maskenbeatmung bei Inhalationsanästhesie, führt zu einer verzögerten Änderung des alveolären Partialdrucks des Anästhetikums (Narkosetiefe). Es gilt dabei: Je höher die alveoläre Ventilation, desto schneller steigt der alveoläre Partialdruck des Inhalationsanästhetikums. Umgekehrt beschleunigt eine Hyperventilation die Aufnahme des Inhalationsanästhetikums in die Lunge und das Blut. Die alveoläre Ventilation ist im Säuglings- und Kindesalter höher als beim Erwachsenen oder alten Menschen. Daher kommt es zu einer verzögerten Änderung des alveolären
Partialdrucks und damit verminderten Steuerbarkeit der Konzentration (Partialdruck) der volatilen Anästhetika und damit der Narkosetiefe im Alter (s. Kap. 2.3).
Ventilations-Perfusionsstörungen Bei Vorliegen eines Rechts-Links-Shunts (z. B. zunehmende Atelektasenbildung im Alter) kommt es zu einer verzögerten An- bzw. Abflutung der volatilen Anästhetika.
Funktionelle Residualkapazität Der alveoläre Partialdruck wird auch von der funktionellen Residualkapazität (FRC) beeinflusst. Je größer die FRC ist, desto größer ist die Verdünnung des Anästhetikums und desto langsamer nähern sich die Partialdrücke im Inspirationsgemisch und im Alveolargas an. Mit zunehmendem Alter der Patienten vergrößert sich regelhaft die FRC (z. B. beim Lungenemphysem), und es kommt zu einer längeren Einleitungs-/Abflutungszeit, bzw. schlechteren Steuerbarkeit (s. Kap. 2.3, Kap. 6.5).
Blut/Gas-Verteilungskoeffizient Je niedriger der Blut/Gas-Verteilungskoeffizient eines volatilen Anästhetikums ist, desto rascher steigt sein alveolärer Partialdruck an, und zwar in der Reihenfolge Desfluran, Sevofluran und Isofluran. Der Blut/Gas-Verteilungskoeffizient erfährt keine Änderung mit zunehmendem Alter.
Gewebe/Blut-Verteilungskoeffizient Die Löslichkeit des Narkosegases im Gewebe wird durch den Gewebe/Blut-Verteilungskoeffizient bestimmt. Für die meisten Gewebe weist der Verteilungskoeffizient niedrige Werte zwischen 1 und 6 auf. Eine Ausnahme bildet das Fettgewebe mit 27 für Desfluran und ca. 45 für Isofluran und Sevofluran. Dies hat bei langen Narkosen auch bei alten Menschen eine Bedeutung, indem die Aufwach-/Recoveryzeiten bei Desfluran am kürzesten sind (Fredman et al. 2002). Der Gewebe/Blut-Verteilungskoeffizient erfährt keine Änderung mit zunehmendem Alter.
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3.5 Volatile Anästhetika
Einfluss der Herzfunktion auf die Steuerbarkeit der volatilen Anästhetika und Einfluss der volatilen Anästhetika auf das kardiovaskuläre System im Alter Herzzeitvolumen Eine Abnahme des Herzzeitvolumens (HZV) und damit der Lungendurchblutung im Alter bei zunehmender kardialer Insuffizienz führt zu einer schnelleren Anflutung der volatilen Anästhetika, da der Partialdruckausgleich zwischen Alveolargas und inspiratorischem Gasgemisch schneller erfolgt (s. Kap. 2.2). Es gilt folgende Beziehung: Je niedriger das HZV, desto schneller steigt der alveoläre Partialdruck des Inhalationsanästhetikums (Abb. 3.7). Bei Patienten mit einem niedrigen HZV (z. B. Herzinsuffizienz, Hypovolämie) ist daher die Einleitungszeit verkürzt. Hierbei kann die narkotische und kardiodepressive Wirkung schneller bzw. verstärkt zunehmen.
Systolische und diastolische Funktion des Herzens Systolische Funktion. Volatile Anästhetika beeinträchtigen dosisabhängig die kardiale Pumpfunktion. Ihre negativ inotrope Wirkung ist im Wesentlichen durch eine Einschränkung der systolischen Funktion gekennzeichnet und manifestiert sich in einer dosisabhängigen Verminderung des Schlagvolumens. Die negativ inotrope Wirkung wird beim gesunden Herzen bei Sevofluran, Isofluran und Desfluran durch eine Senkung des Afterloads kompensiert, sodass im Nettoeffekt das HZV erhalten bleibt. Bei allerdings bestehender Herzinsuffizienz auch im Alter kann sich dagegen die negativ inotrope Wirkung stärker manifestieren und zu einem Abfall des HZV führen, bei eingeschränkter Reserve der Kompensation über eine Erhöhung der Herzfrequenz (s. Kap. 2.2). Der Mechanismus der negativ inotropen Wirkung volatiler Anästhetika beruht auf einer kalziumantagonistischen Wirkung durch erstens Hemmung von Kalzium-Kanälen des L-Typs und zweitens eine verminderte Freisetzung von Kalzium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum. Die negativ inotropen Effekte von Isofluran, Sevofluran und Desfluran sind dabei als gleichwertig einzuschätzen (Hettrick et al. 1996). Diastolische Funktion. Volatile Anästhetika verstärken trotz ihrer negativ inotropen Wirkung die positiv inotropen Effekte von α1- und β1-Rezeptor-Agonisten wie Phenylephrin und Isoprenalin (s. Kap. 3.7). Hierbei zeigt sich indirekt die Aktivierung des β-adrenergen Signaltransduktionswegs durch volatile Anästhetika (Hanouz et al. 1998, Lange et al. 2006, Lange et al. 2008). Auch die diastolische Funktion des Herzens beeinflusst entscheidend das Schlagvolumen, da die Füllung der Ventrikel durch eine Tachykardie oder fehlende Relaxierung des kontraktilen Apparates vermindert wird. In ischämischem Myokard können Isofluran, Desfluran und Sevofluran positiv lusi-
Abb. 3.7 Anflutungsgeschwindigkeit von volatilen Anästhetika in Abhängigkeit vom Herzzeitvolumen (HZV). FA/FI ist der Quotient aus alveolärem und inspiratorischem Partialdruck des volatilen Anästhetikums. Je größer das Herzzeitvolumen ist, desto länger ist die Anflutungszeit. Der Unterschied zwischen den einzelnen Inhalationsanästhetika ist umso größer, je größer der Blut/Gas-Verteilungsquotient ist (Quelle: Aktories et al. 2005).
trope Effekte bewirken (Pagel et al. 1995). Bei koronarer Herzkrankheit und ischämischem Myokard im Alter ist die negativ inotrope Wirkung der volatilen Anästhetika mit reduziertem O2-Bedarf von Vorteil, ebenso die Verbesserung der diastolischen Funktion aufgrund der positiven lusitropen Wirkung. Darüber hinaus kommen den volatilen Anästhetika über diese hämodynamischen Effekte hinaus kardioprotektive Effekte zu, die durch Umstellung des Phänotyps des Kardiomyozyten hervorgerufen werden („volatile Anästhetika induzierte Organprotektion“).
Myokardiale Perfusion Volatile Anästhetika führen zu einer Koronardilatation unter Erhalt der koronaren Autoregulation. Ein früher insbesondere bei Isofluran diskutiertes sog. „Coronarysteal-Phänomen“ hat sich als Folge des bei Isofluran am deutlichsten ausgeprägten Blutdruckabfalls herausgestellt. Wird der Blutdruck aufrechterhalten, kommt es zu keiner negativen intramyokardialen Blutumverteilung und zu keinem „Steal“. Ganz im Gegenteil kann z. B. bei Sevofluran eine Zunahme der kollateralen myokardialen Durchblutung festgestellt werden, „reverse coronary steal“ oder „Robin-Hood-Effekt“ (Kehl et al. 2002a). Darüberhinaus bestehen aufgrund der sog. Anästhetika-
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten induzierten Präkonditionierung kardioprotektive und antiischämische Wirkungen, die das Ausmaß einer koronaren Ischämie abschwächen (s. Kap. 6.4).
3.5.3 Veränderte Pharmakodynamik im Alter Dosierung der Inhalationsanästhetika Für die Dosierung volatiler Anästhetika wurde das MACKonzept definiert. Die MAC50 ist definiert als diejenige alveoläre Konzentration eines Inhalationsanästhetikums in Vol.-% in Sauerstoff, bei der 50 % der Patienten keine Bewegung der Extremitäten nach einem Hautschnitt zeigen. Die MAC50 ist von vielen Faktoren abhängig und wird durch zunehmendes Alter, gleichzeitige Gabe von Analgetika und Sedativa, Absinken der Körpertemperatur, akute Alkoholintoxikation und Schwangerschaft erniedrigt. Der Dosisbedarf (MAC50) der volatilen Anästhetika ist stark altersabhängig: mit zunehmendem Alter erhöht sich die Empfindlichkeit gegenüber volatilen Anästhetika mit Ausnahme der Phase der Frühgeburtlichkeit und dem Säuglingsalter. Die höchsten Werte findet man im 1. Lebensjahr, die niedrigsten bei Frühgeborenen und mit fortschreitendem Alter (Abb. 3.8). Beim 80-jährigen Patienten beträgt die MAC50 nur etwa die Hälfte von dem Wert bei einem Kind im 1. Lebensjahr. Als Faustregel kann man sich merken, dass pro Lebensdekade die Konzentration um 6 % reduziert ist. Die Dosierung der volatilen Anästhetika muss bei älteren Patienten also altersadaptiert vermindert werden. Die Gründe für die altersabhängigen Veränderungen der MACWerte sind nicht genau bekannt. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass die Veränderungen im Alter mit Verän-
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derungen der molekularen Zielstrukturen der Narkosewirkung im Gehirn in direkter Beziehung stehen (s. Kap. 2.1). Veränderungen der Neurotransmitter GABA, NMDA oder Acetylcholin aber auch Veränderungen der Neuronendichte (Altersatrophie) werden als Ursache genannt. In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass der größte Risikofaktor für das Auftreten eines postoperativen Delirs oder eines postoperativen kognitiven Defizits das Alter selbst ist (s. Kap. 6.3, Kap. 7.1). Es kann nicht auf die Anästhesie zurückgeführt werden. Die Narkosedauer, die Größe und das Gewicht des Patienten haben keinen Einfluss auf den MAC-Wert. Der MAC-Wert kann durch Kombination mit zentralnervös wirksamen Medikamenten reduziert werden, z. B. Opioide, Benzodiazepine und Clonidin.
Merke
Der größte Risikofaktor für das Auftreten eines postoperativen Delirs oder eines postoperativen kognitiven Defizits ist das Alter selbst. Schon niedrige Opioid-Dosierungen führen zu einer Abnahme der MAC50. Höhere Dosierungen erniedrigen dann den MAC50 nicht weiter (Katoh et al. 1994). Auch der α2Adrenozeptor-Agonist Clonidin bewirkt eine deutliche Abnahme der MAC50. Klinische Studien ergaben eine Verminderung des Isofluran-Verbrauchs um 30–50 %, wenn die Patienten 3–6 μg/kg KG Clonidin vor oder während der Anästhesie erhalten hatten (Entholzner et al. 1997). Um das „Wachwerden“ des Patienten einschätzen zu können, wurde die MACawake definiert. Die MACawake ist die endtidale Konzentration, bei der Patienten auf Ansprache die Augen öffnen. Sie gilt auch als Grenze zur Ausschaltung des Bewusstseins und Vermeidung von „intraoperativen Wachheitszuständen“. Sie beträgt 30 % der altersadaptierten MAC50 von Isofluran und Sevofluran, bzw. 40 % der altersadaptierten MAC50 von Desfluran. Niedrige bis mittlere Plasma-Konzentrationen von Opioiden am Ende einer „balancierten Anästhesie“ ändern den MACawake-Wert der volatilen Anästhetika nicht (Katoh et al. 1994). Auch der MACawake ist damit altersabhängig, verändert sich aber proportional zur MAC50.
Wahl des Inhalationsanästhetikums Die Wahl des jeweils bevorzugt einzusetzenden volatilen Anästhetikums erfolgt differenziert nach den bestehenden Vorerkrankungen und Organinsuffizienzen, der Art der Durchführung der Narkose und der Art des operativen Eingriffs.
Cave
Abb. 3.8 Abhängigkeit der minimalen alveolären Konzentration (MAC) der Inhalationsanästhetika vom Alter. Der MAC-Wert steigt im Verlauf der Gestation, mit einem Maximum bei Säuglingen im Alter von 1–6 Monaten. Danach erfolgt ein Abfall mit zunehmendem Alter (Quelle: Hemmings u. Hopkins 2006).
Absolute Kontraindikationen für die Verwendung von volatilen Anästhetika sind die Disposition zur malignen Hyperthermie und die akute intrakranielle Raumforderung bei Schädel-Hirn-Trauma.
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3.5 Volatile Anästhetika Volatile Anästhetika können in jedem Lebensalter eingesetzt werden, bieten aber aufgrund des spezifischen pharmakologischen Profils Vorteile für die Anästhesie gegenüber intravenösen Narkotika beim alten Menschen mit Vorerkrankungen wie etwa ● Asthma bronchiale, ● chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, ● koronare Herzkrankheit, ● Herzinsuffizienz, ● Niereninsuffizienz, ● Leberinsuffizienz. Sevofluran, Desfluran und Isofluran können gleichermaßen für die Aufrechterhaltung der Narkose bei Asthma bronchiale und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) verwendet werden (Volta et al. 2005). Bei Leberinsuffizienz bietet Desfluran aufgrund der geringsten Metabolisierung eventuell Vorteile. Bei KHK und Niereninsuffizienz sind alle drei volatilen Anästhetika gleichermaßen geeignet, während bei Herzinsuffizienz Sevofluran und Desfluran der Vorzug gegeben werden sollte, da bei Isofluran mit den größten Blutdruckabfällen gerechnet werden muss.
Wahl des Inhalationsanästhetikums bei kardiovaskulären Risikopatienten Die volatilen Anästhetika sind zur Narkoseführung aufgrund ihres pharmakodynamischen Profils bei kardiovaskulären Risikopatienten insbesondere wegen ihrer organprotektiven Wirkung durch die sog. Anästhetikainduzierte Organprotektion besonders geeignet (s. Kap. 6.4). Beim Menschen vermindern Isofluran, Desfluran und Sevofluran den arteriellen Blutdruck hauptsächlich durch eine Verminderung des peripheren Widerstands und zu einem kleinen Teil durch eine Verminderung der myokardialen Kontraktilität (Lowe et al. 1996, Cahalan et al. 1991). Das Herzzeitvolumen wird nicht wesentlich abgesenkt, da die volatilen Anästhetika die Regulation des Kreislaufs durch das autonome Nervensystem erhalten. Dadurch wird die Barorezeptor-Reflex-induzierte Tachykardie bei fallendem Blutdruck und bei schneller Konzentrationsänderung des volatilen Anästhetikums erklärbar, die mit dazu beiträgt, das Herzzeitvolumen bei geringerem Schlagvolumen aufrecht zu erhalten. Diese tachykarde Reaktion, die auch auf eine eine sympathoadrenerge Stimulation und die Aktivierung tracheopulmonaler und systemischer Rezeptoren zurückgeführt wird (Weiskopf et al. 1995), kann für koronare Risikopatienten nachteilig sein (Grundmann et al. 1996, Helman et al. 1992). Die tachykarde Reaktion kann durch die Gabe eines β1-selektiven Betablockers, eines Opioids oder eines α2-Rezeptoragonisten vollständig unterdrückt werden (Weiskopf et al. 1994). Volatile Anästhetika eignen sich daher auch für die Aufrechterhaltung der Narkose bei herzinsuffizienten Patienten, wenn sie als balancierte Anästhesieverfahren Anwendung finden. Im Vergleich
mit einer intravenösen Anästhesie konnten bei der Narkoseführung mit volatilen Anästhetika bei kardialen Risikopatienten (Herzbypass-Operation) günstige Effekte im Sinne einer „Organprotektion“ beobachtet werden: die kardiale Funktion in der Postbypass-Phase war besser, der Verbrauch an Katecholaminen geringer und die Serumspiegel von Troponin-I im postoperativen Verlauf niedriger (De Hert et al. 2003). Diese günstigen Effekte werden auf das Phänomen der anästhetikainduzierten Prä- und Postkonditionierung zurückgeführt (Kehl et al. 2002b, Kehl et al. 2002c, Kersten et al. 1996, Smul et al. 2009). Volatile Anästhetika vermindern die Größe eines Herzinfarktes, den Reperfusionsschaden, ST-Segmentveränderungen und Extrasystolie, den Kalziumeinstrom und die Kalziumfreisetzung im Myozyten, die Bildung von Sauerstoffradikalen und erhalten die intrazelluläre Konzentration von ATP. Daneben gibt es vielfältige Hinweise für nephro- und neuroprotektive Eigenschaften der volatilen Anästhetika (Payne et al. 2005, Kehl et al. 2004, Julier et al. 2003). Wahrscheinlich lässt sich dieser Effekt auch für alle Organsysteme des Menschen nachweisen, sodass am besten von einer durch volatile Anästhetika induzierten Organprotektion gesprochen werden sollte. Gerade im Alter kommt es darauf an, schon vorgeschädigte Organe auch in ihrer Struktur und Funktion zu erhalten, weswegen bei Risikopatienten volatile Anästhetika zum Einsatz kommen sollten.
Merke
Volatile Anästhetika induzieren eine Protektion insbesondere des kardiovaskulären Systems, aber auch anderer Organe wie z. B. der Nieren und des ZNS. Daher sollten sie bei Risikopatienten eingesetzt werden.
Erholung nach Inhalationsanästhesie und Verweildauer im Aufwachraum Die Erholung der vitalen Funktionen (Atemantrieb und -mechanik) steht in der Ausleitungsphase einer Vollnarkose im Vordergrund. Dies geschieht bei der Verwendung von Desfluran und Sevofluran um einige Minuten rascher als bei Verwendung von Isofluran. Eine klinische Bedeutung kann dieser Unterschied bei Patienten mit eingeschränktem Atemantrieb bzw. beeinträchtigter Lungenfunktion wie Adipositas, COPD und Schlafapnoe-Syndrom und bei alten Menschen erlangen (s. Kap. 7.1). Die Aufwachzeiten sind nach Narkosen mit Desfluran und Sevofluran meist kürzer als nach Eingriffen mit Isofluran und kommen bei länger dauernden Eingriffen deutlicher zum Vorschein, da die Aufwachzeiten nach Inhalationsanästhesie von der Dauer der Narkose und damit der Gesamtdosis (MAC-h) abhängig (Eger 2003) sind. Verglichen mit Propofol ergaben sich nach kleineren Eingriffen Vorteile für Desfluran und Sevofluran gegenüber Propofol: Die meisten Patienten erholten sich nach einstündigen Eingriffen in Desfluran- oder Sevofluran-
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Anästhesie so rasch, dass sie bereits 10 Minuten nach Ende der Anästhesie die Verlegungskriterien aus dem Aufwachraum erfüllten (Song et al. 1998). Diese Unterschiede können relevant werden bei Narkosen bei besonders adipösen Patienten oder bei Patienten in hohem Alter (Chen et al. 2001). Die vollständige Erholung psychomotorischer Funktionen wird mit speziellen neuropsychologischen Testverfahren untersucht und man kann davon ausgehen, dass diese Phase am längsten dauert und zum Teil 48 Stunden in Anspruch nimmt. Verglichen mit Isofluran gibt es hier Vorteile für die Narkose mit Sevofluran und Desfluran (Hobbhahn et al. 1997), und diese sind mit Propofol vergleichbar oder sogar besser als bei intravenöser Narkose mit Propofol (Wandel et al. 1995).
Kernaussagen ●
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Im Alter ist die alveoläre Ventilation vermindert und die funktionelle Residualkapazität vergrößert. Beides führt dazu, dass der Partialdruck der volatilen Anästhetika und somit die Narkosetiefe vermindert steuerbar ist. Bei Patienten mit einem niedrigen HZV ist die Einleitungszeit verkürzt. Der MAC50 der volatilen Anästhetika sinkt im Laufe des Lebens kontinuierlich ab, sodass die Dosierung altersadaptiert vermindert werden muss. Am Herzen wirken volatile Anästhetika negativ inotrop und positiv lusitrop. Beides ist bei koronarer Herzkrankheit und ischämischem Myokard im Alter von Vorteil. Zusätzlich entfalten die volatilen Anästhetika durch das Phänomen der von ihnen induzierten Prä- und Postkonditionierung eine kardioprotektive Wirkung. Die Organprotektion erstreckt sich auch auf andere Organe wie die Niere und das ZNS.
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3.6 Lokalanästhetika B. M. Graf
3.6.1 Einführung
3.6.2 Absorption
Der dramatische Anstieg alter Patienten in den letzten Jahren führte dazu, dass diese Altersgruppe zur schnellstwachsenden Populationsgruppe zählt, wobei prozentual der Anteil der über 85-jährigen am stärksten wächst. Bereits 2030 werden mehr als 20 % der westlichen Bevölkerung älter als 65 Jahre sein. Der Alterungsprozess ist von einigen grundlegenden Änderungen in der Gewebszusammensetzung und der Organkonsistenz begleitet, die auf Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Lokalanästhetika unterschiedliche Effekte zeigen.
Die systemische Absorption, also die Aufnahme der Lokalanästhetika vom perineuralen Gewebe ins Blut, die systemische Verteilung und Elimination spielen eine gewichtige Rolle, wobei vorweggeschickt werden muss, dass die Plasmaspitzenkonzentrationen der Lokalanästhetika nach epiduraler und kaudaler Applikation altersabhängig nur geringfügig variieren (Veering et al. 1986, Bowdle et al. 1986). Sowohl nach epiduraler als auch nach spinaler Lokalanästhetikainjektion ist die physiologische Resorption auch beim geriatrischen Patienten biphasisch: nach einer initialen raschen Absorptionsphase folgt eine weitaus langsamere Phase der Aufnahme aus dem perineuralen Gewebe ins Blut (Burn et al. 1987, Burn et al. 1988, Veering 1999). Im Epiduralraum ist diese hohe Initialphase durch den starken Konzentrationsgradienten und die gute epidurale Vaskularisierung leicht verständlich, während die langsamere spätere Absorptionsphase durch die Reabsorption aus dem epiduralen Fettgewebe erklärbar ist. Dieses Absorptionsverhalten besteht auch im fortgeschrittenen Alter unverändert fort. Bei der Spinalanästhesie verlaufen beide Phasen nicht so eindeutig, da die Absorption aus dem subarachnoidalen Gewebe gegenüber dem Epiduralraum aufgrund des geringeren Konzentrationsgefälles als auch der geringeren Durchblutung deutlich verringert ist. Interessanterweise kommt es bei der spinalen Absorption mit fortgeschrittenem Alter besonders für Bupivacain in der Spätphase zu einer bisher wenig verstandenen Resorptionsbeschleunigung, wobei sich jedoch die Wirkdauer dadurch nicht entscheidend verändert (Veering et al. 1991b). Erklärbar ist die gleich bleibende Wirkstärke und Wirkdauer trotz beschleunigter Resorption möglicherweise durch eine erhöhte Sensibilität älterer Neurone auf Lokalanästhetika. Diese erhöhte Sensibilität im Alter erklärt sich wahrscheinlich durch die verminderte Anzahl an Neuronen in der Cauda equina, wodurch sich auch deren Überleitungszeit verlängert (Veering 1999). Neben der Dichte der Gefäße am Injektionsort ist für die Absorption vor allem das Herzzeitvolumen der ausschlaggebende Parameter. Bisherige Untersuchungen hinsichtlich des Herzzeitvolumens sind widersprüchlich, da sich beim Gesunden im Alter in der Regel keine wesentliche Änderung des Herzzeitvolumens findet, teils aber altersabhängig eine streng negative Korrelation für die Herzleistung nachgewiesen wurde (Rodeheffer et al. 1984) (s. Kap. 2.2). Eindeutig belegt hingegen ist, dass
Merke
Summarisch können diese Änderungen der Pharmakokinetik zu höheren Plasmaspiegeln führen und damit das Risiko zentralnervöser und kardiovaskulärer Zwischenfälle erhöhen (s. Kap. 3.1). Das Prinzip der Regionalanästhesie beruht darin, lokalanästhetisch wirkende Medikamente möglichst nahe an den zu blockierenden Nerv zu injizieren. Nach Injektion laufen zwei voneinander getrennte Prozesse gleichzeitig ab: einerseits diffundiert das Lokalanästhetikum zum blockierenden Nerven, anderseits wird die Substanz abhängig von der jeweiligen Durchblutung ins Gefäßsystem aufgenommen und damit vom geplanten Wirkort abtransportiert. Diese Aufnahme ins Gefäßsystem ist letztlich neben artifiziellen direkten Injektionen ins Gefäßsystem für die systemische Intoxikation verantwortlich. Altersbedingte Veränderungen in der Gewebszusammensetzung, den Organfunktionen und der Durchblutung können Einfluss auf die Absorptionsrate, die Verteilung und besonders auf die Elimination der Lokalanästhetika haben (s. Kap. 3.1). Diese altersbedingten pharmakologischen und pharmakodynamischen Veränderungen beeinflussen das klinische Profil der Lokalanästhetika und damit den Verlauf der Regionalanästhesie. Dies umso mehr, da geschlechtsspezifische Unterschiede, aber insbesondere Begleiterkrankungen, die beim geriatrischen Patienten signifikant häufiger auftreten, Einfluss auf das Verhalten der Lokalanästhetika haben. Um Lokalanästhetika auch beim geriatrischen Patienten sicher und schonend einsetzen und Wirkungseintritt und Wirkdauer dieser Substanzen, aber auch deren Toxizität richtig beurteilen zu können, ist das Verständnis der Pharmakologie beim geriatrischen Patienten unumgänglich.
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3.6 Lokalanästhetika unter Belastung die kardiale Kompensationsfähigkeit im Alter signifikant abnimmt, sodass vor allem bei systemischen Intoxikationen mit Lokalanästhetika mit kardialer Beteiligung mit erheblichen Problemen zu rechnen ist. Anders als Alter per se beeinflusst jedoch jedes Anästhetikum auch die Herzleistung per se, sodass es besonders unter Zusatz von sedierenden Medikamenten zu einer Abnahme des Herzzeitvolumens kommt. Folglich treten in der Regel Plasmaspitzenwerte der Lokalanästhetika einerseits verzögert, bei deutlich verminderten Gewebsdurchblutung jedoch auch vermindert auf. Neben diesen pharmakologischen Änderungen müssen zusätzlich mit zunehmendem Alter anatomische Änderungen berücksichtigt werden, die gerade bei neuroaxialen Blockaden von Bedeutung sein können.
3.6.3 Systemische Verteilung Änderungen der altersbedingten systemischen Verteilung können entweder auf Änderungen der Körperzusammensetzung, der Plasmaproteinbindung oder auf eine veränderte Gewebsperfusion zurückgeführt werden (s. Kap. 3.1). Da es altersbedingt zu einer zunehmenden Umverteilung des Fettgewebes zu Ungunsten des funktionellen
Bindegewebes und des Körperwassers kommt (Shafer 2000), ist in der Spätphase mit einem erhöhten Verteilungsvolumen für fettlösliche Medikamente und folglich auch für die potenten lang wirksamen Lokalanästhetika zu rechnen (Greenblatt et al. 1982). Dies konnte in der Tat für Lidocain bestätigt werden (Nation et al. 1977) (Abb. 3.9). Andererseits kommt es im Alter zu einer Abnahme des zirkulierenden Blutvolumens, sodass bei direkter intravasaler Injektion, aber auch bei rascher Absorption aus gut durchbluteten Injektionsarealen, initial sehr hohe Plasmaspiegel auftreten können. Gerade bei älteren Patienten zeigt sich so eine hohe Variabilität hinsichtlich Resorption, Plasmaspitzenwert und Wirkdauer sowohl nach einer Einzeldosis als auch nach kontinuierlicher Verabreichung von Lokalanästhetika, sodass von multifaktoriellen individuellen Interaktionen auszugehen ist. Gerade diese unberechenbare Vorhersagbarkeit des erwarteten Plasmaspiegels erfordert erhöhte Aufmerksamkeit hinsichtlich systemisch toxischer Effekte beim geriatrischen Patienten (Sadean u. Glass 2003). Einen weiteren wichtigen Faktor, der Plasmaspiegel und Verteilung der Lokalanästhetika wesentlich beeinflusst, stellt die Proteinbindung der Anästhetika dar. Gerade lang wirkende Lokalanästhetika liegen im Plasma nur zum geringsten Teil als freie Moleküle vor, der Groß-
Abb. 3.9 3-Kompartmentmodell der Pharmakologie der Lokalanästhetika.
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten teil ist an Plasmaproteine gebunden. Abhängig von den klinisch eingesetzten Substanzen ist entweder Albumin, für länger wirksame Lokalanästhetika aber besonders saures α1-Glykoprotein, ein Akutphaseprotein, als Pufferprotein entscheidend. Damit ist die freie Konzentration der Lokalanästhetika der Plasmakonzentration an saurem α1-Glykoprotein indirekt proportional, und nur freies Lokalanästhetikum ist für die Toxizität von Bedeutung. Die Plasmaproteinbindung von Lidocain nimmt altersbedingt geringfügig zu, während für Bupivacain kaum Unterschiede hinsichtlich des Alters auftreten (Davis et al. 1985, Veering et al. 1991a). Alter per se beeinflusst die Konzentration dieser Plasmaproteine weitaus weniger als etwa im Alter überproportional häufiger auftretende Begleitkrankheiten (Wallace u. Verbeeck 1987, Veering et al. 1990). Saures α1-Glykoprotein als Akutphaseprotein steigt unter Stressbedingungen, bei Krankheit, Entzündungen, systemischen Krankheiten oder auch postoperativ rasch an, wodurch die freie Plasmakonzentration besonders lang wirksamer Lokalanästhetika abnimmt und damit die Gefahr einer systematischen Intoxikation sinkt (Bowdle u. Freund 1997). Anderseits darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade im Alter die Kompensationsmöglichkeiten der meisten Organsysteme deutlich eingeschränkt sind und damit auch geringfügige Intoxikationen schwerwiegende Komplikationen mit sich bringen können.
Merke
Während sich hinsichtlich der systemischen Verteilung der Lokalanästhetika das zentrale Kompartiment altersbedingt verkleinert, nimmt aufgrund der Zunahme an Fettgewebe das Verteilungsvolumen zu. Plasmaproteine als Puffer der Lokalanästhetika werden weniger durch das Alter als durch Begleiterkrankungen beeinflusst.
des hepatischen Abbaus zu. Alle diese Substanzen werden zu einem geringen Prozentsatz aus dem hepatischen Blutfluss extrahiert, sodass typischerweise die hepatische Enzymaktivität den limitierenden Schritt darstellt. Folglich nimmt im Alter bei abnehmender Lebermasse und Enzymaktivität die Plasmaclearance für klassischen langwirksame Lokalanästhetika ab (Veeering et al. 1987). Da Bupivacain wie alle Pipecoloxylidid-Lokalanästhetika eine geringe hepatische Extraktionsrate aufweisen, kann davon ausgegangen werden, dass die verminderte Clearance für diese Substanzgruppe allein von der verminderten Leberaktivität oder der veränderten Plasmabindung beeinflusst wird, nicht jedoch vom altersbedingt verminderten Leberblutfluss. Im Rückschluss kann damit ein verminderten Abbau der Pipecoloxylidid-Lokalanästhetika als Maß für eine deutlich verminderte Leberfunktion herangezogen werden. Studien belegen, dass im Alter besonders bei Männern individuell immer wieder eine Abnahme der hepatischen Clearance zu verzeichnen ist (Veering et al. 1987). Frauen zeigen bezüglich der Plasmaclearance eine weitaus geringere Abhängigkeit vom Alter, was möglicherweise auf hormonelle Effekte zurückgeführt werden kann (Tsen et al. 1999). Die in der Leber entstehenden Metabolite weisen in der Regel keine lokalanästhetischen Effekte mehr auf, sondern sind polarer und folglich wasserlöslicher, sodass sie über die Niere ausgeschieden werden. Die heute kaum mehr eingesetzten Esterlokalanästhetika wie Procain werden im Gewebe und im Plasma rasch von Cholinesterasen gespalten, sodass sie eine äußerst kurze Halbwertszeit im Blut aufweisen. Die dabei entstehenden Abbauprodukte, die eine hohe allergische Potenz aufweisen, sind selbst ebenfalls inaktiv.
Merke
3.6.4 Elimination/Clearance Heute bevorzugt eingesetzte Amidlokalanästhetika wie Lidocain, Mepivacain, Ropivacain und Bupivacain werden überwiegend hepatisch metabolisiert. Da mit zunehmendem Alter sowohl der hepatische Blutfluss, die funktionelle Lebermasse als auch die hepatische Enzymaktivität abnehmen, würde man im Alter eine Abnahme der Lokalanästhesieclearance erwarten. Für Lokalanästhetika wie Lidocain, die eine hohe hepatische Extraktionsrate aus dem Blutfluss aufweisen, stellt der hepatische Blutfluss den im Alter limitierenden Schritt dar (Wilkinson u. Shand 1975). Parallel zum hepatischen Blutfluss nimmt aber gleichzeitig die Lebermasse und die Aktivität der Leberenzyme altersbedingt ab (Wynne et al. 1989) und folglich auch die Clearance der hepatisch ausgeschiedenen Lokalanästhetika, die nur zum geringen Teil aus dem Leberblutfluss filtriert werden, deren Abbau aber durch die hepatische Biotransformation limitiert wird (s. Kap. 2.4). Für die klassischen lang wirksamen Lokalanästhetika Bupivacain, Levobupivacain und Ropivacain trifft dies Art
Generell muss festgestellt werden, dass die Plasmaclearance sowohl der Ester- als auch der Amidlokalanästhetika im Alter in der Regel reduziert ist, weswegen besondere Vorsicht bei der wiederholten oder kontinuierlichen Gabe von Lokalanästhetika in dieser Patientengruppe angeraten ist. Diese altersbedingten Veränderungen sind jedoch insgesamt gering, sodass sie – sieht man von Begleiterkrankungen ab – bei der Einzelinjektion keine große Rolle spielen, sondern vor allem bei repetierenden Dosen oder bei der kontinuierlichen Verabreichung.
3.6.5 Klinische Implikation der Pharmakologie Klinisch scheinen alle Lokalanästhetika (Tab. 3.9) im Alter eingesetzt werden zu können, ohne eine besondere Bevorzugung einer spezifischen Substanz. Jedoch ist hervorzuheben, dass Lokalanästhetika mit zunehmendem Alter bei spinaler und epiduraler Anwendung sensitiver zu sein scheinen, wobei es besonders zu einer verstärken Ausbreitung der Lokalanästhesie bei der neuroaxialen Verabreichung kommt. Diese Effekte bei der neuroaxialen
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3.6 Lokalanästhetika Tabelle 3.9
Pharmakokinetische Daten wichtiger Lokalanästhetika. Procain
Lidocain
Prilocain
Mepivacain
Ropivacain
Bupivacain
Levobupivacain
Potenz
1
4
4
4
16
16
16
pKa
9,05
7,9
7,9
7,8
8,1
8,1
8,1
t1/2 (min)
1–3
96
96
114
111
162
162
VV (l)
k. A.
91
200–260
84
47
73
60–70
Cl (l/min)
k. A.
0,95
2,37
0,8
0,44
0,58
0,6
PC
0,02
2,9
0,9
0,8
6,1
27,5
27,5
PB (%)
5,8
64
40–50
78
94
96
96
Extrakt.
k. A.
0,65
hep./pulm.
0,5
0,4
0,4
0,4
Ctox
k. A.
>5
>5
5–6
4
1,5
?
Potenz = relative Potenz bezogen auf Procain; t1/2 = Eliminationshalbwertszeit; VV = Verteilungsvolumen im Steady State; CL = Clearance; PC = Verteilungskoeffizient Octanol : Puffer (pH 7,4); PB = Plasmaproteinbindungsrate; Extrakt. = hepatische Extraktionsrate; Ctox = systemisch-toxische Schwellenkonzentration.
Anästhesie können nicht allein durch pharmakokinetische Veränderungen erklärt werden, sodass auch pharmakodynamische Veränderungen an der neuronalen Sensitivität diskutiert werden müssen. Erklärung hierfür könnten die Reduktion der Anzahl an Neurone innerhalb des Rückenmarks, der Abbau der Myelinschicht, die Verzögerung der Überleitungszeit in den peripheren Nerven aber auch anatomische Veränderungen am Spinalkanal und an der Wirbelsäule sein (s. Kap. 2.1) (Sadean u. Glass 2003, Vuyk 2003). Bereits Bromage konnte zeigen, dass bei epiduraler Anwendung die pro Segment benötigte Lokalanästhesiemenge signifikant altersbedingt abnimmt (Bromage 1969). Dieser Befund konnte später nicht immer eindeutig bestätigt werden (Park et al. 1982), vielmehr zeigte sich, dass besonders das verwendete Volumen und weniger die verabreichte Dosis hinsichtlich der Ausbreitung bei neuroaxialen Gaben für die Ausbreitung bestimmend ist. Erklärbar ist dies durch die bevorzugte Anreicherung von Lokalanästhetika im Epiduralraum aufgrund des geringen Widerstandes. Übersteigt aufgrund der Injektion der Druck einen gewissen Schwellenwert, tritt das Lokalanästhetikum in die Foramina über und verstärkt damit an Nervenwurzeln die Anästhesie als auch die Blockadedauer. Durch diesen Austritt aus den Intervertebralsegmenten führt eine Verdoppelung der verwendeten Lokalanästhesiedosis nicht notwendigerweise zu einer Verdoppelung der blockierten Segmente am Rückenmark. Nichtsdestoweniger kann von einer offensichtlichen Dosisreduktion ab dem 40. Lebensjahr ausgegangen werden, da durch anatomische altersbedingte Verengungen der Austritt von Lokalanästhetika aus den Intervertebralsegmenten erschwert wird, wodurch sich das Lokalanästhetikum stärker im Epiduralraum ausbreitet, sodass es zu höheren Blockaden kommt (Mulroy 1997). Diese höhere Blockade führt auch zu einer nicht immer erwünschten Verstärkung der sympatholytisch bedingten Hypotension bei neuroaxialen Regionalanästhesietechniken. Diese Sympatholyse wird einerseits
durch die verminderte kardiale Kompensationsfähigkeit, andererseits sowohl durch das Gefäßsystem selbst als auch das autonome Nervensystem, die selbst nur mehr zu einer begrenzten Kompensation in der Lage sind, im Alter nochmals aggraviert, zusätzlich zu einer potenteren Wirkung der Lokalanästhetika (Vuyk 2003). In den letzten Jahren wurden verstärkt reine optische Isomere von Bupivacain (Levo-Bupivacain) und dem Propyl-Derivat, Ropivacain, in der Klinik eingesetzt. Besonders für das weniger fettlösliche optische Isomer Ropivacain mit seiner verminderten Kardiotoxizität liegen sehr ausführliche Ergebnisse für das pharmakologische Verhalten auch im Alter nach epiduraler Verabreichung vor. Demnach wird die epidurale und spinale Resorption des Lokalanästhetikums im alten Menschen kaum beeinflusst, jedoch zeigt sich eine Verlängerung der Eliminationshalbwertszeit und eine deutliche Verminderung der Plasmaclearance für Ropivacain im Alter, was wiederum auf eine verminderte Metabolismusrate der Leber zurückzuführen ist (Cox et al. 2003, Simon et al. 2006). Bei typischen Einzeldosen dürften auch im fortgeschrittenem Alter die toxischen Plasmaspiegel trotz des verzögerten Metabolismus nicht überschritten werden. Bei kontinuierlicher Verabreichung und bei repetitiven Dosen muss jedoch ein besonderes Augenmerk auf kumulative Effekte gerichtet werden und die Dosis den Bedürfnissen des Patienten nicht nur hinsichtlich der Analgesie, sondern auch hinsichtlich der verlangsamten Pharmakologie angepasst werden, was aufgrund einer erhöhten neuronalen Sensitivität der Lokalanästhetika in der Regel kein unlösbares Problem darstellt (Veering 1999). Altersbedingte Veränderungen im neuronalen und perineuronalen Gewebe haben wesentliche Effekte auf Pharmakodynamik und Pharmakokinetik. Regelmäßig findet sich im Alter eine verminderte Anzahl der myelinisierten Nervenfasern mit kleinerem Durchmesser in den dorsalen und ventralen spinalen Nervenwurzeln (Corbin u. Gardner 1937). Zusätzlich nimmt am Axon die Distanz zwischen den Schwannschen Zellen in myelinisierten
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Fasern altersabhängig ab und es kommt zu strukturellen Änderungen der Bindegewebszusammensetzung perineural, sodass Lokalanästhetika rascher und in höherer Konzentration zum Wirkort, zu den Ionenkanälen am neuronalen Axon gelangen (s. Kap. 2.1) (Bromage 1978). Darüber hinaus kommt es zu altersbedingten Veränderungen der Pharmakodynamik, indem alternde Nerven weitaus sensibler für Lokalanästhetika sind, da einerseits weniger Neurone vorliegen, also eine höhere lokale Konzentration des Lokalanästhetikums erreicht wird, andererseits die Nervenleitgeschwindigkeit deutlich verlangsamt wird (Dorfman u. Bosley 1979). Für Ropivacain konnte bei peripheren Blockaden gezeigt werden, dass diese Substanz selbst in niedrigen Volumina eine adäquate Anästhesie in allen Altersgruppen auslösen kann, dass jedoch mit zunehmendem Alter die Anschlagzeit verkürzt und die Wirkdauer geringfügig verlängert wird (Paqueron et al. 2002, Urbanek et al. 2003).
3.6.6 Therapie bei Lokalanästhetikaintoxikation Obwohl Lokalanästhetika auch im Alter als sichere, potente Medikamente einzuschätzen sind, kann es zu Intoxikationen kommt, wenn Lokalanästhetika versehentlich intravasal injiziert, in inadäquat hohe Dosen verwendet bzw. unerwartet schnell resorbiert werden. Der wichtigste „therapeutische“ Grundsatz vor allem beim geriatrischen Patienten besteht hierbei in der Prävention: Unabhängig von Blockadelokalisation und -technik sollten Lokalanästhetika nur langsam und fraktioniert injiziert werden, wobei durch wiederholte Aspiration eine intravasale Applikation weitgehend vermieden werden kann (Mulroy 2005). Die gleichzeitige Gabe von „Markersubstanzen“, die eine intravasale Injektion anzeigen sollen, stellt in der klinischen Praxis gerade beim geriatrischen Patienten keine wirkliche Hilfe dar. Kommt es dennoch zum Auftreten zentralnervöser Symptome, ist die Applikation des Lokalanästhetikums umgehend zu beenden. Das rechtzeitige Erkennen der Prodromalsymptomatik kann sich beim alten Patienten sehr schwierig gestalten, vor allem bei sedierten Patienten. Da azidotische Stoffwechsellagen und Hypoxie in jedem Falle vermieden werden müssen, kommt der Sicherstellung einer adäquaten Ventilation und Oxygenierung höchste Priorität zu. Daher sollte die Indikation zur endotrachealen Intubation und Beatmung großzügig gestellt und eine moderate Hyperventilation zur Verminderung der zerebralen Hyperperfusion angestrebt werden. Im konvulsiven Stadium müssen die Krampfanfälle schnellstmöglich durchbrochen werden, wofür sich Barbiturate und Benzodiazepine als wirkungsvolle Substanzen erwiesen haben. Auch bei einer kardiovaskulären Intoxikation stehen die Sicherung einer adäquaten Sauerstoffversorgung sowie die aggressive Beseitigung azidotischer Stoffwechsellagen im Vordergrund. Eine bestehende Hypotonie sollte primär durch Volumengabe behandelt werden; fallweise
kann jedoch auch der Einsatz von Katecholaminen, ggf. in Kombination mit Phosphodiesteraseinhibitoren, notwendig werden. Bei hämodynamisch relevanten Bradykardien erscheint zunächst ein Therapieversuch mit Atropin, Isoproterenol bzw. Adrenalin gerechtfertigt. Bleibt dieser erfolglos, muss ein transkutaner bzw. transvenöser Herzschrittmacher zur Anwendung kommen. Allerdings erweisen sich v. a. durch lang wirksame Lokalanästhetika verursachte Bradykardien einer Schrittmacherbehandlung gegenüber oftmals als therapieresistent. Ein HerzKreislauf-Stillstand wird gemäß den aktuellen ACLSRichtlinien behandelt, wobei aufgrund der Bindungskinetik von Lokalanästhetika am Na+-Kanal prolongierte Reanimationsmaßnahmen erforderlich sein können. Experimentelle Daten deuten darauf hin, dass in dieser Situation vergleichsweise hohe Katecholamindosierungen benötigt werden und dass Amiodaron anderen Antiarrhythmika bei Kammerflimmern therapeutisch überlegen zu sein scheint. Darüber hinaus scheinen die Reanimationschancen bei Herz-Kreislauf-Stillständen, die durch lipophile Lokalanästhetika bedingt sind, durch die simultane Gabe von Lipidinfusionen (100 ml einer 20 % igen Fettemulsion) verbessert werden zu können (Weinberg 2006).
Kernaussagen ●
Trotz veränderter Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter gelten Lokalanästhetika als sehr sichere Substanzgruppe, besonders bei einmaliger Applikation. Treten dennoch systemische Intoxikationen auf, ist der geriatrische Patient aufgrund eingeschränkter Kompensationsmöglichkeiten besonders gefährdet.
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3.7 Katecholamine M. W. Hollmann, S. Eberl
3.7.1 Einführung Katecholamine besitzen eine wichtige endokrine und neuroendokrine Rolle in der Regulation vieler autonomer Funktionen und leisten so einen essenziellen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer ausgeglichenen Homöostase.
3.7.2 Veränderungen der Rezeptordichte und -funktion Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Abnahme der Empfindlichkeit der kardialen β1-Rezeptoren und peripheren β2-Rezeptoren (White et al. 1994). Vermutet wurde zunächst eine Downregulation der Rezeptoren, da Untersuchungen an Ratten eine Zunahme der Rezeptorendichte in der Leber, jedoch eine Abnahme im Fettgewebe und weiten Bereichen des Gehirns, mit Ausnahme des Großhirns, zeigten. Beim Menschen hingegen demonstrierten Follow-up-Studien tatsächlich eine unveränderte Rezeptorendichte im Alter (Doyle et al. 1982, Scarpace et al. 1991). Die Ursachen scheinen vielmehr in veränderten Second-Messenger-Systemen zu liegen. Das Signaltransduktionssystem der β1- und α2- Rezeptoren besteht aus drei Komponenten: Der spezifischen Bindungsstelle für Katecholamine an der Zelloberfläche, der Gαs-Proteinvermittelten Transduktion und der eigentlichen enzymatischen Einheit, die durch Aktivierung der Adenylatzyklase cAMP ins Zellinnere freisetzt. Bei α2-Rezeptoren kommt es – vermittelt durch eine Formationsänderung an einer Untereinheit des Gαi/o-Proteins – zu einer Inhibition der nachfolgenden Adenylatzyklase (White et al. 1994). Änderungen innerhalb dieser Signalkaskade können zu einer verminderten kardialen Antwort auf Stimulation der β-Rezeptoren führen. So wurde an isolierten kardialen Myozyten gezeigt, dass die EC50 für Isoprenalin (einem α-, β1- und β2-Agonisten) auf das Zweifache erhöht ist. Dieser verminderte Stimulationseffekt betrifft nicht nur β-Rezeptoren, sondern alle Rezeptoren, die ihre Effekte über eine Erhöhung der intrazellulären cAMPKonzentration vermitteln. Kalzium und cAMP-induzierte positiv inotrope Effekte sind jedoch im Alter unverändert, was die Theorie einer Veränderung im G-Protein/Adenylatzyklase-System als Ursache der reduzierten Inotropie unterstützt (Abrass u. Scarpace 1982). Die Aktivität dieses Systems ist beim jungen Menschen im Vergleich zum
älteren rund 3,6-mal höher. Die Stimulation von β2Rezeptoren führt über eine cAMP-Erhöhung zu einer Aktivierung der Proteinkinase A, die wiederum intrazelluläres Kalzium vermindert und so eine Vasodilatation induziert. Erniedrigte cAMP-Spiegel resultieren entsprechend in vermehrter Vasokonstriktion. Als weitere Ursachen werden zudem eine Verminderung der High-Affinity-Bindungskomplexe und ein genetisch bedingter Polymorphismus der Rezeptoren diskutiert. Folge dieser verminderten Reaktion auf βadrenerge Stimulation ist eine eingeschränkte Fähigkeit unter pharmakologischer oder körperliche Belastung Herzfrequenz, Schlagvolumen, Ejektionsfraktion, Herzzeitvolumen und Sauerstoffangebot adäquat zu steigern, auch wenn diese Maximalgrenze durch Training nach oben verschoben werden kann (Stratton et al. 1992).
Merke
Katecholamine, die an β-Rezeptoren angreifen, sind bei älteren Menschen weit weniger wirksam als bei jüngeren. Aufgrund verschiedener humaner In-vivo- und In-vitroStudien wurde bei α-Rezeptoren eine analoge Reduktion der Stimulationsantwort diskutiert (Dinneno et al. 2002, Hogikyan u. Supiano 1994, Jones et al. 2001). Allerdings zeigte sich in isolierten humanen Blutgefäßen (Nielsen et al. 1992) und nach lokaler Applikation in die A. brachialis (Dinneno et al. 2002) zwar eine verminderte Kontraktion auf einen selektiven α1-, nicht jedoch auf einen α2-Agonisten. Demgegenüber stehen Beobachtungen nach systemischer Infusion eines selektiven α1-Rezeptoragonisten, die zu einer gesteigerten kardiovaskulären Sensitivität mit konsekutivem Blutdruckanstieg führten (Jones et al. 2001). Tierstudien zeigten zudem eine Abnahme der maximalen Bindungsfähigkeit der α-Rezeptoren (Passmore et al. 2005). Derzeit herrscht die Meinung vor, dass es zu keiner altersabhängigen Veränderung im Bereich der α-Rezeptoren kommt. Somit behalten auch intraoperativ eingesetzte α–Agonisten ihre Wirkung im Alter bei. Dies gilt allerdings nicht gleichermaßen in allen Geweben. So kommt es zu einer 39 %igen Abnahme der Anzahl an α1Rezeptoren in der Leber (Borst u. Scarpace 1990).
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3.7 Katecholamine
3.7.3 Veränderungen der Aktivität des autonomen Nervensystems Trotz der beschriebenen Veränderungen an den Rezeptoren findet sich eine Zunahme der Netto-Aktivität des sympathischen Nervensystems (SNS) beim gesunden alternden Menschen (10–15 % per Dekade). Als Ursachen werden angenommen: ● erhöhte Plasmaspiegel von Noradrenalin (NA) ● keine Veränderung der Plasmaspiegel von Adrenalin im Alter
Erhöhte Plasmaspiegel von Noradrenalin (NA) Ursache ist zum einen eine gesteigerte NA-Freisetzung an sympathischen Nervenendigungen (Kaye u. Esler 2005, Brodde u. Leineweber 2004). Die Dichte der präsynaptischen α2-Rezeptoren nimmt alterabhängig ab und mit ihr ihre Fähigkeit zur Inhibition der NA-Freisetzung (Bruck et al. 2007). Zum anderen ist der neuronale NA-Reuptake reduziert (Leineweber et al. 2002). Gleichzeitig wird durch eine verminderte metabolische NA-Clearance, verursacht durch ein geringeres HZV und/oder Änderungen des regionalen Blutflusses, weniger NA abgebaut. Normalerweise werden 80 % des als Transmitter freigesetzten NA wieder aufgenommen, 20 % diffundieren frei in den Blutkreislauf. Primäre Ausgangsorgane dieser gesteigerten NA-Freisetzung sind vor allem die Skelettmuskulatur, die Lunge, Herz und Nieren. Als Folge des erhöhten NASpiegels kommt es zu einer weiteren Desensibilisierung der β-Rezeptoren. Zielorgane dieser erhöhten SNS-Aktivität sind vor allem die Skelettmuskulatur, Darm und Herz. Die Niere zeigt im Gegensatz dazu keine Zeichen einer erhöhten SNS-Aktivität (Seals u. Esler 2000). Die muskuläre sympathische Nervensystemaktivität verdoppelt sich im Alter zwischen 25 und 65 Jahren selbst bei gesunden, normotensiven Erwachsenen. Dies führt über eine Zunahme der Intimadicke der Gefäße und einer Abnahme ihrer Elastizität zu erhöhtem systemischen Widerstand und damit zur Hypertension (s. Kap. 2.2). Dieser Mechanismus scheint auch an der Entstehung des metabolischen Syndroms mit assoziierter Insulinresistenz beteiligt zu sein. Der erhöhte Sympathikotonus stimuliert zudem Glukoneogenese und Glykogenolyse in der Leber und inhibiert die Insulinfreisetzung der β-Zellen des Pankreas sowie die Glukoseaufnahme in die Muskulatur. Eine Stimulation der β-Rezeptoren der Fettzellen resultiert zudem in einer weiteren Downregulation von Insulinrezeptoren, einer Zunahme der Lipolyse und damit freier Fettsäuren.
Keine Veränderung der Plasmaspiegel von Adrenalin im Alter Es wird sowohl in Ruhe als auch bei Stress vermindert Adrenalin aus dem Nebennierenmark (NNM) freigesetzt (Esler et al. 2002). Da aber beim alternden Menschen Adrenalin vom Herzen bereits in Ruhe ausgeschüttet wird (Seals u. Esler 2000) und die metabolische Clearance von Adrenalin vermindert ist, bleibt die Nettobilanz unverändert. Im Gegensatz zu den Veränderungen im SNS kommt es durch eine Reduktion der muskarinergen Rezeptoren in Zahl und Funktion zu einer deutlichen Aktivitätsreduktion des parasympathischen Nervensystems (PNS) (Jones et al. 2001). Zudem existieren Autoantikörper gegen m2-muskarinerge Rezeptoren, die beim alten Menschen signifikant erhöht sind. Untersuchungen an gesunden Männern belegen, dass auch die kompensatorische Barorezeptorreflexaktivität im Alter deutlich vermindert ist (Jones et al. 2003, Shi et al. 2003). Die Barorezeptoren sind im Aortenbogen und im Sinus caroticus lokalisiert. Blutdruckabfall führt dort über eine Reflexantwort zu einer Tonuserhöhung im SNS und einer Tonusabnahme im PNS. Verlust der Barorezeptorreflexaktivität reduziert damit die Fähigkeit, durch Hypovolämie oder orthostatische Dysregulation verursachte Hypotension mittels einer Steigerung der Herzfrequenz zu kompensieren (s. Kap. 2.2). Bei kontinuierlicher Infusion von Isoprenalin, Dobutamin und Noradrenalin (Poldermans et al. 1995), nicht jedoch Adrenalin, scheinen die chronotropen Effekte bei jungen und alten Menschen ähnlich zu sein. Blockiert man jedoch kompensatorische Reflexe mit dem Ganglionblocker Trimetaphan oder den Vagotonus mit Atropin, zeigt sich ein deutlich geringerer Herzfrequenzanstieg bei älteren Menschen. Ursächlich scheint die Tatsache, dass Adrenalin seine Herzfrequenzeffekte fast ausschließlich über β2-Rezeptoren vermittelt und zudem als Substrat für die neuronale Wiederaufnahme am Herzen dient. Da sich die neuronale Reuptake-Rate im Alter verringert, könnte die erhöhte Adrenalinkonzentration am Rezeptor die verminderte βRezeptorsensibilität dementsprechend kompensieren. Isoprenalin dagegen stimuliert gleichermaßen β1- und β2-Rezeptoren und stellt kein Substrat dar. Noradrenalin/ Dobutamin-induzierte Herzfrequenzanstiege dagegen basieren vorwiegend auf einer Stimulation von β1-Rezeptoren. Interessanterweise demonstrierte eine Clonidin-induzierte Reduktion der Sympathikusaktivität eine eingeschränkte Fähigkeit zur Upregulation der β1-Rezeptoren (Resensibilisierung) bei erhaltener Up-Regulation der αRezeptoren beim alten Menschen. Diese Ergebnisse implizieren, dass eine einfache Downregulation der Sympathikusaktivität die altersbedingten Veränderungen in der adrenergen Antwort nicht vollständig wiederherstellen kann (Madden et al. 2006). Ein erhöhter Sympathikotonus führt über eine Aktivierung der postsynaptischen β-Rezeptoren der Niere zu einer Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Sys-
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten tems. Trotzdem nehmen Renin- und Aldosteronspiegel sowohl in Ruhe als auch unter Belastung ab. Ursächlich dafür scheint die Abnahme der sympathischen Innervation juxtaglomerulärer Zellen zu sein (Weidmann et al. 1975). Trotzdem zeigen ältere Menschen eine verstärkte Vasokonstriktion auf Angiotensin I und II. Interessanterweise wurden die meisten Untersuchungen zu altersbedingten Veränderungen des kardiovaskulären Systems bei gesunden Männern durchgeführt. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind in einer vor kurzem publizierten Studie bei postmenopausalen Frauen bestimmt. Auffallend und abweichend von den bisherigen Beobachtungen zeigten sich in dieser Untersuchung keine altersabhängig erhöhten Katecholaminspiegel (Lavi et al. 2007).
Kernaussagen ●
●
●
●
Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Abnahme der Empfindlichkeit der β1- und β2-Rezeptoren. Die Ursache liegt vor allem in veränderten Second-MessengerSystemen. Im Bereich der α-Rezeptoren kommt es zu keiner altersabhängigen Veränderung. Katecholamine, die an β-Rezeptoren angreifen, sind bei älteren Menschen weit weniger wirksam als bei jüngeren. Die Netto-Aktivität des sympathischen Nervensystems nimmt mit dem Alter zu.
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3.8 Antibiotika T. Perl, M. Quintel
3.8.1 Besonderheiten von Infektionen im Alter Infektionserkrankungen stellen im Alter ein zunehmendes Problem dar und führen häufig zu Krankenhauseinweisungen. Viele Infektionserkrankungen haben im Alter eine steigende Inzidenz. Diese Infektionen verlaufen dabei im Vergleich zu jüngeren Patienten häufig schwerer, die Symptomkonstellation ist oft atypisch, die Letalität von verschiedenen Infektionserkrankungen ist im Alter deutlich erhöht. Die pharmakologische Therapie ist aufgrund der höheren Komorbidität und der damit verbundenen Begleitmedikation komplex, Wechselwirkungen mit Begleitmedikationen spielen beim betagten Patienten eine noch größere Rolle als bei jüngeren Patienten (s. Kap. 3.1).
Merke
Der Erfolg einer antiinfektiven Therapie hängt einerseits von einem frühen Therapiebeginn (Kumar et al. 2006) und andererseits einer adäquaten Therapie (Luna et al. 1997) ab. Früher Therapiebeginn bedeutet, dass in der Regel zunächst mit einer kalkulierten Therapie begonnen werden muss, die im Verlauf an einen dann vorliegenden mikrobiologischen Befund anpasst werden kann oder muss (Rello et al. 2004).
3.8.2 Inzidenz und Morbidität Mit zunehmendem Alter steigt die Inzidenz von Infektionserkrankungen deutlich an (Angus et al. 2001). Gleichzeitig nehmen die Mortalität (Tab. 3.10) und Letalität von konsekutiv entstehenden septischen Krankheitsbildern deutlich zu (Angus et al. 2001, Alberti et al. 2002). Zu den häufigsten Infektionen, die zur Krankenhausaufnahme betagter Patienten führen, zählen respiratorische Infektionen, Harnwegsinfektionen und Haut- und Weichteilinfektionen (z. B. bei diabetischen Fußinfektionen oder Dekubitalulzera) (Gavazzi u. Krause 2002). Die 30-Tage-Mortalität einer ambulant erworbenen Pneumonie ist bei Patienten > 65 Jahre mit 10,3 % deutlich höher als bei jüngeren Patienten < 65 Jahre, für die eine Mortalität von 2,2 % beschrieben ist. Bei über 85-Jährigen steigt die Mortalität gar auf 24 % an (Kothe et al. 2008). Kommt es im Rahmen eines Harnwegsinfektes bei Patienten
> 75 Jahre zu einer Bakteriämie, wird eine Mortalität von bis zu 33 % berichtet (Tal et al. 2005). Bei nosokomialen Infektionen treten bei alten Patienten Bakteriämien und die durch Clostridium difficile verursachte pseudomembranöse Kolitis deutlich häufiger auf (Tayler u. Oppenheim 1998).
3.8.3 Keimspektrum in der Geriatrie Das beobachtete Keimspektrum bei betagten Patienten unterscheidet sich von dem junger Patienten. Pneumonien bei geriatrischen Patienten gehen häufiger auf gramnegative Erreger zurück (Gavazzi u. Krause 2002). Die Inzidenz von Problemkeimen ist aufgrund gehäufter Krankenhauskontakte, antibiotischer Vortherapie und während des Aufenthalts in Pflegeeinrichtungen erworbener Infektionen (healthcare-associated infections) erhöht (Marrie 2000). Dabei spielt Resistenzentwicklung auch in der BRD eine zunehmende Rolle. Neben methicillinresistenten Staphylokokkus aureus (MRSA) haben auch Keime mit der Fähigkeit zur Betalaktamaseproduktion (ESBL-Bildner) (McCullan et al. 2007) und vancomycinresistente Enterokokken (VRE) an Bedeutung für das Auftreten nosokomialer Infektionen im Alter gewonnen. Auch wenn für Deutschland in Pflegeheimen eine im europaweiten Vergleich geringe Inzidenz von MRSA berichtet wird (BRD 2,4 %) (Heudorf et al. 2001), ist der Anteil von MRSA-Isolaten in Deutschland seit 1999 weiter steigend und beträgt aktuell ca. 20 % (EARSS, The European Antimicrobial Resistance Surveillance System).
Tabelle 3.10 Relative Mortalität durch Infektionen bei alten Patienten im Vergleich zu jüngeren (Quelle: Yoshikawa 1994). Infektion
relative Mortalität
Pneumonie
3
Harnwegsinfekte
5–10
Sepsis
3
Appendizitis
15–20
Cholezystitis
2–8
Tuberkulose
10
bakterielle Endokarditis
2–3
bakterielle Meningitis
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten Das Keimspektrum einer ambulant erworbenen Pneumonie zeigt bei älteren Patienten tendenziell mehr gramnegative Keime, signifikant mehr Influenza-Typ-AViruspneumonien und deutlich weniger Mykoplasmeninfektionen (Kothe et al. 2008). Bei Harnwegsinfektionen muss bei alten Patienten neben Escherichia coli (44 %) auch mit einem höheren Anteil von Proteus-Spezies, Klebsiellen, Pseudomonas aeruginosa und koagulasenegativen Staphylokokken gerechnet werden (Thiesemann et al. 2008). Aufgrund des veränderten Keimspektrums bei betagten Patienten ist einerseits mikrobiologische Diagnostik mit Keimnachweis anzustreben, andererseits ist aufgrund der hohen Mortalität und Letalität ein rascher Therapiebeginn mit einer zunächst kalkulierten Therapie erforderlich.
3.8.4 Antibiotika in der Geriatrie Besonderheiten der Pharmakokinetik bei geriatrischen Patienten Im Hinblick auf Medikamentenverträglichkeit und Nebenwirkungsprofil ist die Studienlage für betagte Patienten eingeschränkt. Die häufigste Ursache für eine Dosisanpassung (Menge und Intervall) besteht aufgrund der im Alter physiologisch eingeschränkten Nierenfunktion für renal oder überwiegend renal eliminierte Antiinfektiva.
Betalactamantibiotika Penicilline Die Verträglichkeit der Penicilline ist im Allgemeinen gut. Häufig beobachtete Nebenwirkungen sind Durchfälle, im Extremfall die Ausbildung einer pseudomembranösen Kolitis. Darüber hinaus wird häufiger ein Arzeimittelexanthem unter Penicillintherapie beobachtet. Neurologische Komplikationen, wie Krampfanfälle, werden auch bei älteren Patienten erst im Höchstdosisbereich beschreiben, insgesamt besteht für Penicilline bei betagten Patienten eine hohe therapeutische Breite. Eine Dosisanpassung für Penicilline bei Niereninsuffizienz ist erst bei einer glomerulären Filtrationsrate von < 30 ml/ min erforderlich. Resistenzzahlen aus Nordamerika zeigen, dass mit einer steigenden Resistenzrate bei Pneumokokken zu rechnen ist (Rajagopalan u. Yoshikawa 2001). Die aktuellen Zahlen des European Antibiotical Resistance Surveillance Systems (EARSS) zeigen diesen Trend für Deutschland bislang jedoch noch nicht.
Cephalosporine Die häufigsten Nebenwirkungen unter einer Cephalosporintherapie treten im Gastrointestinaltrakt auf (Übelkeit und Erbrechen). Bei den Cephalosporinen mit biliärer Elimination kommt es zu einer stärkeren Veränderung der Darmflora mit Selektion von Clostridien. Daraus erklärt sich das hohe Risiko für die Entstehung einer pseudomembranösen Kolitis (Starr u. Impallomeni 1997). Die meisten Substanzen aus der Reihe der Cephalosporine werden aber ohne weiteren Metabolismus renal eliminiert. Hier kann eine deutliche Dosisanpassung an eine bestehende Niereninsuffizienz notwendig werden. Cephalosporine mit N-Methyl-Thiotetrazolring (Cefamandol oder Cemenoxim) führen zu einer verminderten Synthese von Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren. Daraus resultiert ein erhöhtes Blutungsrisiko. Gerade unter einer Ko-Medikation mit Cumarinen sollte diese Nebenwirkung beachtet werden (Norrby 1987).
Carbapeneme Carbapeneme sind β-Lactam-Antibiotika, die als eigene Substanzklasse die Eigenschaften von Penicillinen und Cephalosporinen vereinigen. Carbapeneme haben eine hohe Wirksamkeit gegen die meisten grampositiven und gramnegativen Bakterien einschließlich der Anaerobier. Allen Präparaten gemeinsam ist die renale Elimination, sodass auch hier bei Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung erforderlich ist. Beim Imipenem ist zu beachten, dass es in Kombination mit Cilastatin verabreicht wird, dass zum einen über eine Hemmung der Dehydropeptidase-I den renalen Metabolismus des Imipenems beeinflusst und darüber hinaus im Tierversuch einen nephroprotektiven Effekt aufzeigt. Die Akkumulation bei Niereninsufizienz ist für Cilastatin ausgeprägter als für Imipenem selbst. Carbapeneme zeigen neben gastrointestinalen Reaktionen eine gute Verträglichkeit. Zentralnervöse Symptome werden in 1–2 % der Fälle beobachtet und treten gehäuft bei renaler Insuffizienz, Vorschädigung des ZNS und in höheren Dosierungen, wie sie für zerebrale Infektionen erforderlich sind, auf. Gelegentlich werden moderate Erhöhungen von Leberparametern oder eine Thrombozytose beobachtet (Mouton et al. 1997).
Aminoglykoside Aminoglykoside werden als intravenöse Therapie schwerer Infektionen eingesetzt und haben ein breites Wirkspektrum, das auch Problemkeime wie Pseudomonaden mit erfasst. Die effektiven Wirkspiegel liegen nah an den toxischen Konzentrationen, sodass eine strenge Indikationstellung und ein Drugmonitoring erfolgen sollten. Die bakterielle Abtötungsrate wird vom Peakplasmaspiegel der jeweiligen Substanz bestimmt. Aminoglykoside werden renal eliminiert.
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3.8 Antibiotika Therapieschemata mit einer hochdosierten einmal täglichen Applikation haben sich aufgrund einer geringeren Toxizität und Verträglichkeit durchgesetzt (once daily dosing, ODD) (Mörike et al. 1997). Aminoglykoside haben eine ausgeprägte Nephrotoxizität. Aufgrund einer Anreicherung in Tubuluszellen der Niere mit damit verbundenen strukturellen und funktionellen Nierenschädigungen kann es zur Niereninsuffizienz bis zum akuten Nierenversagen kommen. Eine Begleitmedikation mit nephrotoxischen Substanzen (wie Diuretika, NSAR, Clindamycin, Vancomycin) verstärkt diesen Effekt und sollte vermieden werden. Daneben besteht eine Ototoxizität, die zu Hörund Gleichgewichtsstörungen führen kann. Dies muss bei einer vorbestehenden Presbyakusis berücksichtigt werden. Im Rahmen von Gleichgewichtsstörungen werden Schwindel, Nystagmus und Ataxie beobachtet.
Makrolide Makrolidantibiotika sind häufig eingesetzte Breitbandantibiotika mit guter Wirksamkeit gegen grampositive und gramnegative Erreger sowie atypische Erreger. Mit Ausnahme von Clarithromycin werden Makrolide überwiegend hepatisch eliminiert und biliär ausgeschieden. Clarithromycin wird auch renal eliminiert. Bei Niereninsuffizienz ist keine Dosisanpassung erforderlich. Am häufigsten treten gastrointestinale Nebenwirkungen auf. Hepatotoxische Effekte, die nach einer Langzeittherapie von Erythromycin beschreiben sind, treten bei den neueren Substanzen seltener auf. Bei der Therapie mit Makroliden muss die Induktion des Cytochrom-P450-Systems beachtet werden, das auf die Arzneimittelinteraktion deutliche Auswirkungen hat. Dies betrifft die Substanzen und Substanzgruppen wie Theophyllin, Glukokortikoide, Carbamazepin, Warfarin und Ciclosporin. Wenn eine zeitgleiche Medikation nicht vermeidbar ist, muss ein sorgfältiges Drugmonitoring der betreffenden Substanzen erfolgen (Periti et al. 1992).
Chinolone/Gyrasehemmer Der Wirkmechanismus dieser Substanzklasse ist die Inhibition der bakteriellen DNS-Topoisomerase (oder Gyrase). Die beschriebenen Nebenwirkungen umfassen hepatotoxische Effekte, Photosensibilisierung, kardiotoxische Wirkung (Arrhythmien, QT-Zeitverlängerung), Tendopathien und ZNS-Nebenwirkungen. Gastrointestinale Nebenwirkungen sind im Vergleich zu anderen Antibiotika seltener. Die ZNS-Symptome reichen von leichten Störungen wie Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Benommenheit, Ängstlichkeit oder Euphorie bis hin zu seltenen, ernsten Zwischenfällen. Diese umfassen Verwirrtheit, Albträume, Halluzinationen, Psychosen und Krampfanfälle. Bestehende Lebererkrankungen und ZNS-Vorerkrankungen (Epilepsien) stellen eine relative Kontraindikation für den Einsatz von Chinolonen dar.
Die Standardsubstanzen der Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Levofloxacin und Moxifloxacin) werden renal und über den Darm eliminiert. Bei hochgradig eingeschränkter Nierenfunktion ist für Ciprofloxaxin und Levofloxain eine Dosisanpassung erforderlich. Chinolone sind in ihrer Wirksamkeit vermindert, wenn sie oral mit Milchprodukten oder Antazida zusammen verabreicht werden. Unter der Therapie mit Chinolonen kann eine geringgradige Erhöhung des Theophillinspiegels, eine Erhöhung von CiclosporinPlasmaspiegeln und eine reduzierte Krampfschwelle unter Therapie mit NSAR auftreten. Bei gleichzeitiger Therapie mit Cumarinderivaten kann deren Wirkung verstärkt sein. Darüber hinaus treten vermehrt Hypoglykämien bei zeitgleicher Therapie mit Glibenclamid auf. Es bestehen erhebliche regionale Unterschiede im Hinblick auf den Anteil der gegen Chinolone resistenten Staphylokokken und Pseudomonaden sowie bei Enterobacter cloacae und Klebsiella pneumoniae. Unter längerer Therapie mit Chinolonen sind sekundäre Resistenzentwicklungen möglich.
Neue Antibiotika Oxazolidinone Linezolid ist die erste zugelassene Substanz dieser neuen Klasse der Oxazolidinone. Die Wirksamkeit beschränkt sich auf den grampositiven Bereich, wobei hier auch multiresistente Keime erfasst werden. Es ist keine spezifische Dosisanpassung im Alter und keine Dosisanpassung aufgrund einer Niereninsuffizienz erforderlich (Sisson et al. 2002). Linezolid zeigt eine gute Verträglichkeit. Als Nebenwirkung treten am häufigsten gastrointestinale Beschwerden auf. Selten kommt es zu einer reversiblen Myelosuppression (mit Anämie, Leukopenie, Thrombopenie, Panzytopenie), daher werden insbesondere bei protrahierter Therapie regelmäßige Blutbildkontrollen empfohlen (Moellering 2003).
Glycylcyclin Tigecyclin ist der erste klinisch zugelassene Vertreter der neuen Substanzgruppe der Glycylcycline, die sich von den Tetrazyklinen ableiten. Die Substanz hat ein weites Wirkspektrum, das auch multiresistente Erreger wie MRSA, VRE oder ESBL-Bildner mit einschließt. Die Indikation besteht zur Behandlung von Weichteil- oder intraabdominellen Infektionen mit multiresistenten Keimen. Es besteht keine Wirksamkeit gegen Pseudomonaden, Burgholderia cepacia und einige Proteus-Stämme. Die Substanz wird renal (33 %) und hepatisch (60 %) eliminiert. Es ist keine Dosisanpassung an eine Niereninsuffizienz erforderlich. Auch bei Leberinsuffizienz (Child-Pugh A und B) ist keine Dosisanpassung erforderlich. Zum Nebenwirkungsspektrum zählen gastrointesti-
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3 Pharmakologische Besonderheiten von anästhesiologisch wichtigen Medikamenten nale Beschwerden, gelegentlich werden Bilirubinerhöhungen beobachtet.
Lipopeptide Daptomycin ist ein seit 2003 zur Behandlung komplizierter Weichteil- und Gewebeinfektionen zugelassenes Lipopeptid-Antibiotikum mit bakterizider Wirkung durch Hemmung der Zellwandsynthese. Sein Wirkspektrum beschränkt sich auf grampositive Erreger, erfasst hier aber auch multiresistente Keime. Neben gastrointestinalen Nebenwirkungen kommt es mitunter zu einer Erhöhung von Muskelenzymen, oft auch ohne klinische Symptome. Es wird eine regelmäßige Kontrolle von Muskelenzymen empfohlen. Eine Komedikation mit anderen Medikamenten, die eine Rhabdomyolyse verursachen können (z. B. Statine), sollte vermieden werden.
Kernausssagen ●
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●
●
Infektionserkrankungen im Alter sind mit einer erhöhten Mortalität und Letalität behaftet. Gleichzeitig ist mit einer höheren Inzidenz von gramnegativen Erregern und Erregern mit auffälligem Resistenzmuster zu rechnen. Dem evidenzbasierten Prinzip des – nach Gewinnung mikrobiologischer Proben – frühest möglichen Beginns einer effektiven Antibiotikatherapie kommt bei dieser Gruppe von Patienten eine ganz besondere Bedeutung zu. Prinzipiell können alle üblichen Antibiotika auch beim betagten Patienten zum Einsatz gebracht werden, auf mögliche, in einer Durchschnittspopulation eher seltene Arzneimittelinteraktionen muss aufgrund der hohen Inzidenz von multipler Begleitmedikation besonders geachtet werden. Die häufigste Ursache für eine Dosisanpassung von Antibiotika im Alter ist die Niereninsuffizienz. Da die initiale Loadingdose immer der Normaldosierung des jeweiligen Antibiotikums entspricht, sollte die Abklärung des Bestehens und der Ausprägung einer Niereninsuffizienz in keinem Fall den Beginn einer effektiven Therapie verzögern. Grundsätzlich sollten – mit Ausnahme von Situationen mit fehlender Behandlungsalternative – nephrotoxische Antibiotika bei betagten Patienten vermieden werden, beim Gebrauch von Chinolonen sollte die bei geriatrischen Patienten deutlich erhöhte Inzidenz von ZNSSymptomen beachtet werden. Die Strategie des „viel hilft viel“ im Sinne einer initialen Kombinationstherapie von zwei oder gar mehr antibiotischen Kombinationspartnern sollte für betagte Patienten ganz besonders kritisch abgewogen werden, einerseits weil derzeit grundsätzlich die Evidenz für diesen Ansatz fehlt und andererseits weil das Risiko von schwerwiegenden möglicherweise fatalen Arzneimittelinteraktionen für diese Patientengruppe besonders hoch ist.
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Präoperative Evaluation 4.1
Anästhesierisiko
4.2
Prämedikation
4.3
Rechtliche Aspekte
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4.1 Anästhesierisiko Y. Zausig
4.1.1 Einführung Mit der steigenden Lebenserwartung in den entwickelten Ländern wird die Anzahl alter und sehr alter Menschen weiter zunehmen (s. Kap. 1). Schätzungen zu Folge betrug im Jahre 2000 die Anzahl der Menschen ≥ 65 Jahre ca. 420 Millionen (6,9 % der Gesamtbevölkerung) weltweit. Im Jahre 2030 wird dieser Anteil auf 12 % (550 Millionen) noch weiter ansteigen. In Europa wird ein Anstieg dieser Bevölkerungsgruppe von 15,5 % auf 24,3 % erwartet (Centers for Disease Control and Prevention 2003). Aufgrund (patho-)physiologischer Veränderungen nimmt mit dem Alter die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen und somit für operative bzw. anästhesiologische Interventionen zu. In den USA haben 80 % aller Menschen über 65 Jahre eine chronische Vorerkrankung, 50 % zwei und 30 % sogar mehr als drei (Silverstein et al. 2007). Die häufigsten Erkrankungen beim älteren Patientengut (> 70 Jahre) sind arterieller Hypertonus, neurologische und pulmonale Erkrankungen, Angina pectoris und Herzinfarkt, Gefäßerkrankungen sowie Diabetes mellitus (Leung u. Dzankic 2001). Mit Zunahme der Erkrankungsschwere kommt es altersbedingt zu einer Rechtsverschiebung des nach der ASA (American Society of Anesthesiologists) klassifizierten anästhesiologischen Status (Abb. 4.1). Mit der Anzahl der Vorerkrankungen nehmen aber auch die Kosten der Gesundheitsfürsorge zu und
sind bei Patienten ≥ 65 Jahre um das 3- bis 5-fache erhöht (Centers for Disease Control and Prevention 2003). Aktuellen Daten zufolge ist ein Alter > 70 Jahre ein unabhängiger Prädiktor für eine erhöhte perioperative Morbidität und Letalität (Polanczyk et al. 2001). So haben alte Menschen ein 3- bis 4-fach höheres Risiko, perioperativ eine Komplikation zu erleiden. Zudem steigt mit dem Auftreten einer Komplikation auch die Wahrscheinlichkeit für weitere Komplikationen weiter an (Fleischmann et al. 2003). Jedoch sind es vielmehr die Vor- und Begleiterkrankungen und davon abhängig die Belastbarkeit des Patienten, die die postoperative Morbidität, Letalität und Krankenhausverweildauer bestimmen. So zeigen Untersuchungen, dass sehr alte Patienten (> 90 Jahre) mit wenigen Begleiterkrankungen bei elektiven Eingriffen ein vergleichbares Risiko haben wie junge gesunde Patienten. Zudem stellt das Alter weit weniger genau einen Prädiktor für das postoperative „Outcome“ dar als beispielsweise die aktuelle Leistungsfähigkeit, präoperative Risikoscores bzw. Vorerkrankungen (Leung u. Dzankic 2001, Silverstein et al. 2007). Die Inzidenz der perioperativen Morbidität und Letalität ist nicht nur vom Alter bzw. dem Allgemeinzustand des Patienten, sondern im Besonderen von der Dringlichkeit und der Art des Eingriffes abhängig (Fleisher et al. 2008). Bei kleinen chirurgischen Eingriffen kommt es beispielsweise nur in 1,6 % der Fälle zu kardiovaskulären Abb. 4.1 Einstufung der Einschränkung der Allgemeinerkrankung an Hand der Risikoklassifikation nach der American Society of Anesthesiologists (ASA) in Abhängigkeit vom Alter (Quelle: Polanczyk et al. 2001).
4 Präoperative Evaluation Komplikationen, wohingegen bei großen chirurgischen Eingriffen das Risiko auf bis zu 13,2 % ansteigt. Zudem steigt die Morbidität bei Notfalleingriffen auf bis zu 63,6 % im Vergleich zu ca. 21,7 % bei elektiven Eingriffen an. Typische Komplikationen sind metabolischer, neurologischer, pulmonaler und kardiovaskulärer Art (Abb. 4.2) (Polanczyk et al. 2001, Silverstein et al. 2007). Nicht nur aus ethischer Sicht sollte die individuelle Lebensqualität im Mittelpunkt bei der Entscheidung zur Intervention bei alten Menschen stehen. Somit sollte eine Verbesserung bzw. Aufrechterhaltung von Lebensqualität und -erwartung das primäre Ziel einer jeden Operation bei älteren Menschen sein. Umfragen zufolge ist die Angst älterer Patienten vor einem Verlust der Unabhängigkeit größer als die vor dem Tode und daher sehr ernst zu nehmen. So berichten ca. 20 % aller Patienten ein Jahr nach einem orthopädischen Eingriff über neu aufgetretene Schmerzen (nur 8 % von einer Schmerzreduktion), und über ⅓ der Befragten waren neu auf Hilfe (z. B. beim Laufen, bei der Hausarbeit, beim Einkaufen) im täglichen Leben angewiesen (Sieber 2006). Dabei können ein reduzierter präoperativer Allgemeinzustand und das Auftreten von perioperative Komplikationen die postoperative Rekonvaleszenz deutlich verzögern, weshalb der genauen präoperativen Evaluation eine enorme Bedeutung zukommt.
Merke
Die perioperative Morbidität und Letalität ist beim alten Menschen mit einer zunehmende Anzahl an Vorerkrankungen und einer sinkenden Belastbarkeit erhöht. Art und Dringlichkeit des operativen Eingriffs beeinflussen zudem die Inzidenz perioperativer Komplikationen. Eine sorgfältige präoperative Risiko-Nutzen-Abwägung bezüglich eines operativen Eingriffs ist daher nicht nur ethisch unverzichtbar.
4.1.2 Präoperative Untersuchungen Aufgrund des demografischen, technischen und ökonomischen Wandels kam es in den letzten Jahren zu einem Umdenken hinsichtlich einer breiten und ungezielten präoperativen Untersuchung und Evaluation. Derzeit wird vielmehr ein patienten- und eingriffsspezifische Vorgehen gefordert (Fleisher et al. 2008). Dieses ist nicht zuletzt deshalb sinnvoll, da bei diagnostischen Tests eine große Variabilität in Sensitivität und Spezifität besteht (Tab. 4.1). Grundsätzlich sollten vor der Wahl eines Testes im Rahmen der Diagnostik folgende Fragen beantwortet werden: 1. Ist der Test akkurat für die Fragestellung? 2. Besitzt der Test eine ausreichende Aussagefähigkeit? 3. Wird der Test Einfluss auf das „Outcome“ haben? 4. Besteht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Schaden und Nutzen?
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Abb. 4.2 Darstellung typischer kardialer und nicht kardialer postoperativer Komplikationen in Abhängigkeit vom Alter in Prozent (Quelle: Polanczyk et al. 2001). AP: Angina pectoris; ANV: Akutes Nierenversagen.
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4.1 Anästhesierisiko Tabelle 4.1
Übersicht einzelner diagnostischer Tests im Rahmen der präoperativen Evaluation (Quelle: Kertai et al. 2003).
Test
Sensitivität (%; 95 % KI)
Spezifität (%; 95 % KI)
Vorteile
Nachteile
Ruhe-EKG
52; 21–84
70; 57–83
einfach, kostengünstig und nicht Patienten gefährdend
wenig richtig positive Befunde
wenig falsch negative Ergebnisse Stress-EKG (Ergometrie)
74; 66–88
69; 60–78
einfach und kostengünstig
wenig richtig positive, (wenige) Komplikationen (Arrhythmie 0,009 %, Infarkte 0,01 %, Tod 0,001 %)
DTS
83; 77–89
49; 41–57
durchführbar bei immobilen Patienten
Röntgenstrahlung, nicht mobil, geringe Verbreitung keine zusätzlich Information
SEK – Dipyridamol 74; 53–94
86; 80–93
durchführbar bei immobilen Patienten
SEK – Dobutamin
70; 62–79
scheinbar besser als andere Tests, Information über LVF und Klappen
85; 74–96
höhere Kosten, Aufwand, Erfahrung nötig
DTS: Dipyridamole Thallium Szintigraphy, SEK: Stress-Echokardiografie; LVF: linksventrikuläre Funktion; KI: Konfidenzintervall
Durch Beantwortung der Fragen und Einbeziehung hausinterner Abläufe und Spezialisierungen kann ein einfaches und effektives Schema für die präoperativen Untersuchungen etabliert werden. Im Folgenden werden die Indikationen typischer präoperativer Tests nach Klassifikation der Empfehlungen [Klasse I, IIa, IIb und III] und des Evidenz-basierten Levels [Level A bis C] nach den aktuellen Leitlinien der ACC/AHA dargestellt (Abb. 4.3).
Laborchemische Untersuchungen Laborchemische Untersuchungen weisen bei asymptomatischen Patienten > 70 Jahre in 5,9–6,8 % der Fälle Auffälligkeiten auf (Hesse et al. 1999). Dabei handelt es sich vor allem um Kreatininerhöhungen, erniedrigte Hämoglobinwerte und Blutzuckererhöhungen. Elektrolytstörungen sind dagegen selten (Dzankic et al. 2001). Jedoch stellt kein Laborwert einen unabhängigen Prädiktor für ein schlechteres Outcome dar, und nur in 0,01 % der Fälle wird das perioperative Management geändert. Demnach wird eine präoperative Laboruntersuchung (oder BGA) bei über 70-jährigen Patienten nur bei einem ASA Status > II befürwortet (Dzankic et al. 2001).
Blutgasanalyse Mit Hilfe der Blutgasanalyse (BGA) kann anhand des arteriellen Sauerstoff- und Kohlendioxid-Partialdruckes (paO2, paCO2) Aussagen über die pulmonale Funktion getroffen werden. Der paO2 ist dabei vom inspiratorischen und gemischt-venösen pO2 sowie vom Ventilations-Perfusions-Verhältnis der Lunge abhängig und sinkt mit steigendem Alter ab (arterieller pO2 = 102 – Lebensalter/3 [mmHg]). Dagegen ist der paCO2 vom Alter unabhängig und wird vor allem von der körpereigenen CO2-Produktion und der alveolären Ventilation beeinflusst. Grundsätzlich unterscheidet man eine respiratorische Partialinsuffizienz (paO2 ↓ und paCO2 ↔) von einer respiratorischen Globalinsuffizienz (paO2 ↓ und paCO2 ↑), die unter Ruhebedingungen (manifest) oder erst unter Belastung (latent) auftreten kann. Eine manifeste respiratorische Globalinsuffizienz als Ausdruck einer Erschöpfung der Atemmuskulatur bei fortgeschrittener schwerer Lungenerkrankung stellt einen signifikanten Risikofaktor für perioperative pulmonale Komplikationen dar. Eine präoperative BGA sollte vor allem bei klinischen Zeichen einer Rechtsherzbelastung, vor Lungenteilresektionen und bei Patienten mit einer FEV1 < 50 % durchgeführt werden (Berger u. Gust 2005).
Lungenfunktionsprüfung Röntgenaufnahme des Thorax Die bei der präoperativen Lungenfunktionsprüfung mittels Spirometrie oder Ganzkörperplethysmografie erhobenen Parameter stellen keine spezifischen Risikofaktoren für postoperative pulmonale Komplikationen dar (Berger u. Gust 2005). Eine Überprüfung der Lungenfunktion ist somit in erster Linie nur dann sinnvoll, wenn das anästhesiologische oder operative Vorgehen (z. B. Ausmaß einer Lungenresektion) beeinflusst wird oder eine (neu) vorliegende Erkrankung (z. B. COPD) der Lunge näher evaluiert oder optimiert werden kann.
Eine präoperative Röntgenthoraxaufnahme zeigt nur in 50 % der Fälle verwertbare diagnostische Hinweise auf postoperativ auftretende pulmonale oder kardiale Komplikationen. Bei einem Gesamtkollektiv von asymptomatischen Patienten werden nur in 5,4 % der Fälle bekannte und lediglich in 0,4–1,4 % der Fälle neue pathologische Befunde aufgedeckt. Dagegen weisen symptomatische Patienten in 1,3 bis 60 % bzw. 0,1 bis 6,8 % der Fälle röntgenologische Auffälligkeiten auf. Jedoch hätten diese pul-
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4 Präoperative Evaluation monalen Veränderungen in den meisten Fällen auch durch eine gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung eruiert werden können (Hesse et al. 1999). Erstaunlicherweise wird lediglich in 0,1 % der Fälle das perioperative Vorgehen geändert.
Praxisanleitung Es wird empfohlen, eine Röntgenthoraxaufnahme routinemäßig erst ab dem 70. Lebensjahr durchzuführen.
Elektrokardiogramm (EKG) Das Routine-12-Kanal-EKG ist eine einfache und kostengünstige Momentaufnahme der elektrischen Ruheerregungsleitung des Herzens, wobei das Auftreten von signifikanten Herzrhythmusstörungen, das Vorliegen einer myokardialen Hypertrophie, Nachweise abgelaufener transmuraler Infarkte (Q-Zacke, R-Verlust) und Repolarisationsstörungen im Sinne einer Myokardischämie sicher erfasst werden können (Fleisher et al. 2008). Eine maximale Zeitspanne von 30 Tagen zwischen Aufzeichnung und Operation wird als akzeptabel angesehen. Die Erhebung über 24 Stunden (Holter-EKG) ermöglicht zusätzlich die kardiale Evaluation unter Belastungen des alltäglichen Lebens. Jedoch liegen Sensitivität (68 %) und Spezifität (66 %) dieses für den Patienten völlig risikolosen Testes hinter den anderen Untersuchungsverfahren. Ein Routine-EKG sollte unabhängig von den Vorerkrankungen bei Männern > 45 Jahre und Frauen > 55 Jahre durchgeführt werden, auch wenn bei asyptomatischen Patienten mit niedrigem Risiko keine Empfehlungen vorliegen (Fleisher et al. 2008). Evidenzbasierte Indikationen zur Durchführung eines 12-Kanal-EKGs (Abb. 4.3) sind: ● Patienten mit einem oder mehreren kardialen Risikofaktoren und hohem [I/B] oder mittlerem [IIb/B] operativem Risiko ● Patienten mit KHK, pAVK oder zerebrovaskulärer Erkrankung und mittlerem operativen Risiko [I/C] ● Patienten vor einem Hochrisiko-Eingriff [IIa/B]
(Stress-)Echokardiografie Nur gering sensitiver als das EKG ist die Stress-Elektrokardiografie (Tab. 4.1). Bei einem positiven Testergebnis mit typischen Angina-pectoris-Beschwerden liegt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer KHK bei Männern > 50 Jahre bei 98 %. Eine ST-Strecken-Senkung um 0,1 mV oder mehr stellt einen unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten perioperativer ischämischer Ereignisse dar. Somit handelt es sich bei der Stress-Elektrokardiografie zwar um ein nicht sehr sensitives und spezifisches Verfahren, das jedoch aufgrund der guten Verfügbarkeit, der geringen Kosten und geringen Patientengefährdung als erstes weiterführendes Diagnostikum erwogen werden sollte.
Die Echokardiografie ist zur Beurteilung der Klappenfunktionen und zur Ermittlung der linksventrikulären Funktion von hoher Präzision. Zur Beurteilung des Koronarstatus kann der Erfahrene zwar den proximalen Bereich der Koronargefäßabgänge aus der Aorta beurteilen, jedoch können distale Gefäßverläufe nur indirekt über die linksventrikuläre Funktion beurteilt werden. Die Stressechokardiografie bietet zwar ebenso wenig direkte Information über den Koronarstatus, jedoch kann die Sensitivität vorangegangener Untersuchungen erhöht werden, und zum anderen ist eine Beurteilung der ventrikulären Funktion unter Belastung möglich (Kertai et al. 2003). Der kardiale „Stress“ kann wiederum in Form von körperlicher Anstrengung (Ergometrie) oder durch pharmakologische Interventionen (z. B. Dobutamin) erzeugt werden. Bei Kombination dieser Methode mit dem Routine-EKG kann der positive prädiktive Wert auf 84 % gesteigert werden. Nicht invasive Stress-Tests sollen erfolgen bei (Fleisher et al. 2008): ● Patienten mit eindeutigen klinischen Prädiktoren [I/b] ● Patienten mit 3 oder mehr Risikofaktoren, einer geringen Belastbarkeit (< 4 MET) und einem hohen operativen Risiko [IIa/B] ● Patienten mit einem oder mehreren Risikofaktoren, einer geringen Belastbarkeit (< 4 MET) und mittlerem operativem Risiko [IIb/B] oder bei guter Belastbarkeit (> 4 MET) und Hochrisiko-Eingriff [IIb/B] ● Patienten, deren Belastbarkeit nicht eindeutig bestimmt werden kann (z. B. bei orthopädischen Begleiterkrankungen)
Koronarangiografie Die Koronarangiografie ist nach wie vor der Goldstandard zur Diagnosesicherung einer koronaren Herzkrankheit, wobei zusätzlich die linke Ausstrombahn näher beurteilt werden kann. Aufgrund der Invasivität dieses Verfahrens mit möglicher Gefährdung des Patienten (Letalität 0,07– 0,12 %) stellt die Angiografie definitiv keine Routineuntersuchung dar, sondern bleibt der Diagnosesicherung und der Therapie vorbehalten. Führt man eine interventionelle oder operative Myokardrevaskularisierung im Vorfeld eines nicht kardiochirurgischen Eingriffes durch, so muss das perioperative Risiko des kardiochirurgischen Eingriffes zu dem des nicht kardiochirurgischen Eingriffs addiert werden, was das Risiko für die Patienten deutlich erhöht (Eagle et al. 1997, Silverstein et al. 2007). Demnach sollte die Myokardrevaskularisierung nur nach klarer und eindeutiger Indikation und nicht „prophylaktisch“ erfolgen. Evidenzbasierte Indikationen für die präoperative Myokardrevaskularisierung bestehen bei stabiler Angina pectoris mit signifikanter Stenose der linken Koronararterie (LCA) [I/A], bei koronarer Dreigefäßerkrankung und eingeschränkter linksventrikulärer Funktion (LVF) < 50 % [I/A] oder bei koronarer Zweigefäßerkrankung mit proximaler Stenose des Ramus interventricularis anterior und
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4.1 Anästhesierisiko einer Reduktion der LVF < 50 % oder einem positiven Stress-Test [I/A]. Darüber hinaus ist sie sinnvoll bei Patienten mit progressiver instabiler Angina pectoris, einem NSTEMI oder einem STEMI [I/A], bei Patienten mit progressiver KHK und einem positiven Stress-Test [IIb/C] und auch bei Patienten mit unauffälliger KHK und positiven Stress-Test [IIb/B]. Nach Expertenmeinung müssen nach PTCA mit und ohne Stent in Abhängigkeit des Verfahrens verschiedene Zeitintervalle (Ballonangioplastie > 14 Tage, Metall-Stent > 30–45 Tage und Drug-Eluting-Stent > 365 Tage) bis zur nächsten Operation eingehalten werden (Fleisher et al. 2008). Daher sollte ein präoperatives Absetzen oder ein Umstellung der antihrombotischen Therapie nur nach Rücksprache mit den Kollegen der Kardiologie erfolgen [IIa/C].
Merke
Statt einer breiten und ungezielten präoperativen Diagnostik sollte heutzutage gerade beim alten Patienten ein individuell angepasstes und eingriffsspezifisches Vorgehen durchgeführt werden. Aufgrund der großen Unterschiede in Sensitivität und Spezifität verschiedener Tests sollten vor der Durchführung potenzielle Risiken (z. B. kardiale Ischämie) und Nutzen (Aussagefähigkeit, Einfluss auf das „Outcome“) abgewogen werden.
4.1.3 Präoperative Evaluation Bei der präoperativen Evaluation stellt sich die zentrale Frage nach der Dringlichkeit des vorgesehenen Eingriffes, da bei Notfalloperationen in der Regel keine weitere diagnostische Abklärung mehr möglich ist. Bei elektiven Eingriffen empfiehlt es sich, die Ergebnisse routinemäßiger Voruntersuchungen (z. B. umfassender Brief des Hausarztes, EKG, Labor ab 70 Jahren bei ASA-Status > II sowie Röntgenbild des Thorax ab dem 70. Lebensjahr) bei der ersten anästhesiologischen Vorstellung zusammenzutragen und zu beurteilen. Durch eine ausführliche Anamnese und vor allem durch die Bestimmung der aktuellen Belastbarkeit sowie einer sorgfältigen körperlichen Untersuchung kann in Zusammenhang mit den Ergebnissen der vorliegenden Diagnostik und in Abhängigkeit des vorgesehenen operativen Eingriffes eine Abschätzung des perioperativen Risikos erfolgen. Dabei empfiehlt sich die Anwendung von Risikoscores, da sowohl kardiale als auch pulmonale Risiken besser abgeschätzt werden können (Berger u. Gust 2005, Fleisher et al. 2008). Der bekannteste und am besten etablierte Risikoscore in der Anästhesie ist sicherlich die Klassifikation gemäß der American Association of Anesthesiologists (ASA), die eine Abschätzung des Allgemeinzustandes des Patienten erlaubt. Nachteil der Klassifikation ist eine hohe Subjektivität und folglich eine hohe Variabilität. Zudem wird das Risiko des operativen Eingriffes bei der ASA-Klassifikation nicht mitberücksichtigt (Sieber 2006). Dennoch ermöglicht diese Klassifikationen eine einfache Risikoabschät-
zung und kann somit eine weitere zielgerichtete präoperative Diagnostik bzw. eine Anpassung des perioperativen Managements bahnen (Abb. 4.3).
Kardiale Risikoevaluierung Die Inzidenz kardialer Ereignisse ist mit < 10 % generell betrachtet eine eher seltene Komplikation. Jedoch korrelieren kardiovaskuläre Ereignisse mit einer erhöhten Letalität und zusätzlich mit der Entwicklung von weiteren, nicht kardiovaskulären Komplikationen (z. B. Wundinfektion, Delirium, respiratorische Dekompensation) (Fleischmann et al. 2003). Somit bedeuten sie für den einzelnen Patienten ein hohes persönliches Risiko und Schicksal, und für die betreuende Klinik einen erhöhten zeitlichen und finanziellen Aufwand. Typische perioperative kardiale Komplikationen, z. B. Hypotension, Hypertension, Herzinfarkt, Arrhythmien wie höhergradige AV-Blöcke und supraventrikuläre Tachykardien, Herzinsuffizienz oder Herztod treten in bis zu 16,7 % der Fälle auf (Fleischmann et al. 2003, Silverstein et al. 2007). Dabei wird das perioperative kardiale Risiko hauptsächlich durch das Vorhandensein einer koronaren Herzkrankheit (KHK) bestimmt (s. Kap. 6.4). Die Prävalenz der KHK von ca. 5 bis 10 % in der Normalbevölkerung steigt dabei ab dem 45. Lebensjahr beim Mann und dem 60. Lebensjahr bei der Frau kontinuierlich und erhöht somit die perioperative Morbidität und Letalität. So steigt bei gefäßchirurgischen Patienten mit KHK die Inzidenz eines perioperativen Myokardinfarkts bzw. des perioperativen Herztodes um das Fünffache gegenüber Patienten ohne KHK (Fleisher et al. 2008, Goldman et al. 1977). Daneben ist die Herzinsuffizienz einer der weiteren Hauptdeterminanten von perioperativen kardiovaskulären Ereignissen (s. Kap. 6.4). Die Inzidenz und Prävalenz der Herzinsuffizienz nimmt im Alter > 65 Jahre deutlich zu. Dabei weisen ältere Patienten mit Herzinsuffizienz in der Hälfte der Fälle eine unauffällige linksventrikuläre Funktion auf, jedoch ist die diastolische Funktion gestört (s. Kap. 2.2). Eine zielgerichtete präoperative Optimierung besteht vor allem in einer Anpassung der medikamentösen Therapie (Aronow 2006). Im Rahmen der präoperativen Evaluation kann das kardiale Risiko vor nicht kardiochirurgischen Eingriffen anhand verschiedener Risikoscores abgeschätzt werden. Goldmann und Kollegen etablierten erstmals anhand von Risikofaktoren einen Score zur Abschätzung des perioperativen kardialen Risikos, den so genannte „GoldmannIndex“ (Goldman et al. 1977). Für diesen werden Ergebnisse der klinischen Untersuchung und der Anamnese (Alter > 70 Jahre, dritter Herzton = S3 oder erhöhter jugularvenöser Druck, Herzinfarkt < 6 Monate, schwere Aortenstenose, schlechter Allgemeinzustand), der EKG-Diagnostik (> 5 ventrikuläre Extrasystolen pro Minute, kein Sinusrhythmus) und sowie der Schweregrad des operativen Eingriffs (Notfalloperation, intraperitoneale, intrathorakale und aortale Operationen) herangezogen, wobei
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4 Präoperative Evaluation
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Abb. 4.3 Perioperative kardiale Risikoevaluierung bei nicht kardiochirurgischen Risikopatienten (Zausig u. Graf; nach American College of Cardiology/American Heart Association 1996/2002/2006/2008).
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4.1 Anästhesierisiko klinische Hinweise auf das Vorliegen einer Herzinsuffizienz besondere Gewichtung erhalten. Galt das Alter bei Goldmann noch als ein sehr wichtiger Risikofaktor, so spielt es beim modifizierten „Cardiac Risk Index“ von Detsky (Detsky et al. 1986) bzw. bei der von Lee et al. 1999 überarbeiteten Version („Revised Cardiac Risk Index“) keine Rolle mehr (Lee et al. 1999). Letzterer war im direkten Vergleich der Goldmann-, der Detsky-, aber auch der üblichen ASA-Klassifikation prognostisch überlegen. In den 2007 überarbeiteten Richtlinien des „American College of Cardiology“ und der „American Heart Association“ (ACC/AHA) flossen diese Erfahrungen mit ein. Sie gelten heute als Standard zur präoperativen Identifizierung von Risikopatienten und sind richtungsweisend für das weitere perioperative Management (Fleisher et al. 2008).
Merke
Die wichtigsten Determinanten zur Bestimmung des kardialen Risikos sind: 1. Vorerkrankungen, 2. Belastbarkeit und 3. jeweiliges Operationsrisiko. Ein praktischer Leitfaden zur Abschätzung des präoperativen Risikos in Anlehnung an diese Leitlinien wird in Abb. 4.3 dargestellt. Vorrangiges Ziel der präoperativen Evaluation muss das sichere Erkennen von potenziellen Risikopatienten sein, wobei der hierfür benötigte Aufwand in Relation zum gewonnenen Nutzen stehen muss. Darüber hinaus müssen besonders Patienten mit mittelgradig erhöhtem Risiko identifiziert werden, da nur diese von einer erweiterten Diagnostik und Therapie eindeutig profitieren (Wesorick u. Eagle 2005).
Vorerkrankungen Um eine adäquate Aussage über patientenspezifische Risikofaktoren treffen zu können, ist eine ausführliche Anamnese unerlässlich. Informationen aus Arztbriefen, klinische Untersuchung sowie die Beurteilung von bereits durchgeführten diagnostischen Tests (z. B. EKG) vervollständigen das Bild. Die erhobenen Vorerkrankungen erlauben nun die Einteilung in drei Risikogruppen (Abb. 4.3): a. Vorerkrankungen mit hohem prädiktiven Wert sind eine schwere KHK, z. B. ein akuter (< 7 Tage) oder kürzlich (7–30 Tage) stattgehabter Myokardinfarkt bzw. instabile oder schwere Angina pectoris (CCS Klasse III und IV), eine dekompensierte Herzinsuffizienz, signifikante Herzrhythmusstörungen (z. B. hochgradige AVBlockbilder, symptomatische supraventrikuläre und ventrikuläre Arrhythmien) und/oder schwere Herzklappenfehler (vor allem symptomatische Aortenklappen- und Mitralklappenstenosen). b. Zu den Vorerkrankungen mit mittlerem prädiktiven Wert zählen ebenso eine KHK und/oder eine Herz-
insuffizienz, jedoch ist der Patient asymptomatisch und rekompensiert und somit nur bei schwerer Belastung (CCS Klasse I und II oder NYHA I und II) symptomatisch. Des Weiteren birgt ein (v. a. insulinpflichtiger) Diabetes mellitus, ein chronische Niereninsuffizienz (Kreatinin > 2 mg/dl) und eine zerebrovaskuläre Grunderkrankung ein mittleres kardiales Risiko in sich. c. Ein fortgeschrittenes Alter (> 70 Jahre) stellt wie erwähnt nur einen geringen klinischen Prädiktor für ein perioperatives kardiales Ereignis dar. In diese Kategorie werden ebenso Patienten mit abnormalem 12Kanal-EKG (z. B. bei linksventrikulärer Hypertrophie, Linksschenkelblock, ST-Abnormalitäten und/oder nicht eingestelltem arteriellen Hypertonus eingruppiert.
Belastbarkeit Die funktionelle Belastbarkeit des Patienten im täglichen Leben ist ein entscheidender Prädiktor für ein perioperatives kardiales Ereignis. Dabei orientiert man sich am „Duke Aktivitätsstatus Index“, ausgedrückt als metabolisches Äquivalent (MET), was dem Sauerstoffverbrauch in Ruhe eines 70 kg schweren und 40 Jahre alten Mannes (ca. 3,5 ml × kg-1 × min-1) entspricht. Diesem Index zufolge ist das perioperative kardiale Risiko bei einer verminderten funktionellen Belastbarkeit (< 4 MET) erhöht, während eine Belastbarkeit > 4 MET einem symptomfreien Treppensteigen von zwei Stockwerken oder vier Häuserblöcken entspricht. Die Einstufung der Belastbarkeit des Patienten ist bei kleineren operativen Eingriffen aufgrund eines insgesamt sehr geringen Risikos unerheblich. Auch bei Hochrisikopatienten ist die primäre Belastbarkeit für das weitere präoperative Vorgehen nicht entscheidend, da bei diesen ohnehin eine exakte Abklärung und ggf. Optimierung durchgeführt werden muss. Jedoch ist die Belastbarkeit beim Patientengut mit mittlerem Risiko entscheidend. So können unter Belastung (> 4 MET) asymptomatische Patienten ohne weitere Abklärung jeglicher Art von Operation zugeführt werden, wohingegen symptomatische Patienten mit besonderer Aufmerksamkeit evaluiert und behandelt werden müssen (Abb. 4.3) (Wesorick u. Eagle 2005).
Operationsrisiko Bei allen Notfalleingriffen sowie bei elektiven Eingriffe an zentralen oder peripheren Gefäßen bzw. ausgedehnten Operationen mit großem Flüssigkeitsumsatz besteht von vorneherein ein erhöhtes perioperatives kardiales Risiko (> 5 %), insbesondere bei älteren Patienten. Ein mittelgradig erhöhtes Risiko (1–5 %) besteht bei intraperitonealen, intrathorakalen und orthopädischen Eingriffen, bei der Endarteriektomie der A. carotis, bei Operationen an der Prostata sowie bei Kopf- und HalsEingriffen.
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4 Präoperative Evaluation Ambulante, endoskopische oder oberflächliche Eingriffe sowie Katarakt- oder Brust-Operationen gehen mit einem geringen kardialen Risiko (< 1 %) einher.
4.1.4 Strategien zur Reduktion des perioperativen kardialen Risikos Eine erweiterte präoperative Evaluation ist bei fehlender therapeutischer Konsequenz oder aber bei zeitlicher Limitierung im Rahmen von Notfalleingriffen nicht indiziert. Darüber hinaus gibt es Befürworter, Patienten mit mittlerem Risiko, schlechter Belastbarkeit und weniger als 3 Risikofaktoren ohne weitere Abklärung unter bestimmten Bedingungen zu versorgen (Fleisher et al. 2008). Dieses Vorgehen ist jedoch Gegenstand vieler Diskussionen und kann daher nicht uneingeschränkt empfohlen werden (Biccard et al. 2008).
Perioperative β-Blockade Nur wenige Studien haben sich mit dem Einfluss der perioperativen β-Blockade bei alten Menschen beschäftigt. Zaugg et al. zeigten, dass es durch die Verwendung von β-Blockern zu einer Verbesserung der hämodynamischen Stabilität, einer Reduktion von Schmerzmedikamenten, einer früheren Erholung und einer Minderung von ischämischen kardialen Ereignissen kam (Silverstein et al. 2007, Zaugg et al. 1999). Das Ziel der perioperativen β-Blockade ist eine Reduktion des myokardialen Sauerstoffbedarfs durch eine Abnahme der Inotropie und Chronotropie sowie eine mögliche Verbesserung der Perfusion von ischämiegefährdeten Regionen. Eine Fortführung der β-BlockerTherapie ist bei Patienten mit erhöhtem kardialem Risiko indiziert (s. Kap. 4.2). Eine Ausweitung oder ein neuer Therapiebeginn kann bei Patienten mit erhöhtem kardialem Risiko vor einem mittel- bis hochrisikoreichen Eingriff erfolgen, sofern keine absoluten Kontraindikationen bestehen. Zielfrequenzen sind 65–70 Schläge pro Minute. Ähnliche Ansätze bestehen in der Therapie mit α2-Agonisten oder Kalzium-Kanal-Blockern, für die eine Reduktion perioperativer Ischämieereignisse und der Letalität nachgewiesen wurde (Silverstein et al. 2007).
Perioperative erweiterte Überwachung Bis jetzt fehlt der sichere Nachweis, dass der Einsatz eines erweiterten hämodynamischen Monitorings (z. B. Pulmonaliskatheter, ST-Segment-Monitor, transösophageale Echokardiografie) zur Reduktion kardialer Ereignisse führt (s. Kap. 5.2). Dennoch ist es zu empfehlen, bei Notfallpatienten oder Patienten ohne ausreichende präoperative Abklärung. Auch ist eine perioperative Erweiterung der Überwachung (z. B. invasive Blutdruckmessung,
transpulmonale Thermodilution und Pulskonturanalyse) angezeigt bei Hochrisikoeingriffen oder bei Patienten mit einem erhöhten kardialen Risiko, um eine bedarfsgerechte Hämodynamik sicherzustellen. Dabei sind maximal Abweichungen um 20 % von den hämodynamischen Ausgangswerten anzustreben (Fleisher et al. 2008).
Perioperatives anästhesiologisches Vorgehen Die unterschiedlichen anästhesiologischen Verfahren (Allgemeinanästhesie, Regionalanästhesie und Kombinationsanästhesie) bieten bekanntermaßen eine Reihe von Vor- und Nachteilen bei Risikopatienten. Bisher wurde allerdings für keines der genannten Verfahren eine Überlegenheit bei der Reduktion von Morbidität und Letalität nachgewiesen. Deshalb sollte in Abhängigkeit von der Operation (z. B. Regionalanästhesie bei Eingriffen an Extremitäten) und den Vorerkrankungen (z. B. Epiduralanästhesie bei COPD, keine Spinalanästhesie bei schwerer Aortenstenose) das anästhesiologische Vorgehen individuell ausgewählt und angepasst werden. So kann beispielweise die Verwendung eines volatilen Anästhetikums im Rahmen einer Allgemein- oder Kombinationsanästhesie bei hämodynamisch stabilen Patienten mit erhöhtem kardialem Risiko sinnvoll sein [IIa/B]. Primäres Ziel ist eine perioperative Abschirmung vor Stress, z. B. durch eine adäquate Schmerztherapie (s. Kap. 3.2).
Merke
Das kardiale Risiko lässt sich anhand von Risikoscores abschätzen. Das perioperative Risiko ist dabei von den Vorerkrankungen, von der aktuellen Belastbarkeit des Patienten sowie vom operativen Eingriff selbst abhängig. Patienten, die sich offenen gefäßchirurgischen Eingriffen unterziehen müssen bzw. solche mit ausgeprägter KHK, Herzinsuffizienz und höhergradigen Klappenerkrankungen sind in diesem Zusammenhang besonders gefährdet.
Pulmonale Risikoevaluierung Auch pulmonale Komplikationen treten in Abhängigkeit der Dringlichkeit, Lokalisation und Art des chirurgischen Eingriffs auf. So werden bei Thoraxeingriffen in ca. 40 % der Fälle perioperative pulmonale Komplikationen beobachtet, während sich die Inzidenz bei Oberbaucheingriffen auf 33 % und bei tieferen Abdominaleingriffen auf 16 % reduziert. Ursächlich ist die postoperative Abnahme der Lungenfunktion. So berichten Pedersen et al. über pulmonale Komplikationen bei 10,2 % der Patienten mit postoperativ reduzierter Lungenfunktion (Aspiration, Bronchospasmus, Hypoxämie, Pneumothorax, respiratorische Insuffizienz mit notwendiger Intervention wie CPAP oder Intubation, Lungenentzündung) (Silverstein et al. 2007). Signifikant bessere Ergebnisse werden dagegen erzielt,
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4.1 Anästhesierisiko wenn postoperativ die Vitalkapazität, die forcierte Einsekundenkapazität sowie der maximale Exspirationsfluss erhalten bleiben (Berger u. Gust 2005). Kontrovers diskutiert wird, ob ein hohes Patientenalter per se einen eigenständigen Risikofaktor für postoperative pulmonale Komplikationen darstellt. Das Risiko scheint im Alter jedoch in erster Linie durch Begleiterkrankungen bestimmt zu werden. Unter diese fallen typischerweise langjähriger Nikotinabusus, Asthma, COPD, Adipositas und weitere vorbestehende Lungenerkrankungen (Silverstein et al. 2007). Aktuelle Übersichtsarbeiten zu diesem Thema weisen eindrucksvoll auf den niedrigen Evidenzgrad der präoperativen Maßnahmen zur Risikominimierung von postoperativen pulmonalen Komplikationen hin. Da bisher kein Lungenfunktionsparameter als spezifischer Prädiktor für eine Komplikation identifiziert werden konnte, wird das pulmonale Risiko präoperativ in erster Linie durch sorgfältiges Erheben der Anamnese, eine sorgfältige körperliche Untersuchung sowie anhand der Risikoklassifikation der American Society of Anesthesiologists (ASA-Klassifikation) bzw. des Goldman-Cardiac-Risk-Index (die beide in erster Linie den Allgemeinzustand des Patienten erfassen) abgeschätzt. Das Für und Wider der routinemäßigen Durchführung von Röntgenthoraxaufnahmen, Lungenfunktionstests und Blutgasanalysen wurde bereits oben ausführlich diskutiert. Das pulmonale Risiko bei Patienten mit vorbestehender schwerer chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) ist um das 3- bis 4-fache erhöht. Ziel der präoperativen Vorbereitung bei diesem Krankheitsbild ist es, akute Infekte zu beseitigen und den respiratorischen Status medikamentös zu optimieren, um so eine lebensbedrohliche perioperative Komplikation zu vermeiden. Dieses kann erreicht werden durch Nikotinabstinenz (siehe unten), eine gezielte antimikrobielle Therapie akuter respiratorischer Infektionen bzw. durch eine Ausweitung der physikalischen und medikamentösen Therapie mit Bronchodilatatoren, Glukokortikoiden und Sauerstoff. Das perioperative Vorgehen durch Anwendung eines schonenden Operationsverfahrens (z. B. laparaskopisches Vorgehen vs. offener Eingriff), ein optimales Anästhesieverfahren (Regional- vs. Allgemeinanästhesie) sowie eine optimale postoperative Schmerztherapie (z. B. Katheterverfahren versus PCA-Pumpe) kann zusätzlich das perioperative pulmonale Risiko vermindern. Ein langjähriger Nikotinabusus erhöht signifikant das Risiko für postoperative pulmonale Komplikationen um das 2- bis 6-fache. Bereits eine präoperative Nikotinkarenz von 2 Monaten reduziert das Risiko um ca. 25 %, während sich nach 6 Monaten das pulmonale Risiko dem eines Nichtrauchers angleicht. Dagegen führt eine Beendigung des Rauchens innerhalb eines Monats vor der Operation zu einer erhöhten Rate perioperativer pulmonaler Komplikationen (Berger u. Gust 2005).
Merke
Das individuelle Risko für das postoperative Auftreten pulmonaler Komplikationen muss in erster Linie durch eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung erfolgen und kann anhand von Risikoscores (z. B. ASA-Klassifikation) abgeschätzt werden.
Neurologische Risikoevaluation Perioperative neurologische Störungen treten bei nicht kardiochirurgischen Eingriffen insgesamt in bis zu 15 % der Fälle auf (15–25 % bei elektiven und 25–65 % bei Notfall-Eingriffen), wobei die assoziierte Mortalität zwischen 10 und 65 % schwankt. Darüber hinaus verlängern derartige Verläufe die postoperative Erholungsphase (Sieber 2006). Konkret stehen bei postoperativen neurologischen Komplikationen das Delir sowie kognitive Dysfunktionen im Vordergrund, wobei die kognitiven Dysfunktionen bis zu drei Monate nach dem Eingriff persisieren können. Obwohl eine Reihe von unabhängigen Risikofaktoren in diesem Zusammenhang identifiziert werden konnten (z. B. Alter > 70 Jahre, körperliche Einschränkungen, Malnutrition, Verwendung von Blasenkathetern oder mehr als drei Medikamenten), gibt es bis heute keine gesicherte Vorgehensweise zur Reduktion von kognitiver Dysfunktion und Delirium. Das Anästhesieverfahren scheint dabei keinen Einfluss auf die Inzidenz derartiger Erscheinungen zu haben. Nach Expertenmeinung soll die Anzahl an perioperativ verabreichten Medikamenten auf ein Minimum begrenzt bleiben, Hypotension und Hypoxämie vermieden werden und eine ausreichende postoperative Schmerztherapie sichergestellt sein (Newman et al. 2007).
Renale Risikoevaluation Mit zunehmenden Alter kommte es zu einer Einschränkung der Nierenfunktion und damit potentiell zu perioperativen Störung des Wasser-Elektrolythaushaltes (s. Kap. 5.4). Somit ist das ältere Patientengut besonders von einem akuten perioperativen Nierenversagen gefährdet, welches erwiesenermaßen mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist. Altersspezifische präventive Maßnahmen gegen ein akutes Nierenversagen gibt es nicht. Allgemein haben sich Normothermie, Normovolämie, ein ausreichendes Herzzeitvolumen und die Vermeidung von Nephrotoxinen (z. B. Aminoglykoside, Kontrastmittel und NSAIDs) sowie die Beseitigung postrenaler Abflussstörungen (z. B. Prostatahyperplasie) bewährt.
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4 Präoperative Evaluation
Metabolische Risikoevaluation Aktuellen Schätzungen zufolge werden im Jahr 2025 in der Gruppe der über 60-Jährigen ungefähr ⅔ der gesamten diabetischen Population in den entwickelten Staaten zu finden sein, was erwiesenermaßen zu einer erhöhten Morbidität und körperlichen Beeinträchtigung führt (s. Kap. 2.6). Ob eine enge Blutzuckereinstellung durch die so genannte intensivierte Insulintherapie mit Zielwerten von 80–110 mg/dl perioperativ auch bei älteren Patienten einen Vorteil schafft, wurde bislang nicht umfassend evaluiert. Unabhängig vom Alter gilt jedoch das Auftreten einer Hyperglykämie als Risikofaktor für Wundinfektion und erschwerte Wundheilung. Somit sind auch beim älteren Patienten hyperglykämische Zustände zu vermeiden, was durch eine engmaschige perioperative Einstellung des Blutzuckerspiegels sowie durch organisatorische Maßnahmen (z. B. Terminierung von Patienten mit Diabetes mellitus an die erste Stelle des OP-Plans) erreicht werden kann (Silverstein et al. 2007).
Kernaussagen ●
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Perioperative Komplikationen kommen beim alten Menschen gehäuft vor. Dies ist bedingt durch die im Alter zunehmende Zahl an Vorerkrankungen und eingeschränkte körperliche Reserven. Daneben bestimmen Art und Dringlichkeit des operativen Eingriffs die Inzidenz der perioperativen Morbidität und Letalität. Durch die Anwendung von Risiko-Scores können mit minimaler Routinediagnostik, akkurater Anamneseerhebung und sorgfältiger klinischer Untersuchung Risikopatienten für nicht kardiochirurgische Eingriffe identifiziert werden. Daraus ergibt sich wiederum eine gezielte weiterführende präoperative Diagnostik und individuelles perioperatives Management. Aufgrund der höheren Gefährdung und einer Reduktion der Kompensationsmöglichkeiten im Alter sollte immer im Vorfeld eine ausgewogene Abwägung zwischen Schaden und Nutzen eines operativen Eingriffs stattfinden.
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4.2 Prämedikation T. Brenner, A. Walther
4.2.1 Einführung
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Altersspektrum anästhesiologischer Patienten Eine allseits bekannte Entwicklung ist die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Im Jahr 1995 wurde geschätzt, dass einer von 35 Menschen ein Lebensalter von mehr als 80 Jahren aufweist. Bis im Jahr 2050 soll sich diese Relation bereits zu einer von zwölf Personen verschoben haben. Dementsprechend sind die Patienten, die sich beim Anästhesisten zum Prämedikationsgespräch vorstellen, zunehmend im höheren Lebensalter. Diese Entwicklung hat für den Anästhesisten erhebliche Konsequenzen. Allgemein gilt, dass je älter ein Patient ist, desto mehr relevante Vorerkrankungen sind zu beobachten und desto umfangreicher ist die jeweilige Dauermedikation des individuellen Patienten. Häufige Vorerkrankungen bei hospitalisierten Patienten mit einem Lebensalter > 65 Lebensjahre (Heavner 2006): ● arterielle Hypertonie ● Herzinsuffizienz ● koronare Herzerkrankung ● absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern ● Hyperlipoproteinämie ● Diabetes mellitus ● Arthritis ● chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ● Osteoporose
Depression Demenz
Die meisten Patienten mit einer mehr als 5 Präparate umfassenden Dauermedikation sind zwischen 70 und 79 Jahren alt. Häufig besteht das Problem, dass unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) die Patienten zur Einnahme eines weiteren Präparates zwingen, um die UAW des eigentlich therapeutischen Medikamentes abzufangen (Tab. 4.2). Diese Polypharmakologie birgt ein erhebliches Risiko für Medikamenteninteraktionen.
Polypharmakologie – ein Problem? Werden zwei oder mehr Medikamente gleichzeitig eingenommen, kann sich der pharmakologische Effekt von der Summe der einzeln verabreichten Substanzen unterscheiden; dies kann erwünscht, aber für den Patienten auch potenziell gefährlich sein. Die Wahrscheinlichkeit einer Arzneimittelinteraktion, definiert als quantitative und qualitative Veränderung der Wirkung eines Arzneimittels durch eine zweite Substanz, steigt exponentiell mit der Anzahl der verabreichten Medikamente und kann auf verschiedenen Ebenen entstehen (pharmazeutische, pharmakodynamische und pharmakokinetische Interaktion). Somit ist besonders in der perioperativen Phase ein für solche Vorgänge beachtenswertes Potenzial wie vermutlich nirgends sonst in Bereichen der Medizin vorhanden. Aufgrund einer mitunter ausgeprägten Komplexität der polypharmakologischen Problemstellungen ist zur
α-adrenerge Antagonisten (Terazosin, Tamsolusin)
Behandlung der Urinretention unter Anticholinergika
Antiemetika
Behandlung der Digitoxin-assoziierten Übelkeit
Antitussiva
Behandlung des ACE-Hemmer-induzierten Hustens (Captopril)
Antazida, H2-Rezeptorenblocker oder Protonenpumpeninhibitoren
Behandlung der ASS- oder NSAR-assoziierten Dyspepsie
Laxantien
Behandlung der Verapamil-induzierten Obstipation
Sedativa
Behandlung des aktivierenden Effekts einiger Antidepressiva (Fluoxetin)
Tabelle 4.2 Medikamente zur Behandlung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen des eigentlich therapeutischen Medikamentes (Quelle: Heavner 2006).
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4 Präoperative Evaluation Erhöhung der Arzneimittelsicherheit und -effektivität der Einsatz von Computer-gestützten Systemen am Anästhesiearbeitsplatz sinnvoll. So kann der Anästhesist bei den jeweiligen Medikamentenkombinationen des zu betreuenden Patienten eine EDV-gestützte Abfrage starten, welche ihn über möglicherweise gefährliche Medikamenteninteraktionen informiert. Eine Verwendung derartiger Computersysteme wäre natürlich bereits im Rahmen des Prämedikationsgespräches äußerst hilfreich. Als Vorreiter kann hier der Arzneimittel-Informations-Dienst der Klinikapotheke des Universitätsklinikums Heidelberg angeführt werden, welcher als Online-Portal zu jeder Zeit sowohl über das Intranet der Klinik, als auch für jedermann über das Internet (http://aidklinik.de) verfügbar ist. Komplexe Interaktionsanalysen der jeweils in der Dauermedikation des individuellen Patienten enthaltenen Einzelpräparate sind hiermit in Sekundenschnelle möglich (Abb. 4.4).
4.2.2 Epidemiologie Die Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelinteraktionen liegt bei etwa 5 %, wenn ein Patient weniger als 6 Präparate einnimmt und steigt auf über 40 %, sofern mehr als 15 unterschiedliche Medikamente verwendet werden. Im Rahmen einer Meta-Analyse ergaben sich für bereits hospitalisierte Patienten schwere Komplikationen bedingt durch eine unerwünschte Arzneimittelinteraktion in 2,1 %; tödliche Komplikationen hingegen in 0,19 %. Wie viele dieser Komplikationen im engeren Sinne auf perioperative Medikamenteninteraktionen zurückzuführen sind, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen; ebenso existieren keine endgültigen Daten bezüglich Anästhesieassoziierter Mortalität infolge von Arzneimittelwechselwirkungen.
Abb. 4.4 Arzneimittelportal des Universitätsklinikums Heidelberg. Die Abbildung präsentiert die wesentlichen Bestandteile der so genannten Medibox des Arzneimittelinformationsdienstes AiDKlinik. Dieser Abschnitt befasst sich mit den möglichen Medikamenteninteraktionen, der Dosierung bei Niereninsuffizienz, dem Vorliegen eines doppelten ATC-Codes (anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem für Arzneistoffe des Collaborating Centre for Drug Statistics der WHO) sowie möglichen Inkompatibilitäten innerhalb der Dauermedikation des individuellen Patienten (mit freundlicher Genehmigung der Dosing-GmbH, Heidelberg).
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4.2 Prämedikation
4.2.3 Perioperativer Umgang mit der Dauermedikation Annähernd 50 % der Patienten, die beim Anästhesisten zum Prämedikationsgespräch vorstellig werden, stehen unter einer medikamentösen Dauertherapie. In welcher Art und Weise nun die häufigsten Dauertherapie-Medikamente mit Relevanz für die perioperative anästhesiologische Phase zu handhaben sind, soll in den folgenden Abschnitten näher erörtert werden (Davis u. Heavner 2002).
vermindern. Weiterhin besteht ein geringes Risiko für eine Statin-induzierte Myopathie oder Rhabdomyolyse, deren Symptome aber im perioperativen Setting durch Analgetikagabe maskiert sein können (Dunkelgrun et al. 2006). Eine Dauertherapie mit Lipidsenkern kann grundsätzlich gefahrlos für kurze Zeit unterbrochen werden. Eine Sonderstellung nehmen hier allerdings die Statine ein, welche zur Reduktion perioperativer kardiovaskulärer Komplikationen eine „Number needed to treat“ (NNT) von nur 15 Patienten aufweisen (Biccard et al. 2005).
Merke
Diuretika Diuretika sind wertvolle Medikamente v. a. bei der Behandlung von Herzinsuffizienz und arterieller Hypertonie. Weitere wichtige Indikationen sind die Therapie von Ödemen, Leberzirrhose und Niereninsuffizienz. Ihr Wirkmechanismus im Rahmen der Behandlung der arteriellen Hypertonie sowie der Herzinsuffizienz beruht auf langfristigen Veränderungen des Natriumhaushalts. Perioperative Probleme im Rahmen der Diuretikatherapie beruhen auf den Diuretika-assoziierten unerwünschten Arzneimittelwirkungen (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, latente Hypovolämie). Ein Absetzen von Diuretika in der unmittelbar präbzw. perioperativen Phase ist gefahrlos möglich. Als Ausnahmen gelten das eindeutige Vorliegen einer Hypervolämie sowie die hochdosierte Dauertherapie bei chronischer Niereninsuffizienz.
Lipidsenker Bei Hypercholesterinämie werden entweder Präparate zur Förderung des Cholesterinverbrauches durch Hemmstoffe der Gallensäure-Resorption (Colestyramin/Colestipol) oder zur Hemmung der Cholesterinsynthese durch Blockade des Schlüsselenzyms HMG-CoA-Reduktase („Statine“ – Lovastatin, Simvastatin) eingesetzt. Hierdurch wird die Bildung atherosklerotischer Plaques vermindert, was mit einer Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung (KHK) einhergeht. Weiterhin scheinen Statine über verschiedene Wege („pleiotrope Effekte“) zur Stabilisierung atherosklerotischer Plaques zu führen, inflammatorische Prozesse zu modulieren, die Endothelfunktion sowie den arteriellen Blutfluss zu verbessern, die Plättchenfunktion zu inhibieren und die Fibrinolyse zu steigern (Dunkelgrun et al. 2006). Zur Therapie der Hypertriglyzeridämie kommen Clofibrinsäure-Derivate (Fibrate) und -analoga (Gemfibrocil) sowie Nikotinsäure-Derivate zum Einsatz. Die genauen Wirkmechanismen dieser Substanzen sind derzeit noch größtenteils ungeklärt. Barbiturate können durch Enzyminduktion die Wirkung von HMG-CoA-Reduktase-Hemmern („Statine“)
Eine bestehende Statin-Therapie sollte in der perioperativen Phase unbedingt fortgesetzt werden. Bei entsprechender Risikokonstellation und nicht vorbestehender Statin-Therapie sollte ein präoperativer Therapiebeginn erwogen werden. Die aktuellen ACC/AHA-Guidelines 2007 propagieren daher das in Abb. 4.5a dargestellte perioperative Prozedere (Fleisher et al. 2007).
Kardiovaskulär wirkende Pharmaka β-Rezeptoren-Blocker Die Hauptindikation für den Einsatz von β-RezeptorenBlockern stellt die arterielle Hypertonie dar. Weitere wichtige Einsatzgebiete sind die Hyperthyreose, die KHK, der Myokardinfarkt ohne Anzeichen einer Dekompensation, eine Herzinsuffizienz, eine Leberzirrhose mit portaler Hypertension sowie tachykarde Herzrhythmusstörungen. Heutzutage finden vorwiegend β1-selektive β-Blocker, sog. kardioselektive β-Blocker Verwendung, da sie seltener zu β2-vermittelten bronchokonstriktorischen Komplikationen führen. β-Blocker sind in der perioperativen Phase kardioprotektiv, indem sie besonders in der postoperativen Phase die Wirkung erhöhter Katecholaminspiegel dämpfen. Hieraus resultieren eine Herabsetzung des myokardialen Sauerstoffverbrauchs sowie eine Verbesserung des koronaren Blutflusses durch Diastolenverlängerung. Die häufigsten UAW von β-Rezeptoren-Blockern sind Bradykardie, Hypotension, Induktion oder Verschlechterung einer Herzinsuffizienz, AV-Überleitungsstörungen sowie Bronchialobstruktion. Das Absetzen einer chronischen β-Rezeptoren-Blockade ist mit einem so genannten Absetzphänomen im Sinne eines Rebounds assoziiert. Unter einer chronischen β-Blockade ist die Anzahl der β-Rezeptoren kompensatorisch erhöht und der Patient reagiert extrem sensibel auf perioperativ erhöhte Katecholaminspiegel. Dies ist möglicherweise auch der Grund, weshalb die Effektivität einer chronischen β-Blockade in gleichbleibender Dosierung während der perioperativen Phase äußerst kritisch zu betrachten ist. Chronisch β-blockierte Patienten sind weniger gut als akut
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4 Präoperative Evaluation
Abb. 4.5 Perioperatives Prozedere gemäß den aktuellen ACC/AHA-Guidelines 2007. Dabei gilt: Empfehlungen: Klasse I → Therapie wird empfohlen (Benefit >>> Risiko); IIa → Therapie ist gerechtfertigt (Benefit >> Risiko); IIb → Therapie kann in Betracht gezogen werden (Benefit ≥ Risiko); III → Therapie sollte nicht durchgeführt werden (Risiko ≥ Benefit). Evidenz: Grad A → Metaanalyse, Randomisierte Kontrollierte Interventionsstudie (RCT); Grad B → nicht randomisierte kontrollierte Interventionsstudie, Fall-Kontroll-Studie, Fallserie; Grad C → Expertenmeinung. a Empfehlungen zur perioperativen Statin-Therapie. b Empfehlungen zur perioperativen β-Blockade.
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4.2 Prämedikation β-blockierte Patienten vor einer Tachykardie geschützt. Verschiedene Möglichkeiten wie z. B. die temporäre Dosiserhöhung der β-Blockade, eine Kombinationstherapie mit α2-Agonisten oder eine thorakale Epiduralanalgesie sind denkbar, um diesem Problem zu begegnen. Die aktuellen ACC/AHA-Guidelines 2007 enthalten hierzu jedoch keine klaren Empfehlungen.
Merke
Eine präoperativ bestehende β-Blockade wird perioperativ fortgeführt (Abb. 4.5b) (Fleisher et
al. 2007). Bei Patienten ohne vorbestehende β-blockierende Therapie muss in Abhängigkeit vom kardiovaskulären Risiko des geplanten Eingriffes und dem individuellen Risikoprofil des Patienten über eine perioperative β-Blocker-Applikation entschieden werden (Abb. 4.5b) (Fleisher et al. 2007). Eine perioperative β-Blockade sollte möglichst bereits Tage oder gar Wochen vor dem operativen Eingriff angesetzt werden, um eine Adaptation des Kreislaufs an die neuen Verhältnisse zu ermöglichen. Als therapeutisches Ziel gilt eine Ruhefrequenz von maximal 65/min. Die Ruhefrequenz wird hierbei als physiologisches Surrogat für den Sympathikotonus verwendet. Besteht bei Patienten unabhängig von der perioperativen Situation die Indikation zur β-Blockade, sollte diese lebenslang fortgesetzt werden. Eine Optimierung dieser Therapie sollte stets von kardiologischer Seite erfolgen. Bei Patienten, die ausschließlich eine perioperative Indikation aufweisen, sollte die β-Blockade zumindest für die Zeit des Krankenhausaufenthaltes oder besser für etwa einen Monat fortgesetzt werden.
Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer (ACE-Hemmer) werden heutzutage routinemäßig u. a. zur Behandlung der arteriellen Hypertonie sowie der Herzinsuffizienz eingesetzt. Sowohl Mono-, als auch Kombinationstherapien mit anderen kardiovaskulär aktiven Medikamenten sind möglich. ACE-Hemmer beeinflussen spezifisch den Tonus der peripheren Kapazitäts- und Widerstandsgefäße über eine Hemmung des Angiotensin-ConvertingEnzyms (ACE), welches innerhalb des Renin-AngiotensinAldosteron-Systems (RAAS) seine Wirkung entfaltet. Die der Substanzgruppe der Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten (AT: Angiotensin) zugehörigen Medikamente blockieren den Subtyp AT1 der Angiotensin-II-Rezeptoren. Vorteil dieser Substanzen im Vergleich zu den ACE-Hemmern ist eine spezifische Hemmung der Angiotensinwirkung ohne Bradykinin-Akkumulation. Die wesentliche perioperative Problematik im Rahmen einer bis zum Operationstag fortgesetzten antihypertensiven Therapie mittels ACE-Hemmer bzw. AT-II-RezeptorAntagonisten besteht darin, dass bei diesen Patienten während der Narkoseinduktion ein deutlicher Blutdruck-
abfall auftreten kann, der eine deutlich häufigere Gabe und höhere Dosierungen von Katecholaminen und eine aggressivere Volumentherapie zur Aufrechterhaltung eines suffizienten Kreislaufs notwendig macht.
Merke
Über die perioperative Fortführung einer bestehenden Dauertherapie mit ACE-Hemmern bzw. AT-II-Rezeptor-Antagonisten muss in Abhängigkeit vom geplanten Eingriff und dem jeweils zur Anwendung kommenden Narkoseverfahren individuell entschieden werden. Falls eine ausreichende präoperative Volumenzufuhr sowie ein adäquates perioperatives hämodynamisches Monitoring durchgeführt werden können, ist bei kleineren chirurgischen Eingriffen ohne größeren zu erwartenden Blutverlust eine perioperative Fortsetzung der ACE-Hemmer-Therapie bzw. AT-II-Rezeptor-Antagonisten-Applikation gerechtfertigt. Vor allem vor größeren chirurgischen Eingriffen mit größerem Blutverlust und ggf. in Kombinationsanästhesie sollte die perioperative ACE-Hemmer-Applikation bzw. AT-II-Rezeptor-Antagonisten-Gabe unterbrochen werden. Ein Rebound-Phänomen nach perioperativem Absetzen ist nicht zu erwarten (Redel u. Schwemmer 2008).
Kalziumantagonisten Hauptindikationen dieser Medikamentengruppe sind die symptomatische Behandlung der arteriellen Hypertonie sowie tachykarde Herzrhythmusstörungen (s. Kap. 6.2). Sie wirken vasodilatierend an der glatten Gefäßmuskulatur des arteriellen Systems und senken dadurch den peripheren Widerstand. Je nach Typ des verwendeten Kalziumantagonisten sind sie darüber hinaus auch negativ inotrop wirksam und verzögern die Überleitung im AVKnoten. Der genaue Wirkmechanismus auf zellulärer Ebene beruht darauf, dass sie die L-Kalziumkanäle (L: long lasting) der glatten Gefäßmuskulatur (Nifedipin-Typ, Verapamil-Typ, Diltiazem-Typ) sowie des Myokards (Verapamil-Typ, Diltiazem-Typ) blockieren. Durch die Kalziumantagonisten scheint eine Potenzierung der neuromuskulären Blockade hervorgerufen werden zu können. Unter experimentellen Bedingungen vermindern Kalziumantagonisten den präsynaptischen Kalzium-Einstrom mit der Folge einer herabgesetzten Acetylcholinfreisetzung bis hin zum myasthenischen Syndrom. In der alltäglichen Praxis wird die alleinige Interaktion aus Kalziumantagonist und Muskelrelaxans selten ein klinisches Problem darstellen. Bei zusätzlicher Applikation weiterer Relaxierungs-verstärkender Medikamente (Magnesium, Aminoglykoside, Clindamycin, Lokalanästhetika, volatile Anästhetika) wird allerdings ein kontinuierliches Neuromonitoring empfohlen. Weiterhin sind Kalziumantagonisten in der Lage, kardiotoxische Effekte von Lokalanästhestika, v. a. Bupivacain, zu verstärken.
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4 Präoperative Evaluation
Merke
Ein präoperatives Absetzen von Kalziumantagonisten kann zu einem Blutdruck-Reboundphänomen führen. Darüber hinaus scheinen diese Substanzen benefitielle Effekte hinsichtlich des kardialen Outcomes (Ischämiereduktion, Verminderung supraventrikulärer Tachykardien) zu haben. Daher wird in den aktuellen ACC/ AHA-Guidelines 2007 empfohlen, Kalziumantagonisten in der perioperativen Phase fortzuführen. Zur Vermeidung von arterieller Hypertonie, Bradykardie sowie AV-Überleitungsstörungen sollte Bupivacain bei mit Kalziumantagonisten vorbehandelten Patienten vermieden werden (Christensen et al. 1994).
Digitalisglykoside Die Hauptindikationen für den Einsatz von Digitalisglykosiden sind die symptomatische Therapie der Tachyarrhythmia absoluta, supraventikuläre Tachyarrhythmien sowie tachykarde Formen der Herzinsuffizienz mit systolischer Ventrikeldysfunktion. Durch Digitalisglykoside kommt es zu einer Hemmung der membranständigen Natrium-Kalium-ATPase mit konsekutivem Anstieg der intrazellulären Natrium-Konzentration. Perioperative Veränderungen der Nierenfunktion sowie eine gleichzeitig bestehende Ko-Medikation mit Amiodaron, Chinidin oder Verapamil sind in der Lage, die Plasmakonzentration von Digitalisglykosiden erheblich zu beeinflussen. Darüber hinaus können perioperative Schwankungen des Elektrolyt- sowie Säure-Basen-Haushaltes (Hypokaliämie, Hypomagnesiämie, Alkalose, Hyperkalzämie) zu einer herabgesetzten Glykosidtoleranz führen. In diesen Fällen muss mit dem Auftreten Digitalis-assoziierter Nebenwirkungen bzw. Intoxikationserscheinungen wie z. B. gastrointestinalen Störungen (Brechreiz), zentralnervösen und visuellen Störungen (Farbensehen) sowie kardialen Störungen (Reizbildungsstörungen, Reizleitungsstörungen, EKG-Veränderungen) gerechnet werden.
Merke
Eine Unterbrechung der Dauertherapie mit Digitalisglykosiden ist perioperativ nicht zu empfehlen (Redel u. Schwemmer 2008). Bei oben genannten Risikokonstellationen sowie eingeschränkter Patientencompliance wird allerdings eine Kontrolle der Digitalis-Serumspiegel empfohlen (Roth et al. 1999). Eine engmaschige Kontrolle des Elektrolytsowie Säure-Basen-Haushaltes in der perioperativen Phase ist obligat.
Nitrate Nitrate werden vorwiegend als Akutphase-Präparate zur Kupierung von Angina-pectoris-Anfällen sowie zur Therapie einer akut dekompensierten (Links-)Herzinsuffizienz eingesetzt. Weiterhin finden sie in Form von Retard-Präparaten zur anti-anginösen Dauertherapie Verwendung. Nitrate führen durch eine enzymatische Freisetzung von NO und damit verbundener Aktivierung der Guanylatzyklase zu einer cGMP-vermittelten Vorlast- und Nachlastsenkung des Herzens mit konsekutiver Verminderung des myokardialen Sauerstoffverbrauches. Die vasodilatierenden Effekte von volatilen Anästhetika, rückenmarksnaher Regionalanästhesie und Nitraten addieren sich. Dies kann im Einzelfall zu beträchtlichem Volumenbedarf oder zu einer Senkung des Blutdruckes führen.
Merke
Da das Absetzen von Nitraten die Entwicklung perioperativer Myokardischämien begünstigt, wird eine Nitrat-Dauermedikation in der perioperativen Phase fortgesetzt.
Antiarrhythmika Antiarrhythmika werden nach ihren elektrophysiologischen Wirkungsmechanismen in vier Klassen (I bis IV nach Vaughan/Williams) eingeteilt: ● Klasse I: Natrium-Kanalblocker: – Ia: Verlängerung des Aktionspotenzials (Chinidin, Procainamid, Disopyramid, Ajmalin) – Ib: Verkürzung des Aktionspotenzials (Lidocain, Mexiletin, Phenytoin) – Ic: ohne Wirkung auf Aktionspotenzial (Flecainid, Propafenon) ● Klasse II: β-Blocker ● Klasse III: Kalium-Kanalblocker ● Klasse IV: Kalzium-Kanalblocker Auf die Besonderheiten der Substanzen der Klassen II und IV wurde bereits an anderer Stelle eingegangen (siehe oben). Die verbleibenden Substanzen der Klassen Ia, Ib, Ic sowie III wirken kardiodepressiv und potenzieren die negativ inotrope Wirkung von volatilen Anästhetika. Darüber hinaus verlängern Antiarrhythmika der Klassen Ia und Ib die Wirkdauer von nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien.
Merke
Für Antiarrhythmika der Klassen I und III gilt die Empfehlung, diese Substanzen in der perioperativen Phase weiter zu verabreichen. Die Fortführung der Gabe von Amiodaron (Klasse III) in der perioperativen Phase wird allerdings kritisch diskutiert. Unter Amiodaron-Applikation sind Atropin-resis-
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4.2 Prämedikation tente Bradykardien, AV-Dissoziation, ausgeprägte Vasodilatation, Herz-Zeit-Volumen-Erniedrigung bis hin zu perioperativen Todesfällen beschrieben. Allerdings erscheint eine perioperative Unterbrechung der Amiodaron-Dauermedikation aufgrund der langen Eliminationshalbwertszeit nicht praktikabel. Lidocain als Lokalanästhetikum und zugleich Vertreter der Klasse-Ib-Antiarrhythmika weist nicht nur lokalanästhetische und antiarrhythmische Eigenschaften auf, sondern ist zugleich antithrombotisch und antiinflammatorisch wirksam (Herroeder et al. 2007). Darüber hinaus senkt es die MAC (minimale alveoläre Konzentration) von volatilen Anästhetika und potenziert die Wirkung intravenöser Anästhetika.
Alpha-2-Rezeptor-Agonisten Die Präparate dieser Substanzklasse (Clonidin, Guanfacin, Methyldopa) werden im Rahmen einer Dauermedikation zur Behandlung der arteriellen Hypertonie und zur Dämpfung von Entzugserscheinungen eingesetzt. Diese zentral wirksamen Medikamente bewirken über präsynaptische α2-Rezeptoren eine Verminderung des Sympathikotonus. Hieraus resultiert eine Senkung des myokardialen O2-Verbrauches. Diese Substanzen besitzen allerdings keine 100 %ige α2-Spezifität, sodass auch α1assoziierte Wirkungen beobachtet werden können. Vor allem bei schneller i. v.-Gabe muss mit einem sog. paradoxen sympathomimetischen Effekt in Form eines starken Blutdruckanstieges gerechnet werden. Durch einmalige präoperative Gabe eines α2-Agonisten wird der intraoperative Bedarf an intravenösen Anästhetika, Inhalationsanästhetika sowie Opioiden um 20– 50 % gesenkt. Darüber hinaus ist der postoperative Analgetikabedarf deutlich reduziert. Durch Verbesserung der hämodynamischen Stabilität sowie verringerte zentrale Katecholaminausschüttung konnte bei kardialen Risikopatienten sowohl die Mortalität als auch die Inzidenz von perioperativen Myokardischämien reduziert werden (Fleisher et al. 2007).
Alpha-1-Rezeptor-Antagonisten Die Präparate dieser Substanzgruppe (Prazosin, Terazosin, Doxazosin, Bunazosin) werden vorrangig zur Behandlung der arteriellen Hypertonie eingesetzt und wirken als selektive Antagonisten am sympathischen α1-Adrenozeptor. Besonders erwähnenswert erscheint darüber hinaus die Substanz Phenoxybenzamin als unspezifischer, nicht kompetitiver und irreversibler α1-Adrenozeptor-Blocker. Unter Dauerapplikation dieser Substanzen kommt es zu einer ausgeprägten Beeinträchtigung der kompensatorischen Vasokonstriktion, was unter Verwendung volatiler Anästhetika bzw. im Rahmen einer Kombinationsanästhesie (Allgemeinanästhesie und Periduralkatheter) und/oder akuter Hypovolämie zu einer erheblichen hämodynamischen Instabilität führen kann.
Merke
Eine bestehende Dauermedikation mit α2-Agonisten sowie α1-Adrenozeptor-Blockern sollte in der perioperativen Phase fortgesetzt werden, da BlutdruckReboundphänomene nach Absetzen beschrieben sind. Vor allem die im Rahmen der präoperativen Vorbereitung für eine Adrenalektomie bei Phäochromozytom begonnene kombinierte α- und β-Blockade muss bis zum Morgen des Operationstages eingenommen werden, um perioperative Blutdruckkrisen bedingt durch Tumormanipulation-assoziierte Hormonausschüttungen zu vermeiden.
Arterioläre Vasodilatanzien Die Präparate dieser Substanzgruppe (Dihydralazin, Hydralazin, Minoxidil, Diazoxid) werden in besonderen Fällen (Dihydralazin während Gravidität; Minoxidil bei therapierefraktären Verlaufsformen) zur Behandlung der arteriellen Hypertonie eingesetzt. Die Substanzen Hydralazin und Dihydralazin sind direkte, Rezeptor- und Endothelunabhängige arterielle und arterioläre Vasodilatatoren. Die Kaliumkanalöffner Minoxidil und Diazoxid wirken ebenfalls direkt gefäßdilatierend. Eine Weitergabe dieser Substanzen in der perioperativen Phase erscheint sinnvoll, da diese Präparate nur bei anderweitig nicht therapierbaren Hypertonieformen appliziert werden.
Antidepressiva MAO-Hemmer Diese Medikamente werden bei der Behandlung des Parkinson-Syndroms und depressiven Psychosen mit motorischer Antriebshemmung eingesetzt. Sie hemmen die oxidative Desaminierung synaptischer Neurotransmitter (Dopamin, Serotonin, Noradrenalin) und führen somit zu einer Steigerung ihrer sympathomimetischen Wirkung. Die Monoaminooxidase (MAO) existiert in zwei verschiedenen Isoformen (MAO-A/MAO-B). Bei den Hemmstoffen der Monoaminooxidase können dementsprechend verschiedene Gruppen unterschieden werden: ● 1. Generation (Tranylcypromin – MAO-A und MAO-B): Diese Substanzen wirken nicht selektiv und irreversibel. ● 2. Generation (Chlorgylen – MAO-A; Selegilin – MAO-B): Diese Substanzen wirken selektiv und irreversibel. ● 3. Generation (Moclobemid – MAO-A; RO-19–6327 – MAO-B): Diese Substanzen wirken selektiv und reversibel. Perioperative Probleme im Sinne von Medikamenteninteraktionen sind vor allem für die Substanzen mit MAO-AHemmkomponente beschrieben. So kann z. B. die Anwendung von Substanzen mit indirekt sympathomimetischer
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4 Präoperative Evaluation Wirkkomponente (Etilefrin, Ketamin, Pancuronium) bei Patienten mit chronischer MAO-A-Hemmer-Einnahme durch eine überschießende Noradrenalin-Liberation zu schwer beherrschbaren hypertensiven Krisen führen (Roth et al. 1999, Milde u. Motsch 2003). Als ähnlich folgenschwer wird die so genannte „exzitatorische Reaktion“ nach Applikation von Pethidin, Tramadol und Pentazocin eingeschätzt. Diese exzitatorische Reaktion mit den klinischen Symptomen Agitiertheit, Kopfschmerzen und hämodynamische Instabilität wird als das Ergebnis einer überschießenden zentralnervösen serotoninergen Aktivität angesehen. Im Gegensatz dazu kann es aber auch nach Applikation der oben genannten Opioide zu einer so genannten depressiven Reaktion kommen, welche durch Atemdepression, Hypotension und Koma gekennzeichnet ist (Bruessel 2003). Diese depressive Reaktion ist Folge erhöhter Opioidkonzentrationen infolge einer Inhibition mikrosomaler Leberenzyme durch MAO-Hemmer. Ein längerfristiges präoperatives Absetzen dieser MAO-Hemmer kann trotz der soeben geschilderten perioperativen Medikamenteninteraktionsmöglichkeiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht befürwortet werden, da dies für den Patienten einen ausgeprägten Krankheitsrückfall bedeuten oder die Zeit der Rekonvaleszenz nicht abgewartet werden kann (Roth et al. 1999). Im Optimalfall sollten etwa 2 Wochen vor einer elektiven Operation MAO-Hemmer der 1. und 2. Generation (irreversible MAO-Hemmer) durch Präparate der 3. Generation ersetzt werden. Moclobemid sollte dann wiederum kurzfristig vor dem eigentlichen operativen Eingriff (T½ = 2 h) pausiert werden. Trotzdem wird auch dann empfohlen, keine indirekten Sympathomimetika zu verabreichen und die Applikation von Pethidin und Tramadol zu unterlassen (Bruessel 2003).
Merke
Ist ein derartig differenziertes Vorgehen aus Zeitgründen (Notfall-OP) nicht möglich, so kann bei Beachtung der Kontraindikationen für Pethidin bzw. Tramadol sowie dem Verzicht auf indirekt wirkende Sympathomimetika und Vermeidung der Triade Hypoxie, Hyperkarbie sowie Hypertonie auf ein präoperatives Absetzen der MAOHemmer mit vorwiegender A-Spezifität verzichtet werden (Milde u. Motsch 2003). Aufgrund der unterschiedlichen Substratspezifität der MAO hat sich eine antidepressive Therapie mit selektiven MAO-B-Hemmern als relativ insuffizient herausgestellt, sodass diese Substanzgruppe derzeit nur noch wenig Anwendung findet (ggf. im Rahmen der Therapie des Morbus Parkinson). Die unterschiedliche Substratspezifität ist auch dafür verantwortlich, dass im Rahmen der MAO-B-Hemmer-Einnahme eine verminderte Anfälligkeit für Komplikationen beschrieben ist. Trotz allem konnten für die Kombination aus Selegilin und Pethidin Fälle von Agitation, Muskelrigidität und Hyperthermie beschrieben werden, weshalb diese Kombination unbedingt zu vermeiden ist.
Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TCA) Diese Substanzen werden zur Therapie von endogenen Depressionen und bei chronischen Schmerzsyndromen verwendet. Sie hemmen die neuronale Aufnahme bzw. Wiederaufnahme der Neurotransmitter Dopamin, Noradrenalin und Serotonin in die Nervenendigungen des zentralen und peripheren Nervensystems. Die oben aufgeführten pharmakologischen Effekte lassen sich durch Kombination mit anderen direkten Sympathomimetika potenzieren. Die Wirkung indirekt sympathomimetisch wirkender Substanzen ist hingegen abgeschwächt, da die zentralen Katecholaminspeicher entleert sind. Darüber hinaus kann die Wirkung sämtlicher Substanzen, welche in die zentralen Noradrenalinbzw. Serotonin-abhängigen Systeme eingreifen, unter TCA-Medikation erheblich verstärkt sein (Tramadol). In gleicher Weise muss mit einer verlängerten Wirkung von Anticholinergika (Parkinson-Medikamente/Spasmolytika) gerechnet werden. Weiterhin potenzieren TCA die Wirkung von Hypnotika, Opioiden sowie Inhalationsanästhetika (Roth et al. 1999). Im Rahmen der hepatischen Metabolisierung über das Cytochrom-P-450-System sind weitere zahlreiche Interaktionen zu erwarten (Tab. 4.3) (Roth et al. 1999).
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Diese Substanzgruppe stellt die 2. Generation der Antidepressiva dar. Sie bewirken eine selektive Inhibition des Serotonin-Re-Uptake mit einer konsekutiven Konzentrationserhöhung von Serotonin im synaptischen Spalt. Die chronische Anwendung führt zu einer Reduzierung der erhöhten Rezeptorzahl oder -sensitivität („Down-Regulation“) postsynaptischer Rezeptorsysteme. SSRI interagieren wenig mit anderen Neurotransmittersystemen, sodass die TCA-assoziierten unerwünschten Medikamenteninteraktionen gering oder kaum nachweisbar sind. Pethidin, Pentazocin, Tramadol und Metoclopramid können die Serotoninkonzentration erhöhen bzw. eine präsynaptische Serotoninfreisetzung provozieren (Kam u. Chang 1997). Diese Medikamente können dann in Kombination mit der SSRI-Einnahme zum so genannten „Serotonin-Syndrom“ führen (Milde u. Motsch 2003). Dieses Krankheitsbild ist gekennzeichnet durch Sinustachykardie, Krämpfe, Hyperreflexie, Agitation, Tremor, Mydriasis, Diaphorese, Ataxie sowie Halluzinationen und kann über eine Rhabdomyolyse, DIC (Disseminierte Intravasale Gerinnung), ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrome), kardiovaskuläre Insuffizienz bis hin zum MOV (Multiorganversagen) führen (Power et al. 1995). Bedingt durch ihre Metabolisierung über das CYP-450-System mit gleichzeitig inhibitorischer Funktion, kann es zu zahlreichen pharmakokinetischen Interaktionen kommen (Phenytoin, Carbamazepin, TCA, Theophyllin, Ic-Antiarrhythmika). TCA, Benzodiazepine sowie Tolbutamid verstärken ihrerseits wiederum die Wirkung der SSRI (Kam u. Chang
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4.2 Prämedikation Tabelle 4.3
Substrate
Substrate, Induktoren und Inhibitoren der CYP-450-Isoenzyme. CYP1A2
CYP2C9
CYP2C19
CYP2D6
CYP2E1
CYP3A4
Amitryptilin
Celecoxib
Amitryptilin
Ajmalin
Ethanol
Alfentanil
Clozapin
Diclofenac
Diazepam
Amitryptilin
Desfluran
Amiodaron
Haloperidol
Ibuprofen
Hexobarbital
Codein
Enfluran
Bupivacain
Imipramin
Irbesartan
Imipramin
Desipramin
Halothan
Buprenorphin
Ondansetron
Losartan
Lansoprazol
Droperidol
Isofluran
Codein
Paracetamol
Phenytoin
Omeprazol
Flecainid
Paracetamol
Ciclosporin
Propanolol
Tamoxifen
Phenytoin
Fluoxetin
Sevofluran
Dikaliumchlorazepat
Ropivacain
Tolbutamid
Propanolol
Fluvoxamin
Diltiazem
Theophyllin
Warfarin
Imipramin
Fentanyl
Metoclopramid
Kortison
Metoprolol
Lovastatin
Ondansetron
Methylprednisolon
Propafenon
Midazolam
Tramadol
Nifedipin
Verapamil
Ondansetron Paracetamol Pethidin Proteaseinhibitoren Ropivacain Simvastatin Sufentanil Verapamil Induktor
Omeprazol
Johanniskraut
Carbamazepin
Gravidität
Ethanol
Carbamazepin
Rauchen
Phenobarbital
Phenobarbital
Dexamethason
Isoniazid
Glukokortikoide
Rifampicin
Rifampicin
Johanniskraut Rifampicin Thiopental
Inhibitor
Disulfiram
Amiodaron
Amiodaron
Amiodaron
Cimetidin
Amiodaron
Cimetidin
Cimetidin
Fluvoxamin
Celecoxib
Cimetidin
Ciprofloxacin
Fluconazol
Indomethazin
Cimetidin
Diltiazem
Fluvoxamin
Fluvoxamin
Ketoconazol
Cocain
Erythromycin
Mibefradil
Isoniazid
Lansoprazol
Haloperidol
Fluvoxamin
Lovastatin
Omeprazol
Methadon
Grapefruitsaft
Probenecid
Ticlopidin
Paroxetin
Ketoconazol Paracetamol Verapamil
1997). Besonders erwähnenswert erscheint die im Rahmen der CYP-450-Interaktion hervorgerufene Verlängerung der Wirkung von Midazolam (Kam u. Chang 1997). Zusätzlich können Substanzen wie Cimetidin den Metabolismus der SSRI unterbinden, was zu Überdosierungserscheinungen und wiederum zum Serotonin-Syndrom führen kann (Milde u. Motsch 2003).
Merke
Bei zeitgerechtem Absetzen der TCA muss mit dem erneuten Auftreten von depressiven Symptomen sowie von Verwirrtheitszuständen gerechnet werden. Das präoperative Absetzen eines SSRI kann ebenfalls zu einem schwerwiegenden Krankheitsrückfall sowie zu Entzugserscheinungen führen. Somit scheint es gerechtfertigt, eine Weitergabe beider Substanzgruppen unter Beachtung der möglichen Interaktionen zu empfehlen (Bruessel 2003).
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4 Präoperative Evaluation
Neuroleptika Neuroleptika wirken durch die Milderung psychotischer Zustandsbilder und Distanzierung antipsychotisch bei weitgehend erhaltener intellektueller Funktion. Ihr Einsatzspektrum ist äußerst weitreichend. Sie werden bei Schizophrenien sowie schizoaffektiven Psychosen, psychomotorischer Erregung, Angststörungen/Agitation, Manien, Delir und Halluzinationen nach Amphetaminoder LSD-Konsum, Schmerzsyndromen und hyperkinetischen Syndromen verwendet. Alle Substanzen dieser an sich äußerst heterogenen Medikamentengruppe wirken in unterschiedlich ausgeprägtem Maße antidopaminerg, anticholinerg und antiadrenerg. Hinsichtlich des intraoperativen Managements sind bei Patienten mit chronischer Neuroleptikamedikation eine Reduzierung der MAC bei Inhalationsanästhetika sowie eine Wirkverstärkung von i. v.-Anästhetika beschrieben. Darüber hinaus wird die Wirkdauer von nicht depolarisierenden Muskelrelaxantien verlängert. Aufgrund der teilweise α-blockierenden Wirkung einiger Präparate dieser Medikamentengruppe, kann es bei gleichzeitiger Applikation eines unspezifischen α-/β-Agonisten zu einer β-vermittelten Vasodilatation mit konsekutiver Hypotension kommen. Dieser Pathomechanismus ist auch für eine Abschwächung der reaktiven Vasokonstriktion bei Hypovolämie verantwortlich. In der postoperativen Phase zeigen Patienten mit chronischer Neuroleptikaeinnahme eine erhöhte Inzidenz von anticholinergen Effekten (Hyperthermie, Tachykardie, Verwirrtheit, Darmmotilität ↓). Als seltene perioperative Komplikation im Rahmen der Neuroleptikaapplikation kann es, auch nach Einmalgabe (v. a. Haldol), zum Auftreten des so genannten „malignen neuroleptischen Syndroms“ kommen. Diese Komplikation wird durch eine Dopamin-Rezeptor-Blockade verursacht und ist durch die Symptome Hyperthermie, Akinesien, Muskelrigidität, vegetative Dysfunktion, Bewusstseinsstörung sowie Anstieg der Kreatinkinase (CK) gekennzeichnet. Rein symptomatisch besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur malignen Hyperthermie, ohne dass eine pathophysiologische Verwandtschaft besteht.
Merke
Die medikamentöse, zentral wirksame Langzeitbehandlung mit Neuroleptika sollte perioperativ nicht unterbrochen werden.
Sonstige Psychopharmaka Medikamente bei Parkinson-Syndromen Primäres Therapieziel ist, das zentrale Ungleichgewicht zwischen Dopamin und Acetylcholin wieder zugunsten des Dopamins zu verschieben. Hierzu erfolgt der Ersatz des fehlenden Dopamins mittels Levodopa. Um eine peri-
phere Decarboxylierung von Levodopa zu Dopamin zu verhindern, erfolgt die gleichzeitige Applikation eines Dopamin-Decarboxylase-Hemmers (Benserazid, Carbidopa), welcher die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann. Bei weiter fortschreitender Erkrankung ist die zusätzliche Applikation eines Dopamin-Agonisten (Bromocriptin, Lisurid) möglich. Weitere Alternativen sind die Verwendung eines MAO-B-Hemmers (Selegelin; siehe dort) oder von Amantadin (amphetaminartige Erhöhung der Dopaminfreisetzung). Für die im Rahmen der Parkinson-Therapie verwendeten Substanzen sind Interaktionen mit vielen, u. a. auch im Rahmen der Anästhesie verwendeten Substanzen beschrieben. So wird z. B. unter Anwendung von Inhalationsanästhetika deren hypotensiver Effekt verstärkt; unter Verwendung von Enfluran muss zusätzlich beachtet werden, dass die zerebrale Krampfbereitschaft heruntergesetzt wird. Eine Abschwächung der Wirkung von Parkinson-Medikamenten ist durch Benzodiazepine beschrieben. Im Rahmen der Applikation von zentral cholinerg (Physostigmin) oder antidopaminerg (Neuroleptika) wirkenden Substanzen kommt es regelhaft zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes. Levodopa ist nur oral verfügbar und hat eine äußerst kurze Wirkdauer, sodass beim perioperativen Pausieren eine rasche Verschlechterung der klinischen Symptomatik sowie ggf. eine akinetische Krise beobachtet werden kann.
Merke
Eine Fortführung der Anti-Parkinson-Medikation ist in der perioperativen Phase zwingend notwendig. Ggf. besteht die Möglichkeit, Amantadin intraoperativ i. v. zu applizieren. Postoperativ sollte die patienteneigene Dauermedikation schnellstmöglich fortgesetzt werden. Nach größeren intraabdominellen Eingriffen kann die Levodopa-Applikation unter Umständen über eine Duodenalsonde gegeben werden; ggf. muss ein Neurologe zur perioperativen Optimierung der Parkinson-Therapie mit involviert werden.
Antiepileptika Die neuronale Aktivität kann durch verschiedene Mechanismen gesenkt werden: ● Blockade von spannungsabhänigen Natrium-Kanälen (Carbamazepin, Valproat, Phenytoin, Lamotrigin, etc.) ● Förderung einer GABAergen Hemmung (Benzodiazepine, Barbiturate, Tiagabin, Vigabatrin, Gabapentin, etc.) ● Hemmung eines T-Typ-Kalzium-Einwärtsstromes (Ethosuximid, Valproat) Verschiedene Antiepileptika (Carbamazepin, Phenobarbital, Primidon) können durch Enzyminduktion u. a. die Wirkung nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien he-
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4.2 Prämedikation rabsetzen. Muskelrelaxanzien, die primär unter Umgehung des hepatischen Metabolismus verstoffwechselt werden (Atracurium, Mivacurium) sind von dieser Wirkverminderung natürlich unbeeinflusst. Weiterhin weisen derartige Patienten häufig einen erhöhten Opiatbedarf auf.
Merke
Die antiepileptische Dauermedikation eines Patienten sollte auch in der perioperativen Phase zur Anfallsprophylaxe kontinuierlich weitergegeben werden.
Lithium Primäre Indikation für die Anwendung von Lithium ist das Vorhandensein einer bipolar affektiven Psychose. Der Wirkmechanismus von Lithium ist bis dato noch nicht genau bekannt. Man vermutet eine über Ionenkanäle vermittelte Stabilisierung von Nervenzellmembranen. Als perioperativ relevante Medikamenteninteraktionen sind inkonstante Wirkverlängerungen depolarisierender und nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien beschrieben (Bruessel 2003). Darüber hinaus kann es den Bedarf an Anästhetika senken. Wegen einer relativ geringen therapeutischen Breite muss im Rahmen der perioperativen Verwendung von Diuretika bedacht werden, dass diese die Lithium-Serum-Konzentration bedingt durch eine Verminderung der renalen Lithium-Clearance relevant erhöhen können.
Merke
Eine Lithium-Dauertherapie sollte nach Abwägung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses in der Regel nicht unterbrochen werden. In diesen Fällen ist die kontinuierliche Verwendung eines Neuromonitorings in der perioperativen Phase zu empfehlen. Darüber hinaus kann die präoperative Bestimmung der Lithium-Serum-Konzentration und ggf. eine Dosisanpassung sinnvoll sein.
Antiasthmatika/Bronchodilatatoren β2-Mimetika Die verfügbaren Präparate (inhalativ/i. v.) führen als Agonisten an sympathischen β2-Adrenozeptoren zu einer Relaxation der glatten Muskulatur der Bronchien und somit zu einer Verringerung des Atemwegswiderstandes. Per inhalationem applizierte β2-Mimetika lösen im Rahmen der empfohlenen Dosierungen keine wesentlichen Interaktionen aus. Bei intravenöser Applikation von β2Mimetika kann es zu Tachyarrhythmie und Hypokaliämie kommen. In Kombination mit MAO-Hemmern kann es zu einem verlangsamten Abbau kommen.
Theophyllin Theophyllin ist ein Phosphodiesterase-III-Hemmstoff. Dadurch wird eine intrazelluläre Konzentrationserhöhung des Signalstoffs cAMP hervorgerufen, was eine Abnahme des Bronchialmuskeltonus bewirkt. Theophyllin weist eine sehr geringe therapeutische Breite auf und wird über das CYP-450-System (CYP1A2) in der Leber verstoffwechselt. Interaktionen im Rahmen des CYPStoffwechsels können daher rasch zu Intoxikationserscheinungen (Herzrasen, Unruhe) führen. Weitere Probleme stellen die Zunahme der arrhythmogenen Effekte von Theophyllin unter volatilen Anästhetika, die verstärkte Acetylcholinfreisetzung, der erhöhte Bedarf an nicht depolarisierenden Relaxanzien sowie die verstärkte Toxizität herzwirksamer Glykoside dar. Zur Vermeidung von Intoxikationen im Rahmen von perioperativen Medikamenteninteraktionen (CYP-Stoffwechsel) besteht die Möglichkeit zur Bestimmung der Theophyllin-Plasmakonzentration (therapeutisches Drug Monitoring).
Merke
Zur perioperativen Prophylaxe einer Bronchialobstruktion wird die Fortführung der antiobstruktiven Dauertherapie des individuellen Patienten empfohlen (Redel u. Schwemmer 2008).
Antibiotika Zur Prophylaxe und Therapie von Infektionen erhalten etwa ⅔ aller chirurgischen Patienten in der perioperativen Phase eine Antibiose. Für die in der klinischen Routine derweilen am häufigsten verwendeten Substanzen aus der Gruppe der β-Lactame sind keine klinisch relevanten Interaktionen beschrieben. Im Gegensatz dazu sind Aminoglykoside, Polymyxine, Lincosamide, Tetrazykline und Vancomycin in der Lage, die neuromuskuläre Blockade v. a. lang wirksamer Muskelrelaxanzien zu potenzieren. Bei kurz- und mittellang wirksamen Relaxanzien ist dies weniger ausgeprägt (s. Kap. 3.4).
Zytostatika Vor allem bei hämatologischen Systemerkrankungen, metastasiertem Mammakarzinom, kleinzelligem Bronchialkarzinom (SCLC) und zur Hochdosistherapie vor Knochenmarkstransplantation werden Anthrazykline (Doxorubicin, Daunorubicin), Cyclophosphamid und weitere potenziell kardiotoxische Substanzen eingesetzt. Bei entsprechender Anamnese muss immer an das Vorliegen einer assoziierten Kardiomyopathie gedacht werden.
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4 Präoperative Evaluation
Merke
Bei entsprechender Medikamentenanamnese und Vorliegen einer entsprechenden klinischen Symptomatik ist eine präoperative kardiologische Befunderhebung unerlässlich.
Antidiabetika Orale Antidiabetika Zur primär nicht insulinabhängigen Therapie des Diabetes mellitus stehen verschiedene Substanzen zur Verfügung. Sulfonylharnstoffe (Glimepirid, Glibenclamid) und Glinide (Repaglinide, Nateglinide) führen zu einer vermehrten Insulinsekretion aus den B-Zellen des Pankreas und werden deshalb auch zu den sog. Insulinsekretagoga gezählt. Biguanide (Metformin) hemmen die Glukoneogenese in der Leber, die Glukoseresorption im Darm und bewirken eine verstärkte Glukoseaufnahme der Muskulatur. Glitazone (Rosiglitazon, Pioglitazon) werden auch als so genannte „Insulin-Sensitizer“ bezeichnet, da sie die Empfindlichkeit der Zellen des Fettgewebes, der Skelettmuskulatur und der Leber für Insulin erhöhen. α-Glukosidasehemmer (Acarbose) verzögern die Absorption von Kohlenhydraten im Darm. Hierdurch wird das Auftreten postprandialer Hyperglykämien vermindert.
Merke
Orale Antidiabetika haben potenziell das Risiko, im Rahmen der perioperativen Nüchternheit mitunter relevante Hypoglykämien auslösen zu können.
ten. In diesen Fällen ist der einzige Eliminationsweg der Biguanide blockiert. Auch bei Herz- oder Leberinsuffizienz wurden vermehrt Laktatazidosen unter MetforminEinnahme beobachtet. Das Zeitintervall zwischen letztmaliger Biguanid-Einnahme und dem Beginn der Operation in Allgemeinanästhesie lässt sich kontrovers diskutieren. In den Fachinformationen wird diesbezüglich ein Zeitintervall von 48 Stunden angegeben, um das Risiko für das Auftreten einer Laktatazidose zu minimieren. Inwiefern allerdings das Laktatazidose-Risiko im Verhältnis zur Verschlechterung der Diabeteseinstellung ein Absetzen der oralen Biguanid-Dauermedikation 48 Stunden präoperativ rechtfertigt, muss in Abhängigkeit vom geplanten Eingriff (maximal vs. minimal invasiv), vom perioperativen Ischämierisiko (hoch vs. niedrig) und vom jeweils verwendeten Narkoseverfahren (Allgemeinanästhesie vs. Regionalanästhesie) individuell entschieden werden (Redel u. Schwemmer 2008). Bei herzchirurgischen Patienten unter Metformin-Einnahme konnten gar benefitielle Effekte (verkürzte postoperative Beatmungspflichtigkeit, vermindertes Infektionsrisiko) gegenüber den nicht mit Metformin behandelten Patienten nachgewiesen werden (Duncan et al. 2007). Bei primär nicht insulinpflichtigen Diabetikern mit ausgeprägter Hyperglykämieneigung unter bestehender oraler Dauermedikation sollte perioperativ eine Umstellung auf Insulin durchgeführt werden. Darüber hinaus sollte bei ansonsten unter oraler Dauermedikation stabil eingestellten Diabetikern beim perioperativen Auftreten von hyperglykämen Phasen eine Applikation von kurz wirksamem Insulin erfolgen.
Insulin Dies gilt in besonderem Maße für ältere Patienten, die mit einer Kombinationstherapie eingestellt sind. Manche Präparate sind aufgrund ihrer langen Wirkdauer (Glibenclamid, Glimepirid) sogar in der Lage, auch noch in der postoperativen Phase Hypoglykämien zu induzieren. Für die Glinide scheint das Hypoglykämierisiko allerdings niedriger als bei den Sulfonylharnstoffen zu sein. Aufgrund der mitunter langen Wirkdauer der im Handel befindlichen Sulfonylharnstoffe sollte eine Applikation bis spätestens am Tag vor der Operation stattfinden. Als freies Zeitintervall bis zum OP-Beginn sollten mindestens 12 Stunden eingehalten werden. Obwohl für die Glinide das Hypoglykämierisiko niedriger zu sein scheint, wird das gleiche Vorgehen wie bei den Sulfonylharnstoffen empfohlen. Auch Glitazone (Rosiglitazon, Pioglitazon: Hypoglykämierisiko) und α-Glukosidasehemmer (Acarbose: fehlende Wirkung bei perioperativer Nüchternheit) sind präoperativ abzusetzen. In Zusammenhang mit Biguaniden wird immer wieder das Auftreten perioperativer Laktatazidosen beschrieben. Für das Metformin als einzige in Deutschland zugelassene Substanz dieser Stoffgruppe ist das Risiko aber als deutlich geringer einzuschätzen im Vergleich zu den älteren Präparaten Buformin und Phenformin. Besondere Vorsicht ist bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz gebo-
Bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ I bzw. Diabetes mellitus Typ II unter insuffizienter oraler Dauertherapie besteht die Indikation zur Insulintherapie. Exogen zugeführtes (s. c./i. m./i. v.) Insulin unterschiedlicher Wirkdauer (kurz, intermediär, lang sowie Mischinsuline) übernimmt komplett die Funktion des endogen synthetisierten körpereigenen Insulins über spezifische Insulinrezeptoren in den einzelnen Zielorganen. Bei perioperativer Applikation von Insulin besteht natürlich aufgrund des Nüchternheitsgebotes ein erhebliches Hypoglykämierisiko.
Merke
Grundsätzlich gilt, dass bei allen insulinpflichtigen Diabetikern eine Anpassung der Insulinapplikation an die perioperativen Begebenheiten (Nüchternheit) erfolgen muss. Grundsätzlich sind zwei Möglichkeiten praktikabel: 1. Lang wirksames Insulin (> 24–36 h) wird präoperativ abgesetzt und durch intermediär oder besser kurz wirksame Insuline ersetzt. Dies bedeutet allerdings eine komplette Umstellung des bestehenden Insulinregimes, was sich v. a. beim alten Menschen nicht ohne Probleme realisieren lassen wird.
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4.2 Prämedikation 2. Das bestehende Insulinregime wird bis zum Vortag der Operation beibehalten und am Vorabend erfolgt eine Dosisreduktion des Langzeitinsulins auf etwa die Hälfte. Unabhängig vom angewendeten Insulinregime ist bei allen Diabetikern ein engmaschiges Blutzucker-Monitoring unerlässlich.
Protonenpumpeninhibitoren und H2-Rezeptor-Antagonisten Substanzen dieser Stoffklassen werden zur Therapie des Ulcus ventriculi et duodeni, bei Refluxösophagitis sowie dem Zollinger-Ellison-Syndrom angewendet. Während Protonenpumpeninhibitoren (PPI: Omeprazol, Lansoprazol, Pantoprazol) irreversibel die H+/K+-ATPase der Belegzellen blockieren, sind Substanzen wie z. B. Cimetidin, Ranitidin sowie Famotidin selektive Rezeptor-Antagonisten des Histamin-2-Rezeptors an den Belegzellen. Omeprazol ist als potenzieller Hemmstoff des Enzyms CYP2C19 in der Lage, die Metabolisierung von Diazepam erheblich zu verlangsamen. Für Lansoprazol ist ein geringeres Potenzial zur CYP-Interaktion beschrieben, während Pantoprazol diesbezüglich relativ inert erscheint. Während für die H2-Rezeptor-Antagonisten Ranitidin und Famotidin kaum klinisch relevante pharmakokinetische Interaktionen bekannt sind, besitzt Cimetidin als unspezifischer CYP-450-Oxidase-Hemmstoff ein ausgeprägtes Interaktionspotenzial. Unter Cimetidin ist die Metabolisierung von Benzodiazepinen, Theophyllin, Propanolol, Metoprolol und Lidocain erheblich verzögert (Milde u. Motsch 2003).
Merke
Die Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) sowie H2-Rezeptor-Antagonisten sollte perioperativ fortgesetzt werden.
5-HT3-Rezeptor-Antagonisten Substanzen dieser Stoffklasse werden häufig bei Chemotherapie-assoziiertem Erbrechen sowie zur PONVProphylaxe eingesetzt. Die so genannten „Setrone“ (Ondansetron, Tropisetron) sind hochselektive 5-HT3Rezeptorantagonisten. Im Rahmen der Applikation von 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten treten in der perioperativen Phase selten Komplikationen von klinischer Relevanz auf. Beschrieben sind QRS-Verbreiterungen, das Auftreten von AV- bzw. Schenkelblöcken sowie Arrhythmien.
Merke
Bei bestehendem Long-QT-Syndrom oder zusammen mit Antiarrhythmika der Klassen I bzw. III (verlängern ihrerseits die QT-Strecke) sollte daher auf die Applikation von 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten verzichtet werden. Weiterhin scheint die analgetische Wirkung von Paracetamol bei gleichzeitiger Therapie mit einem 5-HT3-Antagonisten abgeschwächt zu werden, indem der zentrale serotoninerge (schmerzausschaltende) Effekt von Paracetamol durch die 5-HT3-Antagonisten aufgehoben wird (Pickering et al. 2006, Pickering et al. 2008).
Steroide Glukokortikoide haben in höherer Dosierung eine ausgeprägt antiinflammatorische Wirkung. Hieraus ergibt sich ein breites Indikationsgebiet. Neben diesen bekannten antiinflammatorischen Effekten der Glukokortikoide haben sie durch den Nachweis postoperativer analgetischer und opiatsparender Effekte ein Interesse im Bereich der Schmerztherapie geweckt. Weiterhin werden sie häufig im Rahmen der perioperativen PONV-Prophylaxe verwendet. Darüber hinaus werden sie in physiologischer Dosierung zur Substitutionstherapie bei Morbus Addison sowie dem adrenogenitalen Syndrom verwendet. Die zahlreichen Effekte der Glukokortikoide werden sowohl durch genomische, als auch nicht genomische Mechanismen vermittelt.
Merke
Jeder Patient, der längerfristig hochdosiert Glukokortikoide erhalten hat, trägt das Risiko einer vorbestehenden Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenAchsen–Suppression (HHNA-Suppression) mit möglicherweise perioperativ insuffizienter Stresskompensation (Milde et al. 2005). Eine partielle Suppression der Kortisolachse ist sehr viel häufiger und bezüglich des Krankheitsverlaufes fataler als bisher angenommen. Um dieser Problematik zu entgehen wird bei entsprechenden Risikopatienten eine Supplementation bzw. Substitution mit Hydrokortison benötigt (s. Kap. 6.9). Das Risiko einer HHNA-Suppression mit perioperativer Substitutionspflichtigkeit besteht, wenn der Patient für mehr als 5 Tage Glukokortikoide in einer Äquivalenzdosis von Prednisolon > 10 mg innerhalb der letzten 3 Monate erhalten hat. Dosierungen von Prednisolon < 10 mg oder ein Applikationszeitraum < 5 Tage scheinen hingegen keine Beeinträchtigung zu bewirken. Folgendes Prozedere wird empfohlen (Milde et al. 2005): ● Eine Antwort der HHNA auf kleine Eingriffe wie z. B. Arthoskopie, Laparoskopie, Leistenhernien-OP etc. ist gering und fehlt häufig. Bei Patienten, die sich einem derartigen Eingriff unterziehen genügt daher wahrscheinlich neben der Einnahme der normalen Routine-
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4 Präoperative Evaluation
●
●
●
medikation ein Bolus von 25 mg Hydrokortison zur Narkoseinduktion. Patienten, die sich einem mitelschweren chirurgischen Eingriff (abdominale Hysterektomie, totale Endoprothese, Kolonsegmentresektion, etc.) unterziehen, sollten neben ihrer normalen Routinedosis einen Bolus mit 25 mg Hydrokortison zur Narkoseinduktion und weitere 100 mg über 24 Stunden erhalten. Im Falle eines unkomplizierten Verlaufes und intakter gastrointestinaler Funktion kann ab dem zweiten postoperativen Tag wieder mit der normalen oralen Routinedosis gestartet werden. Für große Operationen (Whipple-OP, Ösophagusresektionen, thorax- bzw. kardiochirurgische Eingriffe) sollten die Patienten neben ihrer normalen Routinedosis einen Bolus mit 25 mg Hydrokortison zur Narkoseinduktion und weitere 100 mg pro Tag für weitere 48– 72 Stunden erhalten. Im Falle eines unkomplizierten Verlaufes kann auch hier bei wiedererlangter gastrointestinaler Funktion die orale Routinemedikation gestartet werden. Bei komplikativem, postoperativem Verlauf (Peritonitis, intestinale Paralyse) oder laborchemischen Abnormalitäten (Hyponatriämie, Hyperkaliämie, Eosinophilie) in Verbindung mit klinischen Symptomen (Abgeschlagenheit, Anorexie, Gewichtsverlust) muss mit einer Nebenniereninsuffizienz gerechnet werden. Hier ist sowohl eine probatorische Bolusapplikation von 50 mg Hydrokortison wie auch eine beibehaltene Glukokortikoidsubstitution auf erhöhtem Niveau empfohlen.
Tabelle 4.4
Gichtmittel Die verfügbaren Substanzen werden zur Intervalltherapie der Gicht eingesetzt. Ziel ist die Senkung der Harnsäurekonzentration im Blut. Urikostatika (Allopurinol) führen zu einer Verminderung der Harnsäurebildung durch Hemmung der Xanthinoxidase. Urikosurika (Probenecid, Benzbromaron) fördern die renale Harnsäureausscheidung durch Hemmung der Harnsäurerückresorption. Probenecid kann durch verlangsamte Ausscheidung die Wirkungen von Thiopental, Lorazepam und einigen nicht steroidalen Antiphlogistika (z. B. Paracetamol, Indometacin) verstärken. Eine Dauertherapie mit diesen Arzneimitteln kann relativ gefahrlos für kurze Zeit unterbrochen werden.
Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer Zur Antikoagulation bzw. Thrombozytenaggregationshemmung stehen eine Vielzahl von Substanzen zur Verfügung. In Abhängigkeit von den zur Anwendung kommenden Präparaten, der entsprechenden Dosierung sowie dem jeweiligen Zeitabstand zwischen OP bzw. Durchführung einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie besteht ein unterschiedlich hohes perioperatives Blutungsrisiko. Tab. 4.4 gibt eine Übersicht hinsichtlich empfohlener Zeitintervalle zwischen letztmaliger Medikamentenapplikation und rückenmarksnaher Punktion bzw. Katheterentfernung (Gogarten et al. 2007).
Empfohlene Zeitintervalle vor und nach rückenmarksnaher Punktion bzw. Katheterentfernung. vor Punktion bzw. Katheterentfernung*
nach Punktion bzw. Katheterentfernung*
Laborkontrolle
UFH (low dose)
4h
1h
Thrombozyten bei Therapie > 5 Tage
UFH (therapeutisch)
4–6 h
1h
aPTT, (ACT), Thrombozyten
NMH (low dose)
12 h
2–4 h
Thrombozyten bei Therapie > 5 Tage
NMH (therapeutisch)
24 h
2–4 h
Thrombozyten, (anti-Xa)
Fondaparinux (low dose)
36–42 h
6–12 h
(anti-Xa)
Fondaparinux (therapeutisch)
Verzicht auf rückenmarksnahe Punktion
∅
(anti-Xa)
Vitamin-K-Antagonisten
INR < 1,4
nach Katheterentfernung
INR
Hirudine
8–10 h
2–4 h
aPTT, ECT
Argatroban**
4h
2h
aPTT, ECT, ACT
ASS (100 mg/d)***
keine
keine
Clopidogrel
7 Tage
nach Kaheterentfernung
Ticlopidin
10 Tage
nach Katheterentfernung
NSAR
keine
keine
* alle Zeitangaben beziehen sich auf Patienten mit einer normalen Nierenfunktion ** verlängertes Zeitintervall bei Leberinsuffizienz *** NMH einmalig pausieren, kein NMH 36–42 h vor Punktion bzw. geplanter Katheterentfernung
4.2 Prämedikation Auf zwei wichtige Aspekte der Antikoagulation bzw. Thrombozytenaggregationshemmung soll nun im Besonderen eingegangen werden:
Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren unter Thrombozytenaggregationshemmung bzw. Fondaparinux Merke
Die Durchführung rückenmarksnaher Regionalanästhesien bei Patienten mit alleiniger, niedrig dosierter ASS-Therapie (100 mg/d) scheint nicht zu vermehrten epiduralen Hämatomen zu führen.
Es wird empfohlen, bei geplanter Punktion unter Low-Dose-ASS die perioperative Thromboembolieprophylaxe mit länger wirksamen Antikoagulanzien (NMH) am Vortag der Punktion auszulassen (36–42 h Latenz) bzw. erst postoperativ zu beginnen; analoges gilt für den Zeitpunkt der Katheterentfernung (Abb. 4.6) (Gogarten et al. 2007). Ein identisches Vorgehen wird bei einer Thromboembolieprophylaxe mittels Fondaparinux empfohlen. Diese Substanz ist ein vollsynthetisches Pentasaccharid, welches zu einer durch Antithrombin vermittelten selektiven Inhibierung von Faktor Xa führt. Fondaparinux besitzt eine Halbwertszeit von 18 Stunden und muss daher nur einmal pro Tag appliziert werden. Im Falle einer therapeutischen Applikation von Fondaparinux sollte aufgrund der langen Halbwertszeit sowie des Akkumulationspotenzials auf eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie verzichtet werden (Gogarten et al. 2007).
Empfehlungen zum Zeitmanagement bei kardialen Risikopatienten Die Morbidität und Mortalität des kardialen Risikopatienten ist deutlich erhöht, wenn die jeweils durchgeführte Thrombozytenaggregationshemmung vor einem operativen Eingriff kurzfristig pausiert wird. Dies ist auch der Fall, wenn eine präoperative Überbrückung mit Heparinen durchgeführt wird und die Thrombozytenaggregationshemmer nur sehr kurzfristig abgesetzt werden
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Somit wird nach den neuesten Empfehlungen der DGAI empfohlen, vor rückenmarksnahen Regionalanästhesien bei Patienten unter ASS-Medikation eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Analyse unter Zuhilfenahme von Blutungsanamnese und körperlicher Untersuchung, eventuell unterstützt durch Laborkontrollen (Thrombozyten, PFA100-Test) durchzuführen. Danach sollte individuell für oder gegen eine rückenmarksnahe Regionalanästhesie unter ASS-Einnahme entschieden werden. Besondere Vorsicht ist allerdings bei Patienten geboten, welche gleichzeitig Heparine erhalten, da hier vermehrte Blutungskomplikationen beobachtet werden konnten. Das Risiko von spinalen epiduralen Hämatomen unter ASS + Heparin zur Thromboseprophylaxe wird mit 1 : 8500 bei Epiduralanästhesien und 1 : 12 000 bei Spinalanästhesien angegeben.
Merke
Abb. 4.6 Empfehlungen zur Durchführung einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie bei Patienten mit Fondaparinux als Thromboembolieprophylaxe bzw. für solche Patienten, die gleichzeitig ASS und niedermolekulare Heparine erhalten.
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4 Präoperative Evaluation (Vicenzi et al. 2006). Besonders gefährdet sind diesbezüglich Patienten mit einer vor kurzem stattgehabten perkutanen Koronarintervention (PCI).
Merke
In Abhängigkeit von der jeweils durchgeführten Prozedur (Ballon-Angioplastie, Metall-Stent, Medikamenten-beschichteter Stent = Drug-Eluting) besteht ein unterschiedlich hohes Re-Thrombose-Risiko, was eine unterschiedlich aggressive Thrombozytenaggregationshemmung über verschiedene Zeiträume notwendig macht. Nach Durchführung einer Ballon-Angioplastie sollte eine lebenslange Einnahme von ASS erfolgen. Bei MetallStents sollte eine duale Thrombozytenaggregationshemmung (ASS + Thienopyridin) für wenigstens 4 Wochen durchgeführt werden (Grines et al. 2007). Bei Verwendung von medikamentenbeschichteten Stents sollte aufgrund der späten und unvollständigen Epithelialisierung mit ausgeprägter Re-Thrombose-Gefahr eine duale Thrombozytenaggregationshemmung für einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten verabreicht werden (Grines et al. 2007). Nach Beendigung der dualen Thrombozytenaggregationshemmung sollte bei beiden Stent-Typen die lebenslange Applikation von ASS durchgeführt und möglichst auch perioperativ nicht unterbrochen werden (s. Kap. 6.4). Insbesondere bei Patienten mit einem medikamentenbeschichteten Stent sollte ASS vor einer geplanten Operation nur im absoluten Ausnahmefall – d. h. bei lebensgefährlichem Blutungsrisiko – abgesetzt werden (Grines et al. 2007). Bei Patienten mit stattgehabter PCI und geplantem elektivem Eingriff wird das in Abb. 4.7 genauer dargestellte zeitliche Prozedere empfohlen. Patienten mit zeitlicher Dringlichkeit zur Durchführung einer PCI, die allerdings auch zeitnah einer nicht herzchirurgischen Operation zugeführt werden müssen, bedürfen einer besonderen Betrachtung. In Abhängigkeit vom Blutungsrisiko und der zeitlichen Dringlichkeit der jeweils durchzuführenden Operation sollte ein bedarfs-
adaptiertes interventionelles Revaskularisierungsverfahren zur Anwendung kommen (Abb. 4.8). Das jeweilige Prozedere sollte immer interdisziplinär in enger Zusammenarbeit mit dem behandelnden Kardiologen abgesprochen werden.
Medikamente mit Einfluss auf den Schilddrüsenhormon-Stoffwechsel Schilddrüsenhormone und Jod-Ionen Eine Hypothyreose kann den Narkosebedarf vermindern und die Wirkdauer von Anästhetika erheblich verlängern. Obwohl im Tierexperiment eine SchilddrüsenhormonSubstitution die Hepatotoxizität volatiler Anästhetika (v. a. Halothan) erhöht, wurde hieraus bisher keine Kontraindikation abgeleitet.
Merke
Die Schilddrüsenhormon-Substitution bzw. Jodid-Therapie wird bis zum Morgen des Operationstages beibehalten und am nächsten Tag unverändert fortgesetzt. Bei laborchemisch nachgewiesener Hypothyreose sollten elektive Operationen bis zum Erreichen einer euthyreoten Stoffwechsellage unter oraler SchilddrüsenhormonSubstitution verschoben werden (s. Kap. 6.9). Die Narkoseführung muss entsprechend der Gegebenheiten einer Hypothyreose angepasst werden. Bei Notoperationen muss ggf. Levothyroxin/T4 oder Trijodthyronin/T3 i. v. zugeführt werden.
Thyreostatika Diese Substanzen hemmen die Hormonbildung in der Schilddrüse. Mit den Thiamiden (z. B. Thiamazol und seine inaktive Vorstufe Carbimazol) und Perchlorat ste-
Abb. 4.7 Empfehlungen zum zeitlichen Management bei Patienten mit geplantem elektivem Eingriff und stattgehabter PCI basierend auf Expertenmeinungen (Evidenz Grad C) (Quelle: Fleisher et al. 2007).
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4.2 Prämedikation Abb. 4.8 Empfehlungen zur Behandlung von Patienten mit interventionsbedürftiger koronarer Herzerkrankung (KHK) (HochRisiko-KHK: akutes Koronarsyndrom, rhythmologisch oder hämodynamisch instabile KHK) und gleichzeitiger nicht herzchirurgischer Operationsindikation unterschiedlicher Dringlichkeit. Dabei gilt: Empfehlungen: Klasse I → Therapie wird empfohlen (Benefit >>> Risiko); IIa → Therapie ist gerechtfertigt (Benefit >> Risiko); IIb → Therapie kann in Betracht gezogen werden (Benefit ≥ Risiko); III → Therapie sollte nicht durchgeführt werden (Risiko ≥ Benefit). Evidenz: Grad A → Metaanalyse, Randomisierte Kontrollierte Interventionsstudie (RCT); Grad B → nicht randomisierte kontrollierte Interventionsstudie, Fall-KontrollStudie, Fallserie; Grad C → Expertenmeinung (Quelle: Fleisher et al. 2007).
hen verschiedene Substanzklassen zur Verfügung. Relevante Interaktionen zwischen Thyreostatika und Anästhetika sind nicht bekannt. Lediglich Thiopental besitzt einen allerdings klinisch unbedeutenden thyreostatischen Effekt. Im Rahmen einer vorbestehenden Hyperthyreose muss aufgrund des gesteigerten HZV und Stoffwechsels mit einem erhöhten Narkosebedarf gerechnet werden (s. Kap. 6.9). Darüber hinaus können Operationen bei Patienten mit Hyperthyreose in der Vorgeschichte oder bei nicht ausreichend vorbehandelter Hyperthyreose eine thyreotoxische Krise auslösen.
Merke
Eine thyreostatische Therapie mit Thioharnstoffderivaten (Carbimazol, Thiamazol, Propylthiouracil) oder Natriumperchlorat wird bis zum Morgen des Operationstages fortgesetzt und postoperativ wieder aufgenommen. Um die Gefahr einer perioperativen thyreotoxischen Krise zu minimieren muss weiterhin auf eine euthyreote Stoffwechsellage unter der bestehenden thyreostatischen Therapie geachtet werden; ggf. muss bei elektiven Eingriffen eine Terminverschiebung zwecks Therapieoptimierung vorgenommen werden. Bei Notfalloperationen unter Hyperthyreose muss wie bereits oben beschrieben stets mit dem Auftreten einer thyreotoxischen Krise gerechnet werden. In diesem Fall ist die Zufuhr von Propylthiouracil (hemmt die Schilddrüsenhormon-Produktion) und Natrium-Jodid (hemmt die Schilddrüsenhormon-Freisetzung) indiziert. Die kardiovaskulären Auswirkungen können durch β-Blockade vermindert werden.
Analgetika Opioid-Analgetika Bei stärksten chronischen Schmerzzuständen, die durch andere Maßnahmen oder Pharmaka nicht zufriedenstellend beeinflusst werden können, kommen Opioide in verschiedenen Darreichungsformen (p. o., TTS, ggf. s. c. oder i. v.) zur Anwendung. Patienten, die unter einer OpioidDauermedikation stehen, haben ein erhöhtes Risiko für einen perioperativen Entzug (s. Kap. 3.2). Darüber hinaus ist der intra- und postoperative Opioidbedarf schwierig einzuschätzen. Voraussetzung für eine optimale perioperative Schmerztherapie des chronischen Schmerzpatienten ist eine detaillierte Schmerzanamnese im Rahmen der Prämedikationsvisite mit Dokumentation der zugrunde liegenden Diagnose, der verwendeten Präparate incl. der jeweiligen aktuellen Dosierung sowie die Zeitdauer der Einnahme.
Merke
Eine Dauermedikation mit Opioiden bei chronischen Schmerzzuständen muss perioperativ fortgesetzt werden, um einen Entzug zu vermeiden. Für die perioperative Analgesie sind zusätzliche bedarfsadaptierte Opioidgaben notwendig. Die supportive Durchführung regionalanästhesiologischer Verfahren zur Schmerztherapie bei chronischen Schmerzpatienten hat sich für das perioperative Schmerzmanagement bewährt.
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4 Präoperative Evaluation
Grapefruit
NSAIDs NSAIDs werden als antiinflammatorische Substanzen bei rheumatischen Erkrankungen und im Rahmen einer multimodalen Schmerztherapie eingesetzt. Vergleichbar mit ASS erfolgt hier ebenfalls eine Zyklooxygenase-Hemmung (COX). Interaktionen zwischen Prostaglandinsynthesehemmern und Anästhetika sind vernachlässigbar. Prostaglandinsynthesehemmer haben aber Anästhesie-relevante Nebenwirkungen: Die Hemmung der COX unter hypovolämen Bedingungen kann zur renalen Vasokonstriktion und somit einer Reduktion der glomerulären Filtrationsrate (GFR) führen. Eine besondere Gefährdung besteht für ältere Patienten und solche mit präoperativ bereits eingeschränkter Nierenfunktion, mit hohen Flüssigkeitsverlusten oder perioperativ vermindertem Herzzeitvolumen (HZV).
Eine weitere Besonderheit stellt der Saft der tropischen Grapefruit dar. Dieser ist in der Lage, die orale Bioverfügbarkeit einiger Medikamente durch Hemmung der intestinalen CYP3A4 für die nächsten 24 Stunden drastisch zu erhöhen (Milde u. Motsch 2003). So gilt z. B. die orale Applikation von Midazolam in zeitnahem Zusammenhang mit der Aufnahme von Grapefruitsaft als kontraindiziert. Infolge einer verdoppelten oralen Bioverfügbarkeit wurden eine lang anhaltende Sedierung sowie Atemdepression beschrieben.
Kernaussagen ●
Merke
Bei Verwendung von NSAIDs bei entsprechenden Risikopatienten sollte auf eine normovoläme Kreislaufsituation und eine ausreichende Diurese geachtet werden.
Pflanzliche Heilmittel
●
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Eine gewisse Sonderstellung nehmen pflanzliche Heilmittel ein. Bis zu 50 % aller Patienten nehmen präoperativ alternative Heilmittel ein, die Angabe erfolgt allerdings meist erst nach genauerem Nachfragen und bleibt somit häufig unentdeckt. ●
Merke
Entsprechend den ASA-Empfehlungen ist die Einnahme derartiger pflanzlicher Heilmittel etwa 2 Wochen präoperativ auszuschleichen und abzusetzen (Hodges u. Kam 2002). Bei derzeit nicht eindeutiger Datenlage muss von einer potenziellen Gefährdung des Patienten durch Interaktionen mit Anästhetika ausgegangen werden. In der Literatur finden sich Fallberichte über kardiovaskuläre Instabilitäten und ausgeprägte Effekte der Sedierung (Hodges u. Kam 2002). In diesem Zusammenhang sind v. a. Baldrian, Echinacea, Gingko biloba, Johanniskraut, Ephedra (Ma Huang) und Kava (Rauschpfeffer) hervorzuheben. Hinsichtlich des Risikos für die Entwicklung spinaler epiduraler Hämatome im Rahmen der Einnahme pflanzlicher Heilmittel wurden in der 2. überarbeiteten Empfehlung der DGAI zu rückenmarksnaher Regionalanästhesie keine Bedenken geäußert. Obwohl früher insbesondere Gingko und Knoblauch die Entstehung von Thrombozytopenien, eine Thrombozytenaggragationshemmung oder eine Interaktion mit Vitamin-K-Antagonisten angelastet wurde, konnte eine wesentliche Beeinträchtigung der Gerinnung in neueren Untersuchungen ausgeschlossen werden (Kohler et al. 2004).
Die Polypharmakologie des zunehmend älteren Patienten wird zu einer wachsenden Herausforderung für die vorwiegend anästhesiologisch betreute perioperative Phase. Zur Erhöhung der Arzneimittelsicherheit und -effektivität ist der Einsatz von EDV-gestützten Systemen am Anästhesiearbeitsplatz sinnvoll. So kann der Anästhesist bei den jeweiligen Medikamentenkombinationen des zu betreuenden Patienten eine EDV-gestützte Abfrage starten, welche ihn über möglicherweise gefährliche Medikamenteninteraktionen informiert. Das abrupte Absetzen der medikamentösen Dauertherapie in der perioperativen Phase kann zu einer Gefährdung des Patienten führen und ist dementsprechend nur in wenigen Fällen problemlos möglich (Roth et al. 1999). Daher sollte in den meisten Fällen die bestehende medikamentöse Dauertherapie auch in der perioperativen Phase kontinuierlich fortgesetzt werden. Verschiedene medikamentöse Dauertherapien bedürfen allerdings der Anpassung an die perioperativen Begebenheiten (z. B. medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus, Thrombozytenaggregationshemmung und Antikoagulation, etc.). Diese Modifikationen müssen stets suffizient mit dem betroffenen Patienten kommuniziert werden, um eine ausreichende Compliance sicherzustellen.
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4.3 Rechtliche Aspekte S. Jungeblodt
4.3.1 Einleitung Dass die Medizin des 20. Jahrhunderts wie auch des 21. Jahrhunderts zunehmend von rechtlichen Belangen und Anforderungen beeinflusst wird, hat seinen maßgeblichen Ursprung in dem einer Leistungs- und Informationsgesellschaft eigenen Anspruchsdenken und Selbstbewusstsein ihrer Patienten. Insbesondere die Alten von morgen – angesichts der demografisch deutlich alternden Gesellschaft in Deutschland eine immer größer werdende und an Bedeutung gewinnende Gruppe – werden sich nicht in ein tatsächliches oder vermeintliches Krankheitsschicksal ergeben wollen, sondern ihr Recht auf adäquate und selbstbestimmte Behandlung geltend machen (s. Kap. 1). Aber auch schon die Alten von heute treten dem Arzt oder der Ärztin immer häufiger nicht nur als Patienten gegenüber, sondern vermehrt auch als Anspruchsteller oder gar Kläger. In der Medizin allgemein, vor allem aber auch in der Anästhesiologie und Intensivmedizin, stehen dabei im Vordergrund die sorgfaltspflichtgerechte Behandlung, insbesondere aber auch die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten im Rahmen der Aufklärung über Risiken sowie in Hinblick auf Situationen, in denen der Patient seine Wünsche nicht mehr selbst äußern und durchsetzen kann. Welchen rechtlichen, aber auch praktischen Stellenwert hat der Wille des Patienten und darf ihm die Gesellschaft – insbesondere am Lebensende – beimessen? Der Philosoph Hans Jonas hat in seiner Praxis des Prinzips Verantwortung – wenngleich dort maßgeblich mit Blick auf die medizinische Forschung – die theoretische Annahme eines autonomen Patientenwillens zu Recht und überaus plastisch in Frage gestellt: „Der körperliche Zustand des Patienten, seine seelische Hilflosigkeit, das abhängige Verhältnis zum Arzt, die aus der Behandlung sich ergebende Haltung der Fügsamkeit und Entmündigung – alles was mit seiner Verfassung und Situation zusammenhängt, macht den Kranken zu einer weniger souveränen Personen, als der Gesunde es ist. Auch der Quasi-Autismus der Krankheitsfixation und des Genesungsinteresses ist zu bedenken.“ Der Arzt habe es dabei seinerseits – so Hans Jonas – mit dem jeweils gegebenen Einzelfall zu tun, dem Individuellen in seiner ganzen Einzigkeit und Komplexität, an das er einerseits mit der erlernbaren Kunstfertigkeit herangehen müsse, mehr noch aber mit der über bloße Technik hinausgehenden Kunst persönlicher Intuition,
einem ursprünglichen und individuell unterschiedlichen Besitz. Der Patient erwarte und müsse darauf vertrauen können, dass die Behandlung ihn allein im Auge habe. Um der Person ihr Leben zu ermöglichen, solle dem Körper geholfen werden. Der Körper ist insofern das Objektive, es geht im Kern aber um das Subjekt. Dies entspricht auch dem Verständnis der verfassungsrechtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung. So hob etwa das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. vom 18.11.2004, AZ: 1 BvR 2315/04, NJW 2005, 1103 ff.) hervor, dass der Anspruch des Patienten auf Unterrichtung über Befunde und Prognosen Ausdruck des durch grundrechtliche Wertungen geprägten Selbstbestimmungsrechts und der personalen Würde des Patienten (Art. 1 I i. V. m. Art. 2 I GG) sei, die es verbieten, ihm im Rahmen der Behandlung die Rolle eines bloßen Objekts zuzuweisen. Gleiches gilt auch hinsichtlich der Aufklärung zur selbstbestimmten Einwilligung in eine risikobehaftete Maßnahme, etwa der Anästhesie.
4.3.2 Betagte Patienten im anästhesiologischen Schrifttum Auch im anästhesiologischen Schrifttum (Angres et al. 2000) wird die demografische Entwicklung der Bevölkerung zur Kenntnis genommen und festgehalten, dass derzeit mehr als die Hälfte der Patienten in der 6. oder 7. Lebensdekade operiert werden müssen, sodass der Anästhesist zunehmend mit den spezifischen Problemen dieser Altersgruppe konfrontiert wird. Die anästhesiebedingte Mortalität betrage bei alten Patienten etwa 2 % und liege damit weit höher als bei jüngeren Patienten. Die Autoren beziehen sich unter anderem auf Studien, wonach die Letalität von über 90-Jährigen 31 % betrage und im höheren Lebensalter das Risiko eines Herzstillstandes während der Anästhesie und in den ersten 24 postoperativen Stunden bei 6,4 % gegenüber 1,2 % bei den unter 60-jährigen Patienten liege. Nicht das Alter allein, sondern die das Alter begleitenden Erkrankungen und Organveränderungen machten den alten Menschen zum Risikopatienten. Der alte Patient sei während der gesamten perioperativen Zeit aufgrund spezifischer altersbedingter physiologischer, pharmakologischer und anatomischer Veränderungen besonders gefährdet. Die insgesamt höhere Störanfälligkeit der Organe und Organsysteme des alten Patienten machten eine engmaschige Überwachung mit eventuell zusätzlichen, sonst nicht routine-
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4.3 Rechtliche Aspekte mäßig verwendeten Überwachungsmethoden erforderlich (vgl. auch Larsen 2006). Auch „Die Intensivmedizin“ (Kuhlen u. Quintel 2008) konstatiert, dass immer mehr Menschen in immer höherem Alter mit immer mehr Diagnosen und einer immer weiter reichenden Komorbidität intensivmedizinisch behandelt werden. In den momentanen Strukturen der Gesundheitssysteme würden damit Intensivstationen auch immer mehr zu den Orten im Krankenhaus, an denen Patienten sowohl nach kurzen und dramatischen, aber auch langen und teilweise qualvollen Verläufen sterben. Die Antworten der Intensivmedizin müssten bestimmt sein von den Grundprinzipien eines von der Humanität geprägten Handelns und nicht von einem ökonomischen oder technologischen Imperativ. In diesem Sinne böten sich der Intensivmedizin große, wenn auch nicht einfache Möglichkeiten, sich vom Image der „Gerätemedizin“ hin zu einer sorgenden und menschlichen „Akutmedizin“ zu entwickeln. Der Terminus Outcome stehe in der Intensivmedizin meist für Überlebenszeiten oder die Dauer der Wirksamkeit einer spezifischen therapeutischen Intervention. Erfolgreicher Outcome einer Intensivstation bemesse sich dabei unter anderem an der Letalität. Überleben in einem ganzheitlichen Sinne erfasse aber neben dem physischen Aspekt auch die psychosoziale Dimension. Diesem Gedanken müsse verantwortungsbewusste Intensivmedizin zukünftig verstärkt Rechnung tragen. Gefordert wird neben dem medizinischen Wissen und den erforderlichen manuellen Fähigkeiten der Erwerb einer nachhaltigen Kompetenz auf dem Gebiet der Patienten- und Angehörigenbetreuung und ganz besonders auf dem Gebiet der Betreuung am Lebensende. Die eine Seite der Intensivtherapie bestehe aus der schnellstmöglichen Diagnosestellung mittels aller verfügbaren Technik, der Wertung der wissenschaftlichen Evidenz einer Therapie und dem resultierenden Einsatz aller sinnvollen, auch hochtechnischen, therapeutischen Optionen. Die zweite Seite aber müsse die sorgende Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen sein, die den Übergang von der kritischen zur terminalen Erkrankung markiert und sich damit von der bis hierhin möglichen Anonymität zur unausweichlichen Individualität einer endenden Lebensgeschichte wandelt. Dieser Übergang sei fließend und müsse zumindest die Möglichkeit des Scheiterns intensivmedizinischer Therapie von Anfang an einbeziehen. Gerade das Einbeziehen dieser Möglichkeit gebe dem Betroffenen die Gewissheit, dass auch im Falle des Scheiterns eines Therapieversuchs im besten Sinne Fürsorge für ihn getragen werde und er sich in einem Umfeld befinde, das bereit ist – nachdem alle für diesen individuellen Menschen sinnvollen Maßnahmen ausgeschöpft sind –, das individuelle Lebensende als einen natürlichen Prozess zu akzeptieren. Hierdurch könne die Intensivmedizin Vertrauen schaffen und die mögliche Angst der anvertrauten Patienten vor der gefühlskalten Gerätemedizin abbauen. Eine solche anästhesiologische Orientierung, die das Individuum des alternden Patienten in den Mittelpunkt
stellt, ist nicht nur ein Gebot der Humanität, sondern auch rechtliche Verpflichtung.
4.3.3 Grundsatz der selbstbestimmten Einwilligung aufgrund angemessener Aufklärung Leitlinie des Rechts ist die Autonomie des Patienten. Ebenso wie der Patient ein Recht auf Kenntnis der ihn treffenden Befunde und Prognosen hat, so hat er darüber hinaus ein Recht auf selbstbestimmte Entscheidung über die Inkaufnahme oder Ablehnung mit einem ärztlichen Eingriff in seine körperliche Integrität – etwa durch eine Anästhesie – verbundener Risiken. Althergebrachter Dogmatik folgend sieht dabei die Rechtsprechung selbst mit jedem indizierten und fachgerecht durchgeführten ärztlichen Eingriff den Tatbestand einer Körperverletzung gemäß §§ 223 StGB (Strafgesetzbuch), 823 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) verwirklicht. Die Körperverletzung findet ihre Rechtfertigung aber durch eine wirksame Einwilligung des Patienten, die allerdings eine angemessene Information und Aufklärung als Basis der Selbstbestimmung voraussetzt. Ein ohne wirksam erteilte Einwilligung durchgeführter Heileingriff kann zu Strafverfolgung und Schadensersatzforderungen führen, selbst wenn der Eingriff eindeutig indiziert war sowie lege artis und im besten Interesse des Patienten vorgenommen wurde (vgl. auch die strafrechtliche Rechtsprechung des BGH [Bundesgerichtshof], etwa in einem Urteil vom 05.07.2007 [BGH, Beschl. vom 05.07.2007, AZ: 4 StR 549/06, NSTZ-RR 2007, 340]). Immerhin hat zwischenzeitlich der 6. Zivilsenat des BGH in einem Urteil vom 27.05.2008 (BGH, Beschl. vom 27.05.2008, AZ: VI ZR 69/07; in dem es eigentlich um die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Arzthaftungsklage ging) klargestellt, dass er der gelegentlich vertretenen Auffassung in der Rechtsprechung, wonach eine ärztliche Heilbehandlung ohne rechtfertigende Einwilligung in erster Linie eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstelle und diese deshalb auch ohne einen vom Arzt verursachten Gesundheitsschaden zu einer Haftung führe, nicht folgen wolle. Zur Begründung führte der BGH zutreffend aus, dass die Auffassung, die eine Haftung bereits aus der bloßen Verletzung der Aufklärungspflicht herleite, auch wenn kein Gesundheitsschaden eintrete, zu einer uferlosen Haftung der Ärzte führen würde, die auch bei der gebotenen Berücksichtigung der Interessen der Patienten nicht vertretbar wäre. Vielmehr sei eine ärztliche Heilbehandlung ohne wirksame Einwilligung des Patienten – die eine ausreichende Aufklärung voraussetze – zwar rechtswidrig, doch führe sie zur Haftung des Arztes nur, wenn sie einen Gesundheitsschaden des Patienten zur Folge habe. Die Einwilligung kann also wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt wor-
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4 Präoperative Evaluation den ist, was namentlich auch für das willentliche Versetzen des Patienten in Narkose gilt (BGH, Urteil vom 23.10.2007, AZ: 1 StR 238/07). Dabei muss – wie der BGH bereits in einem frühen Urteil vom 22.06.1971 (BGH, Urteil vom 22.06.1971, AZ: VI ZR 230/69; NJW 1971, 1887 ff.) hervorgehoben hat – dem Patienten, sofern er nicht auf solche Erläuterung ausdrücklich verzichtet habe oder offensichtlich selbst über das erforderliche Fachwissen verfüge, der beabsichtigte Eingriff in einer seinem Verständnisvermögen angepassten Weise so erläutert werden, dass er, wenn auch nur im Großen und Ganzen, wisse, worin er einwillige. Das Verständnisvermögen kann allerdings gerade bei höherem oder hohem Alter des Patienten oder der Patientin eingeschränkt oder gar aufgehoben (etwa wegen hochgradiger Demenz oder nicht nur zeitweise vorliegender Verwirrung anderer Ursache) und entsprechend die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts schwierig sein. Grundvoraussetzung einer wirksamen Einwilligung ist insofern gerade die Einwilligungsfähigkeit des Patienten. Im Einzelfall kann die Feststellung einer Einwilligungsfähigkeit schwierig sein. Selbst aber wenn von einer Einwilligungsfähigkeit auszugehen ist, wird die Aufklärung des betagten Patienten zur selbstbestimmten Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff nicht selten besonderen Anforderungen unterliegen müssen. Hervorzuheben ist insofern, dass eine spezielle Rechtsprechung zum Umgang mit alten Patienten (gar speziell zur Aufklärung) nicht existiert, sondern allenfalls ansatzweise und im Einzelfall das juristisch auch als „Empfängerhorizont“ bezeichnete alters- oder krankheitsbedingte (Un-)Vermögen des Patienten, die Aufklärung zu verstehen und nach ihr zu handeln, in gerichtlichen Entscheidungen problematisiert wird.
4.3.4 Grundlegende Anforderungen an eine angemessene Risikoaufklärung Sinn der so genannten Risikoaufklärung ist es, dem Patienten zu ermöglichen, die Art, die Bedeutung, den Ablauf und die Folgen des Heileingriffs mit seinen spezifischen Risiken im Großen und Ganzen nachvollziehen zu können. Dem Patienten ist entsprechend ein adäquater allgemeiner Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastungen zu vermitteln, die für seine körperliche Integrität und seine individuelle Lebensführung möglicherweise von Belang sind. Die Rechtsprechung verlangt insofern gerade nicht eine lückenlose und keine Details vermissen lassende Aufklärung über alle auch noch so fernliegenden Risiken in allen erdenklichen Erscheinungsformen. Gefordert wird vielmehr lediglich die Vermittlung eines zutreffenden, allgemeinen Bildes von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums. Die Angabe statistischer Wahrscheinlichkeiten der Verwirklichung eines Risikos ist regelmäßig nicht
erforderlich. Auch über sehr seltene Risiken ist aufzuklären, wenn sie eingriffspezifisch und für den medizinischen Laien überraschend sind und im Falle ihres Eintritts die Lebensführung des Patienten schwer beeinträchtigen. Über mögliche Behandlungs- (bzw. Anästhesie-)alternativen muss aufgeklärt werden, wenn im konkreten Behandlungsfall verschiedene Methoden mit jeweils unterschiedlichen Risiken und verschiedener Wirksamkeit zur Verfügung stehen. In einem frühen Urteil des BGH vom 09.12.1958 (BGH, Beschl. vom 09.12.1958, AZ: VI ZR 203/57; NJW 1959, 811 ff.) umschrieb dieser – den einleitend zitierten Vorbehalt von Hans Jonas aufgreifend – in besonders ausführlicher und plastischer Weise den Sinn und die Anforderungen an eine adäquate Risikoaufklärung, insbesondere auch bei nicht einwilligungsfähigen Patienten. Die Wiedergabe lohnt im Vergleich zu manch jüngeren Entscheidungen, da zentrale Punkte mit nach wie vor gültigem Anspruch Erörterung fanden: „Gegenüber der Forderung nach einer solchen Aufklärung des Patienten wird aus Arztkreisen in erster Linie darauf hingewiesen, der Kranke sei häufig gar nicht in der Lage, sich eine Vorstellung von der Art und den Folgen der Behandlung zu machen, er sei, da jede ernstere Erkrankung die Gesamtpersönlichkeit betreffe und verstöre, nicht nur in physischer, sondern auch in seelischer Not und könne, besonders bei psychischer Erkrankung, weder das Für und Wider der medizinischen Behandlungsweise verständig abwägen, noch sich einen von unkontrollierbaren Stimmungen, Befürchtungen und Vorurteilen freien Entschluss abringen (…).“ Dieser Gesichtspunkt sei für die rechtliche Beurteilung insofern von Bedeutung, als die Aufklärung selbstverständlich nur gegenüber einem Kranken Sinn habe, der fähig ist, Art, Zweck und Folgen der Behandlung zu beurteilen und in der Frage der Behandlung einen Willensentschluss zu fassen, denn nur ein Kranker, der hierzu in der Lage sei, könne wirksam sein Einverständnis mit der vorgesehenen Behandlung erklären. Es gebe auch bei psychischen Erkrankungen genug Fälle, in denen der Patient in der Lage sei, einen Willensentschluss zu fassen und wirksam in die Behandlung einzuwilligen. Ob ein Kranker willensfähig in diesem Sinne ist, sei eine Frage, deren Beantwortung weitgehend in das Gebiet der ärztlichen Wissenschaft gehöre. Fehle dem Patienten diese Willensfähigkeit, so entfalle damit aber noch nicht das Erfordernis der Einwilligung. Sie sei vielmehr von demjenigen zu erteilen, der anstelle des Kranken nach entsprechender Belehrung zu entscheiden habe, ob der Eingriff durchgeführt werden soll. Das seien entgegen der Meinung mancher Ärzte nicht ohne Weiteres die nächsten Angehörigen des willensunfähigen Kranken. Zwar seien in der Regel sie es, die das stärkste und menschlich nächste Interesse an dem Wohlergehen des Kranken hätten. Solange aber das Gesetz ihnen nicht die Entscheidung über die Behandlung des willensunfähigen Patienten übertragen habe, könne die in vielen Kliniken bestehende Übung, sich von den nächsten Angehörigen eine Einverständniserklärung für die Behandlung des Patienten geben zu las-
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4.3 Rechtliche Aspekte sen, nicht ausreichen, so sehr ein Befragen der Angehörigen bei Gefahr in Verzug von Bedeutung sein könne, um den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. Liege eine Gefahrenlage, die einen sofortigen oder einstweiligen Eingriff notwendig mache, nicht vor, so sei zu fordern, dass für den Patienten ein Pfleger (Anmerkung: heute „Betreuer“) bestellt werde, der anstelle des Kranken die Entscheidung darüber zu treffen habe, ob der vorgesehene ärztliche Eingriff durchgeführt wird. Hinsichtlich der Art und des Umfangs der vom Arzt zu fordernden Aufklärung müssten alle Umstände des Einzelfalles herangezogen und berücksichtigt werden. Der Richter dürfe auch nicht übersehen, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein starkes Vertrauen voraussetzt, dass es in starkem Maße in der menschlichen Beziehung wurzelt, in die der Arzt zu dem Kranken tritt, und dass es daher weit mehr als eine juristische Vertragsbeziehung ist. „Für den Arzt steht die Gesundheit des Patienten im Vordergrund. Sie wiederherzustellen und zu erhalten, ist seine Aufgabe. Daher ist es verständlich, dass der gewissenhafte Arzt sich oft für berechtigt, ja geradezu für verpflichtet hält, helfend einzugreifen, wenn es um das Leben und die Gesundheit seines Patienten geht. Gleichwohl muss diesem Streben dort eine Grenze gesetzt werden, wo es mit dem Recht des Patienten, selbst über seinen Körper zu bestimmen, in Widerstreit tritt, wie es in Frage kommen kann, wenn der Arzt zu einer Behandlung schreitet, ohne den Kranken über die Art dieser Behandlung und ihre Folgen ausreichend unterrichtet zu haben (…).“ Zwar werde ein Kranker, der den Arzt aufsuche oder sich in eine Klinik begebe, um Hilfe gegen seine Leiden zu suchen, oft von vornherein in gewissem Umfang auch mit ärztlichen Eingriffen einverstanden sein, die sich als Voraussetzung der Heilung als notwendig erwiesen. Hieraus könne aber nicht gefolgert werden, dass er keinen Wert darauf lege, in groben Zügen über die vorgesehene Behandlung, den üblichen Verlauf, den zu erwartenden Erfolg und auch über etwaige Gesundheitsschädigungen unterrichtet zu werden, die diese Behandlung mit sich bringe. Der Kranke, dem die Sachkunde in medizinischen Dingen fehle, sehe in dem Arzt auch den Berater und erwarte in der Regel von ihm, dass er ihn in diesen Fragen belehre und berate. Nur wenn der Patient Klarheit über seine Lage habe, er also in groben Zügen wisse, worin er mit seiner Zustimmung zu dem ärztlichen Eingriff einwillige, könne die Einwilligung ihren Sinn und Zweck erfüllen, die dahin gehe, dem Eingriff in den Körper des Patienten den Charakter des „Rechtswidrigen“ zu nehmen und einen Teil der Verantwortung des Arztes auf den Patienten zu übertragen. Es werde zwar Fälle geben, in denen der Patient unter allen Umständen von seinen Leiden befreit sein wolle und deutlich zu erkennen gebe, dass er alles vertrauensvoll seinem Arzt überlasse. In einem solchen Fall möge es gerechtfertigt sein, dass der Arzt entsprechend dem erkennbaren Wunsche des Patienten von einer näheren Aufklärung absieht. Hier sei dem Kranken, wie Jaspers es ausdrücke, die Autorität des
Arztes ein erwünschter fester Punkt, der ihn eigenen Nachdenkens und eigener Verantwortung überhebe. Er wolle daher eigentlich nicht wissen, sondern gehorchen. Das könne – so der BGH – aber nicht als Regel gelten, denn in vielen, wenn nicht gar den meisten Fällen wolle der Kranke sich ein Bild von seiner Lage machen, also auch über die Aussichten und die Risiken der geplanten Operation oder eines anderen ärztlichen Eingriffs unterrichtet sein und selbst entscheiden, ob der Eingriff durchgeführt wird. Dass der Arzt dieses Selbstbestimmungsrecht des Patienten achte, werde dessen Vertrauen zum Arzt eher fördern als ihm schaden. Es könnten auch sehr triftige Gründe sein, die den Kranken bestimmen, eine Operation zu verweigern und dabei vielleicht eine sehr erhebliche Verkürzung seines Lebens in Kauf zu nehmen. Diesen Willen des Patienten zu achten, gebiete die Freiheit und die Würde der menschlichen Persönlichkeit. Dies mache deutlich, dass der Richter mit dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts keineswegs nur einem formalen Prinzip huldige. In Hinblick auf eine paternalistisch eingeschränkte Aufklärung setzte sich der BGH ferner mit der in der Medizin vertretenen Auffassung auseinander, wonach nicht der Richter, sondern nur der Arzt aufgrund der genauen Besonderheiten des Einzelfalles jeweils entscheiden könne, wie weit er einen Kranken über das Risiko eines Eingriffs informieren könne, zumal es seine Aufgabe sei, den Kranken zu beruhigen und ihm die Angst vor einer Operation zu nehmen, nicht aber durch eine weitgehende Aufklärung das Gegenteil herbeizuführen; eine unbeschränkte Aufklärung über die möglichen Komplikationen würde den an sich behandlungswilligen Kranken derart abschrecken und verängstigen, dass er in den meisten Fällen seine Zustimmung verweigere und sich damit der Heilungschancen beraube. Dazu der BGH: „Diesem zuletzt genannten Gesichtspunkt kann für die Beurteilung der Aufklärungspflicht nicht die Bedeutung beigemessen werden, die die Ärzte ihm geben möchten. Ist bei einer Aufklärung des willensfähigen Kranken keine Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes oder des Heilerfolges zu befürchten, sondern nur mit der ernsthaften Möglichkeit zu rechnen, dass der Kranke seinen eigentlichen Interessen zuwider die Einwilligung in die Behandlung verweigert, so enthebt das den Arzt nicht der Pflicht, den Patienten auf die typischen Gefahren der Behandlung hinzuweisen.“ Die Aufklärung sei dazu da, den Patienten zur Selbstbestimmung aufzurufen. Sie solle ihm die Möglichkeit geben, bei seiner Entschließung nicht nur die Heilungsaussichten zu sehen, sondern auch die nicht ganz unwahrscheinlichen Schäden der Behandlung zu berücksichtigen. Nur wenn er auch hiervon Kenntnis habe, könne er mit seiner Einwilligung dem Arzt einen Teil der Verantwortung abnehmen. Allerdings solle der Arzt bemüht sein, den Patienten zu beruhigen und die Unsicherheit zu beseitigen, die bei dem Patienten durch die Aufklärung herbeigeführt werde. Es sei auch zulässig, dass der Arzt den Patienten mit geduldigem Zureden und Eingehen auf seine Ängste und Bedenken für eine drin-
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4 Präoperative Evaluation gend gebotene Behandlung zu gewinnen suche und ihm eindringlich die Nachteile vor Augen halte, die zu erwarten sind, wenn die Behandlung unterbleibe. Der Arzt dürfe aber den Entschluss des Patienten nicht dadurch beeinflussen, dass er ihm wesentliche Dinge verschweige. Die Frage, inwieweit die Pflicht zur Aufklärung weichen dürfe bzw. müsse, wenn bei der Persönlichkeit des Kranken und seinem psychischen Zustand ernste Bedenken gegen eine Aufklärung bestehen, besonders wenn durch die Aufklärung die Gesundheit oder gar das Leben des Patienten gefährdet werde, beantwortete der BGH wie folgt: Soweit durch die Aufklärung die Stimmung oder das Allgemeinbefinden des Patienten herabgedrückt werde, handele es sich um unvermeidbare Nachteile, die in Kauf genommen werden müssten. Allerdings sei eine restlose Aufklärung nicht auch dann zu verlangen, wenn durch sie das Leben oder die Gesundheit des Patienten ernstlich gefährdet würden. Der Arzt solle nicht gezwungen sein, durch eine zu weit gehende Aufklärung den Heilerfolg selbst zu beeinträchtigen. Die Nachprüfung der Frage, ob der Arzt seiner Aufklärungspflicht genügt und der Patient rechtswirksam in die Behandlung eingewilligt hat, könne letztlich dem Richter aber nicht entzogen sein. Tatsächlich ist die Frage einer angemessenen Aufklärung des Patienten nach wie vor haftungsrechtlich von erheblicher Bedeutung. Dies liegt daran, dass die prozessuale Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung auf der Behandlerseite liegt, was eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass der Patient sowohl eine ärztliche Pflichtverletzung als auch einen Schaden und eine zwischen beiden bestehende Kausalität beweisen muss, will er Schmerzensgeld und/oder Schadensersatz erlangen. Kann der Arzt eine adäquate Aufklärung nicht beweisen, dann war der Eingriff – mangels wirksamer Einwilligung – rechtswidrig; er haftet zivil- und ggf. auch strafrechtlich für eingetretene Schäden. Entsprechend kommt einer guten Dokumentation der Aufklärung zentrale Bedeutung zu. Die Rechtsprechung geht allerdings immerhin davon aus, dass dem Arzt im Zweifel zu glauben ist, wenn wenigstens einiger Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist. Dies gilt auch mit Rücksicht darauf, dass sich Patienten aus vielerlei verständlichen Gründen im Nachhinein an den genauen Inhalt solcher Gespräche, die für sie etwa vor allem von therapeutischer Bedeutung waren, nicht mehr erinnern (BGH NJW 1981, 202 (203); NJW 1985, 1399). Dies gilt natürlich in besonderem Maße für ältere und alte Patienten.
4.3.5 Erfordernis der individualisierten Aufklärung Im juristischen Schrifttum (etwa: Spindler G in Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar § 823, Rdnr. 610) wird die grundlegende Forderung formuliert, dass die dem Patienten vom Arzt gegebene Information verständlich sein müsse, damit der Patient die nötige Entscheidungsfreiheit gewinne. Die Bildung, das Verständnisver-
mögen sowie die eigene Sachkunde des Patienten aus seiner Krankenvorgeschichte, aber auch das Alter des Patienten und seine Fähigkeit, eine Mitteilung im Gedächtnis zu behalten, spielten eine erhebliche Rolle bei den Anforderungen an eine sachgerechte Aufklärung. Auch Laufs (Laufs 2000) weist darauf hin, dass die verringerte Behaltensleistung alter Patienten den Ärzten immer vor Augen stehen sollte. Im konkreten Zweifelsfall muss sich der Arzt jedenfalls vergewissern, ob der Patient die ihm erteilten Information verstanden hat. Dass auf die Vorkenntnisse und das konkrete Auffassungsvermögen des einzelnen Patienten abzustellen ist, spiegelt sich schlaglichtartig auch in der Rechtsprechung wider: So hielt der BGH etwa in einem Urteil vom 04.11.1975 (BGH, Urteil vom 04.11.1975, AZ: VI ZR 226/73; NJW 1976, 363 ff.) fest, „dass sich der Grad der erforderlichen Aufklärung über mögliche unerwünschte Folgen nicht zuletzt nach Intelligenz und Bildungsgrad des Patienten sowie vor allem nach dessen Erfahrungen aus der Kranken-Vorgeschichte zu richten hat“. Der Patient habe im jener Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt als graduierter Architekt mit vielseitigen Interessen das Bild einer informierten und aktiven Persönlichkeit geboten. Dies befreie zwar nicht überhaupt von einer Aufklärung über die Risiken der Operation, wohl aber hätte dies auf Art und Intensität der unumgänglichen Aufklärung nicht ohne Einfluss bleiben können, nicht zuletzt deshalb, weil dem konkreten Patienten im Gegensatz zu einem „geistig einfachen“ und der Materie ganz fremd gegenüberstehenden Patienten gegebenenfalls auch habe zugemutet werden können, durch Fragen selbst auf eine Vervollständigung der Belehrung hinzuwirken, falls sie ihm zu knapp und unvollständig erschien. Wertend fügte der BGH an, dass es grundsätzlich nicht der Billigkeit entspreche, wenn ein geistig reger und mit der allgemeinen Natur und Schwere des Eingriffs vertrauter Patient nachträglich die Folgen seines Entschlusses auf den Arzt abladen wolle, obwohl ihm die eingetretene Komplikation jedenfalls ihrer allgemeinen Natur nach nicht unvermutet erscheinen konnte. So könne ausnahmsweise neben dem Arzt auch der Patient Schuld daran sein, dass beim Arzt über Aufklärungswunsch oder -bedürfnis des Patienten ein falsches Bild entstanden ist und er ihn deshalb nicht gründlich genug aufklärt. Dies könne etwa der Fall sein, wenn der Patient durch selbstsichere und aktive Beteiligung am Arztgespräch den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass er mit medizinischen Sachverhalten nicht unvertraut ist und dass ihm die Risiken des Eingriffs bekannt oder gleichgültig seien. Das OLG Stuttgart führte in einem Urteil vom 16.03.1973 (OLG Stuttgart, Urteil vom 16.03.1973, AZ:16 U 50/72; NJW 1973, 560 ff.) gleichfalls an, dass es bei der Beurteilung der Einzelheiten in der Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arztes auf die gerade zwischen den Parteien bestehende individuelle Situation ankomme. Im konkreten Fall habe es keinerlei Hinweise dafür gegeben, die einen Arzt etwa hätten veranlassen können, vom Zustand des Patienten her vorsichtig mit aufklärenden
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4.3 Rechtliche Aspekte Hinweisen zu sein. Die Patientin selbst habe vor Gericht den Eindruck einer Frau gemacht, die ihre Lebensverhältnisse übersehe und wisse, was sie wolle und was für sie gut sei. Die Patientin habe nach dem Eindruck des Gerichts zu den Menschen gehört, welche die für sie übersehbaren Probleme ihres Lebens mitbestimmen wollen. Der Arzt sei verpflichtet, den dazu notwendigen Überblick zu ermöglichen. Es sei bedenklich, selbst in wohlmeinender Absicht die Autorität des eigenen Wissens und Könnens einzusetzen, um dem anderen die Entscheidung abzunehmen und ihn damit unbeabsichtigt in die Rolle eines bloßen Objektes zu drängen. Der Arzt müsse gegebenenfalls auch eine durch die Angst der Kreatur oder aus anderen Gründen motivierte falsche Entscheidung des Patienten etwa gegen eine Operation hinnehmen, ja sogar respektieren. Bei einer möglichen erheblichen oder gar lebensgefährlichen Folge habe ein entsprechender Hinweis im Aufklärungsgespräch zu erfolgen. Denn derjenige, den es tatsächlich treffe, sei hart oder womöglich tödlich betroffen. In diesem Bereich dürfe niemals die Statistik bzw. ein anonymer, aber nicht einmal sicherer Häufigkeitsprozentsatz, sondern nur der einzelne, konkret gefährdete Mensch zählen. Entsprechend zurückhaltend – und richtigerweise – bewertet die Rechtsprechung deshalb statistische Angaben zur Risikoverwirklichung. Eindringlich inszeniert und ins Bewusstsein geführt wird die Unbehelflichkeit der Statistik von Max Frisch, der seine Hanna auf den beruhigend gemeinten Einwurf von Homo faber, als das gemeinsame Kind von einer Schlange gebissen wird, „Hast du gewusst, dass die Mortalität bei Schlangenbiss nur drei bis zehn Prozent beträgt?“ folgendes entwaffnend entgegnen lässt: „Du mit deiner Statistik! Wenn ich hundert Töchter hätte, alle von einer Viper gebissen, dann ja! Dann würde ich nur drei bis zehn Töchter verlieren. Erstaunlich wenig! … Ich habe nur ein einziges Kind!“. In dem Fall der Sterilisation eines Mannes und als fehlerhaft gerügten Aufklärung über die Notwendigkeit zur Durchführung eines Spermiogramms zur Sicherung des Eingriffserfolges (mithin also im Bereich der Sicherungsaufklärung) hielt es der BGH in einem Urteil vom 27.06.1995 (BGH, Urteil vom 27.06.1995, AZ: VI ZR 32/94, NJW 1995, 2407) ausdrücklich für erforderlich, dass sich der Arzt vergewissere, dass der Patient seine Belehrung verstanden habe. Der Arzt würde seiner vertraglich geschuldeten Beratungspflicht nur dann gerecht, wenn er nach den Umständen sicher sein dürfe, dass der Patient die fraglichen Hinweise auch verstanden habe und sich des möglicherweise fortbestehenden Risikos einer Zeugung bzw. Empfängnis bewusst geworden sei.
4.3.6 Besonderheiten bei der Aufklärung betagter, gebrechlicher Patienten Die Anforderungen der Rechtsprechung an eine adäquate Aufklärung werden teilweise – und nicht immer ohne Grund – als überzogen bezeichnet. Der Rechtslehrer und Medizinethiker Hans-Ludwig Schreiber hat in diesem Zusammenhang durchaus ketzerisch zu bedenken gegeben, dass der Patient schließlich nicht zum Arzt komme, um sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben, sondern um Hilfe und Heilung zu erlangen. Tatsächlich scheint die Praxis bisweilen in seltsamem Widerspruch zu der richterlichen Idealvorstellung zu stehen. So ergab etwa eine empirische Untersuchung an 624 Patienten (Giebel et al. 2001), dass schon die linguistische Komplexität, die zu einem informierten Einverständnis führt, gemeinhin ignoriert werde. Patienten verstünden meist für den Arzt vertraute Wörter wie „knöcherne Reposition, innere Fixation“ nicht, willigten aber dennoch ein. Das Gefühl des Patienten, verstanden zu haben, sei dem gemäß meist größer als das tatsächliche Verstehen. Der Patient erlebe während seines stationären Aufenthalts nicht nur Informationen über die Operation, die Narkose, sondern auch über die meisten Untersuchungen, Kontrastmittel, über Neben- oder Folgeeingriffe. Dies überfordere auch den „voll geschäftsfähigen, lebenserfahrenen Durchschnittspatienten“ bei weitem. Auch wenn es durch die Aufklärung nicht zu einer Vermehrung der Angst kommen solle, habe sich bei dieser Untersuchung gezeigt, dass die Patienten nach der erfolgten Aufklärung eher weniger über die bevorstehenden Risiken wissen wollten. Vor wie nach der Aufklärung habe die weit überwiegende Mehrheit das Vertrauen zum behandelnden Arzt für ebenso wichtig wie die Informationen gehalten. Dies könne als Hinweis gewertet werden, dass das aufklärende Gespräch eben nicht nur dem Instandsetzen des Patienten nach einer Risiko-Nutzen-Abwägung zur Einwilligung aufgrund von Informationen diene, sondern auch dem gefühlsmäßigen Erfassen der Sorge seines Arztes um ihn. Hier kollidiere der Wunsch, einfach Mensch zu sein, mit dem aus dem Idealismus tradierten Bild des nützlich denkenden Menschen. Dies muss natürlich um so mehr für den betagten, möglicherweise gebrechlichen Patienten gelten. Entsprechendes belegt auch eine Untersuchung zur ärztlichen Aufklärung und Behaltensleistung bei älteren und alten Patienten (Saternus u. Kernbach-Wighton 1999): Gegenstand jener Studie war die Frage, wie ältere bzw. alte Patienten mit den Informationen bei der Aufklärung umgehen und welche Patienten sich inwieweit an das Aufklärungsgespräch erinnern konnten. In die Studie waren 105 Patienten einbezogen, davon 85 Frauen und 30 Männer, im Alter zwischen 60 und 92 Jahren. Es erfolgte eine Stufenaufklärung anhand von Merkblättern, auf deren Grundlage dann ein ärztliches Aufklärungsgespräch stattfand. Die Verfasser heben hervor, dass bereits
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4 Präoperative Evaluation 30 % nicht in der Lage waren, das Merkblatt selbstständig zu lesen. Es habe sich gezeigt, dass bei besserer Schulbildung in der Regel kürzere Zeiten für das Aufklärungsgespräch benötigt wurden. Lese- und Hörstörungen hätten die Kommunikation erschwert und die Aufklärungsdauer erhöht. Die ganz überwiegende Mehrheit der Patienten habe zudem im Aufklärungsgespräch nicht den Wunsch geäußert, noch weitere Informationen zu erhalten. Gut die Hälfte der Patienten habe lediglich eine einzige Frage betreffend Schmerzhaftigkeit bzw. Dauer des Eingriffs gestellt. Als problematisch stellte sich zudem heraus, dass bedingt durch die besonders intensive Aufklärung weniger Patienten in den vorgeschlagenen Eingriff einwilligten, als es der gängigen Praxis entsprach. Eine Woche nach dem Eingriff hätten nur 8 von 105 Patienten detailreiche Erinnerungen an die erfolgte Aufklärung gehabt. Mehr als die Hälfte habe keine, eine falsche oder nur noch vage Erinnerung an die Aufklärung gezeigt. Ein Viertel der Patienten konnte sich eine Woche nach dem Eingriff überhaupt nicht mehr an die Aufklärung erinnern. Neben dem Alter innerhalb der Gruppe bestimmte der Allgemeinzustand die Erinnerungsleistung: Patienten in mittlerem oder schlechtem Allgemeinzustand erinnerten sich signifikant schlechter an die Aufklärung als solche in gutem Allgemeinzustand. Auch habe sich gezeigt, dass Sehstörungen von Einfluss waren: Mehr als die Hälfte der Patienten, denen das Merkblatt vorgelesen werden musste, erinnerte sich nach einer Woche nicht mehr an die Aufklärung. Relevant sei nicht nur die Lesefähigkeit, sondern auch – ganz banal – die Verfügbarkeit der Brille. Viele Patienten hätten ihre Brille gar nicht mit ins Krankenhaus gebracht, was ein Handicap bei der Aufklärung dargestellt habe. Im Ergebnis habe sich gezeigt, dass eine besonders erklärende, umfangreiche und ärztlich zugewandte Aufklärung die Akzeptanz des Eingriffs nicht verbesserte, sondern eher zum Gegenteil führte. Auch habe sich herausgestellt, dass vorher unauffällige Patienten mit Frühformen von Demenz und hinzutretender somatischer Belastung die Gefahr bergen, unvorhersehbar plötzlich in – von ihnen empfundenen – Stresssituationen zu dekompensieren. Bei abnehmender Fähigkeit, sich auf neue (nicht immer belastende) Ereignisse in diesem Alter und bei dieser Vorerkrankung einzustellen, verlange der funktionierende Krankenhausbetrieb von den Patienten laufend Ungewohntes. Damit seien bereits in Ruhebedingungen die Kompensationsmöglichkeiten weitgehend erschöpft. Werde in dieser Situation den Patienten durch die Aufklärung sie selbst betreffend Bedrohliches und Gefährliches nahegebracht – bedrohlich die eigene Erkrankung und der Eingriff und gefährlich die dabei auftretenden Komplikationen –, dann könne die Wahl für oder gegen den Eingriff nicht mehr vollzogen werden, trete Überforderung zutage. Obwohl bei den 105 Patienten im Rahmen der Aufklärungsgespräche größtmögliche Empathie auf ärztlicher Seite bestanden habe, hätten nur 6 Patienten durch die
Aufklärung beruhigt werden können. Fast 30 % hätten mit Angst und Verunsicherung reagiert. Zu berücksichtigen ist also die für ältere Patienten oftmals angstbesetzte Situation der Konfrontation mit einer ungewohnten Umgebung, ungewohnten Abläufen, unbekannten Menschen und manchmal auch der Angst, das Krankenhaus nicht mehr zu verlassen. Die Auseinandersetzung mit der besonderen Problematik älterer und alter Patienten steckt in der Praxis – namentlich in der medizinischen Ausbildung – noch in den Kinderschuhen. Vereinzelte Veranstaltungen versuchen, der Problematik die ihr gebührende Beachtung zu schenken, so etwa im Rahmen von Ringvorlesungen etwa des Universitätsklinikums Halle und der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg im Wintersemester 2006/2007 zur Thematik „Die humane Altersgesellschaft“. Aus rechtlicher Sicht setzte sich etwa Mandla in seinem Beitrag „Grenzen bei der präoperativen Aufklärung alter Menschen“ mit der Thematik auseinander. Mandla regt die Anwesenheit von Angehörigen beim Aufklärungsgespräch an. Es ist tatsächlich sicherlich sinnvoll, beim Gespräch mit dem betagten Patienten eine Vertrauensperson einzubeziehen, um so etwaige Ängste zu mindern und das mögliche Gefühl des Ausgeliefertseins abzubauen. Dabei muss – worauf auch Mandla hinweist – aber selbstverständlich darauf geachtet werden, dass sich das Aufklärungsgespräch nicht auf die Angehörigen konzentriert, sondern den betagten Patienten im Mittelpunkt behält. Wichtig ist weiter eine einfache, klare und verständliche Wortwahl. Auch eine Sitzposition direkt gegenüber dem Patienten sollte gewählt werden, um diesen unmittel- und hörbar ansprechen zu können. Eine Rolle kann schließlich auch die geschlechterspezifische Kommunikation spielen (vgl. Rockenbauch et al. 2006). Ärzte formulierten in der Praxis ihre Therapievorgaben in der Regel als Direktive und deutlichen Imperativ, während Ärztinnen eher über Vorschläge zu gemeinsamen Handlungen sprächen. Kernthese ist insofern, dass Ärztinnen besonders dann zufriedene Patientinnen und Patienten haben, wenn sie entsprechend dem Geschlechterstereotyp kommunizieren, also eher emotional und partnerschaftlich. Träten Ärztinnen jedoch kühl und dominant auf, sinke die Zufriedenheit der Patientinnen und Patienten deutlich. Bei männlichen Patienten werde das gleiche Verhalten jedoch akzeptiert, obwohl auch sie mit Fürsorge und Freundlichkeit ihre Akzeptanz erhöhen könnten. Nicht auszuschließen dürfte aber auch sein, dass gerade die jetzige Generation älterer und alter Patienten gemäß erlerntem, üblichen Rollenverständnis schon im Grundsatz die Aufklärung durch einen männlichen Arzt eher akzeptiert bzw. kritikloser hinnimmt. Besondere Sorgfalt bei betagten Patienten ist im Übrigen nicht nur bei der Aufklärung angezeigt, sondern auch im Rahmen der Behandlung, wie ein Urteil des BGH vom 30.03.1971 (BGH, Urteil vom 30.03.1971; AZ: VI ZR 213/ 69, NJW 1971, 1079 ff.) zeigt. Der BGH hatte sich mit dem Fall einer 80-jährigen, gebrechlichen Patientin zu befas-
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4.3 Rechtliche Aspekte sen, die in der Praxis eines Augenarztes bei bzw. nach dem Hinuntersteigen von einer Untersuchungsliege zu Fall kam und Frakturen erlitt. Der Arzt habe – so der BGH – die Pflicht gehabt, der Klägerin beim Verlassen der Liege zu helfen und habe sie nicht ohne nähere Anweisung allein in dem Behandlungsraum zurücklassen dürfen. Gerade dann, wenn der Arzt einen nach den Umständen besonders betreuungs- und fürsorgebedürftigen Patienten zum Zweck der Untersuchung (respektive Behandlung) in eine körperliche Lage versetze, die bei Hinzutreten weiterer Umstände zu einer Gefährdung führen könne, so müsse dieser ihn im Auge behalten, ihm zumindest Anweisungen geben, die unmissverständlich seien. Zwar werde in aller Regel der Arzt davon ausgehen können, dass der Patient eine Aufforderung zum Verlassen des Untersuchungstisches abwarte und ohne eine solche Anweisung von sich aus nichts unternehme, besondere Vorsicht sei jedoch dann geboten, wenn es sich um einen 80-jährigen, gebrechlichen Patienten handele.
4.3.7 Eingeschränkte Aufklärung und Aufklärungsverzicht Ein besonderes Spannungsfeld eröffnet sich, wenn das Leben oder die Gesundheit des Patienten durch die Aufklärung als solche ernsthaft gefährdet wird, was nicht nur bei einem psychisch Kranken, sondern auch bei einem überaus ängstlichen, betagten Patienten der Fall sein kann (vgl. Martis u. Winkhart-Martis 2007). Prinzipiell dürfen tatsächlich bestehende Risiken dem Patienten gegenüber nicht verharmlost werden (BGH NJW 1994, 793; NJW 1992, 2351). Entsprechend ist hinsichtlich einer im Grunde gut gemeinten, paternalistisch eingeschränkten Aufklärung Zurückhaltung geboten. Andererseits wird in den genannten Fällen eine besonders schonende Information und Beratung sowohl im Bereich der Diagnoseaufklärung als auch hinsichtlich der Risikoaufklärung für unumgänglich gehalten. Zwar ist der Arzt einerseits verpflichtet, den Patienten etwa über eine Krebsdiagnose zu informieren, wenn nur so die Einwilligung in die Behandlung, etwa eine Chemo- und Strahlentherapie erlangt werden kann oder sich die Folgen der Verwirklichung eines Eingriffsrisikos besonders gravierend auf die weitere Lebensführung des Patienten auswirken würden, auf der anderen Seite muss der Arzt jedoch bedenken, dass der Patient durch Art und Inhalt der Diagnosemitteilung sowie der Aufklärung vor dem Eingriff – und selbstredend auch der damit regelmäßig einhergehenden Anästhesie – nicht in „Angst und Schrecken“ versetzt werden soll bzw. darf (OLG Oldenburg, VersR 1990, 742; OLG Köln MedR 1998, 184, LG Cottbus MedR 2004, 231, 232; OLG Bamberg, VersR 2004, 198). Gerade bei einem älteren Patienten mag es vorkommen, dass dieser dem Anästhesisten gegenüber zum Ausdruck bringt, dass er keine Aufklärung wolle und er glaube, dass die Ärzte schon alles Notwendige und Richtige veranlassten. Motivation mag eben jene Haltung der
Fügsamkeit, der Wunsch, nur gehorchen zu müssen, sein bzw. auch die Angst, sich mit – vielleicht nur vermeintlich – existenziellen Gefahren gedanklich auseinandersetzen zu müssen. Die Rechtsprechung hält es für möglich, dass die Pflicht zur Aufklärung entfällt, wenn der Patient deutlich und unmissverständlich auf eine Aufklärung verzichtet. Insofern ist aber Vorsicht geboten. Der Versuch einer Aufklärung sollte unternommen, die Gründe für den gewünschten Aufklärungsverzicht ermittelt werden. Beharrt der Patient darauf, keine Aufklärung zu wollen, sollte dies und möglichst auch das angegebene Motiv unbedingt dokumentiert werden.
4.3.8 Behandlungsverweigerung Gerade bei älteren Patienten kann es – auch aus irrationalen Gründen – zur Verweigerung einer medizinisch jedoch – möglicherweise sogar dringend – gebotenen Behandlung kommen. Wie ist darauf zu reagieren? Grundsätzlich ist die selbstbestimmte Behandlungsverweigerung des Patienten beachtlich und stellt eine klare Grenze der Behandlungspflicht bzw. -möglichkeit seitens des Arztes dar. Dies gilt sogar dann, wenn die Verweigerung der erforderlichen Behandlung objektiv nicht nachvollziehbar ist, dem Patienten erkennbar zum Schaden gereichen bzw. ihn gar absehbar in Todesgefahr bringen wird. Allerdings muss der Arzt prüfen, ob der Patient wirklich die Tragweite seiner Weigerung abzuschätzen vermag und nicht etwa nur wegen einer Fehlvorstellung über den Umfang der Behandlung und sich daraus möglicherweise ergebender Beeinträchtigungen eine ablehnende Haltung zeigt. Gerade bei alten Patienten mag schon das Gefühl oder die irrationale Vorstellung, dass man sie quasi als „Versuchskaninchen“ oder lediglich zu Ausbildungszwecken missbrauchen wolle, ein zu entkräftendes Motiv darstellen. Auch mag eine scheinbar ernstliche Verweigerung faktisch lediglich einen – verständlichen – Ruf nach Hilfe und Beachtung darstellen. Dies gilt es zu berücksichtigen. Jedenfalls hat der Arzt dem Patienten bei erkennbarer Verweigerungshaltung eindringlich die Erforderlichkeit des Eingriffs nahe zu legen (OLG Schleswig, NJW 2002, 227; BGH NJW 1997, 3090). Der Arzt muss den Patienten vor den Gefahren warnen, die durch das Unterlassen der ärztlichen Behandlung entstehen können (BGH NJW 1991, 1541). Im Falle der auch dann noch beharrlichen Behandlungsverweigerung kommt selbstverständlich der Dokumentation der ablehnenden Haltung des Patienten in den Behandlungsunterlagen eine außerordentliche Bedeutung zu. Nicht nur die Weigerung des Patienten, sondern auch die Information über möglicherweise mit der Verweigerung der Behandlung verbundene Risiken ist sorgfältig zu dokumentieren. Eine Bestätigung der Behandlungsverweigerung seitens des Patienten durch dessen Unterschrift ist zwar nicht zwingend geboten, aber durchaus sinnvoll; und zwar nicht nur aus Beweisgründen, sondern auch, um dem Patienten den Ernst der
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4 Präoperative Evaluation Situation und seine Eigenverantwortlichkeit noch einmal deutlich vor Augen zu führen.
4.3.9 Aufklärungsadressat Aufklärungsadressat ist grundsätzlich derjenige, der rechtlich die Einwilligung in den Eingriff zu erteilen hat, im Normalfall also der Patient selbst, bei Patienten mit eingeschränkter oder aufgehobener Einwilligungsfähigkeit deren gesetzlicher Vertreter. Gesetzliche Vertreter sind selbstverständlich – worüber auch heute noch erstaunliche Fehlvorstellungen existieren – per se nicht die nahen Angehörigen des Patienten, etwa die Kinder des betagten Patienten oder der gleichfalls betagte Lebenspartner. Schon wegen der ärztlichen Schweigepflicht hinsichtlich von Befunden bzw. der Prognose und der therapeutischen Möglichkeiten ist die Offenbarung gegenüber Verwandten an die Einwilligung seitens des Patienten gebunden. Die nahen Angehörigen können lediglich, aber auch immerhin im Falle, dass eine Einwilligung des Patienten nicht herbeigeführt werden kann (etwa wegen Bewusstlosigkeit), Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Patienten liefern, dessen Feststellung allein jedoch nur dann ausreichend ist und den Eingriff zu rechtfertigen vermag, wenn es sich um eine Notfallsituation handelt. Eine Aufklärung naher Angehöriger über eine ärztliche Maßnahme kann also grundsätzlich nicht das erforderliche Gespräch zwischen dem Arzt und dem Patienten ersetzen (Spindler G, in Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar § 823, Rdnr. 610). Insbesondere wenn zeitlicher Aufschub ohne relevante Gefahr für Leben und Gesundheit des Patienten möglich ist, muss eine Betreuerbestellung für den erwachsenen Patienten veranlasst werden. Auch dann ist natürlich für den Betreuer der – von den Angehörigen glaubhaft vermittelte – mutmaßliche Wille des Patienten von Bedeutung; letztlich maßgebend aber das „Wohl“ des Betreuten.
4.3.10 Fragliche Einwilligungsfähigkeit Der Patient muss in der Lage sein, dem Aufklärungsgespräch zu folgen. Eine psychische Erkrankung als solche schließt eine Einwilligungsfähigkeit nicht ohne Weiteres aus. Soweit Einwilligungsfähigkeit besteht, ist entsprechend auch der unter psychischen Beeinträchtigungen leidende Patienten aufzuklären. In diesem Fall wird eine besonders schonende Aufklärung für erforderlich gehalten (NJW 2002, 2987, 2990). Für eine wirksame Einwilligung ist nur Einwilligungsfähigkeit erforderlich, nicht die weiter gehende Geschäftsfähigkeit, denn es handelt sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern lediglich um die Gestattung der Vornahme einer tatsächlichen Handlung, nämlich in die Körperintegrität des Patienten lege artis einzugreifen (BGHZ 105, 45, 47, 48). Auch Nichtgeschäftsfähige können daher einwilligen, wenn sie
Bedeutung und Tragweite des verletzenden Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermögen (so genannte natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit). Üblicherweise folgt die anästhesiologische Aufklärung derjenigen der operativen Fächer zeitlich nach. Entsprechend ist es sinnvoll, sich bei Zweifeln hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit des Patienten gegebenenfalls mit der operativen Disziplin ins Benehmen zu setzen und eine gemeinsame Einschätzung der Einsichts- bzw. Einwilligungsfähigkeit vorzunehmen und diese auch zu dokumentieren. Wurde durch die operative Disziplin bereits die Einwilligungsfähigkeit in Zweifel gezogen, so ist selbstverständlich besondere Vorsicht angezeigt. Im Übrigen hat im Grundsatz jeder handelnde bzw. aufklärende Arzt eigenverantwortlich jeweils die Einwilligungsfähigkeit seines Gegenübers zu prüfen. Ist jedoch die Einwilligungsfähigkeit des Patienten fraglich oder aufgehoben, so muss die Einwilligung vom zu bestellenden Betreuer oder dem durch eine Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten Bevollmächtigten erteilt werden.
4.3.11 Betreuerbestellung und Betreuung Wann aber ist nach dem Gesetz ein Betreuer zu bestellen? Die Antwort gibt § 1896 BGB: Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer. Der Betreuer hat gemäß § 1901 Abs. 2 BGB die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Der Betreuer wiederum hat insofern Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwider läuft und es dem Betreuer zuzumuten ist. Dies gilt auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will (§ 1901 Abs. 3 BGB). Gemäß § 1904 Abs. 1 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff zusätzlich der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Dies gilt gemäß § 1904 Abs. 2 BGB auch für die Einwilligung eines Bevollmächtigten. Nach einem Beschluss des Bayerischen Oberlandesgerichts vom 14.10.2002 (Bayerisches OLG, Beschl. vom
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4.3 Rechtliche Aspekte 14.10.2002, 3 ZBR 172/02, Beck RS 2002, 30287750) ist für die Frage, ob eine Betreuung notwendig ist, die genaue Ursachenklärung letztlich unerheblich. Die Kenntnis der genauen Krankheitsursache mag für die Heilungschance und die durchzuführende Behandlung von Wichtigkeit sein. Auch wenn sie fehlt, besteht jedoch die Notwendigkeit, den Kranken bis zu seiner möglichen Heilung und bis zu dem Zeitpunkt, in welchem er seine Angelegenheiten wieder selbst in die Hand nehmen kann, rechtlich zu betreuen. Im Zweifelsfall ist also die Bestellung eines Betreuers anzuregen.
4.3.12 Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht Betreuungsverfügung ist eine Willensäußerung, in der jemand für den Fall seiner Betreuungsbedürftigkeit bzw. der Notwendigkeit zur Bestellung eines Betreuers Vorschläge zur Person des Betreuers und/oder Wünsche zur Wahrnehmung der Aufgaben durch den Betreuer geäußert hat. Gemäß § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB ist dem Vorschlag des Betreuten, eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, wenn dies dem Wohl des Betreuten nicht zuwiderläuft. Gemäß § 1901 Abs. 3 Satz 2 BGB ist unter der gleichen Maßgabe auch konkreten inhaltlichen Wünschen, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, zu entsprechen. In der Betreuungsverfügung können also auch umfänglich konkrete Entscheidungsmaßgaben seitens des Verfügenden zum Ausdruck gebracht werden. Sofern und soweit diese seinem Wohl im Falle des Eintritts der Betreuungssituation nicht widersprechen, ist ihnen auch grundsätzlich Folge zu leisten. Eine weitere Möglichkeit stellt die Vorsorgevollmacht gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB dar. Eine Betreuung ist danach nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Insofern besteht Subsidiarität bzw. Nachrang der Betreuerbestellung. Voraussetzung ist gemäß § 1904 Abs. 2 BGB, dass die Vollmacht schriftlich erteilt wurde, keine Zweifel daran bestehen, dass die Vollmacht im Zustand der Geschäftsfähigkeit erteilt wurde und von der Vollmacht ausdrücklich die Einwilligung in eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff umfasst ist. Die Vorsorgevollmacht kann im Übrigen sämtliche persönlichen wie auch vermögensrechtlichen Verfügungen zum Gegenstand haben. Dem Vormundschaftsgericht kommt keine unmittelbare Überwachungsfunktion über erteilte Vorsorgevollmachten zu. Der Bevollmächtigte steht grundsätzlich nicht unter der Aufsicht des Gerichts. Soweit erforderlich, kann jedoch ein so genannter Vollmachts(überwachungs) betreuer (auch Kontrollbetreuer oder Auftragsbetreuer genannt) bestellt werden, insbesondere, wenn der Um-
fang und die Schwierigkeit der zu besorgenden Geschäfte oder ein vorangegangenes Verhalten des Bevollmächtigten eine Überwachung angezeigt erscheinen lassen (Perau 1996). Besteht die begründete Gefahr, dass der Patient aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, bedarf die Maßnahme – sowohl bei Vorhandensein eines Betreuers als auch eines Bevollmächtigten – der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts (§ 1904 Abs. 2 S.1 BGB).
4.3.13 Patientenverfügung, Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen Ein besonderer Problembereich ist eröffnet bei Patientenverfügungen, welche sich gegen lebenserhaltende Maßnahmen richten. Insofern hat der BGH einerseits in einer strafrechtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1994 (sog. „Kemptener Fall“; 1 StR 357/94), im weiteren jedoch insbesondere auch in zivilrechtlichen Entscheidungen zum Betreuungsrecht in einem Beschluss vom 17.03.2003 (NJW 2003, 1588) sowie vom 08.06.2005 (NJW 2005, 2385) einige grundlegende Maßstäbe – wenngleich verschiedener Interpretation zugänglich – verdeutlicht. In seiner strafrechtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1994 formulierte der BGH die Voraussetzungen für eine Zulässigkeit des Abbruchs einer ärztlichen Behandlung bei mutmaßlichem Einverständnis wie folgt: 1. Bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten kann der Abbruch einer ärztlichen Behandlung oder Maßnahme ausnahmsweise auch dann zulässig sein, wenn die Voraussetzungen der von der Bundesärztekammer verabschiedeten Richtlinien für die Sterbehilfe nicht vorliegen, weil der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat. Entscheidend ist der mutmaßliche Wille des Kranken. 2. An die Voraussetzungen für die Annahme eines mutmaßlichen Einverständnisses sind strenge Anforderungen zu stellen. Hierbei kommt es vor allem auf frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen an. 3. Lassen sich auch bei der gebotenen sorgfältigen Prüfung konkrete Umstände für die Feststellung des individuellen mutmaßlichen Willens des Kranken nicht finden, so kann und muss auf Kriterien zurückgegriffen werden, die allgemeinen Wertvorstellungen entsprechen. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten; im Zweifel hat der Schutz menschlichen Lebens Vorrang vor persönlichen Überlegungen des Arztes, eines Angehörigen oder einer anderen beteiligten Person.
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4 Präoperative Evaluation In seinem zivilrechtlichen Beschluss zum Betreuungsrecht vom 17.03.2003 stellte der BGH klar: 1. Ist ein Patient einwilligungsunfähig und hat sein Grundleiden einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen, so müssen lebenserhaltende oder -verlängernde Maßnahmen unterbleiben, wenn dies seinem zuvor – etwa in Form einer so genannten Patientenverfügung – geäußerten Willen entspricht. Dies folgt aus der Würde des Menschen, die es gebietet, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist. Nur wenn ein solcher erklärter Wille des Patienten nicht festgestellt werden kann, beurteilt sich die Zulässigkeit solcher Maßnahmen nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, der dann individuell – also aus dessen Lebensentscheidungen, Wertvorstellungen und Überzeugungen – zu ermitteln ist. 2. Ist für einen Patienten ein Betreuer bestellt, so hat dieser dem Patientenwillen gegenüber Arzt und Pflegepersonal in eigener rechtlicher Verantwortung und nach Maßgabe des § 1901 BGB Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung kann der Betreuer jedoch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts ist kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird – sei es, dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist. Ergänzend hob der BGH in seinem Beschluss vom 08.06.2005 hervor: Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, dass die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim (respektive das Krankenhaus) diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstlichen Ernährung in einem solchen Fall nicht. Die untergerichtliche Umsetzung der höchstrichterlichen Maßgaben stieß in der Praxis bisweilen aber auf Schwierigkeiten: Das Amtsgericht Siegen etwa hatte in einer Entscheidung vom 28.09.2007 (Amtgericht Siegen, Beschl. vom 28.09.2007, 33 XVII B 710, Beck RS 2007, 19420) die Frage zu klären, ob die zur Betreuerin bestellte Tochter einer Patientin die Entscheidung zur Beendigung der Versorgung ihrer Mutter mit Nahrung und Flüssigkeit durch eine PEG-Sonde treffen durfte. In jener Entscheidung ging es um die Ermittlung des tatsächlichen oder mutmaßlichen Willens eines an Demenz erkrankten Betreuten sowie die Auslegung einer Patientenverfügung und schließlich die Aufsicht des Vormundschaftsgerichts über
die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen. Das Amtsgericht Siegen verbot der Betreuerin schließlich, die Versorgung der Patientin durch eine PEG-Sonde zu beenden, solange diese Maßnahme medizinisch indiziert und erforderlich sei, um die für einen Erhalt des Lebens und der Gesundheit ausreichende Versorgung der Betroffenen mit Nahrung und Flüssigkeit sicherzustellen. Die Patientin hatte noch zu Zeiten der Einwilligungsfähigkeit ihrer Tochter eine Vollmacht für den Fall des Eintritts ihrer Geschäftsunfähigkeit sowie auch im Falle der Bestellung eines Betreuers erteilt. Die Vollmacht enthielt unter anderem den Passus: „Falls ich wegen Alters, Unfall oder Krankheit medizinisch behandelt werden muss, ist es mein unbedingter Wille, dass keine lebensverlängernden Maßnahmen ergriffen werden, wenn ein menschenwürdiges Weiterleben nicht gewährleistet ist. Gleiches gilt für die Anwendung von Behandlungen und Verabreichung von Medikamenten. Meine Bevollmächtigte ist berechtigt, diesen vorstehend niedergelegten Willen rechtsverbindlich gegenüber allen hierzu in Betracht kommenden Personen und Stellen, also insbesondere auch gegenüber behandelnden Ärzten, zu erklären“. Für die Patientin wurde schließlich wegen einer mittel- bis schwergradigen Demenz vom Alzheimertyp deren Tochter zur Betreuerin bestellt. Einen bindenden, tatsächlich oder mutmaßlichen Willen der Patientin, wonach sie in ihrer jetzigen Situation keine Ernährung und Flüssigkeitszufuhr mittels einer PEG-Sonde wünsche, ließ sich – so das Amtsgericht – nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. Ein solcher Wille ergebe sich nicht einmal daraus, dass sie gegenüber der Betreuerin, der Bevollmächtigten und dem Gericht geäußert habe, sie wolle sterben, und – möglicherweise als Ausdruck hierfür – das Essen und Trinken verweigerte. Wörtlich begründete das Amtsgericht seine Entscheidung wie folgt: „Diese rechtsverbindliche Äußerung von Wünschen als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts setzt voraus, dass die betreffende Person die Möglichkeit zur intellektuellen Kenntnisnahme der Tatsachen hat, welche ihre Situation charakterisieren, und diese in ihrer Bedeutung erfasst. Darüber hinaus muss sie diese Tatsachen prognostisch zu beurteilen verstehen, unter Einbeziehung eines Wertesystems zu einer Entscheidung zwischen verschiedenen möglichen Alternativen fähig sein und sich entsprechend einer solchen Einsicht verhalten können.“ Zwar folge aus § 1901 Abs. 3 BGB, dass so genannte „Patientenverfügungen“ als „antizipative“ Handlungsanweisungen für den Fall der eigenen Handlungsunfähigkeit des Erklärenden und als Ausdruck seines grundrechtlich verwirkten Selbstbestimmungsrechts für den Betreuer bindend seien. Auch habe der Bundesgerichtshof (siehe oben) formuliert, ein rechtlicher Rahmen für das Verlangen des Betreuers, die künstliche Ernährung des Betroffenen einzustellen, sei schon nicht eröffnet, solange eine letzte Sicherheit, dass die Krankheit einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen habe, nicht zu gewinnen sei. Dieser Rechtsauffassung mochte sich das Amtsgericht Siegen zwar nicht anschließen: Zum Selbstbestimmungsrecht gehöre das Recht, sich selbst gefährden oder aufge-
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4.3 Rechtliche Aspekte ben zu dürfen; also auch, lebensverlängernde Maßnahmen verbindlich ablehnen zu können, selbst wenn diese nach Ansicht Dritter medizinisch indiziert und sinnvoll sind. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beinhalte einen Anspruch auf Unterlassung medizinischer Maßnahmen. Voraussetzung für eine Bindungswirkung der Patientenverfügung sei jedoch – so das Amtsgericht Siegen –, dass die dortigen Handlungsanweisungen im Einzelfall hinreichend konkret sind und über bloße Richtungsangaben hinausgehen. Patientenverfügungen seien dazu da, Würde und Selbstbestimmung für das Lebensende zu sichern. Dieses Ziel könnten sie jedoch nur dort erreichen, wo sie keinen Anlass zu vernünftigen Zweifeln an dem Inhalt des selbstbestimmten Willens geben, keinen Raum für Wünsche und Wertvorstellungen Dritter lassen. Dem genüge die konkret vorliegende Patientenverfügung nicht. Das LG Bielefeld hatte in einer Entscheidung vom 11.05.2006 einen ähnlichen Fall zu beurteilen. Die bestellte Betreuerin hatte das Gericht um Genehmigung ihrer Weigerung in die Einwilligung zur lebensverlängernden Tracheotomie ersucht. Das LG Bielefeld verwehrte der Betreuerin die Genehmigung und ersetzte die Einwilligung zur Tracheotomie durch eigene Entscheidung. Die Zustimmung zur Behandlungsverweigerung setze voraus, dass feststehe, dass zum einen die Krankheit einen irreversiblen und tödlichen Verlauf genommen habe und zum anderen die ärztlicherseits angebotene Behandlung dem früher erklärten und fortgeltenden Willen des Betroffenen widerspreche. Ein tödlicher Verlauf liege erst bei unmittelbarer Todesnähe vor und wenn der Sterbevorgang unmittelbar eingesetzt habe. Wenn eine letzte Sicherheit, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen und tödlichen Verlauf angenommen habe, nicht zu gewinnen sei, sei die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zu verweigern. In einer Einstellungsverfügung der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg betreffend ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Körperverletzung im Amt gegen einen Vormundschaftsrichter, der die Amputation des Beines einer Patientin angeordnet hatte, hob diese hervor, dass sich auch Richter strafbar machten, wenn sie Patientenverfügungen missachteten. Zum Eingriff war es wegen der Weigerung der Ärzte nicht gekommen. Die Patientin verstarb – wie in ihrer Patientenverfügung gewünscht – ohne den belastenden Eingriff. Die beispielhaft zitierten Entscheidungen zeigen, dass erheblicher Raum für Interpretationen und in rechtlicher Hinsicht viele Unsicherheiten bestanden. Diese zu beseitigen und an ihre Stelle Rechtssicherheit zu setzen, war Ziel mehrerer – inhaltlich divergierender – Initiativen zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung. Am 18.6.2009 fand sich im Bundestag schließlich eine Mehrheit für einen Gesetzentwurf der Abgeordneten Stünker, Kauch und weiterer Parlamentarier (BT-Drucksache 16/ 8442). Das „3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29.7.2009 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2009, Teil I Nr. 48, Seite 2286–2287) ist am 1.9.2009 in Kraft getreten.
Der neue § 1901a BGB lautet: „§ 1901a Patientenverfügung (1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. (2) Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer unter Beachtung des mutmaßlichen Willens des Betreuten zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen, sonstige persönliche Wertvorstellungen und das Schmerzempfinden des Betreuten. Um solche Anhaltspunkte zu ermitteln, soll der Betreuer nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betreuten Gelegenheit zur Äußerung geben, sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung des Betreuten. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für Bevollmächtigte.“ Der neue § 1904 BGB lautet: § 1904 Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen (1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. (2) Die Nichteinwilligung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt ist und die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abdrucks der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. (3) Die Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Einwilligung, die Nichteinwilligung
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4 Präoperative Evaluation oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. (4) Eine Genehmigung nach den Absätzen 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Betreuten entspricht. (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten auch für einen Bevollmächtigten. Er kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 genannten Maßnahmen nur einwilligen, nicht einwilligen oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist.“ Sicherlich ist die gesetzliche Regelung ein Meilenstein zur Aufwertung von Patientenverfügungen. Skeptisch muss man allerdings sein, ob eine abstrakte gesetzliche Normierung tatsächlich einen erheblichen Gewinn an Rechtssicherheit im Einzelfall zeitigt. Erfahrungsgemäß dürften auch dann Auslegungsfragen erneute Diskussionen heraufbeschwören. Gleiches gilt in Hinblick auf gesetzgeberische Bestrebungen, die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ bzw. die „gewerbliche und organisierte Suizidbeihilfe“ im Strafgesetzbuch unter Strafe zu stellen.
Kernaussagen ●
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Eine Anästhesie, die das Individuum des alternden Patienten in den Mittelpunkt stellt, ist nicht nur ein Gebot der Humanität, sondern auch rechtliche Verpflichtung. Dem Patienten muss die anästhesiologische Maßnahme und deren Risiko in einer seinem Alter und seinem Verständnisvermögen angepassten Weise so erläutert werden, dass er im Großen und Ganzen weiß, worin er einwilligt. Die Aufklärung des betagten Patienten zur selbstbestimmten Einwilligung unterliegt regelmäßig besonderen Anforderungen Nicht der Arzt soll dem Patienten die Verantwortung für dessen Entscheidung abnehmen, sondern der Patient soll den Arzt durch seine Einwilligung wenigstens von einem Teil der ärztlichen Verantwortung entlasten. Besonders bei alten Menschen in einer angstbesetzten Situation, in einer ungewohnten Umgebung und mit ungewohnten Abläufen ist die Schaffung einer Vertrauensatmosphäre wichtig. Lese- und Hörstörungen sollten bei der Aufklärung berücksichtigt und auf eine unmittelbare, einfache, (unmiss-)verständliche sowie schonende Wortwahl geachtet werden. Da Maß der Verbindlichkeit von Betreuungsverfügungen, Vorsorgevollmachten und – gesetzlich neu geregelt – Patientenverfügungen sollte jedem Arzt geläufig sein.
Literatur Angres A, von Gazali Th, Osswald PM. Alte Patienten. In: List W, Osswald PM, Hornke I, Hrsg. Komplikationen und Gefahren in der Anästhesie. Berlin: Springer; 2000: Kapitel 39 Giebel GD, Wienke A, Sauerborn J et al. Das Aufklärungsgespräch zwischen Wollen, Können und Müssen. NJW 2001; 12: 863–868 Jonas H. Technik, Medizin und Ethik: Zur Praxis des Prinzips Verantwortung. Frankfurt: Suhrkamp; 1987 Kuhlen R, Quintel M. Möglichkeiten und Grenzen der Intensivmedizin. In: Burchardi H, Larsen R, Kuhlen R, Jauch K-W, Schömerich J, Hrsg. Die Intensivmedizin. 10. Aufl. Berlin: Springer; 2008 Larsen R. Anästhesie bei geriatrischen Patienten. In: Larsen R. Anästhesie. München: Urban & Fischer bei Elsevier; 2006: Kapitel 40 Laufs A. Nicht der Arzt allein muss bereit sein, das Notwendige zu tun. NJW 2000: 1757 ff. Martis R, Winkhart-Martis M. Arzthaftungsrecht, 2. Aufl. Köln: Dr. Otto Schmidt; 2007 Perau G. Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht. MittRahNotK 1996: 285 ff. Rockenbauch K, Decker O, Stöbel-Richter Y. Kompetent kommunizieren in Klinik und Praxis. Lengerich: Pabst Science Publishers; 2006 Saternus KS, Kernbach-Wighton G. Ärztliche Aufklärung und Behaltensleistung bei älteren und alten Patienten. In: Ahrens HJ, von Bar Ch, Fischer G, Spickhoff A, Taupitz J, Hrsg. Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag. Heymanns C; 1999: S. 723 ff. Spindler G. In Bamberger H, Roth H. Beck’scher Online-Kommentar. § 823, Rdnr. 610
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Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung 5.1
Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie, Analgosedierung und „Stand by“
5.2
Monitoring
5.3
Wärmemanagement
5.4
Volumenmanagement
5.5
Atemwegsmanagement
5.6
Intraoperative Beatmungsprinzipien
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5.1 Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie, Analgosedierung und „Stand by“ B. M. Graf
5.1.1 Einführung Seit Anästhesie verabreicht wird, besteht eine kontroverse Debatte, ob Allgemeinanästhesie oder Regionalanästhesie die bessere Alternative darstellen. Diese Diskussion verschärft sich besonders bei geriatrischen Patienten, da scheinbar die Störung der Homöostase des Patienten unter Regionalanästhesie geringer zu sein scheint als unter Allgemeinanästhesie. Jedoch stellt Regionalanästhesie per se keine Alternative für jeden chirurgischen Eingriff dar. Die Wahl des Anästhesieverfahrens für einen bestimmtem Eingriff in einer bestimmten Altersgruppe stellt vielmehr eine multifaktorielle Entscheidung dar, bestimmt vom Zustand des Patienten, den chirurgischen Bedürfnissen, aber auch von den Erfahrungen und den Fertigkeiten des betreuenden Anästhesisten. Geriatrische Patienten per se sind als „äußerst fragil“ einzustufen, die allein durch das Operationstrauma oder die begleitende Grundkrankheit aus dem physiologischen Gleichgewicht geworfen werden können und dadurch an den Rand ihrer Kompensationsmöglichkeiten kommen (s. Kap. 2). In diesem Umfeld stellt Anästhesie eine weitere Belastung für den alternden Organismus dar. Dadurch wird verständlich, dass in dieser Altersgruppe unter allen Umständen versucht werden muss, bei chirurgischen Eingriffen jede weitere Belastung entweder durch die Anästhesie oder durch fehlende Schmerztherapie zu minimieren, um die Prognose des geriatrischen Patienten zu optimieren. Abhängig vom operativen Eingriff stehen als anästhesiologische Alternativen die Allgemeinanästhesie oder Regionalanästhesie bzw. deren Kombination zur Verfügung. Für viele Eingriffe etwa im Bereich des Oberbauches, des Thorax und im Kopf-Hals-Bereich stellt die Regionalanästhesie alleine keine praktikable Alternative dar, während für Eingriffe im Unterbauch und den Extremitäten neuroaxiale oder periphere Regionalanästhesien in der Tat sinnvolle Alternativen bieten. Zusätzlich muss bei größeren Eingriffen die Kombination von Allgemeinanästhesie mit neuroaxialen oder peripheren Katheterregionalanästhesien in Erwägung gezogen werden, wobei hier auch die postoperative Schmerztherapie als gewichtiges Argument Berücksichtigung finden muss (s. Kap. 7.2). Regionalanästhesie kann nicht als eine einheitliche Anästhesieform betrachtet werden, sondern umschreibt unterschiedlichste Anästhesietechniken, wozu einerseits neuroaxiale Blockaden in Form der Spinal- und Epidural-
anästhesie zählen, die als Single-Shot- oder Kathetertechnik durchgeführt wird. Andererseits werden zu den Regionalanästhesien auch periphere Blockaden ebenfalls in Single-Shot- oder Kathetertechnik, aber auch lokale Infiltrationstechniken bis hin zur Oberflächenanästhesie am Auge oder an Schleimhäuten gerechnet. Folglich muss bei der Anwendung von Regionalanästhesien besonders in der geriatrischen Anästhesie sehr wohl „Regionalanästhesie“ differenzierter betrachtet werden, da zwischen Infiltrationsanästhesie und neuroaxialen Kathetertechniken doch erhebliche Unterschiede auch hinsichtlich möglicher Komplikationen und Belastungen für den Patienten bestehen.
5.1.2 Analgosedierung und „Stand by“ Gerade bei peripheren Blockaden und Oberflächenanästhesien in der Augenheilkunde und der Zahnheilkunde wird besonders häufig bei älteren multimorbiden Patienten eine zusätzliche Analgosedierung oder zumindest ein anästhesiologischer „Stand by“ von operativer Seite gefordert (s. Kap. 6.11). Dieses Vorgehen erscheint zwar von operativer Seite und für den Patienten verständlich, ist aber von anästhesiologischer Seite gerade bei unkooperativen oder dementen geriatrischen Patienten kritisch zu bewerten. Gerade in dieser Patientengruppe kann Regionalanästhesie bisweilen zu erheblicher körperlicher Unruhe führen, sodass für den Operateur schwierige bis unmögliche Operationsbedingungen vorliegen. Um in dieser Situation optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen, ist in der Regel der Zusatz potenter Sedativa, häufig sogar der Zusatz von systemisch wirkenden Opioiden nötig, was zur unkontrollierten Sedierung bis hin zur gefährlichen „Pseudo-Allgemeinanästhesie“ führen kann. Durch überschießende Sedierung kommt es zur Hypoventilation bei bisweilen fehlenden Schutzreflexen der Atemwege. Damit ist der geriatrische Patient unter dieser „Stand by“-Analgosedierung mehr gefährdet als bei Durchführung einer Vollnarkose unter kontrollierten Bedingungen und einem sicheren Schutz der Atemwege. Andererseits ermöglicht gerade die anästhesiologisch betreute „Stand by“-Überwachung die Vermeidung einer Allgemeinanästhesie und deren Komplikationen im fortgeschrittenen Lebensalter. Allerdings muss der mit der Analgosedierung betreute Anästhesist sich der Gefahr der
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung ungewollten Allgemeinanästhesie sowie der veränderten Pharmakodynamik bzw. Pharmakokinetik der Sedativa in dieser Altersgruppe bewusst sein, um die Operation für den Patienten so sicher und angenehm wie möglich zu gestalten und optimale Operationsbedingungen zu schaffen. Wie für jede Medikamentengabe beim alten Patienten muss auch für die Medikamentengabe im „Stand by“ und für die Analgosedierung gefordert werden, titrierend so niedrig wie nur möglich zu dosieren und selbst für kleine Eingriffe in „Stand by“ den Patienten mit einem entsprechenden respiratorischen und kardiovaskulären Monitoring zu versehen. Aufgrund der veränderten Pharmakodynamik muss bei Sedativa die Initialdosis entsprechend niedrig gewählt werden, um entsprechende Überdosierungen zu vermeiden (s. Kap. 3.3). Zusätzlich muss bei längeren Eingriffen die verminderte Eliminationsrate auch in Hinblick auf eingeschränkte Organfunktionen berücksichtigt werden. Sollte es dennoch nicht möglich sein, den Patienten in dieser Situation zu stabilisieren, muss so früh wie möglich ein Technikwechsel in die Allgemeinanästhesie unter kontrollierten sicheren Bedingungen erfolgen. Als Sedativa bieten sich einerseits die Benzodiazepine an, die jedoch aufgrund ihrer langen Halbwertszeit im Alter nur bedingt empfohlen werden können (Hilgenberg 1986), sowie das Propofol, das jedoch ebenfalls trotz seiner guten Steuerbarkeit titrierend dosiert werden muss (Schnider et al. 1999) (s. Kap. 3.3). Wird eine Allgemeinanästhesie durchgeführt, so stehen neben der total intravenösen Anästhesie (TIVA) mit Propofol und kurz wirksamen Opioiden als Anästhetika auch die drei gebräuchlichsten Inhalationsanästhetika Isofluran, Sevofluran und Desfluran zur Verfügung (s. Kap. 3.5). Für alle drei Inhalationsanästhetika gilt, dass ihr MAC-Wert pro Lebensdekade um durchschnittlich 6 % abnimmt (Nickalls u. Mapleson 2003). Während beim jungen Patienten alle drei Anästhetika hinsichtlich Ihrer hämodynamischen Parameter als relativ inert einzuschätzen sind, kommt es im Alter zu erheblichen Änderungen der kardialen und autonomen Funktion durch veränderte Aktivität der βRezeptoraktivität, sodass auf Hypotensionen nicht mehr adäquat reagiert werden kann. Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass viele ältere Patienten über entsprechende Begleiterkrankungen verfügen, wie Diabetes mellitus und Hypertonie, die beide entscheidenden Einfluss auf die Gefäßvariabilität und autonome Reflexe haben (Burgos et al. 1989). Diese Pathophysiologie wird durch spezifische Medikation wie β-Blocker nochmals verstärkt, sodass auf Blutverlust und auf Blutdruckabfall durch anästhetikabedingte Vasodilatation keine adäquate Reaktion erfolgt und damit ausgeprägtere Blutdruckabfälle zu verzeichnen sind (Seymour u. Pringle 1983). Unbeantwortet ist bisher die Frage, ob in der Geriatrie die Regionalanästhesie der Allgemeinanästhesie überlegen ist. Metaanalysen konnten bisher nicht eindeutig belegen, ob bezüglich des Hauptkriteriums, des postoperativen Outcomes, Überlegenheit einer Technik vorliegt. Die bisherigen Ergebnisse sind sehr widersprüchlich und lassen sich nicht vereinheitlichen (Rodgers et al. 2000,
Rigg et al. 2002). Erklärbar sind diese widersprüchlichen Ergebnisse dadurch, dass es kaum möglich sein dürfte, durch Änderung eines einzelnen Parameters, eben der Anästhesietechnik, das Outcome für einen komplexen Eingriff wie eine schwere Operation zu verändern. Operationen stellen ein multimodales Geschehen dar, wobei die hierzu nötige Narkose per se eine sehr niedrige Komplikationsrate aufweist. Des Weiteren muss differenziert werden, ob es sich bei Regionalanästhesien in der Tat um reine Regionalanästhesietechniken handelt oder nicht vielmehr um Regionalanästhesien mit begleitender Analgosedierung, die häufig gerade beim geriatrischen Patienten der Allgemeinanästhesie sehr nahe kommen. In bisherigen Studien haben darüber hinaus Randbedingungen, die für das Outcome entscheidend sein könnten, wie Komedikation, Komorbidität, Dauer der Regionalanalgesie, Zusatzmedikationen in Form von systemischer Schmerztherapie, wenig Beachtung gefunden. Solange hierzu keine evidenzbasierten Daten vorliegen, ist es nach wie vor Aufgabe des erfahrenen Anästhesisten, für seinen Patienten und dessen individuellen Bedürfnisse eine optimale Entscheidung zu treffen und die geeignete Narkosestrategie festzulegen. Besteht hierbei die Möglichkeit, eine Regionalanästhesie alleine oder in Kombination mit einer Allgemeinanästhesie durchzuführen, so gilt es individuell die wesentlichen Vor- und Nachteile der einzelnen Techniken abzuwägen, um eine begründende Entscheidung zu treffen. Die Regionalanästhesie zeigt besonders beim älteren Patienten folgende Vorteile gegenüber der Allgemeinanästhesie: ● hämodynamische Stabilität ● respiratorische Stabilität ● gastrointestinale Integrität ● zentralnervöse Stabilität ● hämopoetische Stabilität ● perioperative Homöostase
Cave
Bereits geringe Mengen begleitender Sedativa zur Regionalanästhesie können diese vermeintlichen Vorteile gegenüber der Allgemeinanästhesie beseitigen, und dann müssen anstelle einer Allgemeinanästhesie vom Patienten die zusätzlichen Komplikationen der Regionalanästhesie in Kauf genommen werden.
5.1.3 Kardiale Effekte – hämodynamische Stabilität 1987 berichtete Yeager und seine Mitarbeiter (Yeager et al. 1987) in einer Studie an gefäßchirurgischen Patienten, dass Epiduralanästhesie im Gegensatz zur Allgemeinanästhesie das postoperative Outcome vor allem im Zusammenhang mit einer adäquaten postoperativen Schmerztherapie entscheidend verbessern kann. Diese Ergebnisse konnten in jüngeren Studien nicht immer in dieser Eindeutigkeit bestätigt werden, da inzwischen neuere Tech-
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5.1 Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie, Analgosedierung und „Stand by“ niken der Allgemeinanästhesie, postoperative Antikoagulationsregime und ausdifferenzierte systemische postoperative Konzepte der Schmerztherapie entscheidende Fortschritte brachten. In einer groß angelegten randomisierten Studie an geriatrischen Patienten konnte zwischen Allgemeinanästhesie (67,0 ± 8,8 Jahre) und Epiduralanästhesie (66,5 ± 8,9 Jahre) kein Unterschied hinsichtlich Tod oder schwerwiegenden Komplikationen bei abdominalchirurgischen Eingriffen nachgewiesen werden (Park et al. 2001). Eine Subgruppenanalyse dieser Untersuchung bestätigte, dass besonders bei Eingriffen an der abdominalen Aorta der Einsatz der Epiduralanästhesie postoperativ zur überlegenen Schmerztherapie führt und damit sowohl die Liegezeit auf der Intensivstation als auch das Outcome bei geriatrischen Patienten verbessert werden kann. Im groß angelegten australischen MASTERTrial konnte dieses Ergebnis nicht bestätigt werden; vielmehr fand sich eine signifikante Verminderung respiratorischer Komplikationen unter Epiduralanästhesie (Rigg et al. 2002, Peyton et al 2003). Andererseits konnte in einer Studie mit Schenkelhalsfrakturen bei geriatrischen Patienten ein postoperativer Outcomevorteil der präoperativen Epiduralanalgesie im Vergleich zur systemischen Analgesie aufgezeigt werden, wobei sich hier ein Überlebensvorteil hinsichtlich unerwünschter kardialer Komplikationen herauskristallisierte (Matot et al 2003). Inzwischen haben mehrere Metaanalysen (Rodger et al. 2000, Beattie et al. 2001, Wu et al. 2004b, Rigg et al. 2002) belegt, dass Regionalanästhesien, die postoperativ als Schmerztherapie weitergeführt wurden, die Inzidenz einer postoperativen Myokardischämie signifikant reduzieren können, und zwar sowohl unmittelbar postoperativ als auch im Intervall über 30 Tage hinweg. Andererseits war die Inzidenz anderer größerer Komplikationen bis auf das Auftreten von postoperativen Pneumonien in dieser Analyse im Vergleich zur Allgemeinanästhesie unverändert.
5.1.4 Respiratorische Effekte – respiratorische Stabilität Ein wesentlicher Vorteil der Regionalanästhesie bei älteren Patienten scheint der Erhalt des Bewusstseins und somit auch die selbstständige Kontrolle der Atemwege und der Schutzreflexe zu sein. Allgemeinanästhesie, ob mittels Larynxmaske, nasalem oder oralem Intubationstubus, erlaubt intraoperativ zwar die sichere Kontrolle der Atemwege, am Operationsende muss jedoch der Patient diese Kontrolle mit den entsprechenden Schutzreflexen wieder selbst übernehmen, wozu er wach und orientiert sein muss. Zusätzlich neigt der ältere Patient zu Atemwegsobstruktionen, die durch überhängende Muskelrelaxanzien und durch muskuläre Dysfunktion der Atemmuskulatur und des Zwerchfells verstärkt werden können (Rassias et al. 2003) (s. Kap. 2.3, Kap. 5.6). Diese respiratorische Dysfunktion ist nicht nur unmittelbar während der Allgemeinanästhesie vorhanden, sondern
kann postoperativ über Tage fortbestehen, überprüfbar durch eine deutlich verminderte funktionelle Residualkapazität (Craig 1981). Folglich finden sich häufig gerade bei geriatrischen Patienten postoperativ überproportional häufig Atelektasen, die bereits intraoperativ auch beim Lungengesunden nach kurzer Beatmungszeit auftreten. Ein deutliches Ventilations-Perfusions-Missverhältnis, die postoperative Gefahr von Hypoxämie und Hyperkapnie durch Opioidüberhang, nicht ausreichende postoperative Schmerztherapie sowie die allgemeine muskuläre Schwäche des geriatrischen Patienten können das Auftreten von Pneumonien nach Operationen deutlich begünstigen. Zusätzlich muss bedacht werden, dass ein Großteil der zentral wirkenden Anästhetika Einfluss auf den Atemantrieb nimmt und dadurch sowohl auf Hypoxie als auch auf Hyperkapnie keine adäquate Reaktion des Atemzentrums erfolgt (s. Kap. 7.1). Die wesentliche Vorteile aller Regionalanästhesien bestehen in der Vermeidung von mechanischen Manipulationen an den oberen Atemwegen, der Überdruckbeatmung der häufig vorgeschädigten Lungen, dem Erhalt der Schutzreflexe und den ungünstigen Effekten zentral wirkender Anästhetika und Analgetika auf den Atemantrieb. Bei peripheren Nervenblockaden, aber auch bei einer Spinal- und lumbalen Epiduralanästhesie, kommt es in der Regel zu keinerlei Beeinflussung der physiologischen Atemparameter (Steinbrock u. Concepcion 1991, McGarthy 1976) Bei hohen thorakalen bzw. zervikalen Blockaden sowie interkostalen und paravertebralen Blockaden können zwar durch Relaxation der interkostalen Muskulatur die Lungenvolumina beeinträchtigt werden, jedoch weitaus geringer als bei Allgemeinanästhesien, abgesehen davon, dass in der Regel zentral wirksame Anästhetika vermieden werden (Takasak u. Takahashi 1980). Gerade bei geriatrischen Patienten konnte gezeigt werden, dass Allgemeinanästhesie im Vergleich zu Regionalanästhesien bei orthopädischen Eingriffen an der unteren Extremität signifikant häufiger zu hypoxischen Zwischenfällen führt, dies besonders wenn Opioide sowohl intraoperativ aber auch postoperativ zur Analgesie eingesetzt werden (Catley et al. 1985). In großen Metaanalysen erwies sich gerade bei großen chirurgischen Eingriffen eine Kombination von Allgemeinanästhesie und Epiduralanalgesie hinsichtlich respiratorischer Komplikationen vorteilhafter als alleinige Allgemeinanästhesie kombiniert mit systemischer postoperativer Morphinanalgesie, wobei besonders die verminderte Inzidenz von Pneumonien und Ateminsuffizienz deutlich wurde (Rodgers et al. 2000, Rigg et al. 2002). Hierbei kommt den Opioiden eine besondere Rolle zu, da auch bei der Anwendung von Opioiden bei Regionalanästhesien mit vermehrtem Auftreten von Hypoxien besonders beim älteren Patienten gerechnet werden muss (Catley et al. 1985). In vielen Studien wurden trotz Einsatz von Regionalanästhesien zusätzlich Opioide lokal oder systemisch zur Analgesie oder Sedierung substituiert, wobei sich hierdurch häufig keine Überlegenheit der Regionalanästhesietechniken mehr nachweisen ließ (Liu et al. 1995a, Mann et al. 2000). Folglich sollte bei Einsatz von
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung Regionalanästhesie möglichst auf den begleitenden Einsatz von Opioiden verzichtet werden, da durch Opioide die positiven Effekte der Regionalanästhesie hinsichtlich der respiratorischen Stabilität ungünstig beeinflusst werden (s. Kap. 3.2).
Merke
Regionalanästhesien in Form von peripheren Blockaden, aber auch neuroaxiale Blockaden, scheinen besonders in der postoperativen Phase aufgrund der sehr guten Schmerztherapie für den älteren Patienten hinsichtlich kardialer und respiratorischer Komplikationen vorteilhaft zu sein.
5.1.5 Gastrointestinale Integrität – verminderte gastrointestinale Komplikationen Obwohl Regionalanästhesien keineswegs in der Lage sind, Nausea, Erbrechen und gastrointestinale Komplikation vollständig zu unterdrücken, scheinen diese unerwünschten Wirkungen darunter deutlich seltener und schwächer aufzutreten. Bezüglich gastrointestinaler Nebenwirkungen gilt ebenfalls, dass der zusätzliche Einsatz von Opioiden bei Regionalanästhesie deren Auftreten deutlich erhöht (Borgeat et al. 2003, Jorgensen et al. 2000). Bei peripheren und neuroaxialen Regionalanästhesien ohne Opioidzusatz findet sich so gut wie keine PONV, wobei der Zusatz von Propofol zur Analgosedierung als Antiemetikum diesen Effekt nochmals begünstigt. Die Pathophysiologie gastrointestinaler postoperativer Störungen ist nicht bis in alle Details aufgeklärt, jedoch ist bekannt, dass Schmerz und erhöhte Sympathikusaktivität sich ungünstig auf die gastrointestinale Motilität auswirken. Opioide können diese Blockade der gastrointestinalen Motilität noch weiter verstärken. Im Gegensatz hierzu kann durch den Einsatz der Epiduralanästhesie bzw. -analgesie die gastrointestinale Aktivität deutlich verbessert werden, indem es zur selektiven Blockade der sympathischen Aktivität und so zum Überwiegen des Parasympathikus kommt, wodurch die intestinale Durchblutung steigt. Anderseits erlaubt der Einsatz von Lokalanästhetika den teilweisen oder sogar vollständigen Verzicht auf Opioide. Möglicherweise haben Lokalanästhetika selbst positive Effekte auf die gastrointestinale Motilität, was den Einsatz der Regionalanästhesie zusätzlich rechtfertigen würde (Moraca et al. 2003, Breen u. Park 2002). Trotz dieser verbesserten gastrointestinalen Motilität unter Epiduralanalgesie ist die Gefahr einer Anastomoseninsuffizienz aufgrund der gesteigerten Peristaltik unbegründet, vielmehr zeigte sich in unterschiedlichsten Studien eine positiver Effekt sowohl auf die Darmmotilität als auch auf die Wundheilung (Holte u. Kehlet 2001). Bei abdominalen und thorakalen Eingriffen erscheint die opioidfreie postoperative thorakale Epiduralanästhesie allen anderen Formen der postoperativen Schmerztherapien überlegen, solange auf Opioide verzichtet
werden kann. Dasselbe kann bei peripheren Regionalanalgesien bei Eingriffen an den Extremitäten gefolgert werden. Besonders beim älteren Patienten ist die Aufrechterhaltung der gastrointestinalen Motilität von enormer Bedeutung, da gerade in dieser Patientengruppe der Gastrointestinaltrakt altersbedingt eine gewisse „Trägheit“ häufig bis hin zur Subileussymptomatik aufweist. Kommt ein chirurgisches Trauma hinzu oder wird die altersbedingte „Darmträgheit“ durch Opioide verstärkt, kann leicht eine Ileussymptomatik eintreten. Folglich ist es besonders in dieser Altersgruppe wichtig, die Motilität und Barrieretätigkeit des Gastrointestinaltrakts, der auch als Motor der Sepsis bezeichnet wurde, postoperativ aufrechtzuerhalten bzw. rasch wieder zu aktivieren.
5.1.6 Zentralnervöse Stabilität – postoperative Verwirrtheit und Delir Postoperative kognitive Dysfunktion und postoperatives Delir stellen sowohl medizinisch als auch sozioökonomisch eine große Herausforderung in der geriatrischen Chirurgie dar (s. Kap. 6.3, Kap. 7.1). Bisher ist die Pathogenese dieser schwerwiegenden postoperativen Störungen weitgehend unbekannt. Bekannt ist, dass im Verlauf des Lebens sowohl die Anzahl der Neurone als auch die Produktion an Neurotransmitter deutlich abnimmt, wobei die Abnahme der Neuronendichte nicht gleichmäßig über das gesamte zentrale Nervensystem erfolgt und zusätzlich geschlechtsspezifische Unterschiede zu erkennen sind. Des Weiteren nehmen neurologische Erkrankungen im Alter deutlich zu (Tab. 5.1; s. Kap. 6.3). Vorstellbar ist, dass für den normalen Alltag die neuronale Kapazität noch ausreicht, in Stresssituation oder unter Einfluss zentralwirksamer Anästhetika hingegen die zerebrale Kompensationsmöglichkeit zumindest vorübergehend oder sogar permanent überschritten wird, wodurch Krankheitsbilder wie postoperatives Delir oder kognitive Dysfunktion pathophysiologisch verständlich wären. Andererseits zeigen sich bei Regionalanästhesien überproportional häufig Hypotensionen aufgrund der peripheren Sympathikusblockade und der eingeschränkten kardialen und vaskulären Kompensationsmöglichkeiten, sodass vermutet werden könnte, dass aufgrund dieser beobachteten Hypotensionen besonders beim älteren Patienten häufiger mit postoperativen kognitiven Defiziten zu rechnen ist. Bisher konnte jedoch in keiner Studie eine Korrelation zwischen mäßiger intraoperativer Hypotension und dem Auftreten von postoperativen kognitiven Defiziten beim älteren Patienten herausgearbeitet werden, sodass Regionalanästhesien beim alten Menschen trotz der erhöhten Inzidenz an Hypotensionen als sicher einzuschätzen sind (Williams-Russo et al. 1999). Vor allem unter der Annahme eines negativen Effektes zentral wirksamer Anästhetika und Analgetika sollte der Einsatz von Regionalanästhesietechniken hinsichtlich postoperativer kognitiver Störungen in der Geriatrie vor-
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5.1 Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie, Analgosedierung und „Stand by“
Alter
60–69 Jahre Männer/Frauen
70–79 Jahre Männer/Frauen
≥ 80 Jahre Männer/Frauen
Apoplex
20,2/18,7
56,75/47,8
61,5/45,6
Tremor
7,6/9,0
17,0/24,6
22,7/24,32
Parkinson
0,6/3,2
3,4/7,8
6,5/3,0
Senile Demenz
3,8/3,2
7,9/6,4
22,7/45,6
Epilepsie
1,3/1,9
1,1/6,4
0,0/9,1
teilhaft sein (Mackensen u. Gelb 2004). Unterschiedliche Studien konnten jedoch zumindest für neuroaxiale Blockaden keine eindeutigen Vorteil gegenüber Allgemeinanästhesie hinsichtlich des neurologischen postoperativen Outcome nachweisen (Wu et al. 2004a). Gründe hierfür dürften vielfältig sein, jedoch ist hervorzuheben, dass auch bei Einsatz der Regionalanästhesie häufig Sedativa und systemische Analgetika entweder zur Prämedikation oder intraoperativ substituierend eingesetzt werden. Folglich liegen häufig keine reinen Regionalanästhesien vor, sondern zusätzlich eine Analgosedierung mittels zentralwirksamer Substanzen. Wird auf den Einsatz von Benzodiazepinen und anderen Sedativa prä- und intraoperativ vollständig verzichtet, so zeigt sich bei neuroaxialen aber auch bei peripheren Regionalanästhesien hinsichtlich postoperativer neuronaler Störungen eine deutlich niedrigere Inzidenz gegenüber der Allgemeinanästhesie (Inouye et al. 1993).
5.1.7 Hämopoetische Stabilität – verminderte perioperative Thromboserate und Blutverluste Anästhetika, perioperativer Stress und Operationstrauma beeinflussen die Homöostase in weiteren Systemen unseres Körper negativ, z. B. Blutbild, Immunabwehr und Gerinnung, wobei einerseits Hyperkoagulopathie, aber auch Hypokoagulopathien beschrieben wurden. Unter Allgemeinanästhesie kommt es bei orthopädischen und gynäkologischen Eingriffen gehäuft zur Aktivierung des Gerinnungssystems, sodass ohne entsprechenden Antikoagulationsschutz immer wieder Thrombosen beschrieben werden (Hantler et al. 2004). Hierbei ist besonders die erhöhte Inzidenz an Lungenembolien bei älteren Patienten nach Endoprothetikeingriffen hervorzuheben (Edelsberg et al 2001). In unterschiedlichen Studien bestätigte sich, dass neuroaxiale Blockaden im Vergleich zur Allgemeinanästhesie das Auftreten thromboembolischer Komplikationen nach chirurgischen Eingriffen an den Extremitäten günstig beeinflussen können (Wu u. Fleisher 2000). Wodurch dieser erwünschte Effekt der Regionalanästhesie verursacht wird, ist bisher nicht beantwortet. So werden eine Abschwächung der Stressantwort, eine verminderte Aktivierung des endothelialen Systems, antiinflammatorische
Tabelle 5.1 Auftreten neurologischer Krankheiten bei über 60-Jährigen pro 1000 (Quelle: Das et al. 2008).
Effekte der Lokalanästhetika, eine Aktivierung des fibrinolytischen Systems und eine verminderte Aktivität von Faktor VII unter Regionalanästhesie für die Effekte auf das Gerinnungssystem verantwortlich gemacht (Modig et al. 1983, Rosenfeld 1996, Hollmann et al. 2001). Sorenson und seine Mitarbeiter konnten in einer Metaanalyse in 13 randomisierten Studien, in denen Allgemeinanästhesie mit Regionalanästhesie bei Eingriffen an der unteren Extremität verglichen wurden, eine Reduktion der Inzidenz tiefer Beinvenenthrombosen um bis zu einem Drittel durch Regionalanästhesie nachweisen, wobei kritisch anzumerken ist, dass die verwendeten Antikoagulationsschemata in den dort verglichenen Studien nicht immer den heutigen Standards entsprachen (Sorensen u. Pace 1992). Durch die aufgrund der Sympathikusblockade unter Regionalanästhesie beobachteten Hypotensionen kommt es besonders bei orthopädischen, gynäkologischen aber auch urologischen Eingriffen zu einer signifikanten Reduktion des perioperativen Blutverlustes (Grass 2000). Da mäßige Hypotensionen sich nicht negativ auf den postoperativen kognitiven Status auswirken, kann durch Regionalanästhesietechniken bei diesen häufig blutenden Eingriffen der perioperative Fremdblutverbrauch gefahrlos vermindert werden (Williams-Russo et al. 1999).
5.1.8 Perioperative Homöostase – das endokrine System, Stressantwort und Immunsystem Im Gegensatz zur Regionalanästhesie erreicht bei den Allgemeinanästhesien die Information „Schmerz“ über afferente Neurone das Rückenmark, wo es durch Interneurone zu einer Verstärkung der Information „Schmerz“ kommen kann (Desborough 2000). Regionalanästhesien können per definitionem durch Blockade des afferenten, somatischen und sympathischen Nervensystems diese Aktivierung theoretisch potent blockieren, wodurch diese Narkoseformen der Allgemeinanästhesie durch Aufrechterhaltung der physiologischen Homöostase überlegen zu sein scheinen, was sich auch hinsichtlich der kardialen Stabilität zeigt. Als Antwort auf Stressreaktionen kommt es im Körper zum Katabolismus und in der Folge zur Hyperglykämie; unter Regionalanästhesie werden diese Stressantwort und die daraus resultierende postoperative Hyperglykämie und Glukoseintoleranz besser kompen-
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung siert als unter Allgemeinanästhesie. Andererseits hat Regionalanästhesie keinen Einfluss auf die Insulinspiegel im Plasma, sodass auch perioperativ von einem physiologischen Metabolismus ausgegangen werden kann (Holte u. Kehlet 2002). Die dadurch seltener auftretenden Blutzuckerentgleisungen sollten sich in einem besseren Outcome durch weniger Infekte, weniger Multiorganversagen und in letzter Konsequenz auch einer verminderten Mortalität widerspiegeln. Durch die verbesserte postoperative Glukosetoleranz und dem damit fehlenden stressbedingten Katabolismus findet sich bei Regionalanästhesien seltener eine negative Stickstoffbilanz, sodass wichtige körpereigene Proteine erhalten bleiben und durch rasche postoperative Nahrungsaufnahme eine beschleunigte Erholung nach operativen Eingriffen erwartet werden kann (Waurick u. Van Aken 2005).
5.1.9 Klinische Vorteile der Regionalanästhesie? Die Wahl der Anästhesietechnik – Regionalanästhesie versus Allgemeinanästhesie – hat nicht wie häufig erwartet einen hochsignifikanten Einfluss auf perioperative Morbidität und Mortalität unabhängig von der untersuchten Altersgruppe. Intuitiv scheint Regionalanästhesie beim geriatrischen Patient vorteilhaft, da während des gesamten Eingriffs ein wacher, kooperativer und spontan atmender Patient vorliegt, der nicht durch zentralwirksame Medikamente seiner Schutzreflexe entbehren muss. Zusätzlich werden durch kathetervermittelte Regionalanästhesietechniken optimale Voraussetzungen für eine adäquate postoperative Schmerztherapie ohne systemisch wirkende Analgetika geschaffen (s. Kap. 7.2). Hinsichtlich des postoperativen Outcomes muss jedoch bedacht werden, dass ein operativer Eingriff ein weitaus komplexeres Geschehen verkörpert als nur Anästhesie. Postoperatives Outcome wird wesentlich bestimmt von der Operation selbst, deren Dauer und Komplexizität, von Begleitkrankheiten des Patienten und dessen mentalen Zustand, aber auch von der Erfahrung des chirurgischen Teams und letztlich auch von der Erfahrung des Anästhesisten. Dies macht deutlich, dass ein einzelner Faktor wie Narkosetechnik nicht allein das postoperative Outcome bestimmen kann. Andererseits aber darf dies nicht dazu führen, der Narkosetechnik selbst keinerlei Bedeutung zuzumessen, da jeder einzelne Faktor mit zum postoperativen Gelingen beiträgt. Erlaubt die geplante Operation und der Zustand des Patienten eine alleinige Regionalanästhesie, so sollte diese stets bevorzugt eingesetzt werden. Intraoperative Narkoseführung durch alleinige Regionalanästhesie erlaubt dem Patienten wach zu bleiben, was ein optimales Neuromonitoring des geriatrischen Patienten garantiert. Auch kann bei dieser Narkosetechnik frühzeitig auf spezifische Warnsignale reagiert werden, wie etwa Angina pectoris, akute Luftnot, etc.; Warnsignale, die unter Allgemeinanästhesie nicht wahrgenommen werden können. Muss jedoch damit gerechnet werden, dass die
Dauer der Operation oder der Zustand des Patienten eine zusätzliche Sedierung erfordern, oder dass bei grenzwertiger Regionalanästhesie möglicherweise sogar eine begleitende Analgosedierung nötig wird, muss eine Allgemeinanästhesie mit gut steuerbaren Anästhetika möglicherweise in Kombination mit einem Regionalanästhesieverfahren ernsthaft erwogen werden (Abb. 5.1). Der entscheidende Vorteil einer zusätzlichen Regionalanästhesie ist neben Einspareffekten zentralwirksamer Anästhetika deren unmittelbare postoperative Überführung in eine adäquate Schmerztherapie. Allerdings haben groß angelegte kontrollierte Studien keinen Vorteil dieser Schmerztherapie gegenüber einer systemischen Schmerztherapie nach Allgemeinanästhesie gezeigt, obwohl die Patientenzufriedenheit unter Regionalanästhesie in der Regel höher ist (Liu et al. 1995b). Allerdings fehlen hier Studien, die ein besonderes Augenmerk auf geriatrische Patienten werfen, sodass bisher kein endgültiges Urteil gefällt werden kann. Andererseits müssen auch Limitationen und Risiken der Regionalanästhesie berücksichtigt werden, die gerade den Einsatz der neuroaxialen Blockaden bei geriatrischen Patienten erheblich einschränken. Adäquate postoperative Schmerztherapie erscheint gerade in der Geriatrie besonders wichtig, da besonders diese Altersgruppe aufgrund des erhöhten Risikos einer Myokardischämie, einer verminderten Lungenkapazität und einer erhöhten Sensitivität gegenüber Opioiden in der unmittelbaren postoperativen Phase besonders gefährdet ist (s. Kap. 7.1, Kap. 7.2). Folglich sollte der Einsatz einer adäquaten postoperativen Schmerztherapie einen positiven Impact auf das kardiovaskuläre, pulmonale und neurologische Outcome haben, aber auch Rehabilitationsergebnisse begünstigen (Capdevila et al. 1999).
Kernaussagen ●
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Altern stellt ein multifaktorielles Geschehen dar, das letztlich zu einer verminderten Kompensationsfähigkeit des alternden Organismus an akute Belastungssituationen wie etwa Traum oder Operationsstress führt. Altern ist keine Krankheit per se, sondern lediglich die häufiger auftretenden Begleiterkrankungen und die eingeschränkten Kompensationsmöglichkeiten stellen Besonderheiten des alternden Organismus dar. Für den geriatrischen Patienten per se gibt es keine ideale Anästhesie, vielmehr muss es Ziel des betreuenden Anästhesisten sein, die anästhesiebedingte Belastung für den alternden Organismus so niedrig wie möglich zu halten. Eine genaues Verständnis der physiologischen Änderungen im Alter sowie die geänderte Pharmakokinetik und Pharmakodynamik der unterschiedlichsten Anästhetika erlauben es dem Anästhesisten, eine möglichst optimale, individuelle Anästhesietechnik zu wählen. Intraoperativ ist möglichst großzügig ein erweitertes Monitoring einzuleiten, da der geriatrische Patient nicht nur pharmakologisch, sondern auch physiologisch als fragil bezeichnet werden muss.
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5.1 Allgemeinanästhesie versus Regionalanästhesie, Analgosedierung und „Stand by“ Abb. 5.1 Fallspezifische Anästhesieplanung. Die Entscheidung, ob eine Regionalanästhesie möglich ist, muss unter Berücksichtigung aller Faktoren (Patient, Operation, Umfeld) erfolgen. Eine zusätzliche Analgosedierung darf nicht zur Kompensation einer nicht ausreichenden Regionalanästhesie durchgeführt werden, sondern als zusätzliche Unterstützung für Patienten und Operateur.
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5.2 Monitoring F. Mielck
5.2.1 Einführung Die Alterung eines Menschen ist unvermeidbar mit einer Veränderung seiner Organfunktionen verbunden. Eine Abnahme der physiologischen Leistungsfähigkeit aller Organsysteme manifestiert sich in einer Abnahme der Grenzen der funktionellen Reserve bzw. einer reduzierten Kapazität zur Adaptation. Häufig wird eine eingeschränkte Organfunktionen erst durch eine Belastung erkennbar. Die herabgesetzte Belastungstoleranz bei alten Menschen prädisponiert in Abhängigkeit einer externen Reizgröße zu einer Organinsuffizienz bis hin zu einem Organversagen. Es ist eine elementare Aufgabe des Anästhesisten unmittelbar vor, während und nach der Narkose die Organfunktionen nicht nur zu überwachen, sondern Störungen zu therapieren. Die Überwachung und Behandlung der Organfunktionen erfolgt mit Hilfe von apparativem Monitoring und wird maßgeblich durch die Aufmerksamkeit, Erfahrung und Ausbildung des Anästhesisten und des Anästhesieteams ergänzt. Dennoch konnte keine Studie zeigen, dass Monitoring die Mortalität und Morbidität der Patienten verbessert. Technische Überwachungsverfahren reduzieren zwar das Risiko von Zwischenfällen, bieten aber insbesondere bei alten Patienten keine Garantie gegenüber Funktionsstörungen der Organsysteme (Palmer 2004, Prinz et al. 1990, Craig et al. 1987).
5.2.2 Kardiovaskuläres Monitoring Die größte klinische Relevanz bei der Änderung der kardiovaskulären Physiologie im Alter, ist die Zunahme der myokardialen und vaskulären Steifigkeit, die abgeschwächte β-adrenerg rezeptorvermittelte Modulation der Inotropie und Chronotropie sowie des vaskulären Tonus und die Dysfunktion des autonomen Nervensystems (Peibe 2000) (s. Kap. 2.2). Die altersbedingte Herzinsuffizienz ist häufig mit essenziellem Bluthochdruck und/ oder Myokardischämie und/oder Herzrhythmusstörungen vergesellschaftet. Neben einer verminderten chronotropen Antwort auf Katecholamine, die am ehesten durch eine verminderte β-adrenerge Rezeptoransprechbarkeit verursacht wird, führen degenerative Veränderung des Sinusknoten und/oder des Reizleitungssystems über Herzrhythmusstörungen zu einer Beeinträchtigung der kardialen Leistung (s. Kap. 3.7). Da das kardiovaskuläre System jedoch für den Transport von Sauerstoff und Sub-
straten zu den verschiedenen Organsystemen verantwortlich ist, können insbesondere im Alter bereits geringe Störungen dieser Einheit zu einer gesteigerten Morbidität führen. Das kardiovaskuläre Monitoring sollte daher den Funktionszustand des kardiovaskulären Systems und idealerweise auch der zu versorgenden Endorgane erfassen und überwachen.
Basismonitoring Das Basismonitoring besteht aus der kontinuierlichen Ableitung des EKG und einer intermittierenden nicht invasiven Blutdruckmessung. Das EKG dient der Überwachung der Herzfrequenz und des Herzrhythmus. Mit zunehmendem Alter und steigendem kardiovaskulären Risikoprofil ist eine automatisierte Überwachung des STSegmentes sowie eine 5-Kanal-Ableitung zur Detektion von Myokardischämie eine sinnvolle Zusatzüberwachung. Die diskontinuierliche nicht invasive Blutdruckmessung (NIBP) sollte bei jedem Patienten im Abstand von höchstens 5 Minuten durchgeführt werden. Die kapnometrische Überwachung bei beatmeten Patienten erfasst nicht nur die respiratorische und geräteseitige Funktion, sondern es können auch Informationen über die globale Hämodynamik (Abfall des end-tidalen CO2 bei Lungenembolie oder erniedrigtem HZV) sowie über den Metabolismus (CO2-Änderung bei Sepsis oder maligner Hyperthermie) gewonnen werden. Unabhängig von der Anästhesietechnik, der Art der Operation und des Zustandes des Patienten sollte das Basismonitoring des kardiovaskulären Systems zwingend bei jedem Patienten durchgeführt werden (Buhre u. Rossiant 2003).
Merke
Zum unverzichtbaren kardiovaskulären Basismonitoring gehören die kontinuierliche EKG-Ableitung und die intermittierende nicht invasive Blutdruckmessung.
Erweitertes hämodynamisches Monitoring Die invasive, kontinuierliche Messung des arteriellen Blutdrucks ermöglicht eine unmittelbare Detektion von arterieller Hypotonie bzw. Hypertonie, die jeweils die Organperfusion erheblich beeinträchtigen kann (Drum-
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung mond 1997). Sie sollte daher unabdingbarer Bestandteil der Überwachung instabiler, kritisch Kranker oder kardiovaskulärer Risikopatienten sein und bei operativen Eingriffen mit erheblichen Änderungen des intravaskulären Volumenstatus und nachfolgenden Blutdruckschwankungen, insbesondere bei alten Menschen, sorgfältig erwogen werden. Dem Vorteil, über den liegenden intravasalen Katheter Blutproben abzunehmen und damit die Überwachung der Blutgase, des Elektrolythaushaltes, des Metabolismus und der Gerinnungsparameter zu ermöglichen, stehen als Nachteil seltene Komplikationen wie Thrombose, Nervenverletzung, Hämatome, Infektionen oder versehentliche intraarterielle Injektion entgegen. Die Anlage eines zentralen Venenkatheters erfolgt primär zur sicheren Gabe von vasoaktiven Medikamenten, der kontinuierlich oder diskontinuierlich Messung der zentralvenösen Sauerstoffsättigung sowie des zentralen Venendruckes. Neben den allgemeinen Risiken bei zentraler Venenkanülierung, die versehentliche Punktion eines arteriellen Gefäßes sowie die Entstehung eines Pneumothorax haben katheterassoziierte Infektionen bis hin zur Sepsis erhebliche klinische Relevanz. Insbesondere bei alten Patienten sollte daher, aufgrund der herabgesetzten Immunkompetenz, die Liegedauer der ZVK so kurz wie notwendig gehalten werden (Domino et al. 2004). Die kontinuierlich oder diskontinuierlich gemessene zentralvenöse Sauerstoffsättigung (SzvO2) als hämodynamischer Parameter hat in der zielorientierten Therapie große Bedeutung erlangt (Dellinger et al. 2004). Dabei dient die SzvO2 als indirektes Maß für den Sauerstoffverbrauch der Gewebe und reflektiert die Menge an nicht metabolisiertem Sauerstoff, der im rechten Vorhof anlangt. Die SzvO2 wird vom O2-Verbrauch, dem Hämoglobinwert, der arteriellen O2-Sättigung und dem Herzzeitvolumen beeinflusst und erlaubt daher nur mit Einschränkung Rückschlüsse auf Änderungen dieser Variablen (Müller et al. 2003). In der perioperativen Phase entsteht eine arterielle Hypotonie in den allermeisten Fällen als Folge eines relativen oder absoluten Volumenmangels. Daher zählt die Einschätzung des intravasalen Volumenstatus und eine angepasste Flüssigkeitstherapie zu den Basismaßnahmen bei der Versorgung hämodynamisch instabiler Patienten. Häufig werden in der klinischen Routine der zentrale Venendruck (ZVD) und/oder der pulmonalarterielle Verschlussdruck (PAOP) als rechtsventrikulärer bzw. linksventrikulärer Füllungsdruck zur Abschätzung des Volumenstatus verwendet, obwohl diese Parameter nur bedingt zur Steuerung einer Volumentherapie geeignet sind, da die Korrelation zwischen Füllungsdrücken und intravaskulärem Blutvolumen zahlreichen Einflussfaktoren unterworfen ist. Statische Parameter wie das intrathorakale Blutvolumen (ITBV) und die enddiastolische Fläche (EDA) des linken Ventrikels sowie dynamische Parameter wie die „Pulse Pressure Variation“ (PPV) oder die „linksventrikuläre Schlagvolumenvariation“ (SVV) bilden als volumetrische Indizes die kardiale Vorlast wesentlich genauer ab als die Füllungsdrücke und eignen
sich daher besser zur Therapiesteuerung (Bendjelid u. Romand 2003, Kumar et al. 2004, Hoeft et al. 1994, Michard et al. 2000, Berkenstadt et al. 2001). Da eine relevante Gewebehypoperfusion trotz routinemäßiger Bestimmung von Parametern wie arterieller Blutdruck oder Herzfrequenz unerkannt bleiben kann, kommt der Messung des Herzzeitvolumens (HZV) in der Abschätzung des Sauerstoffangebotes an die einzelnen Organe eine besondere Bedeutung zu. In der klinischen Routine ist die Bestimmung des HZV mit Hilfe eines pulmonalarteriellen Katheters (PAK), der transpulmonalen Thermodilutionsmethode (TPTD) sowie der Echokardiografie möglich. Auch wenn der Einsatz des PAK mit zahlreichen Komplikationen assoziiert ist und daher die Indikation restriktiv gestellt werden sollte, so können doch mit dessen Hilfe Parameter wie HZV, ZVD, PAOP, pulmonalarterieller Druck (PAP) und gemischtvenöse Sauerstoffsättigung (SgvO2) direkt gemessen, und aus diesen wiederum zahlreiche Variablen wie systemvaskulärer Widerstand (SVR), pulmonalvaskulärer Widerstand (PVR) sowie das Schlagvolumen (SV) abgeleitet werden. Damit kann ein hämodynamisches Profil erstellt werden. Mit der weniger invasiven TPTD-Technik wird die Bestimmung des HZV mit der invasiven Messung des arteriellen Blutdruckes verbunden und die Thermodilutionskurve in der A. iliaca oder der A axillaris detektiert. Neben der Messung des HZV ermöglicht dieses Verfahren die Bestimmung von statischen und dynamischen Vorlastparametern sowie eine Abschätzung des extravaskulären Lungenwassers (EVLW) zur Optimierung der Volumentherapie (Pulmonary Artery Catheter Consensus Conference 1997, Godje et al. 1998). Die Echokardiografie ist auch für den Anästhesisten ein klinisch anwendbares Verfahren zur Beurteilung der Myokardfunktion, der Füllung des Herzens sowie der kardialen Morphologie. Obwohl dieses Verfahren sehr kostenintensiv ist und ein hohes Maß an Ausbildung und kontinuierlicher Weiterbildung erfordert, wird der Einsatz bei Patienten – insbesondere auch bei alten Patienten – mit einem kardialen Risikoprofil zur Diagnostik und Therapiesteuerung empfohlen (Benson u. Cahalan 1995, Lambert et al. 1999).
5.2.3 Monitoring des respiratorischen Systems Grundsätzlich verursacht das Altern des Menschen eine Reduktion der pulmonalen Reserve (s. Kap. 2.3, Kap. 6.5). Während mit zunehmendem Alter die Atemmechanik durch die Abnahme der Elastizität der Lunge und der maximalen Thoraxbeweglichkeit beeinträchtigt wird, wird die Effizienz des Gasaustausches durch progrediente Abnahme des PaO2 aufgrund einer Zunahme des Ventilations-Perfusions-Missverhältnisses verschlechtert. Dennoch können unter Ruhebedingungen bei alten Patienten Symptome einer pulmonalen Dysfunktion fehlen, wohingegen in einer Belastungssituation wie einer Narkose mit künstlicher Beatmung die Lungenfunktion akut dekom-
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5.2 Monitoring pensieren kann. Ältere Patienten entwickeln eher eine Apnoe, zeigen häufiger ein periodisches Atemmuster und reagieren gehäuft mit einer Atemdepression nach der Gabe von Opioiden und Benzodiazepinen. Die Überwachung des respiratorischen Systems unmittelbar vor, während und nach der Anästhesie ist daher unverzichtbar.
Basisüberwachung Zur Basisüberwachung des respiratorischen Systems sollten die Kapnometrie/-grafie und die Pulsoxymetrie routinemäßig eingesetzt werden. Mit der Kapnometrie wird bei beatmeten Patienten die CO2-Konzentration in der Atemluft während des Atemzyklus gemessen. Mit Hilfe einer grafischen Darstellung als Kapnografie können typische Kurvenformen Hinweise auf Ursachen einer respiratorischen Störung oder eine unbemerkten Fehlintubation geben. Die Kapnometrie erscheint bei beatmeten Patienten als Basismonitoring zwingend erforderlich (Williamson et al. 1993, Caplan et al. 1997). Die Pulsoxymetrie schätzt den arteriellen O2-Gehalt des Blutes ab. Mit diesem nicht invasiven, kontinuierlichen Messverfahren wird plethysmographisch gestützt die arterielle Sauerstoffsättigung des Blutes mit einer Genauigkeit von ± 2 % zwischen 80–100 % SaO2 transkutan detektiert. Sind keine peripheren Pulswellen vorhanden (Vasokonstriktion, Hypothermie, Hypovolämie oder Schock), funktioniert die Pulsoxymetrie wegen des zu geringen Signals nur unzureichend. Beim Shivering, unkontrollierten Muskelfaszikulationen sowie bei unruhigen Patienten können falsche Werte durch Bewegungsartefakte auftreten. Die routinemäßige Anwendung dieses Überwachungsverfahrens erscheint jedoch aufgrund einer multifaktoriell bedingten geringen Hypoxietoleranz alter Patienten zwingend erforderlich, denn durch die Pulsoxymetrie können während der Anästhesie sowie im Aufwachraum signifikant häufiger respiratorische Komplikationen erkannt werden (Moller et al. 1993a, Moller et al. 1993b).
Merke
Zum unverzichtbaren Basismonitoring des respiratorischen Systems gehören die Kapnometrie und die Pulsoxymetrie.
5.2.4 Zusatzmonitoring Alte Menschen haben aufgrund reduzierter physiologischer Kompensationsmechanismen eine verminderte Kältetoleranz. Daher stellt die Vermeidung der intraoperativen Hypothermie ein wesentliches Ziel des perioperativen Managements dar und sollte als interdisziplinäre Aufgabe betrachtet werden (s. Kap. 5.3). Bereits eine milde Hypothermie führt zu einem erhöhten postoperativen Blutverlust und Transfusionsbedarf sowie einer gesteigerten Rate an Wundinfektionen (Kurz et al. 1996,
Schmied et al. 1996). Hingegen führt die perioperative Aufrechterhaltung der Normothermie zu einer signifikanten Reduktion des Risikos für akute kardiovaskuläre Komplikationen (Frank et al. 1997). Unabhängig von der Art der Anästhesie sollte die Überwachung der Körpertemperatur unverzichtbarer Bestandteil des Basismonitorings sein. Patienten im hohen Lebensalter haben einen eingeschränkten hepatischen Metabolismus sowie eine reduzierte renale Clearance (s. Kap. 3.1). Daher steigt die Gefahr von kumulativen Effekten von Medikamenten wie z. B. Digitalisglykosiden, Antibiotika und einigen nicht depolarisierenden Muskelrelaxanzien (Rupp et al. 1987). Da bereits eine geringgradige Restrelaxation mit einem erhöhten Risiko für Hypoventilation und Aspiration assoziiert ist (Eriksson et al. 1992, Eriksson et al. 1997), kann die Überwachung der neuromuskulären Übertragung bei alten Patienten von Bedeutung sein, insbesondere wenn lang wirkende Muskelrelaxanzien eingesetzt werden (s. Kap. 3.4). Mit Hilfe der Relaxometrie kann die neuromuskuläre Funktion klinisch überwacht werden. Hierbei werden üblicherweise Stimulationsmodi wie die Train-ofFour-Stimulation (TOF-Stimulation) und die DoubleBurst-Stimulation (DBS) eingesetzt. Der Einsatz der Relaxometrie kann bei alten Patienten mit Erkrankungen aus dem neuromuskulären Formenkreis sowie bei schweren Stoffwechselerkrankungen sehr hilfreich sein (VibyMogensen 2001). Neben einer zerebrovaskulären Insuffizienz ist mit zunehmendem Alter eine stetige Abnahme der Aktivität des ZNS über einen Verlust an Neuronen sowie eine Abnahme der Übertragungsgeschwindigkeit in peripheren Nerven von klinischer Bedeutung (s. Kap. 2.1). Dabei kann die Steuerung der Anästhesietiefe bezüglich erforderlicher Dosierungen für injizierte und inhalierte Anästhetika eine Herausforderung darstellen, wenn klinische Zeichen wie die hämodynamischen und vegetativen Reaktionen des Patienten herangezogen werden. Diese Reaktionen stellen äußerst unzuverlässige Indikatoren dar, da die Stressantwort des Patienten nicht nur von der Anästhesietiefe, sondern auch von einer Reihe von Faktoren wie z. B. dem Sympathikotonus, einer vorliegenden Infektion oder einer Komedikation mit β-Blocker abhängig ist. Eine gute Korrelation zur Anästhesietiefe konnte mit der BIS-Analyse (BIS: Bispektralindex) gefunden werden, wobei das BIS ein Monitoringverfahren darstellt, das eine bispektrale Analyse des EEG in der Zeit- und Frequenzdomäne repräsentiert (Drummond 2000). Die Narkosetiefe wird in einer dimensionslosen Zahl zwischen 0 und 100 wiedergegeben, wobei als Grenzwert für eine ausreichende Anästhesietiefe BIS-Werte zwischen 40–60 angesehen werden (Gan et al. 1997). Das BIS kann bei alten Patienten in der Steuerung der Anästhesietiefe hilfreich sein.
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Kernaussagen ●
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Das kardiovaskuläre Basismonitoring (kontinuierliche EKG-Ableitung und intermittierende nicht invasive Blutdruckmessung) kann erweitert werden um die invasive kontinuierliche Blutdruckmessung (instabil, kritisch Kranke und kardiovaskuläre Risikopatienten, kardiovaskulär kritische Eingriffe). Die Anlage eines ZVK erfolgt zur Messung des zentralen Venendruckes, der zentralvenösen Sauerstoffsättigung und der sicheren Gabe von vasoaktiven Medikamenten. Das HZV und weitere hämodynamische Parameter können über einen pulmonalarteriellen Katheter, mittels Thermodilution oder die Echokardiografie bestimmt werden. Das Basismonitoring des respiratorischen Systems besteht aus Kapnografie/-metrie und Pulsoxymetrie. Aufgrund des bei alten Menschen höheren Risikos der intra- und postoperativen Hypothermie erfolgt die Überwachung der Körpertemperatur. Aufgrund der bei alten Menschen häufig eingeschränkten Leber- und Nierenfunktion und der damit verbundenen Gefahr der Kumulation von Medikamentenwirkungen, im Zusammenhang mit einer Anästhesie insbesondere von Muskelrelaxanzien, sollte die neuromuskuläre Funktion bei gefährdeten Patienten mittels der Relaxometrie überwacht werden. Bei alten Menschen sind die üblichen klinischen Zeichen zur Überwachung der Narkosetiefe nur eingeschränkt beurteilbar. Die Anästhesietiefe wird daher besser mittels der Bispektralindex-Analyse (BIS) überwacht.
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5.3 Wärmemanagement A. Bräuer
Merke
Ein perioperatives Absinken der Körperkerntemperatur unter 36 °C wird als perioperative Hypothermie bezeichnet.
5.3.1 Entstehung von perioperativer Hypothermie bei Allgemeinanästhesie Nahezu alle Patienten, die ohne spezielle wärmeprotektive Maßnahmen unter Allgemeinanästhesie operiert werden, werden intraoperativ hypotherm (Vaughan et al. 1981). Die dabei auftretende Hypothermie folgt einem charakteristischen Muster. In der ersten Stunde nach Narkoseeinleitung fällt die Körperkerntemperatur relativ rasch. An diese Phase schließt sich eine Phase von 2 bis 3 Stunden an, in der die Körperkerntemperatur etwas langsamer abfällt. Dauert der Eingriff noch länger, so bildet sich meist ein Plateau der Körperkerntemperatur aus. Jede dieser Phasen hat eine unterschiedliche Ursache (Sessler 2000). Die Phase des schnellen Abfalls der Körperkerntemperatur nach Narkoseeinleitung ist hauptsächlich durch Wärmeumverteilung aus dem Körperkern in die Peripherie bedingt. Die Phase der Wärmeumverteilung dauert ungefähr eine Stunde (Abb. 5.2). Der wesentlichste Faktor, der das Ausmaß der Wärmeumverteilung bestimmt, ist der Wärmegehalt der Körperperipherie. Ist die Körperperipherie sehr kalt, so ist die Wärmeumverteilung sehr viel ausgeprägter, als wenn die Körperperipherie vor Narkoseeinleitung warm ist (z. B. nach Vorwärmung des Patienten). Dies liegt daran, dass der Temperaturgradient zwischen Körperkern und Körperperipherie die treibende Kraft für die Wärmeumverteilung ist. Die lineare Phase dauert ungefähr 2 bis 3 Stunden an. In dieser Phase wird die Auskühlung durch die kalte Umgebung im OP bestimmt, die zu einer negativen Wärmebilanz führt. Die Plateauphase schließt sich an die lineare Phase an. In dieser Phase bleibt die Körperkerntemperatur konstant, während die Temperatur der Körperperipherie kontinuierlich weiter sinkt (Sessler 2000). Bei hohem Flüssigkeitsumsatz mit unzureichend erwärmten Infusionen und Blutprodukten kann die Plateauphase ausbleiben.
Besonderheiten im Alter Aufgrund der hohen Komorbidität und der vielfältigen pharmakologischen Einflüsse auf die Thermoregulation (Kenney u. Munce 2003) weisen viele ältere Menschen präoperativ eine niedrige Körperkerntemperatur auf. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Patienten präoperativ nur eine Körperkerntemperatur von 36,1 oder 36,2 °C aufweisen (Mitchell u. Kennedy 2001), wird klar, dass die Wärmeumverteilung allein schon ausreicht, um den Patienten hypotherm werden zu lassen. Des Weiteren erleichtert die niedrigere Vasokonstriktionsschwelle bei älteren Menschen das Auftreten von perioperativer Hypothermie (Kurz et al. 1993). Daher ist ein hohes Alter ein Risikofaktor für das Auftreten von perioperativer Hypothermie (Kasai et al. 2002, Kurz et al. 1993, Vaughan et al. 1981). So beträgt im eigenen Patientenkollektiv die Häufigkeit von postoperativer Hypothermie nach großen urologischen oder gynäkologischen Eingriffen trotz intraoperativem Einsatz von konvektiver Luftwärmung bei Patienten < 75 Jahre 38 % und bei Patienten > 75 Jahre 69 %.
Abb. 5.2 Wärmeumverteilung nach Narkoseeinleitung.
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung
5.3.2 Entstehung von perioperativer Hypothermie bei rückenmarksnaher Regionalanästhesie
fusionsbedarf (Hofer et al. 2005, Rajagopalan et al. 2008).
Wundheilung und Wundinfektion Auch bei rückenmarksnahen Regionalanästhesien kommt es ohne besondere wärmeprotektive Maßnahmen regelhaft zur perioperativen Hypothermie. Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren führen in den betäubten Arealen zur Vasodilatation. Dadurch kommt es zur Wärmeumverteilung in den betäubten Bereich. Die Veränderungen sind bei Spinal- und Periduralanästhesien vergleichbar. Dennoch tritt unter Spinalanästhesie früher eine Hypothermie auf, da die Wärmeumverteilung schneller verläuft als unter Periduralanästhesie (Ozaki et al. 1994).
Besonderheiten im Alter Auch bei rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren ist ein fortgeschrittenes Alter ein Risikofaktor für die Entwicklung einer perioperativen Hypothermie (Frank et al. 2000). Das Risiko steigt mit der Ausdehnung der Blockade an.
5.3.3 Komplikationen durch perioperative Hypothermie Patienten die intraoperativ auskühlen haben häufiger relevante Komplikationen. Dies sind im Einzelnen:
Kardiovaskuläre Risiken Kadiale Ereignisse wie z. B. instabile Angina pectoris, Myokardinfarkt, Herzstillstand, Myokardischämien und ventrikuläre Tachykardien (Frank et al. 1997). Die Tatsache, dass perioperative Hypothermie gerade diejenigen kardialen Ereignisse signifikant häufiger auftreten lässt, die die führende Todesursache während und unmittelbar nach Narkose sind, unterstreicht die Bedeutung des perioperativen Wärmemanagements. Daher wird die Aufrechterhaltung der perioperativen Normothermie auch in den ACC/AHA-Guidelines (Fleisher et al. 2008) empfohlen.
Gerinnungsstörung und vermehrter Transfusionsbedarf Unter Hypothermie ist die Blutgerinnung auf zwei Ebenen gestört. Es kommt zu einer Störung der Thrombozytenfunktion und einer Störung der plasmatischen Gerinnung (Sessler 2001). Die Folgen dieser Gerinnungsstörung zeigen sich in einem vermehrten perioperativen Blutverlust und daraus folgend einem vermehrten Trans-
Perioperative Hypothermie erhöht die Rate an Wundheilungsstörungen und Wundinfektionen signifikant (Kurz et al. 1996).
Postoperative Katabolie In mehreren Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass perioperative Hypothermie die postoperative Katabolie verstärkt. Dabei zeigt sich insbesondere ein vermehrter Muskelproteinabbau (Carli et al. 1989).
Verlängerter Aufenthalt im Aufwachraum Patienten, die hypotherm in den Aufwachraum kommen, benötigen länger, bis sie entlassen werden können (Bock et al. 1998, Lenhardt et al. 1997). Hypotherme Patienten zittern im Aufwachraum signifikant häufiger (Horn et al. 1998). Dies führt zu einem Abfall der Sauerstoffsättigung, zu Steigerung des Atemminutenvolumens und zu technischen Störungen der Sauerstoffsättigungsmessung, der EKG-Erfassung und der Blutdruckmessung. Kältegefühl und Kältezittern werden von vielen Patienten als sehr unangenehm empfunden. All diese Komplikationen erhöhen die Behandlungskosten. Durch die hypothermieassoziierte Gerinnungsstörung mit vermehrtem perioperativen Blutverlust und vermehrtem Transfusionsbedarf können relevante Kosten entstehen. Dabei spielen weniger die direkten Kosten für Blutprodukte (ca. 100 € für ein Erythrozytenkonzentrat) eine wichtige Rolle, sondern die mit der Transfusion verknüpften Folgekosten durch vermehrte Wundinfektionsund Pneumonieraten im postoperativen Verlauf. Diese Kosten werden auf 1000 bis 14 000 US $ je betroffenem Patient geschätzt (Spöhr u. Böttiger 2002). Durch diese Probleme steigt auch die Krankenhausverweildauer an (Kurz et al. 1996). Vor diesem Hintergrund ist selbst eine aufwendige Hypothermieprophylaxe beim richtigen Patientenkollektiv kosteneffektiv (Hofer et al. 2005, Ng et al. 2003).
5.3.4 Messung der Körperkerntemperatur In den Standards for basic anesthetic monitoring wird 2005 von der ASA empfohlen, bei jedem Patienten, bei dem perioperativ klinisch signifikante Änderungen der Körperkerntemperatur intendiert, vorausgesehen oder
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5.3 Wärmemanagement vermutet werden, die Körperkerntemperatur zu überwachen. Dies gilt sowohl für die Allgemeinanästhesie als auch für die Regionalanästhesie und Analgosedierung. Eine klinisch signifikante Änderung der Körperkerntemperatur muss bei praktisch jeder Allgemeinanästhesie, Regionalanästhesie oder Analgosedierung mit einer Dauer von mehr als 30 Minuten vermutet werden (Sessler 1999).
peratur eine ausgeglichene Wärmebilanz des Patienten zu erzielen, müssten Temperaturen von mehr als 26 °C erreicht werden (El-Gamal et al. 2000). Eine solche OPSaaltemperatur liegt jedoch weit über den Temperaturen, die von Operateuren als angenehm empfunden werden (Mora et al. 2001). Ein sinnvoller Kompromiss liegt bei einer OP-Saaltemperatur von ungefähr 22 °C.
Wärmeprotektion durch Atemgasklimatisierung
Wahl des Messortes Das ideale Verfahren zur Erfassung der Körperkerntemperatur verfügt über eine hohe Genauigkeit, erlaubt eine kontinuierliche Überwachung der gesamten perioperativen Phase und weist kein Verletzungsrisiko für den Patienten auf. Eine einfache Sondenplatzierung, keine Dislokationsgefahr bei Lagerungsmanövern, sowie eine geringe Belästigung des wachen Patienten sind weiterhin wünschenswert. Im Regelfall sollte die Platzierung einer Temperatursonde vom OP-Feld entfernt erfolgen (Tab. 5.2).
5.3.5 Adäquates Wärmemanagement – Wärmeprotektionsverfahren Ein adäquates Wärmemanagement setzt neben der Auswahl des geeigneten Verfahrens auch die an die Pathophysiologie angepasste Handhabung des Verfahrens voraus. Dabei ist in aller Regel die Kombination mehrerer Verfahren erforderlich.
Wärmeprotektion durch Erhöhung der Raumtemperatur Die Erhöhung der Raumtemperatur um 1 °C führt zu einer Reduktion des Wärmeverlustes über die Haut um ca. 10 °%. Um allein durch eine Erhöhung der OP-Saaltem-
Atemgasklimatisierung mit aktiven oder passiven Atemgasbefeuchtern reduziert die pulmonal bedingten Wärmeverluste weitgehend. Eine relevante Wärmezufuhr ist jedoch nicht möglich.
Wärmeprotektion durch Heizmatten unter dem Rücken Obwohl der Wärmeaustausch über Konduktion hocheffektiv ist (Bräuer et al. 2004a), ist die Effektivität von Heizmatten unter dem Rücken nicht sehr groß. Dies liegt an der relativ geringen Kontaktfläche und der Tatsache, dass über den Rücken perioperativ nur sehr wenig Wärme verloren geht.
Wärmeprotektion durch Heizmatten, die auf den Körper gelegt werden Der Einsatz von Heizmatten, die auf den Körper gelegt werden, ist effektives Verfahren (Hofer et al. 2005). Der mit dieser Methode erzielte Wärmetransfer ist sehr stark vom erzielten Kontakt zwischen Wärmer und Körperoberfläche abhängig. In den Bereichen, in denen kein direkter Kontakt zwischen Heizmatte und Haut besteht, findet nur ein Wärmeaustausch durch Radiation statt.
Tabelle 5.2 Genauigkeit und Eignung verschiedener Messorte zur Erfassung der Körperkerntemperatur in Abhängigkeit von der klinischen Situation. Messort
Genauigkeit
Eingriffe am Kopf
thorakale Eingriffe
abdominelle Eingriffe
urogenitale Eingriffe
periphere Eingriffe
Eingriffe in Regionalanästhesie
Pulmonalarterie
sehr gut
(x)
(x)
x
–
–
–
Ösophagus
sehr gut
x
–
(x)
x
x
–
oral
sehr gut
–
–
–
x
x
x
Gehörgang
mäßig
–
x
x
x
x
x
Nasopharynx
gut
(x)
x
x
x
x
–
Harnblase
gut
x
x
(x)
–
x
(x)
Rektum
mäßig
x
x
(x)
–
x
(x)
x geeignet; (x) unter bestimmten Umständen geeignet; – ungeeignet oder nicht indiziert.
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Wärmeprotektion durch konvektive Luftwärmer Konvektive Luftwärmung hat sich in vielen Studien als effektiv erwiesen und ist durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Deckenmodellen flexibel einsetzbar (Bock et al. 1998, Bräuer et al. 2000, Ng et al. 2003). Dennoch ist die damit erzielte Änderung der Wärmebilanz nicht immer ausreichend, um eine perioperative Normothermie sicherzustellen (Leben u. Tryba 1997, Smith et al. 1998).
Wärmeprotektion durch Isolation Isolation reduziert die radiativen und konvektiven Wärmeverluste über die Haut. Reflektierendes Isolationsmaterial zeigt in klinischen Untersuchungen keine besseren Ergebnisse als andere Materialien (Bräuer et al. 2000, Ng et al. 2003). Der Isolationswert der eingesetzten Materialien kann durch mehrlagigen Einsatz verbessert werden (Bräuer et al. 2004b).
Wärmeprotektion durch Infusionswärmer Infusionserwärmung ist ein beim gezielten Einsatz effektives Wärmeprotektionsverfahren. Die Zufuhr größerer Mengen (mehr als 500–1000 ml/h) ungewärmter Blutprodukte oder Infusionslösungen führt zu einem relevanten Abfall der mittleren Körpertemperatur. Leistungsfähige Infusionswärmer können relevante Wärmeverluste durch Blutprodukte oder Infusionslösungen minimieren (Moerer et al. 2004), eine relevante Wärmezufuhr zum Patienten ist damit nicht möglich (Sessler 2001).
An die Pathophysiologie angepasste Handhabung der Wärmeprotektionsverfahren Neben individuellen Risikofaktoren wie dem hohen Alter spielt auch die operative Situation eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer perioperativen Hypothermie. Die häufigsten operativen Situationen lassen sich mit ihren typischen Relationen von Operationsgebiet zu möglicher Therapiefläche für eine Wärmetherapie durch 2 verschiedene Szenarien charakterisieren: 1. Ein kleines Operationsfeld mit einer verbleibenden großen Fläche für die Wärmeprotektion (z. B. periphere Eingriffe). 2. Ein großes Operationsfeld mit einer kleineren verbleibenden Fläche für Wärmeprotektion (z. B. abdominelle oder thorakale Operationen). Die Reihenfolge der Szenarien steht einerseits für zunehmende Wärmeverluste mit Vergrößerung des OP-Feldes, andererseits für eine in dieser Ordnung abnehmende Therapiefläche.
5.3.6 Präoperative Maßnahmen Präoperative Maßnahmen zur Verhinderung von perioperativer Hypothermie zielen auf eine Erhöhung der Wärmemenge in der Körperperipherie. Durch die Reduktion des Temperaturgradienten zwischen Körperkern und Körperperipherie kann die Wärmeumverteilung vom Körperkern in die Peripherie nach Narkoseeinleitung reduziert werden. Dies kann durch Vorwärmung erreicht werden, die unmittelbar nach Ankunft des Patienten in der Wartezone vor dem OP begonnen werden kann (Sessler 2001). Wird perioperativ konvektive Luftwärmung angewandt, so sollte die Kosteneffektivität des Verfahrens durch den kombinierten präoperativen und intraoperativen Einsatz erhöht werden. Die Vorwärmung kann z. B. mit einer längs über den Körper gelegten Oberkörperdecke, einer Unterkörperdecke, einer Unterlegdecke oder einer Decke mit integriertem OP-Fenster durchgeführt werden, die dann intraoperativ weiter verwendet werden kann. Die optimale Dauer der Vorwärmung liegt zwischen 30 und 60 Minuten. Die konsequente Durchführung von Vorwärmung verlangt jedoch einen verlässlichen OPPlan, organisatorisches Geschick und die Kooperation von vielen beteiligten Abteilungen. Da die erforderliche Logistik im Alltag selten sichergestellt werden kann, ist das Verfahren der Vorwärmung nicht weit verbreitet, obwohl es sehr effektiv ist.
Intraoperativ Intraoperativ ist die möglichst großflächige aktive Wärmung der Körperoberfläche bedeutsam. Dies kann entweder konvektiv oder konduktiv erfolgen. In manchen Situationen kann der Einsatz von teuren, aber hocheffektiven konduktiven Wärmesystemen sinnvoll und kosteneffektiv sein (Hofer et al. 2005). Bei großen Flüssigkeitsumsätzen von mehr als 500 bis 1000 ml/h sollte ein Infusionswärmer eingesetzt werden. Wenn dieser eingesetzt wird, so sollte er von Anfang an, also schon während der Narkoseeinleitung eingesetzt werden. Die Körperoberfläche, die nicht aktiv gewärmt werden kann, sollte isoliert werden. Der Einsatz von Atemgasklimatisierung oder Heizmatten unter dem Rücken ist wenig effektiv, kann aber zusätzlich angewandt werden. Eine Wärmeprotektion, die nur intraoperativ angewandt wird, ist nicht immer ausreichend effektiv (Vanni et al. 2003). Daher sollten die präoperativen Methoden ebenfalls konsequent durchgeführt werden. Bei Patienten mit geringerem Risiko für eine perioperative Hypothermie kann je nach Situation auf manche wärmeprotektiven Maßnahmen verzichtet werden. Bei relativ kurzen Eingriffen oder kleinen Eingriffen im Kopfbereich (z. B. in der HNO und Augenheilkunde) kann intraoperativ auf eine aktive Wärmetherapie verzichtet werden und nur mit Isolation gearbeitet werden. Allerdings ist die präoperative Vorwärmung auch bei diesen Patienten häufig sinnvoll.
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5.3 Wärmemanagement
Postoperativ Aufgrund der erhöhten Inzidenz an postoperativen kardialen Zwischenfällen (Frank et al. 1997) bedürfen hypotherme Patienten mit hohem koronarem Risiko der besonderen Aufmerksamkeit. Falls eine Hypothermie nicht verhindert werden konnte, sollte die Narkose in die postoperative Phase hinein verlängert, und der Patient nachbeatmet und aktiv gewärmt werden. In der postoperativen Phase erschwert die wieder einsetzende Thermoregulation die externe Wiedererwärmung. Dennoch hat auch postoperative Wärmetherapie sowohl zur Prophylaxe und Therapie des Muskelzitterns als auch zur Minderung der Belastung des Herz-Kreislaufsystems ihre Berechtigung. Als medikamentöse Therapie des postoperativen Muskelzitterns haben sich Pethidin (25–50 mg i. v.) und Clonidin (0,075–0,15 mg i. v.) bewährt (De Witte u. Sessler 2002).
Kernaussagen ●
●
Bei älteren Patienten tritt eine perioperative Hypothermie häufiger auf als bei jüngeren Patienten. Dies ist hauptsächlich durch die Vorerkrankungen und die Beeinträchtigung der thermoregulatorischen Abwehrmechanismen bedingt. Die Komplikationen durch perioperative Hypothermie sind beim älteren Patienten meist gravierender. Daher sollte bei diesen Patienten besonders auf ein adäquates Wärmemanagement geachtet werden. Die Strategien des Wärmemanagements sind jedoch dieselben wie bei jüngeren Patienten.
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5.4 Volumenmanagement Y. Zausig
5.4.1 Veränderungen des Wasserelektrolythaushaltes im Alter
Diese Veränderungen erhöhen die Gefahr einer perioperativen Überwässerung. Zudem ist die Natriumexkretion im Alter vermindert, wodurch eine übermäßige Natriumzufuhr im Rahmen der perioperativen Flüssigkeitstherapie die Gefahr der perioperativen „Salzintoleranz“ erhöht (Lobo et al. 2002). Die Flüssigkeitsaufnahme ist aufgrund
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Mit zunehmendem Alter verändert sich der Wasserelektrolythaushalt des Menschen. So sinkt das Gesamtkörperwasser (GKW) mit Zunahme des Alters kontinuierlich bis auf 45–50 % ab (Abb. 5.3). Unabhängig vom Alter ist das GKW auf verschiedene Kompartimente verteilt (Abb. 5.4). Die Abnahme des GKW betrifft im Alter im zunehmenden Maße den Intrazellularraum und hat somit im weiteren Sinne Einfluss auf das Verteilungsvolumen und führt zu einer Beeinflussung der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Alter (Allison u. Lobo 2004). Störungen des Wasserelektrolythaushaltes kommen im Alter gehäuft vor und sind durch die (patho-) physiologischen Veränderungen der Regulationsmechanismen des Wasserelektrolythaushaltes, der Niere und des kardiovaskulären bzw. vasomotorischen Systems bedingt (s. Kap. 6.8). So ist einer der 10 häufigsten Aufnahmegründe im Krankenhaus bei über 65-jährigen Patienten in England eine Störung des Wasserelektrolythaushaltes (Callum et al. 1999). Im Alter führen strukturelle und funktionelle Veränderungen zu einer Reduktion der Funktion und Kompen-
sation der Niere (Allison u. Lobo 2004, Luckey u. Parsa 2003): ● Abnahme der Nierenmasse um 20–25 % ● Verminderung der Anzahl der Glomerula und Nephrone ● Abnahme des Gesamtkörperwassers (GKW) auf 45– 50 % des Körpergewichtes ● Abnahme der glomerulären Filtrationsrate GFR (1 ml/ min/Lebensjahr) ● Reduktion der Konzentrationsfähigkeit ● Veränderungen im renalen Hormonhaushalt: – Zunahme der ANP- und ADH-Serum-Konzentration (ANP: atrial natriuretisches Peptid; ADH: antidiuretisches Hormon) – Abnahme der Renin- und Aldosteron- der SerumKonzentration ● Abnahme des renalen Blutflusses um 40–50 % ● Störung der freien Ausscheidung von Wasser.
Abb. 5.3 Anteil des Gesamtkörperwassers (GKW) am Körpergewicht in Abhängigkeit des Alters.
Abb. 5.4 Verteilung des Gesamtkörperwassers (50 % von 70 kg entspricht 35 Liter) im Organismus. IZR: Intrazellularraum; TZR: Transzellularraum; EZR: Extrazellularraum.
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5.4 Volumenmanagement einer Verminderung der Sensitivität der Volumen- und Osmorezeptoren verändert, wodurch das Durstgefühl reduziert wird. Zudem können Änderungen der Trinkgewohnheiten im Alter (z. B. aufgrund von Harninkontinenz und Blasenfunktionsstörungen; s. Kap. 2.5) die Flüssigkeitsaufnahme (un-)bewusst vermindern (Lawlor 2002).
Merke
Altersbedingte physiologische Veränderungen per se führen zu keiner Störung des Wasserelektrolythaushalts des alten Menschen im Alltag, jedoch kann dieses sensible System unter „Stressbedingungen“ (z. B. perioperativ) erheblich gestört werden. Mit dem Alter des Patienten steigt die Anzahl der Begleiterkrankungen, Voroperationen bzw. Interventionen an und Medikamente werden immer häufiger eingenommen (s. Kap. 4.2) (Clergue et al. 1999). Eine Vielzahl dieser Erkrankungen (z. B. Tumorleiden, Herz- und Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus oder Demenz) können direkt oder indirekt den Wasserelektrolythaushalt beeinflussen. So weisen Tumorpatienten häufig eine Dehydration kombiniert mit einer Hyponatriämie auf (Lawlor 2002). Assoziierte Organstörungen (z. B. entzündliche oder obstruierende Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts, Blutung, Fieber, Durchfall) führen darüber hinaus zu einer weiteren Störung des Wasserelektrolythaushalts (Zausig 2006). Zudem beeinflussen eine Vielzahl der eingenommenen Medikamente (z. B. Diuretika, ACE-Hemmer, Kortikosteroide, Antidepressiva, Carbamazepine, Clofibrate, Neuroleptika) direkt oder indirekt die Flüssigkeitsaufnahme bzw. -abgabe und Verteilung im Körper (Lawlor 2002). Die Diagnose einer Störung des Wasserelektrolythaushalts lässt sich nur durch eine ausführliche Anamnese der Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe sowie durch klinische und laborchemische Untersuchungen stellen, da es keinen Goldstandard zur laborchemischen Bestimmung des Volumenstatus gibt (Zausig 2006). Im Alter wird die klinische Diagnose zudem erschwert, da subjektive Beschwerden wie Durst fehlen können und neurologische Einschränkungen differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden müssen (Allison u. Lobo 2004).
Merke
Das Gesamtkörperwasser beim alten Menschen ist um bis zu 50 % reduziert. Pathophysiologisch kommt zu einer Reduktion der Funktion (Filtration, Resorption und Konzentration) und Kompensation der Niere sowie zu einer Minderung des Durstgefühls. Störungen des Wasserelektrolythaushalts sind demnach im fortgeschrittenen Alter häufiger.
5.4.2 Perioperative Flüssigkeitstherapie Grundsätzlich ist die perioperative Flüssigkeitstherapie nicht abhängig vom Alter, sondern von der Funktionalität der einzelnen Organe und dem individuellen Bedarf des Patienten. Wichtigstes Ziel der perioperativen Flüssigkeitstherapie ist die Erhaltung der Normovolämie zur ausreichenden Versorgung des Gewebes. Durch Vermeidung von perioperativen Störfaktoren des Flüssigkeitshaushaltes und einem adäquaten, konzeptbasierten und/ oder individuellen Ausgleich eines gestörten Wasserelektrolythaushalts kann dieses Ziel erreicht werden. Dabei können durch eine adäquate Flüssigkeitstherapie Morbidität und Letalität reduziert und die Krankenhausverweildauer und die medizinischen Kosten gesenkt werden (Holte et al. 2007). Derzeit gibt es keine speziellen Infusionslösungen für den alten Patienten. Aus dem großen Angebot ergibt sich eine breite Auswahlmöglichkeit für die perioperative Flüssigkeitstherapie. Jedoch birgt die unterschiedliche Zusammensetzung der einzelnen Lösungen beim alten Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion die Gefahr der zusätzlichen Störung des Wasserelektrolythaushalts (Zausig 2007).
Perioperative Störfaktoren des Flüssigkeitshaushaltes Perioperativer „Stress“ erzeugt eine Reihe von metabolischen, humoralen, laborchemischen und immunlogischen Veränderungen. Diese führen zu einem katabolen Stoffwechselzustand und einer verstärkten Natrium- und Wasserretention (Lobo et al. 2002). Der Flüssigkeitsverlust über Haut und Atemwege („Perspiratio insensibilis“) beeinflusst den perioperativen Flüssigkeitshaushalt nur gering (ca. 0,5 bis 1 ml/kg/h). Hingegen kann der Verlust in den so genannten „dritten Raum“, bei dem es sich sehr wahrscheinlich vor allem um das Interstitium handelt, den Schwund größerer Mengen an elektrolythaltigen und proteinreichen Wassers aus dem intravasalen Raum bedeuten (Jacob et al. 2007). Von Seiten der Anästhesie kann in Abhängigkeit vom angewendeten Verfahren (z. B. Regionalverfahren vs. Vollnarkose) bzw. von den verwendeten Anästhetika (z. B. Inhalationsanästhetika, Lokalanästhetika) und Medikamenten (Infusionslösungen, Kortikosteroide, Diuretika, Katecholamine etc.) der Wasserelektrolythaushalt und damit auch das kardiovaskuläre System noch weiter gestört werden. Chirurgische Maßnahmen wie beispielsweise das massive Abführen vor gastrointestinalen Eingriffen oder zur präoperative Diagnostik (z. B. Koloskopien) können zu einer präoperativen Dehydratation führen. Zudem hat das operative Vorgehen (Laparatomien vs. oberflächliche Eingriffe) einen direkten Einfluss auf den Flüssigkeitshaushalt des älteren Patienten. Postoperativ können Stö-
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung rungen des Wasserelektrolythaushalts durch Nachblutungen, Drainagenverluste und Flüssigkeitsverschiebungen (z. B. Ileus, Aszites, Pleuraergüsse, PONV) bedingt sein. Als direkte Folge einer Störung des Wasserhaushalts ist das ältere Patientengut besonders von einem akuten perioperativen Nierenversagen gefährdet, das erwiesenermaßen mit einer hohen Mortalität assoziiert ist (Luckey u. Parsa 2003). Präventive Maßnahmen gegen ein akutes Nierenversagen beinhalten Normothermie, Normovolämie, ein ausreichendes Herzzeitvolumen und die Vermeidung von Nephrotoxinen wie Aminoglykoside, Kontrastmittel, NSAID und die Beachtung postrenaler Abflussstörungen (z. B. Prostatahyperplasie) (Jarnberg 2004).
Merke
Eine Reihe von perioperativen Störfaktoren (Vorerkrankungen, Medikamente, Nüchternheit, massives Abführen) gefährden den sensiblen Flüssigkeitshaushalt des alten Menschen.
Intraoperative Flüssigkeitsgabe – Vorgehen nach Standard In Standardlehrbüchern der Anästhesie werden Formeln (z. B. „4–2–1“-Formel) zur Berechnung des intraoperativen Basisbedarfes angegeben (Miller 2004). Zusätzlich zur Basistherapie sollen Flüssigkeitsverluste durch „Perspiratio insensibilis“ oder Flüssigkeitsverschiebungen in den „dritten Raum“ bzw. in das Interstitium in Abhängigkeit der Ausdehnung der Operation ausgeglichen werden (Miller 2004). Zusätzliche Verluste wie Blutungen müssen diesem Konzept zu Folge gesondert ersetzt werden (Zausig 2006). Dieses Vorgehen birgt jedoch die Gefahr einer inadäquaten Volumengabe in sich, da weder das operative Vorgehen selbst noch der individuelle Bedarf des Patienten berücksichtigt wird. Ergebnisse aktueller Studien, Konzepte und Leitlinien können das perioperative Management ergänzen (Zausig 2006). So zeigen aktuelle Daten, dass bei gesunden Patienten (ASA I-II), die sich elektiv klein- bis mittelgroßen Eingriffen (Leistenhernienoperationen, Kürettagen etc.) unterziehen müssen, durch die prä- oder intraoperative Gabe von 1–3 l Flüssigkeit die Komplikationsrate (z. B. PONV) vermindert und das Wohlbefinden gesteigert werden kann. Darüber hinaus scheint die Einhaltung von perioperativen mulitmodalen Konzepten, z. B. im Rahmen der „Fast-Track“-Chirurgie, zu einer Verbesserung des Outcomes zu führen (Holte et al. 2007). Inwieweit diese Ergebnisse auch auf alte Patienten übertragen werden können, bleibt derzeit unklar.
Individuelle und zielgerichtete Flüssigkeitstherapie („Goal directed Therapy“) Durch ein individuelles und adaptierbares Konzept, welches sich an hämodynamischen Parametern orientiert, kann das perioperative Outcome des Patienten deutlich verbessert werden (Goepfert et al. 2007, Holte et al. 2007, Sinclair et al. 1997, Zausig 2007). Dabei nutzt man so genannte Surrogatparameter zur Abschätzung des Volumenstatus. In diesem Zusammenhang unterscheidet man statische Parameter der kardialen Vorlast (zentralvenöser Druck, pulmonalarterieller Verschlussdruck) von nicht statischen Parametern. Statische Parameter reflektieren weder den eigentlichen Blutfluss, noch kann bei normalen Werten eine Hypovolämie ausgeschlossen werden (Grocott et al. 2005). Dennoch kann eine (konzeptbasierte) gezielte Flüssigkeitstherapie auch anhand von statischen Parametern zu einer Reduktion der postoperativen Morbidität und der Krankenhausverweildauer bei kolonchirurgischen Eingriffen führen (Zausig 2007). Nicht statische Parameter („Pulse pressure Variation“, ösophagealer Doppler, „Global end diastolic Volume Index“) erlauben die Abschätzung und Quantifizierung des Flüssigkeitsstatus aufgrund der Volumenreagibilität. Sinclair et al. zeigten, dass eine individuelle intraoperative Flüssigkeitsgabe der Therapie anhand statischer Parameter bei Patienten > 55 Jahre mit Femurfrakturen hinsichtlich der postoperativen Erholung und der Krankenhausaufenthaltsdauer überlegen war (Sinclair et al. 1997). Derartige Ergebnisse werden auch aus der Allgemeinchirurgie berichtet (Zausig 2007). Besonders Patienten mit einem erhöhten perioperativen Risiko profitieren von einer konzeptbasierten, an nicht statischen Parametern orientierten Flüssigkeitsgabe. So zeigte sich bei kardiochirurgischen Eingriffen, dass eine konzeptbasierte Flüssigkeitstherapie mittels transpulmonaler Thermodilution und Pulskonturanalyse die Gabe von Katecholaminen und die Dauer der mechanischen Beatmung deutlich reduzieren und den Intensivstationaufenthalt verkürzen konnte (Goepfert et al. 2007).
Merke
Grundsätzlich unterscheidet sich die Flüssigkeitstherapie beim alten nicht von der beim jungen Menschen. Jedoch können bei Zunahme der Vorerkrankungen Kompensationsmechanismen vermindert oder gar aufgehoben sein. Demnach ist eine individuelle und zielgerichtete Flüssigkeitstherapie indiziert.
5.4.3 Perioperative Gabe von Blutprodukten Ziel der perioperativen Gabe von Blutprodukten ist zum einen die Verbesserung der Oxygenierung des Gewebes durch Anhebung des Hämoglobins und zum anderen die Verbesserung der Gerinnungssituation durch die Gabe von Thrombozyten und Plasmaprodukten.
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5.4 Volumenmanagement Die Hämoglobinkonzentration im Blut ist eine der wichtigsten Determinanten für ein ausreichendes Sauerstoffangebot. Dieses wiederum errechnet sich als Produkt aus Herzzeitvolumen (HZV) und arteriellem Sauerstoffgehalt (caO2) und beträgt in der Norm 900–1200 ml/min. Der arterielle Sauerstoffgehalt selbst ergibt sich aus der Summe aus physikalisch gelöstem und chemisch gebundenem Sauerstoff. Es gilt: DO2 = caO2 × HZV = (SaO2 × caHb × 1,39 + paO2 × 0,003) × HZV. Anhand dieser Formel wird deutlich, dass das Sauerstoffangebot vor allem durch das HZV und den chemisch an (arterielles) Hämoglobin gebundenen Sauerstoff bestimmt wird (Madjdpour et al. 2005). Eine der häufigsten Diagnosen in der geriatrischen Bevölkerung ist eine Anämie. So nimmt der Hämoglobinwert bei gesunden alten Menschen altersabhängig ab (Sieber 2006), wobei chronische Erkrankungen und Malnutrition diese physiologischen Veränderungen noch weiter aggravieren können. Bei bestehender Anämie kann durch Zunahme des Herzzeitvolumens ein ausreichendes Sauerstoffangebot in begrenztem Umfang sichergestellt werden. So zeigen echokardiographische Untersuchungen bei älteren Patienten mit erniedrigten Hämoglobinwerten (im Mittel 6,3 g/dl) einen signifikanten Anstieg des HZV in Ruhe, vor allem durch eine Zunahme des Schlagvolumens. Diese „physiologische“ Fähigkeit der Kompensation kann aufgrund von kardialen Erkrankungen eingeschränkt oder gar aufgehoben sein. Zudem können die im fortgeschrittenen Alter typischen Veränderungen des kardiovaskulären und zerebrovaskulären Systems (s. Kap. 2.2) selbst die Sauerstoffversorgung peripherer Gewebe deutlich einschränken. Aus diesen Gründen reagiert das Gleichgewicht zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffverbrauch beim alten Menschen sehr sensibel. Das primäre perioperative Ziel beim alten Menschen ist somit eine Vermeidung der Anämie (durch Gabe von Erythrozytenkonzentraten, fremdblutsparenden Maßnahmen sowie durch akute normovolämische Hämodilution und die Autotransfusion) (Spöhr u. Böttiger 2002). Normovolämie vorausgesetzt, ist eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten aktuellen Empfehlungen zu Folge bei Hämoglobinwerten < 6 g/dl zwar nicht zwingend, aber meistens indiziert. Bei Werten zwischen 6 und 10 g/dl sind sowohl das individuelle Risiko des einzelnen Patienten als auch mögliche Komplikationen aufgrund einer inadäquaten Sauerstoffversorgung entscheidend. Bei Werten über 10 g/dl ist eine Bluttransfusion nur äußerst selten indiziert (Madjdpour et al. 2005). Zu beachten ist, dass die Gabe von Blutprodukten zumindest potenziell eine Reihe von Gefahren in sich birgt (Tab. 5.3). Bei Patienten > 80 Jahre werden Werte von 7–8 g/dl (intraoperativ und auf der Intensivstation) bzw. 8–9 g/dl (Normalstation) als erstrebenswert erachtet (Spahn et al. 2004). Jedoch sollte diesen Überlegungen statt dem chronologischen vielmehr das biologische Alter zugrunde lie-
gen. Besonders bei älteren Patienten empfiehlt sich eine Abwägung zwischen Risiko und Nutzen einer Transfusion. Dabei sollte die Indikation abhängig von dem Schweregrad der Anämie, der Dauer der Anämie, dem Vorhandensein kontinuierlicher Blutverluste, dem intravaskulären Volumenstatus, von Zahl und Schweregrad eventueller Begleiterkrankungen sowie dem Risiko der Transfusion gestellt werden. In diesem Zusammenhang können klinische Zeichen einer inadäquaten Sauerstoffversorgung (hämodynamische Instabilität, ST-Strecken-Veränderungen, Anstieg des Serum-Laktats, Anstieg der O2-Extraktion > 50 %, ein PvO2 < 32 mmHg oder ein Abfall des VO2 > 10 %, eine verminderte Urinproduktion sowie Bewusstseinsänderungen) bei der Entscheidung zur Transfusion richtungsweisend sein (Spahn et al. 2004).
Merke
Anämien treten bei alten Menschen häufig auf. Zur Vermeidung von Transfusionskomplikationen sind Maßnahmen zur Einsparung von Fremdblut wie beispielsweise die Eigenblutspende, die akute normovolämische Hämodilution und die Autotransfusion indiziert. In Abhängigkeit vom Alter, den Vorerkrankungen und klinischen Zeichen einer inadäquaten Sauerstoffversorgung kann eine Transfusion unter Abwägung von Nutzen und Schaden bei normovolämischer Anämie nötig sein.
Kernaussagen ●
●
●
Der Wasserelektrolythaushalt eines alten Menschen unterscheidet sich deutlich von dem eines jungen Menschen. Das Gesamtkörperwasser beim alten Menschen ist reduziert, und aufgrund von (patho)physiologischen Veränderungen besteht eine Funktionseinschränkung der Niere und eine Verminderung des Durstgefühls. Dieses sensible System kann zusätzlich durch eine Reihe von perioperativen Störfaktoren (Vorerkrankungen, Medikamente, Nüchternheit, Abführmaßnahmen) gefährdet werden. Die perioperative Flüssigkeitstherapie unterscheidet sich beim alten Menschen grundsätzlich nicht von der beim jungen Menschen. Aufgrund der erhöhten Wahrscheinlichkeit für perioperative Komplikationen sollte jedoch eine individuelle und zielgerichtete Flüssigkeitstherapie durchgeführt werden. Bei normovolämischer Anämie kann eine Transfusion in Abhängigkeit vom Alter, den Vorerkrankungen und klinischen Zeichen einer inadäquaten Sauerstoffversorgung indiziert sein. Der Einsatz von fremdblutsparenden Maßnahmen sollte zur Vereidung transfusionsbedingter Komplikationen immer erwogen werden.
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung Tabelle 5.3 Ausgesuchte Risiken der allogenen Bluttransfusion und Trigger nach Hämoglobin (Quellen: Madjdpour et al. 2005, Deutsches Transfusionsgesetz 2005 und Spahn 2004) Art des Risikos
Geschätzes Risiko pro Einheit an transfundiertem Blut
Infektion Viren ●
Human Immunodeficiency Virus (HIV)
●
1 : 1 468 000–4 700 000
●
Hepatitis-B-Virus (HBV)
●
1 : 31 000–205 000
●
Hepatitis-C-Virus (HCV)
●
1 : 1 935 000–3 100 000
●
Zytomegalie-Virus (CMV)
●
nach Einführung der Leukozytendepletion nur noch theoretische Einzelfälle
Bakterien (Kontamination)
1 : 2000–8000 (Thrombozyten)/ 1 : 28 000–143 000 (Erythrozyten)
Parasiten ●
Malaria
●
1 : 4 000 000
●
erste zwei Fälle beschrieben
Prionen ●
neue Variante der Creutzfeld-Jakob-Krankheit
immunologische Reaktionen hämolytische Transfusionsreaktionen ●
akut – mit tödlichen Ausgang
●
1 : 13 000 – 1 : 500 000 bis 1 : 1 000 000
●
verzögert – mit tödlichen Ausgang
●
1 : 9000 – 1 : 1 000 000
Alloimmunisierung
1 : 1600
Immunosuppression
1:1
transfusionsassoziierter akuter Lungenschaden (TRALI)
1 : 70 000
Fehltransfusion
1 : 14 000–18 000
Transfusionstrigger* (g/dl)
Evidenz-basiert
intraoperativ und Intensivstation
postoperativ und Normalstation
alle Patienten
6
7
7–8
Patienten > 80. Lebensjahr
7–8
8–9
Patienten mit schwerer KHK
8
8–9
Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz
8
8–9
Patienten mit > einer Katecholamintherapie
8
–
Patienten mit SaO2 < 90 %
8–9
9
* Transfusionstrigger haben nur orientierenden Charakter. Transfusion nur bei normovolämischer Anämie. Abweichungen sind bei klinischen Zeichen einer inadäquaten Sauerstoffversorgung nötig.
Literatur Allison SP, Lobo DN. Fluid and electrolytes in the elderly. Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2004; 7: 27–33 Callum KG, Gray AJG, Hoile RW et al. Extremes of Age: The 1999 Report of the National Confidential Enquiry into perioperative deaths. London: National Confidential Enquiry into Perioperative Deaths; 1999 Clergue F, Auroy Y, Pequignot F et al. French survey of anesthesia in 1996. Anesthesiology 1999; 91: 1509–1520 Goepfert MS, Reuter DA, Akyol D et al. Goal-directed fluid management reduces vasopressor and catecholamine use in cardiac surgery patients. Intensive Care Med 2007; 33: 96–103 Grocott MP, Mythen MG, Gan TJ et al. Perioperative fluid manage-
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5.5 Atemwegsmanagement A. Timmermann
5.5.1 Einführung Im folgenden Kapitel werden die pathophysiologischen Veränderungen des Alters in Bezug auf das Atemwegsmanagement beschrieben. Anhand der Besonderheiten werden Empfehlungen, sowohl für die Sicherung der Atemwege in der Routineversorgung als auch beim schwierigen Atemweg, gegeben (siehe Praxisanleitung). Besonderheiten des Atemwegsmanagements im Alter: ● verminderter Effekt der Präoxygenierung ● erhöhte Prävalenz der schwierigen Maskenbeatmung: – lückenhafter Zahnstatus erschwert den Maskenschluss – verminderte Compliance der Lunge und des Brustkorbes ● erhöhtes Aspirationsrisiko: – verminderte Schutzreflexe – gehäufte Prävalenz von Hiatushernien ● häufiger Stimmbandlähmungen nach endotrachealer Intubation ● rheumatoide Arthritis als Prädiktor einer schwierigen Intubation, deren Prävalenz mit steigendem Alter zunimmt
Praxisanleitung Empfehlungen zum Atemwegsmanagement im Alter ● Effektive Präoxygenierung immer durchführen. ● Maskenbeatmung mit Zahnprothese. ● Großzügige Indikationsstellung zur wachen fiberoptischen Intubation bei Patienten mit vermuteter schwieriger Atemwegssicherung. ● Die Anwendung einer Larynxmaske ist sicher und hat potenzielle Vorteile gegenüber einem Endotrachealtubus. ● Frühzeitige Extubation bei erhöhter Inzidenz an Stimmbandlähmungen anstreben.
5.5.2 Veränderungen der Atemwege und des Gastrointestinaltrakts Präoxygenierung Einige Veränderungen, die im Alterungsprozess stattfinden beeinflussen die Effektivität und den Effekt der Präoxygenierung. Während einerseits der O2-Verbrauch in Ruhe von 143 ml × min-1 × kg-1 bei 20-Jährigen auf 124 ml ×
min-1 × kg-1 bei 60-Jährigen sinkt und der paO2 im Alter progredient abnimmt (Wahba 1975), beinträchtigen andererseits Veränderungen der pulmonalen Funktion die O2-Aufnahme (s. Kap. 2.3). Insbesondere nimmt das kritische Verschlussvolumen mit dem Alter zu. Dies führt zu einer Abnahme der Denitrogenisierung, sodass die Zeit zur effektiven Präoxygenierung ungefähr verdoppelt ist. Somit sollte die Präoxygenierung beim älteren Menschen sehr sorgfältig für mindestens 3 Minuten mit dichtem Gesichtsmaskenschluss durchgeführt werden, bis die FeO2 ≥ 0,8 beträgt (Bhatia et al. 1997, McGowan u. Skinner 1995, Valentine et al. 1990).
Merke
Die Präoxygenierung sollte beim altem Patienten wegen der schlechteren Denitrogenisierung immer sorgfältig für > 3 Minuten durchgeführt werden.
Aspirationsrisiko Genaue Untersuchungen hinsichtlich des Aspirationsrisikos bei älteren Menschen liegen derzeit nicht vor, jedoch erscheint das Aspirationsrisiko im Alter erhöht, da insbesondere die Reaktivität der Schutzreflexe mit zunehmenden Alter abnimmt (Wahba 1975). Dies wird durch eine erhöhte Prävalenz an Risikofaktoren einer Aspiration (z. B. Hiatushernien) und eine vermutete verlangsamte Magenentleerung verstärkt.
Stimmbandlähmungen nach endotrachealer Intubation Ingesamt ist die Inzidenz an Stimmbandlähmungen mit 0,077 % sehr gering. Kikhura und Mitarbeiter berichten aber von einem erhöhten Risiko (Odds-Ratio [OR] = 3,6) bei einem Alter von 50–70, bzw. einer OR = 3,9 bei über 70-Jährigen. Ursächlich wird derzeit die zunehmende Degeneration des Larynxgewebe im Alter diskutiert. Unter dem Cuffdruck des Endotrachealtubus kommt es zu Mikrozirkulationsstörungen, die diesen Bereich anfälliger für akute Entzündungen machen. Außerdem führen die Mikrozirkulationsstörungen zu einer Minderversorgung des N. laryngeus recurrens und seiner peripheren Äste im Larynx und somit zu einer neuronalen Degeneration. Hieraus folgt eine nervale Paralyse und somit eine Stimmbandlähmung. Die Dauer der Intubation trägt
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5.5 Atemwegsmanagement dabei wesentlich zum Ausmaß der Stimmbandparalyse bei. Daher sollten bei großen Eingriffen anästhesiologische Strategien gewählt werden, die eine frühzeitige Extubation zulassen. Obwohl genauere Untersuchungen zur Inzidenz der Stimmbandparalysen nach Langzeitbeatmung beim älteren Menschen auf der Intensivstation fehlen, sollten aus diesen Erwägungen alternative Verfahren frühzeitig zur Anwendung kommen.
Merke
Zahnprothesen verbleiben bis zur Einleitung im Operationssaal und werden erst vor der Laryngoskopie bzw. Larynxmaskeneinlage entfernt. Der Einsatz von Atemwegshilfen, wie beispielsweise eines Güdeltubus, sowie eine suffiziente Präoxygenierung sollte obligat stattfinden.
Merke
Maskenbeatmung immer mit der Zahnprothese durchführen.
Das Risiko für Stimmbandlähmungen ist beim älteren Menschen erhöht.
Larynxmasken (LMA)
5.5.3 Techniken zur Atemwegssicherung Maskenbeatmung Die schwierige Maskenbeatmung stellt nach den „Practice Guidelines for Management of the difficult Airway“ der American Society of Anesthesiologists eine eigenständige Klasse innerhalb des schwierigen Atemwegsmanagements dar. Sie ist definiert als eine Situation, in der es dem Anästhesisten nicht möglich ist, eine adäquate Maskenbeatmung durchzuführen. Die Probleme bestehen in einem unzureichenden Maskenschluss, einer großen Luftleckage oder einem großen Widerstand beim Einoder Austritt des Atemgases. Zeichen einer inadäquaten Maskenbeatmung sind nicht ausreichende Thoraxexkursionen, fehlende Atemgeräusche, Zeichen einer schweren Obstruktion der Atemwege, Zyanose, Mageninsufflation, fallende O2-Sättigung in der Pulsoxymetrie, fehlende oder inadäquate endtiale CO2-Messung oder hämodynamische Veränderungen, die mit der Hypoxie oder Hyperkapnie im Zusammenhang stehen (Practice Guidelines for Management of the difficult Airway 2003). Die Häufigkeit der schwierigen Maskenbeatmung wird in verschiedenen Studien mit 1–5 % beziffert (Asai et al. 1998, el-Ganzouri et al. 1996, Langeron et al. 2000, Rose u. Cohen 1994). Langeron und Mitarbeiter beobachten, dass Patienten > 55 Jahre schwieriger mit der Gesichtsmaske zu beatmen waren (OR 2,3). Weitere Risikofaktoren waren dabei ein lückenhafter Zahnstatus (OR 2,3), ein Body-Mass-Index > 26 (OR 2,8) und Schnarchen in der Anamnese (OR 1,8). Diese Faktoren sind besonders bei älteren Menschen zu beobachten (Langeron et al. 2000). Auch wird – vor allem bei älteren Männern – ein zunehmender pharyngealer Atemwegswiderstand beobachtet, der u. a. durch einen obstruierenden Kollaps der Weichteilstrukturen bedingt ist und mit einem Schlaf-ApnoeSyndrom bzw. einer schwierigen Maskenbeatmung einhergehen kann (White et al. 1985). Konsequenterweise sollte deshalb bei älteren Patienten, die zusätzlich noch Kriterien der schwierigen Laryngoskopie erfüllen, großzügig die Indikation zur wachen fiberoptischen Intubation gestellt werden, da die Gefahr der Situation „Can’t intubate, can’t ventilate“ erhöht ist.
Obwohl ein prinzipiell erhöhtes Aspirationsrisiko bei älteren Patienten besteht und es zur einer Erhöhung des Atemwegswiderstand kommt, wird der Einsatz der LMA als sicher eingestuft (Brimacombe 2005). Insbesondere erscheint prinzipiell der Einsatz gegenüber dem endotrachealen Tubus (ETT) von Vorteil, da die LMA weniger mit dem respiratorischen Trakt interagiert. So ist die Inzidenz an (reversibler) Bronchokonstruktion nach LMA-Anwendung geringer als nach endotrachealer Intubation (Kim u. Bishop 1999). Weiterhin konnte nachgewiesen werden, dass die mukoziliäre Clearance bei der Verwendung eines ETT um die Hälfte abnimmt, während sie beim Einsatz einer LMA nahezu unverändert bleibt. Dies könnte somit Auswirkungen auf den Sekretverhalt, der Bildung von Atelektasen und der Entwicklung von Bronchopneumonien haben (Keller u. Brimacombe 1998). Generell gilt, dass auch hinsichtlich der kardiovaskulären Stabilität die LMA Vorteile gegenüber dem ETT bietet. Bei der Ein- und Ausleitungsphase ist die Variabilität sowohl der Herzfrequenz als auch des mittleren arteriellen Druckes stabiler und die Serumkatcheolaminkonzentration als Stressantwort geringer (Fujii et al. 1995, Oczenski et al. 1999, Piper et al. 2004). Die benötigte Menge an Narkotika ist ebenfalls geringer (Wiederstein et al. 2006). Schließlich sind die postoperative Atemwegsmorbidität, Nausea und Erbrechen sowie der Bedarf an Analgetika geringer (Borkowski et al. 2005, Braun et al. 2002, Hohlrieder et al. 2007). Beschreibende und vergleichende Studien speziell bei älteren Patienten wurden bei Operationen zur Laparotomie, Oberschenkelhalsfrakturversorgung und zur Gastrektomie durchgeführt und als sicher in der Anwendung beschrieben (Brimacombe 2005). Gegenüber kurzen urologischen Eingriffen wurde auch eine Überlegenheit gegenüber einer Spinalanästhesie beschrieben (Fredman et al. 1998). Allerdings könnte das Alter eine mögliche Prädisposition für eine laryngeale Engstellung der Stimmbänder darstellen, unter der es bei Anwendung einer LMA zu erhöhten Atemwegsdrücken und Stridor kommen kann. Die Engstellung lässt sich nicht durch die Gabe eines Muskelrelaxans, der Lagerung des Kopfes, der Veränderung der Narkosetiefe oder des Cuffvolumens beheben. Der operative Eingriff kann aber in der Regel weiter durchgeführt werden. Nach Entfernung der LMA ist die Engstellung unmittelbar vollständig reversibel. Möglichweise beeinflusst die Auswahl der Maskengröße das Auf-
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung treten dieses Phänomens, wobei die genaueren Ursachen derzeit noch nicht vollständig geklärt sind (Timmermann et al. 2008).
Merke
Auch im Alter ist der Einsatz der Larynxmaske (LMA) sicher.
Die Schwellung kann dabei zu einem Verschluss der Glottis führen und die Strukturen sind bei der Laryngoskopie schwierig zu identifizieren (Reed 2007). Beim Vorliegen dieser Gelenksbeteiligung sollte der Einsatz einer LMA zurückhaltend sein, da eine Aggravierung der Schwellungen und Endzündungen im postoperativen Verlauf beschrieben worden ist (Miyanohara et al. 2006).
Merke
5.5.4 Die schwierige endotracheale Intubation Das Alter allein ist kein Prädiktor für die nach den „Practice Guidelines for Management of the difficult Airway“ der ASA eingeteilten Situationen der schwierigen Laryngoskopie, der schwierigen/unmöglichen Intubation und/ oder der schwierigen Extubation (Practice Guidelines for Management of the difficult Airway 2003). Allerdings treten im Alter gehäuft Erkrankungen auf, die mit einem schwierigen Atemwegsmanagement unter Intubationsnarkosen eingehen.
Rheumatoide Arthritis Dazu zählt im Besonderen die rheumatoide Arthritis, deren Prävalenz mit steigendem Alter zunimmt. Als Gipfel der Neuerkrankungsrate wird bei Frauen das Alter zwischen 55 und 64 Jahren, bei Männern das Alter zwischen 65 und 75 Jahren gesehen. Weltweit sind etwa 0,5– 1 % der Bevölkerung betroffen. In Deutschland schätzt man die Zahl der Erkrankungen auf 800 000, wobei Frauen rund dreimal so häufig betroffen sind wie Männer. Eines der Hauptprobleme ist eine Entzündung im Kiefergelenk, welches zu einer reduzierten Mundöffnung und damit zu einer erschwerten Laryngoskopie führt. Gelingt die Entführung eines Laryngoskopes dennoch, so sind dessen Bewegungen eingeschränkt. Häufig tritt bei dieser Erkrankung auch eine Beteiligung der Halswirbelsäule (HWS) auf, was die Bewegung der unteren HWS oder des Atlantookzipital-Gelenkes einschränkt. Die Lagerung des Patienten in die verbesserte Jackson-Position („Schnüffel-Position“) ist dann erschwert oder unmöglich. Deswegen gelingt es häufig nicht, bei der Laryngoskopie die visuelle auf die pharyngeale bzw. laryngeale Achse zu bringen. Somit ist keine direkte Sicht auf die Stimmbänder möglich. Röntgenaufnahmen der HWS sichern diese Diagnose. Der Einsatz von Videolaryngoskopen, die eine veränderte visuelle Achse beinhalten, wie beispielsweise das Glidescope™ (Cooper et al. 2005), scheinen hier viel versprechend zu sein, obwohl die wissenschaftlichen Untersuchungen in dieser Spezialpopulation fehlen. Ist das Krikoarytenoidgelenk betroffen, so leiden die Patienten häufig an Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Dyspnoe, Stridor und fragilen Larynxstrukturen. Die Stellknorpel sind häufig geschwollen, in der Adduktionsstellung fixiert und somit in der Bewegung eingeschränkt.
Bei Hinweisen auf eine schwierige Laryngoskopie/Intubation sollten Verfahren in Spontanatmung und erhaltenen Schutzreflexen durchgeführt werden.
Kernaussagen ●
●
●
●
●
Die Besonderheiten des Atemwegsmanagements im Alter bestehen vor allem in der verschlechterten Denitrogenisierung, die eine sorgfältige Präoxygenierung für mindestens 3 Minuten notwendig macht. Das Risiko für eine Regurgitation mit Aspiration sowie für Stimmbandlähmungen ist erhöht. Ein Patientenalter > 55 Jahre ist ein Prädiktor für eine schwierige Maskenbeatmung; der Maskenschluss ist bei lückenhaften Zahnstatus erschwert. Die Gesichtsmaskenbeatmung sollte daher immer mit der Zahnprothese durchgeführt werden. Die Verwendung einer LMA bei älteren Patienten wird als sicher eingestuft. Das Alter allein ist kein Prädiktor für eine schwierige Intubation, jedoch sind Krankheiten, die mit einer schwierigen Atemwegssicherung einhergehen, gehäuft im Alter zu finden. Bei Verdacht auf eine schwierige Intubation sollte wegen der Koexistenz der schwierigen Maskenbeatmung die Indikation zu einem Verfahren in Spontanatmung und erhaltenen Schutzreflexen großzügig gestellt werden.
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5.6 Intraoperative Beatmungsprinzipien P. Neumann
5.6.1 Einführung Die Narkosebeatmung erfolgt traditionell volumenkontrolliert mit konstantem inspiratorischem Gasfluss. Vom Anästhesisten werden bei dieser Form der Beatmung das Tidalvolumen, die Atemfrequenz, das Verhältnis von Inspirations- zu Exspirationsdauer (I : E-Verhältnis), die inspiratorische Sauerstoffkonzentration (FiO2) und der endexspiratorische Druck eingestellt. Die inspiratorischen Atemwegsdrücke (Spitzendruck und Plateaudruck) ergeben sich dabei automatisch durch die atemmechanische Eigenschaften (Compliance und Resistance) des respiratorischen Systems, den momentanen Gasfluss und das momentane Lungenvolumen (Abb. 5.5). Die Einstellung der oben genannten Parameter orientiert sich in erster Linie an den primären Zielen der Beatmung. Diese sind unabhängig vom Alter die Sicherstellung einer ausreichenden Oxygenierung, Normoventilation, die Vermeidung von beatmungsinduzierten Lungenschäden, die Vermeidung von Atelektasenbildung sowie eine möglichst geringe Kreislaufdepression als Folge beatmungsbedingter Vor- und Nachlastveränderungen des rechten und linken Herzens. Jedes der oben genannten Beatmungsziele kann durch Veränderungen verschiedener Parameter beeinflusst werden (Tab. 5.4). Die Beatmungseinstellung muss daher für jeden einzelnen Patienten unter Berücksichtigung der individuellen Konstitution, möglicher kardiopulmonaler Vorerkrankungen und altersabhängiger Besonderheiten
optimiert werden. Im folgenden Abschnitt wird daher zunächst der physiologische Alterungsprozess des respiratorischen Systems kurz dargestellt.
5.6.2 Physiologischer Alterungsprozess des respiratorischen Systems Das respiratorische System kann funktionell in fünf verschiedene Anteile untergliedert werden (s. Kap. 2.3): 1. Atemzentrum mit den Afferenzen des N. vagus, der Mechano-und Chemorezeptoren: Die Stimulierbarkeit des Atemzentrums durch Hypoxämie (z. B. bei Atmung einer hypoxischen Gasmischung) und Hyperkapnie (z. B. bei CO2-Rückatmung) ist bei alten Menschen herabgesetzt (Garcia-Rio et al. 2007). 2. Atempumpe: Die maximale Kraft der Inspirationsund Exspirationsmuskulatur ist im Vergleich zu 20bis 40-jährigen Kontrollpersonen vermindert und gleichzeitig nimmt die Steifigkeit (Elastance) der Thoraxwand u. a. durch Verknöcherungen in den Kostovertebralgelenken zu. Dadurch ist bei alten Menschen die Atemarbeit erhöht und der Atemantrieb bereits in Ruhe gesteigert. Als Folge ist die pulmonale Reserve während körperlicher Belastung oder bei anderweitig gesteigertem Metabolismus, z. B. als Folge einer Erkrankung mit Fieber, reduziert. Abb. 5.5 Druck-Zeitkurve während volumenkontrollierter Beatmung. Zu Beginn der Inspiration steigt der Atemwegsdruck zunächst steil an. Dieser Druckanstieg hängt vom Gasfluss und dem Atemwegswiderstand ab und ist spiegelbildlich zum Druckabfall nach Sistieren des Gasflusses vor Beginn der inspiratorischen Plateauphase. Anschließend kommt es bis zum Erreichen des Spitzendruckes zu einem annähernd linearen Druckanstieg über die Zeit. Die Differenz zwischen inspiratorischem Spitzen- und Plateaudruck (Resistancedruck) hängt erneut von der Höhe des Gasflusses und dem Atemwegswiderstand ab, während die Differenz zwischen Plateaudruck und endexspiratorischem Druck von der Größe des Tidalvolumens und der respiratorischen Compliance bestimmt wird (Compliancedruck).
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5.6 Intraoperative Beatmungsprinzipien Tabelle 5.4
Primäre Ziele der Narkosebeatmung.
Beatmungsziele
Monitoring
Steuerungsmöglichkeiten
ausreichende Oxygenierung
SaO2 > 90 %
FiO2, PEEP, I : E-Ratio
Normoventilation
PaCO2 38–42 mmHg
Atemfrequenz, Tidalvolumen
Vermeidung von Lungenschäden
klinisch nicht verfügbar
Tidalvolumen, PEEP
Vermeidung von Atelektasen
Oxygenierung, Compliance
PEEP, FiO2
Kreislaufstabilität aufrechterhalten
RR, Herzfrequenz, ggf HZV
PEEP, Volumentherapie
3. Atemwege bis zu den Bronchioli terminales: Die Veränderungen im Bereich der zentralen und peripheren Atemwege sind gegensätzlich: In den großen Atemwegen tritt eine zunehmende Verkalkung des Tracheal- und Bronchialknorpels auf, die oft bereits in Röntgenübersichtsaufnahmen des Thorax zu erkennen ist. Funktionell ist die damit einhergehende zunehmende Steifigkeit der Trachea und der großen Bronchien allerdings weitgehend ohne Bedeutung. Dagegen neigen die kleinen Atemwege durch den Verlust radiärer Zugkräfte des Lungenparenchyms zum Kollaps, sodass der maximale exspiratorische Gasfluss abnimmt und das Residualvolumen zunimmt. 4. Gas austauschendes Lungenparenchym: Die Veränderungen des Lungenparenchyms sind vielfältig: Die Bronchioli respiratorii, Alveolargänge und Alveolarsäcke werden etwa ab dem 30. Lebensjahr langsam größer, sodass sich morphologisch zunehmend das Bild eines Emphysems ergibt (so genanntes „Altersemphysem). Diese Veränderungen führen zu einer Abnahme der Gas austauschenden Oberfläche mit sekundären Veränderungen der regionalen Ventilations- und Perfusionsverhältnisse. Da der alveoläre Gasaustausch praktisch ausschließlich durch die Ventilations-Perfusionsverhältnisse in den einzelnen Alveolen bestimmt wird, führt jede Abweichung vom idealen Ventilations-Perfusionsquotienten, der zwischen 0,8 und 1,0 beträgt (in einer Lungeneinheit sollte demnach pro Zeiteinheit der Blutfluss z. B. 1,0 ml und die Ventilation zwischen 0,8 und 1,0 ml betragen), zu einer Verschlechterung des pulmonalen Gasaustausches. Dies wird als Ventilations-/Perfusionsmismatch bezeichnet und ist eine wesentliche Ursache für den beobachteten Abfall des PaO2 mit zunehmendem Lebensalter (Abb. 5.6). Die Rarifizierung des Lungenparenchyms führt darüber hinaus zu einer Verkleinerung der Grenzfläche zwischen Luft und Flüssigkeit und damit zu einer Abnahme der Oberflächenspannung. Gleichzeitig verändern sich die Struktur und Ausrichtung von elastischen Fasern im Lungenparenchym, sodass die elastischen Rückstellkräfte der Lunge mit zunehmendem Alter abnehmen und das Residualvolumen zunimmt. Diese Abnahme der elastischen Rückstellkräfte bewirkt auch eine Abnahme der radiären Zugkräfte, die im Lungenparenchym auf die kleinen Bronchien einwirken. Dadurch verkleinert sich besonders in der Exspiration das Lumen der Bronchien und Bron-
chiolen, sodass zum einen – wie bereits oben beschrieben – der maximale exspiratorische Gasfluss abnimmt und das Residualvolumen zunimmt. Außerdem führt dieser Effekt zu einer Zunahme der Verschlusskapazität (Lungenvolumen, bei dessen Unterschreitung ein Kollaps der kleinen Atemwege auftritt). Der Verschluss kleiner Atemwege in der Exspiration führt wiederum zu einer Abnahme des Ventilations-Perfusionsquotienten in den nachgeordneten Alveolen und dadurch zu einer Verschlechterung der Oxygenierung. 5. Kardiovaskuläres System: Selbst bei Patienten ohne strukturelle Herzerkrankungen ist die Leistungsreserve des kardiovaskulären Systems im Alter eingeschränkt. Dies äußert sich in einer Abnahme der maximalen körperlichen Belastbarkeit, da das Sauerstoffangebot als Produkt aus arteriellem Sauerstoffgehalt × Herzzeitvolumen limitiert wird. Außerdem sind alte Menschen oftmals exsikkiert, sodass das Herz nicht im optimalen Vorlastbereich arbeitet. Darüber hinaus muss mit einer hohen Inzidenz an strukturellen Herzerkrankungen (KHK, Kardiomyopathie, Hypertrophie etc.) gerechnet werden, die zu einer weiteren Einschränkung der kardialen Reserve führen. Aus diesem Grunde reagieren geriatrische Patienten gelegentlich sehr empfindlich auf beatmungsinduzierte Veränderungen der kardialen Vor- und Nachlast, sodass Verän-
Abb. 5.6 Intrapulmonaler Shunt und venöse Beimischung in Abhängigkeit des Lebensalters. Die intraoperative Verschlechterung des Gasaustausches mit zunehmendem Lebensalter wird in erster Linie durch eine Zunahme der venösen Beimischung (Blut kommt mit der Atemluft in Kontakt, jedoch reicht der Ventilations-Perfusionsquotient für eine vollständige Oxygenierung nicht aus) und weniger durch echten Shunt hervorgerufen (Quelle: Gunnarsson 1991).
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung derungen der Beatmungsdrücke nach Möglichkeit in kleinen Schritten vorgenommen werden sollten.
5.6.3 Intraoperative Beatmungseinstellung Assistierende vs. kontrollierte Beatmung Obwohl sich assistierende Beatmungsverfahren beim akuten Lungenversagen günstig auf den intrapulmonalen Gasaustausch auswirken (Putensen et al. 1999) und darüber hinaus auch die Herzkreislauffunktion günstig beeinflussen (Neumann et al. 2005), sollten kontrollierte Beatmungsverfahren während einer Allgemeinanästhesie bei geriatrischen Patienten bevorzugt werden. Der Atemantrieb alter Menschen wird durch Hypnotika und Opiate, die zur Induktion und Aufrechterhaltung der Allgemeinanästhesie erforderlich sind, stärker gedämpft als bei jungen Menschen. Gleichzeitig ist die physiologische Gegenregulation durch die sich daraus entwickelnde Hyperkapnie (siehe oben) herabgesetzt. Daher besteht bei assistierender Beatmung während Allgemeinanästhesie die Gefahr einer Hypoventilation mit respiratorischer Azidose. Gleichzeitig kommt zu der ohnehin schon eingeschränkten pulmonalen Reserve durch die Zunahme der Thoraxwandelastance und Abnahme der Kraft respiratorischer Muskeln die additive Atemarbeit durch den Tubus und die Beatmungsschläuche (Abb. 5.7). Diese entspricht bereits bei lungengesunden Patienten im Mittel einer inspiratorischen Druckunterstützung von ca. 4–8 mbar (Brochard et al. 1991). Liegt ein hoher ventilatorischer Bedarf z. B. aufgrund erhöhter Totraumventilation bei COPD vor, kann dieser Wert bis auf etwa 15 mbar ansteigen, sodass bereits nach kurzer Zeit der nicht assistierten Spontanatmung mit Endotrachealtubus eine respiratorische Erschöpfung eintreten kann.
Wahl des Beatmungsmodus: Druck- oder volumenkontrolliert? Traditionell erfolgt die intraoperative Beatmung volumenkontrolliert. Dagegen gab es unter Intensivmedizinern lange Zeit einen erbitterten Streit, ob eine druckkontrollierte Beatmung nicht grundsätzlich schonender sei und zur Vermeidung beatmungsassoziierter Lungenschäden beitrage. Diese Diskussion ist heute weitgehend beendet, da die Unterschiede zwischen druck- und volumenkontrollierter Beatmung, die sich aus der unterschiedlichen Flowcharakteristik ergeben (konstanter Gasfluss bei volumenkontrollierter Beatmung, dezelerierender Gasfluss bei druckkontrollierter Beatmung) marginal sind (Markstrom et al. 1996). Lediglich hinsichtlich der CO2-Elimination weist die druckkontrollierte Beatmung Vorteile auf, jedoch ist dies während der Narkose durch den herabgesetzten Stoffwechsel meistens ohne Belang, zumal die Sauerstoffaufnahme und die CO2-Produktion mit zunehmendem Lebensalter abnehmen (Garcia-Rio 2007).
Tidalvolumen Da in den letzten Jahren die Bedeutung des Volutraumas, ausgelöst durch eine repetitive Überdehnung des Lungenparenchyms als Folge großer Tidalvolumina, erkannt wurde, erscheint eine volumenkontrollierte Beatmung mit kleinen Tidalvolumina von ca. 6–8 ml/kg Idealgewicht nur konsequent. Dabei ist es wichtig, sich am idealen Körpergewicht (Faustregel: [Körpergröße in cm – 100] – 10 % = ideales Körpergewicht) zu orientieren, da die Lungengröße proportional zum idealen und nicht zum tatsächlichen Körpergewicht ist.
Atemfrequenz Zur Aufrechterhaltung einer Normokapnie ist bei der Verwendung kleiner Tidalvolumina meistens eine Atemfrequenz von ca. 14–16 Atemzüge/Minute erforderlich.
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I : E-Verhältnis
Abb. 5.7 Widerstand des Endotrachealtubus. Der Druckabfall zwischen proximalem und distalem Tubusende erhöht sich exponenziell mit zunehmendem Gasfluss. Er ist dabei umso höher, je geringer der Tubusdurchmesser ist (Quelle: Rathgeber und Züchner 1999).
Wegen der Abnahme des exspiratorischen Gasflusses mit zunehmendem Lebensalter (siehe oben) sollte das Verhältnis von Inspirations- zu Exspirationsdauer etwa 1 : 2 betragen. Ob im Einzelfall tatsächlich eine klinisch relevante Flowlimitierung mit einer unvollständigen Entleerung der Lunge in Exspiration (so genannter intrinsischer PEEP) vorliegt, kann sehr einfach anhand der Gasflusskurve beurteilt werden (Abb. 5.8). In einem solchen Fall muss ggf. die Exspirationsdauer weiter verlängert werden.
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5.6 Intraoperative Beatmungsprinzipien
Abb. 5.8 Verlaufskurven von Atemwegsdruck, Gasfluss und Lungenvolumen über die Zeit. In der Gasflusskurve sind in- und exspiratorische Pausen (durch Pfeile markiert) durch Nullflussbedingungen leicht zu erkennen. Nur bei Vorhandensein einer inspiratorischen Pause kann ein Plateaudruck identifiziert werden, und die Compliance als Quotient aus Tidalvolumen und endexspiratorischer – endinspiratorischer Druckdifferenz errechnet werden. Bei endexspiratorisch nachweisbarem Gasfluss (Pfeile) ist der intrapulmonale Druck höher als der eingestellte exspiratorische Atemwegsdruck (intrinsischer PEEP). Dadurch kommt es während der volumenkontrollierten Beatmung zu einem langsamen Anstieg des exspiratorischen Lungenvolumens und der Atemwegsdrücke (Quelle: Rathgeber und Züchner 1999).
Positiv endexspiratorischer Druck (PEEP) Durch die entgegengesetzt wirkende Rückstellkraft von Lunge und Brustkorb entleert sich am Ende einer normalen Ausatmung die Lunge nicht vollständig, sondern es verbleibt Luft in den Atemwegen und Alveolen. Diese Luft wird als funktionelle Residualkapazität (FRC) bezeichnet und nimmt annähernd linear mit der Größe eines Menschen zu. Bei einem gesunden Erwachsenen mit normaler Konstitution beträgt die FRC im Sitzen oder Stehen etwa 30–35 ml/kg Idealgewicht (Wahba 1991, Ibanez u. Raurich 1982) unabhängig vom Lebensalter (Garcia-Rio 2007). In Rückenlage nimmt die FRC um etwa 15–20 % ab, wobei dieser Effekt bei Adipositas besonders ausgeprägt ist (Wahba 1991). Die Einleitung einer Vollnarkose mit Muskelrelaxation führt zu einer weiteren Reduktion der FRC um 15–20 %, sodass bei stark übergewichtigen, narkotisierten Patienten die FRC bis auf 50 % des Ausgangswertes absinken kann (Damia et al. 1988). Da die kleinen Atemwege wie bereits oben erwähnt durch die radiären Zugkräfte des Lungenparenchyms offen gehalten werden, tritt ein Verschluss der kleinen Atemwege auf, wenn die FRC unter einen kritischen Wert absinkt. Dieses Phänomen wird als „airway closure“ bezeichnet. Das kritische Lungenvolumen, ab dem ein Verschluss der Bronchiolen auftritt, ist die Closing Capacity, welche im Gegensatz zur FRC durch die Abnahme der radiären Zugkräfte (siehe oben) mit zunehmendem Lebensalter ansteigt (Leblanc et
al. 1970). Durch den hydrostatischen Druckgradienten nimmt der intrapleurale Druck in Rückenlage in ventrodorsaler Richtung zu. Daher ist der transpulmonale Druck (Differenz zwischen intraalveolärem Druck und Pleuradruck welche zur Dehnung der Lunge führt), in den dorsalen Lungenabschnitten am geringsten, sodass in diesen Bereichen zuerst ein Verschluss der kleinen Atemwege auftritt. Dies führt zu einer konsekutiven Abnahme der alveolären Ventilation und damit auch des Ventilations. . Perfusionsquotienten (VA/Q ) in diesen Lungenabschnitten. Da der Gasaustausch einer einzelnen Alveole durch den Ventilations-Perfusionsquotienten determiniert ist, wird in diesen Bereichen das pulmonal kapilläre Blut nicht mehr komplett oxygeniert, was die annähernd lineare Abnahme des PaO2 mit zunehmendem Lebensalter erklärt (Gunnarsson et al. 1991) (Abb. 5.6). Ein Unterschreiten der Closing Capacity führt jedoch nicht nur zu einer Verschlechterung des pulmonalen Gasaustausches, sondern begünstigt auch die Entstehung von Resorptionsatelektasen. Diese treten auf, wenn die alveoläre Ventilation einen kritischen Wert unterschreitet, sodass die Aufnahme von Gas aus den Alveolen ins Blut den Zustrom von Frischgas aus den Atemwegen übersteigt. Dabei hängt die Geschwindigkeit des Alveolarkollaps zum . . einen vom VA/Q -Verhältnis der einzelnen Alveolen und zum anderen von der alveolären Gaszusammensetzung . . ab: Je höher die FiO2 und je niedriger das VA/Q -Verhältnis ist, umso schneller kommt es zum Alveolarkollaps, da die Löslichkeit von Stickstoff im Blut deutlich schlechter ist als die Löslichkeit von Sauerstoff. Neben der Gasresorption begünstigt auch eine Kompression von Lungengewebe die Entstehung von Atelektasen. Bereits durch das Eigengewicht der Lunge nehmen der Unterdruck im Pleuraspalt und damit auch der transpulmonale Druck, welcher den elastischen Rückstellkräften der Lunge entgegenwirkt, schwerkraftabhängig ab. Die Übertragung des intraabdominellen Druckes mitsamt seinem hydrostatischen Druckgradienten in den Thorax wird beim spontan atmenden Menschen durch den Zwerchfelltonus und die atemabhängigen Zwerchfellkontraktionen vermindert. Nach Gabe von Muskelrelaxanzien wird das erschlaffte Zwerchfell, dem Druckgefälle von intraabdominellem zu intrathorakalem Kompartiment folgend, nach kranial verlagert (Hedenstierna et al. 1985). Dadurch nimmt der transpulmonale Druck ab und die Entstehung von Kompressionsatelektasen wird begünstigt. Eine intraabdominelle Druckerhöhung bei Adipositas (Pelosi et al. 1999), Pneumoperitoneum (Andersson et al. 2005) oder akutem Abdomen verstärkt die oben beschriebene Problematik, sodass diese Patienten unabhängig vom Lebensalter besonders zu Kompressionsatelektasen neigen. Resorptions- und/oder Kompressionsatelektasen entstehen bei ca. 90 % aller erwachsenen Patienten bereits während der Narkoseeinleitung und verschlechtern durch eine Zunahme des intrathorakalen Rechts-LinksShunts den Gasaustausch weiter. Dabei ist die Größe der Atelektasen eng mit dem Schweregrad der Oxygenierungsstörung korreliert (Neumann et al. 1999) (Abb. 5.9).
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung die FRC über den im Alter erhöhten Wert der Closing Capacity anzuheben. Dabei muss allerdings die mögliche Reduktion der kardialen Vorlast durch eine PEEPbedingte Zunahme des Atemwegsmitteldruckes beachtet werden, da exsikkierte Patienten und damit insbesondere ältere Patienten in diesem Zusammenhang besonders empfindlich mit Blutdruckabfällen reagieren können. Die Angst vor einem Barotrauma ist angesichts der Höhe der intraoperativ erreichten Beatmungsdrücke wahrscheinlich unbegründet (Weg et al. 1998), zumal der transpulmonale Druck als treibende Kraft für die Dehnung des Lungenparenchyms durch die Abnahme der Thoraxwandcompliance mit zunehmendem Alter eher abnimmt.
Praxisanleitung Bei welchen Patienten sollte PEEP unabhängig vom Lebensalter angewendet werden?
Abb. 5.9 Zusammenhang zwischen Oxygenierung und Atelektasen. Die X-Achse zeigt die Größe der Atelektasen eines transversalen CT-Schnittbildes in [cm2]. Auf der Y-Achse sind die PaO2-Werte in mmHg aufgetragen. 57 % (r2 = 0,57) der Veränderungen des PaO2 werden durch die Größe der Atelektasen erklärt (Quelle: Neumann et al. 1999).
Die Beatmung mit PEEP gehört zum Standard bei der Behandlung von Patienten mit einem schweren akuten hypoxämischen Lungenversagen (Artigas et al. 1998), da PEEP die FRC erhöht (Neumann et al. 1998) und dadurch ein Absinken des Lungenvolumens unter den Wert der Closing Capacity verhindert. Außerdem reduziert die Erhöhung des transpulmonalen Druckes durch PEEP die Gefahr für einen Kollaps von Alveolen in der Exspiration. Daher erscheint es plausibel, PEEP nicht nur bei ARDSPatienten, sondern auch intraoperativ zur Verbesserung des Gasaustausches einzusetzen. Überraschenderweise führt die intraoperative Anwendung von PEEP = 10 cm H2O in einem unselektierten Patientengut (separate Daten für geriatrische Patienten liegen bislang nicht vor) nicht zu einer Verbesserung, sondern im Mittel sogar zu einer Verschlechterung der Oxygenierung (Pelosi et al. 1999, Tokics et al. 1987) obwohl ein PEEP-Niveau von 10 cm H2O die Größe von Atelektasen reduziert (Tokics et al. 1987, Brismar et al 1985). Die Größe der Atelektasen ist wiederum – wie bereits oben erwähnt – eng mit dem intrapulmonalen Shunt und damit der Oxygenierung korreliert. Allerdings führt PEEP auch zu einer Umverteilung des pulmonalen Blutflusses sowie der Ventilation von ventral nach dorsal (Hedenstierna et al. 1984, Neumann et al. 2000), sodass durch diese Umverteilungsphänomene sowohl Totraumventilation als auch Shunt und Ventilations-Perfusionsmismatch zunehmen können. Aufgrund der oben gemachten Ausführungen erscheint es sinnvoll, bei alten Patienten grundsätzlich einen moderaten PEEP (ca. 5–10 mbar) einzustellen, um
Adipositas. Adipöse Patienten haben nach Narkoseeinleitung einen signifikant schlechteren Gasaustausch (Visick et al. 1973, Pelosi et al. 1999) und mehr Atelektasen (Eichenberger et al. 2002) als normalgewichtige Patienten. Diese Atelektasen sind bei stark übergewichtigen Patienten auch noch 24 Stunden nach der Extubation in unveränderter Größe nachweisbar (Eichenberger et al. 2002). Die Anwendung von kontinuierlich positivem Atemwegsdruck (CPAP) und PEEP = 10 cm H2O während der Narkoseeinleitung (Coussa et al. 2004) führt bei diesen Patienten ebenso wie eine intraoperative Beatmung mit PEEP = 10 cm H2O (Pelosi 1999) zu einer signifikanten Verbesserung der Oxygenierung durch alveoläres Rekruitment. Darüber hinaus erhöht PEEP/CPAP die Apnoetoleranz (Zeitintervall bis zum Abfall der SaO2) bei Narkoseeinleitung (Gander et al. 2005), sodass mehr Zeit für die Sicherung des Atemweges zur Verfügung steht. Akutes hypoxämisches Lungenversagen. Patienten mit einem akuten hypoxämischen Lungenversagen (ARDS: Acute respiratory Distress Syndrome, ALI: Acute Lung Injury) sollten während einer notwendigen Operation selbstverständlich nach den gleichen lungenprotektiven Grundsätzen (kleines Tidalvolumen von ca. 6 ml/kg Idealgewicht und hoher PEEP) beatmet werden wie auf der Intensivstation. Progrediente Oxygenierungsstörung. Tritt intraoperativ eine zunehmende Verschlechterung des Gasaustausches auf, sollten zunächst häufige Ursachen einer Oxygenierungsstörung wie z. B. eine einseitige Intubation oder ein Pneumothorax nach Venenkatheteranlage ausgeschlossen werden. Bei regelrechtem Auskultationsbefund (ggf. kann ein so genanntes Entfaltungsknistern in den basalen Lungenabschnitten auskultiert werden) ist wahrscheinlich ein Kollaps großer Anteile der basalen Lungenpartien die Ursache.
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5.6 Intraoperative Beatmungsprinzipien
5.6.4 Rekruitmentmanöver Tritt während einer Narkosebeatmung eine stetige Verschlechterung des Gasaustausches auf, sollten wie bereits oben erwähnt zuerst nahe liegende Ursachen wie eine einseitige Intubation oder ein Pneumothorax auskultatorisch ausgeschlossen werden. Ist die Oxygenierungsstörung allerdings so stark ausgeprägt, dass der Abbruch des operativen Eingriffes erwogen wird, empfiehlt sich ggf. die Durchführung eines Rekrutierungsmanövers. Für eine vollständige Wiederöffnung von Atelektasen ist bei geschlossenem Thorax ein Beatmungsdruck von ungefähr 40 cm H2O erforderlich (Rothen et al. 1993). Alveoläres Rekruitment ist daher ein inspiratorisches Phänomen. PEEP verhindert nur die Entstehung von Atelektasen in der Exspiration. Diese Aussage steht in scheinbarem Widerspruch zu der Beobachtung, dass die Anwendung von PEEP alleine bereits zu einer Verkleinerung von Atelektasen führt (Brismar et al. 1985, Tikics et al. 1987, Coussa et al. 2004). Bei einer volumenkontrollierten Beatmung führt PEEP allerdings zwangsläufig zu einer Erhöhung der inspiratorischen Atemwegsdrücke, die bereits ab 20 bis 30 cm H2O für eine partielle Rekrutierung kollabierter Lungenareale ausreichen (Abb. 5.10). Um eine fast vollständige Rekrutierung kollabierter Alveolen zu erreichen, sollte ein Blähmanöver mit einem Atemwegsdruck von ca. 40 cm H2O für ca. 7 Sekunden durchgeführt werden (Rothen et al. 1999) (Abb. 5.11). Sekundäre Lungenschäden als Folge einer Überdehnung der Lunge und eine dadurch bedingten Freisetzung inflammatorischer Zytokine (Volutrauma) ist bei der Durchführung eines einmaligen 7 Sekunden andauernden Rekrutierungsmanövers nicht zu erwarten (Puls et al. 2006). Grundsätzlich muss aber beachtet werden, dass hohe Atemwegsdrücke bei dehydrierten, hypovolämen Patienten zu erheblichen Blutdruckabfällen mit bradykarden Herzrhythmusstörun-
Abb. 5.10 Rekrutierungseffekt unterschiedlicher Atemwegsdrücke. Ab einem Atemwegsdruck von 20 cm H2O ist ein geringer Rekrutierungseffekt nachweisbar. Für eine annähernd vollständige Rekrutierung intraoperativ entstandener Atelektasen ist ein Atemwegsdruck von 40 cm H2O erforderlich (Quelle: Rothen et al. 1993).
gen führen können, sodass Normovolämie eine unbedingte Voraussetzung für die Durchführung eines Rekrutierungsmanövers ist. Insbesondere bei geriatrischen Patienten sollte daher der intravasale Flüssigkeitsstatus vor der Durchführung eines Rekrutierungsmanövers sorgfältig evaluiert werden. Nach dem Rekrutierungsmanöver sollte durch eine Anpassung des PEEP-Niveaus einem erneuten Alveolarkollaps vorgebeugt werden (Neumann et al. 1999).
Kernaussagen ●
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Aufgrund der eingeschränkten respiratorischen Reserve sollten intubierte geriatrische Patienten zur Vermeidung einer respiratorischen Erschöpfung nicht über längere Zeit ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen. Die kontrollierte intraoperative Beatmung des alten Menschen erfolgt nach den gleichen Grundsätzen wie die Beatmung nicht geriatrischer erwachsener Patienten mit 14–18 Atemzügen à 6–8 ml/kg Idealgewicht. Um der Entstehung von Atelektasen entgegen zu wirken, ist dabei ein PEEP-Niveau zwischen 5 und 10 mbar für die Mehrzahl der Patienten sinnvoll, allerdings sollte zur Vermeidung starker Blutdruckabfälle unter Beatmung mit PEEP auf eine ausreichende Flüssigkeitssubstitution geachtet werden. Eine intraoperativ aufgetretene schwerwiegende Oxygenierungsstörung ist oftmals Folge dorsobasaler Atelektasen und kann mit einem Rekrutierungsmanöver, bei dem der Atemwegsdruck für 7 Sekunden auf 40 cm H2O angehoben wird, effektiv behandelt werden.
Abb. 5.11 Dynamik von alveolärem Rekruitment. Während einer Lungenblähung folgt alveoläres Rekruitment einer exponenziellen Kinetik. Für eine annähernd vollständige Rekrutierung intraoperativ entstandener Atelektasen muss ein Atemwegsdruck von 40 cm H2O für 7–10 Sekunden aufrechterhalten werden (Quelle: Rothen et al. 1999).
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5 Intraoperatives Management – grundlegende Prinzipien der Narkoseführung
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6
Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen 6.1
Patienten mit Herzschrittmacher oder ICD
6.2
Herzrhythmusstörungen
6.3
Neurologische Erkrankungen
6.4
Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler
6.5
Chronische Lungenerkrankungen
6.6
Gefäßerkrankungen
6.7
Arterieller Hypertonus
6.8
Nierenerkrankungen
6.9
Endokrine Erkrankungen
6.10 Urologische Erkrankungen 6.11 Augenerkrankungen 6.12 Trauma im Alter
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6.1 Patienten mit Herzschrittmacher oder ICD Ch. Serf
6.1.1 Einführung Weltweit leben mittlerweile über 3 Millionen Schrittmacherträger bei einer Neuimplantationsrate von über 50 000 Herzschrittmachern (HSM) pro Jahr in Deutschland. Während die Implantation eines Herzschrittmachers früher dem alleinigen Ziel der Lebenserhaltung bzw. Lebensverlängerung des Patienten diente, steht heute zusätzlich die Verbesserung der Hämodynamik und folgedessen eine Steigerung der Lebensqualität im Vordergrund. Seit der Erstimplantation eines „implantierbaren Cardioverter Defibrillators“ (ICD) im Jahr 1980 sind bereits weltweit über eine Million Geräte implantiert worden. Die Programmierungsvielfalt der über 1000 Schrittmacher- und ICD-Modelle führen bei „Nicht-Kardiologen“ zu Unsicherheiten im Umgang mit diesem besonderen Patientenkollektiv. Mit zunehmendem Altersdurchschnitt der Bevölkerung werden wir uns jedoch im anästhesiologischen Alltag immer öfter mit Schrittmacher- bzw. ICDTrägern beschäftigen müssen. Jeder Anästhesist sollte mit der Schrittmacher- bzw. ICD-Klassifikation und den gängigen Stimulationsarten vertraut sein, die Besonderheiten während der präoperativen Visite beachten, mögliche elektromagnetische Interferenzen kennen und die damit verbundenen teilweise lebensbedrohlichen Störungen der Gerätefunktion für den Patienten beherrschen. Der Anästhesist muss eine feste Strategie zur Bewältigung perioperativ auftretender Funktionsstörungen haben und mit den verschiedenen Techniken der temporären Stimulation vertraut sein. Ob Schrittmacher- bzw. ICD-Träger tatsächlich ein erhöhtes perioperatives Mortalitäts- bzw. Morbiditätsrisiko haben, bleibt zukünftigen Untersuchungen vorbehalten.
6.1.2 HSM und ICD im Überblick Schrittmacher und ICD bestehen jeweils aus einem Impulsgeber und Elektroden. Der Impulsgeber wird infraklaviculär subkutan implantiert. Die Elektroden können uni-, bi- oder multipolar sein und werden transvenös in den verschiedenen Herzhöhlen platziert. Bei der unipolaren Stimulation bzw. Defibrillation dient der Impulsgeber selbst als Anode und ist damit durch Kontaktverlust bei Gasbildung in der Schrittmachertasche in seiner Funktion gefährdet. Die unipolare Stimulation führt im EKG zu großen Spikes und ist für elektromagne-
tische Interferenzen (siehe unten) empfindlicher. Die meisten HSM nutzen bipolare Elektroden, da diese gegenüber elektromagnetischen Interferenzen unempfindlicher sind und eine bessere physiologische Stimulation ermöglichen. Auf der Röntgenübersicht sind selbige durch einen Ringanode ca. 1–3 cm proximal der Elektrodenspitze zu erkennen. Seit dem Jahr 2000 wird bei bestimmten Erkrankungen wie z. B. der dilatativen Kardiomyopathie die biventrikuläre Stimulation zur kardialen Resynchronisation (CRT) eingesetzt. Dabei wird die Elektrode über den Sinus coronarius im linken Ventrikel platziert. ICD können in der Röntgenübersicht von HSM durch die etwas verdickt wirkende, so genannte „Shock Coil“ im rechten Ventrikel differenzier werden und geben ihre Energie bei einer Ladeverzögerung von meistens < 10 Sekunden intrakardial ab.
Aktuelle Schrittmacherklassifikation und Funktion Die verschiedenen HSM-Typen werden seit 1987 nach dem NASPE- bzw. BPEG-Code klassifiziert (North American Society of Pacing and Electrophysiology bzw. British Pacing and Electrophysiology Group, Bernstein et al. 2002). Seit 2002 wird diese Klassifikation durch einen neuen Code ersetzt (Tab. 6.1). Das Kodierungssystem besteht weiterhin aus fünf Buchstaben, wobei die ersten drei Buchstaben die Antibradykardie-Funktionen beschreiben. Dabei beschreibt der erste Buchstabe den Stimulationsort, der zweite den Steuerungsort, also den Ort an dem der HSM Eigenaktionen des Herzens wahrnimmt, und der dritte die Betriebsart. Neuerdings sind als 4. Buchstabe nur noch O und R (frequenzadaptiv) zugelassen. Der 5. Buchstabe steht für die Kammer, in der mehr als eine Stelle durch die Schrittmacherelektrode stimuliert werden kann, die so genannte Multisite-Stimulation zur kardialen Resynchronisationstherapie. Damit ist der Code für HSM wieder ein reiner Code für die bradykarde Stimulation (Tab. 6.1). Die Fähigkeit eines HSM zur antitachykarden Stimulation muss jetzt über einen zweiten Code, den NASPE/BPEG-Defibrillator-Code wiedergegeben werden. Mittlerweile sind alle HSM „nicht invasiv“ abfragbar. Am Beispiel des DDDRA-Schrittmachers soll dieses System im Folgenden dargestellt werden. Im genannten Beispiel handelt es sich um ein HSM-Modell, das das Atrium und den Ventrikel stimuliert (= D), Eigenaktionen
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Tabelle 6.1 Der NASPE- bzw. BPEG-Code (North American Society of Pacing and Electrophysiology bzw. British Pacing and Electrophysiology Group) für Herzschrittmacher. Position Kategorie
I Ort der Stimulation
II Ort der Wahrnehmung
III Betriebsart
IV V Frequenzadaptation Multisite Stimulation
O = keine
O = keine
O = keine
O = keine
O = keine
A = Atrium
A = Atrium
T = Triggerung
A = Atrium
V = Ventrikel
V = Ventrikel
I = Inhibition
R = Frequenzadaption
D = dual (A+V)
D = dual (A+V)
D = dual (T+I)
des Atriums und des Ventrikels erkennt (= D) und durch diese in seiner Funktion gehemmt oder getriggert wird. Die frequenzadaptierte Funktion ist vorhanden (= R) und eine Multisite-Stimulation ist auf Vorhofebene möglich (= A). In Abb. 6.1 wird die Lage eines HSM mit den verschiedenen Stimulationsmöglichkeiten am Beispiel des DDD-Schrittmachers grafisch erläutert. Bei fehlender Programmierung der letzten beiden Buchstaben werden in der klinischen Praxis oft nur die ersten drei Buchstaben genannt (DDDOO = DDD). Generell können HSM in zwei verschiedene Betriebssysteme unterteilt werden: Erstens festfrequente bzw. asynchrone und zweitens Demand- bzw. synchrone Geräte. Erstere (AOO/VOO/DOO) verfügen über eine regelmäßige Impulsabgabe ohne die Möglichkeit, Eigenaktionen des Herzens zu erkennen (Sensing). Dies kann bei ventrikulärer Stimulation zu einem R- auf T-Phänomen führen und bei gleichzeitiger Myokardischämie oder Elektrolytverschiebungen maligne Rhythmusstörungen
V = Ventrikel D = dual (A+V)
auslösen. Weiterhin ist die Energienutzung bei diesen Geräten nicht optimal. Bei Demand- bzw. synchronen Geräten erfolgt die Impulsabgabe nur bei Bedarf. Eigenaktionen des Herzens können den HSM inhibieren (I) oder triggern (T). Ein gängige Modelle bei gestörter AV-Überleitung oder symptomatischen Bradyarrhythmien ist der Kammerschrittmacher VVI bzw. VVT. Er stimuliert und detektiert im rechten Ventrikel, wird durch Eigenaktionen des Herzens gehemmt (VVI) oder getriggert (VVT) und stellt ein weit verbreitetes Einkammersysteme dar. Nachteil ist die fehlende AV-Synchronisation, die die enddiastolische Füllung des linken Ventrikels negativ beeinflusst. Diese Problematik konnte mit Einführung der Zweikammerschrittmacher gelöst werden. Gerade bei chronisch oder intermittierend auftretenden AV-Überleitungsstörungen (z. B. AV-Block III) wird durch Stimulation und Detektion im rechten Vorhof und Ventrikel (z. B. DDD) eine gestörte AV-Synchronisation wiederhergestellt. Vorhof und Kammer können synchron oder separat getriggert werden (Tab. 6.1). Die so genannte Hysterese-Funktion vermeidet eine negative Interferenz zwischen eigener und stimulierter Herzaktion. Der DDD-Schrittmacher stellt heutzutage das am meist verwendete Modell dar. Mittlerweile sind Dreikammer-Schrittmacher-Systeme erhältlich. Die Sonden werden im rechten Vorhof und in beiden Ventrikeln implantiert. Dieses System dient weniger der antibradykarden Stimulation, sondern wird aus Gründen der kardialen Resynchronisation (CRT) bei höhergradiger Herzinsuffizienz und ausgeschöpfter medikamentöser Therapie implantiert und stellt in diesem Zusammenhang eine Klasse-I-Empfehlung der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie dar (Dickstein et al. 2008).
6.1.3 Aktuelle ICD-Klassifikation und Funktion
Abb. 6.1 Lage und Stimulationsmöglichkeiten eines DDDSchrittmachers. 1: EKG-Abbildung im Sinusrhythmus. 2: EKGAbbildung mit Vorhofstimulation und intakter AV-Überleitung. 3: Ventrikelstimulation bei fehlender AV-Überleitung. 4: EKGAbbildung bei Vorhof- und Ventrikelstimulation (Silke Ehrenberger, Turtle Design, Grafik Design & Illustration, www.turtledesign.de).
Die ICD-Klassifikation ist ähnlich der HSM-Klassifikation, wobei die ersten drei Buchstaben die antitachykarden Eigenschaften kodieren und der vierte Buchstabe die antibradykarde Funktion beschreibt. Daraus geht hervor, dass moderne ICD mittlerweile wie HSM multiprogrammierbar sind und neben der Möglichkeit zur Defibrillation auch die Schrittmacherfunktionen abdecken (siehe oben). Weiterhin sind sie in der Lage, Arrhythmien aufzu-
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6.1 Patienten mit Herzschrittmacher oder ICD Tabelle 6.2 Der NASPE- bzw. BPEG-Code (North American Society of Pacing and Electrophysiology bzw. British Pacing and Electrophysiology Group) für ICD. Position Kategorie
I Ort der Defibrillation
II Ort der antitachykarden Stimulation
III Tachykardie-Detektion
IV Ort der antibradykarden Stimulation
O = keine
O = keine
E = EKG
O = keine
A = Atrium
A = Atrium
H = Hämodynamik
A = Atrium
V = Ventrikel
V = Ventrikel
V = Ventrikel
D = dual (A+V)
D = dual (A+V)
D = dual (A+V)
zeichnen, wodurch lebensbedrohliche Ereignisse später ausgewertet werden können. Die antibradykarde Funktion der ICD entspricht der konventionellen Schrittmacherfunktion (s. Kap. 6.1). ICD messen mit der Tachykardieerkennung das jeweilige R-RIntervall und stufen dieses entsprechend ihrer Länge als normal, zu kurz oder als zu lange ein. Weiterhin werden unter anderem die Tachykardiedauer und die Morphologie des EKGs analysiert. Wenn genügend R-R-Intervalle als zu kurz gemessen wurden, kann eine antitachykarde Stimulation (ATP = antitachykardes Pacing) oder die Abgabe von 6–18 Elektroschocks pro Ereignis mit einer Energie zwischen 15 und 30 Joule durchgeführt werden. Beim ATP versucht der ICD in einstellbaren Frequenzbereichen durch verschiedene Stimulationsalgorhythmen die Rhythmusstörung zu terminieren ohne einen Elektroschock abzugeben. Generell stellt das Berühren eines Patienten während Abgabe der Elektroschocks keine Gefahr dar.
6.1.4 Indikationen zur permanenten Schrittmacherbzw. ICD-Therapie
●
Die perioperative Betreuung des Patienten mit HSM oder ICD lässt sich in die Prämedikationsvisite, die intraoperative Betreuung und die postoperative Kontrolle der Schrittmacherfunktion unterteilen, wobei die Optimierung einer vor bestehenden Grunderkrankung nicht außer Acht gelassen werden darf.
Anamnese Der Prämedikationsvisite kommt ein hoher Stellenwert zu, da der HSM/ICD-Patient als solcher identifiziert wer-
Indikationen zur Implantationen eines permanenten Herzschrittmachers bzw. ICDs.
Indikationen HSM ●
6.1.5 Praktisches perioperatives Vorgehen beim Schrittmacherbzw. ICD-Patienten
Prämedikationsvisite/ präoperative Kontrolle
Klassische Indikationen zur permanenten HSM- bzw. ICD-Therapie sind in Tab. 6.3 aufgeführt. Mit zunehmender Erfahrung im Bereich der Gerätetechnologie konnte die Indikationsliste in den letzten Jahren erweitert werTabelle 6.3
den. Ursächlich sind neben der koronaren Herzkrankheit die Myokarditis, Kardiomyopathie, angeborene Herzfehler, posttraumatische Ursachen oder aber auch eine idiopathische Degeneration des Reizleitungssystems anzuführen, die eine Bradykardie bzw. Asystolie, Schwindel, Bewusstlosigkeit, Krämpfen einen Atem- bzw. HerzKreislaufstillstand zur Folge haben.
sinoatriale Dysfunktionen wie z. B. Sick-Sinus-Syndrom, Karotis-Sinus-Syndrom atrioventrikuläre Leitungsstörungen wie z. B. AV-Block 2. Grades – Typ Mobitz 2, AV-Block 3. Grades, intraventrikuläre Blockierungen wie z. B. bifaszikulärer Block mit Rechtsschenkelblock + linksanteriorer Hemiblock wenn anamnestisch über Schwindel oder Synkopen berichtet wird bzw. zusätzlich ein AV-Block 1. Grades besteht
●
hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie
●
dilatative Kardiomyopathie
●
Long-QT-Syndrom (siehe auch ICD)
Indikationen ICD ●
lebensbedrohliche ventrikuläre Tachykardien
●
Zustände nach erfolgreicher Reanimation bei z. B. Kammerflimmern
●
Prophylaktisch: – bei Disposition zu malignen Herzrhythmusstörungen – bei Kardiomyopathie mit einer Ejektionsfraktion unter 35 % – nach Myokardinfarkt mit einer Ejektionsfraktion unter 30 % – bei Listung zur Herztransplantation – bei Brugada-Syndrom – bei Long-QT-Syndrom
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen den muss. Andere implantierte Impulsgeber wie beispielsweise zur Schmerztherapie oder zur Thalamusstimulation bei Morbus Parkinson müssen unterschieden werden, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Da ein Großteil der HSM/ICD-Patienten an einer koronaren Herzkrankheit, dilatativen Kardiomyopathie, einem arteriellen Hypertonus und/oder einem Diabetes mellitus leiden, ist die sorgfältig erhobene Anamnese der Grunderkrankung ein absolutes Muss. Der prämedizierende Anästhesist sollte seine Aufmerksamkeit weiterhin auf Symptome beginnender oder bereits vorhandener HSM/ICD-Fehlfunktionen wie Schwindel, Synkopen, Tachykardien, Rhythmusstörungen lenken, wobei diese oftmals mit den Symptomen vor Implantation des Gerätes übereinstimmen. Weiterhin sollten mögliche, vom Patienten bereits wahrgenommene elektrische Interferenzen (Handy, Mikrowelle o. ä.) und thoraxnahe Gewalteinwirkungen erfragt werden.
Körperliche Untersuchung Die körperliche Untersuchung beinhaltet neben der obligaten Auskultation des Herzen die Inspektion und Palpation des Implantationsortes, um die Gerätegröße abzuschätzen und mögliche Veränderungen (Ulzerationen/ Lockerungen) im Bereich der Implantationstasche zu erkennen.
Laborchemische Kontrollen Laborchemische Kontrollen sollten dem Gesundheitszustand des Patienten und dem bevorstehenden Eingriff angepasst sein. Die Bestimmung der Elektrolytwerte sollte vor jedem Eingriff erfolgen, da akute Veränderungen Einfluss auf das myokardiale Ruhemembranpotenzial und somit auf die Gerätefunktion haben können.
EKG und Röntgen Bei dem zuvor beschriebenen Risikoprofil des HSM/ICDTrägers und um neu auftretende Herzrhythmusstörungen oder Veränderungen zu Vorbefunden beurteilen zu können, sollten präoperative EKG-Kontrollen routinemäßig angefordert werden, auch wenn die HSM-Funktion bei Demand-Geräten und regelrechter Herzfrequenz nicht immer zu beurteilen ist. Klassische Signale im EKG sind die je nach verwendeter Schrittmacherelektrode sichtbaren „Spikes“ vor dem entsprechenden Stimulationsort im EKG. Bei bipolaren Elektroden können die Spikes auch sehr klein sein. Bei Stimulation des Ventrikels sind die nachfolgenden Kammerkomplexe im EKG blockartig verändert (Abb. 6.1). Elektrodendislokationen oder -brüche nach thoraxnahen Gewalteinwirkungen können, besonders nach entsprechender Anamnese, durch Röntgen-Thorax-Aufnahmen in zwei Ebenen identifiziert werden. Besonders
gefährdet ist die Elektrodeninsertionsstelle am Schrittmacher-/ICD-Gehäuse, die Eintrittsstelle in die Vena subclavia und die Elektrodenpassage zwischen Klavikula und erster Rippe. Diese Bereiche müssen bei der radiologischen Diagnostik des traumatisierten Patienten besonders beachtet werden.
Dokumentation der gerätespezifischen Parameter Der prämedizierende Anästhesist muss mit Hilfe des Patienten und dessen HSM/ICD-Ausweises 8 Fragen beantworten können, die zur eigenen Gedächtnisstütze und für weiterbehandelnde Kollegen auf dem Prämedikationsprotokoll vermerkt werden sollten. 1. Warum wurde der HSM/ICD implantiert? 2. Wann wurde der HSM/ICD implantiert? 3. Welche Basalfrequenz wurde programmiert? 4. Welches HSM/ICD-Modell wurde implantiert? 5. Welcher Elektrodentyp wurde implantiert? 6. Wann erfolgte die letzte Kontrolle? 7. Wie reagiert das Gerät auf eine Magnetauflage? 8. Muss der Herzschrittmacher bzw. ICD präoperativ umprogrammiert werden? Während sich die erste Frage auf die zugrunde liegende Erregungsbildungs- bzw. -leitungsstörung bezieht, kann die zweite und dritte Frage Hinweise auf die Lebensdauer der Gerätebatterie geben, die je nach Modell und Programmmodus 5–10 Jahre beträgt. Die vierte Frage nach dem implantierten Modell kann das Fehlen der HSMAktion auf die präoperative EKG-Kontrolle erklären, da die Demand-Funktion bei physiologischer Herzfrequenz im Gegensatz zum festfrequenten Modus inaktiviert bleibt und keine HSM-Spikes auf dem EKG erscheinen sollten. Die Art der Elektrode lässt Rückschlüsse auf den Implantationsort zu. Die nur noch sehr selten verwendeten epikardialen Elektroden werden von außen in das Myokard eingebracht, wobei das Gerät in der Abdominalwand implantiert wird. Die häufig verwendeten endokardialen Elektrodenmodelle werden transvenös (V. subclavia, V. jugularis, V. cephalica/basilica) eingeführt und das Aggregat im Pectoralisbereich subkutan implantiert. Die Elektrodenlage ist bei ZVK-Anlage zu berücksichtigen. Bei Elektrodenplatzierung < 4 Wochen kann die Katheteranlage zu Dislokationen und somit zu Reizschwellenveränderungen führen, die eine sofortige Neuanlage bzw. externe Stimulation zur Folge haben. Die letzte Gerätekontrolle durch den Kardiologen sollte nach internationalen Empfehlungen nicht länger als drei Monate zurückliegen, wobei Routinekontrollen einmal im Jahr erfolgen sollten. Beim ICD-Patienten muss präoperativ durch den Kardiologen bzw. den Hersteller geklärt werden, wie oder ob das Gerät auf eine Magnetauflage reagiert. Dies muss entsprechend dokumentiert werden.
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6.1 Patienten mit Herzschrittmacher oder ICD
Merke
Das Vorhandensein des HSM/ICD-Ausweises ist bei elektiven Eingriffen ein absolutes Muss.
6.1.6 Muss ein Herzschrittmacher bzw. ICD präoperativ umprogrammiert werden? Besonders bei schrittmacherabhängigen Patienten ist die Frage einer Umprogrammierung z. B. in einen festfrequenten, sprich asynchronen Modus zu überdenken, wobei dabei das Risiko von malignen Rhythmusstörungen deutlich erhöht wird. Die Beendigung der Frequenzadaptation und Funktionen wie Hysterese und Ruhefrequenz sind nach Rücksprache mit dem Kardiologen möglich. Ein besonderes Augenmerk sollte auf die so genannten Bioimpedanzsensoren, beispielsweise den Atemminutensensor gelegt werden, der die Herzfrequenz der momentanen Atemfrequenz und damit potenziellen körperlichen Belastung anpassen soll. Bei diesen Geräten kann es infolge von mechanischer Ventilation oder bei der Anwendung monopolarer Elektrokauter zu unberechenbaren lebensbedrohlichen Tachykardien kommen. Generell ist bei einem schrittmacherabhängigen Patienten und einem vorhersehbaren großen chirurgischen Eingriff die Rücksprache mit einem Kardiologen oder HSM-Experten erforderlich. Beim ICD sollte die Tachykardiedetektion deaktiviert werden. Dies gilt im Besonderen für operative Eingriffe, bei denen das plötzliche Zucken oder Bewegen des Patienten katastrophale Folgen hätte, wie z. B. bei intraokulären oder neurochirurgischen Eingriffen. Die Deaktivierung wird auch vor großen chirurgischen Eingriffen, bei denen nahe dem ICD-Aggregat monopolar operiert wird, empfohlen. Nach Deaktivierung der Tachykardiedetektion muss die Möglichkeit zur externen Defibrillation jederzeit gegeben sein. Selbstverständlich ist postoperativ dafür Sorge zu tragen, dass der HSM/ICD wieder auf seine Ausgangsprogrammierung zurückgesetzt wird. Generell schützt eine Umprogrammierung nicht vor Schäden oder Störungen am Gerät oder den Elektroden, die durch perioperative elektromagnetische Interferenzen auftreten. Die antibradykarde Funktion des ICDs bleibt auch nach Deaktivierung der Schockfunktion erhalten.
6.1.7 Intraoperatives Vorgehen Das intraoperative Vorgehen bei einem HSM/ICD-Patienten wird im Folgenden in Monitoring, Anaesthesieverfahren, mögliche Interferenzen und deren Management unterteilt, wobei die perioperative Überwachung der Grunderkrankung des Patienten angepasst werden muss. Weiterhin soll in diesem Zusammenhang auf die Anwendung des Magneten und Techniken zur temporären Schrittmacherstimulation eingegangen werden. Bei allen Eingriffen muss die Möglichkeit einer temporären ggf.
externen oder internen Stimulation bei Funktionsstörung und zur Defibrillation gegeben sein. Generell sollte aber der Patient und nicht der HSM oder ICD überwacht werden.
Monitoring Um sowohl die elektrische als auch die mechanische Integrität der Herzfunktion zu überwachen, umfasst das perioperative Monitoring neben der obligatorischen EKGRegistrierung weitere mechanische Komponenten wie die Palpation des Pulses, die Pulsoxymetrie und ggf. bei entsprechender Vorerkrankung eine arterielle invasive Blutdruckmessung. Auf die Platzierung eines pulmonalarteriellen Katheters sollte nach Möglichkeit verzichtet werden, da die Dislokationsgefahr der HSM/ICD-Elektroden erhöht wird. Alternativ kann zur HZV-Überwachung PICCO™ oder die transösophageale Echokardiografie eingesetzt werden.
Anästhesieverfahren Auch die Auswahl des Anästhesieverfahrens sollte der zugrunde liegenden Erkrankung des Patienten angepasst sein, wobei Inhalations- und/oder intravenöse Anästhetika wie auch die Regionalanästhesie angewandt werden können. Auf depolarisierende Muskelrelaxanzien wie Succinylcholin sollte nach Möglichkeit verzichtet werden, da Muskelfaszikulationen die Demandfunktion des HSM/ICD unterdrücken und zum Ausfall der Stimulationsfunktion während der Narkoseeinleitung führen (sog. Oversensing). Gleiches gilt für postoperatives Shivering, das zu Fehlinformationen des HSM und damit zu Funktionsstörungen führen kann.
Elektromagnetische Interferenzen Moderne Diagnose- und Operationseinrichtungen beinhalten eine fast unüberschaubare Vielfalt an elektronischen Geräten. Obwohl die heutigen HSM/ICD-Geräte eine gute Abschirmung gegenüber elektromagnetischen Interferenzen bieten, berichtet die FDA (Food and Drug Administration) zwischen 1984 und 1997 von 456 schweren intraoperativen Zwischenfällen mit Impulsgebern, davon 255 in Zusammenhang mit Elektrokautern und eine signifikante Anzahl an Schrittmacherausfällen (Maisel et al. 2006). Auch die Abgabe inadäquater oder ineffektiver Elektroschocks durch ICD ist beschrieben. Funktionsstörungen der kardialen Stimulation des HSM oder die ineffektive intrakardiale Abgabe von Elektroschocks des ICD können generell durch Erhöhung der Reizschwelle wie zum Beispiel bei myokardialer Ischämie, Elektroden- oder Aggregatsfunktionsstörungen ausgelöst werden. Der monopolare Elektrokauter stellt eine wichtige potenzielle Interferenz dar. Der alternierende Stromfluss
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen (50 000 bis 2 Millionen Hz) zwischen der aktiven und der Erdungselektrode kann zu einer Hemmung des Outputs und somit zum HSM-Ausfall führen. Bei exzessiver Anwendung kann die Programmierung während eines Kautervorgangs gelöscht bzw. verändert werden (Phantomprogrammierung). Während der Operation sollte sich daher die indifferente Kauterelektrode soweit wie möglich vom Aggregat entfernt und so nah wie möglich am OP-Gebiet befinden, der Kautervorgang sollte kurz und intermittierend, mit längeren Pausen sein. Sollte es dennoch zu Funktionsstörungen des HSM kommen, muss mit den chirurgischen Kollegen die Anwendung eines bipolaren Elektrokauters oder eines Ultraschallskalpells besprochen werden. Diese Alternativen bieten eine sichere Möglichkeit und sollten daher bevorzugt eingesetzt werden. Weitere Störungen sind bei Anwendung peripherer Nervenstimulatoren oder sensomotorisch evozierter Potenziale (SEP), bei der Elektrokrampftherapie, Radiatio, Lithotripsy und bei transurethralen Resektionen im Bereich der Blase oder der Prostata (TUR-B/P) beschrieben worden. Nach diesen Eingriffen wie auch nach großen thorakalen oder abdominellen Eingriffen muss die Gerätefunktion unbedingt direkt postoperativ, bzw. vor Verlegung auf eine „Nicht-Überwachungsstation“ durch einen Spezialisten telemetrisch kontrolliert werden. Die Magnetresonanztomografie (MRT) stellt für den Patienten mit implantierten HSM/ICD eine Kontraindikation dar, wobei mittlerweile auch besonders gekennzeichnete MRT-geeignete Modelle auf dem Markt sind. Bei strenger Indikationsstellung wird auch eine kranielle MRT-Untersuchung mit 1,5 Tesla als möglich erachtet, dennoch muss der Patient während und nach der Untersuchung engmaschig überwacht, bzw. der HSM/ICD nach der Untersuchung telemetrisch überprüft werden. Das diagnostische Röntgen wird als unbedenklich erachtet. Moderne Geräte schalten bei langwierigen Störsignalen auf den so genannten „Noise Interference Mode“ d. h. auf eine asynchrone Stimulation um. Bei weiter bestehenden elektromagnetischen Interferenzen kann ein BackupModus (typischerweise ein VVI-Modus) aktiviert werden, der auch nach Beendigung des Störsignals weiter bestehen bleibt und nur durch den Einsatz eines geeigneten Telemetriegerätes beendet werden kann. Da die oben genannten Interferenzen erfahrungsgemäß nicht nur den HSM sondern auch das EKG-Monitoring beeinflussen, muss in diesem Zusammenhang nochmals auf die Wichtigkeit einer mechanischen Überwachung der Herztätigkeit hingewiesen werden.
Merke
Da die oben genannten Interferenzen erfahrungsgemäß nicht nur den HSM, sondern auch das EKG-Monitoring beeinflussen, ist eine mechanische Überwachung der Herztätigkeit ausgesprochen wichtig.
Der Magnet, was kann er wirklich? Mythen und Gerüchte über die Anwendung des Magneten führen oftmals zur Verunsicherung. Die schlechte Nachricht lautet: Leider sind generelle Empfehlungen zur Anwendung eines Magneten bedingt durch die verschiedensten Hersteller und Programmierungsmöglichkeiten nicht möglich. Auch HSM/ICD ein- und desselben Herstellers können auf Magnete ganz unterschiedlich oder aber auch überhaupt nicht reagieren. Die beste Empfehlung ist immer noch der Anruf beim Hersteller. Alle Hersteller verfügen über 24-Stunden-Hotlines, die mit geschultem Personal besetzt sind.
Praxisanleitung Bei plötzlichem Ausfall eines HSM/ICD sind folgenden Maßnahmen sinnvoll: Das Auflegen des Magneten direkt auf das HSM-Aggregat kann zu einer festfrequenten, asynchronen Stimulation ungeachtet der ursprünglichen Programmierung führen. Diese Funktion wird nur während der Auflage beibehalten. Bei plötzlich auftretenden technischen Störungen des Aggregates kann damit eine weiter bestehende Stimulation des schrittmacherabhängigen Patienten gewährleistet werden. Bei Entfernen des Magneten wird die ursprüngliche Programmierung im Großteil der Fälle wiederhergestellt. Eine generelle intraoperative Anwendung des Magnetes sollte allerdings nicht erfolgen, da die Gefahr einer Programmänderung des Gerätes durch Öffnen des so genannten Reed-Relais bei aufgelegtem Magnet und Anwesenheit von elektromagnetischen Interferenzen erhöht ist. Bei Versagen dieser Möglichkeit und nicht ausreichendem kardialen Auswurf ist bei schrittmacherabhängigen Patienten die Frequenzsteigerung mit intravenös applizierten Vagolytika und Sympathomimetika bzw. mit der kardiopulmonalen Reanimation nach den aktuellen ERC-Leitlinien zu beginnen. Wichtig ist der zeitnahe Beginn einer externen oder internen kardialen Stimulation mittels eines temporären Schrittmachers (siehe unten).
Die Auflage eines Magneten auf das ICD-Aggregat führt meistens für die Dauer der Auflage zu einer Beendigung der Schockabgabe bzw. zur Beendigung der Tachykardiedetektion. Herstellerinformationen diesbezüglich müssen daher bereits präoperativ vorliegen. Das Umschalten auf einen asynchronen Modus durch Auflage eines Magneten ist im Gegensatz zum HSM beim ICD nicht möglich. Die Antibradykardie- sprich Schrittmacherfunktion bleibt trotz Magnetauflage bestehen. Das Beendigen der Antitachykardiefunktion sollte bereits präoperativ durch eine Umprogrammierung erfolgen, eine routinemäßige intraoperative Auflage des Magneten wird nicht empfohlen.
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6.1 Patienten mit Herzschrittmacher oder ICD Tabelle 6.4
Checkliste perioperatives Vorgehen beim Patienten mit HSM/ICD.
präoperatives Vorgehen ●
Anamnese
Klärung von 8 Fragen:
●
körperliche Untersuchung
1. Warum wurde der HSM/ICD implantiert?
●
laborchemische Kontrolle
2. Wann wurde der HSM/ICD implantiert?
●
EKG
3. Welche Basalfrequenz wurde programmiert?
●
Röntgen-Thorax-Aufnahme
4. Welches HSM/ICD-Model wurde implantiert? 5. Welcher Elektrodentyp wurde implantiert? 6. Wann erfolgte die letzte Kontrolle? 7. Wie reagiert das Gerät auf eine Magnetauflage? 8. Muss der HSM/ICD präoperativ umprogrammiert werden?
intraoperatives Vorgehen ●
Monitoring/Anästhesieverfahren: der Grunderkrankung und dem operativen Vorgehen angepasst
●
Magnet, Defibrillator und die Möglichkeit zur externen Stimulation vorhanden?
●
elektromagnetische Interferenzen: Cave: periphere Nervenstimulatoren, Elektrokrampftherapie, sensomotorisch evozierte Potenziale (SEP), Radiatio, Lithotripsie, transurethrale Resektionen (TUR-P/B)
●
Anwendung von bipolarem Elektrokauter oder Ultraschallskalpell möglich?
●
Wenn nicht: Neutralelektrode so weit wie möglich vom Aggregat entfernt platzieren, kurze Kautervorgänge, Vermeiden des Stromflusses durch das Aggregat
●
Magnet, Defibrillator und die Möglichkeit zur externen Stimulation vorhanden?
●
hämodynamisches Monitoring weiterführen
●
HSM/ICD durch Spezialisten wieder in seine Ausgangsprogrammierung überführen
●
Kontrolle der Funktionsfähigkeit nach allen Eingriffen mit der Möglichkeit elektromagnetischer Interferenzen
●
relative Kontraindikation: MRT
postoperatives Vorgehen keine Verlegung aus dem Überwachungsbereich bevor nicht rechts stehende Maßnahmen getroffen wurden
Defibrillation Die Defibrillation stellt auch bei HSM-Trägern die Methode der Wahl bei der Behandlung von Kammerflimmern da. Bei deaktiviertem ICD bzw. ineffektiver intrakardialer Schockabgabe durch den ICD ist die externe Defibrillation notwendig. Bei magnetdeaktiviertem ICD sollte primär der Magnet entfernt und damit die Antitachykardiedetektion und Schockabgabe des ICD wiederhergestellt werden. Bei der Notwendigkeit einer externen Defibrillation sollten die externen Defi-Paddel nicht direkt über dem Aggregat aufgesetzt werden, da dadurch das Gerät zerstört werden kann. Weiterhin kann das Erhitzen der Elektroden zu Verbrennungen des Endo-/ Myokards und somit zu einer Reizschwellenerhöhung führen. Manche Autoren favorisieren die Anterior-Posterior-Position zur transthorakalen Defibrillation. Jedoch ist diese Position durch ein erschwertes Handling bei der manuellen Defibrillation oftmals nicht zeitnah möglich. Nach erfolgter Defibrillation oder Kardioversion muss jeder HSM/ICD-Patient vor Verlegung auf eine „NichtÜberwachungsstation“ einem Kardiologen zur Funktionskontrolle des Aggregatsystems vorgestellt werden.
Temporäre Schrittmacher Bei plötzlichem Ausfall des HSM oder akuter kreislaufwirksamer bradykarder Herzrhythmusstörung kann der schnelle Einsatz eines temporären HSM lebensrettend sein. Prinzipiell können mehrere Methoden unterschieden werden.
Transthorakale Stimulation In der präklinischen Notfallmedizin oder akuten innerklinischen Notfallsituationen hat sich aufgrund der schnellen, nicht invasiven Durchführbarkeit die transthorakale Stimulation mittels aufklebbaren Elektroden durchgesetzt. Über diese wird mit Hilfe eines externen HSM das Myokard transthorakal stimuliert. Durch den hohen transthorakalen Widerstand sind hohe Stimulationsenergien notwendig. Nachteil dieser Methode sind die schmerzhaften Muskelkontraktionen der benachbarten Muskelgruppen, die vom Patienten nur in analgosediertem Zustand über einen längeren Zeitraum toleriert werden. Die Methode sollte daher nur einen überbrückenden Charakter haben. Über die aufgeklebten Elektroden besteht je nach Modell auch die direkte Möglichkeit der Defibrillation.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Transvenöse Stimulation Die transvenöse Stimulation stellt die effektivste Methode da. Nach Punktion einer zentralen Körpervene (z. B. V. subclavia oder V. jugularis interna) lässt sich die Schrittmachersonde ggf. auch unter Röntgenkontrolle gezielt in dem gewünschten Herzabschnitt positionieren. Danach wird das extrakardiale HSM-Aggregat angeschlossen und die gewünschte Stimulationsfrequenz und Energie eingestellt. Bei liegendem Pulmonaliskatheter mit Swan-Ganz-Paceport (Baxter) kann die Positionierung der HSM-Sonde (Chandlersonde, Baxter) auch direkt über den rechtsventrikulären Schenkel des Pulmonaliskatheters erfolgen. Wichtig ist bei allen temporären Stimulationsverfahren die Überprüfung der korrekten Funktion. Diese wird mittels EKG (Vorliegen eines typischen Schrittmacher-EKGs mit den entsprechenden Spikes) bei gleichzeitigem Überprüfen einer suffizienten Myokardkontraktion mit entsprechender Auswurfleistung z. B. durch Tasten des peripheren Pulses oder einer invasiven, arteriellen Blutdruckmessung kontrolliert.
Kernaussagen ●
●
●
●
●
●
Bei Patienten mit HSM/ICD ist jedes Anästhesieverfahren, abgestimmt auf die Grunderkrankung und den operativen Eingriff, möglich. Der HSM/ICD-Ausweis stellt bei operativen Eingriffen ein wichtiges Dokument dar und muss dem Anästhesisten perioperativ zur Verfügung stehen (ggf. in Kopie). Die intraoperative Überwachung des Patienten mit HSM/ICD muss neben dem obligatorischen EKG eine mechanische Komponente wie z. B. die Pulsoxymetrie oder bei entsprechender Indikation die invasive arterielle Blutdruckmessung beinhalten. Die Reaktion des HSM/ICDs auf das Auflegen eines Magnetes kann auf Grund der Verschiedenartigkeit der Modelle nicht generell vorhergesagt werden, im Notfall (inadäquate Schockabgabe, unklare Bradykardie) sollte die Magnetauflage jedoch versucht werden. Eine generelle intraoperative Magnetauflage bei HSM/ ICD-Patienten ist abzulehnen. Eine postoperative Kontrolle der HSM/ICD-Funktion muss bei allen Patienten zeitnah angestrebt werden.
6.1.8 Postoperatives Vorgehen Alle präoperativ neu- oder umprogrammierten HSM/ICD müssen natürlich direkt postoperativ wieder in ihre Ausgangsprogrammierung z. B. Ausgangsfrequenz überführt werden, da diese den physiologischen Gegebenheiten am besten entspricht. Auch bei intrapoperativem Einsatz eines Magnetes oder Elektrokauters ist eine direkte postoperative HSM/ICD-Funktionskontrolle erforderlich. Bis zur definitiven Bestätigung der ordnungsgemäßen Funktion muss der Patient kontinuierlich monitorüberwacht werden. Ein externer Defibrillator muss bei allen deaktivierten ICDs jederzeit zur Verfügung stehen, bis die Funktion wiederhergestellt bzw. überprüft wurde. Die meisten Hersteller empfehlen eine postoperative telemetrische Funktionskontrolle, um die regelrechte Funktion der Geräte zu dokumentieren.
Merke
Alle präoperativ neu- oder umprogrammierten HSM/ICD müssen unmittelbar postoperativ wieder in ihre Ausgangsprogrammierung überführt werden.
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6.2 Herzrhythmusstörungen P. Teschendorf, N. Butte
6.2.1 Einführung
6.2.3 Prävention
Die in der Literatur angegebene Inzidenz perioperativer kardialer Rhythmusstörungen unterliegt großen Schwankungen und ist in hohem Maße abhängig vom untersuchten Patientenkollektiv, von der Art des chirurgischen Eingriffs, enger oder weiter gefasster Definition und nicht zuletzt davon, wie engmaschig die untersuchten Patienten hinsichtlich neu auftretender Arrhythmien überwacht wurden. So treten bei ca. 10–40 % kardio- und thoraxchirurgischer Patienten postoperative Rhythmusstörungen auf, bei gefäß- und abdominalchirurgischen Eingriffen sind es etwa 4–20 % (Tab. 6.5). Insgesamt überwiegen deutlich die supraventrikulären Rhythmusstörungen, wobei die häufigste perioperative Arrhythmie das Vorhofflimmern darstellt. Perioperative Arrhythmien tragen zur Verlängerung des Krankenhausaufenthalts bei und führen oft zu einer Wiederaufnahme der Patienten auf die Intensivstation. In einigen Studien sind perioperative Arrhythmien mit einer erhöhten Mortalität assoziiert, wobei in der Mehrzahl der Fälle die zugrunde liegende Erkrankung die Prognose bestimmt.
Die Prävention umfasst das gesamte therapeutische Spektrum internistischer Krankheitsbilder. So gelten im präoperativen Bereich die gleichen Grundsätze wie bei der internistischen Therapie von Begleiterkrankungen wie z. B. arterieller Hypertonie, koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Diabetes mel-
6.2.2 Prädisponierende Faktoren Zu den Risikofaktoren, welche das Auftreten perioperativer Arrhythmien begünstigen, zählen fortgeschrittenes Alter (> 60 Jahre), Herzrhythmusstörungen in der Vorgeschichte, arterielle Hypertonie, männliches Geschlecht und strukturelle Herzerkrankungen (KHK, Vitien, Kardiomyopathie, Herzinsuffizienz). Neben diesen statischen Determinanten gibt es im perioperativen Umfeld eine Reihe dynamischer und damit beeinflussbarer Komponenten. Hierzu zählen respiratorische, metabolische und kardiozirkulatorische Störungen ebenso wie Stressreaktionen auf chirurgische oder anästhesiologische Maßnahmen (Tab. 6.6). In der postoperativen Phase tragen außerdem inflammatorische Reaktionen und ein erhöhter Sympathikotonus zur Entstehung von Arrhythmien bei. Das Management perioperativer Rhythmusstörungen kann in 2 Abschnitte unterteilt werden: Erstens die Prävention und zweitens die Akutintervention.
Tabelle 6.5 Inzidenzen perioperativer Arrhythmien. Zusammenfassung der Daten aus 5 prospektiven Kohortenstudien mit insgesamt 6253 nicht kardiochirurgischen Patienten. AT: atriale Tachykardie, SVT: supraventrikuläre Tachykardie. Vorhofflimmern
4,41 %
Vorhofflattern
0,94 %
paroxysmale AT
0,3 %
multifokale AT
0,4 %
paroxysmale SVT
3%
ventrikuläre Ektopien
0,3 %
ventrikuläre Tachykardien
0,13 %
Kammerflimmern
0,02 %
Total
7,84 %
Tabelle 6.6 Risikofaktoren für das Auftreten kardialer Arrhythmien in der perioperativen Phase. statische Faktoren
reversible Faktoren
Alter
Stress, adrenerge Stimulation, Angst
männliches Geschlecht
Hypoxie
anamnestische Herzrhythmusstörungen
Hyperkapnie
KHK
Azidose
Herzinsuffuzienz
Elektrolytstörungen
Vitien
Hypothermie
Kardiomyopathien
Hypovolämie/Schock
COPD
kardiale Ischämie
Herz-/Thorax-Chirurgie
mechanische Irritation oroarrhythmogene Medikamente
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen litus, Schilddrüsendysfunktionen, Fettstoffwechselstörungen und vaskulären Insuffizienzen (zerebral, peripher). Aufgrund der höheren Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse hat sich gerade bei älteren Patienten eine sehr große Effektivität einer konsequenten medikamentösen Therapie gezeigt (s. Kap. 4.2). Eine besondere Rolle nehmen hier Substanzen wie Angiotensin-II-Antagonisten, ACE-Hemmer, Acetylsalicylsäure, β-Rezeptorenblocker und Lipidsenker (Statine) ein. Der bevorstehende operative Eingriff an sich stellt keine alleinige Indikation für neue Therapieregimes dar. Daher sollte in Anbetracht dieser häufig multimorbiden Patienten eine bestehende Dauermedikation immer fortgesetzt werden. Weiterhin sollte ggf. eine Therapie potenzieller reversibler Faktoren (Tab. 6.6) erfolgen.
6.2.4 Akutintervention Für die Akuttherapie gelten die folgenden 4 Grundsätze: 1. Stabile vs. instabile Hämodynamik bestimmt das Vorgehen. 2. Keine „EKG-Kosmetik“ bei fehlender Symptomatik. 3. Diagnostik vor antiarrhythmischer Therapie. 4. Kausale Therapie vor symptomatischer Behandlung. Sollten die Rhythmusstörungen in der postoperativen Phase persistieren, ist ein kardiologisches Konsil und ggf. eine invasive Diagnostik (Herzkatheter, elektrophysiologische Untersuchung) angezeigt.
Tabelle 6.7 Williams.
Klassifikation der Antiarrhythmika nach Vaughan-
Klasse
Beispiel
Wirkmechanismus
I
A: Ajmalin
rascher Natriumeinstrom ↓
B: Lidocain C: Propafenon, Flecainid II
alle Betablocker
Sympathikolyse
III
Amiodaron, Sotalol
Kaliumausstrom ↓
IV
Verapamil, Diltiazem
langsamer Kalziumeinstrom ↓
Angesichts der hohen Spontankonversionsrate von bis zu 80 % innerhalb der ersten 24–48 h ist eine Frequenzkontrolle zu einer Rhythmuskontrolle im akuten Handlungsbedarf als gleichwertig zu sehen. Hier sind Substanzen wie Betablocker (Esmolol ist aufgrund seiner kurzen Halbwertszeit besonders geeignet), Kalziumantagonisten und Digitalisanaloga an erster Stelle zu nennen. Lang wirksame Medikamente wie das Amiodaron sollten im Hinblick auf potenzielle Nebenwirkungen (Hypo-, Hyperthyreose) und schwer vorhersagbare Pharmakokinetik und -dynamik zurückhaltend eingesetzt werden. Eine Rhythmuskontrolle kann mit Substanzen der Klasse IC, III und IV nach Vaughan-Williams (Tab. 6.7) erreicht werden. Intraoperativ kann bei anästhesierten Patienten eine elektrische Kardioversion eine sichere Alternative mit minimaler Nebenwirkung und Konversionsraten von bis zu 98 % darstellen.
Tachykarde Rhythmusstörungen Zunächst soll auf die tachykarden Rhythmusstörungen eingegangen werden. Prinzipiell unterscheidet man zwischen supraventrikulären und ventrikulären Tachykardien. Liegt eine instabile Hämodynamik vor, stellt die Defibrillation bzw. R-Zacken-getriggerte Kardioversion mit ggf. kardiopulmonaler Reanimation das Mittel der ersten Wahl dar. Bei stabilen hämodynamischen Verhältnissen sollte vor einer speziellen Therapie immer eine mögliche kausale Therapie stehen. Erst nach Versagen dieser Therapieansätze sollte unter Einbeziehung der Begleiterkrankungen und der besonderen pharmakologischen Verhältnisse der betagten Patienten eine spezielle Therapie eingeleitet werden.
Supraventrikuläre Tachykardien Zur Behandlung des Tachyarrhythmia absoluta können zwei unterschiedliche Strategien angewendet werden. Es kann versucht werden, das Vorhofflimmern wieder in einen Sinusrhythmus zu überführen (Rhythmuskontrolle), oder es wird auf die Wiederherstellung eines Sinusrhythmus verzichtet und nur eine Normalisierung der Herzfrequenz angestrebt (Frequenzkontrolle).
Ventrikuläre Rhythmusstörungen Instabile ventrikuläre Tachykardien werden gemäß den Richtlinien der AHA/ACC und des ERC kardiopulmonal reanimiert und defibrilliert. Das Antiarrhythmikum der Wahl laut Richtlinien ist das Amiodaron. Lidocain stellt eine gute Alternative mit kurzer Halbwertszeit dar. Alle stabilen Formen der ventrikulären Tachykardien können synchron kardiovertiert werden. Als Antiarrhythmika stehen hier wiederum das Lidocain und Amiodaron zur Wahl. Ajmalin gilt als Therapie der Wahl bei akzessorischer Leitungsbahn wie dem Wolff-Parkinson-White-Syndrom. Die Torsade-de-pointes-Tachykardie als Sonderfall der ventrikulären Tachykardien muss zusätzlich mit Magnesium therapiert werden. Eine ventrikuläre Extrasystolie ist in den wenigsten Fällen therapiebedürftig. Erst bei Salven und gehäuften polytopen Extrasystolen sollte eine Therapie eingeleitet werden.
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6.2 Herzrhythmusstörungen
Bradykarde Rhythmusstörungen Die Therapie der bradykarden Rhythmusstörungen spielt eine untergeordnete Rolle. Vor dem Einsatz passagerer Schrittmacher (transthorakal, transösophageal, transvenös) sollten parasympathomimetische Stimuli (vasovagale Reaktionen, i. v. Narkotika) ausgeschlossen werden bzw. mit Atropin oder einem Beta-Sympathomiketikum behandelt werden.
Kernaussagen ●
●
●
●
Die Inzidenz perioperativer kardialer Rhythmusstörungen erreicht je nach operativem Eingriff und bestehenden Risikofaktoren bis zu 40 %. Die häufigste perioperative Arrhythmie ist das Vorhofflimmern. Als sehr effektiv im Sinne einer Prävention hat sich bei alten Menschen die konsquente medikamentöse Therapie von Vorerkrankungen erweisen. Die Akuttherapie tachykarder Rhythmusstörungen erfolgt bei instabiler Hämodynamik mittels Defibrillation bzw. Kardioversion, bei stabiler Hämodynamik steht vor einer speziellen Therapie die kausale Therapie.
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6.3 Neurologische Erkrankungen B. Sinner
6.3.1 Einführung Zerebrale Funktionsstörungen führen beim alten Patienten häufig zu einer erheblichen Steigerung der Morbidität und Mortalität. Neben den bereits präoperativ bestehenden Erkrankungen wie Demenz, Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson oder zerebrale Ischämie können postoperative Störungen der kognitiven Leistungsfähigkeit und Delirium auftreten (s. Kap. 2.1). Folge dieser Störungen ist eine Einschränkung der kognitiven und körperlichen Leistungsfähigkeit. Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf die Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes und eine Reduktion der Lebensqualität begünstigen postoperative kognitive Funktionsstörungen die Entwicklung einer Demenz. Von den Demenzerkrankungen abgegrenzt wird das so genannte „mild cognitive impairement“ (MCI). MCI bezeichnet bei älteren Menschen subjektive und objektive über das durchschnittliche Ausmaß hinausreichende Gedächtnisstörungen, durch die alltägliche Aktivitäten nur geringfügig beeinträchtigt werden. In diesem Kapitel sollen die wichtigsten perioperativen neurologischen Erkrankungen erläutert werden.
Merke
Altern ist mit einer individuellen Einschränkung der kognitiven Reserve verbunden. Die zerebralen Kompensationsmöglichkeiten sind reduziert und Faktoren wie Stress, Entzündungen oder eine Operation können zur zerebralen Dekompensation führen.
6.3.2 Demenzerkrankungen Demenz ist definiert als eine chronische Abnahme der kognitiven Leistungsfähigkeit bzw. nach ICD-10 als ein Syndrom, welches Folge einer meist chronischen Krankheit des Gehirns ist und mit Störungen vieler höherer kortikaler Funktionen (Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache, Sprechen und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung) einhergeht. Die Symptome müssen für mindestens 6 Monate bestehen. Grundsätzlich unterscheidet man primäre Demenzerkrankungen (Morbus Alzheimer bzw. Demenz vom Alzheimertyp sowie vaskuläre Demenz) und sekundäre Demenzerkrankungen, die im Rahmen anderer Grunderkrankungen auftreten können (z. B. Morbus Parkinson,
Apoplex). 10–15 % aller Menschen über 65 Jahren leiden an Demenz. In der Altersgruppe der über 85-Jährigen beträgt die Inzidenz sogar nahezu 50 %.
Merke
Häufig fallen leichte Verlaufsformen der Demenz im Alltagsleben nicht auf. In Ausnahmesituationen, die mit Informationsflut und Stress verbunden sind, wie Klinikaufenthalt oder Operation, wird die Demenz jedoch demaskiert.
Senile Demenz vom Alzheimer-Typ Die Inzidenz der senilen Demenz vom Alzheimer-Typ in der Bevölkerung steigt nicht zuletzt aufgrund des steigenden Alters der Bevölkerung. Im Alter von 70 Jahren beträgt sie 3 %; von den 85-Jährigen leiden jedoch schon 20 % an dieser Form der Demenz. Im Jahr 2050 wird weltweit eine Häufigkeit von 1 : 85 erwartet. Mit dem Begriff des Morbus Alzheimer wird das Auftreten dieser Erscheinungsform in jungen Jahren bezeichnet (präsenile Demenz). Tritt die Demenz später auf, so wird sie als senile Demenz vom Alzheimertyp bezeichnet.
Pathogenese Morbus Alzheimer tritt in ca. 10 % der Fälle familiär gehäuft auf. Ursächlich können hierfür Mutationen in 3 verschiedenen Genen (Präsenilin 1, Präsenilin 2 und des APP-Gens [APP: Amyloid-Precursor-Protein]) verantwortlich gemacht werden. Diese sind auf den Chromosomen 14, 1 und 21 lokalisiert. Pathomorphologisch findet man beim Morbus Alzheimer extrazellulär lokalisierte senile Plaques. Diese bestehen aus Amyloid-β-Peptid und entstehen aus dem Amyloid-Precursor-Protein. Außerdem lassen sich intrazellulär Neurofibrillen nachweisen, die durch Phosphorylierung von τ-Protein entstehen. Beide Proteine führen zur neuronalen Dysfunktion und induzieren Apoptose. Sie können schon Jahre vor Ausbrechen der Erkrankung nachgewiesen werden. Bestimmte Bedingungen können zu einer verstärkten Bildung von Amyloid-β-Peptid und Neurofibrillen führen. Als Risikofaktoren für die perioperative Entstehung einer Alzheimer-Demenz konnten tierexperimentell, aber auch
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6.3 Neurologische Erkrankungen am Menschen Hypoxämie (Moroney et al. 1996, Xie u. Tanzi 2006) und Hypokapnie (Wollman u. Orkin 1968), besonders in Kombination mit prolongierter Hypotension aufgedeckt werden.
Anästhesiologische Besonderheiten Die medikamentöse Therapie der Demenz besteht zumeist aus Acetylcholinesterasehemmern. Damit konnte in Studien die Erkrankung zwar nicht aufgehalten, aber das Fortschreiten und die Schwere reduziert werden. Die meisten Anästhetika interagieren mit Acetylcholin. Volatile Anästhetika wie Isofluran, Sevofluran und Desfluran binden sowohl an nikotinerge als auch an muskarinerge Acetylcholinrezeptoren. Opioide wie Fentanyl oder Morphin binden ebenfalls an Acetylcholinrezeptoren, wohingegen Remifentanil keine Interaktionen mit dem cholinergen System aufzuweisen scheint. Bei der Verwendung von Muskelrelaxanzien muss mit einer verlängerten Blockade gerechnet werden. In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass volatile Anästhetika, in hohen Dosen auch Propofol, die Aβ-Oligomerisation beschleunigen und die Toxizität der Aβ-Proteine verstärken (Eckenhoff et al. 2004, Mandal et al. 2006). Außerdem beschleunigen Isofluran, Halothan oder Pentobarbital in Kombination mit einem volatilen Anästhetikum bei Hypothermie die Phosphorylierung der τProteine. Normothermie hebt diesen Effekt wieder auf. Ob Anästhetika beim Menschen Aβ-Proteine induzieren und ob die Bildung von Aβ-Proteinen beim Menschen für die Entstehung einer postoperativen kognitiven Dysfunktion (POCD) relevant ist, ist bislang unklar. Möglicherweise sollte bei der Durchführung der Anästhesie bei Patienten mit Alzheimererkrankung einem Regionalanästhesieverfahren der Vorzug gegeben werden. Für die Allgemeinanästhesie scheint es unter den dargestellten Effekten der Anästhetika sinnvoll zu sein, kurzwirksame Anästhetika unter Verzicht auf Isofluran und Barbiturate zu verwenden. Außerdem sollte auf Normothermie und Aufrechterhaltung der Homöostase sowie mögliche Medikamenteninteraktionen zwischen den Acetylcholinesteraseinhibitoren und Anästhetika geachtet werden. Die pathologischen Veränderungen des Gehirns führen im Vergleich zum gesunden Patienten bereits im Wachzustand zu einer Reduktion des Bispektral-Index (BISIndex) auf ca. 90–95 %.
6.3.3 Morbus Parkinson Bei Patienten älter als 65 Jahre beträgt die Inzidenz des M. Parkinson 3 % und steigt bis zum Alter von 80 Jahren weiter an: die Dunkelziffer ist sicherlich höher. Ca. 5–10 % der an Morbus Parkinson erkrankten Patienten haben bereits im Alter von 40 Jahren erste Symptome.
Pathogenese und Pathophysiologie Ursächlich werden sowohl genetische Faktoren, Umwelteinflüsse oder Infektionen diskutiert. Zusätzlich zählen Arteriosklerose, neurodegenerative Erkrankungen, wiederholtes Schädel-Hirn-Trauma, Tumoren oder metabolische Erkrankungen (z. B. Morbus Wilson) zu den Ursachen. Außerdem können Medikamente wie z. B. Phenothiazine, Butyrophenone oder Metoclopramid durch Dopaminrezeptorblockade das klinische Bild einen Morbus Parkinson auslösen. Neben dem wichtigsten Risikofaktor, dem Alter, spielt eine positive Familienanamnese eine wichtige Rolle. Krankheiten, die dem Morbus Parkinson ähneln und deren Ursache ebenfalls in der neuronalen Degeneration im Bereich der Basalganglien liegen, werden als sog. atypische Parkinsonsyndrome oder Parkinson-Plus-Syndrome bezeichnet. Hierzu zählen u. a. Multi-System-Atrophie, progressive supranukleäre Blickparese, kortikobasale Degeneration oder die Lewy-Body-Erkrankung. Diese Erkrankungen sind allerdings sehr selten. Der Morbus Parkinson ist gekennzeichnet durch einen Verlust dopaminerger Neurone in der Pars compacta der Substantia nigra der Basalganglien. Der genaue Mechanismus ist noch nicht geklärt. Bei den betroffenen Gebieten des Mittelhirns handelt es sich v. a. um das Striatum, Caudatum, Putamen, Globus pallidus, Nucleus subthalamicus, Substantia nigra (Pars compacta). Diese Bereiche sind für die Bewegungskontrolle verantwortlich. Die motorischen Bahnen ziehen vom Kortex zum Rückenmark. Der Anteil durch das Mittelhirn wird auf dem Weg vom Striatum zum Thalamus in einen Internal Pathway (über Dopamin-1-Rezeptoren) oder External Pathway (über D2-Rezeptoren) aufgeteilt (Abb. 6.2). Exzitatorische cholinerge Neurone werden durch Dopamin gehemmt. Beim Morbus Parkinson ist der Neurotransmitter Acetylcholin (Ach) in normalen Mengen im Striatum vorhanden. Dopaminmangel führt zu einem Ungleichgewicht zwischen Dopamin und Acetylcholin und verstärkt damit die Symptome.
Klinisches Bild Zu den Kardinalsymptomen zählen Rigor, Tremor und Bradykinesie. Außerdem beobachtet man häufig eine Stand- oder Haltungsunsicherheit. Die Symptome werden gerade im Anfangstadium oft fehlgedeutet oder übersehen. Hinzu kommen sensorische Symptome, wie Dysästhesien und vegetative Veränderungen. Diese führen zu orthostatischen Regulationsstörungen, Obstipation (veränderte Medikamentenresorption, Blasenentleerungsstörungen) und Temperaturregulationsstörungen. Depressionen betreffen im Verlauf der Erkrankung 40 % der Patienten. Die Diagnosestellung orientiert sich an den klinischen Symptomen; bildgebende Verfahren wie MRT ermöglichen lediglich allgemeine Diagnosen wie Hirnatrophie.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Abb. 6.2 Pathophysiologie des M. Parkinson (Schema). a Die für die motorische Feinabstimmung notwendigen Anteile der motorischen Erregungsleitung durchlaufen auf dem Weg vom Kortex zum Hirnstamm die Basalganglien bestehend aus dem Globus pallidus, Nucleus subthalamicus und das Putamen. Auf dem Weg vom Striatum zum Thalamus wird dieser Weg in 2 Pfade gespalten: Im gesunden Zustand überwiegt der interne Pfad über den Globus pallidus internus (D1-rezeptorvermittelt) gegenüber dem externen, indirekten Pfad über den Globus pallidus externus, Nucleus subthamicus und Globus pallidus internus (D2-rezeptorvermittelt). Hierdurch hemmt der Globus pallidus internus Anteile des Thalamus und diese wiederum den motorischen Kortex. b Die bei M. Parkinson verminderte Dopaminproduktion verursacht eine Schwächung des direkten und eine Stärkung des indirekten Pfades. Dies führt zu einer gesteigerten Aktivität der inhibitorischen Nuclei welche den Thalamus und den Hirnstamm hemmen, sodass die motorische Erregung gehemmt wird.
Therapie Die Therapie ist individuell symptomorientiert und soll den Patienten ein weitgehend normales Leben ermöglichen. Zu den wichtigsten Medikamenten gehören der Ersatz des Dopamin durch das Prodrug Levodopa, welches im Gehirn zu Dopamin konvertiert wird. Levodopa steht nur oral zur Verfügung und hat eine Halbwertszeit von 30–60 min. Zur Reduktion systemischer Nebenwirkungen wird Levodopa häufig mit einem Decarboxylasehemmer (COMT) kombiniert. Für die Therapie werden darüber hinaus weitere Substanzgruppen z. T. alleine oder in Kombination verwendet, deren Nebenwirkung und Interaktionen mit verschiedenen Medikamenten berücksichtigt werden müssen. Ein Zusammenfassung dieser Medikamente und deren für die Anästhesiologie wichtigsten Nebenwirkungen und Interaktionen sind in Tab. 6.8 zusammengestellt.
Anästhesiologische Besonderheiten Neben einer detaillierten Dokumentation der Medikamenteneinnahme mit Häufigkeit, Menge und Uhrzeit, sollte ein besonderes Augenmerk auf die in Tab. 6.9 genannten Organsysteme gerichtet werden. Über die perioperative anästhesiologische Betreuung von Patienten mit Morbus Parkinson existieren keine randomisierten Studien. Die Empfehlungen für die Verwendung bestimmter Narkoseverfahren und Medikamente beruhen im Wesentlichen auf kleinen Fallstudien. Wichtig für den Patienten ist die regelmäßige Einnahme seiner zum größten Teil nur oral verfügbaren Medikamente. Möglicherweise bieten daher Regionalanästhesieverfahren Vorteile. Außerdem können so frühzeitige typische Symptome beurteilt und mögliche Medikamenteninteraktionen verhindert werden. Kann der operative Eingriff nicht in Regionalanästhesie durchgeführt werden, sollte intraoperativ die Parkinsonmedikation über
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6.3 Neurologische Erkrankungen Tabelle 6.8
Medikamente zur Therapie des Morbus Parkinson.
Substanzgruppe
Medikamente
Wirkmechanismus
Nebenwirkungen
anästhesierelevante Interaktionen
L-Dopa, Carbidopa COMT
Levodopa, Carbidopa, in Kombination mit Decarboxylasehemmern (COMT) Benserazid, Tolcapon
L-Dopa: Prodrug
orthostatische Dysregulation, Rhythmusstörungen, Dyskinesien, psychiatrische Störungen, wirken nach 3–5 Jahren nicht mehr sicher, Halluzinationen
nur per os applizierbar
Dopaminagonisten Bromocriptin, Lisurid, Pramipexol, Ropinirol
COMT: hemmen die systemischen Dopaminwirkungen, erhöhen die zerebrale Dopaminkonzentration t½: 30–60 min, Resorption im Dünndarm
COMT: Wechselwirkungen mit Medikamenten, die über CYP 450 2C9 metabolisiert werden
allein oder in Kombination mit Levodopa, besonders bei Patienten, die nicht auf Levodopa ansprechen, vermindern Dyskinesie und unwillkürliche Muskelbewegung
verstärkte Sedierung, plötzliches Einschlafen, verstärkt Hypotension, Übelkeit, Erbrechen
verstärkt die Wirkung von Katecholaminen, Hypotension
per os Hypotension
Wirkungsverstärkung Metabilisierung via CYP 450 2D6, verlangsamt die von Antihypertensiva Metabolisierung von Metoprolol, Antiarrythmika, Antibiotika, Antimykotika, Prolonged QT-Syndrom
Budipin
Ergotaminpräparate
alpha-Dihydroergocryptin, Pergolid
Monoaminooxidase-Inhibitoren
Rasagilin, Tranylcypromin, Entacapone Monoaminooxidase Typ B-Hemmer: Selegilin
alternativ zu Levodopa oder in Kombination, wenn Patienten nicht mehr ausreichend auf Levodopa ansprechen
Wirkungsverstärkung von Thrombozytenaggregationshemmern, Antihypertonika, Wechselwirkungen mit Makrolidantibiotika
per os
orthostatische Dysregulation, arterielle Hypertonie, Bradykardie, Rhthmusstörungen, Dyskinesie
per os
Entacapone: Schläfrigkeit
Wirkungsverstärkung von Antihypertensiva
Serotonin-Syndrom bei gleichzeitiger Gabe von Pethidin, Tramadol, Serotoninwiederaufnahmehemmer, Dextromethorphan schwere hypertensive Entgleisung mit, Sympathomimetika, Ephedrin
Anticholinergikum
Biperiden, Bornaprin, Metixen, Piridinol, Proyclidin, Trihexylphenidyl
bei Morbus Parkinson und bei neuroleptikainduzierten Parkinsonsyndromen
Tachykardie, Mundtrockenheit, Obstipation
Verstärkung der anticholinergen Wirkung, Verstärkung der Wirkung von Pethidin
Amantadin
Amantadine
per os oder i. v.
Schwindel
malignes neuroleptisches Syndrom bei Kombination mit Neuroleptika, reduzierte Ketaminnebenwirkungen
häufig in Kombination mit Levodopa
Apomorphin
s. c., evtl sublingual, intranasal
Übelkeit, Erbrechen, in Kombination mit Domperidon abgeschwächt, geeignet besonders bei Off-Phänomen, max. 100 mg/d
Non-ergolineRotigotin Dopaminagonisten
transdermal
Übelkeit, Erbrechen, Schwindel
wie Levodopa
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Tabelle 6.9
Von Morbus Parkinson betroffene Organsysteme.
Organsystem
klinisches Bild
Kopf und Hals
Schluckstörungen, Sialorrhoe, Blepharospamus
Atmungsorgane
respiratorische Behinderung durch Kardinalsymptome Aspiration
Herz-Kreislaufsystem orthostatische Hypotension, Arrhythmien, Hypertension, Hypovolämie, autonome Dysfunktion Gastrointestinaltrakt
Gewichtsverlust, Mangelernährung, gastrointestinaler Reflux, Miktionsstörungen
ZNS
Rigor, Tremor, Akinese, Demenz, Halluzinationen, Depression, Sprachstörungen
entsprechenden Hirnabschnitte erfolgt dann eine Bohrlochtrepanation. Über diese werden dann die Stimulationselektroden eingebracht. Die richtige Platzierung wird klinisch über die Verbesserung der Symptomatik evaluiert. Die Durchführung einer Elektrodenimplantation erfordert ein hohes Maß an Kooperation zwischen Patient, Neurochirurg und Anästhesist. Für die Anlage des Kopfringes und das CT kann der Patient sediert werden. Hierfür eignen sich Remifentanil und ggf. Midazolam. Propofol ist wegen seiner hemmenden Eigenschaften auf den Tremor nicht geeignet. Bei diesem Eingriff muss außerdem mit Rhythmusstörungen und Hyper- bzw. Hypotensionen gerechnet werden. Einige Patienten klagen auch über Übelkeit, Erbrechen oder Nackenschmerzen. Diese sollten unter Beachtung der Kontraindikationen für bestimmte Medikamente behandelt werden.
6.3.4 Zervikale Spondylomyopathie eine Magensonde appliziert werden. Patienten mit M. Parkinson sind aufgrund von Schluckstörungen und Hypersalivation verstärkt aspirationsgefährdet. Darüber hinaus besteht ein erhöhtes Risiko für POCD.
Merke
Die meisten Medikamente, die Patienten mit Morbus Parkinson benötigen, können nur oral verabreicht werden. Ihre Einnahme ist an einen strengen Zeitplan gebunden, der unbedingt eingehalten werden muss (s. Kap. 4.2). Möglicherweise steht mit dem transdermalen Rotigotin eine alternative Darreichungsform für die perioperative Phase zur Verfügung (Korczyn et al. 2007).
Merke
Zahlreiche Anästhetika verstärken die Symptome direkt oder durch Interaktion mit den Antiparkinsonmedikamenten (Tab. 6.10) (Nicholson et al. 2002).
Neurochirurgische Stimulationsverfahren Einige Formen des Morbus Parkinson können mit Stimulationsverfahren (Deep-Brain-Stimulation) therapiert werden. Hierzu werden stereotaktisch Stimulationselektroden in die Basalganglien eingebracht. Über diese können dann die Kardinalsymptome des Morbus Parkinson individuell über die Stimulation beeinflusst werden. Die besondere Herausforderung ist, dass die Patienten für die Anlage der Elektroden wach und kooperationsfähig sein müssen. Die Parkinsonsyndrome müssen voll ausgeprägt sein. Aus diesem Grund wird die Medikation 12–24 h präoperativ abgesetzt. Im Regelfall werden die Patienten unter Lokalanästhesie zunächst in einen Kopfring eingespannt. Nach Durchführung eines CTs zur Lokalisation der
30 % aller Patienten über 40 Jahre leiden an degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule, mit 70 Jahren beträgt die Inzidenz 90 %. Zu diesen Veränderungen gehören degenerative Bandscheibenschäden, Osteophytenbildung und Ossifikationen des Bandapparates. Direkte Folge davon ist eine chronische Kompression des Halsmarks und Myelopathie. Dabei wird das Rückenmark anterior-posterior abgeflacht; außerdem findet man Neuronenverlust, Atrophie und fibrilläre Astrozytose. Besonders betroffen sind die Vorderhörner des Rückenmarks. Die Schwere der Veränderungen korreliert mit der Querschnittreduktion und der so genannten „Kompressions-Ratio“ (Ito et al. 1996). Darüber hinaus führt die Kompression des Rückenmarks zu einer Reduktion der Perfusion des Halsmarkes, was die Degeneration weiter unterstützt.
Klinisches Bild Abhängig von der Kompressionshöhe imponiert die zervikale Spondylomyopathie durch motorische und sensible Schwäche der oberen, aber auch der unteren Extremitäten. Neben Nackenschmerzen findet man bei der klinischen Untersuchung fehlende Kornealreflexe und Trigeminusschmerzen. Die Patienten klagen über elektrisch einschießende Schmerzen in den oberen Extremitäten bei maximaler Extension oder Flexion der HWS oder radikuläre Schmerzen bei ipsilateraler Kopfdrehung. Die Weiterleitung von somatosensorisch evozierten Potenzialen ist deutlich verzögert. In schwereren Fällen imponiert schwere Spastik und Tetraparese (Dvorak et al. 2003).
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6.3 Neurologische Erkrankungen Tabelle 6.10
Wechselwirkungen von Anästhetika bei Morbus Parkinson.
Medikament
Wechselwirkung
Empfehlung
Alfentanil
ausgeprägte Muskelrigidität, dystone Reaktion
nicht empfohlen
Fentanyl
Muskelrigidität durch präsynaptische Hemmung der Dopaminfreisetzung
Muskelrigidität möglich
Opiate
Sufentanil
wahrscheinlich sicher Muskelrigidität möglich
Remifentanil
Muskelrigidität
wahrscheinlich sicher Muskelrigidität möglich
Pethidin
nicht bei Patienten, die Selegilin erhalten
Morphin
in niedrigen Dosen Reduktion der Dyskinesien; in höheren Dosen Zunahme der Dyskinesien
Muskelrigidität möglich
Tramadol
Serotoninsydrom bei gleichzeitiger Einnahme von MAO-Hemmern
kontraindiziert bei gleichzeitiger Gabe von MAO-Hemmern
Piritramid
Serotoninsydrom bei gleichzeitiger Einnahme von MAO-Hemmern
kontraindiziert bei gleichzeitiger Gabe von MAO-Hemmern
Injektionsanästhetika Thiopental
hemmt eventuell die Dopaminfreisetzung vermutlich sicher
Propofol
reduziert den Tremor
Etomidat Ketamin
für Stimulationsverfahren nicht geeignet wahrscheinlich sicher
Verstärkung der sympathischen Reaktion
theoretisch kontraindiziert, aber erfolgreich angewendet
hemmt synaptische Dopaminwiederaufnahme, erhöht intrazelluläre Dopaminkonzentration und hemmt Freisetzung
wahrscheinlich sicher
Inhalationsanästhetika Isoflurane
Hypotension, Rhythmusstörungen Sevoflurane
wahrscheinlich sicher
Desflurane
keine ausreichende Datenlage
Muskelrelaxanzien Succinylcholin
Hyperkaliämie
nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien
wahrscheinlich sicher
sonstige Medikamente Metoclopramid Betablocker
kontraindiziert reduzieren Tremor
Serotonin-Antagonisten
wahrscheinlich sicher
NSAID
wahrscheinlich sicher
Phenothiazine
kontraindiziert
Butyrophenone (DHB)
kontraindiziert
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Merke
Bei Patienten mit einer zervikalen Spondylomyopathie ist zu beachten, dass die Flexion oder Extension des Halses zu Kompressionschäden des Rückenmarkes führen kann. Daneben sollten Blutdruckabfälle verhindert werden, da das myelopathisch veränderte Rückenmark besonders anfällig für Blutdruckabfälle und Ischämien zu sein scheint (Ito et al. 1996).
6.3.5 Postoperative zentralnervöse Veränderungen
nach Alter bei 40 %. Bei chirurgischen Patienten findet man je nach chirurgischem Eingriff eine Inzidenz zwischen 9–74 %. Faktoren, die das Auftreten eines Deliriums begünstigen, werden unterteilt in modifizierbar und nicht modifizierbar. Nicht modifizierbare Faktoren: ● Alter > 70 Jahre ● vorbestehendes neurokognitives Defizit ● Depression ● erhöhte Komorbidität ● schlechter Allgemeinzustand ● Art des operativen Eingriffs (Notfall, orthopädische, herzchirurgische, bzw. große gefäßchirurgische Eingriffe)
Delirium Merke
Das postoperative Delirium ist die häufigste Form der postoperativen kognitiven Störung.
Das postoperative Delirium wird definiert als eine akute Veränderung des kognitiven Zustandes, die innerhalb kurzer Zeit nach einem chirurgischen Eingriff auftritt. Die Symptome fluktuieren im Verlaufe des Tages und halten im Regelfall nur wenige Tage an. Es sind aber auch Fälle mit wochenlanger Dauer beschrieben. Typischerweise kann man 3 verschiedene Formen beobachten: Die hypoaktive Form des Deliriums tritt am häufigsten auf. Sie ist gekennzeichnet durch Somnolenz, Reaktionslatenz und psychomotorische Verlangsamung. Daneben gibt es die hyperaktive Form, charakterisiert durch Agitation, erhöhte Irritierbarkeit, Unruhe und Aggression, sowie eine so genannte gemischte Form.
Diagnostik Ein einfacher standardisierter Test zur Diagnosestellung stellt die Confusion Assessment Method (CAM) dar (Inouye et al. 1990). 1. Akuter Beginn und fluktuierender Verlauf: Gibt es Anhalt für eine akute Veränderung des mentalen Status und fluktuieren diese Veränderungen innerhalb des letzten Tages oder nehmen sie an Intensität zu oder ab? 2. Konzentrationsstörung: Leidet der Patient unter Konzentrationsstörungen? Ist er leicht ablenkbar, oder fällt es ihm schwer, anderen zu zuhören? 3. Unorganisierte Gedankengänge: Sind die Äußerungen verwirrt und inkohärent? Sind die Gedankengänge unklar, unlogisch, gibt es Gedankenflucht, irrelevante Konversation? 4. Veränderte Bewusstseinslage: Ist der Patient wach, hyperaktiv, lethargisch, stuporös oder komatös? Der CAM-Score wird dann als positiv bewertet, wenn die Kombination verschiedener Kriterien vorliegt, also z. B. 1, 2, 3 oder 1, 2, 4 oder 1, 2, 3, 4. Die Inzidenz des Deliriums bei hospitalisierten Patienten ist hoch. Im internistischen Krankengut liegt sie je
Modifizierbare Faktoren: Verwendung von Benzodiazepine, Anticholinergika, Pethidin ● intraoperative Hypotension ● niedriger perioperativer Hämatokrit ● Hypoxie ● postoperative O2-Sättigungsabfälle in den ersten 3 postoperativen Nächten (Rosenberg u. Kehlet 1993) ● Polypharmakotherapie (Han et al. 2001) ● Schmerz: Ältere Patienten haben ein 9-fach höheres Risiko, ein postoperatives Delirium zu entwickeln, wenn ihre Schmerzen nicht adäquat therapiert werden (Morrison et al. 2003). Dabei scheint es nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, ob der Patient eine systemische Schmerztherapie oder ein Regionalverfahren erhält (s. Kap. 7.2). ●
Merke
Das Auftreten eines postoperativen Deliriums ist mit einer verlängerten Klinikverweildauer, erhöhten Kosten und einer gesteigerten Morbidität und Mortalität verbunden. Das postoperative Delirium scheint ein Prädiktor für die Entwicklung einer Demenz zu sein. In einer Studie an kognitiv gesunden Patienten, die ein postoperatives Delirium entwickelten, waren 70 % nach 5 Jahren an einer Demenz erkrankt, wohingegen in der Kontrollgruppe nur in 20 % eine Demenz nachzuweisen war (Lundström et al. 2003). Dies ist verbunden mit einer Steigerung der 5-Jahres-Mortalität von 35 auf 70 %.
Prävention und Therapie Die Präventionsmöglichkeiten erscheinen bislang limitiert; berücksichtigt werden sollten jedoch oben genannte modifizierbare Faktoren. Daneben gilt allgemein als anerkannt, aber nicht wissenschaftlich bewiesen, dass es sinnvoll ist, eine ruhige Atmosphäre zu schaffen und dem Patienten bekannte Personen wie Familienangehörige etc. in die postoperative Betreuung auch schon im Aufwachraum einzuschließen.
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6.3 Neurologische Erkrankungen Eine medikamentöse Prophylaxe kann mit dem Dopaminrezeptorantagonisten Haloperidol (1,5 mg/d) erfolgen. Dies reduzierte in einer Studie nicht die Inzidenz, jedoch die Schwere und Dauer des Deliriums (Kalisvaart et al. 2005). Alternativ können neuere atypische Antipsychotika wie Risperidon, Ziprasidon oder Quetiapin verwendet werden. Es muss allerdings beachtet werden, dass diese Psychopharmaka selbst die kognitive Leistungsfähigkeit einschränken können. Benzodiazepine sollten, wenn überhaupt, nur sehr zurückhaltend und in niedrigen Dosierungen eingesetzt werden.
Merke
Eine Prophylaxe und Symptomreduktion des postoperativen Deliriums kann mit Haloperidol oder einem neueren Antipsychotikum wie Risperidon, Ziprasidon oder Quetiapin erfolgen.
Postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) Merke
Bei der postoperativen kognitiven Dysfunktion (POCD) handelt es sich um eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit und Gedächtnisstörungen, die in der Regel innerhalb weniger Tage auftreten und nach 3 Monaten verschwunden sind. Die Symptome können aber auch über Jahre fortbestehen. Postoperative kognitive Dysfunktionen findet man nach herzchirurgischen Eingriffen mit einer Inzidenz von 53 %. Selbst nach 6 Monaten beträgt sie noch 24 % (Newman et al. 2001). Eine POCD kann auch nach großen allgemeinchirurgischen oder orthopädischen Eingriffen auftreten. Die Inzidenz liegt bei 25,8 % nach einer Woche und 9,9 % 3 Monate nach einem Eingriff und ist nach 1–2 Jahren in 1 % der Fälle noch nachweisbar (Moller et al. 1998, Abildstrom et al. 2000). Die POCD wird gelegentlich auch als Durchgangssyndrom, Verwirrtheit oder Demenz bezeichnet. Tabelle 6.11
Pathogenese und Pathophysiologie Pathophysiologisch werden verschiedene Ursachen diskutiert. Hierzu zählen ein Mangel an Acetylcholin und/ oder ein Überschuss monoaminerger Neurotransmitter (Perry 1998, Tune et al. 1981). Daneben werden Inflammation und Stress als pathogenetische Mechanismen diskutiert. Das POCD ist mit hohen Plasmakortisolspiegeln verbunden. Meist ist der diurnale Verlauf der Plasmaspiegel aufgehoben, unabhängig davon, ob ein Patient ein Regional- oder Allgemeinanästhesieverfahren erhalten hat (Rasmussen et al. 2003). Risikofaktoren für das Auftreten eines POCD werden in patientenabhängige und -unabhängige Faktoren unterteilt (Tab. 6.11). Der wichtigste Risikofaktor für das Auftreten des POCD ist das Lebensalter. Daneben steigt die Inzidenz mit der Dauer des chirurgischen Eingriffs. Eine POCD ist aber auch nach kurzen Eingriffen wie eine Zystoskopie nachweisbar (Rohan et al. 2003). Das Auftreten einer POCD ist dabei unabhängig vom Anästhesieverfahren (Regional- versus Allgemeinanästhesie) oder ob die Patienten eine balancierte oder total intravenöse Anästhesie erhalten (Rasmussen et al. 2003, Rohan et al. 2003).
Merke
Die wichtigsten Risikofaktoren für das Auftreten der POCD sind das Alter, der Intellekt, der präoperative Alkohol- oder Benzodiazepinkonsum sowie die Art und Dauer des Eingriffs.
Diagnostik Für die Diagnose stehen standardisierte Tests zur Verfügung. Laborchemische Parameter wie S-100β-Protein oder neuronenspezifische Enolase weisen keine eindeutigen Veränderungen bei an POCD erkrankten Patienten auf.
Patientenabhängige und -unabhängige Faktoren für die Entstehung einer POCD.
patientenabhängige Faktoren
patientenunabhängige Faktoren
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Alter
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OP-Dauer
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Intellekt
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Zahl der chirurgischen Eingriffe
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Mental Health Status
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stationärer Aufenthalt
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präoperativer Alkohol, Benzodiazepine, Raucher
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Art des Eingriffs (häufiger bei kardiochirurgischen, thoraxchirurgischen, gefäßchirurgischer, orthopädischen oder großen abdominalchirurgischen Eingriffen)
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Komorbidität, Apoplex
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Stress, postoperative Infektionen
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respiratorische Komplikationen
●
Immobilität
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Medikamente (z. B. Kortikosteroide, Psychopharmaka, Antibiotika, Betablocker, ACE-Hemmer, Benzodiazepine, Opioide, Barbiturate, Ketamin, H2-Blocker)
●
inadäquate Sauerstoffversorgung (z. B. durch Anämie, Hypoxie, Hypotension)
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Anästhesiologische Besonderheiten Bislang ist nicht geklärt, ob die Narkosetiefe einen Einfluss auf die Entstehung einer POCD hat. Obwohl immer wieder versucht wird, eine Überlegenheit der Regionalverfahren gegenüber der Allgemeinanästhesie zu demonstrieren, konnte dies in keiner Studie gezeigt werden (Rasmussen et al. 2003). Auch im Rahmen der postoperativen Schmerztherapie fand sich kein Hinweis darauf, dass die Verwendung eines Regionalverfahrens einen positiven Einfluss auf die Entstehung einer POCD gegenüber der i. v. Analgesie haben könnte (s. Kap. 7.2). Hier allerdings ist die Anwendung von i. v. Opiaten gegenüber der oralen Gabe mit einer erhöhten Inzidenz einer POCD verbunden (Fong et al. 2006). Neben den wirtschaftlichen Folgen durch den verlängerten Krankenhausaufenthalt führt eine persistierende POCD langfristig zu einer Reduktion der Aktivität im täglichen Leben und einer verstärkten Hilfsbedürftigkeit. Im Gegensatz zum postoperativen Delirium konnte bislang für die POCD keine erhöhte Inzidenz von Depressionen nachgewiesen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind grundlegende Mechanismen der POCD nicht geklärt. Dies erschwert die Empfehlung für präventive Maßnahmen. Die Überlegenheit eines Narkoseverfahrens konnte bislang nicht nachgewiesen werden.
6.3.6 Zerebrovaskuläre Erkrankungen Perioperativer Apoplex Die Inzidenz eines perioperativen Schlaganfalls ist mit 0,08–0,4 % gering. Bei bestimmten Operationen (z. B. kardiochirurgische, gefäßchirurgische oder neurochirurgische Eingriffe) ist das Risiko jedoch deutlich höher. Ätiopathogenetisch lassen sich embolische (Fett-, Luft oder Thrombembolien aus dem Vorhof) von ischämischen Ereignissen unterscheiden. In den meisten Fällen ist ein perioperativer Apoplex auf ein thrombotisches oder embolisches Geschehen zurückzuführen (Limburg et al. 1998). Die Embolien sind zumeist kardialer Genese und entstehen z. B. durch Rhythmusstörungen oder nach Myokardinfarkt. Weitere Risikofaktoren sind eine fehlende bzw. nicht ausreichende Antikoagulation oder Hyperkoagulabilität, aber auch die intraoperative Verwendung einer Blutsperre (Sulek et al. 1999, Ogino et al. 1999) und allerdings sehr selten die Dissektion der A. carotis aufgrund von Fehllagerung des Kopfs. Risikofaktoren für das Auftreten eines perioperativen Apoplexes: ● Alter ● Schlaganfall in der Anamnese ● Herzerkrankungen ● arterielle Hypertension ● pAVK ● Rauchen
Bei 14 % aller Patienten älter als 55 Jahre finden sich Plaques in der A. carotis, die klinisch asymptomatisch sind und zunächst keinen Risikofaktor für perioperativen Schlaganfall darstellen. Im Falle symptomatischer Stenosen sollte präoperativ eine Abklärung erfolgen (s. Kap. 4.1). Als weitere Risikofaktoren für die Entstehung eines perioperativen Apoplex gelten hypotensive Episoden. Interessanterweise findet man bei betroffenen Patienten retrospektiv häufig eine prolongierte Phase intraoperativer Hypotension. Trotzdem erwachen die Patienten zunächst ohne neurologisches Defizit (Hart u. Hindman 1982, Parikh u. Cohen 1995), sodass ein längeres asymptomatisches Intervall zwischen der Hypotension und des Apoplex charakteristisch zu sein scheint (Limburg et al. 1998). Im Fall eines perioperativ neu aufgetretenen Apoplexes sollte umgehend die neurologische Diagnostik und Therapie erfolgen.
Präoperativ stattgehabter Apoplex Pathogenese und Pathophysiologie Pathophysiologisch lässt sich der ischämische vom hämorrhagischen Schlaganfall unterscheiden. Die Ursachen des ischämischen Schlaganfalles sind v. a. die Arteriosklerose. Diese führt zur Stenose und Minderperfusion im nachfolgenden Stromgebiet. Zusätzlich besteht die Gefahr der Plaquebildung, -ruptur und die eines embolischen Verschlusses. Dieser ist meist im Stromgebiet der A. cerebri media lokalisiert. Neben der Arteriosklerose leiden die Patienten charakteristischerweise an arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Lipidstoffwechselstörungen. Hämorrhagische Schlaganfälle entstehen durch eine akute Blutung aus kleinen Arteriolen, meist ausgelöst durch eine hypertensive Entgleisung. Die Prognose ist verglichen mit dem ischämischen Schlaganfall schlechter.
Anästhesiologische Besonderheiten Die anästhesiologische Betreuung von Patienten mit frischem Apoplex ist im Zusammenhang mit der Akutversorgung im Rahmen einer Endarteriektomie der A. carotis interna oder Stenteinlage erforderlich. Grundsätzlich kann die operative Versorgung in Regional- oder Allgemeinanästhesie erfolgen. In jedem Fall muss aber darauf geachtet werden, dass der zerebrale Perfusionsdruck ausreichend hoch gehalten wird. Die Patienten sollten normoventiliert werden, und der Blutglukose- bzw. Elektrolythaushalt muss ausgeglichen sein. Zur Überwachung einer ausreichenden zerebralen Perfusion eignen sich somatosensorisch evozierte Potenziale, EEG, Nahinfrarotspektrometrie oder die zerebrale Oxymetrie. Bei der anästhesiologischen Betreuung von Patienten mit Apoplex in der Vorgeschichte muss beachtet werden, dass das Risiko, erneut einen Apoplex zu erleiden, ca. 5bis 10-mal höher ist als in der Normalbevölkerung. Die
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6.3 Neurologische Erkrankungen Gründe hierfür sind nicht klar, möglicherweise ist das Stromgebiet distal der Stenose stärker in seiner Autoregulation und Reaktivität beeinträchtigt. Aufgrund dieser Annahmen wird empfohlen, unmittelbar nach einem Apoplex auf elektive Operationen zu verzichten. Allerdings gibt es bislang keine Studien, die ein solches Vorgehen rechtfertigen oder Angaben zum optimalen Zeitpunkt nach einem Apoplex machen. Bereits im Prämedikationsgespräch sollte bei Patienten mit Apoplex in der Vorgeschichte der Blutdruck, der für eine ausreichende zerebrale Perfusion erforderlich ist, dokumentiert werden. Zur Rezidivprophylaxe nehmen die meisten Patienten Antikoagulanzien, die ggf. umgestellt werden müssen (s. Kap. 4.2). Die Anlage peripherer Zugänge sollte an der gesunden Extremität erfolgen. Auch in diesem Fall sollte auf Normoglykämie und ausgeglichenen Elektrolythaushalt geachtet werden. Obwohl manche Anästhetika eine protektive Wirkung auf Ischämie und Reperfusion zu besitzen scheinen, konnte bislang kein Vorteil von Regional- oder Allgemeinanästhesie gefunden werden.
Kernaussagen ●
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Im Alter nimmt die kognitive Reserve ab, d. h. die zerebralen Kompensationsmöglichkeiten sind reduziert und Faktoren wie Stress, Entzündungen oder Operationen können zur zerebralen Dekompensation führen. Bei Demenzerkrankungen, zu denen u. a. die senile Demenz vom Alzheimertyp zählen, besteht die Gefahr der Verschlechterung. Inwieweit volatile Anästhetika die Progression der Erkrankung beschleunigen können, ist bislang nicht geklärt. Beim Morbus Parkinson muss beachtet werden, dass die meisten Medikamente nach einem strikten Zeitplan verabreicht werden müssen. Antiparkinsonmedikamente stehen nahezu ausschließlich in oraler Darreichungsform zur Verfügung. Allgemeinanästhetika interagieren mit den Parkinsonmedikamenten. Zahlreiche ältere Menschen leiden an zervikalen Spondyopathien, die z. T. asymptomatisch sind, durch fehlerhafte Lagerung durch Kompression von Nervenwurzeln allerdings zu erheblichen Schäden an Nervenwurzeln führen können. Zu den perioperativ erworbenen zerebralen Dysfunktionen beim alten Menschen zählen das postoperative Delirium und die postoperative kognitive Dysfunktion (POCD). Beim postoperativen Delirium handelt es sich um die häufigste Form der postoperativen kognitiven Störung. Das postoperative Delirium wird definiert als eine akute Veränderung des kognitiven Zustandes, die innerhalb einer kurzen Zeit nach einem chirurgischen Eingriff beobachtet werden kann. Die Symptome fluktuieren im Verlaufe des Tages und halten im Regelfall nur wenige Tage an. Es sind aber auch Fälle mit wochenlanger Dauer beschrieben. Das postoperative Delirium scheint ein Prädiktor für die Entwicklung einer Demenz zu sein.
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Eine Prophylaxe kann mit niedrig dosiertem Haloperidol versucht werden. Bei der postoperativen kognitiven Dysfunktion (POCD) handelt es sich um eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit und Gedächtnisstörungen, die in der Regel innerhalb weniger Tage auftreten und nach 3 Monaten verschwunden sind. Die Symptome können aber auch über Jahre fortbestehen. Derzeit existieren keine einheitlichen Empfehlungen zum perioperativen Vorgehen bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine perioperative zentralnervöse Dysfunktion. Aufgrund des aktuellen Stands der Forschung erscheint aber folgendes Vorgehen für sinnvoll: – kurzwirksame Anästhetika – Schmerztherapie – Aufrechterhaltung der Homöostase – ruhige Atmosphäre – bekannte Personen und Umgebung – postoperativ schnelle Ansprache und Reorientierung des Patienten – Vermeidung von Benzodiazepinen, Pethidin und Anticholinergika Gelegentlich tritt perioperativ ein Apoplex auf. Risikofaktoren sind v. a. Rhythmusstörungen und hypertensive Entgleisung. In jedem Fall ist bei Verdacht umgehende Diagnostik und Therapie erforderlich.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Lundström M, Edlund A, Bucht G et al. Dementia after delirium in patients with femoral neck fractures. J Am Geriatr Soc 2003; 51: 1502–1506 Mandal PK, Pettegrew JW, McKeag DW et al. Alzheimer’s disease: Halothane induces A beta peptide to oligomeric form-solution NMR studies. Neurochem Res 2006; 31: 883–890 Moller JT, Cluitmans P, Rasmussen LS et al. Long-term postoperative cognitive dysfunction in the elderly: ISPOCD1 study. Lancet 1998; 351: 857–861 Monk T, Weldon BC, Garvan CW et al. Predictors of cognitive dysfunction after major non cardiac sugery. Anesthesiology 2008; 108: 18–30 Moroney JT, Bagiella E, Desmond DW et al. Risk factors for incident dementia after stroke. Role of hypoxic and ischemic disorders. Stroke 1996; 27: 1283–1289 Morrison RS, Magaziner J, McLaughlin MA et al. The impact of postoperative pain on outcomes following hip fracture. Pain 2003; 103: 303–311 Newman MF, Kirchner JL, Phillips-Bute B et al. Neurological Outcome Research Group and the Cardiothoracic Anesthesiology Research Endeavors Investigators. Longitudinal assessment of neurocognitive function after coronary-artery bypass surgery. N Engl J Med 2001; 344: 395–402 Nicholson G, Pereira AC, Hall GM. Parkinson’s disease and anaesthesia. BJA 2002; 89: 904–916 Ogino Y, Tatsuoka Y, Matsuoka R et al. Cerebral infarction after deflation of a pneumatic tourniquet during total knee replacement. Anesthesiology 1999, 90: 297–298
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6.4 Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler W. Zink
6.4.1 Koronare Herzkrankheit (KHK) Epidemiologie und anaesthesiologische Relevanz Die koronare Herzkrankheit (KHK) zählt mit einer Prävalenz von über 7 % zu den häufigsten kardiovaskulären Erkrankungen und damit zu den führenden Todesursachen in industrialisierten Ländern (Statistisches Bundesamt 2007). Aus anästhesiologischer Sicht ist dieses Krankheitsbild hoch relevant, zumal der Anteil älterer Menschen im operativen Bereich in den kommenden Jahren ansteigen wird und die KHK überwiegend dieses Patientenkollektiv betrifft. Aktuellen Schätzungen zufolge bedeutet dies, dass zukünftig mehr als ein Drittel aller Patienten, die sich einem nicht kardiochirurgischen Eingriff unterziehen müssen, an einer KHK leiden. Die Inzidenz perioperativer kardialer Ereignisse liegt derzeit bei Hochrisikopatienten im Bereich von etwa 10 %, wobei das Auftreten eines perioperativen Myokardinfarkts aufgrund seiner nach wie vor hohen Mortalität von bis zu 30 % besonders gefürchtet ist. Aber auch transiente perioperative Myokardischämien können sich negativ auf die Langzeitprognose auswirken (Meißner u. Berendes 2008).
Anästhesiologisches Management Risikoabschätzung und präoperative Optimierung Patienten mit KHK sind perioperativ besonders durch Myokardischämien gefährdet, die gehäuft in Stresssituationen mit konsekutiver sympathoadrenerger Aktivierung auftreten. Daher kommt der präoperativen Risikoeinschätzung bzw. -optimierung unter Berücksichtigung des geplanten chirurgischen Eingriffs große Bedeutung zu. Welche Untersuchungen neben einer ausführlichen Erfassung der Krankengeschichte und der aktuellen körperlichen Belastbarkeit konkret durchgeführt werden sollen, wird in Kapitel 4.1 ausführlich dargestellt.
Merke Ziel des anästhesiologischen Managements von Patienten mit KHK ist die Reduktion der Häufigkeit bzw. die Vermeidung von perioperativen Myokardischämien.
Patienten mit KHK stehen in aller Regel unter einer medikamentösen Therapie, die vor dem Eingriff evaluiert und ggf. angepasst werden muss (s. Kap. 4.2). Inwieweit eine Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure (ASS) perioperativ pausiert werden sollte, hängt von einer individuellen Nutzen-Risiko-Analyse ab. Einerseits mehren sich Hinweise, dass ein Absetzen dieser Medikation mit einem erhöhten Risiko perioperativer kardiovaskulärer Komplikationen verbunden ist. Andererseits steigt – je nach Eingriff – die Blutungshäufigkeit selbst unter niedrig dosierter ASS-Gabe an. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Prostatektomien, intrakranielle bzw. ophthalmologische Eingriffe) wirkt sich dies jedoch nicht auf die perioperative Mortalität und Letalität aus und ist nicht mit einer erhöhten Rate an Bluttransfusionen verbunden (Rahman u. Beattie 2004). Obwohl große prospektive Studien zu diesem Thema fehlen, wird gegenwärtig empfohlen, ASS nur dann abzusetzen, wenn das perioperative Blutungsrisiko und die damit verbundene Morbidität das kardiovaskuläre Risiko infolge des Absetzens eindeutig überwiegt (Fleisher et al. 2007). Komplex wird der Sachverhalt, wenn Patienten nach vorangegangenem akutem Koronarsyndrom bzw. koronarer Stentimplantation unter einer Kombinationstherapie mit ASS und Thienopyridinen stehen. Leitliniengerecht soll diese Therapie für mindestens einen Monat nach unbeschichteten Koronarstents, 6–12 Monate nach beschichteten Stents bzw. für 12 Monate bei akutem Koronarsyndrom fortgeführt werden, wobei ein vorzeitiges Absetzen erwiesenermaßen zu potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann. Daher ist auch in dieser Situation das potenzielle perioperative Blutungsrisikos des geplanten Eingriffs abzuschätzen und den potenziellen Risiken gegenüberzustellen, die ein Absetzen der Doppelmedikation mit sich bringen würde (Fleisher et al. 2007). Ist von vorneherein von einem höheren Blutungsrisiko auszugehen, so wird empfohlen, den Eingriff um einen Monat (unbeschichtete Stents) bzw. um 12 Monate (beschichtete Stents) zu verschieben. Besteht jedoch eine dringliche Operationsindikation, so sollte versucht werden, zumindest ASS perioperativ beizubehalten und mit der Thienopyridintherapie so früh wie möglich wieder zu beginnen. Die Durchführung einer perioperativen Sympathikolyse mittels β-Blockern bzw. α2-Agonisten wird in Abhängigkeit vom geplanten Eingriff bei Patienten mit gesicherter KHK bzw. mindestens einem Risikofaktor
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen (Herzinsuffizienz, KHK bzw. zerebrovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz) empfohlen (Fleisher et al. 2007). Die Gabe von β-Blockern reduziert die Herzfrequenz, verbessert dadurch die Myokarddurchblutung und senkt den kardialen Sauerstoffverbrauch. Zudem wird das Risiko von Plaquerupturen innerhalb der Koronararterien reduziert. Es ist nach wie vor unklar, welcher β-Blocker für diese Zwecke am besten geeignet ist, jedoch erscheint es sinnvoll, eine β1-selektive Substanz ohne intrinsische Aktivität zu wählen. Gemäß den aktuellen Leitlinien der ACC/AHA sollte bei Hochrisikopatienten mit induzierbarer Myokardischämie die β-Blockade Tage bis Wochen vor dem geplanten Eingriff begonnen werden mit dem Ziel, die Herzfrequenz in Ruhe präoperativ unter 65/min zu senken. Postoperativ sollte die Therapie für mindestens 7 Tage beibehalten (bei Hochrisikopatienten für 30 Tage) und erst dann ggf. langsam reduziert werden (London et al. 2004). Liegen Kontraindikationen gegen β-Blocker vor (höhergradige AV-Blockierungen, Bradykardien, Asthma bronchiale, COPD, akute bzw. dekompensierte Herzinsuffizienz, arterielle Hypotonie), so stellt die perioperative Gabe von α2-Rezeptoragonisten eine Alternative dar (Fleisher et al. 2007). Diese führt ebenfalls zu einer Attenuierung der sympathoadrenergen Stressantwort und vermag die Inzidenz perioperativer Myokardischämien zu reduzieren. Derzeit steht in Deutschland nur Clonidin für diese Zwecke zur Verfügung.
ämien nach sich ziehen. Im Gegensatz dazu werden bei einer thorakalen Epiduralanästhesie die das Herz innervierenden sympathischen Fasern (Th 1–Th5) blockiert, was in einer verbesserten Koronarperfusion sowie einer Umverteilung der myokardialen Durchblutung von epinach endokardial resultiert. Daneben attenuiert eine thorakale Epiduralanästhesie die sympathoadrenerge bzw. neuroendokrine Stressantwort infolge des operativen Eingriffs, verbessert die postoperative pulmonale Situation und stellt eine adäquate postoperative Analgesie sicher.
Merke
Bei der Durchführung einer Regionalanästhesie muss auf Kontraindikationen geachtet werden, die sich aus der Begleitmedikation mit Thrombozytenaggregationshemmern und anderen Antikoagulanzien ergeben (s. Kap. 4.2). Die Vermutung liegt nun nahe, dass sich die potenziell protektiven kardiovaskulären Effekte der thorakalen Epiduralanästhesie positiv auf die perioperative Morbidität und Letalität bei Patienten mit KHK auswirken. Überraschenderweise deutet die aktuelle Studienlage jedoch darauf hin, dass die Wahl des Anästhesieverfahrens (Allgemein- vs. Regionalanästhesie) ohne signifikanten Einfluss auf das perioperative kardiale Outcome zu bleiben scheint (Rigg et al. 2002, Rex u. Buhre 2008).
Merke
Regionalanästhesie Periphere Nervenblockaden beeinträchtigen in aller Regel die hämodynamische Situation nur unwesentlich und können daher – unter Beachtung der Kontraindikationen, die sich aus der Begleitmedikation mit Thrombozytenaggregationshemmern ergeben – bei Patienten mit KHK angewendet werden. Die Durchführung einer Spinalanästhesie führt zu einer ausgedehnten Sympathikolyse im Bereich der unteren Körperhälfte mit konsekutiver Abnahme des systemvaskulären Widerstands sowie zu einer Umverteilung des Blutvolumens. Der damit verbundene Blutdruckabfall lässt sich in seinem Ausmaß oftmals nur unzureichend vorhersagen und kann sehr ausgeprägt sein. Daneben kommt es in ungefähr 15 % der Fälle zu bradykarden Episoden, die auch noch Stunden nach Anlage der Spinalanästhesie auftreten können und sich gegenüber der Gabe von Atropin oftmals als refraktär erweisen (Carpenter et al. 1992). In Analogie zur Spinalanästhesie kommt es im Rahmen einer Epiduralanästhesie ebenfalls zu einer Sympathikolyse, die im Allgemeinen jedoch schwächer ausgeprägt und besser steuerbar ist. Als problematisch sind vor allem die hämodynamischen Effekte einer lumbalen Epiduralanästhesie zu werten, zumal es in den ungeblockten thorakalen Segmenten zu einer reflektorischen Sympathikusaktivierung kommt. Dieser Mechanismus kann über eine koronare Vasokonstriktion die Myokarddurchblutung bis in kritische Bereiche reduzieren und myokardiale Isch-
Das jeweilige Anästhesieverfahren stellt bei Patienten mit KHK keinen unabhängigen Risikofaktor für das Auftreten perioperativer Myokardischämien dar (Landesberg 2003).
Allgemeinanästhesie Da die Regulation der Koronarperfusion bei Patienten mit signifikanten Stenosen der Herzkranzgefäße deutlich eingeschränkt oder gar aufgehoben ist, muss im Rahmen der Narkoseführung darauf geachtet werden, die myokardiale Sauerstoffbilanz aufrecht zu erhalten bzw. zu verbessern. Herzfrequenz und Blutdruck sollten sich daher während der Anästhesie maximal um 20 % im Vergleich zu den präoperativen Ausgangswerten verändern.
Merke
Primäres Ziel bei der Durchführung einer Allgemeinanästhesie bei Patienten mit KHK ist die Aufrechterhaltung stabiler kardialer Verhältnisse und die Vermeidung einer überschießenden sympathoadrenergen Reaktion, z. B. auf schmerzhafte Stimuli. Für die Narkoseeinleitung bei Hochrisikopatienten mit KHK eignen sich Etomidate bzw. in Einzelfällen auch kurz wirksame Benzodiazepine (Midazolam) aufgrund gering ausgeprägter hämodynamischer Nebenwirkungen. Zur Sicherstellung einer adäquaten Analgesie werden die Hypnotika wie gewohnt durch Opioide supplementiert,
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6.4 Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler die ebenfalls nur geringe Effekte auf den Kreislauf und die Koronarperfusion aufweisen. Opioid-Mononarkosen gelten mittlerweile als obsolet, zumal selbst hohe Dosen die sympathische Reflexantwort auf schmerzhafte Stimuli nicht immer vollständig unterdrücken und häufig zu intraoperativer Awareness führen (Tonner 2006). Zur Muskelrelaxation sollten Substanzen vermieden werden, die aufgrund einer Histaminfreisetzung bzw. vagolytischer Effekte zu Tachykardien führen können. So sind vor allem Vecuronium, Rocuronium bzw. Cis-Atracurium zu bevorzugen, die sich allesamt als weitgehend kreislaufneutral erwiesen haben (s. Kap. 3.4). Um eine sympathoadrenerge Stimulation durch Laryngoskopie und endotracheale Intubation zu vermeiden, kann die direkte laryngeale Applikation von Lokalanästhetika (z. B. Lidocain-Spray) hilfreich sein. Grundsätzlich ist es möglich, zur Aufrechterhaltung der Narkose sowohl intravenöse als auch volatile Anästhetika zu verwenden. Nahezu alle derzeit verfügbaren Substanzen reduzieren dosisabhängig den arteriellen Blutdruck sowie die myokardiale Kontraktilität und verringern dadurch den myokardialen Sauerstoffverbrauch. Ausreichende Perfusionsverhältnisse vorausgesetzt, kann dies die myokardiale Sauerstoffbilanz günstig beeinflussen. Allerdings mehren sich gegenwärtig die Hinweise, dass volatile Anästhetika unter klinischen Bedingungen kardioprotektive Eigenschaften besitzen (s. Kap. 3.5) und zumindest bei herzchirurgischen Eingriffen zu einer deutlichen Reduktion des Zellschadens, einer besseren Ventrikelfunktion sowie zu einer verkürzten Krankenhausverweildauer führen. Obwohl die Studienlage bei nicht kardiochirurgischen Eingriffen weitaus weniger eindeutig ist, wird in den aktuellen ACC/AHA-Leitlinien dennoch die Verwendung volatiler Anästhetika zur Aufrechterhaltung der Narkose bei hämodynamisch stabilen Patienten mit dem Risiko einer myokardialen Ischämie empfohlen (Fleisher et al. 2007). Ein weiterer Vorteil der volatilen Anästhetika liegt in ihrer hervorragenden Steuerbarkeit, zumal der intraoperative Wechsel zwischen Phasen hoher und niedriger Schmerzintensität ein fortwährendes Anpassen der Narkosetiefe erfordert (Tonner 2006). Grundsätzlich können alle modernen volatilen Anästhetika für diesen Zweck eingesetzt werden. Im Gegensatz zu Isofluran und Desfluran kommt es bei der Anwendung von Sevofluran jedoch zu keinem nennenswerten Anstieg der Herzfrequenz bzw. auch bei schnellen Steigerungen der inspiratorischen Konzentration zu keiner Stimulation des kardiovaskulären Systems. Inwieweit das Edelgas Xenon, das sich durch eine sehr hohe kardiovaskuläre Stabilität auszeichnet und seit 2005 in Deutschland als Anästhetikum zugelassen ist, gewinnbringend eingesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Auch während der Ausleitung der Narkose und in der unmittelbaren postoperativen Phase ist eine überschießende Sympathikusaktivierung zu vermeiden. Daher empfiehlt es sich, die postoperative Schmerztherapie bereits intraoperativ gegen Ende des Eingriffs einzuleiten und parallel dazu die Narkosetiefe schrittweise zu reduzieren.
Da Myokardinfarkte häufig früh nach dem Eingriff auftreten und klinisch oftmals stumm verlaufen, kommt der postoperativen Überwachung und Betreuung gefährdeter Patienten große Bedeutung zu. Das konkrete Vorgehen bei Patienten mit KHK ist in Kapitel 7.1 ausführlich beschrieben.
Monitoring Das Ausmaß des intraoperativen Monitorings richtet sich sowohl nach dem präoperativ abgeschätzten Risikoprofil als auch nach dem Schweregrad des operativen Eingriffs selbst. Dabei scheint die Erfahrung sowie der Ausbildungsstand des Anästhesieteams bei der Betreuung von Patienten mit KHK sogar noch mehr zur Vermeidung intraoperativer kardiovaskulärer Komplikationen beizutragen als das die Wahl des Narkose- bzw. Überwachungsverfahrens (Arbous et al. 2005). Ziel der intraoperativen Überwachung ist es, sowohl stabile hämodynamische Verhältnisse zu sichern als auch Myokardischämien schnellstmöglich zu erkennen. Neben einem Standardmonitoring eignen sich für diese Zwecke insbesondere ein 5-Kanal-EKG mit automatischer STStreckenanalyse, die transösophageale Echokardiografie sowie ggf. der Einsatz des Pulmonalarterienkatheters (s. Kap. 5.2). Allerdings hängt die Aussagekraft der beiden letztgenannten Methoden in hohem Maße vom Ausbildungsstand sowie der Erfahrung des Benutzers ab. Darüber hinaus stehen neuerdings noch weitere Verfahren für ein erweitertes hämodynamisches Monitoring (z. B. Pulskonturanalyse, transkardiopulmonale Thermodilution) zur Verfügung. Gerade bei Patienten mit KHK kommt der Überwachung der Körpertemperatur besondere Bedeutung zu, da die perioperative Aufrechterhaltung normothermer Verhältnisse mit einer signifikanten Reduktion kardiovaskulärer Komplikationen einhergeht (s. Kap. 5.3). Darüber hinaus scheint eine engmaschige Kontrolle des Blutglukosespiegels sinnvoll, zumal das Überleben kardiovaskulärer Risikopatienten wohl verbessert werden kann, wenn bereits intraoperativ mit einer intensivierten Insulintherapie begonnen wird (Ziel: Blutglukosespiegel von 80–110 mg/dl).
6.4.2 Herzinsuffizienz Epidemiologie und anästhesiologische Relevanz Die Herzinsuffizienz ist definiert als ein pathologischer Zustand, in dem das Herz nicht mehr in Lage ist, den Organismus adäquat mit Blut und Sauerstoff zu versorgen und somit den Gewebsstoffwechsel sicherzustellen. Die häufigsten Ursachen hierfür sind (Möllhoff 2006): ● KHK (mit bis zu 75 % häufigste Ursache!) ● arterielle Hypertonie ● Kardiomyopathien ● Klappenvitien
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen ● ● ● ● ●
Perikarderkrankungen Myokarditiden Arrhythmien Stoffwechselstörungen (z. B. Hyperthyreose) toxische Medikamentenwirkungen (z. B. Chemotherapeutika)
Während im Alter zwischen 45 und 55 Jahren weniger als 1 % der Bevölkerung an einer Herzinsuffizienz leidet, sind es in der Gruppe der 65- bis 75-Jährigen bereits bis zu 5 %; bei über 80-Jährigen steigt dieser Anteil noch weiter auf ca. 10 %. Prävalenz und Inzidenz der Herzinsuffizienz sind also direkt vom Alter abhängig, wobei Männer häufiger betroffen sind als Frauen gleichen Alters. Die Mortalität der Herzinsuffizienz liegt in fortgeschrittenen Stadien (NYHA III–IV) bei 20–40 % (Möllhoff 2006, Rosamond et al. 2007).
Pathophysiologie, Klassifizierung und klinisches Bild Der Schweregrad einer Herzinsuffizienz wird entweder klinisch durch die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit (Tab. 6.12) oder aber durch objektiv messbare Parameter (Herzindex, pulmonalkapillärer Druck, maximale Sauerstoffaufnahme) festgelegt. Während beim kardialen „Vorwärtsversagen“ die verminderte Durchblutung des Organismus und eine Umverteilung der Perfusion hin zu lebenswichtigen Organen im Vordergrund stehen, dominiert beim „Rückwärtsversagen“ der Rückstau des Blutes vor den Ventrikeln mit konsekutiver Flüssigkeitstranssudation ins Interstitium. Das isolierte Auftreten einer dieser Formen ist selten; viel-
Tabelle 6.12 Herzinsuffizienz-Klassifikation der New York Heart Association (NYHA) anhand der jeweiligen klinischen Symptomatik bzw. der körperlichen Belastbarkeit. Vor allem Patienten der NYHA-Klassen III und IV sind perioperativ durch vermehrte kardiale Komplikationen gefährdet. Klasse I
keine Einschränkung der normalen körperlichen Aktivität
Klasse II
Herzerkrankung mit leichter Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit; keine Beschwerden in Ruhe, jedoch verursacht stärkere körperliche Belastung Luftnot, Erschöpfung, Rhythmusstörungen bzw. Angina-pectoris-Anfälle
Klasse III
Herzerkrankung mit höhergradiger Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei gewohnter körperlicher Aktivität; keine Beschwerden in Ruhe, jedoch verursacht bereits geringe körperliche Belastung Luftnot, Erschöpfung, Rhythmusstörungen bzw. Anginapectoris-Anfälle
Klasse IV
Herzerkrankung mit Beschwerden in Ruhe bzw. bei allen körperlichen Aktivitäten; Bettlägerigkeit
mehr tritt bei chronischer Herzinssuffizienz in aller Regel Vor- und Rückwärtsversagen gleichzeitig auf. Eine systolische Herzinsuffizienz ist durch eine verminderte Pumpfunktion mit reduziertem Schlagvolumen und Ventrikeldilatation charakterisiert. Sowohl das endsystolische als auch das enddiastolische Volumen steigt an, während die Ejektionsfraktion abfällt. Dies wiederum führt zu einer Minderversorgung der Peripherie bzw. im Sinne eines Rückwärtsversagens zu einem venösen Rückstau des Bluts. Bei der diastolischen Herzinsuffizienz dagegen wird die Ventrikelfüllung durch Abnahme der Compliance der Herzkammern behindert. Während sich das enddiastolische Volumen zunächst nur wenig ändert, steigen primär die ventrikulären Füllungsdrücke an, was in fortgeschrittenen Stadien ebenfalls zum kardialen Vorbzw. Rückwärtsversagen führen kann. Bei chronischer Herzinsuffizienz liegt häufig eine Kombination aus Kontraktions- und Relaxationsstörung vor. Die Linksherzinsuffizienz ist sowohl durch einen Abfall des HZV als auch durch einen Rückstau des Blutes in den Pulmonalkreislauf gekennzeichnet. Klinisch kommt es unter körperlicher Belastung schnell zur zerebralen und muskulären Ermüdung, steigenden Laktatspiegeln sowie Atemnot, nicht zuletzt aufgrund der ständig drohenden Gefahr eines kardialen Lungenödems. Im Gegensatz dazu steht bei der Rechtsherzinsuffizienz ein Rückstau des Blutes in die venösen Kapazitätsgefäße mit Anstieg des zentralvenösen Drucks im Vordergrund. Dies wiederum führt zu einer Leberstauung, peripheren Ödemen, Pleuraergüssen und Aszites; die Körperperfusion kann jedoch aufgrund des reduzierten Blutangebots an den linken Ventrikel ebenfalls beeinträchtigt sein. Liegt – wie bei chronischen Verläufen einer Herzinsuffizienz häufig beobachtet – eine Funktionsbeeinträchtigung beider Ventrikel vor, so spricht man von einer kardialen Globalinsuffizienz. Als direkte Folge der eingeschränkten kardialen Pumpleistung wird eine Reihe von Kompensationsmechanismen initiiert, um einen suffizienten Perfusionsdruck zu gewährleisten. So kommt es reflektorisch zu einem Anstieg des systemvaskulären Widerstands durch vermehrte Ausschüttung von endogenen Katecholaminen, Aldosteron und vasokonstriktorisch wirkender Hormone sowie zu einer vermehrten Flüssigkeitsretention aufgrund der renalen Minderperfusion. Zumindest initial kann durch die Steigerung des Sympathikotonus sowohl Herzfrequenz als auch Inotropie gesteigert und damit ein adäquates Herzzeitvolumen aufrecht erhalten werden. Bei chronisch erhöhten Katecholaminspiegeln im Plasma kommt es allerdings zu einer Downregulation von β-Rezeptoren, was im Verlauf zu einer Abnahme der Kontraktilität führt. Bei gesteigertem systemvaskulären Widerstand sinkt nun das Schlagvolumen ab, und es kommt über eine Erhöhung der enddiastolischen Volumina und einem Anstieg der Füllungsdrücke zur kardialen Gefügedilatation. In dieser Situation arbeitet das Herz in einem nach rechts verschobenen Bereich der Frank-Starling-Kurve, in dem durch Erhöhung der Vorlast keine Steigerung des Schlagvolumens bzw. der Inotropie
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6.4 Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler erreicht werden kann. Wird dieses empfindliche Gleichgewicht perioperativ gestört (z. B. durch inadäquate Flüssigkeitsgabe), so droht die Dekompensation des insuffizienten Herzens (Fuchs u. Drexler 2000, Möllhoff 2006).
Anästhesiologisches Management Risikoabschätzung und präoperative Optimierung Die präoperative Risikoabschätzung bei herzinsuffizienten Patienten erfolgt anhand von Leitlinien und ist in Kapitel 4.1 beschrieben (Fleisher et al. 2007). Je nach klinischem Status und nach aktueller Belastbarkeit ist die zusätzliche Anforderung weiterer apparativer Untersuchungen sinnvoll. Bei Vorliegen einer akut dekompensierten Herzinsuffizienz, signifikanten Arrhythmien, einer instabilen Angina pectoris sowie schweren Herzklappenvitien sollte ein elektiver Eingriff unterbleiben. Im Allgemeinen stehen Patienten bereits präoperativ unter einer medikamentösen Therapie, die sich in ihrem Umfang am klinischen Ausprägungsgrad der Herzinsuffizienz orientiert. So besteht die Basistherapie aus ACE-Hemmern und β-Blockern (ab NYHA II) sowie Aldosteronantagonisten (NYHA III und IV). Zusätzlich können Diuretika (ab NYHA III oder drohender kardialer Dekompensation) und Digitalisglykoside (ab NYHA III oder bei tachykarder absoluter Arrhythmie) als Vormedikation vorhanden sein. Die Gabe von ATII-Rezeptorantagonisten, Vasodilatatoren, Amiodaron sowie Antikoagulanzien bleibt derzeit speziellen Indikationen vorbehalten (Hoppe et al. 2005). Es wird vielfach empfohlen, die Vormedikation bis zum Operationstag fortzusetzen. Lediglich ACE-Hemmer bzw. ATII-Rezeptorantagonisten sollten bei großen Eingriffen mit hohem Volumenumsatz präoperativ pausiert und erst unmittelbar postoperativ bzw. erst am 1. postoperativen Tag fortgeführt werden (s. Kap. 4.2).
Merke
Herzinsuffiziente Patienten sind perioperativ im Wesentlichen durch 3 Faktoren gefährdet, die bei der Auswahl des jeweiligen Narkoseverfahrens zu berücksichtigen sind (Möllhoff 2006): 1. Wirkungen der Anästhetika auf das kardiovaskuläre System 2. inadäquate intraoperative Volumengabe 3. überschießende Sympathikusaktivierung mit konsekutiven Rhythmusstörungen und kardialem Pumpversagen
Regionalanästhesie Periphere Nervenblockaden beeinträchtigen in aller Regel die hämodynamische Situation nur unwesentlich und können daher bei herzinsuffizienten Patienten angewendet werden.
Zumindest theoretisch sind auch rückenmarksnahe Anästhesieverfahren bei Herzinsuffizienz durchführbar – allerdings müssen bei der Narkoseführung eine Reihe potenzieller Gefahren berücksichtigt werden. Die Sympathikolyse und die damit einhergehende Senkung von Vorund Nachlast sollte zwar die kardiale Funktion positiv beeinflussen, jedoch kann es bei hoher Ausbreitung der Blockade zu einer Ausschaltung der Nn. accelerantes und damit zu einer kardialen Dekompensation kommen.
Merke
Bei manifester Herzinsuffizienz ist eine hoch thorakale Ausbreitung der Blockade im Rahmen rückenmarksnaher Verfahren problematisch, da die kardial stimulierende Funktion der Nn. accelerantes beeinträchtigt werden kann. Relevante Blutdruckabfälle müssen vermieden und situationsgerecht durch Volumen- und Vasopressorgabe therapiert werden. Hier besteht allerdings die Gefahr, dass es nach Rückbildung der Sympathikolyse zu einer vermehrten (relativen) Volumenbelastung des vorgeschädigten Herzens kommt, was – neben einer überschießenden Nachlasterhöhung durch exogene Vasopressoren – die Gefahr einer kardialen Dekompensation in sich birgt (Möllhoff 2006). Spinalanästhesie und Epiduralanästhesie in SingleShot-Technik sind bei manifester Herzinsuffizienz nicht indiziert. Demgegenüber bieten epidurale Katheterverfahren den Vorteil der besseren Steuerbarkeit der Ausbreitung, doch auch diese Techniken sollten aus oben genannten Gründen nur mit äußerster Vorsicht und ggf. unter dem Einsatz inotrop wirkender Substanzen angewendet werden. Ob Patienten, deren Herzinsuffizienz durch eine KHK verursacht wurde, von einer kontinuierlichen thorakalen Epiduralanästhesie profitieren, ist nach gegenwärtiger Studienlage nicht gesichert (Rex u. Buhre 2007).
Allgemeinanästhesie Es wird häufig empfohlen, bei Patienten mit ausgeprägter Herzinsuffizienz (NYHA III–IV) eine Allgemeinanästhesie, evtl. in Kombination mit einem lokoregionären Verfahren, durchzuführen. Dabei ist zu beachten, dass die positive Druckbeatmung während der Narkose zu einer Reduktion der kardialen Vorlast und damit auch der Schlagvolumina führen kann. Deshalb müssen die Beatmungsdrücke besonders beachtet und in Abhängigkeit von der hämodynamischen Situation individuell angepasst werden. Darüber hinaus ist die Indikation zum Einsatz von Inotropika und ggf. Vasopressoren zur Sicherung stabiler Herz-Kreislauf-Verhältnisse großzügig zu stellen. Aufgrund der anästhetikainduzierten Vasodilatation, die sowohl arterielle als auch venöse Gefäße betrifft, ist eine intraoperative Volumengabe häufig nicht zu vermeiden. Diese muss jedoch sehr vorsichtig erfolgen, um eine Überlastung des rechten Ventrikels bzw. die Entstehung eines Lungenödems zu vermeiden.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Zur Einleitung einer Allgemeinanästhesie können bei herzinsuffizienten Patienten prinzipiell alle intravenösen Anästhetika verwendet werden, solange vorsichtig und streng nach klinischer Wirkung titriert wird. In der Praxis haben sich jedoch Etomidate bzw. kurz wirksame Benzodiazepine (Midazolam) aufgrund gering ausgeprägter hämodynamischer Nebenwirkungen als besonders geeignet erwiesen (Möllhoff 2007). S-Ketamin führt über eine Steigerung des Sympathikotonus zu einer Kontraktilitätszunahme und erhöht sowohl Blutdruck als auch Herzfrequenz, was vor allem während der Narkoseeinleitung bei dekompensierter Herzinsuffizienz von großem Nutzen sein kann. Dennoch ist darauf zu achten, dass in dieser Situation der myokardiale Sauerstoffverbrauch erhöht und dosisabhängig Herzrhythmusstörungen induziert werden können. Für eine adäquate intraoperative Analgesie werden die Hypnotika durch Opioide supplementiert, die ebenfalls nur geringe Effekte auf die Herz-Kreislauffunktion aufweisen. Allerdings ist beim Einsatz von Remifentanil besondere Vorsicht geboten, zumal eine für diese Substanz charakteristische Verminderung des Sympathikotonus zu ausgeprägten Blutdruckabfällen führen kann. Grundsätzlich ist es möglich, zur Aufrechterhaltung der Narkose sowohl intravenöse als auch volatile Anästhetika zu verwenden. Nahezu alle derzeit verfügbaren Substanzen reduzieren dosisabhängig den arteriellen Blutdruck sowie die myokardiale Kontraktilität und verringern dadurch den myokardialen Sauerstoffverbrauch. Ausreichende Perfusionsverhältnisse vorausgesetzt, kann dies die myokardiale Sauerstoffbilanz günstig beeinflussen und das Herz entlasten. Da volatile Anästhetika auch unter klinischen Bedingungen kardioprotektive Eigenschaften besitzen sollen, wird deren Verwendung bei kardialen Risikopatienten mit KHK empfohlen (Fleisher et al. 2007). Unter Berücksichtigung ihrer negativ inotropen Effekte sollten auch volatile Anästhetika bei Herzinsuffizienz streng nach Wirkung dosiert werden. Dabei sind Isofluran, Sevofluran sowie Desfluran aufgrund gering ausgeprägter proarrhythmogener Wirkungen besonders geeignet. Lediglich bei Desfluran ist darauf zu achten, dass eine rasche Erhöhung der inspiratorischen Konzentration mit einer temporären Sympathikusstimulation einhergehen kann. In Analogie zur KHK ist auch bei Herzinsuffizienz während der Narkoseausleitung bzw. in der unmittelbaren postoperativen Phase eine überschießende Sympathikusaktivierung zu vermeiden, zumal eine Nachlasterhöhung sowie tachykarde Herzrhythmusstörungen ein kardiales Pumpversagen begünstigen können. Da Schmerzen in dieser Phase die Hauptursache eines erhöhten Sympathikotonus darstellen, sollte so früh wie möglich eine suffiziente Schmerztherapie eingeleitet werden. Weiterhin ist in der frühen postoperativen Phase auf ein optimales Sauerstoffangebot, die frühzeitige Wiederaufnahme der oralen Medikation sowie die exakte Flüssigkeitsbilanzierung zu achten. Daher ist die Überwachung auf einer Intensiv- bzw. Intermediate-Care-Station großzügig zu stellen (s. Kap. 7.1).
Monitoring Generell richtet sich das Ausmaß des intraoperativen Monitorings nach dem Schweregrad der Erkrankung. Es empfiehlt sich, bei höhergradiger Herzinsuffizienz das Basismonitoring um eine invasive Blutdruckmessung, einen zentralen Venenkatheter, einen Blasenkatheter und ggf. einen PiCCO- oder Pulmonaliskatheter bzw. die transösophageale Echokardiografie zu erweitern (s. Kap. 5.2). Darüber hinaus sollte neben der kontinuierlichen Messung der Körpertemperatur eine engmaschige Kontrolle des Blutglukosespiegels erfolgen.
6.4.3 Herzklappenfehler Epidemiologie und anästhesiologische Relevanz Herzklappen stellen als anatomische „Rückschlagventile“ einen gerichteten Blutfluss sicher und gewährleisten die strukturelle und funktionelle Integrität des Herzens. Herzklappenfehler beeinträchtigen die kardiale Pumpfunktion entweder durch Behinderung des vorwärts gerichteten Blutstroms (Klappenstenosen) oder aber durch Regurgitation mit temporärer Flussumkehr (Klappeninsuffizienz). Stenosen der Herzklappen gehen dabei stets mit morphologischen Veränderungen des valvulären Apparates einher, während Klappeninsuffizienzen auch funktionell durch eine kardiale Gefügedilatation entstehen können. Die Ätiologie erworbener Herzklappenfehler hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Während früher noch rheumatisch bedingte Vitien dominierten, stehen heute altersbedingte degenerative Veränderungen weit im Vordergrund. Diese können grundsätzlich alle Herzklappen betreffen, wobei Erkrankungen der Aorten- bzw. der Mitralklappe am häufigsten zu finden sind. Trikuspidalklappenvitien machen lediglich ca. 4–5 % der erworbenen Herzklappenfehler aus, während die extrem seltenen Dysfunktionen der Pulmonalklappe zumeist angeboren sind (Weyland 2006).
Anästhesiologisches Management Risikoabschätzung und präoperative Optimierung Die präoperative Risikoevaluation von Patienten mit valvulärem Herzfehler beruht auf den entsprechenden Empfehlungen der American Heart Association und ist in Kapitel 4.1 zusammengefasst (Bonow et al. 2006). Neben der aktuellen körperlichen Belastbarkeit sowie dem Risiko des geplanten operativen Eingriffs selbst sollten besonders folgende Faktoren berücksichtigt werden: ● Art und Schweregrad des Herzklappenvitiums ● Kompensationsmechanismen zur Aufrechterhaltung des HZV
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6.4 Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler ● ●
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Ausmaß der myokardialen Funktionsstörung Vorerkrankungen sowie aktuelle Funktionsstörungen anderer Organsysteme Vormedikation (s. Kap. 4.2)
Im Rahmen der präoperativen apparativen Diagnostik kommt neben einem Ruhe-EKG und einer Röntgenaufnahme des Thorax der transthorakalen bzw. -ösophagealen (Doppler-)Echokardiografie eine zentrale Rolle zu, welche hoch invasive Herzkatheteruntersuchungen ergänzen und gelegentlich sogar ersetzen kann. Auf diese Weise können valide Aussagen über Klappenmorphologie und -funktion, Schweregrad des Vitiums sowie Kontraktilität getroffen werden (Weyland 2006). Der Einfluss dieser Untersuchung im Hinblick auf eine Verbesserung der Prognose bleibt derzeit allerdings umstritten, vor allem bei asymptomatischen Patienten. Bei höhergradigen Vitien sollte präoperativ die Indikation für einen Klappenersatz bzw. eine Klappenrekonstruktion interdisziplinär diskutiert werden. In Analogie zur Myokardrevaskularisation gilt jedoch auch hier, dass eine vorherige operative Korrektur nur dann durchgeführt werden sollte, wenn diese auch ohne den anstehenden Eingriff angezeigt ist (Bonow et al. 2006).
Allgemeine Prinzipien der Narkoseführung Die Narkoseführung bei Patienten mit Herzklappenfehlern setzt die exakte Kenntnis des Vitiums und der damit verbundenen hämodynamischen Veränderungen voraus. Das Hauptziel ist hier die Aufrechterhaltung eines adäquaten HZV, was bei der Auswahl des Anästhesieverfahrens bzw. der verwendeten Anästhetika selbst berücksichtigt werden muss. Besonders zu beachten sind die anästhesiebedingten Veränderungen der kardialen Kontraktilität, der Vor- bzw. Nachlast beider Ventrikel, der Volumenverteilung sowie der Herzfrequenz und des Sympathikotonus (Weyland 2006, Rex u. Buhre 2008).
Merke
Hauptziel der Narkoseführung bei Patienten mit Herzklappenfehlern ist die Aufrechterhaltung stabiler Kreislaufverhältnisse, was eine exakte Kenntnis der vitienspezifischen Hämodynamik sowie der kardiovaskulären Effekte der verwendeten Anästhesietechnik voraussetzt. Der Einfluss des jeweiligen Narkoseverfahrens auf das perioperative Outcome ist bei Patienten mit valvulären Herzfehlern bislang nur wenig systematisch untersucht. Daher beruht die Entscheidung zur Durchführung einer bestimmten Narkosetechnik bei einem klar definierten Vitium auf Empfehlungen, Erfahrungen sowie pathophysiologischen Überlegungen. Inwieweit bei Patienten mit Herzklappendysfunktion vom Einsatz rückenmarksnaher Anästhesieverfahren profitieren, bleibt nach gegenwärtiger Datenlage ebenso unklar. Trotz vermeintlicher theoretischer Vorteile bei
bestimmten Vitien (z. B. Nachlastsenkung bei Aortenklappeninsuffizienz) ist die Indikation zur Durchführung rückenmarksnaher Anästhesieverfahren generell mit Vorsicht zu stellen, um das empfindliche Gleichgewicht hämodynamischer Kompensationsmechanismen so wenig wie möglich zu beeinträchtigen. Da Eintritt und Ausdehnung der Sympathikolyse nach Spinalanästhesie nur schwer zu beeinflussen sind, sollten epidurale Katheterverfahren bevorzugt werden, zumal diese Techniken eine exakte Festlegung des Anästhesieniveaus bei langsam einsetzender Blockade ermöglichen.
Endokarditisprophylaxe In den letzten Jahren hat sich ein Paradigmenwechsel bei der Prophylaxe der infektiösen Endokarditis vollzogen. Bislang war es das erklärte Ziel der entsprechenden Leitlinien, möglichst bei allen Patienten mit einem erhöhten Risiko die Entstehung einer infektiösen Endokarditis durch Bakteriämien im Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen zu verhindern. Mittlerweile beschränken sich die Empfehlungen allerdings auf Hochrisikopatienten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Antibiotikaprophylaxe profitieren (Naber et al. 2007, Wilson et al. 2007): ● Patienten mit prothetischem Klappenersatz ● Patienten mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den ersten 6 postoperativen Monaten ● Patienten mit überstandener Endokarditis ● Patienten mit angeborenen Herzfehlern: – zyanotische Herzfehler, die nicht oder palliativ mit systemisch-pulmonalem Shunt operiert sind – operierte Herzfehler mit Implantation von Conduits oder residuellen Defekten (turbulenter Blutströmung im Bereich des prothetischen Materials) ● alle operativ oder interventionell unter Verwendung von prothetischem Material behandelten Herzfehler in den ersten 6 postoperativen Monaten ● herztransplantierte Patienten mit kardialer Valvulopathie Konkret bedeutet dies, dass eine Endokarditisprophylaxe bei Patienten mit erworbenen Erkrankungen der Herzklappen – unabhängig vom Eingriff – nicht mehr zwingend durchgeführt werden muss.
Aortenklappenstenose Bei einer Aortenklappenstenose wird der linksventrikuläre Ausflusstrakt durch eine verringerte Klappenöffnungsfläche eingeengt, was zu einem transvalvulären Druckgradienten führt. Um in dieser Situation ein adäquates Schlagvolumen aufrecht zu erhalten, steigt der linksventrikuläre endsystolische Druck in Abhängigkeit vom Grad der Stenose an, und der linke Ventrikel hypertrophiert konzentrisch. Dies wiederum resultiert in einer
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen diastolischen Funktionsstörung mit verminderter linksventrikulärer Compliance und erhöhten Füllungsdrücken. Da einer erhöhten Vorlast in dieser Situation eine zentrale Bedeutung für die Aufrechterhaltung stabiler hämodynamischer Verhältnisse zukommt, sollten Vorlast senkende Medikamente (z. B. Nitroglycerin) – wenn überhaupt – nur mit besonderer Vorsicht eingesetzt werden. Als Folge des erniedrigten poststenotischen Aortendrucks bei gleichzeitig erhöhtem linksventrikulärem enddiastolischem Füllungsdruck (LVEDP) sowie aufgrund des erhöhten Sauerstoffbedarfs bei Myokardhypertrophie kann es zu einer relativen Koronarinsuffizienz mit Innenschichtischämien kommen, was die Ventrikelsteifigkeit noch weiter erhöht. Daher sollte der systemvaskuläre Widerstand (Nachlast) im hochnormalen Bereich gehalten werden, um einen ausreichenden koronaren Perfusionsdruck zu gewährleisten. Ein Blutdruckabfall muss umgehend mit Vasopressoren (z. B. Noradrenalin) und/ oder Volumengabe therapiert werden; Nachlast senkende Substanzen sind zu vermeiden bzw. nur unter erweitertem hämodynamischen Monitoring einzusetzen. Hinsichtlich der Herzfrequenz wird ein Zielbereich von 50–70/min angestrebt. Höhere Herzfrequenzen verkürzen die Diastolendauer und vermindern somit die subendokardiale Durchblutung, während niedrigere Frequenzen zu einem Abfall des HZV führen können. In diesem Zusammenhang ist die Aufrechterhaltung bzw. die Wiederherstellung eines Sinusrhythmus von grundlegender Bedeutung, denn aufgrund der verminderten Compliance trägt eine regelrechte Vorhofkontraktion bis zu 40 % zur Füllung des hypertrophierten linken Ventrikels bei. Schwerwiegende Beeinträchtigungen der Kontraktilität durch Anästhetika müssen in Anbetracht des transvalvulären Druckgradienten in jedem Falle vermieden werden. Nichtsdestotrotz sollten positiv inotrope Medikamente nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden, weil diese zu einer weiteren Einschränkung der diastolischen Funktion, zu einem erhöhten Sauerstoffbedarf sowie zur Ausbildung eines intraventrikulären Druckgradienten bei ausgeprägter Septumhypertrophie führen können. Höhergradige Aortenstenosen stellen eine (relative) Kontraindikation für eine Spinalanästhesie dar, zumal es im Rahmen dieser Technik zu einer relevanten Abnahme des systemvaskulären Widerstands sowie der ventrikulären Vorlast kommen kann. Grundsätzlich kann es bei der Durchführung einer (lumbalen) Epiduralanästhesie zu vergleichbaren hämodynamischen Veränderungen kommen, die jedoch aufgrund der langsamer einsetzenden Sympathikusblockade besser steuer- und therapierbar sind. Da die Erfolgschancen einer kardiopulmonalen Reanimation bei Patienten mit hochgradiger Aortenstenose deutlich vermindert sind, ist bei der zentralvenösen Katheterisierung in Seldinger-Technik mit größter Vorsicht und Sorgfalt vorzugehen, um die Induktion maligner Herzrhythmusstörungen zu vermeiden. Aus demselben Grunde sollte im Rahmen des hämodynamischen Monitorings auch auf das Einschwemmen eines Pulmonaliskatheters zugunsten weniger invasiver Verfahren verzichtet werden (Zink u. Graf 2001).
Merke
Hauptziele der Narkoseführung bei Aortenklappenstenose sind die Aufrechterhaltung eines niedrig- bis normofrequenten Sinusrhythmus (50–70/min), die Gewährleistung einer ausreichend hohen Vorlast, ein hochnormaler systemvaskulärer Widerstand sowie die Vermeidung negativ inotroper Effekte durch Anästhetika.
Aortenklappeninsuffizienz Bei einer Aortenklappeninsuffizienz kommt es aufgrund eines unzureichenden Klappenschlusses zu einem diastolischen Rückstrom von Blut aus der Aorta in den Ventrikel. Dabei wird das Ausmaß der Regurgitation in erster Linie von der diastolischen Öffnungsfläche, der Diastolendauer sowie dem diastolischen transvalvulären Druckgradienten bestimmt. Aufgrund der chronischen Volumenbelastung steigen das enddiastolische sowie das endsystolische Volumen an, und es kommt zur exzentrischen Hypertrophie des linken Ventrikels. Auf diese Weise kann zumindest initial über ein erhöhtes absolutes Schlagvolumen das HZV weitgehend konstant gehalten werden. In fortgeschrittenen Stadien sind diese Kompensationsmechanismen jedoch ausgeschöpft, und das Herzzeitvolumens sinkt bei steigenden Füllungsdrücken ab. Dennoch ist bei der Narkoseführung ein adäquates Volumenmanagement zur Aufrechterhaltung einer linksventrikulären „Vorlastreserve“ von zentraler Bedeutung. Bei einer Aorteninsuffizienz werden erhöhte Herzfrequenzen im Bereich von 80–100/min angestrebt. Eine niedrigere Herzfrequenz verlängert die Diastolendauer, vergrößert die Regurgitationsfraktion und reduziert letztendlich das Herzzeitvolumen. Der diastolische Blutdruck fällt ab, was bei hypertrophem Ventrikel zu subendokardialen Ischämien führen kann. Ein akuter Anstieg der linksventrikulären Nachlast, z. B. infolge einer unzureichenden Narkosetiefe, führt bei Aorteninsuffizienz zu einem Anstieg der Regurgitationsvolumens und muss daher unbedingt vermieden werden. Eine medikamentöse Senkung der Nachlast dagegen kann die Herzfunktion verbessern und das Herzzeitvolumen steigern. Die kardiale Kontraktilität sollte im Rahmen der Narkoseführung möglichst unbeeinflusst bleiben und muss ggf. rasch unterstützt werden. Hierfür eignen sich reine β-Agonisten (z. B. Dobutamin) sowie Inodilatatoren (Phosphodiesterase-Hemmer) aufgrund ihrer positiv inotropen und gleichzeitig Nachlast senkenden Effekte in besonderem Maße.
Merke
Hauptziele der Narkoseführung bei Aorteninsuffizienz sind die Aufrechterhaltung einer hochnormalen Herzfrequenz (80–100/min), der ventrikulären Kontraktilität und einer ausreichend hohen Vorlast sowie ein niedriger systemvaskulärer Widerstand.
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6.4 Koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzklappenfehler
Mitralklappenstenose Bei einer Mitralklappenstenose ist die Öffnungsfläche der Klappe erheblich reduziert, sodass der linke Ventrikel in der Diastole nur noch mit Hilfe eines erhöhten transvalvulären Druckgradienten gefüllt werden kann. Dies führt zu erhöhten linksatrialen Drücken, die sich auf die gesamte pulmonale Strombahn übertragen und längerfristig in einem sekundären pulmonalen Hypertonus mit konsekutiver Rechtsherzinsuffizienz resultieren. Patienten mit isolierter Mitralklappenstenose sind demnach auf eine adäquate Vorlast angewiesen, um den lebenswichtigen diastolischen Druckgradienten zwischen Vorhof und Kammer aufrecht zu erhalten. Dennoch darf die perioperative Flüssigkeitsgabe nur mit großer Vorsicht und Zurückhaltung erfolgen, da es bei Volumenüberschuss und chronisch erhöhten linksatrialen Drücken rasch zur Ausbildung eines Lungenödems kommen kann. Um eine ausreichend lange diastolische Füllungsphase zu gewährleisten, werden perioperativ Herzfrequenzen zwischen 50 und 70/min propagiert. Höhere Frequenzen führen über eine Abnahme des transmitralen Blutflusses direkt zu einem Rückgang des HZV und sollten intraoperativ schnellstmöglich therapiert werden, z. B. mit Hilfe kurz wirksamer β-Blocker (Esmolol) bzw. Verapamil. Aber auch niedrigere Frequenzen können die Hämodynamik aufgrund eines fixierten linksventrikulären Schlagvolumens bei chronisch reduzierter Füllung beeinträchtigen. Die ausgeprägte linksatriale Dilatation führt bei Mitralklappenstenose häufig zu chronischem Vorhofflimmern, weshalb viele Patienten neben einer antiarrhythmischen Therapie zur Frequenzkontrolle (β-Blocker, Kalziumantagonisten, Digitalis) auch unter Antikoagulation stehen. Sollte präoperativ jedoch ein Sinusrhythmus vorhanden sein, so muss dieser unbedingt beibehalten bzw. wiederhergestellt werden, da ein akuter Wegfall der atrialen Kontraktion das HZV um bis zu 30 % reduzieren kann. Während der systemvaskuläre Widerstand bei Mitralklappenstenosen im normalen Bereich gehalten werden kann, ist ein Anstieg des pulmonalvaskulären Widerstands durch Hypoxie, Hyperkapnie sowie Azidose zu vermeiden und schnellstmöglich zu therapieren (z. B. durch moderate Hyperventilation, Erhöhen der inspiratorischen Sauerstoffkonzentration bzw. vorsichtiges Puffern). Aus diesem Grund sollte bei relevanter pulmonaler Hypertonie die Indikation für den Einsatz eines Pulmonalarterienkatheters bzw. der transösophagealen Echokardiografie großzügig gestellt werden, um ein drohendes Rechtsherzversagen so früh wie möglich zu erkennen. Hier haben sich sowohl inhalatives Stickstoffmonoxid (NO) als auch inhalativ applizierte Prostazykline als therapeutische Optionen zur selektiven Senkung der rechtsventrikulären Nachlast bewährt. Darüber hinaus kann die Gabe von Inotropika bzw. Inodilatatoren zur Unterstützung der rechtsventrikulären Funktion notwendig werden.
Merke
Hauptziele der Narkoseführung bei Mitralstenose sind eine niedrig- bis normofrequente Herzfrequenz (wenn möglich unter Beibehaltung des Sinusrhythmus), die Gewährleistung einer adäquaten Vorlast sowie ein (hoch-)normaler systemvaskulärer bei möglichst niedrigem pulmonalvaskulären Widerstand.
Mitralklappeninsuffizienz Bei einer Mitralklappeninsuffizienz kommt es aufgrund eines insuffizienten Klappenschlusses in der Systole zur Regurgitation von Blut vom Ventrikel in den linken Vorhof. Dieses Pendelblut führt einerseits zu einer Dilatation des linken Vorhofs, andererseits aber zu einer isolierten Volumenbelastung des linken Ventrikels mit Anstieg des enddiastolischen Volumens sowie exzentrischer Hypertrophie. Darüber hinaus findet sich bei höhergradiger Mitralklappeninsuffizienz gelegentlich ein sekundärer pulmonaler Hypertonus mit Beeinträchtigung der rechtsventrikulären Funktion. Patienten mit Mitralklappeninsuffizienz sind auf eine adäquate Vorlast angewiesen, um eine ausreichende Ventrikelfüllung bzw. ein suffizientes HZV sicherzustellen. Allerdings muss auch hier die perioperative Flüssigkeitsgabe mit Bedacht durchgeführt werden, zumal eine akute Volumenbelastung zu einer Zunahme der linksatrialen Dilatation mit konsekutiv erhöhtem Regurgitationsvolumen und der Gefahr eines Lungenödems führen kann. Folglich ist die Indikation für den Einsatz eines erweiterten hämodynamischen Monitorings (Pulmonalarterienkatheter, transösophageale Echokardiografie, ggf. transkardiopulmonale Thermodilution und Pulskonturanalyse) großzügig zu stellen. Aufgrund der progredienten Dilatation des linken Vorhofs besteht bei Patienten mit Mitralinsuffizienz präoperativ oftmals chronisches Vorhofflimmern. Dabei sollten die Herzfrequenzen zwischen 70 und 90/min liegen, um das transmitrale Pendelvolumen durch eine Verkürzung der Diastolendauer so gering wie möglich zu halten. Folglich müssen bradykarde Episoden vermieden bzw. umgehend therapiert werden. Ein abrupter Anstieg des systemvaskulären Widerstands ist unbedingt zu vermeiden, da sich das nach vorne gerichtete Auswurfvolumen zugunsten des nach hinten gerichteten Regurgitationsvolumens reduziert. Aus diesem Grunde muss die linksventrikuläre Nachlast intraoperativ konsequent niedrig gehalten bzw. aktiv gesenkt werden. Hierfür eignen sich vor allem Vasodilatatoren (Natriumnitroprussid, Nitroglycerin, Uradipil) bzw. Inodilatatoren (Phosphodiesterase-III-Hemmer) und reine β-Agonisten (Dobutamin), falls gleichzeitig eine inotrope Unterstützung notwendig wird. Gleichermaßen muss bei manifestem pulmonalen Hypertonus ein akuter Anstieg des pulmonalvaskulären Widerstands durch überschießende Sympathikusaktivierung, Hypoxie, Hyperkapnie bzw. Azidose verhindert werden. In Analogie zur Mitralklappenstenose kann bei
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen drohender Rechtsherzdekompensation die rechtsventrikuläre Nachlast selektiv durch inhalatives NO bzw. Prostazykline abgesenkt werden.
Merke
Hauptziele der Narkoseführung bei Mitralinsuffizienz sind eine hochnormale Herzfrequenz (70– 90/min), die Aufrechterhaltung einer adäquaten linksventrikulären Kontraktilität, der Erhalt einer adäquaten Vorlast sowie niedrige system- bzw. pulmonalvaskuläre Widerstände.
Kernaussagen ●
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Patienten mit KHK sind perioperativ durch Myokardischämien gefährdet. Ziel des anästhesiologischen Managements ist die Reduktion der Häufigkeit bzw. die Vermeidung perioperativer Myokardischämien. Eine Therapie mit ASS sollte nur bei hohem perioperativem Blutungsrisiko abgesetzt werden. Eine perioperative Sympatholyse mit β-Blockern bzw. α2-Agonisten (Clonidin) wird empfohlen. Bei der Allgemeinanästhesie haben volatile Anästhetika aufgrund ihrer kardioprotektiven Eigenschaften Vorteile. Patienten mit Herzinsuffizienz sind perioperativ gefährdet durch die Wirkungen der Anästhetika auf das kardiovaskuläre System, eine inadäquate Volumengabe und eine überschießende Sympathikusaktivierung mit konsekutiven Rhythmusstörungen und kardialem Pumpversagen. Die Vormedikation sollte bis zum Operationstag fortgesetzt werden (außer ACE-Hemmer und ATII-Antagonisten bei Eingriffen mit hohem Volumeneinsatz). Bei rückenmarksnahen Verfahren ist eine hoch thorakale Ausbreitung der Blockade problematisch. Bei der Allgemeinanästhesie ist besonders auf die Beatmungsdrücke und die vorsichtige Volumengabe zu achten. In der postoperativen Phase kann durch eine suffiziente Schmerztherapie eine überschießende Sympathikusaktivierung vermieden werden. Bei Patienten mit Herzklappenfehlern steht die Aufrechterhaltung stabiler Kreislaufverhältnisse bei der Narkoseführung im Vordergrund. Dies erfordert genaue Kenntnisse der vitienspezifischen Hämodynamik und der kardiovaskulären Effekte der verwendeten Anästhesietechnik. Eine Endokarditisprophylaxe muss bei Patienten mit erworbenen Herzklappenerkrankungen nicht mehr zwingend durchgeführt werden. Empfohlen wird diese bei Hochrisikopatienten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Antibiotikaprophylaxe profitieren.
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6.5 Chronische Lungenerkrankungen P. Neumann
6.5.1 Einführung Erkrankungen des respiratorischen Systems sind häufig und für etwa 10 % der Todesfälle in Deutschland verantwortlich (Konietzko u. Fabel 2000). Von diesen pulmonal bedingten Todesfällen werden über 25 % durch chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) und das Lungenemphysem hervorgerufen, welche typische Erkrankungen des höheren Lebensalters darstellen (s. Kap. 2.3). Das Asthma bronchiale, neben der COPD die zweite große Ursache obstruktiver Ventilationsstörungen, ist eher eine Erkrankung des jüngeren Menschen, kommt aber natürlich auch im höheren Lebensalter vor. Interstitielle Lungenerkrankungen sind insgesamt selten und imponieren meistens als restriktive Ventilationsstörungen. Darüber hinaus können Skelettdeformitäten zu restriktiven Ventilationsstörungen führen, obwohl hier keine Lungenerkrankung im engeren Sinne vorliegt. Ältere Patienten weisen außerdem häufig schlafbezogene Atmungsstörungen auf, die oftmals mit anderen „Zivilisationskrankheiten“ wie Adipositas oder einer Herzinsuffizienz assoziiert sind.
6.5.2 COPD Klinisch und volkswirtschaftlich sind die chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, welche per definitionem durch eine nicht vollständig reversible Einschränkung der Atemstromstärke und einen chronisch progredienten Krankheitsverlauf charakterisiert sind (Pauwels et al. 2001, Leitlinie der American Thoracic Society und European Respiratory Society 2004) von allen pulmonalen Erkrankungen mit Abstand am bedeutsamsten (Konietzko u. Fabel 2000). COPD gilt daher als Oberbegriff
für eine Gruppe von Krankheiten, die klinisch als chronische Bronchitis imponieren (Husten und Auswurf in 3 oder mehr Monaten in mindestens 2 aufeinander folgenden Jahren) und/oder pathologisch-anatomisch durch ein Lungenemphysem (Parenchymreduktion distal der terminalen Bronchiolen) gekennzeichnet sind. Die Erkrankungen sind durch eine abnorme Entzündungsreaktion auf inhalative Noxen (in ca. 85 % aller Patienten Zigarettenrauch) gekennzeichnet. Folgen der chronischen Entzündung sind eine Hyperplasie muzinöser Drüsen, eine Verdickung der Mukosa durch entzündliche Infiltrate und ein Verlust der radiären Traktionskräfte durch die Parenchymdestruktion im Bereich der kleinen Atemwege. Die Folge ist eine Erhöhung des Atemwegswiderstandes (Resistance, Raw) im Bereich der Bronchiolen, die sich zunächst besonders deutlich während der Exspiration bemerkbar macht. Klinisch imponiert ein verlängertes Exspirium mit Giemen. Auf dem Boden dieser atemmechanischen Störung entwickeln sich abhängig vom Ausmaß und der Dauer weitere typische Veränderungen wie eine Widerstandserhöhung in der Lungenstrombahn mit Belastung des rechten Ventrikels (Cor pulmonale), eine Hypoxämie mit konsekutiver Polyglobulie sowie eine chronische Hyperkapnie. Diese pathophysiologischen Veränderungen sind mehr oder weniger immer präsent, und können zudem durch verschiedene Noxen noch akut exazerbieren. Im Unterschied zum akuten Asthmaanfall kann bei der COPD durch Bronchodilatatoren nur eine geringfügige Besserung der Symptomatik zu erreicht werden. Mittels Spirometrie wird die COPD anhand der forcierten exspiratorischen 1-Sekundenkapazität (FEV1) und dem Verhältnis aus FEV1 zu forcierter Vitalkapazität (FVC) in verschiedene Schweregrade eingeteilt (Tab. 6.13).
Schweregrad
FEV1/FVC nach Inhalation eines Bronchodilatators
FEV1 [% des Sollwertes]
gefährdete Patienten: Raucher, oder andere inhalative Noxen, chronischer Husten, Auswurf, Dyspnoe, positive Familenanamnese
> 0,7
≥ 80
milde COPD
≤ 0,7
≥ 80
schwere COPD
≤ 0,7
30–50
sehr schwere COPD
≤ 0,7
< 30
Tabelle 6.13 Schweregrad der COPD (nach American Thoracic Society und European Respiratory Society).
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Die akute respiratorische Insuffizienz bei COPD (Exazerbation der chronischen respiratorischen Insuffizienz oder „acute on chronic respiratory failure“) zeichnet sich durch eine Ermüdung der Atemmuskulatur mit sekundärer Verschlechterung der Blutgase aus. Wegen des erhöhten Atemwegswiderstands können die Patienten eine ausreichende Ventilation nicht aufrecht erhalten, so dass eine Hypoventilation mit den Leitsymptomen Hyperkapnie und respiratorische Azidose sekundär zur Hypoxämie führt. Im Vordergrund der Behandlung steht daher die Therapie des pathologisch erhöhten Atemwegswiderstands (symptomatisch und durch Beseitigung der auslösenden Ursachen) sowie die temporäre Unterstützung der Atemmuskulatur durch maschinelle Beatmung. Primär sollte immer ein Behandlungsversuch mit nicht invasiver Beatmung (NIV) erfolgen, da NIV sowohl im Vergleich zu einer konventionellen medikamentösen Therapie mit Sauerstoffgabe als auch im Vergleich zur invasiven Beatmung über einen Endotrachealtubus die Krankenhausverweildauer und letztlich auch die Mortalität günstig beeinflusst (Lightowler et al. 2003).
Ursache der Hypoxämie Der erhöhte, regional unterschiedliche Atemwegswiderstand sowie die Rarifizierung der Lungenkapillaren als Folge des Emphysems führen zu einer inhomogenen Ver. . teilung von Ventilation und Perfusion (VA/Q ). Es treten vermehrt Areale mit niedrigem Ventilations-/Perfusionsquotienten auf und gleichzeitig kommt es zu einer Zunahme der (ineffektiven) Totraumventilation (Barbera et al. 1994). Bei niedriger FiO2 (z. B. Raumluft) sind die alveolären Gaspartialdrucke in Arealen mit sehr nied. . rigem VA/Q ähnlich dem gemischt-venösen Blut, sodass sie für den Gasaustausch einen Shunt-ähnlichen Effekt haben und zu einer Hypoxämie führen. Anders als beim „wahren“ Shunt sind die Alveolen hier jedoch prinzipiell offen. Daher führt eine Anhebung des alveolären Sauerstoffanteils durch Erhöhung der FiO2 zu einer Normalisierung der arteriellen Sauerstoffsättigung. Der Versuch, die Oxygenierung ähnlich wie beim akuten Lungenversagen durch NO-Inhalation zu verbessern führt hingegen in aller Regel nicht zum Erfolg, sondern oftmals sogar zu einer Verschlechterung der Blutgase. Ein ähnlicher Effekt kann auch nach Inhalation von β2-Mimetika beobachtet werden, da diese Substanzen nicht nur bronchodilatatorisch sondern auch vasodilatatorisch wirken. Die Verschlechterung der Oxygenierung beruht vermutlich auf einer Vasodilatation in Alveolen mit bereits herabgesetztem Ventilations-Perfusions-Quotienten. Eine Zunahme der Perfusion in diesen Bereichen ohne gleichzeitige Zunahme der Ventilation muss zwangsläufig den Gasaustausch verschlechtern, da dieser im Wesentlichen vom Ventilations-Perfusionsverhältnis abhängt. Bei einem wahren Shunt lässt sich im Unterschied zur oben dargestellten Situation durch die Anhebung der FiO2 keine Verbesserung der Oxygenierung erreichen, da Blut und Atemluft nicht miteinander in Kontakt kommen. Die
Gabe von inhalativem NO dagegen führt zu einer Umverteilung des Blutflusses, sodass Shuntregionen weniger stark durchblutet werden. Der Nettoeffekt einer FiO2Erhöhung oder der inhalativen Gabe von Vasodilatatoren auf den Gasaustausch hängt also vom Verhältnis von . . echtem Shunt zu „Low VA/Q “ ab. Shunt spielt aber bei COPD nur bei akuter Infektexazerbation eine Rolle.
Ursache der Hyperkapnie . . Areale mit niedrigem VA/Q -Verhältnis verursachen nur einen sehr geringen Anstieg des PaCO2. Allerdings ist die Effektivität der CO2-Elimination durch den erhöhten Anteil der Totraumventilation vermindert. Außerdem ist die Atemarbeit aufgrund der Atemwegsobstruktion erhöht, sodass COPD-Patienten die Ventilation nicht in gleichem Umfang steigern können wie gesunde Menschen. Daher kann es schnell zur respiratorischen Globalinsuffizienz mit Hyperkapnie und Hypoxämie kommen. Hyperkapnie und Hypoxämie wirken ihrerseits negativ inotrop auf die Zwerchfellmuskulatur (Juan et al. 1984, Jardim et al. 1981), sodass sich ein Circulus vitiosus entwickeln kann, der in eine ventilatorische Dekompensation mündet.
Atemmechanische Veränderungen Wie bereits oben erwähnt, ist der erhöhte Atemwegswiderstand die im Vordergrund stehende pathophysiologische Störung bei COPD. Die statische Compliance (Cstat) des Lungengewebes ist dabei normal oder aufgrund von Veränderungen des Lungengerüstes (besonders beim Lungenemphysem) sogar erhöht. Die dynamisch gemessene Compliance darf nur mit größter Zurückhaltung interpretiert werden, da hier im Gegensatz zur statischen Compliance noch Resistanceeinflüsse sowie ggf. ein intrinsischer PEEP (Rossi et al. 1985) die Messung beeinflussen. Die atemmechanische Zeitkonstante t ist das Produkt aus Resistance × Compliance. Sie beschreibt die Zeit in Sekunden, in der bei passiver Exspiration 63 % des Atemzugvolumens ausgeatmet werden. Dabei folgt t einer Exponentialfunktion. Allgemein gilt, dass nach einem t 63 %, nach zwei t 86 %, nach drei t 95 % und nach vier t 98 % der Exspiration stattgefunden haben. Als Faustregel kann gelten, dass eine passive Exspiration nach 4 t bis zum Relaxationsvolumen (FRC) erfolgt ist. Hat man also einen Patienten mit einer Compliance von 100 ml/mbar und einer Resistance von 15 mbar × s/l so errechnet sich t = 0,1 × 15 s bzw. 1,5 s. Für eine annähernd vollständige Exspiration benötigt dieser Patient also 4 × 1,5 = 6,0 s. Allerdings gibt es in der Lunge viele unterschiedliche regionale Resistance- und Compliancewerte und dementsprechend viele unterschiedliche Zeitkonstanten, die zu verschieden langen Entleerungszeiten dieser Areale führen. Die in der klinischen Praxis gemessene Atemwegsresistance und Compliance der gesamten Lunge setzt sich
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6.5 Chronische Lungenerkrankungen aus diesen regionalen Werten zusammen und entspricht einem gewichteten Mittelwert.
Intrinsischer PEEP Der intrinsische PEEP (PEEPi) hat besonders bei obstruktiven Lungenfunktionsveränderungen unerwünschte Auswirkungen. PEEPi erhöht den intrathorakalen Druck und verschlechtert somit die pulmonale Perfusion und die Hämodynamik (Smith u. Marini 1988). Die Inspirationsarbeit nimmt zu, da immer der PEEPi zuerst überwunden werden muss, um einen inspiratorischen Gasfluss zu erzeugen (Rossi et al. 1990). Bei beatmeten Patienten wird dies als additive „Triggerarbeit“ bezeichnet. Diese zusätzliche Muskelaktivität erzeugt keine Volumenverschiebung und ist daher ineffektiv im Sinne der Ventilation. Auch kann durch den PEEPi ein Bronchiolenkollaps während der Exspiration verstärkt werden, und dadurch der Exspirationsfluss weiter eingeschränkt werden. Insgesamt wird durch die unerwünschte Erhöhung des Lungenvolumens der Wirkungsgrad der Atemmuskulatur vermindert (Kimball et al. 1982).
Besonderheiten bei dekompensierter COPD Bei COPD-Patienten ist ein Teil der chronisch respiratorischen Insuffizienz durch physiologische Anpassungsmechanismen kompensiert bzw. es liegen „Sollwertverstellungen“ vor. Eine chronische Hypoxämie führt zu einer Polyglobulie und aufgrund der hypoxischen Vasokonstriktion kommt es zur Erhöhung des Pulmonalarteriendruckes, was durch die Rarefizierung der pulmonalen Kapillaren bei Emphysem noch weiter verstärkt wird. Die Folge ist ein Cor pulmonale bzw. eine Rechtsherzinsuffizienz (Klinger u. Hill 1991). Die chronische Hyperkapnie wird renal kompensiert (Anstieg von CO2 und Bikarbonat), jedoch wird die Nierenfunktion und somit die Kompensation durch hohe PaCO2-Werte sowie niedrige PaO2Werte eingeschränkt. Ein PaCO2 > 65 mmHg reduziert den effektiven renalen Plasmafluss, ab einem PaO2 < 40 mmHg sinkt die glomeruläre Filtrationsrate. Der Atemantrieb wird nicht mehr primär über den erhöhten PaCO2 sondern über den verminderten PaO2 gesteuert, sodass unkontrollierte O2-Zufuhr zur Abnahme des Atemantriebs und zu einer sog. „CO2-Narkose“ führen kann. Diese langjährige „Lehrmeinung“ ist aber umstritten, und darf keinesfalls dazu führen, diesen Patienten aus Furcht vor einer verstärkten Hypoventilation eine notwendige erhöhte FiO2 vorzuenthalten. Es konnte gezeigt werden, dass trotz O2-Gabe der Atemantrieb bei COPD-Patienten immer noch dreifach höher war als in einem Kontrollkollektiv (Aubier et al. 1980). Dagegen wird selbst eine extreme Hyperkapnie mit Werten von > 100 mmHg erstaunlich gut toleriert, solange durch O2-Gabe eine Hypoxämie verhindert wird und die Hyperkapnie renal durch Bikarbonatretention kompensiert wird.
Anästhesiologische Besonderheiten bei COPD Bei COPD-Patienten sollte eine invasive Beatmung möglichst vermieden werden. Der Reiz des Endotrachealtubus kann bei einzelnen Patienten zu einer ausgeprägten Bronchialobstruktion mit sekundären Beatmungsproblemen führen. Emphysematische Veränderungen der Lunge mit der Ausbildung von Bullae erhöhen das Risiko eines Barotraumas, und eine effektive Spontanatmung am Beatmungsgerät ist vielen dieser Patienten mit vorangeschrittener Erkrankung nicht möglich, da sie die additive Atemarbeit durch den Endotrachealtubus, die Beatmungsschläuche und das Triggern des Beatmungsgerätes nicht leisten können. Aus diesen Gründen sollten periphere Regionalanästhesien für operative Eingriffe wenn immer möglich bevorzugt werden. Neuroaxiale Blockaden für Operationen der unteren Körperhälfte sind bei den meisten Patienten mit COPD problemlos durchführbar. Werden durch die Spinal- oder Epiduralanästhesie auch thorakale Segmente betäubt, kann bei Patienten, die ihre Bauchmuskulatur aktiv zur Exspiration einsetzen, je nach Ausdehnung der neuraxialen Blockade Dyspnoe und sogar ein ventilatorisches Versagen die Folge sein. In solchen Fällen wurden neuraxiale Blockaden erfolgreich mit nicht invasiver Beatmung kombiniert. Ist eine Vollnarkose unvermeidlich, sollte zur Vermeidung des Tubusreizes bei fehlenden Kontraindikationen eine Larynxmaske verwendet werden. Bei der Narkoseeinleitung sollten Substanzen, die eine Bronchokonstriktion auf direktem Wege oder über die Freisetzung von Histamin hervorrufen (wie Thiopental, Sucinylcholin, Atracurium oder Mivacurium) vermieden werden. Zur Aufrechterhaltung der Narkose sollten dabei bronchodilatatorisch wirksame Inhalationsnarkotika (z. B. Sevofluran aber kein Desfluran!) bevorzugt werden. Für laterale Thorakotomien und Oberbaucheingriffe empfiehlt sich in jedem Fall die präoperative Anlage eines thorakalen Epiduralkatheters, damit eine schmerzbedingte Schonatmung die ohnehin schon eingeschränkte pulmonale Reserve dieser Patienten nicht noch weiter vermindert. Patienten mit schwerer COPD sollten präoperativ neben einer optimalen medikamentösen Einstellung an nicht invasive Beatmung gewöhnt werden, damit dieses sehr effektive Therapieverfahren postoperativ frühzeitig und ohne lange Gewöhnungsphase eingesetzt werden kann.
6.5.3 Asthma bronchiale Das Asthma bronchiale ist eine häufige, chronisch entzündliche Erkrankung der Atemwege, die durch eine bronchiale Hyperreagibilität und variable Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist (www.atemwegsliga.de/ download/asthmaleitlinie.pdf). In der kindlichen Bevölkerung beträgt die Prävalenz in Deutschland etwa 10 %, bei Erwachsenen etwa 5 %. Dabei lässt sich das allergische (extrinsische) Asthma vom nicht allergischen (intrinsischen) Asthma unterscheiden. Grundsätzlich ist die Erst-
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen manifestation des Asthmas in jedem Lebensalter möglich, allerdings nimmt die Wahrscheinlichkeit, neu an Asthma zu erkranken, mit zunehmendem Lebensalter ab. Das so genannte „Late onset Asthma“, welches die Erstmanifestation im höheren Lebensalter bezeichnet, ist in den meisten Fällen ein intrinsisches Asthma. Asthma ist für ca. 5 % der pulmonal bedingten Todesfälle in Deutschland verantwortlich (Konietzko u. Fabel 2000), und die 5-Jahres-Mortaltät von älteren Asthmapatienten (> 65 Jahre) ist im Vergleich zu einem Kontrollkollektiv mit gleichem Alter aber ohne Asthma deutlich erhöht (Bellia et al. 2007). Allerdings ist die Asthmamortalität in Deutschland in den letzten 10 Jahren insgesamt rückläufig, was im Wesentlichen auf die Therapie mit inhalativen Kortikoiden zurückgeführt wird (www.atemwegsliga.de/download/asthmaleitlinie.pdf). Klinisch imponiert Asthma als anfallsartige Atemnot mit Husten, Giemen und thorakalem Engegefühl. In der Lungenfunktion (z. B. 1-Sekundenkapazität, FEV1) zeigt sich eine reversible Atemwegsobstruktion (Verbesserung der Messparameter 15–30 Minuten nach Inhalation eines β2-Sympathomimetikums), die durch eine akute Bronchokonstriktion, eine ödematöse Schwellung der Atemwegswände, die partielle Verlegung der Atemwege durch hochvisköses Sekret und letztlich auch einen bindegewebigen Umbau („Remodeling“) der Atemwege bedingt ist. Die Therapie des Asthmas erfolgt nach einem Stufenplan in Abhängigkeit vom Schweregrad der Erkrankung. Dabei werden schnell wirksame inhalative β2-Sympathomimetika zur Behandlung der akuten Atemnot mit inhalativen Kortikoiden und ggf. lang wirksamen inhalativen β2-Sympathomimetika als Dauertherapie kombiniert. Ist diese Therapie für eine gute Symptomkontrolle unzureichend, kann die Therapie um Theophyllin oder ggf. den Leukotrienantagonisten Montelukast erweitert werden. Bei allergischem Asthma gibt es als weitere Therapieoption den monoklonalen Anti-IgE-Antikörper Omalizumab. Die medikamentöse Therapie sollte in jedem Fall um präventive und nicht medikamentöse Maßnahmen wie Allergenkarenz, Impfungen, Raucherentwöhnung, Gewichtsreduktion etc. ergänzt werden.
Anästhesiologische Besonderheiten bei Asthmapatienten Ähnlich wie bei den chronisch obstruktiven Patienten (siehe oben) sollten für operative Eingriffe möglichst Regionalanästhesieverfahren verwendet werden, da alleine durch die endotracheale Intubation ein schwerer Asthmaanfall ausgelöst werden kann. Bei elektiven Operationen muss präoperativ eine optimale Symptomkontrolle erfolgen und die Patienten dürfen keine Infekte im Bereich der Nasennebenhöhlen oder des Respirationstraktes haben. Die Medikamente zur Einleitung und Aufrechterhaltung der Narkose sollten wie im vorangegangenen Abschnitt (siehe COPD) beschrieben ausgewählt werden. Wird eine Inhalationsanästhesie durchgeführt, sollte ggf. die Extubation in tiefer Narkose erfolgen, um
während der Exzitationsphase den Reiz der Atemwege durch den Endotrachealtubus zu vermeiden.
Merke
Bei Patienten mit COPD oder Asthma sind periphere Regionalanästhesien wenn möglich zu bevorzugen.
6.5.4 Interstitielle Lungenerkrankungen Die interstitiellen Lungenerkrankungen sind eine ätiologisch sehr heterogene Krankheitsgruppe, bei der pathogenetisch eine Vermehrung der Fibroblasten und der extrazellulären Bindegewebsmatrix sowie entzündliche Veränderungen der Alveolarwände im Vordergrund stehen. Das Endstadium dieser Erkrankungen ist durch eine irreversible Fibrosierung des Lungenparenchyms gekennzeichnet. Das Krankheitsspektrum umfasst Alveolitiden, Lungenfibrosen, Granulomatosen, Vaskulitiden als auch maligne Infiltrationen des Lungenparenchyms. Letztlich kann aber nur bei etwa 35 % der interstitiellen Lungenerkrankungen eine spezifische Diagnose gestellt werden. Die Veränderungen des Lungenparenchyms führen zu einer restriktiven Ventilationsstörung, die durch eine Abnahme der Vitalkapazität und der respiratorischen Compliance gekennzeichnet ist. Dadurch ist die Atemarbeit der Patienten erhöht und die Atmung meistens schnell und flach. Der Verlust intakter alveolo-kapillärer Einheiten führt zur Hypoxämie durch Ventilations-Perfusions-Mismatch (Agusti u. Barbera 1994) sowie durch einen erhöhten intrapulmonalen Rechts-Links-Shunt. Da die Hypoxämie sich typischerweise in fortgeschrittenen Krankheitsstadien unter körperlicher Belastung weiter verschlechtert, scheint auch eine Diffusionsstörung für Sauerstoff während Belastungsphasen pathophysiologisch relevant zu werden: Die Steigerung des Herzzeitvolumens während körperlicher Anstrengung führt zu einer Verkürzung der Transitzeit der Erythrozyten im Bereich der alveolo-kapillären Membran, welche dann für eine Angleichung der alveolären und erythrozytären Sauerstoffpartialdrücke nicht mehr ausreichend ist. Epidemiologische Daten zu interstitiellen Lungenerkrankungen sind rar. Für Deutschland wird eine Prävalenz von etwa 60–80 Patienten/100 000 Einwohner bzw. eine Neuerkrankungsrate (Inzidenz) von etwa 20/100 000 Einwohner/Jahr angenommen. Dabei finden sich interstitielle Lungenerkrankungen überwiegend bei Menschen im mittleren und höheren Lebensalter.
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6.5 Chronische Lungenerkrankungen
Anästhesiologische Besonderheiten bei Patienten mit chronisch interstitiellen Lungenerkrankungen Aufgrund der gesteigerten Atemarbeit bei interstitiellen Lungenerkrankungen, die zu der ohnehin schon erhöhten Atemarbeit bei alten Menschen hinzukommt, sollten längere Spontanatmungsphasen mit Endotrachealtubus ohne maschinelle Unterstützung vermieden werden. Während einer kontrollierten Beatmung z. B. im Rahmen einer Vollnarkose müssen die veränderten atemmechanischen Eigenschaften berücksichtigt werden, indem kleine Tidalvolumina ≤ 6 ml/kg Idealgewicht mit einer hohen Atemfrequenz kombiniert werden. Dadurch lassen sich bei den meisten Patienten hohe Atemwegsdrücke > 30 mbar vermeiden. Der erhöhte intrapulmonale Shunt bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung legt die Beatmung mit einem moderaten PEEP-Niveau (5– 10 mbar) nahe. Andererseits zeigen intensivmedizinische Daten, dass die Beatmung mit hohem PEEP bei diesen Patienten einen unabhängigen Risikofaktor für eine erhöhte Mortalität darstellt (Fernandez-Perez et al. 2008). Nutzen und Risiko der gewählten PEEP-Einstellung muss daher bei Patienten mit chronisch interstitiellen Lungenerkrankungen besonders sorgfältig abgewogen werden. Widersprüchliche Daten liegen im Hinblick auf die Frage vor, ob Operationen in Vollnarkose bei Patienten mit chronisch interstitiellen Lungenerkrankungen mit einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet sind. Bis diese Frage eindeutig geklärt ist, sollten wenn immer möglich Regionalanästhesien zur Durchführung operativer Eingriffe bevorzugt werden.
Kernaussagen ●
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Erkrankungen der respiratorischen Systems sind häufig und verursachen etwa 10 % der Todesfälle in Deutschland. Obstruktive (COPD und Asthma) und restriktive (interstitielle Lungenerkrankungen) Ventilationsstörungen erhöhen das perioperative Risiko für pulmonale Komplikationen, sodass Regionalanästhesien bevorzugt zum Einsatz kommen sollten. Hohe neuroaxialen Blockaden, die im Einzelfall durch eine Beeinträchtigung der Exspiration (aktive Ausatmung unter Einsatz der Bauchmuskulatur bei schwerer Obstruktion) Dyspnoe und eine Ateminsuffizienz verursachen können, lassen sich im Einzelfall erfolgreich mit nicht invasiver Beatmung kombinieren.
Literatur Agusti AG, Barbera JA. Contribution of multiple inert gas elimination technique to pulmonary medicine. 2. Chronic pulmonary diseases: chronic obstructive pulmonary disease and idiopathic pulmonary fibrosis. Thorax 1994; 49: 924–932 Aubier M, Murciano D, Fournier M et al. Central respiratory drive in acute respiratory failure of patients with chronic obstructive pulmonary disease. Am Rev Respir Dis 1980; 122: 191–199 Barbera JA, Riverola A, Roca J et al. Pulmonary vascular abnormalities and ventilation-perfusion relationships in mild chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med 1994; 149: 423–429 Bellia V, Pedone C, Catalano F et al. Asthma in the elderly: mortality rate and associated risk factors for mortality. Chest 2007; 132: 1175–1182 Fernandez-Perez ER, Yilmaz M, Jenad H et al. Ventilator settings and outcome of respiratory failure in chronic interstitial lung disease. Chest 2008; 133: 1113–1119 Jardim J, Farkas G, Prefaut C et al. The failing inspiratory muscles under normoxic and hypoxic conditions. Am Rev Respir Dis 1981; 124: 274–279 Juan G, Calverley P, Talamo C et al. Effect of carbon dioxide on diaphragmatic function in human beings. N Engl J Med 1984; 310: 874–879 Kimball WR, Leith DE, Robins AG. Dynamic hyperinflation and ventilator dependence in chronic obstructive pulmonary disease. Am Rev Respir Dis 1982; 126: 991–995 Klinger JR, Hill NS. Right ventricular dysfunction in chronic obstructive pulmonary disease. Evaluation and management. Chest 1991; 99: 715–723 Konietzko N, Fabel H. Weißbuch Lunge 2000. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2000 Leitlinie der American Thoracic Society und European Respiratory Society 2004. Im Internet: http://www.thoracic.org/sections/ copd/resources/copddoc.pdf, Stand: 03.02.2009 Lightowler JV, Wedzicha JA, Elliott MW et al. Non-invasive positive pressure ventilation to treat respiratory failure resulting from exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease: Cochrane systematic review and meta-analysis. BMJ 2003; 326: 185 Pauwels RA, Buist AS, Calverley PM et al. Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of chronic obstructive pulmonary disease. NHLBI/WHO Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) Workshop summary. Am J Respir Crit Care Med 2001; 163: 1256–1276 Rossi A, Brandolese R, Milic-Emili J et al. The role of PEEP in patients with chronic obstructive pulmonary disease during assisted ventilation. Eur Respir J 1990; 3: 818–822 Rossi A, Gottfried SB, Zocchi L et al. Measurement of static compliance of the total respiratory system in patients with acute respiratory failure during mechanical ventilation. The effect of intrinsic positive end-expiratory pressure. Am Rev Respir Dis 1985; 131: 672–677 Smith TC, Marini JJ. Impact of PEEP on lung mechanics and work of breathing in severe airflow obstruction. J Appl Physiol 1988; 65: 1488–1499
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6.6 Gefäßerkrankungen R. Pschowski, J. Motsch
6.6.1 Einführung Das Gefäßsystem unterliegt wie der gesamte Organismus dem physiologischen Prozess der Alterung, limitiert jedoch bei Erkrankung entscheidend die Lebenserwartung (s. Kap. 2.2). Bereits Rudolf Virchow erkannte diesen Zusammenhang und postulierte: „Der Mensch ist so alt wie seine Gefäße“. Im Alterungsprozess verlieren die Gefäße besonders in der Media elastische Fasern, was auf arterieller Seite neben dem Verlust der Windkesselfunktion der Aorta u. a. zur Zunahme des peripheren Gefäßwiderstands mit Veränderung der Fließeigenschaften des Blutes sowie zur arteriellen Hypertonie mit Nachlasterhöhung und Linksherzhypertrophie führt (s. Kap. 2.2). Auf venöser Seite entstehen hämodynamisch relevante Störungen der Makrozirkulation und Funktionsversagen von Venenklappen mit Gefäßerweiterungen. Der Körper büßt Kompensationsmöglichkeiten für Belastungen im Alltag ein. Dieser Tatsache hat die Anästhesie im besonderen Maße Rechnung zu tragen. Alter ist ein wichtiger unabhängiger „Risikofaktor“ für die postoperative Mortalität (Amcoff u. Westholm 2007). In der westlichen Welt führen die Herz- und Gefäßerkrankungen die Statistik der Todesursachen an. Durch die steigende Lebenserwartung werden Gefäßerkrankungen und die dadurch notwendigen Operationen überproportional zunehmen. Die häufig zugrunde liegende Arteriosklerose führt zur chronischen arteriellen Verschlusskrankheit (AVK), einer stenosierenden und okkludierenden Erkrankung, die das gesamte arterielle Gefäßsystem in unterschiedlichem Ausmaß betrifft. Die Bedeutung der Erkrankung darf nicht unterschätzt werden, denn die 5-Jahres-Mortalität der chronischen AVK in den frühen Stadien gleicht bereits der Mortalität von Patienten mit einem Rektumkarzinom. Bei älteren Menschen, die sich einem gefäßchirurgischen Eingriff unterziehen, hängen perioperative Komplikationen und das postoperative Outcome vor allem von präexistenten Begleiterkrankungen ab. Ein hohes Risiko für perioperative Komplikationen besteht bei hohem Alter, kardialen Erkrankungen, Diabetes mellitus, Dyslipidämie, Hypertonie, chronischem Nierenversagen, AVK und Dehydrierung.
Merke
Die AVK ist eine häufig unterschätzte Begleiterkrankung, die sich im Bereich des Herzens als koronare Herzkrankheit, im Gehirn als zerebrovaskuläre Insuffizienz, in der Niere als Nephrosklerose sowie im Bereich der Extremitäten als periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) manifestiert.
Operative Eingriffe am Gefäßsystem weisen bereits wegen der häufigen Begleiterkrankungen zahlreiche perioperative Komplikationen und eine hohe Morbidität und Mortalität auf. Nach den Kriterien der AHA (American Heart Association) werden, unabhängig von etwaigen Begleiterkrankungen des Patienten, Eingriffe an der Aorta und an peripheren Arterien einem hohen, Eingriffe an der Arteria carotis einem mittleren kardialen Risiko zugeordnet. Im Rahmen der Narkosevorbereitung ist eine akribische Anamnese mit Befundsichtung, eine körperliche Untersuchung und ggf. das Einholen von weiterführenden Untersuchungen erforderlich (s. Kap. 4.1). Invasive kardiale Diagnostik sollte gemäß AHA-Richtlinien nur dann angefordert werden, wenn sich therapeutische Konsequenzen ergeben. Innerhalb der ersten 6 Monate nach einer koronaren Angioplastie geht ein operativer Eingriff wegen der perioperativen Hyperkoagulabilität mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einhergeht. Eine präventive präoperative koronare Revaskularisation verringert nicht die perioperative Komplikationsrate. Das Outcome bei älteren und multimorbiden gefäßchirurgischen Patienten wird maßgeblich von der perioperativen Betreuung beeinflusst und verlangt deshalb eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Besondere Bedeutung kommt der perioperativen Herzfrequenzkontrolle, stabilen Kreislaufverhältnissen sowie einer effektiven Schmerzbehandlung zu. Der großzügige Einsatz von β-Blockern zur perioperativen Prophylaxe kardialer Komplikationen wurde empfohlen. Nach neuen Untersuchungen sollten aber β-Blocker nicht unkritisch eingesetzt werden, weil trotz besserer Herzfrequenzkontrolle und verringerter kardialer Komplikationen unter β-Blocker durch häufigere apoplektische Insulte eine höhere Mortalität beobachtet wurde. Daher wird derzeit eine perioperative β-Blockertherapie nur für Patienten der kardialen Hochrisikogruppe empfohlen. Keinen Nutzen oder sogar Nachteile ziehen Patienten ohne kardiale Risiken aus der perioperativen Gabe von β-Blockern. Unabhängig von der Risikogruppenzuordnung ist eine bereits präoperativ
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6.6 Gefäßerkrankungen begonnene Therapie mit β-Blocker perioperativ konsequent weiterzuführen, um ein β-Blockerentzugsyndrom zu vermeiden. Eine perioperative Behandlung mit Statinen verbessert durch deren Plaque stabilisierende Wirkung das Outcome bei gefäßchirurgischen Patienten. Wenn keine Sinusknotenerkrankung vorliegt, ist einer Prämedikation mit Clonidin wegen der Sympathikus modulierenden und der Myokardischämie protektiven Wirkung der Vorzug vor Benzodiazepinen zu geben. In die abschließende Beurteilung des individuellen Anästhesierisikos und die Auswahl des geeigneten Anästhesieverfahrens müssen die Begleiterkrankungen sowie die spezifischen Anforderungen des operativen Eingriffs Berücksichtigung finden. In Abhängigkeit davon kann die Entscheidung zugunsten der Regionalanästhesie oder Allgemeinanästhesie gefällt werden. Obwohl nach evidenzbasierter Analyse die Art der Anästhesie nicht entscheidend für das Outcome ist, scheinen regionale Anästhesieverfahren besonders beim alten Menschen klinisch Vorteile aufzuweisen. Wegen der unspezifischen antiinflammatorischen und antithrombotischen Wirkung der Lokalanästhetika sowie der nebenwirkungsarmen Schmerzausschaltung sollten bei Patienten mit gefäßchirurgischen Operationen beim Fehlen von Kontraindikationen eine Regionalanästhesie oder eine Kombination mit Allgemeinanästhesie erwogen werden (Gottschalk u. Schulte am Esch 2005). Das intraoperative Anästhesiemanagement bei gefäßchirurgischen Eingriffen zielt auf Aufrechthaltung einer hämodynamischen Stabilität unter Vermeidung von Blutdruckspitzen und Blutdruckabfällen. Dadurch lässt sich eine kritische Minderperfusion mit Ischämie von Organen in arteriosklerotisch veränderten Bezirken oder eine Aneurysmaruptur verhindern. Das Abfallen des systemischen Blutdrucks wird im Alter schlechter toleriert. Der Blutdruckabfall wird zudem bei Patienten mit Gefäßerkrankungen durch den bestehenden Volumenmangel, die negativ inotropen Effekte der Anästhetika sowie durch die altersbedingten Einschränkungen der kardialen Leistungsfähigkeit aggraviert. Eine präoperative intravenöse Flüssigkeitszufuhr mildert diese negativen Effekte. Abgesehen von kardialen Komplikationen ist bei gefäßchirurgischen Eingriffen die Nierenfunktion in besonderem Maße gefährdet. Ein bilanziertes Volumenmanagement und nierenprotektive Maßnahmen sollen postoperativ ein akutes Nierenversagen, das eine schlechte Prognose aufweist, verhindern. Der frühzeitige Einsatz von Nierenersatzverfahren ist dann in Erwägung zu ziehen. Auf die Aufrechterhaltung einer Normothermie ist besonders zu achten. Die anästhesiespezifische Überwachung bei gefäßchirurgischen Operationen muss sowohl dem individuellen Risikoprofil als auch den pathophysiologischen Besonderheiten des Eingriffs gerecht werden. Abgesehen vom empfohlenen Basismonitoring sollte eine ST-Streckenanalyse (Ableitung II und V5) zur Detektion myokardialer Ischämien und eine direkte arterielle Blutdruckmessung mit Möglichkeit einer Blutgasanalyse erfolgen, sowie bei Aorteneingriffen ein zentraler Venenkatheter (ZVK) ange-
legt werden. Ein Pulmonalarterienkatheter (PAK) sollte speziellen Situationen wie z. B. Eingriffen an der thorakalen Aorta vorbehalten sein. Bei kardialer Instabilität empfiehlt sich der frühzeitige Einsatz der transösophagealen Echokardiografie (TEE) (Striebel 2003).
6.6.2 Arterielles System Chronisch arterielle Verschlusskrankheit (AVK) Etwa 4,5 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer AVK. Die Klinik arterieller Durchblutungsstörungen ist variabel und kann nahezu alle Organe betreffen. Embolien, Thrombosen und Traumen verursachen akut auftretende arterielle Verschlüsse. Hingegen liegen der chronischen arteriellen Verschlusskrankheit degenerative, metabolische, entzündliche und dysplastische Veränderungen zugrunde. Abgesehen von seltenen Gefäßerkrankungen stellt die Arteriosklerose, deren klinische Manifestation das Herz als koronare Herzkrankheit (KHK), das Gehirn in Form der transitorischen ischämischen Attacke (TIA), des prolongierten reversiblen ischämischen neurologischen Defizits (PRIND) sowie als Apoplex, als auch die Extremitäten als periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und seltener die Viszeralarterien treffen kann, die Hauptursache für die Entstehung der chronischen arteriellen Verschlusskrankheit (Tab. 6.14). Als Sonderform gilt das Leriche-Syndrom. Es kommt zum Verschluss der aortalen Bifurkation mit akutem Verlust der Durchblutung der unteren Extremitäten oder bei der chronischen Form zur Ausbildung von Kollateralkreisläufen mit Belastungseinschränkungen (Denzel u. Lang 2008). Charakteristisches Merkmal der Arteriosklerose ist die Einlagerung von lipidreichem Material in die Gefäßwand, gefolgt von einer endothelialen Funktionsstörung und Umwandlung von Monozyten in Makrophagen, sowie Zell- und Bindewegsvermehrung im Gefäßlumen. Resultierend folgt die Einengung des Gefäßquerschnittes mit Abnahme der Flussgeschwindigkeit jenseits der Verengung (Hagen-Poiseuille-Gesetz) und Hypoxämie des distalen Gewebes. Neben den nicht zu beeinflussenden Risikofaktoren wie Alter, familiäre Belastung und männliches Geschlecht Tabelle 6.14 schow.
Stadieneinteilung der pAVK nach Fontaine-Rat-
Stadium I
Beschwerdefreiheit (75 % aller Fälle sind asymptomatisch)
Stadium II
Schmerzen bei Belastung (Claudicatio intermittens) a. schmerzfreie Gehstrecke > 200 Meter b. schmerzfreie Gehstrecke < 200 Meter
Stadium III
ischämischer Ruheschmerz der Muskulatur
Stadium IV
trophische Störungen (Ulzera, Nekrosen, Gangrän)
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Tabelle 6.15
Risikofaktoren der Arteriosklerose.
nicht beeinflussbare Risikofaktoren
beeinflussbare Risikofaktoren
1. Alter
1. Zigarettenrauchen
2. männliches Geschlecht
2. Diabetes mellitus
3. familiäre Belastung
3. Hypercholesterinämie 4. arterielle Hypertonie
fördern die beeinflussbaren Risikofaktoren wie Rauchen, Diabetes mellitus, Hypercholesterinämie und der (unbehandelte) Hypertonus die Entstehung der Arteriosklerose und damit der AVK (Tab. 6.15). Die Mortalität der AVK liegt 15 Jahre nach Diagnosestellung bei 70 %. Bereits heute weisen 30 % der über 50-jährigen Patienten in Allgemeinpraxen eine arterielle Verschlusskrankheit auf. Die Prävalenz der pAVK steigt bei über 65-Jährigen bis auf 20 % an, allerdings wird nur jeder vierte Patient symptomatisch. Eine kurzstreckige periphere arterielle Stenose (pAVK) kann mittels Ballondilatation oder Thrombendarteriektomie (TEA) behoben werden. Langstreckige periphere Stenosen werden mit autologen (Vene) oder KunststoffBypässen versorgt. Bei der Anästhesievorbereitung ist zu beachten, dass die pAVK nicht isoliert auftritt, sondern durch die generalisierte Arteriosklerose (z. B. als KHK) das perioperative Risiko entscheidend beeinflusst. Für oben erwähnte Eingriffe eignen sich eine balancierte Anästhesie mit Opioiden und Inhalationsanästhetika, rückenmarksnahe Leitungsanästhesien (Periduralanästhesie, Spinalanästhesie) oder bei größeren Eingriffen eine Kombination von beiden. Wird einem regionalen Verfahren der Vorzug gegeben, bietet sich wegen der geringen Kreislaufreaktionen und der beliebig verlängerbaren Sympathikusblockade eine kombinierte Spinal-Epiduralanästhesie (CSE) an. Wenn möglich, sollten periphere Nervenblockaden angewendet werden. Zahlreiche Studien sehen einen Überlebensvorteil bei der Wahl der Regionalanästhesie. Die Vorgaben der Fachgesellschaften bei gleichzeitiger Anwendung von Antikoagulanzien und rückenmarknahen oder peripheren Leitungsanästhesien sind strikt zu beachten. Eine suffiziente postoperative Schmerztherapie soll einer Chronifizierung von Schmerzen vorbeugen. Ob der Einsatz von regionalen Anästhesieverfahren und/oder die Anwendung von NMDA-Rezeptor-Antagonisten das Auftreten von Phantomschmerzen beeinflussen vermag, ist nicht hinreichend geklärt (Dodds et al. 2007).
Merke
Bei arterieller Verschlusskrankheit sind regionale Anästhesieverfahren zu bevorzugen. Die Leitlinien zur gleichzeitigen Anwendung von Antikoagulanzien sind unbedingt zu beachten.
Aneurysma/Dissektion Als Aneurysma ist eine umschriebene, krankhafte Wandausbuchung eines arteriellen Systems anzusehen. Es werden das Aneurysma verum mit der Aussackung aller Gefäßwandschichten und das Aneurysma spurium (falsches Aneurysma) als periarterielles Hämatom unterschieden. Unter einer Dissektion versteht man den Einriss der Intima mit Einblutung in die Wandschichten. Bei erneutem distalen Anschluss an die Arterie kommt es zur Bildung eines falschen Lumens, wobei es durch die Umgehung der regulären Strombahn zur Minderperfusion von Organen kommen kann. Im Alter stellt die Arteriosklerose die Hauptursache, aber Infektionen (z. B. Syphilis, Borreliose, Chagas-Krankheit) und Traumen kommen auch in Betracht. Aneurysmen der Aorta treten mit einer Prävalenz von 3 % bevorzugt abdominell, davon 80 % distal der Nierenarterien, auf. Selten sind Aneurysmen und Dissektionen in peripheren Gefäßen und Organen zu finden. Thorakoabdominelle Aneurysmen werden nach Crawford in Typ 1 bis 5 eingeteilt. Die Aortendissektion wird anhand des proximalen Risses, der Ausdehnung und der Lokalisation in der Aorta in zwei Typen nach Stanford bzw. drei nach DeBakey klassifiziert (Abb. 6.3). Sowohl beim Aneurysma, als auch bei der Dissektion trägt der Hypertonus als isolierter oder begleitender Risikofaktor zum Voranschreiten der Erkrankung bei (Silvay et al. 2008). Aneurysmen treten meist zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr auf und treffen Männer fünfmal häufiger als Frauen. Ist das echte Aneurysma meist durch Lokalisation oder Beeinträchtigung der Funktion umgebender Organe ein Zufallsbefund im Röntgen oder der Sonografie, führt die freie Ruptur mit ungehindertem Blutaustritt ins Abdomen oder Thorax fast immer innerhalb weniger Minuten zum Tod. Bei einer gedeckten Ruptur kann durch eine sofortige Operation unter Einsatz von Massivtransfusion eine Kreislaufstabilisierung gelingen. Eine oft lang dauernde Intensivbehandlung trägt dazu bei, dass dieses akute Ereignis überlebt werden kann. Limitierende Faktoren sind die Begleiterkrankungen dieser Patienten wie die KHK, die AVK und vor allem das akute Nierenversagen. Ein wesentlicher Fortschritt in der Akutversorgung dieser Patienten wurde durch die Einführung von endovaskulär platzierbaren Aortenstents erzielt. Über die freigelegte Femoralarterie in der Leiste wird das gedeckt rupturierte oder symptomatische Aneurysma mit endoluminal platzierten Stents (EVAC) überbrückt und so die freie Ruptur verhindert bzw. abgedichtet. Ist das Aneurysma in der abdominellen oder unteren thorakalen Aorta gelegen, eignet sich bei suffizienter Spontanatmung und Bewusstseinszustand zur Akutversorgung eine Lokalanästhesie der Leiste oder eine rückenmarknahe Leitungsanästhesie. Zur Ausschaltung eines Aneurysmas im deszendierenden Aortenbogen ist meist eine Allgemeinanästhesie erforderlich, weil für die exakte Platzierung des endoluminalen Stents eine kontrollierte Ventilation und bei einigen Patienten entweder ein Adenosin- oder durch Rapid
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6.6 Gefäßerkrankungen Abb. 6.3 Einteilung des thorakoabdominellen Aneurysmas nach DeBakey und der Aortendissektion nach Stanford (Quelle: Reuter 2006). Einteilung nach DeBakey: Typ I: Entry in der Aorta ascendes, Ausdehnung bis Femoralisgabel möglich. Typ II: Entry in der Aorta ascendens. Typ III: Entry in der Aorta descendes, Ausdehnung bis Femoralisgabel möglich. Einteilung nach Stanford: Typ A: Proximaler Einriss betrifft die Aorta ascendens oder Aortenbogen (dringliche OP-Indikation). Typ B: Proximaler Einriss betrifft die Aorta descendens distal des Abgangs der linken A. subclavia.
Pacing induzierter Herzstillstand erforderlich ist. Wenn Gefäßabgänge durch den Stent verschlossen werden, sind begleitende Transpositions- oder Cross-over-Bypass-Operationen notwendig. Das elektiv zu versorgende Aortenaneurysma beim alten Menschen erfordert eine sorgfältige präoperative Vorbereitung, ein klares anästhesiologisches Management und postoperative Intensivtherapie. Einem kombinierten Anästhesieverfahren aus balancierter Anästhesie und thorakaler Periduralanästhesie wird häufig der Vorzug gegeben. Das Abklemmen der Aorta (clamping) und die Wiederfreigabe (declamping) mit den sich daraus ergebenden pathophysiologischen Veränderungen stellt eine besondere Herausforderung dar. Zur operativen Versorgung eines Aortenaneurysmas oder einer Aortendissektion stehen offene und endovaskuläre Techniken zur Verfügung. Im Bereich der Aorta ascendens und im Aortenbogen werden Aneurysmen meist durch Kardiochirurgen mit Einsatz der Herz-Lungen-Maschine versorgt. Unterhalb des Abgangs der linken Arteria subclavia erfolgt dies durch Gefäßchirurgen. Bei der offenen Versorgung sind kardiovaskuläre und metabolische Probleme in der Phase des Clamping und Declamping zu erwarten. Die Dauer des Abklemmens und die Lokalisation (infrarenal oder suprarenal) bestimmen die Komplikationen. Vor allem beim suprarenalen Clamping treten ischämisch bedingte Rückenmarkschädigungen (Spinalis-anterior-Syndrom), akutes Nierenversagen und Myokardischämie auf (Story 2008). Durch die akute Nachlasterhöhung droht während des Abklemmens die kardiale Dekompensation. Zur Nachlastsenkung ist kurz wirksamen und gut steuerbaren Vasodilatatoren wie Natriumnitroprussid, Nitroglycerin oder Urapidil der Vorzug zu geben. Vorteilhaft erscheinen für die Phase des Aortenclampings deshalb ein niedriges intravasales Volumen, eine medikamentöse Nachlastsenkung und eine Sympathikolyse, während gegen Ende der Abklemmungsphase zur Vermeidung eines ausgeprägten Blutdrucksabfalls ein forciertes Auffüllen des Kreislaufs notwendig ist. Die reduzierten Kompensationsmechanis-
men des alten Menschen setzen jedoch enge Grenzen und erfordern beim Freigeben der Aorta (Declamping), abgesehen vom großzügigen Volumenmanagement und Azidoseausgleich, den frühzeitigen Einsatz von Katecholaminen. Die distal der Aortenabklemmung resultierende Minderperfusion mit anaerober Glykolyse sowie Anhäufung saurer Metabolite erfordert die Überwachung des Säure-Basen-Status und die Kontrolle der Nierenfunktion. Eine stets adäquate Blutdruck- und Volumentherapie verringert das Risiko eines postoperativen Nierenversagens signifikant. Bei hämodynamischer Instabilität sollte frühzeitig der Einsatz des TEE erwogen werden (Ricou u. Merlani 2008). Aufgrund der geringeren Invasivität bringt auch bei der elektiven Versorgung eines Aortenaneurysmas das endovaskuläre Einbringen einer entfaltbaren aortalen Stentprothese beim älteren Menschen und Risikopatienten deutliche Vorteile. Da ein Abklemmen der Aorta nicht erforderlich ist, resultiert eine kürzere Krankenhausverweildauer und ein besseres Outcome. Nach der Platzierung von endovaskulären Stents werden abakterielle Entzündungreaktionen (Postimplantationssyndrom) als eine Reaktion auf die Kunststoffprothese und die Thrombosierung des Aneurysmarestlumens beobachtet (Reuter 2006).
Chronische arterielle Verschlusskrankheit der Hirnarterien/Karotisstenosen Das Gehirn ist das Organ mit dem höchsten Sauerstoffverbrauch, dem durch die besondere arterielle Blutversorgung Rechnung getragen wird. Die Häufigkeit zerebraler Durchblutungsstörungen steigt im Alter. Diese stellen nach der KHK und den malignen Tumoren die dritthäufigste Todesursache. Ca. 80 % der Schlaganfälle werden durch zerebrale Durchblutungsstörungen hervorgerufen. Meist ist eine arteriosklerotische Stenosierung der Bifurkation der Arteria carotis interna, über welche das Gehirn ca. 80 % seiner Blutversorgung erhält, die Ursache. Je nach Klinik und zeitlichem Verlauf werden eine transitorische
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen ischämische Attacke (TIA), ein prologiertes reversibles ischämisches neurologisches Defizit (PRIND) oder ein apoplektischer Insult unterschieden. Eine asymptomatische Karotisstenose unter 50 % wird konservativ mit Thrombozytenaggregationshemmern (ASS oder Clopidogrel) behandelt. Die operative Therapie bringt bei der asymptomatischen höhergradigen Stenose durch die Schlaganfallprophylaxe Vorteile. Eine klare Operationsindikation besteht im Stadium II bei der symptomatischen hochgradigen Stenose. Im Stadium III, dem akuten Schlaganfall, ist eine Operationsindikation nur ausnahmsweise bei fehlender Bewusstlosigkeit gegeben. Wird innerhalb eines Zeitintervalls von 6 Stunden operiert, bilden sich bei bis zu 50 % der Patienten die neurologischen Ausfälle zurück, jedoch ist die Letalität mit 9 % hoch. Die Wertigkeit einer lokalen Lyse bei kranialem Gefäßverschluss ist nicht gesichert. Im Stadium IV besteht eine Operationsindikation, wenn sich die neurologische Symptomatik weitgehend zurückgebildet hat. Der Operationszeitpunkt orientiert sich am CT-Befund und am Grad der Stenose. Besonders häufig ist die Kombination einer Karotisstenose mit Stenosen an den Koronararterien. Diese weisen 7 % der AVK- und KHK-Patienten auf. Bei instabiler Angina pectoris ist von einer isolierten operativen Intervention an der Arteria carotis Abstand zu nehmen und zunächst die Koronarperfusion entweder operativ oder interventionell zu verbessern. Alternativ wäre bei Risikopatienten das Einbringen von Stents in die Arteria carotis in Erwägung zu ziehen. Letztendlich ist noch nicht entschieden, ob einer operativen Therapie oder dem Einbringen eines Stents in die Arteria carotis der Vorzug zu geben ist. Die Anästhesie zielt darauf ab, die zerebrale und myokardiale Perfusion auch in der Phase der Abklemmung der Arteria carotis aufrechtzuerhalten und Blutdruckschwankungen zu vermeiden. Eine invasive Blutdrucküberwachung ist daher unabhängig vom gewählten Anästhesieverfahren unabdingbar. Bei einer Allgemeinanästhesie wird ein Neuromonitoring, wie z. B. EEG, SEP oder eine Überwachung der zerebralen Perfusion (transkranieller Doppler) gefordert, wenn nicht routinemäßig während der Abklemmphase die Einlage eines temporären Shunts erfolgt. Da das Bewusstsein und die motorische Funktion der „beste“ Neuromonitor des Patienten sind, wird von vielen Operateuren und Anästhesisten, wegen der geringeren Rate an Komplikationen, eine Operation in zervikaler Plexusblockade favorisiert. Der Patient kann jederzeit neurologisch beurteilt werden. Bei der Allgemeinanästhesie ist kurz wirksamen und gut steuerbaren Anästhetika der Vorzug zu geben, damit postoperativ rasch eine neurologische Beurteilung möglich ist. Die postoperative Überwachung umfasst die sorgfältige Blutdruckeinstellung, die Vermeidung eines Hyperperfusionssyndroms und die rasche Erfassung von akut aufgetretenen neurologischen Defiziten mit weiterführender Diagnostik und eventueller operativer Revision bei einer frischen Thrombose.
6.6.3 Venöses System Im Gegensatz zu Arterien besitzen Venen eine geringere Muskelschicht, Klappen in der Peripherie und einen größeren Durchmesser. Der Vollständigkeit halber finden die Varikosis, Thrombophlebitis (Entzündung der oberflächlichen Venen) und die chronisch venöse Insuffizienz nur Erwähnung.
Tiefe Beinvenenthrombose (TVT/Phlebothrombose) Die TVT und die Lungenembolie stellen eine der Hauptursachen für die Morbidität und Mortalität während eines Krankenhausaufenthaltes des älteren Menschen dar. Ursächlich kommen neben multifaktoriellen und genetischen Komponenten die postoperative Immobilisation sowie intraoperative Endothelschäden und venöse Stase fördernd hinzu. Während sich an den Endothelschäden durch Thrombozyten ein Abscheidungsthrombus bildet, führt die venöse Stase und Immobilisation zur Bildung eines Gerinnungsthrombus. Thrombusfragmente können sich lösen und in die Lungengefäßbahn embolisieren. Zur Prävention und Behandlung der TVT werden Antikoagulanzien gemäß den aktuellen Leitlinien eingesetzt (Motsch et al. 2006). Wird eine tiefe Bein-Beckenvenenthrombose operativ angegangen, ist für die Thrombektomie eine Allgemeinanästhesie mit Überdruckbeatmung, Kapnometrie, arterieller und zentralvenöser Druckmessung sowie großlumigen Zugängen zur Kompensation eines akuten Blutverlustes notwendig. Die Bereitstellung von Blutkonserven sowie der Einsatz eines Cellsavers zur Blutwiederaufbereitung sind angezeigt. Vor der Thrombektomie sollte der ZVD angehoben, der Patient in Anti-Trendelenburg-Lagerung gebracht sowie der PEEP erhöht werden, um eine Lungenembolie hintanzuhalten.
Lungenembolie Bei der Lungenembolie handelt es sich um einen thromboembolischen akuten Verschluss der Lungenarterien. Meist liegt diesem eine tiefe Venenthrombose der Beine oder des Beckens zugrunde. Eine Lungenembolie ist bei alten Menschen oft erster Hinweis auf eine Tumorerkrankung. Seltene Ursachen sind die Luft-, Fettembolie sowie die Embolisation von Tumorteilen. Das Ausmaß der Embolie bestimmt die Symptome und die Letalität in den ersten Stunden. Darauf basieren, gemäß den Richtlinien der AHA, eine Einteilung in 4 Schweregrade sowie die sich daraus ergebenden Therapiekonzepte. Schwerpunkt stellt die Therapie mit antithrombotischen Substanzen dar. Eine Lysetherapie sowie eine notfallmäßige Embolektomie der arteriellen Lungengefäße sind bei alten Menschen speziellen Situationen vorbehalten. Da TVT und Lungenembolie eine Entität darstellen, die bei Gefäßerkrankungen und gefäßchirurgischen Opera-
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6.6 Gefäßerkrankungen tionen durch die vorliegende Hyperkoagulabilität begünstigt wird, ist eine konsequente perioperative Antikoagulation zur Vermeidung dieser potenziell lebensbedrohenden Komplikation zu fordern.
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Kernaussagen ●
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Die AVK ist eine typische Erkrankung des alten Menschen, die das gesamte arterielle System betrifft und bereits in den frühen Stadien eine 5-Jahres-Mortalität wie bei einem Rektumkarzinom aufweist. Gefäßchirurgische Eingriffe gehen beim alten Patienten mit einer Vielzahl perioperativer Komplikationen einher. Diese sind durch die pathophysiologischen Besonderheiten des operativen Eingriffs als auch durch die begleitenden Risikofaktoren hohes Alter, kardiale Erkrankungen, Diabetes mellitus, Dyslipidämie, Hypertonie, chronisches Nierenversagen und Dehydrierung hervorgerufen. Die Risikostratifizierung und präoperative Vorbereitung erfolgt gemäß den Richtlinien der AHA. Eine perioperative βBlockade ist entgegen früheren Empfehlungen nur bei Hochrisikopatienten angezeigt. Die Wahl des geeigneten Anästhesieverfahrens wird durch die spezifischen Anforderungen des operativen Eingriffs und durch die individuellen Begleiterkrankungen bestimmt. Wenn möglich, sollte regionalen Anästhesieverfahren oder einer Kombination dieser mit einer Allgemeinanästhesie der Vorzug gegeben werden. Das Anästhesiemanagement ist auf die Aufrechthaltung der hämodynamischen Stabilität sowie ein ausgeglichenes Volumenmanagement zur Vermeidung einer kritischen Minderperfusion in arteriosklerotisch veränderten Organen ausgerichtet. Eine erweiterte hämodynamische Überwachung erleichtert die Anästhesieführung, die Volumensubstitution sowie die Gabe von Katecholaminen. Aneurysmen sind typische Erkrankungen des Alters, die bevorzugt bei Männern auftreten und vor allem in der abdominellen Aorta lokalisiert sind. Die operative Versorgung erfolgt im Bereich der Aorta ascendens und Aortenbogens mit Hilfe der Herz-Lungen-Maschine, distal des Abgangs der linken Arteria subclavia durch die Gefäßchirurgen. Bei der offenen Versorgung eines Aortenaneurysmas bestimmen die Lokalisation und die Dauer des Abklemmens die kardiovaskulären und metabolischen Auswirkungen sowie die daraus resultierenden Komplikationen. Die reduzierten Kompensationsmechanismen des alten Menschen sind oft limitierend. Die Ruptur eines Aneurysmas geht trotz Notfalloperation mit einer hohen Letalität einher. Wesentliche Fortschritte in der Akutversorgung wurden durch das Einbringen von Stents, die ein Aortenaneurysma von endoluminal überbrücken, erzielt. Auch bei der elektiven Versorgung von Aortenaneurysmen gehen die endovas-
●
kulären Operationen mit einer geringeren Kompliaktionsrate und einer kürzeren Krankenhausverweildauer einher. Zerebrale Durchblutungsstörungen sind die dritthäufigste Todesursache beim alten Menschen. Diese werden überwiegend durch Karotisstenosen verursacht und sind sehr oft mit Stenosen an den Koronararterien vergesellschaftet. Perioperativ kommt daher der Aufrechterhaltung der zerebralen als auch myokardialen Perfusion vorrangige Bedeutung zu. Bei einer Allgemeinanästhesie ist während der Karotisabklemmung, wenn kein Shunt eingelegt wird, ein Neuromonitoring zur Überwachung einer hinreichenden zerebralen Perfusion unerlässlich, um zerebro-ischämische Komplikationen zu vermeiden. Wird eine Thrombendarteriektomie der Arteria carotis in zervikaler Plexusanästhesie vorgenommen, sind Bewusstsein und motorische Funktion des Patienten überaus subtile Indikatoren. Daher bietet dieses Anästhesieverfahren hinsichtlich Kosteneffizienz und perioperativer Komplikationen nicht unerhebliche Vorzüge. Die tiefe Bein-Beckenvenenthrombose und die Lungenembolie sind eine Entität und eine der Hauptursachen der Krankenhausmorbidität und Mortalität des älteren Patienten. Die Behandlung erfolgt vor allem medikamentös mit antithrombotischen und fibrinolytischen Medikamenten nach den aktuellen Richtlinien der Fachgesellschaften. Eine Lungenembolie ist beim alten Menschen oft erster Hinweis für eine Tumorerkrankung.
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6.7 Arterieller Hypertonus W. Zink
6.7.1 Einführung Die arterielle Hypertonie zählt zu den Krankheitsbildern, die bei älteren Patienten mit einer bemerkenswert hohen Prävalenz auftreten. Die Zunahme der individuellen Lebenszeit sowie zivilisationsbedingte Faktoren wie Übergewicht, Bewegungsarmut und ungesunde Ernährung tragen zu diesem Phänomen bei. Aktuellen Schätzungen zu Folge sind derzeit weltweit etwa 1 Mrd. Menschen betroffen, und ungefähr 7,1 Millionen Todesfälle pro Jahr stehen in direktem Zusammenhang mit einem arteriellen Hypertonus (Guilbert 2003). Dabei bleibt die Ursache des Bluthochdrucks in über 90 % der Fälle unklar (primäre oder essenzielle Hypertonie), wohingegen renale und/oder endokrinologische Funktionsstörungen für die verbleibenden 10 % als eindeutige Auslöser diagnostiziert werden können. Bleibt eine Hypertonie unbehandelt, so steigt der Blutdruck über die Jahre kontinuierlich an, was unter anderem zu einer Hypertrophie der glatten Gefäßmuskelzellen führt. Dies wiederum bedingt im Bereich der Arteriolen eine Reduktion des Gefäßlumens und zieht im Sinne eines Circulus vitiosus einen Anstieg des peripheren Gefäßwiderstands nach sich. In direkter Folge entwickelt sich schließlich eine generalisierte Arteriosklerose, die histopathologisch durch Mediahyperplasien und Hyalinansammlungen in der Gefäßwand charakterisiert wird. Vor allem die Niere (Nephrosklerose), das Herz (konzentrische Hypertrophie, Linksherzinsuffizienz, KHK), das Gehirn (zerebrale Ischämie, Hirninfarkt, Blutung, Enzephalopathie) sowie die Netzhaut der Augen (Retinopathie) sind von den Hypertonie-assoziierten Gefäßveränderungen betroffen.
Merke
Pathologische Veränderungen im Rahmen einer langjährig bestehenden arteriellen Hypertonie betreffen in erster Linie das Gefäßsystem, die Nieren, das Herz, das Gehirn sowie die Augen. Die Grundlagen zur Diagnostik, Therapie und Prävention der Hypertonie sind unter anderem in den aktuellen Richtlinien der European Society of Hypertension (ESH)/ European Society of Cardiology (ESC) (Mancia et al. 2007a, Mancia et al. 2007b) sowie der WHO (Whitworth et al. 2003) ausführlich zusammengefasst. Es gilt mittlerweile als gesichert, dass eine strenge, langfristige Blutdruckeinstellung zumindest innerhalb
eines nicht chirurgischen Patientenkollektivs die Häufigkeit kardiovaskulärer Zwischenfälle zu reduzieren vermag. Trotz alledem bleibt unklar und heftig diskutiert, inwieweit dieses Vorgehen auch in der perioperativen Periode zu einer Risikoreduktion hinsichtlich kardiobzw. zerebrovaskulärer Komplikationen führt (Hanada et al. 2006).
6.7.2 Definition und Klassifikation Nach den Kriterien der WHO/ISH (International Society of Hypertension) liegt eine Hypertonie dann vor, wenn bei wiederholten Messungen der systolische Blutdruck > 140 mmHg und/oder der diastolische Blutdruck > 90 mmHg liegt (Tab. 6.16). Diese Grenzwerte haben jedoch keine absolute Gültigkeit, sondern müssen für jeden Patienten anhand des jeweiligen kardiovaskulären Risikos individuell definiert werden. So liegen beispielsweise die kritischen Werte bei Patienten mit Diabetes bzw. Nierenerkrankungen bereits bei 130/85 mmHg.
Merke
Die in der Definition der Hypertonie genannten systolischen und diastolischen Grenzwerte sind als nicht allgemein gültig zu verstehen, sondern müssen anhand des jeweiligen kardiovaskulären Risikoprofils individuell angepasst werden. Aktuellen Untersuchungen zufolge nimmt das Risiko, an einer kardialen Ischämie bzw. an einem Schlaganfall zu versterben, ab einem Blutdruckwert von 115 mmHg systolisch bzw. 75 mmHg diastolisch konstant zu (Lewington et al. 2002). Dies veranlasste kürzlich das Joint National Committee (JNC) of Prevention, Detection, Evaluation and Treatment of High Blood Pressure zur Einführung des Begriffs der so genannten „Prähypertonie“. Diese wird definiert durch einen systolischen Blutdruck von 120– 139 mmHg und/oder einen diastolischen Wert von 80– 89 mmHg und soll helfen, Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung eines arteriellen Hypertonus zu identifizieren (Chobanian et al. 2003). Traditionellerweise wird die systolische von der diastolischen Hypertonie unterschieden, wobei letztere aufgrund des primär erhöhten Risikos von kardio- und zerebrovaskulären Komplikationen ungleich mehr beachtet wurde. Erst in letzter Zeit beginnt man zu verstehen, dass auch die isolierte systolische Hypertonie (mit großer
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6.7 Arterieller Hypertonus
Klassifikation des Blutdruckniveaus; Stadieneinteilung der Hypertonie
systolischer Blutdruck
diastolischer Blutdruck
optimal
< 120 mmHg
< 80 mmHg
normal
120–129 mmHg
40–84 mmHg
hoch/normal
130–139 mmHg
85–89 mmHg
milde Hypertonie (Grad I)
140–159 mmHg
90–99 mmHg
mäßige Hypertonie (Grad II)
160–179 mmHg
100–109 mmHg
schwere Hypertonie (Grad III)
≥ 180 mmHg
≥ 110 mmHg
isolierte systolische Hypertonie
≥ 140 mmHg
≥ 90 mmHg
Tabelle 6.16 tonie.
Stadieneinteilung der Hyper-
Das Blutdruckniveau sollte nach der höheren Kategorie klassifiziert werden, wenn der systolische oder diastolische Blutdruck in eine unterschiedliche Kategorie fallen. Die isolierte systolische Hypertonie kann ebenfalls in die Schweregrade I–III eingeteilt werden unter der Voraussetzung, dass der diastolische Blutdruck < 90 mmHg liegt. „Prähypertonie“: systolischer Blutdruck 120–139 mmHg und/ oder diastolischer Blutdruck 80–89 mmHg.
Blutdruckamplitude bei normalen diastolischen Werten) vor allem bei älteren Patienten einen bedeutsamen Risikofaktor darstellt und somit konsequent behandelt werden muss (s. Kap. 2.2) (Franklin et al. 2001, Staessen et al. 2000, Kannel 2000).
6.7.3 Perioperatives anästhesiologisches Management Bei der anästhesiologischen Evaluierung von Patienten mit Hypertonus stehen 2 Fragen im Vordergrund, die es bereits präoperativ zu klären gilt (Hanada et al. 2006): 1. Muss ein Elektiveingriff bei schlecht eingestelltem Hypertonus verschoben werden, um perioperativ stabilere Blutdruckverhältnisse zu erzielen? 2. Wie sieht das individuelle perioperative Behandlungskonzept aus, v. a. hinsichtlich der Blutdruckkontrolle? Die häufig zitierten Empfehlungen, einen Elektiveingriff bei Patienten mit schlecht eingestelltem Hypertonus zu verschieben, beziehen sich auf Studien aus den 1970er Jahren, in denen eine unzureichende Blutdruckkontrolle mit hämodynamischer Instabilität sowie einem erhöhten Risiko für postoperative Myokardischämien verbunden war (Prys-Roberts et al. 1971a, Prys-Roberts et al. 1971b). Goldman und Mitarbeiter kamen wenige Jahre danach jedoch zu dem Schluss, dass ein vorbestehender Hypertonus keinen unabhängigen kardialen Risikofaktor darstellt, vor allem dann nicht, wenn der diastolische Blutdruck unter 110 mmHg liegt (Goldman et al. 1978, Goldman et al. 1979). In gleicher Weise ergab eine kürzlich publizierte Metaanalyse auf der Grundlage von 30 Beobachtungsstudien, dass hypertensive Patienten lediglich ein 1,35-fach erhöhtes Risiko (95 %-Konfidenzintervall 1,17– 1,56) aufweisen, perioperativ kardiale Komplikationen zu erleiden (Howell et al. 2004). Die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen trugen schließlich dazu bei, dass eine
milde bzw. mäßige Hypertonie (Tab. 6.16) in aktuellen Leitlinien nicht mehr als unabhängiger kardialer Risikofaktor betrachtet wird (Fleisher et al. 2007). In diesem Zusammenhang wurden auch hypertensive Patienten untersucht, die bei Ankunft im OP einen diastolischen Blutdruck zwischen 110 und 130 mmHg aufwiesen (Weksler et al. 2003). Bei der Hälfte der Patienten wurde die Operation solange verschoben, bis die diastolischen Blutdruckwerte an drei aufeinander folgenden Tagen unter 110 mmHg lag, während bei der anderen Hälfte die Operation nach akuter Blutdrucksenkung mittels Nifedipin nasal (diastolischer Wert < 110 mmHg) planmäßig durchgeführt wurde. Interessanterweise gab es keine Unterschiede zwischen beiden Studiengruppen hinsichtlich der Inzidenz perioperativer kardialer Ereignisse. Dennoch empfehlen das American College of Cardiology (ACC) sowie die American Heart Association (AHA) derzeit, elektive Eingriffe bei schwerer Hypertonie zu verschieben und die Blutdruckeinstellung präoperativ zu optimieren (obwohl dieses Vorgehen eine sehr geringe wissenschaftliche Evidenz besitzt). Die gegenwärtige Studienlage deutet also darauf hin, dass eine präoperativ bestehende (milde bis moderate) Hypertension nur wenig Einfluss zu haben scheint auf das perioperative Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen (Howell et al. 2004). Demnach sind viele Autoren der Meinung, dass elektive Eingriffe nicht verschoben werden müssen, nur um die Blutdruckeinstellung zu optimieren. Diese Empfehlungen gelten allerdings nicht für Patienten mit hypertoniebedingter Organschädigung, zumal KHK, Herz- und Niereninsuffizienz bzw. zerebrovaskuläre Erkrankungen erwiesenermaßen unabhängige kardiale Risikofaktoren darstellen. Somit wird ein Aufschub des operativen Eingriffs in folgenden Situationen als gerechtfertig erachtet (Hanada et al. 2006, Howell et al. 2004): ● bei hypertensiven Patienten mit manifester Endorganschädigung, deren Zustand präoperativ dahingehend verbessert werden kann, dass sich das perioperative kardiale Risiko minimiert sowie
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen ●
bei hypertensiven Patienten mit Verdacht auf Endorganschädigung, bei denen eine ausführliche präoperative Diagnostik dazu führen kann, das perioperative Management individuell anzupassen.
Trotz alledem dürfen bei dieser Entscheidung die potenziell negativen Auswirkungen eines verzögerten Eingriffs im Sinne einer individuellen Risiko-Nutzen-Analyse nicht unberücksichtigt bleiben.
Merke
Trotz geringer wissenschaftlicher Evidenz empfiehlt sich ein stadiengerechtes Vorgehen bei hypertensiven Patienten: ● Bei milder bis mäßiger Hypertonie (Grad I–II) ohne Begleiterkrankungen erscheint ein Verschieben elektiver Eingriffe zum Zweck der Blutdruckeinstellung keinen Vorteil für den Patienten mit sich zu bringen. ● Bei schwerer Hypertonie (Grad III) kann eine präoperative Blutdruckeinstellung vor Elektiveingriffen in Erwägung gezogen werden (allerdings ohne den eindeutigen Beleg, dass dieses Vorgehen mit einer kardialen Risikoreduktion einhergeht). Gleiches gilt auch für hypertensive Patienten mit manifester bzw. vermuteter Endorganschädigung, wenn eine präoperative Optimierung bzw. Diagnostik zu einer offensichtlichen Reduktion des kardialen Risikos führt. Die zweite Frage, die im Rahmen der anästhesiologischen Evaluation hypertensiver Patienten beantwortet werden muss, zielt auf das individuelle perioperative Behandlungskonzept ab: Die klinische Erfahrung zeigt, dass hypertensive Patienten intraoperativ aufgrund einer relativen Hypovolämie in besonderem Maße zu Blutdruckschwankungen neigen (Motsch 2006, Goldman 1979). Es gilt als gesichert, dass sich die Wahrscheinlichkeit für kardiovaskuläre Zwischenfälle bei labilen hämodynamischen Verhältnissen während der Narkose erhöht. So konnte bei Patienten mit arterieller Hypertonie und/oder Diabetes mellitus gezeigt werden, dass Schwankungen des arteriellen Mitteldrucks um mehr als 20 % die Inzidenz perioperativer Herz-Kreislauf-Komplikationen steigern (Charlson et al. 1990, Howell et al. 2004). Darüber hinaus wird ein enger Zusammenhang zwischen intraoperativer Hypertension bzw. Tachykardien und einem negativen Outcome bei großen nicht kardiochirurgischen Eingriffen beschrieben (Reich et al. 2002). All diese Untersuchungen deuten letztendlich darauf hin, dass bei hypertensiven Patienten der Aufrechterhaltung stabiler hämodynamischer Verhältnisse in der perioperativen Phase größere Bedeutung zukommt als der strikten Einhaltung vermeintlich sicherer Blutdruck-Grenzwerte, um das Risiko kardiovaskulärer Zwischenfälle zu minimieren. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass infolge Hypertonie-assoziierter Veränderungen des Gefäßsystems der Blutdruckbereich, in dem eine intakte zerebrovaskuläre Autoregulation vorherrscht, auf ein höheres Niveau angehoben sein kann. Demnach sind Hypertoni-
ker bei hypotensiven Episoden durch eine zerebrale Minderperfusion eher bedroht als normotensive Patienten (Motsch 2006).
Merke
Höchstes Ziel bei der perioperativen Betreuung hypertensiver Patienten ist die Aufrechterhaltung stabiler hämodynamischer Verhältnisse. Stabile intraoperative Blutdruckverhältnisse können bereits während der Prämedikationsvisite durch ein Anpassen der antihypertensiven Dauertherapie am gebahnt werden (s. Kap. 4.2). So sollten β-Blocker sowie α2-Agonisten in jedem Falle am Operationstag eingenommen werden, um exzessive Blutdruckanstiege sowie tachykarde Episoden im Rahmen eines akuten Entzugsyndroms zu vermeiden (zum präoperativen Neuansetzen dieser Substanzen s. Kap. 4.2, 6.4). Ebenfalls sollte eine Dauertherapie mit Kalziumantagonisten, die vor allem bei alten Patienten mit systolischer Hypertension zur Anwendung kommt, nicht unterbrochen werden (Motsch 2006). Dagegen wird vielfach empfohlen, ACEHemmer sowie ATII-Rezeptorantagonisten wegen der Gefahr einer therapierefraktären Hypotension vor allem vor größeren Eingriffen abzusetzen, wobei der ideale Zeitpunkt (12 versus 24 Stunden präoperativ) nach wie vor kontrovers diskutiert wird (s. Kap. 4.2) (Pascal et al. 1999). Ein Rebound-Phänomen ist nicht zu erwarten, und die Therapie kann am 1. postoperativen Tag bei suffizienter Nierenfunktion wieder aufgenommen werden. Ebenfalls sollten Diuretika perioperativ pausiert werden, weil durch Volumenverlust und potenzielle Elektrolytverschiebungen hypotensive Episoden aggraviert und Herzrhythmusstörungen ausgelöst werden könnten.
Merke
Eine Dauertherapie mit β-Blockern, α2-Agonisten sowie Kalziumantagonisten sollte perioperativ nicht unterbrochen werden, während ACE-Hemmer sowie ATII-Rezeptorantagonisten pausiert werden. Da bei hypertensiven Patienten häufig eine vegetative Hyperreaktivität zu beobachten ist, kommt einer adäquaten medikamentösen Prämedikation zur Stressabschirmung und Vermeidung von Blutdruckspitzen eine besondere Bedeutung zu. Als besonders geeignet haben sich hier Benzodiazepine (z. B. Midazolam) erwiesen, die in ausreichender Zeit vor dem Transfer in den Operationsbereich per os appliziert werden. Die Narkoseeinleitung sollte in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre frei von störenden akustischen Reizen erfolgen. Um ausgeprägte Blutdruckschwankungen ohne Verzögerung effektiv therapieren zu können, ist perioperativ eine engmaschige Überwachung des Blutdrucks notwendig. In diesem Zusammenhang ist auf die korrekte Größe der Blutdruckmanschette zu achten, die etwa 20 % breiter sein muss als der Durchmesser der Extremität, um realistische Druckwerte reproduzierbar zu erfassen (Howell et al. 2004). Grundsätzlich sollte bei
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6.7 Arterieller Hypertonus Patienten mit kardio- bzw. zerebrovaskulären Begleiterkrankungen bzw. bei ausgedehnten Eingriffen mit großen zu erwartenden Volumenverschiebungen die Indikation zum erweiterten hämodynamischen Monitoring großzügig gestellt werden (s. Kap. 5.2). Zur Attenuierung der sympathoadrenergen Stimulation durch Laryngoskopie und endotracheale Intubation muss unbedingt auf eine ausreichende Narkosetiefe und eine suffiziente Analgesie geachtet werden. Darüber hinaus können intubationsbedingte Blutdruckspitzen durch die intravenöse Applikation von Esmolol oder Nitropräparaten sowie eine topische Anästhesie von Kehlkopf und Trachea mittels Lidocain-Spray effizient abgeschwächt werden (Motsch 2006). Intraoperativ sollte ein Abweichen des arteriellen Mitteldrucks um mehr als 20 % vom Ausgangswert unbedingt vermieden werden. Kommt es zu einer hypertensiven Episode, dann muss – nach Ausschluss korrigierbarer Störungen (mangelnde Narkosetiefe, insuffiziente Analgesie, Hypoxie etc.) – umgehend eine medikamentöse Therapie mit gut steuerbaren Substanzen wie Esmolol, Uradipil oder aber Nitraten eingeleitet werden. Dagegen steht zur Behandlung der intraoperativen Hypotension neben einer situationsadaptierten Volumengabe die Applikation von Vasopressoren und in seltenen Fällen auch von Inotropika zur Verfügung.
Merke
Beseitigung korrigierbarer Ursachen – angezeigt. Wiederum sind β-Blocker, Uradipil und besonders Clonidin Substanzen der Wahl, während in der Akutphase auf Nifedipin aufgrund der unkalkulierbaren Blutdrucksenkung und der damit verbundenen potenziellen ischämischen Komplikationen an Herz und Gehirn verzichtet werden sollte. Besondere Bedeutung kommt hier ebenfalls einer adäquaten postoperativen Schmerztherapie zu (s. Kap. 7.2). Daher erscheint der Einsatz lokoregionärer Verfahren – entweder als singuläre Technik oder aber in Kombination mit einer Allgemeinanästhesie – als besonders geeignet bei Hypertonikern. Bei rückenmarksnahen Blockaden (z. B. lumbale Periduralanästhesie) sind jedoch Blutdruckabfälle durch die begleitende Sympathikolyse zu beachten und ggf. rasch zu therapieren.
Kernaussagen ●
●
Ein intraoperatives Abweichen des arteriellen Mitteldrucks um > 20 % vom jeweiligen Ausgangswert sollte umgehend therapiert werden. ●
Die Ausleitung der Narkose kann für den hypertonen Patienten ebenfalls eine sehr belastende Phase darstellen, zumal der Blutdruck nach Beendigung der Narkotikazufuhr oftmals sprunghaft ansteigt. Dies wird häufig noch durch eine sympathoadrenerge Aktivierung während der Aufwachphase aggraviert. Um hypertone und tachykarde Episoden am Ende einer Narkose zu vermeiden, ist auf eine dem Schmerzniveau angepasste Analgesie zu achten, die bereits vor der Ausleitung begonnen und in der gesamten postoperativen Phase aufrecht erhalten werden sollte. Vor allem bei kardialen Hochrisikopatienten kann die titrierende Gabe des kurz wirksamen β-Blockers Esmolol bzw. des α2-Agonisten Clonidin in dieser Situation hilfreich sein. Die Ursachen einer postoperativen Hypertonie im Aufwachraum sind mannigfaltig, und es kommen unter anderem Hyperkapnie, Hypoxie, postoperativer Schmerz, eine agitationsbedingte sympathoadrenerge Aktivierung sowie eine volle Harnblase als klassische Auslöser in Betracht; ebenso kann sich ein Aussetzen der antihypertensiven Medikation auf diese Weise bemerkbar machen (s. Kap. 7.1). Da Blutdruckspitzen bei entsprechendem Risikoprofil auch zu diesem Zeitpunkt zu einer Myokardischämie und anderen schwerwiegenden kardialen Komplikationen führen können, ist auch im Aufwachraum eine engmaschige hämodynamische Überwachung sowie eine rasche therapeutische Intervention – nach
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Der arterielle Hypertonus ist eine multifaktoriell bedingte Zivilisationskrankheit mit hoher Prävalenz bei geriatrischen Patienten, die häufig mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen assoziiert ist. Definition, Prävention, Diagnostik und Therapie sind in den aktuellen Leitlinien der WHO bzw. der European Society of Hypertension zusammengefasst. Bei milder bis mäßiger Hypertonie (Grad I–II) ohne Begleiterkrankungen erscheint ein Verschieben elektiver Eingriffe zum Zweck der Blutdruckeinstellung keinen Vorteil für den Patienten mit sich zu bringen. Bei schwerer Hypertonie (Grad III) kann eine präoperative Blutdruckeinstellung vor Elektiveingriffen in Erwägung gezogen werden. Gleiches gilt auch für hypertensive Patienten mit manifester bzw. vermuteter Endorganschädigung, wenn eine präoperative Optimierung bzw. Diagnostik zu einer offensichtlichen Reduktion des kardialen Risikos führt. Eine vorbestehende Dauertherapie mit β-Blockern, α2-Agonisten sowie Kalziumantagonisten sollte perioperativ nicht unterbrochen werden, während ACE-Hemmer sowie ATII-Rezeptorantagonisten 12–24 Stunden präoperativ pausiert werden, um therapierefraktäre Blutdruckabfälle zu vermeiden. Höchstes Ziel bei der perioperativen Betreuung hypertensiver Patienten ist die Aufrechterhaltung stabiler hämodynamischer Verhältnisse. Ein intraoperatives Abweichen des arteriellen Mitteldrucks um > 20 % vom jeweiligen präoperativen Ausgangswert sollte umgehend therapiert werden. Aus diesem Grunde ist die Indikation für ein erweitertes hämodynamisches Monitoring gerade bei Hochrisikopatienten großzügig zu stellen. Zur perioperativen Akuttherapie einer hypertensiven Episode sind gut steuerbare Substanzen wie Esmolol, Clonidin, Uradipil sowie Nitrate Medikamente der ersten Wahl. Vor deren Einsatz muss jedoch geklärt werden, ob anderweitig korrigierbare Ursachen der Hypertonie vorliegen (Hypoxie, Hyperkapnie, Schmerz, mangelnde Narkosetiefe, gefüllte Harnblase etc.).
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen ●
Zur Vermeidung postoperativer hypertensiver Episoden ist auf eine suffiziente Schmerztherapie zu achten. Zu diesem Zweck ist bereits präoperativ der Einsatz lokoregionärer Verfahren – entweder alleine oder in Kombination mit einer Allgemeinanästhesie – zu erwägen.
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6.8 Nierenerkrankungen D. Heise
6.8.1 Einführung Für das anästhesiologische Management des alten Menschen haben chronische Nierenerkrankungen eine erhebliche Bedeutung, die sich einerseits aus der reduzierten Nierenfunktion selber ergibt, da hierdurch die Pharmakokinetik vieler Medikamente entscheidend verändert sein kann. Darüber hinaus sind chronische Nierenerkrankungen aber auch oft mit typischen Begleiterkrankungen (z. B. kardiovaskulären Erkrankungen oder Koagulopathien) vergesellschaftet, die bei der Durchführung einer Anästhesie ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
Merke ● ● ● ●
Cave
Ein normaler Serumkreatininwert des alten Menschen garantiert nicht eine normale Nierenfunktion. Das Serumkreatinin kann beim alten Menschen trotz stark reduzierter glomerulärer Filtration im Normbereich bleiben, da die Muskelmasse und damit der Anfall an endogenem Kreatinin regelhaft reduziert ist. Für den Anästhesisten sind daher nicht nur Kenntnisse über unmittelbare Folgen und Komorbiditäten einer reduzierten Nierenfunktion von Bedeutung, sondern auch über labordiagnostische Besonderheiten des alten Patienten.
Nierenerkrankungen im Alter
haben eine hohe Prävalenz, sind oft unerkannt, haben typische kardiovaskuläre Komorbiditäten und haben Auswirkung auf die Pharmakokinetik vieler Medikamente.
Die Prävalenz chronischer Nierenerkrankungen steigt mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich an. Die Ergebnisse epidemiologischer Studien sind zwar auch von den gewählten Definitionen und Grenzwerten der Nierenfunktion (z. B. für die glomeruläre Filtrationsrate) abhängig. Die in einer Literaturübersicht von Campbell zitierten Prävalenzen chronischer Nierenerkrankungen bei alten Menschen liegen mit 20 % bis 50 % jedoch in durchaus ähnlichen Größenordnungen (Campbell u. O’Hare 2008). Trotz der Relevanz für das intraoperative Management wird das Vorliegen einer reduzierten Nierenfunktion speziell beim alten Menschen oft nicht erkannt, da in dieser Altersgruppe auch Nierenfunktionsparameter Veränderungen unterliegen können (Ouseph et al. 2007). Speziell das Serumkreatinin kann beim alten Menschen trotz stark reduzierter glomerulärer Filtration im Normbereich bleiben, da die Muskelmasse und damit der Anfall an endogenem Kreatinin regelhaft reduziert ist. Einen guten Kompromiss zwischen diagnostischem Aufwand und Genauigkeit stellen Berechnungsverfahren dar, mit denen sich aus Laborparametern und biometrischen Daten die GFR bestimmen lässt. Für ältere Patienten wird z. B. die Formel nach Levey empfohlen, mittels derer sich die GFR mit hoher Genauigkeit aus Alter, Geschlecht und den Serumkonzentrationen von Kreatinin, Harnstoff und Albumin errechnen lässt (Levey et al. 1999).
6.8.2 Komorbiditäten bei beeinträchtigter Nierenfunktion Zu den häufig auftretenden Begleiterkrankungen niereninsuffizienter Patienten zählen kardiovaskuläre und metabolische Krankheitsbilder sowie Veränderungen der Blutgerinnung, die für das intraoperative Management von entscheidender Bedeutung sein können. Diese charakteristischen Komorbiditäten können sich dabei entweder als Folgen der reduzierten Nierenfunktion entwickeln oder aber als primäre Grunderkrankungen den auslösenden Pathomechanismus der chronischen Niereninsuffizienz darstellen. Anästhesierelevante Begleiterkrankungen bei Niereninsuffizienz: ● arterieller Hypertonus ● Diabetes mellitus ● koronare Herzkrankheit ● arterielle Verschlusskrankheit ● Anämie ● Blutgerinnungsstörungen ● metabolische Azidose ● Kachexie, Osteoporose Als häufigste Ursachen für die Entstehung einer chronischen Niereninsuffizienz sind hierbei Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie zu nennen, die zu strukturellen und funktionellen Veränderungen am Glomerulussystem (diabetische bzw. hypertensive Nephropathie) führen. Sehr viel seltener treten Schädigungen am Tubulussystem auf, deren Ursachen oft medikamentös-toxischer Genese sind, wie z. B. Schmerzmittelmissbrauch oder Schwermetallexposition (Hansberry et al. 2005).
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Als perioperativ relevante Folgen einer Niereninsuffizienz werden KHK sowie eine allgemein erhöhte Mortalität (Manjunath et al. 2003), Veränderungen der Blutgerinnung (Horl 2006) sowie Anämie und Malnutrition beschrieben (Hansberry et al. 2005). Speziell Störungen des Gerinnungssystems und Anämie sind für das anästhesiologische Management von hoher Relevanz.
6.8.3 Perioperatives Management Präoperative Beurteilung des Patienten Da mit einer eingeschränkten Nierenfunktion häufig kardiovaskuläre, metabolische und endokrinologische Begleiterkrankungen verbunden sind, ist bereits bei der Prämedikationsvisite diesbezüglich eine genaue Anamnese zu erheben (s. Kap. 4.1). Die myokardiale Funktionsreserve kann mit einfachen Fragen wie z. B. der Grenze der körperlichen Belastbarkeit abgeschätzt werden und ist ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung zwischen Allgemein- oder Regionalanästhesie.
Praxisanleitung Präoperative Checkliste: ● Grad der Nierenfunktionsstörung ● myokardiale Funktionsreserve ● Gerinnungsstatus ● Säure-Basen-Status ● Bereitstellung von Blutprodukten ● Vormedikationen am OP-Tag (s. Kap. 4.2): – Antihypertensiva weiter geben – Antidiabetika absetzen – Diuretika nicht grundsätzlich absetzen
Bereitstellung von Blutkonserven Bereits im Allgemeinen wird beim alten Menschen die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten schon bei moderater Anämie empfohlen, insbesondere wenn kardiale oder vaskuläre Vorerkrankungen wie pAVK oder KHK bestehen (Moftah 2005). Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion besteht zudem häufig bereits präoperativ eine chronische Anämie, sodass die Transfusionsschwelle unter Umständen sehr viel schneller erreicht wird (s. Kap. 5.4). Zudem können die eingeschränkte Ausscheidungsleistung der Niere und urämische Gerinnungsstörungen einen intraoperativen Abfall der Hämoglobin-Konzentration erheblich beschleunigen. Die präoperative Bereitstellung von Blutprodukten sollte daher großzügig erfolgen, lokale Standards für Patienten ohne Nierenerkrankungen sind entsprechend zu modifizieren.
Medikamente zur Einleitung und Aufrechterhaltung der Narkose Intravenös verabreichte Medikamente können bei eingeschränkter Nierenfunktion eine erheblich veränderte Pharmakokinetik und -dynamik aufweisen. Substanzen, die überwiegend renal eliminiert werden, haben in der Regel eine verlängerte Halbwertszeit. Aber auch bei primärer hepatischer Biotransformation kann eine verlängerte Wirkung beobachtet werden, wenn die Metabolite noch pharmakologisch aktiv sind. Schließlich erreichen Substanzen mit hoher Albuminbindung bei Hypalbuminämie oft schon nach der Gabe von niedrigeren Dosen die gewünschte Konzentration am Zielorgan.
Einleitungshypnotika
Präoperative Dauermedikation Die Dauermedikation von alten Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion umfasst häufig Diuretika, Antihypertensiva (β-Blocker, ACE-Hemmer, ATII-Rezeptorenblocker, Kalziumantagonisten, α2-Agonisten) sowie Antidiabetika (orale Antidiabetika oder Insulinpräparate). Die Entscheidung, welche dieser Präparate präoperativ weiter eingenommen werden, sollte sich auch bei niereninsuffizienten Patienten grundsätzlich an den allgemeinen Empfehlungen orientieren (Redel u. Schwemmer 2008). Eine Ausnahme stellen lediglich Diuretika dar, deren präoperative Gabe bei alten Patienten ohnehin kontrovers diskutiert wird. Liegt zusätzlich zum hohen Lebensalter eine eingeschränkte Nierenfunktion vor, sollten regelmäßig eingenommene Diuretika auch präoperativ verabreicht werden (s. Kap. 4.2).
Pharmakokinetik und -dynamik der kurz wirksamen Einleitungshypnotika Etomidat, Thiopental und Propofol sind bei einmaliger Gabe auch beim niereninsuffizienten Patienten nicht nennenswert verändert, da der Wirkverlust überwiegend durch Umverteilung bzw. hepatische Elimination erfolgt. Die Auswahl der geeingeten Substanz kann daher nach den üblichen Kriterien (hämodynamische Stabilität, gewünschte zentrale Reflexdämpfung etc.) erfolgen (s. Kap. 3.3).
Muskelrelaxanzien Bei der Auswahl geeigneter Muskelrelaxanzien ist eine vorbestehende Niereninsuffizienz dagegen von erheblicher Bedeutung. Pancuronium und Vecuronium werden überwiegend renal eliminiert und sollten daher nicht zum Einsatz kommen. Rocuronium wird zu einem erheblich niedrigeren Teil renal eliminiert, sodass sein Einsatz insbesondere dann in Frage kommt, wenn eine schnelle Anschlagzeit erwünscht ist (s. Kap. 3.4). Dagegen sollte auf
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6.8 Nierenerkrankungen eine Relaxierung mit Succinylcholin auch bei Ileus-Einleitungen verzichtet werden, da die Kaliumfreisetzung bei eingeschränkter Nierenfunktion zu kritischen Hyperkaliämien führen kann. Weitere geeignete Muskelrelaxanzien für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion sind Mivacurium (Abbau durch Plasma-Cholinesterasen) sowie Atracurium und Cis-Atracurium, die organunabhängig durch die Hofmann-Elimination abgebaut werden. Bei Relaxierung mit Atracurium ist jedoch zu beachten, dass insbesondere bei längerer Anwendung am niereninsuffizienten Patienten der zentralneurologisch wirksame Metabolit Laudanosin kumulieren kann.
Praxisanleitung Bei Niereninsuffizienz geeignete Muskelrelaxanzien: ● Mivacurium: Abbau durch Plasma-Cholinesterasen ● (Cis-)Atracurium: Abbau durch Hoffmann-Elimination ● Rocuronium: überwiegend hepatische Ausscheidung
Opiate Fentanyl, Alfentanil und Sufentanil sind für die Narkoseführung beim niereninsuffizienten Patienten gut geeignet. Ihre Metabolite entstehen durch hepatische Biotransformation und werden zwar renal ausgeschieden, haben aber keine relevante intrinsische Aktivität an den Opiatrezeptoren. Aus pharmakokinetischer Sicht ist der Einsatz von Remifentanil ebenso unproblematisch, da diese Substanz vollständig organunabhängig eliminiert wird (s. Kap. 3.2). Ihr Nebenwirkungsprofil (Bradykardien, Vasodilatation) setzt jedoch eine ausreichende hämodynamische Stabilität voraus. Der Einsatz von Morphin und Pethidin ist bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion dagegen problematisch. Der renal ausgeschiedene Metabolit des Morphins, Morphin-6-Glukuronid, besitzt eine relevante intrinsische Aktivität, sodass dessen Kumulation bei Niereninsuffizienz zu einer erheblich verlängerten Opiatwirkung führen kann. Der Metabolit des Pethidins, Norpethidin, kann bei Kumulation infolge verminderter renaler Auscheidung Krampfanfälle auslösen.
Cave
Opiate und Niereninsuffizienz Vorsicht bei: ● Morphin: Morphin-6-Glukuronid = aktiver Metabolit ● Pethidin: Metabolit Norpethidin mit konvulsiven Effekten
Volatile Anästhetika Beim Einsatz volatiler Anästhetika können nephrotoxische Substanzen entstehen (s. Kap. 3.5). Hierzu gehören Fluoridionen, die durch den Abbau von Enfluran und Sevofluran entstehen, sowie und Compound A, das bei der Reaktion von Sevofluran mit CO2-absorbierenden Substanzen entsteht. Aus Sicherheitsgründen sollte bei
Verwendung dieser Anästhetika ein ausreichend hoher Frischgasfluss gewählt werden, auch wenn selbst unter Niedrigfluss-Bedingungen die Konzentrationen der Abbauprodukte unterhalb der nephrotoxischen Grenzwerte liegen (Croinin u. Shorten 2002).
Kristalloider Volumenersatz Bei der Gabe kristalloider Volumenersatzlösungen sind beim niereninsuffizienten Patienten Besonderheiten zu beachten. Kristalloide Infusionslösungen haben zwar keinen Einfluss auf die Nierenfunktion selbst, deren Auswahl und Dosierung sind aber abhängig vom Ausmaß einer bestehenden Niereninsuffizienz. Während bei einer moderat eingeschränkten Nierenfunktion die Zufuhr gebräuchlicher Vollelektrolytlösungen weitgehend unkritisch ist, müssen bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz Hypervolämie und vor allem Hyperkaliämie als potenzielle Nebenwirkungen bedacht werden (s. Kap. 5.4). Bei dialysepflichtigen Patienten erfolgt die Gabe von Elektrolytlösungen meist in Form von NaCl 0,9 %, um eine Hyperkaliämie zu vermeiden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der relative Chlorid-Überschuss eine hyperchlorämische Azidose verursachen kann (Kellum 2000).
Kolloidaler Volumenersatz Sämtliche synthetischen kolloidalen Volumenersatzmittel (Hydroxyäthylstärke-, Dextran- und Gelatinepräparate) sind bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion nur nach strenger Indikationsstellung einzusetzen, da für alle drei Substanzgruppen negative Effekte auf die Nierenfunktion nachgewiesen wurden (Davidson 2006). Klinische Untersuchungen mit HAES-Präparaten weisen darauf hin, dass das Ausmaß auftretender Nierenfunktionsstörungen bei hochmolekularen Präparaten (z. B. 200 kDa) ausgeprägter ist als bei niedermolekularen Lösungen, sodass im Falle einer Therapie mit HAES möglichst niedermolekularen Präparaten der Vorzug gegeben werden sollte. Auch wenn HAES-Präparate zurzeit im Fokus der Diskussion stehen (Mills 2007), konnten einzelne klinische Studien einen vergleichbaren (oder sogar ausgeprägteren) Effekt von Gelatinepräparaten auf die Nierenfunktion zeigen. Dextranlösungen führen zu einer erheblichen Viskositätszunahme des Primärharns, woraus ebenfallls erhebliche Störungen der renalen Auscheidungsleistung resultieren können. Insgesamt kann somit anhand der vorliegenden Datenlage keine generelle Empfehlung für die Auswahl eines geeigneten synthetischen Kolloids bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion gegeben werden.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Praxisanleitung Synthetische Kolloide bei Niereninsuffizienz ● Alle kolloidalen Lösungen führen zu einer Störung der Nierenfunktion! ● Bei Gabe von HAES möglichst niedermolekulare Lösungen wählen. Lediglich für die Volumentherapie mit Humanalbumin konnte in der Metaanalyse von Davidson kein negativer Effekt auf die Nierenfunktion nachgewiesen werden. Der höhere Preis sowie ein (niedriges) Infektionsrisiko sollten gegen diesen Vorteil abgewogen werden, bevor eine kolloidale Volumentherapie mit Humanalbumin erfolgt.
Kernaussagen ●
●
●
Nierenfunktionsstörungen haben bei älteren Menschen eine hohe Prävalenz und werden häufig nicht erkannt. Die Bedeutung von Nierenfunktionsstörungen für das anästhesiologische Management ergibt sich zum einen aus der Nierenfunktionsstörung selber, die die Pharmakokinetik vieler Medikamente verändern kann. Zum anderen sind chronische Nierenerkrankungen oft mit kardiovaskulären und metabolischen Vorerkrankungen oder Gerinnungsstörungen vergesellschaftet, die in die Planung des Anästhesieverfahrens einbezogen werden müssen. Schließlich sollten Substanzen vermieden werden, die die Nierenfunktion weiter kompromittieren können, wie z. B. synthetische Kolloide.
Literatur Campbell KH, OʼHare AM. Kidney disease in the elderly: update on recent literature. Curr Opin Nephrol Hypertens 2008; 17(3): 298–303 Croinin DF, Shorten GD. Anesthesia and renal disease. Curr Opin Anaesthesiol 2002; 15(3): 359–363 Davidson IJ. Renal impact of fluid management with colloids: a comparative review. Eur J Anaesthesiol 2006; 23(9): 721–738 Hansberry MR, Whittier WL, Krause MW. The elderly patient with chronic kidney disease. Adv Chronic Kidney Dis 2005; 12(1): 71– 77 Horl WH. [Thrombocytopathy and blood complications in uremia]. Wien Klin Wochenschr 2006; 118(5–6): 134–150 Kellum JA. Determinants of blood pH in health and disease. Crit Care 2000; 4(1): 6–14 Levey AS, Bosch JP, Lewis JB et al. A more accurate method to estimate glomerular filtration rate from serum creatinine: a new prediction equation. Modification of Diet in Renal Disease Study Group. Ann Intern Med 1999; 130(6): 461–470 Manjunath G, Tighiouart H, Coresh J et al. Level of kidney function as a risk factor for cardiovascular outcomes in the elderly. Kidney Int 2003; 63(3): 1121–1129 Mills GH. Hydroxyethyl starch: does our choice of colloid prevent or add to renal impairment? Br J Anaesth 2007; 98(2): 157–159 Moftah F. Blood transfusion and alternatives in elderly, malignancy and chronic disease. Hematology 2005; 10 (Suppl. 1): 82–85 Ouseph R, Hendricks P, Hollon JA et al. Under-recognition of chronic kidney disease in elderly outpatients. Clin Nephrol 2007; 68(6): 373–378 Redel A, Schwemmer U. [Modification of perioperative drug therapy in cardiovascular, pulmonary or metabolic disease]. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2008; 43(2): 144–154
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6.9 Endokrine Erkrankungen T. A. Crozier
6.9.1 Einführung Beim alten Menschen findet man die gleichen endokrinen Erkrankungen wie beim jüngeren, die sich jedoch in Prävalenz, klinischer Manifestation und Komplikationshäufigkeit unterscheiden können. Aus der ganzen Palette sind für das anästhesiologische Management der Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkrankungen sowie Funktionsstörungen der Nebennieren und der Hypophyse von unmittelbarer Relevanz. Zu den endokrinen Störungen im Alter zählen im weiteren Sinne auch Veränderungen der endokrinen Stressreaktion. Die basalen endokrinen Funktionen sind bei alten Menschen weitgehend normal (s. Kap. 2.6). Sie unterscheiden sich von denjenigen jüngerer Patienten aber darin, dass die unter endokriner Kontrolle stehende Homöostasefähigkeit beeinträchtigt ist und akute Störungen nur langsamer ausgeglichen werden können. Dieser Umstand spielt bei der Reaktion geriatrischer Patienten auf Stress und Trauma eine große Rolle. Die Diagnose und klinische Beurteilung der endokrinen Erkrankungen ist dadurch erschwert, dass sie sich bei geriatrischen Patienten häufig nur mit unspezifischen und atypischen Symptomen manifestieren, die sich kaum von den Gebrechen und Beschwerden des physiologischen Alterungsprozesses unterscheiden. Ein hohes Maß an klinischer Aufmerksamkeit ist deshalb bei der Prämedikationsvisite oder im Aufwachraum erforderlich, um eine unbehandelte, aber potenziell komplikationsträchtige endokrine Erkrankung zu erkennen und geeignete Maßnahmen einleiten zu können.
6.9.2 Diabetes mellitus Merke
Diabetes mellitus bezeichnet eine Stoffwechselstörung mit chronischer Hyperglykämie, deren Ursache entweder eine gestörte Insulinsekretion, eine gestörte Insulinwirkung oder eine Kombination beider Faktoren ist. Neuere Erhebungen ergaben eine Diabetesprävalenz von 16 bis 23 % bei über 65-Jährigen (Hader et al. 2004, Hader u. Gräf-Gruß 2008). Bei ca. 90 % hiervon handelt es sich um den Typ 2, den sog. „adult onset“-Diabetes. Es hat sich jedoch gezeigt, dass der Typ-1-Diabetes, die eigentliche „juvenile“ Form, auch bei älteren Erwachsenen vorkom-
men bzw. neu auftreten kann. Der größte Teil der verbleibenden 10 % der erwachsenen Diabetiker haben einen sog. Typ-1a-Diabetes, der auch als LADA (Late Autoimmune Diabetes in Adults) bezeichnet wird (Kilvert et al. 1986). LADA zeichnet sich durch das Vorhandensein von diabetesassoziierten Antikörpern aus, die eine langsame Entwicklung einer tatsächlichen Insulinabhängigkeit verursachen. Das perioperative Management des diabetischen Patienten und die wichtigsten Komplikationen hängen wesentlich davon ab, ob es sich um einen Diabetes Typ 1 (insulinabhängig, IDDM) oder Typ 2 (nicht insulinabhängig, NIDDM) handelt. Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil Typ-1-Diabetiker im Gegensatz zum Typ-2Diabetiker einen eher labilen Glukosestoffwechsel mit stärkerer Neigung zur Entwicklung einer Ketoazidose und keine Insulinresistenz haben. Die Differenzierung der beiden Typen wird für den Anästhesisten dadurch erschwert, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes auch bereits frühzeitig mit Insulin behandelt werden. Obwohl die Hyperglykämie für die langfristigen Diabeteskomplikationen verantwortlich ist, stellt die Hypoglykämie das weitaus größere perioperative Akutrisiko beim Diabetiker dar, das unter allen Umständen vermieden werden muss. Die Hypoglykämie entsteht unter Nahrungskarenz bei anhaltender Wirkung der antihyperglykämischen Medikation, die deshalb angepasst bzw. abgesetzt werden muss. Das Risiko einer schweren, oft letalen Hypoglykämie nimmt im Alter exponentiell zu, wobei Krankenhausaufenthalt und körperliche Belastung (z. B. Operation) auslösende Faktoren sind (Hader et al. 2004).
Symptome von Hypound Hyperglykämie im Alter Die klassischen Symptome der Hypoglykämie sind Schwitzen und Zittern, die aber bei Therapie mit β-Blockern fehlen können. Die beim älteren Patienten atypischen aber häufigen Symptome sind Schwäche, Verwirrtheit, Koordinationsmangel, Schwindel, verwaschene Sprache, sowie Sturzneigung. Beim Patienten, der nach einem Sturz mit Schenkelhalsfraktur eingeliefert wird, kann durchaus ursächlich eine Hypoglykämie zugrunde liegen, die sofort behandelt werden muss. Die Hyperglykämie macht im Gegensatz dazu zunächst keine Symptome; erst bei höheren Blutglukosekonzentrationen entwickelt sich in Abhängigkeit von der
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen noch erhaltenen Insulinsekretion entweder ein hyperosmolares Koma oder eine diabetische Ketoazidose. Das ketoazidotische Koma mit Verwirrtheit, Übelkeit und Erbrechen als Hauptsymptome ist nicht nur eine Komplikation jüngerer Diabetiker; bis zu 22 % der Patienten mit dieser Komplikation sind über 60 Jahre alt. Die Mortalität der Ketoazidose ist hoch und nimmt mit dem Alter zu. Sie beträgt 8 % bei 60- bis 69-jährigen, 27 % bei 70- bis 79-jährigen und 33 % bei über 80-jährigen Patienten. Das hyperosmolare Koma des Patienten mit Typ-2Diabetes hat eine noch höhere Mortalität von bis zu 47 %. Die Risikofaktoren für die Entwicklung eines hyperosmolaren Komas sind unbehandelter Diabetes, Infektionen, Hypovolämie, Diuretikagabe und Dehydratation; Faktoren, die für die perioperative Situation typisch sind. Ketoazidose und hyperosmolares Koma werden nach den üblichen Richtlinien der Notfallbehandlung therapiert.
Makro- und Mikroangiopathie Die diabetischen Gefäßkomplikationen erhöhen das Risiko für koronare Herzerkrankung, Myokardinfarkte und zerebrale vaskuläre Ereignisse um das 2- bis 3-fache gegenüber Nicht-Diabetikern. Die typischen Symptome der koronaren Herzerkrankung können beim Diabetiker aufgrund einer gleichzeitig bestehenden Neuropathie fehlen, sodass Myokardinfarkte völlig ohne die begleitende Schmerzsymptomatik ablaufen können. Bei peripherer Angiopathie ist die Hautdurchblutung gestört und das Dekubitusrisiko deshalb deutlich erhöht. Dieses muss bei der Lagerung für die Operation berücksichtigt und Druckstellen sorgfältig vermieden werden.
Dysautonomie (autonome Neuropathie) Die kardiovaskulären Begleiterkrankungen und peripheren Neuropathien beim Diabetes sind bekannt, aber zusätzlich entwickeln über 20 % der Diabetiker im Verlaufe ihrer Erkrankung eine autonome Neuropathie, eine sog. Dysautonomie, die sich v. a. mit kardialen und gastrointestinalen Symptomen manifestiert (Ziegler et al. 1993). Die kardiovaskuläre Neuropathie imponiert intraoperativ oft als atropinrefraktäre Bradykardie, während die gastrointestinale Beteiligung u. a. eine Magenentleerungsstörung verursachen kann, die eine Ileuseinleitung erforderlich macht.
Perioperatives Management des diabetischen Patienten Der Typ-2-Diabetes wird neben diätetischen Maßnahmen in erster Linie mit oralen Antidiabetika behandelt. Hierzu gehören α-Glukosidaseinhibitoren (z. B. Acarbose), Sulfonylharnstoffe (z. B. Glibenclamid), Biguanide (z. B. Metformin), Glinide (z. B. Repaglinid) und Insulin-Sensitizer (z. B. Thiazolidindione – Rosiglitazon). Insulin in Kombination mit der oralen Therapie oder auch als Monotherapie ist aber beim Typ-2-Diabetes weit verbreitet. Typ-1-Diabetes wird mit Insulin als Monotherapie behandelt. Das Hauptrisiko der Diabetestherapie in der perioperativen Phase ist eine Hypoglykämie aufgrund einer Residualwirkung der Medikamente bei Nahrungskarenz. Biguanide haben darüber hinaus noch das Risiko einer Laktatazidose mit signifikanter Morbidität und Mortalität. In dieser Hinsicht ist das heute verwendete Metformin wesentlich sicherer als die Vorläufersubstanz Phenformin. Es wird von den meisten empfohlen, auch Metformin präoperativ abzusetzen. Es herrscht allerdings keine Einigkeit über den hierfür geeigneten Zeitpunkt; die Empfehlungen reichen vom Tag vor der Operation bis drei Tage vorher. Für kleinere Operationen ohne Blu-
Typ-1-Diabetes (Typ 1a)
Typ-2-Diabetes
Insulin
⅓ der Morgendosis s. c. als Altinsulin
nicht geben
orale Antidiabetika
–
nicht geben
Metformin
–
1–3 Tage präoperativ absetzen
Glukoseinfusion
z. B. 500 ml Glukose 5 % über 4 h
nicht routinemäßig
Blutzuckerkontrollen
vor Insulingabe und dann stündlich
morgens
Antihyperglykämika
Ziel: BZ zwischen 100 und 180 mg/dl Bei BZ < 100 mg/dl, Glukose schneller infundieren, ggf. 10 ml Glukose 40 % als i. v. Bolus Bei BZ > 180 mg/dl, 4–12 Einheiten Alt-Insulin i. v., BZ-Kontrolle nach 30 Minuten
Tabelle 6.17 Perioperatives Management des Patienten mit Diabetes mellitus.
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6.9 Endokrine Erkrankungen tungsrisiko oder größere Volumenverschiebungen reicht es nach den bisherigen Erfahrungen aus, Metformin am Operationstag wegzulassen. Bei größeren Eingriffen, bei denen eine Beeinträchtigung der Gewebs- und Leberperfusion nicht unwahrscheinlich ist, wie z. B. ausgedehnte Abdominalchirurgie, Kardiochirurgie u. ä., sollte das Metformin zwei bis drei Tage präoperativ abgesetzt werden.
Merke
Die perioperative Hypoglykämie ist gefährlicher als die Hyperglykämie!
6.9.3 Schilddrüse Allgemeines Schilddrüsenerkrankungen sind die zweithäufigsten endokrinen Erkrankungen bei älteren Patienten (Weissel 2006), wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind. Mit zunehmendem Alter sind Thyroxinsekretion und auch Thyroxinclearance vermindert, sodass das Serum-Thyroxin weitgehend im Normbereich bleibt. Das Serum-T3 hingegen kann wegen der reduzierten Umwandlung von T4 zu T3 erniedrigt sein (s. Kap. 2.6). Dieses kann u. U. zu falsch hohen T4-Spiegeln führen (sog. „high T4-syndrome“), vor allem beim Fasten, oder unter Therapie mit β-Blockern oder Glukokortikoiden. Ein hoher Serum-T4-Spiegel wird aufgrund der erhöhten TBG-Spiegel auch unter Opiattherapie beobachtet. Die Antwort auf TSH ist aber normal. Die Erkennung von Funktionsstörungen der Schilddrüse bei geriatrischen Patienten ist erschwert, weil die Symptome oft atypisch und diffus sind. Deshalb sind Screening-Untersuchungen für Schilddrüsenerkrankungen (TSH-Bestimmung) bei geriatrischen Patienten, die wegen akuter Erkrankungen (z. B. Sturz, Frakturen, Verwirrtheit usw.) aufgenommen werden, sinnvoll und kosteneffektiv, da sowohl Hypo- als auch Hyperthyreoidismus zur Morbidität und prolongiertem Krankenhausaufenthalt beitragen.
Bei manifester Hyperthyreose sind TSH supprimiert und T3 und T4 erhöht, während bei der sog. subklinischen Hyperthyreose nur eine TSH-Suppression bei normalen T3- und T4-Konzentrationen vorliegt. Hyperthyreose, auch subklinisch, ist beim geriatrischen Patienten ein Risikofaktor, u. a. für Vorhofflimmern und kardiovaskuläre Komplikationen (Parle et al. 2001, Sawin et al. 1994). Patienten mit supprimierten TSH-Spiegeln haben eine insgesamt höhere Mortalität als Patienten mit normalem oder erhöhtem TSH (Radacsi et al. 2003).
Symptome und Befunde Die Symptome der manifesten Hyperthyreose sind weniger ausgeprägt und das Spektrum ist ein anderes als beim jungen Menschen. Man findet u. a. Tachykardie, Gewichtsverlust und Schwäche, Vorhofflimmern, Verschlechterung einer Angina pectoris, Dyspnoe, Obstipation, Apathie, Depression oder Appetitlosigkeit.
Anästhesiologisches Management Eine manifeste Schilddrüsenüberfunktion muss vor Elektiveingriffen behandelt werden, aber es ist noch unklar, ob die Therapie einer subklinischen Überfunktion die Morbidität und Mortalität beeinflusst. Ist bei einem Patienten mit manifester Hyperthyreose ein Notfalleingriff erforderlich, erfolgt das Management der Schilddrüsenüberfunktion nach den auch für jüngere Patienten üblichen Grundsätzen. Neben der Gabe von Thyreostatika ist die Therapie der klinisch manifesten Hyperthyreose (Thyreotoxikose) in erster Linie symptomatisch mit BetaBlockern und Glukokortikoiden.
Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) Grundlagen
Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) Grundlagen Die Inzidenz manifester Hyperthyreose liegt bei geriatrischen Patienten zwischen 0,2 und 2 %. Anders als beim jungen Patienten sind beim alten Patienten autonome Adenome häufiger die Ursache einer Hyperthyreose als immunogene Faktoren (Morbus Basedow). Eine jodinduzierte Hyperthyreose ist nicht selten, und oft durch langfristige Behandlung mit Amiodaron ausgelöst. Eine weitere exogene Ursache der Hyperthyreose ist eine Thyroxinüberdosierung, etwa iatrogen durch nicht angepasste Therapie oder patientenseits durch absichtliche oder versehentliche Mehreinnahme.
Eine manifeste Schilddrüsenunterfunktion (TSH hoch, T4 erniedrigt), die auch ohne die typischen Symptome vorliegen kann, hat eine Prävalenz von bis zu 7 % in der geriatrischen Population. Weitere 5 bis 10 % haben lediglich ein erhöhtes TSH als Ausdruck einer subklinischen Hypothyreose. Die häufigsten Ursachen dieser Funktionsstörung sind chronische Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto), Folgen einer Radiojodtherapie und Thyreoidektomie. Ein Überangebot an Jod (z. B. Amiodarontherapie, Jodidzusätze in der Nahrung) oder eine Therapie mit Lithium können ebenfalls eine Hypothyreose induzieren. Die subklinische Erkrankung (FT4 normal, TSH erhöht) kann sich gelegentlich im Rahmen einer schweren Erkrankung oder Operation bis hin zum Myxödem exazerbieren. Etwa ⅓ der Patienten mit diagnostizierter subklinischer Hypothyreose entwickeln innerhalb von vier
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Erkrankung
Tabelle 6.18 Perioperatives Management des Patienten mit einer Schilddrüsenerkrankung.
Freigabe zur Operation Elektiveingriff
Notfalleingriff
Hyperthyreose subklinisch
ja
ja
manifest – laborchemisch
bedingt
ja
manifest – klinisch
nein
mit entsprechender Begleittherapie
Bei allen Patienten mit Hyperthyreose ist die Anwendung von Jod, jodhaltigen Medikamenten (z. B. Kontrastmittel, jodhaltige Desinfektionsmittel, Jodoform Gaze, Amiodaron) zu vermeiden. Hypothyreose subklinisch
ja
ja
manifest – laborchemisch
ja
ja
manifest – klinisch
nein
ja
Jahren nach Diagnosestellung eine klinisch manifeste Erkrankung. Einige epidemiologische Untersuchungen zeigen jedoch, dass eine subklinische Hypothyreose einen gewissen lebensverlängernden Effekt hat: bei älteren Männern mit erhöhtem TSH und niedrig-normalem freiem T4 ist die 4-Jahres-Sterblichkeit vermindert (van den Beld et al. 2005).
Manifeste, symptomatische Erkrankungen stellen meist eine Kontraindikation gegen Elektiveingriffe dar. Hier sollte man den Erfolg der internistischen Behandlung abwarten. Als Ausnahme von dieser Regel gilt die Thyreoidektomie bei Patienten mit einer medikamentös nicht beherrschbaren Hyperthyreose. Schilddrüsenerkrankungen, die nur nach laborchemischen Kriterien als manifest zu gelten hätten, aber ohne klinische Symptomatik sind, müssen differenziert betrachtet werden.
Symptome und Befunde Die manifeste Hypothyreose ist beim alten Patienten symptomärmer als beim jüngeren. Verwirrtheit, Anorexie, Gewichtsverlust, Ataxie sind häufige Symptome, ebenso Arthralgien und Muskelschmerzen. Die Hypothyreose kann die Auswirkungen der beim alten Patienten erhöhten ADH-Spiegel verstärken und eine Wasserretention mit Hyponatriämie induzieren. Das Myxödem ist die Extremform der manifesten Hypothyreose mit Herzinsuffizienz, Myopathie, neuropsychiatrischen Symptomen (Hörverlust, Schwindel, Verwirrtheit, Ataxie, Koma), Pleuraergüssen und Aszites. Das Myxödem hat eine hohe Letalität.
Merke
Auch die subklinische Hyperthyreose ist potenziell gefährlicher als eine leichte Hypothyreose!
6.9.4 Nebennierenrinde Von der Vielzahl der Steroidhormone der Nebennierenrinde (NNR) sind nur Kortisol (Hydrokortison) und Aldosteron für das perioperative Management von größerem Interesse. Synthese und Sekretion dieser Hormone unterliegen einer mehrstufigen Kontrolle, die an mehreren Stellen gestört sein kann. Sowohl eine Über- als auch eine Unterfunktion der NNR können den perioperativen Verlauf stark beeinträchtigen.
Zusammenfassung Das anästhesiologische Management des Patienten mit einer Schilddrüsenerkrankung richtet sich nach Art und Schwere der gestörten Funktion. Subklinische Funktionsstörungen mit pathologischen TSH- aber normalen T3und T4-Konzentrationen bieten in der Regel keine Probleme und bedürfen keiner besonderen Vorbereitung oder Überwachung. Man muss allerdings bedenken, dass sich die subklinische Hyperthyreose unter dem Stress der Operation zur manifesten Form mit thyreotoxischen Symptomen entwickeln kann.
Kortisol Die fehlende Kortisolsekretion hat von allen NNR-Störungen den größeren Stellenwert für das perioperative Management, da sie mit akuten Komplikationen mit hoher Morbidität und Mortalität assoziiert ist. Zu hohe Kortisolkonzentrationen hingegen fallen deutlich weniger ins Gewicht, v. a. wenn sie nicht chronisch, wie z. B. bei Morbus Cushing sind, sondern nur passager auftreten.
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6.9 Endokrine Erkrankungen Bei der Unterfunktion der NNR, die in der chronischen, primären Form als Morbus Addison bekannt ist, kann kein Kortisol mehr synthetisiert werden. Bei vorher normaler NNR-Funktion können die Ursachen hierfür u. a. sein: Verlust oder Zerstörung der Nebenniere, z. B. durch Adrenalektomie, Autoimmunadrenalitis, Tuberkulose oder im Rahmen eines Waterhouse-Friderichsen-Syndroms, oder Hemmung des Synthesewegs von Cholesterin zu Kortisol durch langfristige Etomidatgabe. Ursachen einer sekundären bzw. tertiären Unterfunktion sind fehlende ACTH-Stimulation durch Ausfall des Hypophysenvorderlappens (HVL) oder Suppression von Hypothalamus und HVL durch langfristige hoch dosierte Kortisoltherapie. Bei der Beurteilung der gestörten NNR-Funktion und der Festlegung des perioperativen Managements ist es wichtig, zwischen einem tatsächlich bestehenden, substitutionsbedürftigen Ausfall der NNR-Funktion und einer lediglich potenziell gestörten Kortisolantwort auf Stress zu unterscheiden. Bei Patienten unter Substitutionstherapie einer primären NNR-Insuffizienz müssen Glukokortikoide und ggf. Mineralokortikoide weiter verabreicht werden mit einer an die Schwere des operativen Traumas angepassten Erhöhung der Glukokortikoiddosis. Die häufigste Ursache einer eingeschränkten NNRFunktion beim geriatrischen Patienten ist jedoch die sekundäre NNR-Insuffizienz infolge langfristiger Behandlung mit Kortikosteroiden z. B. bei rheumatoider Arthritis oder Autoimmunerkrankungen. Hierbei kommt es je nach Kortikoiddosis und Verabreichungsdauer zu einer Dämpfung der ACTH- und Kortisolantwort auf die exogene CRH- oder ACTH-Gabe sowie auf Stressoren wie Trauma, Infektion und Operation. Man rechnet mit einer relevanten NNR-Suppression bei Glukokortikoidtagesdosen, die das Zweifache der normalen Kortisolsekretion von etwa 20 mg/Tag überschreiten und für länger als 10 Tage verabreicht wurden (Tab. 6.19).
Symptome und Befunde Bei der primären Unterfunktion der NNR findet man die klassischen Befunde des Morbus Addison – dunkles Hautkolorit, bräunliche Verfärbung von Handflächenlinien, Narben und Lippen, die durch die gleichzeitige Sekretion Tabelle 6.19 Steroiddosen, bei denen mit einer NNR-Suppression gerechnet wird. Steroid
Tagesdosis
Kortison
40–50 mg
Hydrokortison
30–40 mg
Prednisolon
7,5–10 mg
Methylprednisolon
6–8 mg
Dexamethason
1,5–2 mg
Betamethason
0,75–1,5 mg
von ACTH und melanozytenstimulierendem Hormon (MSH) bedingt sind. Durch die kompensatorisch vermehrte Sekretion von CRH kann auch die ADH-Sekretion stimuliert und ein SIADH induziert werden. Diese Veränderungen fehlen bei der sekundären und tertiären Form. Die Symptome aller Formen der NNR-Unterfunktion reflektieren den Mangel an glukokortikoider und mineralokortikoider Funktion: allgemeines Schwächegefühl, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, Salzhunger, Hypotension und Schwindel, Bauchschmerzen, Stuhlunregelmäßigkeiten, Spontanhypoglykämien u. a.
Anästhesiologisches Management Das perioperative Management der NNR-Unterfunktion, ob tatsächlich existent oder nur befürchtet, beruht auf pragmatischen, aber letztlich unvalidierten Empfehlungen (Milde et al. 2005) und besteht in der Gabe von Hydrokortison in einer vom chirurgischen Trauma abhängigen Dosierung zusätzlich zur üblichen Steroidmedikation. Die Anwendung von Hydrokortison ist historisch bedingt, und die umständliche Infusion kann wahrscheinlich durch die Gabe einer Äquivalenzdosis eines anderen Glukokortikoids wie z. B. Prednisolon ersetzt werden. Bei manifester Hyperkaliämie und Hyponatriämie, sowie grundsätzlich bei der primären Form, ist ggf. die Gabe eines Mineralokortikoids (Fludrocortison) indiziert.
Aldosteron Hypoaldosteronismus Eine verminderte Aldosteronsekretion kann primär (hyperreninämischer Hypoaldosteronismus – z. B. bei Morbus Addison, Stress, Kalziumantagonisten) mit Kortisolmangel oder sekundär (hyporeninämischer Hypoaldosteronismus – z. B. bei Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus) mit normaler Kortisolsekretion auftreten. Der hyporeninämische Hypoaldosteronismus hat aufgrund der Pathogenese einen Häufigkeitsgipfel im mittleren bis hohen Alter. Beiden Formen gemeinsam ist die Hyperkaliämie, Hyponatriämie und metabolische Azidose, die für die Symptome Müdigkeit, Schwäche und Herzrhythmusstörungen verantwortlich sind. Beta-Blocker, ACE-Hemmer und NSAR können die Aldosteronsekretion bei der sekundären Form noch weiter vermindern. Der undiagnostizierte Hypoaldosteronismus kann wegen der begleitenden Hyperkaliämie potenziell lebensbedrohlich sein.
Hyperaldosteronismus Eine primäre Übersekretion von Aldosteron durch ein NNR-Adenom oder bei idiopathischer NNR-Hyperplasie wird zunehmend als Ursache der moderaten bis schweren Hypertension angenommen mit einer Inzidenz von
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Tabelle 6.20
Perioperative Kortikoidsubstitution.
Patient mit Glukokortikoiddosis unterhalb der Suppressionsschwelle keine zusätzliche Steroidgabe notwendig Patient mit Glukokortikoiddosis oberhalb der Suppressionsschwelle für mehr als 10 Tage kleiner chirurgischer Eingriff
Beispiel: Arthroskopie, Reposition einer Radiusfraktur, Katarakt-Operation, Leistenhernie, Appendektomie, Mamma-Tumorresektion, kleine laparoskopische Eingriffe, Schilddrüsenresektion o. ä. Vorgehen: Übliche Steroidmedikation am Morgen der Operation plus 25 mg Hydrokortison (oder Äquivalent) zur Anästhesieeinleitung oder Verdoppelung der üblichen oralen Tagesdosis
moderater chirurgischer Eingriff
Beispiel: abdominelle Hysterektomie, Kolonsegmentresektion, TEP, Revaskularisierung der unteren Extremität o. ä. Vorgehen: Übliche Steroidmedikation am Morgen der Operation plus 25 mg Hydrokortison zur Anästhesieeinleitung bzw. Verdoppelung der üblichen Tagesdosis plus Hydrokortison 100 mg (oder Äquivalent) über 24 h
großer chirurgischer Eingriff
Beispiel: kardio- oder thoraxchirurgische Eingriffe, Whipple-Operation, Ösophagogastrektomie, Leberteilresektion, Proktokolektomie, radikale Prostatektomie o. ä. Vorgehen: Normale Steroidmedikation am Morgen der Operation plus 25 mg Hydrokortison zur Anästhesieeinleitung plus Hydrokortison 100 mg (oder Äquivalent) pro Tag für 2 bis 3 Tage
Steroidtherapie mit Dosis oberhalb der Suppressionsschwelle bis vor weniger als 3 Monaten Behandlung wie unter Steroidbehandlung Steroidtherapie vor mehr als 3 Monaten beendet keine perioperative Steroidgabe notwendig Patienten nach bilateraler Adrenalektomie bzw. NNR-Nekrose (primäre NNR-Insuffizienz) zum obigen Schema zusätzlich ein Mineralokortikoid
bis zu 20 % (Strauch et al. 2003). Der idiopathische Hyperaldosteronismus aufgrund einer bilateralen NNR-Hyperplasie ist etwa dreimal so häufig wie das NNR-Adenom und kommt vorwiegend bei Männern im 6. Lebensjahrzehnt vor. Der sekundäre Hyperaldosteronismus ist Ausdruck einer Überfunktion des Renin-Angiotensin-Systems etwa infolge einer Nierenarterienstenose, die bei älteren Patienten häufiger vorkommt, bei Low-Output-Syndromen wie Herzinsuffizienz, oder bei einer Hypalbuminämie bei Leberzirrhose oder nephrotischem Syndrom. Hyperaldosteronismus kann asymptomatisch vorliegen, manifestiert sich aber typischerweise mit Hypertension, seltener mit Hypokaliämie, Abgeschlagenheit, Muskelschwäche bis periodischen Lähmungen, Muskelkrämpfen, Hypernatriämie und metabolischer Alkalose. Die Hypertension aufgrund eines Hyperaldosteronismus prädisponiert in besonderer Weise zu kardiovaskulären Komplikationen. Die Therapie der primären Form hängt von der Ursache ab; die medikamentöse Therapie des sekundären Hyperaldosteronismus besteht in der Gabe von Aldosteronantagonisten (z. B. Spironolacton).
6.9.5 Hypophyse Hypophysenhinterlappen Der Hypophysenhinterlappen (Neurohypophyse, HHL) spielt wegen der Sekretion des antidiuretischen Hormons (ADH, Vasopressin) in der Regulation des Flüssigkeitshaushalts eine wichtige Rolle. Die ADH-Sekretion wird durch Anstiege der Plasmaosmolalität stimuliert, die an hypothalamischen Rezeptoren registriert werden. Erhöhte ADH-Spiegel vermindern die Exkretion freien Wassers und lösen Durstgefühl aus. Unter bestimmten Umständen greift ADH auch in die Blutdruckregulation ein. Beim geriatrischen Patienten sind sowohl die basale ADH-Sekretion als auch die Reaktion der Sekretion auf physiologische Reize gegenüber jüngeren verändert. Die basale ADH-Sekretion ist erhöht, ohne dass die Patienten deswegen über ein stärkeres Durstgefühl klagten. Die Daten zur Reaktion der ADH-Sekretion älterer Patienten auf Flüssigkeitsrestriktion und Dursten, beides starke Stimulationsreize, sind widersprüchlich. Bei manchen erfolgt kein Anstieg der Plasmakonzentrationen, während bei anderen ein verzögerter „Break through“ mit dann
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6.9 Endokrine Erkrankungen deutlich erhöhten Spiegeln beobachtet wird. Insgesamt jedoch besteht bei den meisten älteren Patienten aufgrund der verminderten ADH-Reaktion ein erhöhtes Risiko für Dehydratation mit Hypernatriämie (Miller 1997). Dies sind die typischen älteren Patienten, die exsikkiert zur Notfallbehandlung von Extremitätenfrakturen aufgenommen werden und präoperativ einen ausreichenden, aber vorsichtigen Ausgleich ihres Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes benötigen.
Tabelle 6.21 endokrin
Pharmaka
Nikotin Thiazide
pulmonal
Der Hypophysenvorderlappen, die Adenohypophyse, steht weitgehend unter der Kontrolle des Hypothalamus und sezerniert u. a. ACTH, TSH, Prolaktin, Wachstumshormon und Gonadotropine, die die Sekretion weiterer Hormone und Mediatoren kontrollieren.
ACTH Die Hypothalamus-Hypophysen-NNR-Achse ist bei sonst gesunden geriatrischen Patienten intakt, wie die normale ACTH-Antwort auf Hemmung der Kortisolsynthese mit Metyrapon zeigt (Impallomeni et al. 1987). Allerdings können ZNS-Erkrankungen, die im Alter häufig sind, sowohl die basale Sekretion als auch die Regulation verändern. So sind z. B. die basalen Kortisolkonzentrationen bei Patienten mit Demenz des Alzheimer-Typs erhöht (Rasmuson et al. 2002). Die Kortisolantwort auf Kältestress ist verstärkt und die Sekretion lässt sich bei ca. 50 % der Alzheimer- und Schlaganfallpatienten durch Dexamethason nicht supprimieren (Parnetti et al. 1990, Pascualy et al. 2000). Die Sekretion des Wachstumshormons nimmt ab dem 40. Lebensjahr kontinuierlich ab, und der stimulierte Konzentrationsanstieg durch L-Dopa ist bei etwa einem Drit-
nicht steroidale Antirheumatika Antidepressiva
Tumoren
Hypophysenvorderlappen
NNR-Unterfunktion auf Ebene der NNR oder Adenohypophyse Hypothyreose
Schwarz-Bartter-Syndrom (SIADH) Andererseits verursacht die vermehrte ADH-Sekretion bei manchen Patienten das sog. Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH), auch Schwarz-Bartter-Syndrom genannt, das sich durch Wasserretention und Hyponatriämie manifestiert. Dieses wird bei älteren Patienten häufiger beobachtet (Miller 1997). Hyponatriämie ist ein Zeichen eines Wasserüberschusses und nicht eines Salzmangels. Die vielfältigen Ursachen des SIADH sind in Tab. 6.21 zusammengefasst. Das SIADH ist meist asymptomatisch, und auftretende Symptome sind in erster Linie auf eine ausgeprägte Hyponatriämie zurückzuführen. Sie sind unspezifisch: Übelkeit und Erbrechen, Schwindel, Schwäche, Adynamie, Verlangsamung, Krampfanfälle, Somnolenz bis zum Koma. Nur die symptomatische Hyponatriämie bedarf der umgehenden Therapie, die vorsichtig erfolgen muss (s. Kap. 5.4).
Ursachen des SIADH.
paraneoplastisches Syndrom beim Bronchialkarzinom Hyperkapnie PEEP-Beatmung
ZNS
Trauma Operation SAB
postoperativ
Schmerzen Übelkeit Hypotension
tel der über 75-Jährigen subnormal (Impallomeni et al. 1987). Dieses ist eine mögliche Ursache der beim geriatrischen Patienten beobachteten Abnahme der Knochenund Muskelmasse und Zunahme des Fettanteils. Die basale TSH-Sekretion ist weitgehend normal, während der TRH-stimulierte Sekretionsanstieg vermindert ist (Impallomeni et al. 1987). Pathologische TSH-Spiegel deuten meist auf eine primäre Schilddrüsenerkrankung hin.
6.9.6 Stressantwort beim geriatrischen Patienten Die wichtigsten endokrinen Reaktionen auf Traumata sind eine vermehrte Sekretion von ADH aus dem Hypophysenhinterlappen, Kortisol und Aldosteron aus der Nebennierenrinde, Katecholamine aus dem Nebennierenmark, Glukagon aus den α-Inselzellen des Pankreas, und die Suppression der Insulinsekretion. Diese Reaktionen sichern die Bereitstellung von metabolischen Substraten in Form von Glukose und freien Fettsäuren. Weitere Reaktionen sind Veränderungen der Körperabwehr durch zahlreiche Mediatoren sowie Steigerung der Gerinnung. Die wenigen systematischen Untersuchungen der endokrinen Stressantwort beim geriatrischen Patienten zeigen eine weitgehend erhaltene Reaktionsfähigkeit mit den üblichen Anstiegen der klassischen Stresshormone Kortisol, Katecholamine und ADH (Adams et al. 1990, Furuya et al. 1993). Im direkten Vergleich haben hochbetagte Patienten deutlich stärkere Anstiege der Plasmakonzentrationen von Noradrenalin und Kortisol (Kudoh et al. 1999).
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Beim geriatrischen Patienten sind die basale und auch die stimulierte ADH-Sekretion gesteigert. Dieses kann die Clearance freien Wassers vermindern und zur Wasserretention und Hyponatriämie führen. Die Ansprechbarkeit der Niere auf ADH ist allerdings vermindert, sodass dieses nicht zwangsläufig auftreten muss. Durch die Stressreaktion kann die sonst beim geriatrischen Patienten häufig verminderte Aldosteronsekretion normalisiert werden. Die basale und stimulierte ACTH-Sekretion sowie die Kortisolantwort auf erhöhte ACTH-Spiegel sind beim geriatrischen Patienten normal. Die Kortisolsynthese wird jedoch durch die Gabe von Etomidat vorübergehend gehemmt, sodass der Sekretionsanstieg vermindert oder ganz ausbleiben kann (Crozier et al. 1987, Crozier et al. 1994). Manche empfehlen deshalb aus pragmatischer Erwägung, die allerdings nicht evidenz-basiert ist, diese NNR-Suppression durch Glukokortikoidgabe (z. B. 25 mg Prednisolon i. v.) zu kompensieren. Geriatrische Patienten neigen nach Trauma eher zum stärkeren Proteinkatabolismus als jüngere Patienten mit gleicher Verletzungsschwere (Clevenger et al. 1992). Die Zufuhr der für eine positive Stickstoffbilanz berechneten Menge an Eiweiß und Aminosäuren führte bei 87 % der älteren und nur bei 21 % der jüngeren Patienten zum pathologischen Anstieg harnpflichtiger Substanzen. Ältere Patienten (> 75 Jahre) zeigen eine stärkere inflammatorische Reaktion nach chirurgischem Trauma gemessen an Serum-IL-6-Konzentrationen und monozytärer TNF-α-Sekretion (Kudoh et al. 2001, Ono et al. 2001).
Kernaussagen ●
●
●
Ältere Patienten sind weitgehend in der Lage, mit entsprechenden endokrinen Regulationsmechanismen auf Traumata zu reagieren. Diese sind teils überschießend und teils nicht ausreichend, sodass die Wiederherstellung der Homöostase erschwert ist. Insbesondere die Flüssigkeits- und Energiebilanzierung bedarf größter Sorgfalt.
Literatur Adams HA, Wolf C, Michaelis G et al. Postoperativer Verlauf und endokrine Stress-Reaktion geriatrischer Patienten mit hüftnahen Frakturen. Prospektiv-randomisierte Studie zum Vergleich von Spinalanasthesien und Halothan-Intubationsnarkosen. Anasth Intensivther Notfallmed 1990; 25: 263–270 Clevenger FW, Rodriguez DJ, Demarest GB et al. Protein and energy tolerance by stressed geriatric patients. J Surg Res 1992; 52: 135– 139 Crozier TA, Beck D, Schlaeger M et al. Endocrinological changes following etomidate, midazolam, or methohexital for minor surgery. Anesthesiology 1987; 66: 628–635
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6.10 Urologische Erkrankungen H. Wagner-Berger
6.10.1 Einführung Die Urologie ist eine der medizinischen Fachdisziplinen, die von der demografischen Entwicklung der kommenden Jahrzehnte stark betroffen sein wird. Urologische Probleme bei älteren Patienten sind häufig, und die Versorgung von Patienten, die älter als 65 Jahre sind, wird daher einen zunehmend größeren Raum einnehmen. Sowohl der Urogenitaltrakt des Mannes als auch der der Frau unterliegt altersbedingten Veränderungen bzw. zeigt alterabhängige Pathologien (s. Kap. 2.5). Die Inzidenz urogenitaler Beschwerden nimmt mit dem Alter stark zu: in der Altersgruppe zwischen 50 und 69 Jahren ist bei Frauen das Risiko dafür ca. 8- bis 9-mal höher als bei Jugendlichen, in der Altersgruppe über 70 Jahre verdoppelt sich dieser Prozentsatz (Carbone et al. 2001). Dies trifft auch für Männer zu: in der Altersgruppe über 60 Jahre ist die Chance für urogenitale Beschwerden 25mal höher als beim 20-Jährigen, in der Altersgruppe über 70 Jahre ist dieses Risiko 40-mal höher. Aufgrund der Tatsache, dass die Prostata eine zentrale Rolle spielt und die benigne Prostatahyperplasie häufig die Funktion der Harnblase beeinflusst, hat sich die einschlägige Forschung eher mit der männlichen Pathologie beschäftigt. Im Männergesundheitsbericht der WHO des Jahres 2001 mit der Zielgruppe des alternden Mannes werden die gutartige Prostatavergrößerung, die Harninkontinenz, die erektile Dysfunktion und das Prostatakarzinom als die häufigsten chronischen urogenitalen Erkrankungen des Mannes genannt (World Health Organisation Aging and Life Course 2001). Die Studien bezüglich des Schließmuskels und Harninkontinenz konzentrieren sich mehr auf die Frau. In der neuen Nomenklatur beschreibt der Terminus „benignes Prostatasyndrom“ (BPS) prostatabedingte Blasenentleerungsstörungen und umfasst sowohl irritative als auch obstruktive Symptome unterschiedlicher Ausprägung, die durch eine benigne Prostataobstruktion (BPO) verursacht werden. Histologische Veränderungen im Sinne einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) sind erstmals um das 30. Lebensjahr nachweisbar, danach steigt die Prävalenz linear an, im 50. Lebensjahr ist jeder zweite Mann betroffen, in der achten bis neunten Lebensdekade nahezu 100 %. Etwa die Hälfte der Männer mit BPH entwickeln eine klinisch vergrößerte Prostata (Benign Prostatic Enlargement, BPE) und davon wiederum die Hälfte Miktionsbeschwerden (Lower Urinary Tract Symptoms, LUTS). Prostatakrebs ist in Deutschland zurzeit das häufigste Karzinom beim
Mann. Jährlich wird bei fast 50 000 Männern ein Prostatakarzinom festgestellt und mehr als 10 000 Männer sterben daran. Dabei sind etwa 90 % der Erkrankten und 96 % der Verstorbenen über 60 Jahre alt (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2007).
6.10.2 Urologische Eingriffe Übersicht: ● Endoskopie, diagnostische Zystoskopie, Urethrotomia interna, Klappenfulguration, Splintanlage und Ureterorenoskopie (URS) ● transurethrale Resektion von Prostata und Blasentumoren ● Operationen an Hoden, Penis und Skrotum ● radikale Prostatektomie/Zystektomie mit Ileumconduit (Neoblase) ● retroperitoneale Lymphadenektomie (Debulking-OP) ● Operationen an der Niere ● Urolithiasis und extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) ● Nierentransplantation Endoskopische Eingriffe in der Urologie: Inzision von Urethrastrikturen ● Einlage von Uretherkathetern bei Abflussbehinderung (Pigtail-Katheter), oder später deren Entfernung ● transurethrale Prostataresektion ● Resektion von Blasentumoren ● Behandlung einer hämorrhagischen Zystitis ● Entfernung oder Zertrümmerung von Urolithen oder deren Manipulation zur Vorbereitung einer Lithotrypsie. ●
Die meisten endoskopisch durchgeführten urologischen Eingriffe werden in Steinschnittlage durchgeführt. Dies hat unterschiedliche Folgen: ● Bei einer unsachgemäßen Lagerung können lokale Ischämien oder Nervenläsionen (N. peronaeus, N. ischadicus) entstehen. ● Bei einer Trendelenburg-Lagerung können Schulterstützen nötig werden, um ein Abrutschen des Patienten zu verhindern; diese sollen in der lateralen Hälfte der Klavikel angebracht werden, um den supraklavikulären Plexus zu schonen. ● Aufgrund einer vorbestehenden Arthrose verschiedener Gelenke kann die Lagerung problematisch sein und zusätzlich postoperative Schmerzen verursachen.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen ●
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Die Beweglichkeit des Zwerchfells nimmt ab, und es resultiert eine Reduktion der funktionellen residualen Kapazität (FRC) mit der Gefahr von Atelektasen und Hypoxie. Eine akute Volumenüberlastung entsteht durch Erhöhung des venösen Rückstroms bei Anheben der Beine. Eine akute Hypovolämie entsteht bei zu schneller Tieflagerung der Beine am Ende des Eingriffs.
6.10.3 Transurethrale Resektion der Prostata (TURP) Die transurethrale Resektion der Prostata (TURP) ist der Goldstandard für die chirurgische Behandlung der benignen Prostatahyperplasie (BPH) und macht ungefähr ein Drittel aller operativen urologischen Eingriffe aus. Die Operation dauert ungefähr eine Stunde und wird in Steinschnittlagerung durchgeführt. Der Eingriff kann mit einem Elektrokoagulationresektoskop oder mit einem Laser durchgeführt werden, wobei die Lasertherapie vor allem bei einer kleineren Prostata oder bei nur oberflächlicher Resektion verwendet wird. Während der letzten Dekade ist die Anzahl der TURP in den USA von 400 000 auf 100 000 pro Jahr zurückgegangen. Der Grund dafür ist die Einführung von sog. thermischen Verfahren, die ohne Anästhesie oder mit Analgosedierung durchgeführt werden können. Seit ca. 2001 werden die inzwischen als „interventionell“ bezeichneten Verfahren nicht mehr in operative und „minimal-invasive“ Verfahren klassifiziert oder nach der bei dem jeweiligen Verfahren eingesetzten Energie (z. B. Laser) eingeteilt. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Wirkung auf das Gewebe. Hierdurch ergibt sich eine Unterteilung der Verfahren in solche mit unmittelbarer Gewebeablation (z. B. offene Operation, TURP, Holmiumlaserenukleation, Vaporisation), solche mit sekundärer Gewebeablation, sog. „thermische“ Verfahren (z. B. transurethrale Hochenergiemikrowellenthermotherapie, transurethrale Nadelablation, interstitielle Laserkoagulation) und sonstige Verfahren (TUIP, Stents), bei denen die klinische Wirkung ohne Gewebeablation erreicht wird (Muschter u. Reich 2008). Die elektrische Resektion erlaubt eine gründlichere und ausgedehntere Behandlung, hat aber als Nachteil einen größeren Blutverlust und birgt die Gefahr eines TURP-Syndroms. Um gute Sichtverhältnisse zu erreichen, müssen Urethra und Harnblase ständig mit einer transparenten, den elektrischen Strom nicht leitenden Flüssigkeit gespült werden. Die zur Spülung gebrauchten Lösungen sind absichtlich hypoton, um eine bessere Sicht zu gewährleisten. Früher wurden isotone nicht hämolytische Lösungen mit Harnstoff, Glukose oder Mannit verwendet. Gegenwärtig werden halbisoosmolare Lösungen wie z. B. Purisol (27 g Sorbit und 5,4 g Mannit pro Liter Spüllösung = 195 mosmol/l) verwendet. Da die Spüllösungen auch 1,5 %iges Glycin (= 212 mosmol/l; Glycin ist ein inhibitorischer Neurotransmitter) enthalten, können nach Einschwemmung von glycinhaltigen Lösungen
Krämpfe und Sehstörungen (temporäre Blindheit) infolge von Stimulation der NMDA-Rezeptoren auftreten. Elektrolytlösungen können während der thermoelektrischen Resektion nicht verwendet werden, weil sie elektrische Leiter sind. Die Langzeit-Mortalität nach TURP wird in verschiedenen Studien auf 15–20 % geschätzt. In einer Kohortenstudie mit gematchten nicht operierten Individuen war das Mortalitätsrisiko durch die TURP allerdings nicht erhöht (Cattolica et al. 1997). TURP-Patienten sind häufig ältere Patienten mit unterschiedlichen Vorerkrankungen wie Lungenerkrankungen (14,5 %), gastrointestinale Erkrankungen (13,2 %), Myokardinfarkt (12,5 %), Arrhythmien (12,4 %) und Niereninsuffizienz (4,5 %) (Mebust et al. 1989). Diese Patienten müssen daher präoperativ sorgfältig untersucht werden, um ihre Vorerkrankungen und das Anästhesierisiko zu bestimmen, da das Outcome hauptsächlich von den Komorbiditäten abhängt. Trotzdem können Komplikationen auftreten.
Komplikationen der TURP Komplikation der TURP sind (Malhota et al. 2005): ● TURP-Syndrom ● Blutungen ● Blasenperforation ● Hypothermie ● Bakteriämie und Septikämie ● Luftembolie Die Inzidenz des TURP-Syndroms beträgt 2–10 % aller TURP-Operationen und die perioperative Mortalität 0,2– 0,8 %. Dabei sind der Myokardinfarkt, das Lungenödem und das Nierenversagen die häufigsten Todesursachen.
Pathophysiologie und Klinik des TURP-Syndroms Das TURP-Syndrom ist ein allgemeiner Begriff, der verschiedene klinische Symptome beschreibt, welche primär durch eine exzessive Resorption von Spüllösung über eröffnete venöse Sinus verursacht werden. Aufgrund einer intravasalen hypoosmolaren Hyperhydratation kommt es zu einer Verdünnungshyponatriämie (Wasserintoxikation) die zu einer Volumenüberlastung des HerzKreislauf-Systems bis hin zum Lungenödem führen kann. Die Symptome entwickeln sich rasch, wenn die Spüllösung über verletzte große Venenplexus nahe der Prostatakapsel resorbiert wird. Bei primärer Resorption ins Interstitium (periprostatisch, retroperitoneal) ist der klinische Verlauf über Stunden protrahiert. Die zentralnervösen Symptome wie Unruhe, Übelkeit, Desorientiertheit, Halluzinationen und zerebrale Krämpfe sind durch ein zunehmendes Hirnödem bedingt. Neurologische Symptome treten ab einem Natriumspiegel von 120 mmol/l und weniger auf. Des Weiteren kommt es zu kardiopulmonalen Störungen wie Dyspnoe, Hypertonie mit
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6.10 Urologische Erkrankungen anschließendem Blutdruckabfall, Tachykardie, Reflexbradykardie und Zentralisation. Aber nicht alle Komplikationen bei der transurethralen Resektion sind auf die Einschwemmung von Spülflüssigkeit zurückzuführen: ● Zur Blasenperforation kommt es bei Überdehnung und/oder iatrogener Verletzung der Harnblasenwand. ● Durch septische Einschwemmung gelangen Bakterien aus der Prostata in den systemischen Kreislauf. ● Für die Gerinnungsstörungen kommen unterschiedliche Mechanismen infrage: einerseits eine Verdünnungsthrombozytopenie (Dilutionskoagulopathie) und andererseits eine Aktivierung der plasmatischen Gerinnung durch Einschwemmung von Gewebsthrombokinase aus der Prostata.
Therapie des TURP-Syndroms Sobald die Diagnose wahrscheinlich ist, sollen umgehend folgende Therapiemaßnahmen ergriffen werden: ● Operateur informieren und den Eingriff so schnell wie möglich beenden ● Erhöhung der inspiratorischen O2-Konzentration ● Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr ● forcierte Diurese (Furosemid 20–40 mg i. v.) ● häufige Kontrolle der Blutgaswerte und Elektrolyte ● Ausgleich des Serumnatriums mit hypertone Kochsalzlösung (3 %ig) ab einem Wert von < 120 mmol/l
Praxisanleitung Natriumbedarf: Na+ (mmol) = 0,2 × kg KG × (Nasoll – Naist) Es sollten maximal 100 mmol/h infundiert werden, das Serumnatrium sollte nicht schneller als 0,5 mmol/l/h (Sterns et al. 1986) angehoben werden, da die Gefahr eines Hirnödems und der zentralen pontinen Myelinolyse (osmotisches Demyelinisierungssyndrom) besteht (Gravenstein 1997). ●
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Erweiterung des Monitorings (invasive Blutdruckmessung, ZVK) bei Lungenödem und kardiogenem Schock kardiale Unterstützung durch Katecholamine (Dobutamin) bei systolischen Blutdruckwerten > 100 mmHg Vorlastsenkung mit Nitrogylcerin bei respiratorischer Dekompensation: nicht invasive Ventilation (NIV) mittels Masken-CPAP; ggf. Intubation und CMV + PEEP bei Krämpfen 5–10 mg Diazepam oder 3–5 mg Midazolam i. v.
Merke
Ein TURP-Syndrom kann auch bis 24 Stunden nach dem Eingriff durch sekundäre Einschwemmung nach Perforation oder nach primärer Einschwemmung in das perivesikale Gewebe und anschließender Reabsorption auftreten.
6.10.4 Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und Thromboembolieprophylaxe/ antithrombotische Medikation Die Durchführung von rückenmarksnahen Regionalanästhesien bei Patienten, bei denen eine Antikoagulation durchgeführt oder geplant ist, bleibt kontrovers diskutiert. Das Risiko spinaler Hämatome ist gering, kann jedoch bei beeinträchtigter Gerinnung schwerwiegende neurologische Folgen für den Patienten haben. Der Einsatz von Thrombozytenaggregationshemmern ist eine wichtige Therapie bei koronarer Herzkrankheit und Schlaganfallpatienten (s. Kap. 4.2). In Europa sind viele Millionen Menschen von diesen Erkrankungen betroffen und werden dementsprechend mit Thrombozytenaggregationshemmern behandelt. Das perioperative Absetzen von Plättchenfunktionshemmern wie ASS oder Clopidogrel bei Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit oder pAVK sowie zurückliegenden Stentimplantationen erhöht das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen. Im ersten Monat nach einer koronaren Stentimplantation erhöht das Absetzen eines oder beider Thrombozytenaggregationshemmer das Mortalitätsrisiko durch eine Stentthrombose auf 25 %. Daher sollte dies mit gebotener Zurückhaltung in die individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung einbezogen werden. Unter ASS wurden bei Patienten mit neurochirurgischen Eingriffen, Tonsillektomien und Prostataresektionen vermehrte Blutungen beobachtet (Burger et al. 2005). Das Blutungsrisiko ist bei Clopidogrel unabhängig von der Eingriffsart deutlich erhöht. Um dieses Risiko zu reduzieren, soll frühestens 6 Wochen nach Stentimplantation die antikoagulative Therapie für einen notwendigen operativen Eingriff unterbrochen werden. Andererseits können endoskopische urologische Eingriffe zu ernsthaften (lebensbedrohlichen) Blutungen führen. Das Blutungsrisiko und die Folgen sind bei unter antithrombozytärer Therapie stehenden Patienten signifikant erhöht. Bis jetzt gibt es für dieses Problem noch keine komplett befriedigende Lösung, auch wenn weiterentwickelte chirurgische Methoden viel versprechend sind. In all diesen Fällen sollen Adenosin-Diphosphat-Rezeptor Antagonisten wie Clopidogrel oder Ticlopidin abgesetzt werden und durch niedrig dosiertes ASS ersetzt werden. Acetylsalicylsäure seinerseits soll 4 bis 5 Tage vor dem geplanten Eingriff abgesetzt werden, um so zu einer Erholung der Thrombozytenfunktion beizutragen, wobei aber noch ein thrombozytenhemmender Residualeffekt bestehen bleibt (s. Kap. 4.2). Bei unfraktionierten und niedermolekularen Heparinen ist das Risiko eines spinalen epiduralen Hämatoms erhöht, wenn diese Substanzen in einem zu geringen zeitlichen Abstand zur Punktion bzw. zum Entfernen eines epiduralen Katheters verabreicht werden. Bei bestehender Antikoagulation mit Heparinen oder Vitamin-K-Antagonisten bleiben die Punktion und das Entfernen eines Epiduralkatheters kontraindiziert.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
6.10.5 Wahl des Anästhesieverfahrens Kontrovers wird die Diskussion über die Wahl des geeigneten Narkoseverfahrens für urologische Eingriffe geführt. Zu einer besseren neurologischen Überwachung der Patienten ist gerade bei der TURP ein regionalanästhesiologisches Verfahren zu bevorzugen (Mebust et al. 1989). So können neurologische Veränderungen bedingt durch ein TURP-Syndrom frühzeitig detektiert werden. Unruhe und Verwirrtheit sind frühe Symptome einer Hyponatriämie und/oder Serum-Hyperosmolarität und sollen nicht als Zeichen einer inadäquaten Anästhesie fehlgedeutet werden. Die Verabreichung von Sedativa oder eine Allgemeinanästhesie können bei einem TURPSyndrom zu schweren Komplikationen und auch zum Tod führen (Aasheim 1973). Das minimale Niveau für Regionalanästhesie ist Th 10, das aber nicht überschritten werden sollte, um eine eventuelle Blasenperforation erkennen zu können. Postspinale Kopfschmerzen sind in dieser Altersgruppe kaum zu erwarten. Weitere Vorteile der Regionalanästhesie sind u. a. weniger thromboembolische Komplikationen, eine geringere kognitive Beeinträchtigung, eine geringere endokrine Stressantwort, eine gute postoperative Analgesie sowie die Möglichkeit einer frühen Mobilisation. Außerdem haben die Regionalverfahren den Vorteil der erhaltenen Spontanatmung gegenüber der kontrollierten Beatmung bei Allgemeinanästhesie. In Bezug auf die Letalität lässt sich, wenn man die Studien der letzten Jahre betrachtet, kein Unterschied zwischen Regionalanästhesie und Allgemeinanästhesie nachweisen (Davis et al. 1987, Sutcliffe u. Parker 1994). Bisherige Studien mit unterschiedlichen Designs zeigen die Schwierigkeit, eine klare Empfehlung in Bezug auf die optimale Anästhesietechnik zu geben. Dennoch gilt die Regionalanästhesie in spezifischen klinischen Situationen unter dem Aspekt wissenschaftlicher Evidenz als optimales Anästhesieverfahren.
6.10.6 Bedeutung einer suffizienten Schmerztherapie Durch eine suffiziente postoperative Schmerztherapie mit Unterdrückung von exzessiven neuroendokrinen Stressreaktionen kann die Morbidität und Mortalität von Hochrisikopatienten verringert werden (Yeager et al. 1987). Deshalb hat eine effektive postoperative Schmerztherapie für die Prognose geriatrischer Patienten eine bedeutende Rolle (s. Kap. 7.2).
Kernaussagen ●
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Die häufigsten urologischen und gynäkologischen Eingriffe werden beim alten Menschen endoskopisch oder perineal durchgeführt. Die Endoskopie und Chirurgie des Harntraktes sollte möglichst bei sterilem Urin durchgeführt werden (Gefahr der Septikämie). Mit einfachen Maßnahmen können die meisten TURPSyndrome frühzeitig erkannt und verhindert werden. Endoskopisch-urologische Eingriffe bei Patienten unter antikoagulativer Therapie können zu lebensbedrohlichen Blutungen führen, aber die Unterbrechung der antithrombozytären Therapie muss auf ein Minimum reduziert werden. Moderne Verfahren der Allgemeinanästhesie stellen die führende Stellung der Spinalanästhesie in Frage.
Literatur Aasheim GM. Hyponatremia during transurethral surgery. Can Anaesth Soc J 1973; 20: 274–280 Burger W, Chemnitius JM, Kneissl GD et al. Low-dose aspirin for secondary cardiovascular prevention – cardiovascular risks after its perioperative withdrawal versus bleeding risks with its continuation – review and meat-analysis. J Intern Med 2005; 257: 399–414 Carbone A, Gezeroglu H, Aloisi P et al. Is aging a real risk factor for urological pathologies in men and women? Arch Esp Urol 2001; 54(1): 87–94 Cattolica EV, Sidney S, Sadler MC. The safety of transurethral prostatectomy: a cohort study of mortality in 9.416 men. J Urol 1997; 158(1): 102–104 Davis FM, Woolner DF, Frampton C et al. Prospective, multi-centre trial of mortality following general or spinal anaesthesia for hip fracture surgery in the elderly. Br J Anaesth 1987; 59(9): 1080– 1088. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Robert Koch Institut, Statistisches Bundesamt. 2007; Heft 36: Prostataerkrankungen Gravenstein D. Transurethral resection of prostate (TURP) syndrome: a review of pathophysiology and management. Anesth Analg 1997; 84: 438–446 Malhota V, Sudheendra V, Diwan S. Anesthesia and the renal and genitourinary systems. In: Miller RD, ed. Miller’s Anesthesia. 6th ed. Philadelphia: Elsevier; 2005: 2175–2207 Mebust WK, Holtgrewe HL, Cockett ATK et al. Transurethral prostatectomy: immediate and postoperative complications – kooperative study of 13 participating institutions evaluating 3885 patients. J Urol 1989; 141: 243–247 Muschter R, Reich O. Operative und instrumentelle Therapie bei BPH/BPS. Urologe 2008; 47: 155–165 Sterns RH, Riggs JE, Schochet SS jr. Osmotic demyelinization syndrom following correction of hyponatremia. N Engl J Med 1986; 314: 1535–1542 Sutcliffe AJ, Parker M. Mortality after spinal and general anaesthesia for surgical fixation of hip fractures. Anaesthesia 1994; 49(3): 237–240. Yeager MP, Glass DD, Neff RK et al. Epidural anaesthesia and analgesia in high-risk surgical patients. Anesthesiology 1987; 66: 729– 736
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6.11 Augenerkrankungen R. Gust
6.11.1 Einführung Aufgrund altersbedingter Veränderungen am Auge ist für Operationen in der Augenheilkunde ein sehr hoher Anteil an älteren Patienten mit altersassoziierten Begleiterkrankungen charakteristisch. Von besonderer Bedeutung und häufig sind Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und kardiale Vorerkrankungen wie die koronare Herzerkrankung oder eine chronische Herzinsuffizienz. Obwohl die Komorbidität bei diesen Patienten hoch ist, erlauben die meist minimal-invasiven Eingriffe, Operationen am Auge ambulant bzw. als Tageschirurgie durchzuführen. Dies ist nur möglich, wenn die Besonderheiten der Ophthalmochirurgie, bestehende anästhesierelevante Begleiterkrankungen und die pharmakologischen Besonderheiten im Alter beim perioperativen anästhesiologischen Management berücksichtigt werden. All diese Aspekte müssen bei der Prämedikation, der präoperativen Evaluation, der Wahl des Anästhesieverfahrens, bei der Durchführung der Anästhesie und in der postoperativen Phase beachtet werden (s. Kap. 4.1). Daher stellt die Anästhesie bei Operationen am Auge eine besondere Herausforderung für den Anästhesisten dar, die eine spezifische perioperative anästhesiologische Strategie mit dem Ziel einer „minimal-invasiven Anästhesie“ erfordert.
6.11.2 Präoperative Evaluation Die präoperative Evaluation des älteren Patienten vor Operationen am Auge muss insbesondere Beeinträchtigungen von Organfunktionen, hervorgerufen durch den Alterungsprozess oder Begleiterkrankungen, berücksichtigen. Altern führt zu einer allgemeinen Abnahme von Gewebe und damit zu Veränderungen von Organstrukturen und Beeinträchtigungen von Organfunktionen. Ziel der präoperativen Evaluation sollte sein, den Status und die funktionellen Reserven des kardiovaskulären, des respiatorischen Systems, der Leber, der Nieren und des zentralen Nervensystems unter Berücksichtigung des Ausmaßes des operativen Eingriffes möglichst genau zu bestimmen (s. Kap. 4.2). Besonderes zu achten ist dabei auf den Hydratationszustand, da bei älteren Patienten sehr häufig eine Hypovolämie vorliegt. Der Volumenstatus sollte präoperativ optimiert werden, da eine Hypovolämie intraoperativ die Narkoseführung erschwert (s. Kap. 5.4).
Auffälligkeiten bei der körperlichen Untersuchung bzw. bei der gründlichen Anamneseerhebung sind Voraussetzung für die Einleitung weiterer diagnostischer Maßnahmen. Dabei erscheint es sinnvoll, sich auf Routineuntersuchungen zu beschränken. Von einer weiterführenden präoperativen Diagnostik sollte vor allem dann Abstand genommen werden, wenn es unwahrscheinlich ist, dass die Ergebnisse Einfluss auf das anästhesiologische Vorgehen haben (s. Kap. 4.1). Präoperative Laboruntersuchungen sollten primär der Einschätzung des Ausmaßes von Begleiterkrankungen und der Wirksamkeit ihrer Therapie dienen. Während die präoperative Überprüfung der Wirksamkeit einer antidiabetischen oder antihypertensiven Therapie und deren präoperative Optimierung in den meisten Fällen verhältnismäßig einfach sind, ist eine einfache Beurteilung des Ausmaßes einer bestehenden koronaren Herzerkrankung nicht möglich. Das 12-Kanal-Ruhe-EKG ist bei minimal-invasiven Eingriffen, wie Operationen am Auge, nicht geeignet, Patienten mit einem erhöhten kardialen Risiko zu erkennen (Eagle et al. 2002). Daher ist die routinemäßige präoperative Durchführung eines 12-Kanal-Ruhe-EKGs vor Operationen am Auge zur Zeit sehr umstritten (Schein et al. 2000). In der klinischen Praxis führen viele Institutionen 12-Kanal-Ruhe-EKGs nur noch bei in Allgemeinanästhesie vorgenommenen Augenoperationen durch. Generell weiterhin empfehlenswert ist auf jeden Fall die präoperative Durchführung eines 12-Kanal-Ruhe-EKGs bei Patienten mit zeitnaher Angina-pectoris-Symptomatik und bei asymptomatischen Patienten mit Diabetes mellitus. Die routinemäßige Durchführung einer präoperativen Röntgenthoraxuntersuchung ist, falls keine begleitende Lungenerkrankung vorliegt, nicht indiziert (Muravchick 2000).
Merke
Das 12-Kanal-Ruhe-EKG ist bei minimal-invasiven Eingriffen, wie Operationen am Auge, nicht geeignet, Patienten mit einem erhöhten kardialen Risiko zu erkennen. Die Prämedikation des älteren Patienten vor Operationen am Auge muss die pharmakologischen Besonderheiten im Alter (s. Kap. 3.1, Kap. 4.2) berücksichtigen. Bei Operationen am Auge in Allgemeinanästhesie wird häufig eine sedierende und anxiolytische Prämedikation mit Benzodiazepinen (z. B. Midazolam 3,75 mg per os oder Dikaliumclorazepat 10–20 mg per os) durchgeführt. Eine
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen sedierende und anxiolytische Prämedikation bei Operationen am Auge in Lokalanästhesie dagegen, vor allem mit Benzodiazepinen, ist aufgrund unerwünschter Wirkungen wie Atemdepression oder zu tiefer Sedierung umstritten. Eine sehr gute Alternative zur Prämedikation mit Benzodiazepinen, besonders für Operationen am Auge in Lokalanästhesie, ist daher aufgrund der fehlenden Gefahr einer Atemdepression die Prämedikation mit Clonidin (150–300 μg per os). Clonidin besitzt sowohl eine anxiolytische als auch eine sedierende Wirkung und führt zudem zu einer Abnahme von arteriellem Blutdruck, Herzfrequenz und intraokularem Druck (Kumar et al. 1992).
6.11.3 Lokalanästhesie Eine Lokalanästhesie für Operationen am Auge kann durch topische Applikation („Tropfanästhesie“) oder Injektion von Lokalanästhetika erreicht werden, wobei die Injektion peri- bzw. retrobulbär erfolgt und mit einem Lidblock kombiniert werden kann. Bei der Oberflächenanästhesie, bei der beispielsweise Lidocain 4 % oder Bupivacain 0,75 % als Gel auf die Cornea aufgetragen wird, kommt es zu einer Anästhesie von Kornea und Konjunktiva, während die Motorik von Auge und Lid erhalten bleibt. Sowohl der Wirkungseintritt als auch die Wirkungsdauer sind bei der Oberflächenanästhesie („Tropfanästhesie“) mit ca. 60 Sekunden bzw. 20 Minuten sehr kurz (Augustin 2001). Die topische Applikation von Lokalanästhetika kann zur Diagnostik, Fremdkörperentfernung und für Kataraktoperationen verwendet werden, wobei die Qualität der Analgesie schlechter als bei der Peri-/Retrobulbäranästhesie ist. Bei der Retrobulbäranästhesie wird ein Lokalanästhetikum, in der Regel über einen transkutanen Einstich am Übergang vom mittleren zum lateralen Drittel des unteren Randes der Orbitahöhle, in den konischen Retrobulbärraum injiziert. Dadurch wird eine Anästhesie von Kornea, Uvea und Konjunktiva mit Aufhebung der Augenmotorik erreicht. Gefürchtete Komplikationen sind die Glaskörperperforation und die Hirnstammanästhesie. Die häufigste Komplikation ist die retrobulbäre Blutung, die in bis zu 1 % der Fälle auftritt. Besonders gefährdet sind Patienten, die Antikoagulanzien einnehmen. Keine Gefahr für eine retrobulbäre Blutung besteht bei der Peribulbäranästhesie, die zudem weniger schmerzhaft als die Retrobulbäranästhesie ist. Bei der Peribulbäranästhesie wird ein Lokalanästhetikum über einen transkutanen Einstich am Übergang vom mittleren zum lateralen Drittel des unteren Randes der Orbitahöhle und einen transkutanen Einstich am Übergang vom mittleren zum medialen Drittel des oberen Randes der Orbitahöhle in den Peribulbärraum injiziert (Boezaart 1998). Die Wirkung tritt verzögert durch Diffusion des Lokalanästhetikums über die Augenmuskeln bis zur Spitze der Orbita ein. Dabei wird häufig eine Kombination aus Lokalanästhetikum und Hyaluronidase verwendet, um die Gewebe-
penetration des Lokalanästhetikums zu verbessern. Nachteil der Peribulbäranästhesie ist der verzögerte Eintritt und die zum Teil unzureichende motorische Blockade der Augenmuskulatur. Obwohl in den meisten Fällen mit einer Lokalanästhesie bei Operationen am Auge zufriedenstellende Operationsbedingungen und eine ausreichende Analgesie erreicht werden kann, sind anästhesiologische Interventionen trotzdem oft notwendig. Daher werden Operationen am Auge in Lokalanästhesie häufig in Anwesenheit eines Anästhesisten bzw. in Anästhesiebereitschaft („Anästhesie-Standby“) durchgeführt.
6.11.4 Anästhesie-Standby (Monitored Anaesthesia Care) Ziel einer anästhesiologischen Überwachung bei Operationen am Auge in Lokalanästhesie ist ein hoher Patientenkomfort bei optimalen operativen Bedingungen. Die Überwachung besteht aus EKG-Monitoring, nicht invasiver Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie und verbaler Kontrolle der Vigilanz und des Befindens des Patienten (Report of the Joint Working Party on Anaesthesia in Ophthalmic Surgery 1993). Die Gabe von Sauerstoff und die Anlage eines periphervenösen Zugangs mit der Möglichkeit der schnellen Intervention bei Komplikationen wie hämodynamischen Zwischenfällen (z. B. Asystolie, Bradykardie oder Hypertension) oder unzureichender Analgesie sind obligat. Zudem ist es bei der anästhesiologischen Überwachung von Operationen am Auge wichtig, intraoperativ unkontrollierte Kopfbewegungen zu vermeiden. Umstritten bei Operationen am Auge in Lokalanästhesie ist das Ausmaß der Analgosedierung. Eine Analgosedierung kann über den gesamten Verlauf der Operation oder nur während der Anlage der Lokalanästhesie durchgeführt werden. Zum Einsatz sollten nur kurz wirksame Substanzen wie Propofol oder Remifentanil kommen, die als Bolus oder kontinuierlich appliziert werden. Die Dosierung muss individuell so gewählt werden, dass es nicht zu unkontrollierten Kopfbewegungen oder zur Atemdepression kommt. Eine Hyperkapnie, hervorgerufen durch zu tiefe Sedierung oder Kohlendioxidretention durch die Operationsabdeckung ist zu vermeiden, da eine Hyperkapnie zu einem Anstieg des intraokularen Drucks führt. Wesentlicher Vorteil des Anästhesie-Standby im Vergleich zur Allgemeinanästhesie ist die schnellere Alltagstauglichkeit älterer Patienten nach Operationen am Auge.
6.11.5 Allgemeinanästhesie Indikationen für Operationen am Auge in Allgemeinanästhesie sind neben Kontraindikationen für eine Lokalanästhesie unkooperative oder unruhige Patienten und lang dauernde intraokulare Eingriffe, vor allem mikrochirurgi-
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6.11 Augenerkrankungen scher Art (z. B. Hornhauttransplantationen), die ein vollkommen ruhig gestelltes Operationsgebiet erfordern. Vor allem bei Operationen am offenen Auge muss bei der Allgemeinanästhesie darauf geachtet werden, dass es nicht zu einem Anstieg des intraokularen Drucks kommt. Dies erfordert bei Narkoseeinleitung eine ausreichend tiefe Anästhesie während der endotrachealen Intubation bzw. dem Einführen der Larynxmaske und eine schonende Narkoseausleitung, um Blutdruckanstiege sowie Husten, Pressen oder Aufbäumen des Patienten und damit einen Anstieg des intraokularen Drucks zu vermeiden. Dies kann prinzipiell mit allen intravenösen und volatilen Anästhetika erreicht werden.
Anästhetika Für die Allgemeinanästhesie bei Operationen am Auge besonders geeignet sind in Anbetracht der meist kurzen Dauer der Eingriffe Anästhetika, die kurz wirksam sind und mit denen sich die Anästhesietiefe schnell und gut steuern lässt. Zur Analgesie eignen sich bei Bolusgabe die Opiate Fentanyl (z. B. 1–2 μg/kg) und Alfentanil (z. B. 10–20 μg/ kg). Empfehlenswert vor allem bei kurzen, wenig schmerzhaften Operationen am Auge ist bei älteren Patienten die kontinuierliche Gabe von Remifentanil (Einleitungsdosis z. B. 0,5 μg/kg/min über 2 Minuten; Erhaltungsdosis z. B. 0,1–0,25 μg/kg/min) aufgrund seines schnellen Wirkungseintritts und -endes (s. Kap. 3.2) (Epple et al. 2001). Besonders geeignet als Einleitungshypnotikum ist Propofol, mit dem bei Narkoseeinleitung schnell eine ausreichende Narkosetiefe erzielt und damit ein Anstieg des intraokularen Drucks vermieden werden kann (s. Kap. 3.3). Die Aufrechterhaltung der Anästhesie kann in Form einer totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) mit Propofol (z. B. 2–4 mg/kg/h) durchgeführt werden. Dabei ist neben der guten Steuerbarkeit die antiemetische Wirkung von Propofol bei Operationen am Auge von Vorteil. Alternativ kann die Anästhesie auch mit volatilen Anästhetika aufrechterhalten werden. Insbesondere die modernen Inhalationsanästhetika Desfluran und Sevofluran erlauben eine sehr gute Kontrolle der Narkosetiefe und bei älteren Patienten ein mindestens genauso schnelles Erwachen wie bei der totalen intravenösen Anästhesie (s. Kap. 3.5). Aufgrund der Diffusion von Lachgas in luftgefüllte Räume und seiner emetischen Wirkung sollte bei Operationen am Auge generell auf den Einsatz von Lachgas verzichtet werden. Bei perforierenden Augenverletzungen, Vitrektomien und Keratoplastiken ist die Verwendung von Lachgas kontraindiziert.
Merke
Muskelrelaxanzien Bei Operationen am Auge müssen durch eine ausreichende Anästhesietiefe und Muskelrelaxierung Bewegungen der Augen und des Kopfes sicher verhindert werden. Zur Relaxierung eignen sich besonders kurz wirkende nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien wie Mivacurium, Atracurium oder Vecuronium (s. Kap. 3.4). Aufgrund seiner kurzen Wirkdauer wird Mivacurium vor allem bei Operationen am offenen Auge bevorzugt eingesetzt, da es bei kontinuierlicher Gabe (initialer Bolus 0,2 mg/kg, Erhaltungsdosis ca. 6 μg/kg/min) eine Vollrelaxierung mit anschließend schneller Aufhebung der neuromuskulären Blockade erlaubt. In Kombination mit volatilen Anästhetika ist eine Reduktion der Erhaltungsdosis von Mivacurium (ca. 4 μg/kg/min) erforderlich. Die kontinuierliche Gabe von Mivacurium sollte nur unter relaxometrischer Kontrolle des Grades der neuromuskulären Blockade durchgeführt werden. Auf spezielle Indikationen (z. B. Rapid Sequence Induction) sollte der Einsatz des depolarisierenden Muskelrelaxans Succinylcholin wegen Erhöhung des intraokularen Drucks beschränkt werden. Bei Patienten mit Glaukom oder mit perforierender Augenverletzung ist die Verwendung von Succinylcholin kontraindiziert.
Atemwegsmanagement Da bei Eingriffen am Auge die Atemwege intraoperativ nicht mehr zugänglich sind, können Maskennarkosen nur bei diagnostischen Untersuchungen oder sehr kurzen Eingriffen, bei denen jederzeit der Zugang zu den Atemwegen möglich ist, durchgeführt werden (s. Kap. 5.5). In der Regel erfolgt die Sicherung der Atemwege durch endotracheale Intubation oder Einführen einer Larynxmaske. Da intraoperativ die Atemwege nicht mehr oder nur schwer zugänglich sind, muss auf eine gute Fixierung der Larynxmaske bzw. des endotrachealen Tubus geachtet werden. Bei Verwendung einer Larynxmaske ist die ProSeal-Larynxmaske aufgrund der geringeren Gefahr einer Dislokation der Classic-Larynxmaske vorzuziehen. Verglichen mit der endotrachealen Intubation verursacht die Larynxmaske seltener und zudem geringere Anstiege des intraokulären Drucks in der Ein- und Ausleitungsphase (Whitford et al. 1997). Außerdem sind bei Verwendung der Larynxmaske die stressbedingten negativen Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System geringer als bei der endotrachealen Intubation, was insbesondere bei älteren Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen von Vorteil ist.
Merke
Bei Operationen am Auge sollte generell auf den Einsatz von Lachgas verzichtet werden.
Bei Operationen am Auge wird die Larynxmaske bevorzugt, falls keine Kontraindikationen für ihre Verwendung (z. B. erhöhtes Aspirationsrisiko) vorliegen.
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen
Intraokularer Druck
6.11.6 Wahl des Anästhesieverfahrens Bei älteren Patienten, die sich einer Operation am Auge unterziehen, ist die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen sehr hoch. Daher muss die Vermeidung perioperativer myokardialer Ischämien bei der Wahl des Anästhesieverfahrens berücksichtigt werden. Nach derzeitigem Wissensstand treten bei Operationen am Auge unter Lokalanästhesie seltener myokardiale Ischämien als unter Allgemeinanästhesie auf (Glantz et al. 2000). Auch aufgrund anderer Vorteile der Lokalanästhesie sollten bei älteren Patienten Operationen am Auge soweit möglich in Lokalanästhesie durchgeführt werden (Tab. 6.22). Ist es erforderlich, eine Allgemeinanästhesie durchzuführen, ist der Atemwegszugang der Wahl die Larynxmaske, die geringere negative Wirkungen auf die Hämodynamik als die endotracheale Intubation hat.
Das Auge entspricht vereinfacht einem Hohlkörper mit unelastischer Wand. Bei Zunahme des Inhalts steigt der Druck im Hohlkörper. Der intraokulare Druck liegt normalerweise zwischen 8 und 20 mmHg. Ist der intraokuläre Druck erhöht, kann es bei eröffnetem Auge (operativ oder traumatisch) vom Austritt von Kammerwasser bis hin zur Protrusion des Iris-Linsen-Diaphragmas kommen. Bei geschlossenem Augapfel führt ein erhöhter Augeninnendruck zu einer Ischämie der Retina mit dauerhafter Schädigung bis hin zum Visusverlust des betroffenen Auges. Eine Erhöhung des intraokulären Druckes kann z. B. durch eine Abflussstörung des Kammerwassers, wie er beim Glaukom vorliegt, oder anästhesiologische Maßnahmen verursacht werden (Tab. 6.23).
Kernaussagen
6.11.7 Besonderheiten bei ophthalmochirurgischen Eingriffen Okulokardialer Reflex
●
Druck auf den Augapfel oder Zug an den Augenmuskeln können kardiale Arrhythmien, von der Sinusbradykardie bis hin zur Asystolie, auslösen. Ursache ist der von Aschner 1908 erstmals beschriebene okulokardiale Reflex, dessen afferenter Schenkel der Nervus trigeminus ist. Nach Umschaltung im Ganglion Gasseri verläuft die Efferenz über den Hirnstamm und den Nervus vagus. Auch wenn der okulokardiale Reflex am häufigsten bei Schieloperationen im Kindesalter auftritt, kann er auch bei älteren Patienten und bei jeder Operation am Auge ausgelöst werden. Die Prophylaxe des okulokardialen Reflexes durch eine Retrobulbärblockade oder die Gabe von Anticholinergika wie Atropin ist umstritten. Die Therapie des okulokardialen Reflexes besteht in der Unterbrechung des chirurgischen Reizes und der Gabe von Atropin. Dabei muss bei älteren Patienten die oft verlängerte Kreislaufzeit berücksichtigt werden.
Tabelle 6.22
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Bei Operationen in der Augenheilkunde ist ein sehr hoher Anteil an älteren Patienten charakteristisch. Daher ist der präoperativen Evaluierung von Vorerkrankungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Lokalanästhesie am Auge kann durch topische Applikation („Tropfanästhesie“), Retrobulbäranästhesie oder Peribulbäranästhesie erfolgen. Auch bei in Lokalanästhesie durchgeführten Operationen am Auge ist die Anwesenheit eines Anästhesisten bzw. ein „AnästhesieStandby“ notwendig. Besondere Anforderung an die Anästhesie bei Operationen am Auge ist die Vermeidung von unkontrollierten Kopfbewegungen. Bei Notwendigkeit einer Allgemeinanästhesie ist der Einsatz der Larynxmaske zu bevorzugen (seltener Anstiege des intraokularen Druck, weniger stressbedingte negative Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System).
Vor- und Nachteile der Lokalanästhesie im Vergleich zur Allgemeinanästhesie bei Operationen am Auge.
Vorteile der Lokalanästhesie
Nachteile der Lokalanästhesie
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seltener perioperative myokardiale Ischämien
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weniger Einfluss auf den intraokularen Druck
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seltener okulokardialer Reflex
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bei langer Operationsdauer kontraindiziert
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gute postoperative Analgesie
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Kooperation des Patienten notwendig
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weniger postoperative Übelkeit und Erbrechen
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keine Sicherheit vor Bewegungen und Husten des Patienten
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kürzere postoperative Überwachung
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keine Kontrolle über Atmung
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frühere postoperative Alltagstauglichkeit
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Komplikationen durch Applikation der Lokalanästhetika
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kürzere Krankenhausverweildauer
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geringere Kosten
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Literatur Tabelle 6.23
Anästhesie bei Operationen am Auge und intraokularer Druck (IOD ≈ 8–20 mmHg).
Zunahme des IOD
Abnahme des IOD
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endotracheale Intubation
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Hypnotika
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Succinylcholin
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nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien
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Ketamin
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Sedativa
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Husten, Pressen, Erbrechen
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Inhalationsanästhetika
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unzureichende Anästhesietiefe
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Dehydrobenzperidol (DHB)
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arterielle Hypertonie
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Osmodiuretika
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venöse Stauung im Kopfbereich
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Oberkörperhochlagerung
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Hypoventilation/Hyperkapnie
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Hyperventilation
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Anstieg des zentralen Venendrucks
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Carboanhydrasehemmer z. B. Azetazolamid
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PEEP-Beatmung
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hyperbare Oxygenierung
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6.12 Trauma im Alter M. Bernhard, M. H. Hessmann, A. Gries
6.12.1 Einführung und Epidemiologie Die Alterstraumatologie wird durch die fortschreitende Veränderung in der Altersstruktur unserer Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten eine zunehmende Rolle spielen. Ältere Menschen bleiben in unserer Gesellschaft zunehmend unabhängig und führen aufgrund der Verbesserungen in der medizinischen Versorgung einen aktiven Lebensstil. Hiermit assoziiert ist aber ein erhöhtes Risiko für ein Trauma im Lebensalltag oder im Rahmen der Freizeitbeschäftigung (Victorino u. Chong 2003). Unter Berücksichtigung der Daten des Statistischen Bundesamtes zur Bevölkerungsentwicklung wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2050 rund doppelt so viele 70Jährige und dreimal so viel 90-Jährige leben wie heute. Über 50 % der Bevölkerung wird dann älter als 52 Jahre sowie ein Drittel älter als 65 Jahre sein. Vor diesem Hintergrund ist mit einer Fallzahlsteigerung z. B. bei Patienten mit hüftgelenksnahen Frakturen zu rechnen. Bei 90 000 Patienten im Jahr 2005 gehen Schätzungen von einer Steigerung um 70 % bis zum Jahr 2050 aus (Lohmann et al. 2007). Zu den weiteren wichtigen Verletzungen des betagten Menschen zählen Frakturen des Handgelenkes, des proximalen Humerus sowie Rippen- und Wirbelsäulenfrakturen (Lohmann et al. 2007, Lewis et al. 2007) (Abb. 6.4).
Unter Berücksichtigung der physiologischen Veränderungen im Alter erleiden Senioren im Vergleich zu jüngeren Menschen schwerwiegende Verletzungen bereits bei geringer Krafteinwirkung. Im Gegensatz zu jungen Traumapatienten finden sich als Ursache der Verletzungen im zunehmenden Alter keine Hochrasanztraumen, sondern vorwiegend niedrig-energetische Traumen, wie z. B. Stürze aus geringer Höhe (Wutzler et al. 2008, Nijboer et al. 2008) (Abb. 6.5). Entsprechende Unfallkonstellationen sind Folge eines unsicheren Ganges, Störungen der Balance, verminderter Muskel- und eingeschränkter Sehkraft, orthostatischer Reaktionen oder verlängerter Reaktionszeit und können trotz eines scheinbar geringen Traumas zu schweren Verletzungen führen.
Cave
Als Ursachen von Stürzen oder anderen Unfallkonstellationen müssen immer ein Myokardinfarkt, ein zerebrovaskuläres Ereignis, ein epileptischer Anfall und eine Hypoglykämie ausgeschlossen werden. Eine schwerwiegende Traumatisierung entsteht bei eigentlich geringer Krafteinwirkung aufgrund eines Abbaus der Körpermuskulatur und der Muskelstärke, einer vorbestehenden Osteoporose als alterstypische Verände-
Abb. 6.4 Analyse des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zur Lokalisation relevanter Verletzungen (AIS ≥ 3) in Abhängigkeit vom Patientenalter. Dargestellt ist die prozentuale Häufigkeit von Verletzungen der verschiedenen Körperregionen in Abhängigkeit vom Patientenalter. Mit zunehmenden Patientenalter nimmt die Häufigkeit von Thoraxund Abdominalverletzungen ab, und die Häufigkeit von Schädel-Hirntraumen sowie Extremitätenverletzungen zu (Quelle: Wutzler et al. 2008).
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6.12 Trauma im Alter
Abb. 6.5 Analyse des Traumaregisters der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zur Unfallursache in Abhängigkeit vom Patientenalter. Dargestellt ist die prozentuale Häufigkeit verschiedener Unfallursachen in Abhängigkeit vom Patientenalter. Mit zunehmendem Patientenalter nehmen motorisierte Verkehrsunfälle ab, und Fahrrad-/Fußgängerunfälle sowie Stürze aus < 3 m zu (Quelle: Wutzler et al. 2008).
rung des Knochengewebes mit einem assoziierten erhöhten Frakturrisiko sowie einer eingeschränkten Gelenksfunktion (s. Kap. 2.7) (Schmidbauer et al. 2008). Daher weisen ältere Traumapatienten auch eine Tendenz zu komplexen und mehreren Frakturen auf. Diese finden sich bei rund 10 % der Traumapatienten und gehen mit einer Mortalität von 12 % und mit pulmonalen Komplikationen in 35 % einher. Bei älteren Patienten steigt die Häufigkeit von Rippenfrakturen im Verletzungsmuster bis zu 60 % deutlich an. Es findet sich hingegen eine vergleichbare Inzidenz von isolierten Abdominaltraumen bei jungen und älteren Patienten, jedoch mit deutlich weniger Verletzungen solider Organe (Wutzler et al. 2008). Azetabulumfrakturen im Alter sind seltene Verletzungen, die Inzidenz ist jedoch steigend (Hessmann et al. 2002). Deutlich häufiger im Alter als bei jungen Menschen finden sich isolierte und kombinierte Schädel-Hirn-Traumata. Insbesondere ältere Patienten mit einer Langzeitantikoagulation sind gefährdet, nach einem Sturz eine schwere Hirntraumatisierung bzw. eine intrazerebrale Blutung zu erleiden, die mit einer hohen Mortalität einhergeht (Pieracci et al. 2007a). Dabei wirkt sich eine Langzeitantikoagulation insbesondere ab einem INR > 2 deutlich auf die Mortalität aus (Pieracci et al. 2007b).
Merke
Der Gerinnungsstatus von älteren Traumapatienten muss in der Notfallaufnahme und im weiteren innerklinischen Verlauf kontrolliert und ggf. optimiert werden. In der perioperativen Phase werden Anästhesist und Chirurg häufig mit hochkomplexen und multimorbiden Patienten konfrontiert (s. Kap. 4.1). Die Rekonvaleszenz verläuft protrahiert, Morbidität und Mortalität sind erhöht (Lewis et al. 2007). Eine Untersuchung an 200 000 Patienten zeigte, dass mit einer erhöhten Mortalitätsrate bereits ab dem 40. Lebensjahr zu rechnen ist (Morris et al. 1990). Dabei ist bisher nicht eindeutig klar, ob dies durch die größere Komorbidität oder allein durch die physiologisch reduzierten Reserven zu erklären ist. Ein höheres Lebensalter wird von einigen Autoren per se als Risikofaktor aufgefasst. Darüber hinaus erklärt eine höhere Komplikationsrate die gesteigerte Mortalität (Victorino u. Chong 2003, Gowing u. Jain 2007). Auch beim Polytrauma stellt das Alter eine unabhängige Variable für ein schlechtes Überleben dar (Matthes et al. 2005). Die Ursachen hierfür sind multifaktoriell: die reduzierte Immunabwehr, eine schlechtere Wundheilung (z. B. infolge eines
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen Diabetes mellitus), systemische Begleiterkrankungen wie koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz und COPD werden ebenso wie die häufig vorbestehende Malnutrition angeführt. Wissenschaftliche Arbeiten weisen auf weniger Eingriffe beim älteren Traumapatienten hin. Ob eine entsprechend zurückhaltende operative Strategie wirklich sinnvoll ist, wird aktuell allerdings auch vor dem Hintergrund ethischer Aspekten kontrovers diskutiert (Wutzler et al. 2008, Ricou u. Merlani 2008, Rommens et al. 2000). Unter dem Gesichtspunkt, dass Patienten auch im Alter zunehmend aktiv sind und eine entsprechende Erwartungshaltung haben, erscheint eine zurückhaltende Therapie fragwürdig. Des Weiteren entscheidet das Ausmaß der funktionellen Wiederherstellung nach Trauma darüber, ob betagte Patienten in ihre häusliche Umgebung zurückkehren können, oder ob sie dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen sind oder gar pflegebedürftig werden.
6.12.2 Pathophysiologie und Komorbidität Der ältere Mensch kann eine akute Traumatisierung aufgrund altersbedingter Veränderungen des kardiopulmonalen Systems wie z. B. ein eingeschränktes Schlagvolumen, eine geringere maximale Herzfrequenz und einen höheren peripheren Gefäßwiderstand nur eingeschränkt kompensieren. Eine Abnahme des Herzzeitvolumens, eine Reduktion des maximalen koronaren Blutflusses, eine Abnahme der adrenergen Stimulation auf Stress und eine Reduktion der Ventrikelcompliance bei gleichzeitiger Linksherzhypertrophie durch erhöhte Nachlast sind häufig zu finden. Auf endo- und exogene Reize kann mit einer Steigerung der kardialen Auswurfsleistung nur eingeschränkt reagiert werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Indikation zu einem erweiterten intraoperativen Monitoring zur Steuerung der Volumentherapie und zum differenzierten Einsatz kardiovaskulär wirkender Medikamente großzügiger als beim jungen Patienten zu stellen ist. Neben dem invasiv gemessenen arteriellen Blutdruck und dem zentralen Venendruck kann das Monitoring weiterführender Parameter bei bestimmten Patienten (z. B. mittels Pulmonaliskatheter) sinnvoll erscheinen. Die intraoperative transösophageale Echokardiografie als semiinvasives Verfahren hat hier einen zunehmenden Stellenwert.
Merke
Die Indikation zum differenzierten hämodynamischen Monitoring ist beim älteren Traumapatienten großzügiger als beim jungen Patienten zu stellen. Dabei kann gerade bei älteren Traumapatienten die eingenommene Begleit- bzw. Hausmedikation (s. Kap. 4.2) von Bedeutung sein (Victorino et al. 2003). Viele ältere Patienten nehmen β-Blocker ein, die eine Bedarfstachykardie bei Hypovolämie als typisches Symptom eines
(Blutungs-)Schocks kaschieren können. Durch ein physiologisch bereits reduziertes Blutvolumen, eine häufig bestehende Exsikkose oder intravasale Hypovolämie infolge einer vorbestehenden Diuretikatherapie bzw. einer reduzierten Trinkmenge ist der ältere Traumpatient durch Volumenverluste besonders gefährdet (s. Kap. 5.4). Ein häufig reduziertes Unterhautfettgewebe und eine eingeschränkte Wärmeregulation erklärt die größere Gefahr einer Hypothermie. Shivering bei nicht anästhesierten Patienten mit eingeschränkter kardiovaskulärer Reserve kann zu einer Myokardischämie führen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass viele ältere Traumapatienten die Klinik bereits hypotensiv und hypotherm erreichen. Dabei gehen ein Basendefizit größer als 6 mmol/l und ein ansteigender Serumlaktatspiegel als Zeichen einer Hypoperfusion mit einer erhöhten Mortalität einher (Davis u. Kaups 1998, Schulman et al. 2002). Die Kontrolle der Blutgase erfolgt daher engmaschig mit dem Ziel, durch einen ausgewogenen Volumen- und Flüssigkeitsersatz einer Hypovolämie entgegenzuwirken. Ein an den Eingriff und die Grunderkrankungen angepasstes perioperatives Monitoring und eine entsprechende konsequente Therapie können das Outcome verbessern (Lewis et al. 2007). Bei älteren Patienten mit eingeschränkten Kompensationsmöglichkeiten besteht allerdings die Gefahr, durch eine forcierte Volumentherapie eine Hypervolämie mit Linksherzinsuffizienz und Lungenödem zu induzieren (s. Kap. 5.4). Auch vor dem Hintergrund von „Fast Track-Konzepten“ sollte eine Überinfusion vermieden werden. Neben dem vorsichtigen Ausgleich der Hypovolämie über eine adäquate Volumensubstitution sollte daher auch der Einsatz von Katecholaminen erwogen werden. Der gerade nach Narkoseeinleitung durch die kardiodepressiven und vasodilatorischen Effekte zahlreicher Anästhetika demaskierten Hypovolämie und Hypotension ausschließlich mit Volumen zu begegnen, erscheint daher ungünstig. Vielmehr sollten hier neben gut steuerbaren alphamimetischen Substanzen ggf. auch β-Sympathomimetika zum Einsatz kommen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Komorbidität und der eingeschränkten Kompensationsmöglichkeiten gelten gegenüber jungen Traumapatienten häufig höhere Transfusionstrigger und ein Hämoglobinwert von 8–10 g/ dl bzw. von über 10 g/dl bei Patienten mit Schädel-HirnTrauma wird angestrebt (Habler et al. 2006). Insbesondere bei Eingriffen an großen Röhrenknochen, der Wirbelsäule und dem Becken müssen ausreichend Blutprodukte auch bei elektiven Eingriffen bereitgestellt werden. An den Einsatz eines „Cellsavers“ ist bei zu erwartenden größeren Blutverlusten immer zu denken, eine Eigenblutspende bei elektiven Eingriffen zu erwägen (s. Kap. 5.4). Die respiratorische Funktion ist bei älteren Patienten durch die Abnahme der Lungencompliance und Vitalkapazität ebenfall beeinträchtigt. FEV1, FVC und der maximale expiratorische Spitzenfluss sind reduziert, die Diffusionskapazität verändert und das Closing Volume erhöht (s. Kap. 2.3). Ein entsprechend ungünstiges VentilationsPerfusionsverhältnis führt zu einer erhöhten Atemarbeit.
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6.12 Trauma im Alter Die erhöhte Notwendigkeit zur (Nach-)Beatmung geht mit einer höheren Inzidenz Ventilator-assoziierter Pneumonien, einer längeren Intensivtherapiedauer und einer höherer Morbidität und Mortalität einher. Grundsätzlich sind insbesondere beim schweren Schädel-Hirn- bzw. Gesichts- und Hals-Trauma relevante verletzungsbedingte Schwierigkeiten bei der Sicherung der Atemwege möglich. Durch eine bis zum Ausschluss eines möglichen Wirbelsäulen- bzw. Rückenmarktraumas konsequent durchgeführte Immobilisation der Halswirbelsäule kann die Sicherung der Atemwege infolge einer verminderten Mundöffnung und einer reduzierten Reklination weiter erschwert werden. Darüber hinaus sind altersbedingte und degenerative Veränderungen der knöchernden und bindegewebigen Strukturen im Kopf-HalsBereich und eine eingeschränkte Beweglichkeit im Atlanto-Okzipitalgelenk wie beispielsweise beim Morbus Bechterew zu berücksichtigen (Schälte et al. 2007).
6.12.3 Anästhesiologisches Management Bislang wurde kein klarer Vorteil der Regionalanästhesie im Vergleich zur Allgemeinanästhesie nachgewiesen und grundsätzlich kommen beide Verfahren beim älteren Traumapatienten zum Einsatz (Lewis et al. 2007). Isolierte Frakturen der oberen und unteren Extremität können je nach Lokalisation sowohl in Plexusanästhesie als auch in Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Je nach erwarteter Operationsdauer und geplantem Verfahren zur postoperativen Schmerztherapie können hier neben peripheren auch rückenmarksnahe (Katheter-) Techniken zur Anwendung kommen. Berücksichtigt werden müssen aber in jedem Fall bestehende Kontraindikationen und eine bei vielen älteren Patienten bestehende Antikoagulation (z. B. bei Vorhofflimmern) bzw. die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern (s. Kap. 4.2). Die aktuellen entsprechenden Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin zur Durchführung einer rückenmarksnahen Anästhesie sind zu berücksichtigen (Gogarten et al. 2007). Zur Anlage einer Spinal- bzw. Periduralanästhesie sind ferner die für die Patienten z. T. schmerzhaften Lagerungsmanöver (z. B. Seitlagerung) zu berücksichtigen, die teilweise erst nach Analgosedierung durchgeführt werden können. Bei geplanter Allgemeinanästhesie ist zu berücksichtigen, dass Traumapatienten häufig als nicht nüchtern anzusehen sind und eine Regurgitation mit Aspiration vermieden werden muss. Eine extensive und zeitaufwendige präoperative Vorbereitung ist insbesondere bei Patienten mit Schenkelhals- und proximalen Femurfrakturen nicht sinnvoll (s. Kap. 4.1). Auch wenn bei diesen Frakturen keine Indikation zur sofortigen Notfalloperation besteht, ist die operative Versorgung als dringlicher Eingriff, der innerhalb von 24 Stunden vorzunehmen ist, anzusehen. Die durch die instabile Fraktursituation bedingte Immobilität führt zu
einer rapiden Verschlechterung des Allgemeinzustandes und geht mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher (Rommens 2000). Deshalb muss präoperativ abgeklärt werden, ob sich der Allgemeinzustand des Patienten innerhalb von wenigen Stunden verbessern lässt. Ist dies nicht der Fall, sollten diagnostische und therapeutische Maßnahmen nicht zu einer Verzögerung bei der operativen Versorgung führen. Neben einer möglichen Nachblutung müssen das insbesondere postoperativ erhöhte Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses und respiratorische Probleme bei älteren Patienten berücksichtigt werden. Eine je nach Eingriff engmaschige Kontrolle der Blutgase und des Hb-Wertes erfolgt ebenso wie die Kontrolle der Drainageverluste, der Wundverhältnisse, der Diurese und des neurologischen Status. Gerade ältere Patienten müssen einer intensiven Atemtherapie (z. B. Inhalationstherapie, CPAP-Therapie) im postoperativen Verlauf zugeführt werden (s. Kap. 5.6). Zur Optimierung der Atemmechanik und der Bronchialtoilette (z. B. schmerzfreies Abhusten) ist eine effektive Schmerztherapie wesentliche Voraussetzung. Bei älteren Traumapatienten mit Rippenfrakturen gilt die Anlage eines thorakalen Periduralkatheters (PDK) mit nachfolgender Regionalanästhesie als Methode der Wahl. Im Vergleich zur intravenösen Schmerztherapie konnte eine verminderte Inzidenz von Pneumonien und eine Reduktion der Mortalität gezeigt werden (Wisner 1990). In Patientenkollektiven älterer Traumapatienten fanden sich darüber hinaus keine schweren Komplikationen bei Entfernung des PDK innerhalb von 5 Tagen.
6.12.4 Schockraummanagement Die effektive, rasche und prioritätenorientierte Schockraumversorgung von Traumapatienten kann die Prognose und das neurologische Ergebnis verbessern und die Mortalität senken. Verbindliche Behandlungsalgorithmen können das frühe Management dieser Patienten deutlich optimieren (Bernhard et al. 2007). Jede Klinik, die polytraumatisierte Patienten aufnimmt, muss daher zahlreiche organisatorische Bedingungen erfüllen, um eine effektive Versorgung sicherstellen zu können. Die Schockraumversorgung führt dabei die prähospital notärztlich begonnene Versorgung fort und führt den Traumapatienten umgehend einer spezifischen Diagnostik und notwendigen Therapie nach allgemein gültigen Prinzipien zu (Gries et al. 2003, Bernhard et al. 2006). Als „Lethal Triad“ wurde bei Traumapatienten die Hypothermie, Azidose und Koagulopathie identifiziert. Im Rahmen der innerklinischen Versorgung (schwer-)verletzter Traumapatienten muss dieser Konstellation aggressiv entgegengewirkt werden. Zielwerte zur Optimierung der Gerinnung und zur Reduktion von Koagulopathien sind definiert worden (Grottke et al. 2007, Spahn et al. 2007): ● Vermeidung einer Hypothermie bzw. Aufrechterhaltung einer Normothermie mit dem Ziel einer Körperkerntemperatur ≥ 34 °C (ggf. Wärmedecken, warme Infusionslösungen, Wärmeinfusionsgeräte)
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6 Intraoperatives Management – typische Erkrankungen und Operationen pH > 7,15 (ggf. Pufferung mit Natriumbikarbonat bzw. TRIS-Puffer) Kalzium (Ca2+) > 0,9 mmol/l (ggf. Ca2+-Subsitution) Hb ≥ 10 g/dl oder Hämatokrit (Hkt) > 30 % (ggf. Transfusion von Erythrozytenkonzentraten, EK) Thromboplastinzeit (Quick) > 50 % (ggf. Transfusion von FFP, bzw. Prothrombinkomplex) aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) < 50 s Fibrinogen ≥ 150 mg/dl (ggf. Gabe von Fibrinogen) Thrombozyten ≥ 50 000/μl (ggf. Transfusion von Thrombozytenkonzentraten, THK)
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Die initiale Therapie im frühen innerklinischen Management besteht daher in einer raschen Diagnostik des Verletzungsmusters und einer schnellen chirurgischen Therapie der Blutungsquelle (Zeitfaktor), einer Kontrolle der Blutgase (inkl. Hb, Elektrolyte, Base Exzess, Serumlaktat), der Stabilisierung des systolischen Blutdrucks auf 90 mmHg (Ausnahme bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma, hier systolischer Blutdruck > 120 mmHg), bzw. nach Beherrschung der Blutungsquelle die Stabilisierung auf dem gewohnten Blutdruckniveau des Patienten und ggf. die Unterbrechung einer Hyperfibrinolyse. Der Einsatz bettseitiger Verfahren zum Monitoring der Gerinnungsfunktion und zur Steuerung der Substitution (z. B. Rotationsthrombelastografie, ROTEG) kann wertvolle Hilfe leisten (Grottke et al. 2007).
Kernaussagen ●
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Die Alterstraumatologie wird durch die fortschreitende Veränderung in der Altersstruktur unserer Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten eine zunehmende Rolle spielen und zu einer erheblichen Fallzahlsteigerung führen. Bereits eine niedrige Krafteinwirkung kann bei Älteren zu schwerwiegenden Verletzungen führen. Unfallursächlich sind hier weniger häufig Hochrasanztraumen, sondern Stürze aus geringer Höhe. Unfallbegleitende bzw. -auslösende Ereignisse wie Myokardinfarkte, zerebrovaskuläre Ereignisse, epileptische Anfälle und Hypoglykämien müssen bei jedem älteren Traumapatienten ausgeschlossen werden. Extremitätenfrakturen und Wirbelsäulenverletzungen dominieren das Verletzungsmuster. Weniger häufig finden sich isolierte Thoraxverletzungen oder Abdominaltraumen, häufiger Schädel-Hirn-Traumen. Der Anästhesist ist in der Alterstraumatologie neben der eigentlichen Verletzung mit einem breiten Spektrum an Begleiterkrankungen und deren Therapie konfrontiert, die auch in der Auswahl des geeigneten Narkoseverfahrens Einfluss nehmen. Die kardiovaskulären und respiratorischen Veränderungen und Einschränkungen müssen Berücksichtigung finden und ein entsprechend invasives perioperatives Monitoring kann notwendig sein. Im Schockraummanagement stehen die effektive, rasche und prioritätenorientierte Stabilisierung der Vital-
funktionen, Diagnostik und Therapieeinleitung im Vordergrund. Managementfehler und Zeitverzögerungen haben Einfluss auf die Prognose. Einer begleitenden Hypothermie, Azidose und Koagulopathie muss entgegengewirkt werden.
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Postoperatives Management 7.1
Aufwachraumphase
7.2
Postoperative Schmerztherapie
7.3
Palliativmedizin
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7.1 Aufwachraumphase J. Roggenbach, M. A. Weigand, S. Hofer
7.1.1 Einführung Die postoperative Phase stellt einen besonders kritischen Zeitraum für perioperative Komplikationen bei geriatrischen Patienten dar. Das hohe Risiko postoperativer Komplikationen bei dieser in der Bevölkerungsstruktur zunehmenden Patientengruppe (Alter > 65 Jahre) erklärt sich durch eine oftmals reduzierte Toleranz und Kompensationsfähigkeit des Organismus im Senium für akute Veränderungen der physiologischen Homöostase. Die erhöhte Inzidenz chronischer internistischer, vaskulärer und neurologischer Vorerkrankungen stellen weitreichende Anforderungen an die Adapatationsfähigkeit älterer Menschen dar. Besonders in der frühen postoperativen Phase sollte berücksichtigt werden, dass der Metabolismus und der Abbau zahlreicher perioperativ applizierter Pharmaka bei älteren Patienten häufig verlangsamt ist (s. Kap. 3.1). Darüber hinaus führt eine im Alter physiologischerweise reduzierte Albuminkonzentration im Blut sowie eine Abnahme des Körperwassers und Körperfettgehalts im Senium per se schon zu relativ erhöhten wirksamen Medikamentenserumspiegeln und zu einem geringerem Verteilungsvolumen der intra- und postoperativ applizierten Medikamente. Zusätzlich sind relativ niedrige Plasmakonzentrationen vieler Pharmaka oftmals ausreichend, um klinisch relevante Effekte zu erzielen, was in einer unerwartet ausgeprägten und verlängerten Wirkdauer applizierter Pharmaka resultieren kann. Daraus lässt sich die Notwendigkeit zu einer sorgfältigen, im Zweifelsfall auch längeren postoperativen Überwachung und entsprechend früherer Intervention bei drohenden Komplikationen ableiten. Von essenzieller Bedeutung in der frühen postoperativen Phase haben sich insbesondere kardiovaskuläre, pulmonale sowie neurologische Komplikationen als häufigste Ursache einer erhöhten perioperativen Morbidität, verlängertem Aufenthalt im Aufwachraum und verzögerter Rekonvaleszenz herauskristallisiert.
7.1.2 Kardiovaskuläre Komplikationen Bei Patienten im Senium treten kardiovaskuläre Komplikationen mit hoher Inzidenz auf. Physiologischerweise nimmt im Alter die Intimadicke der größeren Gefäße zu, was zu einer Versteifung und folgender Compliancereduktion des Gefäßsystems führen kann (Sear u. Higham 2002). Mit zunehmendem Alter kommt es zu einem gra-
duellen Anstieg des systolischen Blutdrucks (s. Kap. 2.2). In der Folge kommt es zu einem Anstieg der linksventrikulären Wandspannung mit konsekutiver Zunahme der Ventrikeldicke. Die diastolische Compliance und Füllung vermindert sich im Alter, vermutlich als Konsequenz einer erhöhten Nachlast und einer myokardialen Hypertrophie mit progredienter Fibrose (Tonner et al. 2003). Die Inzidenz für eine klinisch relevante Arteriosklerose nimmt im Senium zu. Im höheren Alter sinkt dementsprechend die Toleranz für außergewöhnliche physische Belastungen des Herzkreislaufsystems.
Merke
Durch die hohe Prävalenz kardiovaskulärer Risikofaktoren ist in der perioperativen Phase insbesondere mit folgenden kardiovaskulären Komplikationen zu rechnen: ● perioperativer Herzinfarkt ● Herzrhythmusstörungen ● Herzinsuffizienz
Perioperativer Myokardinfarkt Ältere Menschen (> 70 Jahre) haben ein erhöhtes Risiko für perioperative myokardiale Ischämien (Inzidenz bis zu 10 %, Oscarsson et al. 2004). In zahlreichen Studien konnte sowohl eine erhöhte Kurz- als auch Langzeitmortalität bei Patienten mit perioperativem Myokardinfarkt nachgewiesen werden. Risikofaktoren sind ein Diabetes mellitus, eine Niereninsuffizienz, eine präexistente koronare Herzerkrankung (KHK), ein arterieller Hypertonus sowie eine reduzierte Herzleistung und riskante Operationen. Intraoperative Risikofaktoren, welche mit einem perioperativem Myokardinfarkt assoziiert wurden: ● Hochrisiko-Eingriffe ● Notfalloperationen ● Allgemeinanästhesie ● gefäßchirurgische Eingriffe ● hohe intraoperative Blutverluste ● supraventrikuläre Tachykardien (SVT) ● intraoperative Hypotonie ● Hypoxämie ● niedrige prä- und postoperative Hämoglobinkonzentrationen ● intraoperative Bluttransfusion
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7 Postoperatives Management Vorerkrankungen, die mit einem erhöhten Risiko eines perioperativen Myokardinfarktes assoziiert sind: ● Herzklappenerkrankungen ● koronare Herzkrankheit (KHK) ● Herzinsuffizienz in der Anamnese ● reduzierte linksventrikuläre Auswurfleistung ● zerebrovaskuläre Erkrankungen ● insulinabhängiger Diabetes mellitus ● präoperatives Serumkreatinin > 2,0 mg/dl ● arterieller Hypertonus ● Alter > 70 Jahre Im Gegensatz zu nicht perioperativen Myokardischämien und -infarkten sind perioperative Myokardischämieinfarkte und nicht ischämische Myokardschäden klinisch in den meisten Fällen nur wenig oder sogar ganz asymptomatisch. ST-Streckenhebungen im EKG treten nur äußerst selten auf, und ST-Senkungen sind oftmals nur von transienter Natur und nicht sehr spezifisch für myokardiale Ischämien. Thorakale Schmerzen werden von den Patienten nur relativ selten angegeben, und die Patienten sind größtenteils klinisch oftmals beschwerdefrei. Der Nachweis erhöhter herzspezifischer Proteine im Serum hatte in zahlreichen Studien nur eine Spezifität von 75 % für einen perioperativen Myokardinfarkt und sollte daher nicht als Screening-Instrument eingesetzt werden (Fleisher et al. 2007). Dies erklärt sich durch den Umstand, dass insbesondere in der perioperativen Phase zahlreiche pathophysiologischen Veränderungen, einzeln oder additiv, zu einer relevanten Myokardschädigung mit konsekutiver Troponinfreisetzung führen können, unabhängig davon, ob eine strukturelle Herzerkrankung präexistent ist oder nicht. Aktuell stehen keine klinischen oder serologischen Marker zur Verfügung, um eine perioperative myokardiale Ischämie mit hinreichender Spezifität zu identifizieren. Der Nachweis erhöhter herzspezifischer Marker im Serum sollte deshalb immer Anlass geben, in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit für einzelne perioperative Komplikationen, andere potenziell lebensbedrohliche Ereignisse auszuschließen. So sind z. B. bei Patienten mit leerer kardiovaskulärer Anamnese erhöhte Troponinwerte im Serum nach einer Hüftoperation eher verdächtig auf eine Lungenembolie als auf einen Myokardinfarkt. Differenzialdiagnosen für postoperative Troponinerhöhungen: a) kardial ● akute Perikarditis ● Myokarditis ● akute und chronische Herzinsuffizienz ● hypertrophe Kardiomyopathien ● Herzrhythmusstörungen ● Amyloidose ● rheumatisches Fieber b) neurologisch ● Schädel-Hirn-Trauma ● Subarachnoidalblutung
c) traumatisch ● Polytrauma ● Herzkontusion ● Kardioversion ● Aortendissektion ● Verbrennungen d) pulmonal ● pulmonale Hypertonie ● Asthma e) inflammatorisch ● Sepsis/septischer Schock/Endotoxine ● Zytokine, Tumor-Nekrose-Factor α ● systemische Vaskulitis f) medikamentös ● Chemotherapie/Zytostatika ● Sympathomimetika/Katecholamine g) Sonstige ● Nierenversagen ● akute Lungenembolie ● schwere körperliche Belastung ● Rheumafaktoren Wenn der Verdacht auf einen Myokardinfarkt besteht, sollte die Diagnostik entsprechend den Empfehlungen der ESC/AHA veranlasst werden: zu Beginn der Symptome sollte ein 12-Kanal-EKG geschrieben werden und es sollten mindestens zwei Bestimmungen von herzspezifischen Markern im Serum (kardiales Troponin T, kardiales Troponin C), im Abstand von 4–6 Stunden erfolgen. Eindeutige Zeichen eines ST-Hebungsinfarktes (STEMI) sowie klinisch instabile bzw. symptomatische Nicht-STHebungsinfakte (NSTEMI) stellen eine Indikation für eine frühestmögliche invasive Diagnostik und Antikoagulation dar. Empfehlungen und Richtlinien bezüglich des therapeutischen Vorgehens bei isoliertem Nachweis erhöhter Herzmarker in der perioperativen Phase existieren bisher nicht. Nach Ausschluss anderer potenziell lebensbedrohlicher Ursachen zielt eine symptomatische Therapie in erster Linie auf eine Optimierung des kardialen Sauerstoffangebots (Sauerstoffgabe und ggf. Korrektur einer Anämie) und bei hämodynamisch stabilen Patienten auf eine Kontrolle der endogenen sympathischen Stressantwort (z. B. adäquate Analgesie, Blutdruck- und Frequenzkontrolle mit β-Blockern). Eine intensivmedizinische Überwachung ist auch bei hämodynamisch stabilen und klinisch beschwerdefreien älteren Patienten bis zur Abklärung der Ätiologie und bis zur Normalisierung der kardialen Serummarker obligat. Der Nutzen einer invasiven Diagnostik mit gegebener Katetherintervention sowie einer antiaggregatorischen und antikoagulatorische Therapie ist bei isolierten Troponinerhöhungen, wenn die diagnostischen Kriterien für einen Myokardinfarkt nicht erfüllt sind, anhand von klinischen Studien nicht belegt. Daher sollte die invasive Diagnostik, insbesondere bei einer nur diskreten Troponinerhöhung ohne
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7.1 Aufwachraumphase weitere Indikatoren für einen Myokardinfarkt, immer nur unter sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.
Merke
Bei Verdacht auf perioperativen Myokardinfarkt besteht die Initialdiagnostik in einem 12-KanalEKG und der zweimaligen Bestimmung von kardialem Troponin T und C im Abstand von 4–6 Stunden.
Herzrhythmusstörungen Von den perioperativ auftretenden Herzrhythmusstörungen steht, im Hinblick auf die Inzidenz, das paroxysmale Vorhofflimmern im Vordergrund (s. Kap. 6.2). Prädisponierende Faktoren sind kardiale Vorerkrankungen (koronare Herzerkrankung, Erkrankungen der Herzklappen, Herzinsuffizienz und Kardiomyopathien, Störungen des Reizleitungssystems und ein pulmonaler Hypertonus), perioperative Komplikationen (Elektrolytentgleisungen, Infektionen und Sepsis, Lungenembolie, Hypovolämie, erhöhter Sympathikotonus) sowie kardiale und intrathorakale Eingriffe. Die meisten Episoden eines postoperativ auftretenden Vorhofflimmerns verlaufen ohne hämodynamische Beeinträchtigung und verursachen oft bei geriatrischen Patienten keine wesentlichen Beschwerden. Häufig werden lediglich Palpitationen verspürt. Tritt ein Vorhofflimmern auf, sollten zunächst alle potenziellen Ursachen einer Plausibilitätsprüfung unterzogen werden. Hinweisen auf ein akutes Koronarsyndrom, eine akute Herzinsuffizienz und eine Lungenembolie sollte unbedingt nachgegangen werden. Sofern sich keine Hinweise auf eine schwerwiegende Komplikation nachweisen lassen, sollten mögliche Elektrolytentgleisungen und ein Volumendefizit korrigiert werden. Postoperatives Vorhofflimmern ist für gewöhnlich mit einer Spontankonversionsrate von 80 % innerhalb der ersten 48 Stunden selbstlimitierend (Thompson u. Balser 2004, Nattel u. Opie 2006). Ein medikamentöser oder elektrischer Rhythmisierungsversuch bietet bei hämodynamisch stabilen Patienten keinen Vorteil gegenüber einer Frequenzkontrolle, kann aber relevante Nebenwirkungen provozieren und sollte nicht erzwungen werden. Folglich bleibt ein pharmakologischer bzw. elektrischer Konversionsversuch nur Patienten mit subjektiven Beschwerden und bei hämodynamischer Instabilität vorbehalten. Ein tachykardes, hämodynamisch stabiles Vorhofflimmern lässt sich in meisten Fällen suffizient mit frequenzkontrollierenden Medikamenten behandeln (Kalziumantagonisten vom Verapamil-/Diltiazemtyp, β-Blocker, bei Herzinsuffizienz ggf. auch Digoxin). Das Risiko thromboembolischer Komplikationen bei paroxysmalem Vorhofflimmern entspricht dem Risiko bei chronischem Vorhofflimmern. Eine therapeutische Antikoagulation sollte, unter Berücksichtigung der vorangegangenen Operation, stets gegen das Risiko von Nachblutungen abgewogen werden. Die Therapie anderer relevanter Rhythmusstörungen richtet sich nach der Ätiologie und Klinik und wird entsprechend den allgemeinen Therapieprinzi-
pien behandelt (s. Kap. 6.2). Geriatrische Patienten mit perioperativen Herzrhythmusstörungen sollten grundsätzlich bis zur definitiven Abklärung und Behandlung der Ursache intensivmedizinisch überwacht werden.
Merke
Das paroxysmale Vorhofflimmern ist die häufigste perioperative Herzrhythmusstörung und verläuft in 80 % selbstlimitierend.
Herzinsuffizienz Die relativ hohe Inzidenz von einer eingeschränkten kardialen Leistungsfähigkeit, Herzklappenerkrankungen und einer koronaren Herzerkrankung (KHK) bei Patienten im Senium macht diese Gruppe besonders anfällig für ein perioperatives kardiales Versagen (s. Kap. 2.2). Risikofaktoren sind große Operationen mit deutlichen intra- und postoperativen Volumenverschiebungen- und Belastungen, postoperative Schmerzen und Stress, mit Sympathikusaktivierung und konsekutiver Tachykardie, Blutdruckund Nachlasterhöhung. Therapeutisch sollte primär die Ursache des akuten kardialen Versagens identifiziert und behandelt werden. Symptomatisch sind, unter Berücksichtigung von Kontraindikationen (z. B. eine zu ausgeprägte Nachlastsenkung bei stenosierenden Klappenerkrankungen), die Applikation von Sauerstoff, Schleifendiuretika, Nitraten, Morphium sowie eine adäquate Blutdrucksenkung bei einer hypertensiven Entgleisung in vielen Fällen hilfreich. Darüber hinaus lassen sich mit nicht-invasiven Beatmungstrategien (CPAP, ASB) gute Erfolge bei der Therapie eines kardialen Lungenödems erzielen und eine Intubation oftmals vermeiden. Schwere Verläufe können dagegen eine invasive Beatmung notwendig machen. In ausgeprägten Fällen müssen zusätzlich Katecholamine zur Aufrechterhaltung einer suffizienten kardialen Auswurfleistung appliziert werden. Eine intensivmedizinische Überwachung bis zur vollständigen Stabilisierung und Rekompensation des Patienten ist zwingend erforderlich. Im weiteren Verlauf sollte eine Neuevaluation der kardialen Reserve erfolgen und die weitere Therapie danach ausgerichtet werden.
7.1.3 Pulmonale Komplikationen Sowohl das Alter als unabhängiger Risikofaktor als auch die hohe Komorbidität von chronischen Lungenerkrankungen (COPD, Lungenemphysem, seltener restriktive Lungenerkrankungen) und die physiologische Abnahme der Lungenfunktion (physiologische Reduktion der FEV1, erhöhter Verschlussdruck der Bronchiolen) bedingen das relativ häufige Auftreten von postoperativen pulmonologischen Komplikationen bei älteren Patienten (Quaseem et al. 2006, Tonner et al. 2003, Turrentine et al. 2006). Die Reduktion der Vitalkapazität und der funktionellen Residualkapazität (FRC) nach Narkoseeinleitung trägt zur Entstehung postoperativer Atelektasen bei. Die pulmonale
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7 Postoperatives Management
patientenbezogene Risikofaktoren
eingriffsbezogene Risikofaktoren
anästhesiebezogene Risikofaktoren
Tabelle 7.1 Risikofaktoren für postoperative pulmonale Komplikationen.
●
Alter
●
Serumalbumin < 35 g/l
●
chronische Lungenerkrankungen (insbesondere COPD)
●
Nikotinabusus
●
Herzinsuffizienz
●
Hilfsbedürftigkeit im Alltag
●
ASA-Klassifikation
●
akute delirante Symptomatik
●
Eingrifflokalisation: – thorakale Eingriffe – abdominelle Eingriffe (insbes. obere abdominelle Eingriffe) – gefäßchirurgische Eingriffe (insbes. Eingriffe an der abdominellen Aorta) – neurochirurgische Eingriffe – Kopf-Hals-Chirurgie
●
Op-Dauer
●
Notfalloperationen
●
Allgemeinanästhesie vs. Regionalanästhesie
●
Opioidüberhang
●
Muskelrelaxanzienüberhang
Funktionseinschränkung wird durch eine postoperative Hypoventilation zusätzlich aggraviert (s. Kap. 2.3, Kap. 6.5). Wenn die FRC unter die Verschlusskapazität sinkt, resultiert dies, insbesondere während der Exspiration, in einem Verschluss der Bronchiolen, mit Zunahme des Rechts-links-Shunts und konsekutiv schlechterer Oxygenierung (Oczenski et al. 2006). In der frühen postoperativen Phase ist darüber hinaus ein Opioid- und Muskelrelaxanzienüberhang eine bedeutende Ursache einer postoperativen Hypoxämie bei älteren Menschen (Tab. 7.1). Andererseits muss eine insuffiziente Therapie postoperativer Schmerzen unbedingt vermieden werden, da daraus eine schmerzbedingte Hypoventilation resultiert und ein adäquates Abhusten von Sekret unterdrückt wird, welches die Entstehung von Atelektasen und Pneumonien begünstigt. Therapeutisch und zur Prävention pulmonaler Komplikationen sollte eine möglichst frühzeitige Mobilisierung angestrebt werden, wobei kontrollierte atemtherapeutische, lungenexpansive Maßnahmen (z. B. TriFlo, Flutter, Atemübungen) zum Einsatz kommen (Qaseem et al. 2006, Hofer et al. 2006). Augmentierte, nicht invasive Beatmungsformen (CPAP, ASB) sollten insbesondere bei Patienten mit exazerbierter COPD und Patienten mit kardialem Lungenödem, unter Berücksichtigung der Kontraindikationen, eingesetzt werden. Eine intensivmedizinische postoperative Überwachung ist bis zur endgültigen pulmonalen Stabilisierung unabdingbar.
7.1.4 Neurologische Komplikationen Präexistente kognitive Dysfunktionen und das postoperative Delirium des geriatrischen Patienten sind maßgeblich an einer erhöhten perioperativen Komplikationsrate beteiligt (Turrentine et al. 2006, Hamrick et al. 2005, Werner 2008, Ruffo et al. 2002). Sie erhöhen nicht nur die Liegedauer im Überwachungsbereich und im Krankenhaus, sondern sind auch mit weiteren schwerwiegenden Komplikationen wie Pneumonien, kardiozirkulatorischen Problemen und einer erhöhten Mortalität vergesellschaftet (Monk et al. 2008). Das frühe postoperative Delirium tritt gewöhnlich zwischen dem 2. und 7. postoperativen Tag auf und erreicht bei größeren orthopädischen Operationen eine Inzidenz von bis zu 50 % (Inouye 2006, Cohendy et al. 2005). Das postoperative Delirium ist durch einen akuten Beginn, assoziiert mit einer oftmals wechselnden Bewusstseinslage sowie durch formale und inhaltliche Denkstörungen charakterisiert (s. Kap. 6.3). Dabei hat das Anästhesieverfahren anscheinend keinen wesentlichen Einfluss auf sein Auftreten. Pathophysiologisch handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen, wobei ein zerebrales cholinerges Defizit und, als Gegenspieler des zentralen cholinergen Systems, ein absoluter oder relativer dopaminerger Überschuss wesentlich an der Entstehung eines Delirs beteiligt zu sein scheinen (Inouye 2006). Darüber hinaus können Zytokine wie Interleukin-1, -2 und -6 sowie TNF-α möglicherweise bei der Entstehung eines Delirs involviert sein, indem sie die Blut-Hirn-Schranke beeinflussen und die Neurotransmission modulieren. Die Aktivierung der HypothalamusHypophysen-Nebennierenrinden-Achse erhöht die Kor-
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7.1 Aufwachraumphase tisolspiegel im Serum, was bei der Entwicklung eines Delirs eine weitere Rolle spielen kann. Ursächlich sind neben der Operation auch Infektionen, kardiovaskuläre Komplikationen oder ein respiratorisches Versagen in Erwägung zu ziehen. Symptome des frühen postoperativen Delirs: ● akuter Beginn ● fluktuierende Symptomatik ● Aufmerksamkeitsstörungen ● Inkohärenz, unlogisches und zerfahrenes Denken ● Desorientierung ● Gedächtnisstörungen ● Vigilanzstörungen ● Störungen des zirkadianen Rhythmus ● psychomotorische Störungen (hyper- und hypoaktive Form) ● emotionale Störungen – Depression, Agitiation, Angst/ Panik, Euphorie, Aggressivität Risikofaktoren für das Auftreten eines frühen postoperativen Deliriums: ● Dauer der Anästhesie ● postoperative Infektionen/Sepsis ● Alter ● Herzinsuffizienz ● respiratorische Komplikationen ● postoperativer Stress/Schmerz ● Medikamenten- und Alkoholentzug ● Polypharmazie – Anticholinergika – Antidepressiva (insbesondere trizyklische Antidepressiva) – Glukokortikoide – Antibiotika – Antihistaminika ● Schlafdefizit ● psychiatrische Vorerkrankungen ● Demenz ● Dehydratation ● endokrine Störungen (Diabetes mellitus, Schilddrüsenfunktionsstörungen) ● Elektrolytstörungen ● niedriger Bildungsgrad Es besteht allgemeiner Konsens in der Ansicht, dass die Verhinderung von deliranten Symptomen höchste Priorität hat. Therapeutisch steht primär, neben der Behandlung einer zugrunde liegenden Erkrankung, ein Ausgleich von eventuell vorliegenden Volumendefiziten und Elektrolytstörungen, eine adäquate Schmerztherapie sowie die Gewährleistung einer stressfreien, wenig beängstigenden Umgebung im Vordergrund. Störungen des Schlafrhythmus sollten vermieden werden. Postoperativ sollte der Patient so früh wie möglich mobilisiert werden und der Erhalt bzw. das frühe Wiedereinsetzen der Magen-Darmund Blasenfunktion angestrebt werden. Der Zugriff auf eventuell vorhandene Seh- und Hörhilfen (Brille, Hörgerät) ist ebenfalls hilfreich. Pharmakologisch können Neuroleptika (z. B. Haloperidol, Risperidon, Olanzapin) und
Benzodiazepine zum Einsatz kommen. Bei Verdacht auf ein zentrales anticholinerges Syndrom sollte ein Therapieversuch mit Physostigmin unternommen werden.
Merke
Die Entwicklung eines postoperativen Deliriums ist nicht selten, z. B. wird bei größeren orthopädischen Operationen eine Inzidenz von bis zu 50 % erreicht. Charakteristisch ist ein akuter Beginn, assoziiert mit einer oftmals wechselnden Bewusstseinslage und formalen und inhaltlichen Denkstörungen. Eine Alkoholentzugssymptomatik und ein Delir sollte mit Neuroleptika (z. B. Haldol), Benzodiazepinen und supportiv mit α2-Agonisten (z. B. Clonidin) und Thiamin zur Prophylaxe einer Wernicke-Enzephalopathie behandelt werden (Sander et al. 2006, Muhl 2006). Patienten mit Parkinsonerkrankung sollten so früh wie möglich ihre eigene Parkinsontherapie fortsetzen (Bruessel 2003). Der Einsatz antidopaminerger Medikamente (Metoclopramid, Butyrophenone) sollte in dieser Patientengruppe möglichst vermieden werden. Perioperative Infektionen und Stress können eine Adaptation der Therapie erforderlich machen. Insbesondere bei Parkinsonpatienten muss das erhöhte Risiko von Aspirationen und respiratorischen Komplikationen aufgrund von Schluckstörungen und gestörter Willkürmotorik der Thoraxmuskulatur antizipiert werden (Kalenka u. Hinkelbein 2005).
7.1.5 Postoperative Schmerztherapie Ein essenzieller Aspekt zur Vermeidung früher postoperativer Komplikationen ist eine adäquate Schmerztherapie (s. Kap. 7.2). Schmerzen werden bei älteren Patienten durch eine veränderte Schmerzwahrnehmung und bei einer verminderten kognitiven Kapazität oftmals weniger deutlich erkannt als bei jungen, gesunden Patienten und können daher leicht unterschätzt werden. Nichtsdestotrotz führt eine schmerzinduzierte Sympathikusaktivierung bei älteren Patienten zu einer endogenen Stresssituation. Dies führt zu einer weiteren Kreislaufbelastung des Organismus. Darüber hinaus resultieren aus Schmerzen eine inadäquate Respiration und damit ein erhöhtes Risiko für pulmonale Komplikationen. Als periphere Analgetika stehen bevorzugt Paracetamol, Metamizol und nicht steroidale Antiphlogistika (NSAID) zur Verfügung (s. Kap. 3.2). Der Einsatz der peripheren Analgetika sollte immer operations- und patientenadaptiert sowie unter Berücksichtigung der zulässigen Höchstdosen erfolgen. Eine suffiziente Schmerzfreiheit lässt sich mit peripheren Analgetika alleine allerdings in vielen Fällen nicht erzielen, sodass der Einsatz hochpotenter Opiatderivate in vielen Fällen unumgänglich ist, um eine adäquate Analgesie zu gewährleisten. Insbesondere die patientenkontrollierte Analgesie (PCA) scheint für die postoperative Schmerztherapie vorteilhaft zu sein.
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7 Postoperatives Management Ein genereller Vorteil einer neuraxialen Schmerztherapie konnte gegenüber einer konventionellen systemischen Therapie bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden (Cohendy et al. 2005). Allerdings existieren Hinweise darauf, dass insbesondere pulmonale und kardiale Komplikationen bei Patienten mit neuraxialer Blockade seltener auftreten (Jin u. Chung 2001). Aus der jetzigen Sicht erscheint dementsprechend eine neuraxiale Schmerztherapie insbesondere bei älteren Patienten mit pulmonaler und kardialer Komorbidität besonders sinnvoll zu sein. Das Risiko für Lungenembolien und tiefe Venenthrombosen lässt sich möglicherweise durch neuraxiale Blockade ebenfalls reduzieren (Jin u. Chung 2001). Darüber hinaus scheint die kontinuierliche epidurale Schmerztherapie eine deutlich bessere Analgesie zu vermitteln als die intravenöse Standardtherapie, was die Bedeutung der neuraxialen Schmerztherapie unterstreicht.
Kernaussagen ●
●
●
Aufgrund der Zunahme des Anteils geriatrischer Patienten im Aufwachraumkollektiv ist in Zukunft mit erhöhtem postoperativen Überwachungsaufwand zu rechnen. Eine erhöhte Rate an Komplikationen des Herz-KreislaufSystems, der Respiration und neurologische postoperative Alterationen sind die dominanten Risikofaktoren für eine erhöhte perioperative Morbidität. Diese Risikokonstellation sollte von dem behandelnden Arzt antizipiert und in die therapeutische Entscheidung mit einbezogen werden. Eine adäquate Schmerztherapie und ein frühes Atemtraining stellen wichtige Stützpfeiler der postoperativen Therapie dar.
Merke
Die neuraxiale Schmerztherapie scheint bei älteren Patienten einige Vorteile zu haben: weniger pulmonale und kardiale Komplikationen, Senkung des Risikos für Lungenembolien und tiefe Venenthrombosen, bessere Analgesie.
7.1.6 Verlegungskriterien aus den Überwachungsbereich Bis dato sind in der Literatur keine klaren Kriterien definiert, die den Zeitpunkt festlegen, an dem die sichere Verlegung des älteren Patienten aus dem Überwachungsbereich gewährleistet ist. Der therapierende Aufwachraumarzt sollte daher bestimmte Parameter definieren, deren Evaluation die risikobehafteten Organsysteme des geriatrischen Patienten widerspiegeln: ● bestehende Schutzreflexe (Opiat-, Relaxans-, Narkoseüberhang ausgeschlossen) ● kein Anhalt für postoperatives Delir ● kardiozirkulatorische Stabilität (keine Katecholaminpflichtigkeit, keine massive Volumenpflichtigkeit, Mitteldruck > 60 mmHg, keine Säuerungstendenz) ● respiratorische Stabilität (O2-Applikation < 2 l/min, Sättigung unter O2-Applikation > 95 %, Eupnoe) ● metabolische Stabilität (pH > 7,3, ausgeglichener Base Excess (BE), Laktat im Normbereich) ● Normoglykämie (BZ 80–200 mg/dl) ● Normothermie (> 36,5 °C) ● ausreichende Diurese (> 80 ml/h) ● keine Hb-Kinetik. Ziel-Hb dem Risikoprofil angepasst ● bei Regionalanästhesie: Rückläufigkeit der Blockade, Wiedererlangung der motorischen Qualität ● Gewährleitung der adäquaten Überwachung auf Normalstation (regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter)
Literatur Bruessel T. Co-medications, pre-medication and common diseases in the elderly. Best Pract Clin Anaesth 2003; 17(2): 179–190 Cohendy R, Brougere A, Cuvillon P. Anaesthesia in the older patient. Curr Op Clin Nutr Metab Care 2005 8: 17 Fleisher LA, Beckman JA, Brown KA et al. ACC/AHA 2007 guidelines on perioperative cardiovascular evaluation and care for noncardiac surgery: executive summary: a report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines. Circulation 2007; 116: 1971–1996 Hamrick I, Weiss G, Lippert H et al. Geriatrische Probleme im perioperativ chirurgischen Management. Zentralbl Chir 2005; 130: 41–47 Hofer S, Plachky J, Fantl R et al. Postoperative pulmonale Komplikationen. Anaesthesist 2006; 55: 473–484 Inouye SK. Delirium in older Persons. N Engl J Med 2006; 354: 1157–1165 Jin F, Chung F. Minimizing perioperative adverse events in the elderly. Br J Anesth 2001; 87: 608–624 Kalenka A, Hinkelbein J. Anästhesie bei Patienten mit ParkinsonErkrankung. Anaesthesist 2005; 54: 401–411 Monk TG, Weldon BC, Garvan CW et al. Predictors of cognitive dysfunction after major noncardiac surgery. Anaesthesiology 2008; 108: 18–30 Muhl E. Delir und Durchgangssyndrom. Chirurg 2006; 77: 463–472 Myocardial infarction redefined – a consensus document of the joint European society of cardiology/American college of cardiology committee for the redefinition of myocardial infarction. European Heart Journal 2000; 21: 1502–1513 Nattel S, Opie LH. Controversies in Cardiology 3. Controversies in atrial fibrillation. Lancet 2006; 367: 262–272 Oczenski W, Andel H, Werba A. Pathophysiologie der postoperativen pulmonalen Funktionseinschränkung. In: Oczenski W. Atmen – Atmenhilfen. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2006: 136–141 Oscarsson A, Eintrei C, Anskär S et al. Troponin-T values provide long-term prognosis in elderly patients undergoing non-cardiac surgery. Acta Anaesthesiol Scand 2004; 48: 1071–1079 Qaseem A, Snow V, Fitterman N et al. Risk assessment for and strategies to reduce perioperative pulmonary complications for patients undergoing noncardiothoracic surgery: a guideline from the american college of physicians. Ann Intern Med 2006; 144: 575–580 Ruffo D, Osbourne J, Peters M et al. Post-Operative Delirium: A Predicitive Tool. Geriatrics Today 2002; 5: 21–24 Sander M, Neumann T, von Dossow V et al. Alkoholabusus. Risikofaktoren für die Anästhesie und Intensivmedizin. Internist 2006; 47: 332–341
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Literatur Sear JW, Higham H. Issues in the perioperative management of the elderly patient with cardiovascular disease. Drugs Aging 2002; 19 (6): 429–451 Thompson A, Balser JR. Perioperative cardiac arrhythmias. Br J Anaesth 2002; 93: 86–94 Tonner PH, Kampen J, Scholz J. Pathophysiological changes in the elderly. Best Pract Clin Anaesth 2003; 17(2): 163–177
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7.2 Postoperative Schmerztherapie J. Hinz
7.2.1 Einführung Die Mehrzahl der chirurgischen Patienten ist älter als 65 Jahre und viele sogar älter als 80 Jahre (Rooke et al. 2002). Obwohl perioperative Morbidität und Letalität abhängig sind von Alter, Organfunktion und ASA-Klassifikation, kommen wir nicht umhin, auch bei älteren Patienten postoperative Schmerzen zu behandeln. Eine adäquate Schmerztherapie ist auch aus ethischen und rechtlichen Gründen unabdingbar, da sie den Patientenkomfort erhöht, Morbidität und Letalität reduziert und hilft, Krankenhausliegedauern zu verkürzen. Trotz der ansteigenden Prävalenz von älteren Patienten werden postoperative Schmerzen bei älteren Patienten häufig unterschätzt und nicht ausreichend behandelt. Dies basiert häufig auf der nicht ausreichenden Ausbildung des Personals, einem fehlendem interdisziplinären Konzept und den unbegründeten Bedenken gegen starke Opioide. Nach einem chirurgischen Eingriff klagen 50–70 % der Patienten über moderate bis starke Schmerzen. Der bekannte klinikspezifische Umgang mit postoperativen Schmerzen wird in Zukunft die Entscheidung des Patienten für ein Krankenhaus zumindest mit beeinflussen (Apfelbaum et al. 2003, Pavlin et al. 2004, Pavlin et al. 2002, Simanski 2006). Eine deutschlandweite Umfrage schlussfolgerte 1998, dass die postoperative Schmerztherapie ineffektiv, inadäquat und ohne den nötigen organisatorischen und wissenschaftlichen Hintergrund ist (Neugebauer et al. 1998). Eine Folgeuntersuchung 5 Jahre später zeigte, dass sich trotz des Einsatzes von Leitlinien die Qualität der postoperative Schmerztherapie nicht verbessert hat (Neugebauer et al. 2003). Eine ausreichende postoperative Schmerztherapie reduziert das Risiko für postoperative Komplikationen und dadurch entstehende Zusatzkosten für die Kliniken (Kehlet u. Holte 2001, Kehlet 2004). Es besteht darüber hinaus eine Rechtspflicht zur postoperativen Schmerztherapie. Viele Patienten sehen Schmerzen als normal an und akzeptieren sie. Daher sollte im Informationsgespräch explizit die medizinische Notwendigkeit einer Schmerzbehandlung betont und geplant werden.
7.2.2 Physiologische Grundlagen Schmerzen entstehen durch die Aktivierung von peripheren Nozizeptoren durch Bradykinin, Serotonin, Histamin, Prostaglandin E2 und F2, Neuropeptid Substanz P, Calcitonin Gene Related Peptid (CGRP) aus C-Fasern,
plättchenaktivierender Faktor (PAF), Sauerstoffradikale und Interleukine (IL-1, IL-6, IL-8), die im Rahmen von Gewebstraumata entstehen. Bei den peripheren Nozizeptoren handelt es sich um spezialisierte Endungen von myelinisierten A-Fasern und unmyelinisierten C-Fasern. Die myelinisierten A-Fasern haben eine Nervenleitungsgeschwindigkeit von 10–25 m/ s und einen Durchmesser von 1–4 μm. Die Schmerzreize aus diesen Nervenfasern können gut lokalisiert werden und werden häufig als scharf und stechend beschrieben. Die unmyelinisierten C-Fasern haben eine Nervenleitungsgeschwindigkeit von 0,5–2 m/s und einen geringeren Durchmesser < 1,5 μm. Die Schmerzreize dieser Fasern können häufig schlecht lokalisiert werden und haben eine anhaltende, dumpfe Qualität. Die peripheren Nervenfasern gelangen über das Hinterhorn in das Rückenmark, kreuzen zur Gegenseite und werden auf eine aufsteigende Bahn (Tractus spinothalamicus lateralis) umgeschaltet. Neben dem Tractus spinothalamicus lateralis sind auch der Tractus spinoreticularis und der Tractus spinomesencephalicus für die Schmerzleitung von Bedeutung. Diese aufsteigenden sensorischen Bahnen werden im Thalamus umgeschaltet. Der mediale Thalamus vermittelt primär die affektiv-emotionale Schmerzkomponente, der laterale die sensorisch-diskriminative. Von hier aus erfolgt die Umschaltung auf den sensorischen Kortex im Gyrus postcentralis. Über absteigende Bahnen des Thalamus und Hypothalamus wird ein zentrales antinozizeptives System, das in der Formatio reticularis im periaquäduktalen Grau liegt, aktiviert. Über deszendierende Bahnen können auf Rückenmarksebene sensorische Nervenfasern inhibiert werden. Die Schmerzen werden in somatisch, viszerale und neuropathische Schmerzen eingeteilt (Tab. 7.2). Physiologische Veränderungen und Implikationen für die Schmerztherapie sind in Tab. 7.3 zusammengefasst.
7.2.3 Schmerzmessung Eine Schmerzmessung ist unerlässlich zur Planung und Überprüfung der Therapie. Sie dokumentiert die ärztliche und pflegerische Obsorge und sollte mindestens dreimal täglich oder bei Bedarf durchgeführt werden. Die Schmerzmessung stellt jedoch ein Problem dar, da bei gleichem Schmerzreiz ausgeprägte interindividuelle Unterschiede in den Ergebnissen der Schmerzmessung bestehen. Für die Praxis bedeutet dies, dass die Ergeb-
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7.2 Postoperative Schmerztherapie Tabelle 7.2
Einteilung der Schmerzarten.
Art
Qualität
Lokalisation
Ortung
Pathophysiologie
Beispiel
somatisch
scharf, stechend, dumpf-drückend
Haut, Bindegewebe, Muskulatur
eng, umschrieben, gut lokalisierbar
direkte und indirekte Aktivierung
postoperativer Schmerz
viszeral
dumpf, brennend
Peritoneum, Organe
schlecht lokalisierbar, diffus
direkte und indirekte Aktivierung
Gallenkolik
Läsion oder Dysfunktion peripherer oder zentraler Läsion
Phantomschmerz
neuropathisch
Tabelle 7.3
Physiologische Veränderungen im Alter und Implikationen für die Schmerztherapie.
physiologische Veränderung
Implikation für Schmerztherapie
Herz-Kreislauf ●
Abnahme der arteriellen Compliance
●
Abnahme des Herzzeitvolumens
●
Abnahme der kardialen Vorlast
●
Abnahme der Herzfrequenz und kardialen Empfindlichkeit für Katecholamine
●
Abnahme der systemischen arterio-venösen Sauerstoffdifferenz
●
Hypotonie wegen Hypovolämie und/oder Abnahme der sympathischen Antwort bei Peridural- oder Spinalanästhesie
●
25–40 % Reduktion der Medikamentenclearance wegen reduziertem hepatischen und renalen Blutfluss
●
Zunahme der arteriellen Spitzenkonzentrationen nach i. v. Applikation von Medikamenten; deshalb langsame i. v. Injektion
→ Konsequenzen von unbehandelten Schmerzen sind erhöhte Herzfrequenz, erhöhter Blutdruck und erhöhter myokardialer Sauerstoffverbrauch mit einem erhöhtem Risiko für Myokardinfarkte
peripheres und zentrales Nervensystem ●
Abnahme der Neuronendichte, Rezeptoranzahl und Neurotransmitterkonzentration
●
Schwierigkeiten im Verständnis und der Durchführung bei patientenkontrollierten Analgesieformen (PCIA, PCEA)
●
Verschlechterung der Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Berührung, Tiefenwahrnehmung, Schmerzwahrnehmung)
●
erhöhtes Risiko für Hypotensionen bei Peridural- und Spinalanästhesien durch Abnahme der sympathischen Aktivität
●
neuronale Abnahme im vegetativen Nervensystem (sympathisch und parasympathisch) mit Abnahme der kardialen Reflexe
→ postoperative Schmerzen oder Schmerzmedikamente verschlechtern möglicherweise Verwirrung oder Delir; inadäquate Schmerztherapie erzeugt unnötigen Stress, negative Emotionen, Depression und Schlafstörungen
Lunge ●
Abnahme der Sensitivität des Atemzentrums auf Hypoxämie und Hyperkapnie
●
Zunahme des Risikos für Hypoxämie im Aufwachraum bei Patienten, die Opioide einnehmen
●
Zunahme von unregelmäßiger Atmung und Apnoe während des Schlafs
●
mögliche postoperative Komplikationen: Atelektase, Pneumonie, Schwierigkeiten bei der Durchführung von Regionalanästhesien
●
Abnahme der intervertebralen Räume und der ● erhöhtes Risiko für Aspiration von oralen Medikamenten Thoraxwandcompliance → Schmerzen nach thorakalen oder abdominalen Eingriffen sind der häufigste Grund für Verschlechterung der Ventilation, ineffektiven Hustenstoß, tiefen Veränderungen der pharyngealen Funktion Einatmung (Seufzer), die häufig zu Hypoxämie, Infektion und Lungenversagen mit Abschwächung des Hustenstoßes führen
●
Niere ●
Abnahme der glomerulären Filtationsrate, tubulären Exkretion und Reabsorption, Metabolismus und Clearance von Medikamenten und Metaboliten
●
Reduktion des renalen Metabolismus und der Ausscheidung von Analgetika und Metaboliten (NSAID, Opioide)
→ eine Abnahme des renalen Blutflusses und eine reduzierte Antwort auf Vasodilatatoren tragen zu chirurgischem Stress und akutem Nierenversagen bei
Gastrointestinaltrakt und Leber ●
normale Funktion des Gastrointestinaltrakts bis auf eine Abnahme der Synthese gastrischer Prostaglandine, Bikarbonat und Flüssigkeitssekretion aus den nicht parietalen Zellen
●
häufig gastrale Helicobacter-pylori-Infektionen
●
Abnahme von Lebergröße, Blutfluss und Perfusion
●
Zunahme des gastralen Risikos für NSAID-induzierte mukosale Schäden
●
Anticholinergika, Dopaminergika und Opioide verursachen häufig Obstipation
●
Abnahme des hepatischen Metabolismus mit hohem First-pass-Effekt: Opiode und Lidacoine
→ postoperative Schmerzen verschlechtern möglicherweise eine Ileussymptomatik, verlängern den Krankenhausaufenthalt und erhöhen Kosten
263
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
264
7 Postoperatives Management nisse der Schmerzmessung orientierende Anhaltswerte darstellen und relative Veränderungen der Schmerzmessung für den Patienten therapiebestimmend sind. Es werden in der Praxis also patientenbezogene Werte erfasst und therapeutisch umgesetzt. Jeder Patient ist deshalb darüber zu informieren, dass Schmerz ein individuelles Phänomen ist, und dass daher eine Schmerzeinschätzung im Wachzustand nur durch den Betroffenen selbst erfolgen kann. Es ist deshalb auch sinnlos, das Ausmaß der Schmerzen nach bestimmten Eingriffen vorherzusagen. Es ist durchaus möglich, dass Patienten nach so genannten „kleinen“ Eingriffen mehr durch Schmerzen gequält werden, als andere nach „großen“ Baucheingriffen. Die am meisten verbreiteten Schmerzskalen sind die „Visuelle Analog Scale“ (VAS), die „Numerical Rating Scale“ (NRS), die „Verbal Descriptor Scale“ (VDS) und die „Face Pain Scale“ (FPS). Im Pflegeaufnahmegespräch sollte die Schmerzmessung erklärt werden. Als Bewertungsskala der NRS wird dem Patienten ein Rahmen zwischen keinem Schmerz (= 0 Punkte) bis zu für ihn größter vorstellbarer Schmerz (= 10 Punkte) angeboten. Hinsichtlich des Maximalschmerzes, der mit zehn Punkten zu bewerten ist, gelten die Erfahrungswerte des Patienten. Es ist oft schwer, den Patienten auf eine „Schmerzzahl“ festzulegen. Die Therapie zielt auf einen NRS = 3 in Ruhe, beziehungsweise NRS = 4 bei Beanspruchung. Das sollte man den Patienten nicht mitteilen, um ihn nicht zu beeinflussen. Man sollte nie Schmerzlosigkeit versprechen, da in den meisten Fällen nur eine Schmerzlinderung zustande kommt. Die Schmerzzahl sollte dokumentiert werden, um den Therapieeffekt zu bestimmen. Die nächste Schmerzzahl über NRS = 3 bestimmt das Therapieintervall. Bei der visuellen Analogskala kann der Patienten auf der Vorderseite des Messinstrumentes anhand eines Schiebers den Schmerz angeben. Auf der Rückseite lässt sich dann eine NRS ablesen. Für uneingeschränkte Patienten ist die Bewertung nach der NRS am besten geeignet. Die „verbale“ Einschätzung des Patienten anhand der VDS ist halb so scharf, weil nur fünf Stufen zur Bewertung übrig bleiben. Ältere Patienten äußern sich lieber verbal zum Schmerz. Bei Patienten, mit denen man aufgrund kognitiver oder sensorischer Defizite nicht kommunizieren kann, ist die Schmerzmessung häufig erschwert. Die Kommunikation kann erleichtert werden, wenn man langsam mit tiefer Stimme spricht und Defizite beim Hören oder Sehen anspricht. Schmerzen manifestieren sich häufig in Unruhe, Körperbewegungen, Agitiertheit, Grimassieren, Aggression, Bauchlagen, Gesten oder lautes Rufen und Jammern. Bei diesen Patienten eignet sich zur Schmerzmessung durch Drittpersonen die FPS. Beim dementen Patienten kann zur Schmerzmessung eine „Doloplus Scale“ verwendet werden. Sie bewertet anhand somatischer, psychomotorischer und psychosozialer Unterskalen den Schmerz innerhalb eines Skalenbereichs von 0–30. Ein Testwert > 5 wird als Hinweis auf einen nicht mehr erträglichen Schmerz gewertet. Die Doloplus Scale ist jedoch aufwendig zu handhaben, da eine multidisziplinäre Begutachtung durchgeführt wird.
7.2.4 Therapie Postoperative Schmerztherapie beim alten Menschen lässt sich nur interdisziplinär unter Einbeziehung der Berufsgruppen Krankenpflege, Physiotherapie, Arzt und Psychologe erfolgreich durchführen. Verbindliche interdisziplinäre Behandlungspfade über die Berufsgruppen und für den gesamten stationären Aufenthalt hinweg sind wichtige Grundlagen für eine erfolgreiche postoperative Schmerztherapie. Kontinuierliche interdisziplinäre Fortbildungen und die Einrichtung eines postoperativen Akutschmerzdienstes sind weitere Bausteine. Grundlage für eine Objektivierung der Schmerztherapie sind die Informationen aus der Schmerzmessung. Die Ziele der Schmerztherapie beim älteren Patienten sind die Reduktion des Schmerzes auf ein erträgliches Niveau, die Prävention und Erkennung von Nebenwirkungen und die Verbesserung der Lebensqualität. Viele Patienten warten zu lange ab, wie sich die Schmerzen entwickeln. Lange qualvolle Intervalle und zumeist eine aufwendigere analgetische Therapie sind die Folgen.
Merke
Dem Patienten sollte erklärt werden, dass er ohne Zögern bereits bei geringer Verstärkung der Schmerzen das Personal verständigen soll. Bei schnellem Therapiebeginn kann meist mit geringen Dosierungen eine Besserung erzielt werden. Sinnvolle medikamentöse Therapieansätze sind nichtopioidhaltige Analgetika, Opioide, Ko-Analgetika, kontinuierliche Nervenblockaden und rückenmarksnahe Verfahren, wie die kontinuierliche Periduralanästhesie. Die Applikation von intravenösen Opioiden, die kontinuierlichen Nervenblockaden und die Periduralanästhesie können mit den aktuellen Applikationspumpen auch als patientenkontrollierte Verfahren sicher durchgeführt werden. Weitere sinnvolle Bausteine sind die Physiotherapie und psychologische Verfahren. Diese Möglichkeiten haben inzwischen in eine S3-Leitlinie der deutschen interdisziplinären Vereinigung Schmerztherapie (DIVS) zur Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen Einzug gefunden (Laubenthal 2007). Es ist ratsam, die Leitlinie für die jeweilige Klinik anzupassen. Viel versprechend ist eine Kombination verschiedener analgetischer und koanalgetischer Medikamente sowie Analgesietechniken im Rahmen eines multimodalen balancierten Schmerzkonzeptes (Kehlet u. Wilmore 2002, Kehlet et al. 1999). Patientenkontrollierte Epiduralanalgesie (PCEA), peripher-regionale Katheterverfahren und intravenöse Analgesie über programmierbare Schmerzpumpen (PCIA) sind zentrale konzeptionelle Elemente der multimodalen postoperativen Schmerztherapie.
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7.2 Postoperative Schmerztherapie
Systemische Verfahren Goldstandard für die systemische Schmerztherapie nach größeren Eingriffen ist die patientenkontrollierte Applikation von Opioiden (PCIA: patientenkontrollierte intravenöse Analgesie). Während sich im angelsächsischen Bereich Morphin als Standardopioid für die PCIA durchgesetzt hat, ist in Deutschland Piritramid in der PCIA sehr beliebt. In letzter Zeit wird in Deutschland auch vermehrt Oxycodon verwendet (Grass 2005). Die PCIA hemmt postoperative Schmerzen sicherer und suffizienter als die bedarfsweise Applikation von Opioiden und gewährleistet eine höhere Patientenzufriedenheit. Sie verringert jedoch weder die Inzidenz von opioidinduzierten Nebenwirkungen, noch verkürzt sie den Krankenhausaufenthalt (Hudcova et al. 2006). Dem Patienten muss erklärt werden, dass er sofort „drücken“ – also eine Dosis abrufen – soll, wenn sich sein Schmerzzustand nur gering verändert. Unabhängig von der Applikationsform (patientenkontrolliert oder „on demand“), ist der klinische Einsatz systemisch verabreichter Opioide aufgrund ihrer Nebenwirkungen und Komplikationen wie Atemdepression, Einschränkung der gastrointestinalen Motilität, Nausea, Emesis, Harnverhalt und Pruritus gelegentlich eingeschränkt. Möglicherweise lassen sich diese Nebenwirkungen reduzieren, indem man Opioide mit anderen Analgetika und Ko-Substanzen kombiniert (multimodale Analgesie), z. B. nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAIDs), Paracetamol oder Metamizol. Ob die Kombination verschiedener Nichtopioid-Analgetika den analgetischen Effekt der Einzelsubstanzen steigert und opioidinduzierte Nebenwirkungen zusätzlich vermindert, könnte aufgrund unterschiedlicher Wirkungsmechanismen möglich sein, ist aber bisher durch randomisierte klinische Untersuchungen nicht sicher belegt (Romsing et al. 2005, Romsing et al. 2002).
Indikation einer oralen postoperativen Schmerztherapie Bei Patienten, die sich einem größeren operativen Eingriff unterzogen haben, spielt meist (neben einer Basisanalgesie mit einem Nichtopioid-Analgetikum und ggf. einem Ko-Analgetikum) ein Regionalanalgesieverfahren oder ein patientenkontrolliertes, intravenöses Analgesieverfahren eine zentrale Rolle. Diese Analgesieverfahren sind allerdings mit einem personellem Mehraufwand verbunden. Es hat sich herausgestellt, dass gerade Patienten nach größeren Eingriffe analgetisch besser eingestellt sind als Patienten nach weniger schmerzhaften, kleinen Eingriffen. Ein Grund hierfür könnte sein, dass für Patienten nach weniger schmerzhaften Operationen (z. B. Schilddrüsenoperationen, Eingriffen an Kopf und Hals) im klinischen Alltag geeignete Therapieschemata fehlen. Hier könnte die orale Gabe von retardierten Opioiden in Kombination mit Nichtopioid-Analgetika eine suffiziente und auch kostengünstige Lösung darstellen. Darüber hinaus
ist dieses Konzept eine kostengünstige und einfache Alternative bei Patienten, die zunächst eine PCIA erhalten haben, im weiteren postoperativen Verlauf aber in der Lage sind, Medikamente oral einzunehmen. Ein orales Behandlungskonzept, das aus einer planmäßig verabreichten Basisanalgesie (Nonopioid-Analgetikum + Opioid) und einer vorher festgelegten Bedarfsanalgesie (Rescue-Analgesie bei Überschreiten definierter Interventionsgrenzen) besteht, ermöglicht eine suffiziente und zeitnahe postoperative Schmerztherapie. Grundvoraussetzungen für dieses Behandlungsschema, bei dem die Rescue-Medikation durch das Pflegepersonal vorgenommen wird, sind, neben der regelmäßigen Schmerzmessung und -dokumentation, regelmäßige Fortbildungen und Schulungen des Personals. Ein Vorschlag solch eines oralen postoperativen Therapieschemas ist in der Abb. 7.1 dargestellt.
Medikamente In der postoperativen Schmerztherapie hat sich wie in der Behandlung von Tumorschmerzen das Stufenschema der WHO durchgesetzt. Dieses dreistufige Schema beinhaltet in der ersten Stufe den Einsatz von NichtopioidAnalgetika, in der zweiten Stufe wird das NichtopioidAnalgetikum um ein niederpotentes Opioid-Analgetikum erweitert (Abb. 7.2). Bei nicht ausreichender Analgesie wird das niedrigpotente Opioid-Analgetikum durch ein hochpotentes Opioid-Analgetikum ersetzt. In jeder Stufe sollen bedarfsadaptiert unterstützende Maßnahmen wie Physiotherapie, Balneotherapie etc. und eine so genannte Ko-Medikation eingesetzt werden. Das strikte Vorgehen nach dem WHO-Stufenschema für die medikamentöse Schmerztherapie ist gerade bei älteren Patienten riskant. Neue Erkenntnisse sowie die Entwicklung moderner Medikamente zwingen zum Umdenken: Die stark wirksamen Opioid-Analgetika sind besonders bei Multimorbidität häufig bereits Mittel der ersten Wahl. Für genauere Informationen zu den Substanzen der einzelnen Stufenmedikamente, deren Dosierungen, Wirkungen und Nebenwirkungen sei auf ein Lehrbuch der Pharmakologie verwiesen. In diesem Kapitel kann nur kurz darauf eingegangen werden.
Nicht opioidhaltige Medikamente Der Wirkungsmechanismus der nicht opioidhaltigen Analgetika basiert auf der Blockade der Zyklooxygenasen COX-1 und COX-2 und der daraus resultierenden Hemmung der Synthese von Prostaglandinen, die bei einer Gewebeschädigung als entzündungsfördernde Substanzen gebildet werden. Dazu gehören auch die daraus abgeleitete Prostazykline, Thromboxan und Leukotriene. Es gibt mindestens zwei Arten der Zyklooxygenase, die für verschiedene Synthesewege verantwortlich sind. Die Zyklooxygenase 2 (COX-2) spielt eine Rolle bei der Synthese der Entzündungsmediatoren, die COX-1 ist entscheidend
265
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
266
7 Postoperatives Management
Abb. 7.1 Beispiel einer Standardprozedur zur oralen postoperativen Schmerztherapie (adaptiert nach Pogatzki-Zahn u. Zahn 2007).
für die Synthese der Prostaglandine, die für den Schleimhautschutz, die Blutgerinnung (Blutplättchenaggregation) und die Regulation des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes verantwortlich sind. Die für diese Substanzklassen bekannten Nebenwirkungen lassen sich daraus ableiten. Die für die postoperative Schmerztherapie wichtigsten Vertreter sind aus der Gruppe der Salizylate die Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin), aus der Gruppe der Arylessigsäure-Derivaten sind es das Diclofenac (Voltaren) und das Indometacin. Zu den Arylpropionsäure-Derivaten gehören das Ibuprofen (Aktren, Dolormin, Advil), das Keto-
profen (Gabrilen) und das Naproxen (Aleve). Zu der Gruppe der aktuellen Coxibe zählen das Celecoxib (Celebrex) und das Etoricoxib (Arcoxia). Weitere Substanzklassen sind die Aminophenole mit seinem Vertreter Paracetamol (Perfalgan, Vivimed, Ben-u-ron) und die Pyrazolone, zu denen Metamizol (Novalgin) gehört. Die Tab. 7.4 zeigt die wichtigsten pharmakologischen Parameter. Nebenwirkungen nicht opioidhaltiger Analgetika. Paracetamol ist ein zentral wirkender Prostaglandin-Inhibitor mit geringen peripheren Effekten, ähnlich den NSAID. In
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7.2 Postoperative Schmerztherapie
Abb. 7.2 WHO-Stufenschema zur Behandlung von Tumorschmerzen.
den empfohlenen Dosen (4 g/Tag) treten selten Nebenwirkungen auf. Vorsicht ist geboten bei bestehenden Lebererkrankungen oder bei bekanntem Alkoholmissbrauch. Die empfohlene Tagesdosis sollte dann um 50 % reduziert werden. Die gefürchtete Nebenwirkung ab 8 g/Tag ist die dosisabhängige Lebernekrose bis hin zum Leberversagen. Die Clearance von Paracetamol wird durch das Alter nicht beeinflusst. Nicht selektive NSAID reduzieren den Schmerz durch Inhibition beider Isoenzyme der Zyklooxygenase (COX-1 und COX-2) und der daraus resultierenden Abnahme der peripheren und zentralen Prostaglandinsynthese. Patienten > 65 Jahre haben ein 2- bis 5-fach erhöhtes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen (Ulkusblutungen und Perforationen). Die Verschlechterung der Nierenfunktion ist eine weitere gefürchtete Nebenwirkung beim älteren Patienten, insbesondere in Zusammenhang mit Herzinsuffizienz oder anderen nephrotoxischen Medikamenten. Es wird deshalb empfohlen, die Dosis um 25–50 % zu reduzieren und die Dosisintervalle zwischen den Medikamentengaben zu verlängern. Eine Kreatinin-Clearance
Tabelle 7.4
< 50 ml/Minute wird als Kontraindikation für den Gebrauch von nicht selektiven NSAID angesehen. Gastrointestinalen Nebenwirkungen kann durch die Gabe von Protonen-Pumpenblocker vorgebeugt werden. Die selektiven COX-2-Hemmer gehören zu den neusten Medikamenten der Klasse der NSAID mit vergleichbarer Schmerzreduktion, jedoch ohne Einfluss auf die Thrombozytenfunktion und den Gastrointestinaltrakt. Die Sicherheit der COX-2-Hemmer in der chronischen Schmerztherapie bei Applikationsdauer über 6 Monate wurde jedoch in letzter Zeit durch den Nachweis von vermehrten thrombembolischen kardiovaskulären Ereignissen in Frage gestellt. COX-2-Hemmer sollten deshalb bei Patienten nach Myokardinfarkten, PTCA, Schlaganfällen und mit reduzierter Nierenfunktion mit Vorsicht eingesetzt werden. Die wichtigsten Nebenwirkungen der nicht opioidhaltigen Analgetika sind in der Tab. 7.4 zusammengefasst.
Opioide Nicht-Opioide allein oder in Verbindung mit Co-Analgetika sind in der Regel ausreichend bei milden oder moderaten Schmerzen. Bei starken und stärksten Schmerzen müssen häufig Opioide in der postoperativen Schmerztherapie eingesetzt werden. Aufgrund weit verbreiteter Missverständnisse und Vorurteile lehnen pflegerisches und ärztliches Personal eine Therapie mit Opioiden häufig ab, da eine Auslösung von Sucht befürchtet wird.
Merke
Die Inzidenz der Abhängigkeit nach postoperativer Opioidtherapie liegt bei 0,4‰.
Das Missverständnis basiert darauf, dass der Körper sich nach längerer Opioidtherapie an das Medikament ge-
Nichtopioid-Analgetika und deren wichtigsten pharmakologischen Parameter.
Substanz
Analgesieeinzeldosis [mg/70 kg]
Wirkdauer [h]
Höchstdosis [mg/Tag]
Cave
Acetylsalicylsäure
500–1000 mg i. v. oder p. o.
4–6
4000–6000
Asthma, Thrombozytenaggregationshemmung
Diclofenac
50–100 mg p. o. oder supp.
6–8
150–250
Nierenschädigung
Ibuprofen
200–800 p. o.
6–8
2400
Kreatinin > 1,5 mg/dl
12 retard
Asthma, Beeinflussung der Blutgerinnung, renale Nebenwirkungen, gastrointestinale Nebenwirkungen, selten Blutbildungsstörungen Kreatinin > 1,5 mg/dl
Etoricoxib
60–120 mg
24
120
Z. n. Myokardinfarkt oder PTCA, Z. n. Apoplex Kreatinin > 1,5 mg/dl
Metamizol
1000–2000 i. v. oder p. o.
4–6
4000–6000
Kreislaufkollaps, Agranulozytose, Blutbildungsstörung
Paracetamol
500–1000 mg i. v. oder p. o.
6–8
4000
Leberinsuffizienz
267
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268
7 Postoperatives Management wöhnt und es beim Absetzen zu motorischen und vegetativen Symptomen kommen kann. Dieses muss als physische Abhängigkeit gewertet werden, hat jedoch nichts mit Sucht zu tun. Die Opioide lassen sich nach dem WHO-Stufenschema in schwach potente und stark potente Opioide einteilen. Zu den niedrigpotenten Opioiden zählen Tramadol, Tilidin und das Dihydrocodein. Zu der Gruppe der stark potenten Opioide gehört Buprenorphin, Fentanyl, Morphin, Hydromorphon und Oxycodon. Nach dem WHOStufenschema wird empfohlen, erst mit einem schwach potenten Opioid zu beginnen und bei nicht ausreichender Analgesie auf ein stark potentes Opioid zu wechseln. Das strikte Vorgehen nach dem WHO-Stufenschema für die medikamentöse Schmerztherapie ist gerade bei älteren Patienten ungeeignet. Die stark wirksamen Opioide sind besonders bei Multimorbidität häufig bereits Mittel der ersten Wahl. Eine Vielzahl von Opioiden sind klinisch in unterschiedlichen Galeniken verfügbar von enteralen über parenterale Applikationsformen, über Tabletten, Kapseln, Tropfen bis hin zu retardierten und unretardierten Präparaten. Neuerdings sind auf dem Markt biphasische Galeniken erhältlich, die eine initiale schnelle Anflutung im Sinne eines unretardierten Effektes mit nachfolgend verzögerter Freisetzung, wie man sie typischerweise bei retardierten Präparaten findet. Eine intramuskuläre Applikation von Opioiden und anderen Medikamenten
wird nicht mehr empfohlen. Bei der Applikation von Schmerzmedikamenten ist eine planmäßige Gabe zu bevorzugen. Bei älteren Menschen sollte mit der geringsten Dosierung begonnen werden und dann in Abhängigkeit vom analgetischen Effekt und den Nebenwirkungen eine Dosiserhöhung durchgeführt werden. Bei aufgetretenen Nebenwirkungen oder nicht ausreichender Analgesie trotz adäquater Dosierung des Opioids ist ein Wechsel auf ein anderes Opioid aus der selben Stufe (Opioidrotation) sinnvoll. Es hat sich als günstig erwiesen, dass für die jeweilige Klinik Standardprozeduren für den Einsatz und die Erhöhung von Analgetika und Opioiden eingeführt werden. Im Rahmen dieser Standardprozedur kann das Pflegepersonal innerhalb bestimmter Interventionsgrenzen selbstständig Opioide vergeben. Tab. 7.5 und Tab. 7.6 geben eine Übersicht über die wichtigsten Präparate aus der Gruppe der schwachen und starken potenten Opioide. Nebenwirkungen opioidhaltiger Analgetika. Die häufigsten Nebenwirkungen sowohl der schwachen als auch starken Opioide sind in wechselnder Ausprägung Übelkeit, Erbrechen Schwitzen, Sedierung, Euphorie, Dysphorie und Pruritus. Am häufigsten treten diese Nebenwirkungen bei den schwachen Opioiden auf, da für eine ausreichende postoperative Analgesie häufig im oberen Dosisbereich therapiert werden muss. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass schwache Opioide in der post-
Substanz
Analgesieeinzeldosis [mg/70 kg]
Wirkdauer [h]
Höchstdosis [mg/Tag]
Tramadol
50–100 mg i. v.
4–6 i. v.
400
200 mg p. o. retardiert
8–12 retardiert
50–100 mg p. o.
4–6
50–150 mg p. o. retard
8–12
60–120 mg p. o.
8–12
Tilidin + Naloxon
Dihydrocodein
Schwach potente Opioide.
Tabelle 7.6
Stark potente Opioide.
600
500
Substanz
Analgesieeinzeldosis [mg/70 kg]
Wirkdauer [h]
Höchstdosis [mg/Tag]
Buprenorphin
35–70 μ/h transdermal
72
keine, Ceilingeffekt
Fentanyl
12,5–100 μg/h transdermal
72
keine
Piritramid
1,5–3 mg i. v.
2–4
keine
Hydromorphon
4–24 mg i. v.
4–6
keine
Oxycodon
2–4 mg i. v.
2–4
keine
Oxycodon + Naloxon retardiert
10/5–20/10 mg p. o.
Oxycodon unretardiert
5–10 mg p. o.
Morphin
1–2 mg i. v.
4–6
keine
5–10 mg p. o.
Tabelle 7.5
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7.2 Postoperative Schmerztherapie operativen Schmerztherapie zunehmend durch niedrig dosierte starke Opioide mit geringerem Nebenwirkungsspektrum, wie zum Beispiel das Oxycodon, verdrängt werden. Ein weiterer Vorteil im Auslassen der schwachen Stufe-2-Opioide liegt darin, dass bei nicht ausreichender Analgesie ein um die Stufe 3 erweitertes Therapiekonzept dem Patienten nicht zusätzlich erläutert werden muss. Befindet man sich bereits in der Stufe 3 der starken Opioide, genügt als Information die Erhöhung der Dosierung. Die in der postoperativen Phase häufig gefürchtete Komplikation der Obstipation durch den Einsatz von oralen Opioiden kann eventuell durch fixe Kombinationen eines Opioid mit dem Opioidantagonisten Naloxon vermieden werden. Enteral resorbiertes Naloxon hebt dabei vermutlich die opioidinduzierte Obstipation am Darm auf. Durch die vollständige Metabolisierung von Naloxon im First-Pass der Leber sind systemische Nebenwirkungen, wie unzureichende Analgesie, bei den zurzeit verwendeten Fixkombinationen nicht zu erwarten. Dieser Effekt ist in der chronischen Schmerztherapie schon lange bekannt. Erste Studien im postoperativen Bereich weisen ähnliche Effekte derzeit nach. Die opioidinduzierte Atemdepression tritt auf, wenn kein Schmerz vorhanden ist. Bei korrekt titrierender Dosisfindung sollte sie nicht vorkommen. Kommt eine Atemdepression vor, gibt es mit Naloxon einen potenten Antagonisten.
Cave
Für die gefürchtete Komplikation der Atemdepression bei Opioidtherapie muss eine Standardprozedur zur Behandlung vorliegen.
Ko-Medikation Die Ko-Medikation dient einerseits zur Unterstützung der Analgesie, z. B. bei neuropathischem Schmerz, andererseits zur Behandlung der Nebenwirkungen der Analgetika. Eine Ko-Medikation kann und soll in jeder Stufe des WHO-Schemas eingesetzt werden. Nebenwirkungen wie Übelkeit und Obstipation treten überwiegend in den Stufen 2 und 3 als unerwünschte Arzneimittelwirkung durch die Opioidanalgetika auf. Wichtig ist die Aufklärung des Patienten über den Einsatz der Ko-Medikation und deren Wirkungsweise. Da die Hauptindikationen vieler Ko-Medikamente in anderen Bereichen liegt (Antidepressiva, Antikonvulsiva), könnte der Patient bei fehlender Aufklärung nach Durchlesen des Beipackzettels einen falschen Eindruck bekommen („depressiver Hypochonder“ oder „Epileptiker“) und das wichtige Vertrauensverhältnis zum Arzt empfindlich stören.
Ko-Analgetika Die Domäne der Ko-Analgetika ist die Behandlung des neuropathischen Schmerzes. Im Gegensatz zum Nozizep-
torschmerz entsteht der neuropathische Schmerz durch pathologische Veränderungen am Nerven selbst. Dieser „Nerveneigenschmerz“ wird häufig als brennend, kribbelnd und einschießend beschrieben. Neuropathische Schmerzen entstehen nach einer Schädigung schmerzleitender oder schmerzverarbeitender Systeme im peripheren oder zentralen Nervensystem. Typische Beispiele sind die postzosterische Neuralgie, Schmerzen bei Polyneuropathien, insbesondere der diabetischen Polyneuropathie, Schmerzen nach mechanischen Nervenläsionen (posttraumatische Neuropathie), Schmerzen nach Amputationen (Phantom- oder Stumpfschmerzen), komplexe regionale Schmerzsyndrome (CRPS, früher: sympathische Reflexdystrophie, Kausalgie) und zentrale Schmerzsyndrome, die z. B. nach ischämischen Hirninfarkten (insbesondere Thalamus oder Pons), Rückenmarksverletzungen oder bei Multipler Sklerose auftreten. Patienten mit neuropathischen Schmerzen beschreiben Schmerzen in Ruhe (Spontanschmerzen, z. B. ständig vorhandene, häufig brennende Schmerzen oder einschießende Schmerzattacken) und typischerweise evozierte Schmerzen (Hyperalgesie und/oder Allodynie). Als Deafferenzierungsschmerzen bezeichnet man Schmerzen, bei denen die komplette Unterbrechung großer Nervenstämme (z. B. bei Amputation) oder Bahnsysteme (z. B. komplette oder inkomplette Querschnittsläsion) zur Schmerzursache wird. Auch wenn für Opioide ein positiver Effekt auf diesen neuropathischen Schmerz beschrieben ist, sind die Ko-Analgetika eine Domäne zur Behandlung dieser Schmerzart. Folgende Medikamente werden zur Behandlung der neuropathischen Schmerzen und zur Unterstützung der Analgesie eingesetzt (Tab. 7.7): ● trizyklische Antidepressiva: Amitriptylin, Imipramin, Clomipramin Einsatzgebiet: neuropathischer Schmerz, Schmerzbewältigung ● Antikonvulsiva: Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin Einsatzgebiet: neuropathisch einschießender Schmerz Trizyklische Antidepressiva blockieren die Wiederaufnahme von Serotonin und Noradrenalin. Die anticholinergen Effekte werden häufig vom älteren Patienten nicht toleriert, sodass eine Rotation innerhalb dieser Medikamentengruppe und eine niedrige titrierende Dosierung ratsam ist. Sie beeinflussen die kardiale Reizüberleitung, sodass bei ausgeprägten atrioventrikulären Überleitungsstörungen oder Extrasystolie höherer Lown-Klassifikation diese Substanzgruppe vermieden werden sollte. Für die Medikamente Carbamazepin, Gabapentin und Pregabalin, die initial zur Behandlung von komplex fokalen zerebralen Krampfanfällen entwickelt wurden, konnte ein positiver Effekt beim neuropathischen Schmerz gezeigt werden. Müdigkeit und Verwirrtheit sind die häufigsten Nebenwirkungen, sodass eine einschleichende Dosierung über 5–7 Tage empfohlen wird. Beim älteren Patienten sollte die empfohlene Tageszieldosis deshalb nicht ausgereizt werden.
269
Lizensiert f?r Universit?t Greifswald
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7 Postoperatives Management Tabelle 7.7
Ko-Analgetika.
Schmerzart
Substanz
Medikament
Tagesdosis [mg/70 kg]
Kommentar
neuropathisch, brennend
trizyklische Antidepressiva
Amitriptylin
25–100 mg p. o. zur Nacht
sedierend, deshalb zur Nacht
Einmalgabe
gelegentlich Mundtrockenheit
neuropathisch, brennend
Antikonvulsiva
Clomipramin
25–50 mg p. o. zur Nacht
sedierend, deshalb zur Nacht
Einmalgabe
gelegentlich Mundtrockenheit
neuropathisch, einschießend
Antikonvulsiva
200–1800 mg p. o.
sedierend, einschleichend über mehrere Tage dosieren
neuropathisch, einschießend
Antikonvulsiva
neuropathisch, einschießend
Antikonvulsiva
Carbamazepin
aufteilen in 3 Gaben Gabapentin
300–3600 mg p. o.
sedierend, einschleichend über mehrere Tage dosieren
aufteilen in 3 Gaben
neuropathisch, krampfartig
Pregabalin
300–600 mg p. o. aufteilen in 2 Gaben
sedierend, einschleichend über mehrere Tage dosieren
Calcitonin
100–200 i.U. i. v.
Flush, Allergie
Einmalgabe langsam als Kurzinfusion
Phantomschmerz
Patientenkontrollierte Schmerztherapie Patientenkontrollierte Analgesieverfahren (PCA: Patient controlled Anaesthesia) können bei kooperativen Patienten für die Applikation von intravenösen Opioiden (PCIA), der nervennahen Applikation von Lokalanästhetika (PCN) und der epiduralen Lokalanästhesie (PCEA) durchgeführt werden. Der Vorteil dieser Verfahren liegt in der effektiveren Schmerztherapie, da eine zeitnahe Schmerztherapie durchgeführt wird. Die daraus resultierenden geringeren Einzeldosen reduzieren das Nebenwirkungsprofil. Patientenkontrollierte Therapieverfahren sind sicher, insbesondere in Kombination mit programmierbaren Applikationspumpen, die Maximaldosen und Dosisintervalle überwachen. Der Nachteil dieser Verfahren basiert auf einem höheren personellen Aufwand, da ein besonders geschulter Akutschmerzdienst jederzeit erreichbar sein muss. Bedingt durch den individuellen Schmerzmittelbedarf ist die PCA die Therapie der Wahl beim postoperativen Patienten. Bei allen anderen Applikationsverfahren besteht eine optimale Plasmakonzentration des Analgetikums nur vorübergehend. Die Pumpen werden pro Patient etwa drei bis fünf Tage benötigt. Als Analgetikum kann Piritramid, Morphin oder Oxycodon verwendet werden (Tab. 7.8). Wegen des günstigen Metabolisierungsprofils ist Oxycodon zu empfehlen. Bei der PCA führt sich der Patient immer dann eine kleine Dosis von Schmerzmittel (Bolus) zu, wenn er einen geringen
Anstieg seiner Schmerzen verspürt. Voraussetzung ist, dass vorher eine wirksame Dosis eines Opioids verabreicht und ein wirksamer Spiegel des Medikaments erreicht worden ist. Es muss durch titrierende Dosierung vor Einsatz der PCA zumindest ein NRS = 3 erreicht worden sein. Nur dann reicht die Bolusdosis, die sich der Patient über die Pumpe abrufen kann aus, um einen ausreichenden Effekt zu erreichen. Deshalb müssen die Patienten informiert werden, sofort dann einen Bolus abzurufen („zu drücken“), wenn von ihnen eine geringe Schmerzsteigerung bemerkt wird. Tun sie dies nicht, ist der Effekt des Bolus zu gering und für die Patienten nicht befriedigend. Es dauert dann lange, bis bedingt durch die Sperrzeit der Pumpe tatsächlich eine Schmerzerleichterung bemerkt wird. Meist kann dann keine ausreichende Medikamentenkonzentration im Blut erreicht werden. Eine kontinuierliche Rate wird bei postoperativer Therapie aus Sicherheitsgründen nicht eingestellt, weil sie bei postoperativer Therapie keinen Vorteil hat und die Nebenwirkungsrate wie Obstipation und Atemdepression steigt. Die Atemdepression sollte unter PCA weniger zum Tragen kommen, als bei oraler konventioneller Therapie.
Praxisanleitung Aus Sicherheitsgründen ist eine an der PCA befestigte Ampulle mit dem Opioidantagonisten Naloxon zur Behandlung der Atemdepression zu empfehlen.
Medikament
Bolus [mg/70 kg]
Bolussperrzeit [min]
4-h-Maximaldosis [mg]
Morphin
1–2
15
40
Piritramid
1–4
15
40
Oxycodon
1–3
15
40
Tabelle 7.8 Empfehlungen bei patientenkontrollierter Analgesie mit intravenösen Opioiden.
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7.2 Postoperative Schmerztherapie
Regionale Verfahren Wann immer es möglich ist, sollten beim älteren Patienten regionalanästhesiologische Verfahren mit Kathetern eingesetzt werden. Sie ermöglichen eine suffiziente postoperative Schmerztherapie ausschließlich der betroffenen Region, reduzieren die medikamentöse Schmerztherapie und deren Nebenwirkungen. Als Verfahren stehen heute kathetergestützte rückenmarksnahe Verfahren, wie die Periduralanästhesie, aber auch kathetergestützte periphere Nervenblockaden (Interskalenus-Blockade, Plexusaxillaris-Blockaden, Femoralis-Blockade, Ischiadicus-Blockade) zur Verfügung. Während die rückenmarksnahen Verfahren eine Domäne in der Thoraxchirurgie und bei abdominellen Eingriffen darstellen, sind die peripheren Nervenblockaden sinnvoll bei Eingriffen an der Schulter und den Extremitäten. Beim älteren Patienten findet man häufig einen Verschluss der Intervertebral-Foramina mit Gewebe, das den Abfluss von Lokalanästhetika verhindert und zu einer kranialen Umverteilung des Lokalanästhetikums führen kann. Es werden deshalb beim Älteren geringere Lokalanästhetika-Volumina benötigt, um die gleiche Anzahl an Spinalnerven zu erreichen. Des Weiteren wird eine erhöhte Sensibilität auf Lokalanästhetika beobachtet, hervorgerufen durch die Abnahme sensibler myelinisierter Faser am Hinterhorn des Rückenmarks und einer erhöhten Permeabilität für das Lokalanästhetikum. Die Kombination eines Lokalanästhetikum mit einem Opioid verbessert die gastrointestinale Funktion, die postoperative Mobilisation, reduziert Nebenwirkungen und verkürzt die Krankenhausliegedauer. Eine zusätzliche Verbesserung der Analgesie im Vergleich zu kontinuierlicher PDA kann durch eine patientenkontrollierte Epiduralanästhesie (PCEA) erreicht werden. Nebenwirkungen im Rahmen der epiduralen Schmerztherapie sind Hypotension und motorische Blockaden der unteren Extremität. Infektionen und Nervenverletzungen sind äußerst selten. Nach einer Nervenblockade zeigen ältere Patienten im Vergleich zu jüngeren länger komplette sensorische und motorische Blockaden.
Andere Verfahren Die nicht pharmakologischen Schmerztherapieverfahren sind im Wesentlichen Therapien aus der Physiotherapie und werden vom alten Patienten gut toleriert. In Einzelfällen, beispielsweise bei posttraumatischen Belastungsstörungen, kann eine psychosomatischen Behandlung sinnvoll sein. Physiotherapeutische Schmerztherapie beinhaltet die Mobilisation, Wärme- und Kältebehandlung, und gelegentlich die transkutane Nervenstimulation. Mobilisation verbessert die Beweglichkeit, erhöht die Muskelkraft, beugt Verspannungen vor und verbessert Durchblutung und Lymphdrainage im betroffenen Areal. Bei der Applikation von Wärme und Kälte, insbesondere bei der gleichzeitigen Verwendung von Regionalanästhesieverfahren muss auf Verbrennungen oder Erfrierungen
durch die physiotherapeutischen Maßnahmen geachtet werden.
Organisation der postoperativen Schmerztherapie Um den vielfältigen Aufgaben gerecht zu werden, die sich aus den unterschiedlichen Verfahren zur Behandlung postoperativer Schmerztherapie ergeben, und um jederzeit eine qualitativ hochwertige Therapie zu gewährleisten, ist die Einrichtung eines interdisziplinären Akutschmerzdienstes zu empfehlen. Sinnvoll erscheint eine personelle Struktur bestehend aus einem Facharzt mit einer Zusatzbezeichnung in der Schmerztherapie und speziell ausgebildetem algesiologischem Pflegepersonal. Der Akutschmerzdienst sollte nach Möglichkeit um Mitarbeiter anderer Fachdisziplinen, wie Physiotherapie und Psychosomatik erweitert werden. Die Aufgaben des Akutschmerzdienstes sind die regelmäßige Visite mit Kontrolle und Dokumentation der katheterbasierten Verfahren einschließlich der PCA. Ein weiterer Schwerpunkt des Akutschmerzdienstes liegt in der regelmäßigen Fort- und Weiterbildung des Personals.
Kernaussagen ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ●
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kausale Therapie vor Symptomkontrolle patientenkontrollierte Verfahren erwägen regionalanästhesiologische Verfahre erwägen Schmerzmedikation nach Pathomechanismus Ko-Analgetika konsequent nutzen Stufe-3-Opioide erwägen festes Zeitschema adäquate Dosierung: „start low – go slow“ Bedarfsmedikation bei Durchbruchschmerz Information und Abstimmung mit Patienten Implementation von interdisziplinären Behandlungsleitlinien Einrichtung eines multiprofessionellen Akutschmerzdienstes
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7 Postoperatives Management
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7.3 Palliativmedizin F. Nauck, B. Alt-Epping
7.3.1 Einführung Die zunehmende Technisierung der Medizin in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einhergehend mit neuen Therapieoptionen in den operativen Fächern und der Intensiv- und Notfallmedizin, die diagnostischen Möglichkeiten wie Sonografie, Computertomografie und Kernspintomografie, aber auch die technischen Voraussetzungen für eine immer differenziertere Narkoseführung und Beatmung sowie die Möglichkeiten der Ersatzverfahren für Niere, Herz und Leber führten zu einer Anästhesiologie und Intensivmedizin mit scheinbar unbegrenzten therapeutischen Möglichkeiten. Gleichzeitig nahm und nimmt die Zahl älterer, kränkerer, multimorbider Menschen zu. Das bedeutet für den Anästhesisten – ob im operativen Bereich oder auf der Intensivstation oder Notfallmedizin – eine zusätzliche Herausforderung. Neben den unterschiedlichsten medizinischen, oft auch technischen Herausforderungen müssen Grenzsituationen erkannt und ethische Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen der Patientenautonomie (Selbstbestimmung des Patienten), der medizinischen Prognose und der ärztlichen Fürsorge getroffen werden. Diese rasante Entwicklung in der Medizin des letzen Jahrhunderts war Ausgangspunkt für die Entwicklung der Hospizidee und der Palliativmedizin. Dabei ist Palliativmedizin definiert als ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind (WHO 2002). Nicht nur in Deutschland wurde die Entwicklung der Palliativmedizin durch Gründung von Palliativstationen, Konsiliarteams und ambulanten Palliativdiensten und Förderung der Einrichtung stationärer und ambulanter Hospizdienste maßgeblich von Anästhesisten auf den Weg gebracht und vorangetrieben. Das mag zum Teil daran liegen, dass Palliativmedizin sich zunächst auf Symptomkontrolle bei sterbenden Patienten richtete und bei Schwerstkranken ein besonderer Fokus auf die Tumorschmerztherapie gelegt wurde. Diese Aufgaben hatten durchaus viele Überschneidungen mit dem Arbeitsfeld von Anästhesisten: Sie hatten Erfahrung in der Behandlung mit analgesierenden und sedierenden Substanzen sowie individueller Dosisanpassung, versorgten ängstliche, agitierte, schwerstkranke und sterbende Patienten und waren häufig unter stressreichen Bedingungen in Kontakt mit besorgten Angehörigen von Patienten in kritischen Situationen.
Der folgende Beitrag beschreibt palliativmedizinische Strukturen, Konzepte, Aufgaben und Haltungen sowie die Grundlagen der Symptomkontrolle mit besonderem Augenmerk auf die spezifischen Anforderungen onkologischer Behandlungen, perioperativer Besonderheiten und ethischer Entscheidungen, die sich in der Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin bei Palliativpatienten und älteren Menschen stellen.
7.3.2 Strukturen in der Palliativmedizin Für die palliativmedizinische Krisenintervention stehen Organisationsformen wie Palliativstation, palliativmedizinischer Konsiliardienst und ambulanter Palliativdienst zur Verfügung.
Palliativstation Palliativstationen sind eigenständige Stationen in Krankenhäusern, auf denen Patienten dann stationär versorgt werden, wenn eine adäquate Betreuung zu Hause oder auf einer Allgemeinstation eines Krankenhauses nicht sicherzustellen ist. Sie zeichnen sich durch größtmögliche Autonomie, Interdisziplinarität, Multiprofessionalität und teamorientiertes Arbeiten aus. In der Regel wird die Palliativstation von einer medizinischen Fachdisziplin organisiert und geleitet; Arzt und Krankenpflegepersonal sind ausschließlich für diese Patienten zuständig und arbeiten mit den vorbehandelnden medizinischen Fachdisziplinen und weiteren Professionen wie Psychologie, Physiotherapie, Sozialarbeit, Trauerbegleitung und/oder Seelsorge eng zusammen. Dadurch ist eine besonders intensive und individuelle Betreuung der Patienten möglich. Diese umfasst nicht nur eine kompetente Schmerztherapie und Symptomkontrolle, sondern auch eine umfassende psychosoziale Unterstützung von Patient und Familie. Aufnahmekriterien können somit sowohl Schmerzen als auch andere körperliche Symptome sowie psychosoziale Probleme, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen, sein. Ziel ist eine möglichst rasche Schmerz- und Symptomlinderung und eine Entlassung der Patienten in die häusliche Umgebung, eine Pflegeeinrichtung oder ein Hospiz.
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7 Postoperatives Management
Palliativmedizinischer Konsiliardienst Der Konsiliardienst beinhaltet ein in der Palliativmedizin erfahrenes Team (Arzt, Krankenpflegekraft, Sozialarbeiter, Seelsorger, Physiotherapeut) und stellt auf Anforderung seine Kenntnisse und Erfahrungen in Schmerztherapie, Symptomkontrolle, ganzheitlicher Pflege und psychosozialer Begleitung den Allgemeinstationen eines Krankenhauses zur Verfügung. Kliniken, die schwerstkranke und sterbende Patienten behandeln und palliativmedizinischen Behandlungsbedarf haben, sollten einen palliativmedizinischen Konsiliardienst anbieten. Es hat sich gezeigt, dass durch Zusammenarbeit mit den Konsiliardiensten sowohl die Symptomkontrolle bei vielen Patienten deutlich verbessert wird als auch die Entlassung der Patienten in die häusliche Umgebung rascher gelingen konnte.
Stationäres und ambulantes Hospiz Dame Cicely Saunders (1918–2005) gründete vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen im Umgang mit schwerkranken und sterbenden Patienten 1967 mit dem St. Christophers Hospice in London das erste Hospiz moderner Prägung. Sie hatte erkannt, dass die Versorgung dieser Patienten und ihrer Angehörigen auf eine menschlichere, aber auch medizinisch bessere Basis gestellt werden musste. Ausgehend von Großbritannien haben sich die moderne Hospizbewegung und die Palliativmedizin entwickelt und in weiten Teilen der Erde verbreitet. Stationäre Hospize, ergänzt durch ambulante Hospizdienste mit ihren ehrenamtlichen Helfern, bieten häufig in enger Kooperation mit den palliativmedizinischen und -pflegerischen Diensten ihre Kompetenzen bei der Begleitung schwer- und sterbenskranker Menschen an. Zielgruppe sind Patienten in der letzten Lebensphase, bei denen eine häusliche Versorgung nicht gewährleistet werden kann, eine stationäre Krankenhausbehandlung nicht erforderlich ist und bei denen die pflegerische und psychosoziale Versorgung im Vordergrund stehen. In medizinischen Belangen werden die Patienten von ihren Hausärzten oder niedergelassenen Ärzten versorgt, die in vielen Fällen für diese palliativmedizinische Tätigkeit eine Zusatzqualifikation erworben haben. In Großbritannien existiert zudem die Organisationsform der palliativmedizinischen Tagesklinik, wo Patienten regelhaft (z. B. 1× pro Woche) verweilen, interdisziplinär angesprochen und bedarfsabhängig behandelt werden, mit dem Ziel, klinische, pflegerische oder versorgungsbezogene Probleme so rechtzeitig zu erkennen, dass eine stationäre Aufnahme vermieden werden kann. Die erste universitäre palliativmedizinische Tagesklinik in Deutschland steht in Göttingen kurz vor ihrer Eröffnung. Hospizarbeit und Palliativmedizin sind längst im Zeitalter der Institutionalisierung angekommen. In vielen Regionen in Deutschland sind flächendeckend stationäre und ambulante Hospize vorhanden; nicht zuletzt durch die Etablierung eines rechtlichen Anspruchs (§ 39a SGB V
und § 37b SGB V) mit einer Teilfinanzierung der Koordination ehrenamtlicher Mitarbeiter.
Ambulanter Palliativdienst Die ambulante Versorgung hat in der palliativmedizinischen Behandlung höchste Priorität. Ziel ist es, wenn immer möglich und vom Patienten gewünscht, ein Verbleiben bis zum Tod in der häuslichen Umgebung zu ermöglichen. Hier können ambulante Palliativdienste mit ihrer palliativmedizinischen Expertise in Kooperation mit Hausärzten, ambulanten Pflegediensten, Palliativstationen und schmerztherapeutischen Einrichtungen Unterstützung anbieten. Die Hauptaufgabengebiete sind: Überwachung der Schmerztherapie und Symptomkontrolle, bei Bedarf Anleitung oder Übernahme palliativpflegerischer Maßnahmen (schwierige Verbandwechsel, Umgang mit Pumpensystemen u. a.), Anleitung und Beratung von Angehörigen bei medizinisch-pflegerischen Tätigkeiten, psychosoziale Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen, Hilfe bei der Bewältigung des Krankheits- und Sterbeprozesses sowie der Trauerarbeit und sozialrechtliche Beratung und Hilfestellung. Ambulante Palliativdienste bieten im Sinne der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) ihre Dienste in Ergänzung zu den bereits bestehenden und begleitenden Diensten an und verpflichten sich zur Kooperation mit den oben dargestellten Institutionen. Die Grund- und Behandlungspflege wird in der Regel durch die bereits bestehenden ambulanten Pflegedienste geleistet. Inzwischen haben die Spitzenverbände der Krankenkassen die „Gemeinsamen Empfehlungen zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gemäß § 132 d Abs. 2 SGB V“ veröffentlicht. Damit sind die formalen Voraussetzungen für Vertragsabschlüsse zur SAPV nach § 132 d Abs. 1 SGB V zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern erfüllt. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass nun die ambulante Palliativversorgung flächendeckend umgesetzt werden kann, da dies die Finanzierung sichert. Für eine qualitativ hochwertige Palliativversorgung muss jedoch der multiprofessionelle Ansatz der Palliativmedizin mit psychosozialen Berufsgruppen, Seelsorge etc. sowie die Zusammenarbeit zwischen allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung ausreichend berücksichtigt werden.
7.3.3 Palliativmedizinische Therapieangebote „Die Kardinalsymptome menschlichen Leidens wie Schmerz, Angst, Atemnot, Unruhe und Durst prompt und dauerhaft zu lindern“, wie es bereits Hufeland (1763– 1836) formulierte, ist integraler Bestandteil ärztlichen Handelns und Teil des Aufgabenspektrums jeder medizinischen Fachdisziplin. Somit richtet sich die palliativ-
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7.3 Palliativmedizin medizinische Betreuung nach den Bedürfnissen des Patienten und seiner Angehörigen mit dem Ziel, die subjektiv empfundene Lebensqualität zu verbessern oder auf einem vom Patienten als gut erlebten Niveau zu erhalten. Hauptsymptome der Patienten sind neben Schmerzen auch zahlreiche andere körperliche Symptome wie Schwäche, Dyspnoe, Übelkeit, Erbrechen oder Obstipation. Doch nicht nur die körperliche Beeinträchtigung durch die Erkrankung, sondern auch die unterschiedlichen psychischen Probleme wie Angst, depressive Verstimmungen oder Desorientiertheit bedürfen einer kompetenten Behandlung und Begleitung. Soziale Aspekte, wie die Unterstützung der Angehörigen bei Überforderung oder die Hilfe bei der Organisation der weiteren Versorgung sind in den Gesamtkontext einer palliativmedizinischen Betreuung zu integrieren. Palliativmedizin erfordert in diesem Zusammenhang ein breit gefächertes Angebot, u. a. ● spezielle Kompetenzen in der Schmerztherapie und Symptomkontrolle, ● Sensibilisierung für die Bedürfnisse Sterbender, ihrer Angehörigen und Freunde, ● Wundmanagement, ● Konzepte zu Flüssigkeitsgabe und Ernährung am Lebensende, ● Kompetenzen in der palliativen Pflege, ● psychosoziale Unterstützung und Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen, ● kommunikative Kompetenzen auch bei ethischen Fragestellungen, ● seelsorgerische Begleitung in Aspekten der Spiritualität und Religiosität, ● rehabilitative/versorgungsdienstliche Maßnahmen, ● Ehrenamtlichenarbeit, ● Trauerarbeit Diese Angebote kommen in besonderer Weise bei den vielschichtigen, häufig akuten, physischen und psychosozialen Krisensituationen zum Tragen, denen sich Patienten mit fortgeschrittener, inkurabler Erkrankung ausgesetzt sehen, aber auch in der weiteren Behandlung und Begleitung bis zum Lebensende. Ein mitmenschlicher Umgang mit Leben, Sterben und Tod sowie der Erhalt von Autonomie und Respekt vor der Würde Schwerstkranker und Sterbender, waren und sind zentrale Themen der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin. Die palliativmedizinische Versorgung basiert dabei wie bereits dargestellt auf der hohen Fachkompetenz sowie auf der inter- und multidisziplinären Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen, ergänzt durch ehrenamtliche Mitarbeiter.
7.3.4 Palliativpatient heute und morgen In den palliativmedizinischen Versorgungsstrukturen Deutschlands werden überwiegend Patienten mit fortgeschrittenen, inkurablen Tumorerkrankungen (89,7 % in der Hospiz- und Palliativerhebung HOPE 2007) behandelt. Patienten mit nicht malignen Grunderkrankungen und belastenden Symptomen, wie zum Beispiel Patienten mit neurologischen, kardialen, respiratorischen, renalen oder Alterserkrankungen im Terminalstadium wurden bisher nur unzureichend berücksichtigt, wenngleich auch sie unter physischen, psychosozialen und spirituellen Nöten leiden, die durch palliativmedizinische Expertise gelindert werden könnten. Nicht zuletzt die Weltgesundheitsorganisation hat sich aufgrund von epidemiologischen Daten und Fragen der ärztlichen Grundhaltung für die (Mit-)Behandlung dieser Patientengruppen im Rahmen der Palliativversorgung ausgesprochen. Jedoch stellt dies eine Herausforderung an die Versorgungsstrukturen, die fachlichen Kompetenzen sowie die Finanzierungskonzepte der Palliativmedizin dar. Bislang bezieht sich der gesetzliche Anspruch von Palliativmedizin und Hospizarbeit ausschließlich auf die letzten Wochen und Monate des Lebens. Palliativmedizin muss in Zukunft als ein frühzeitig einsetzendes, die krankheitsspezifische Therapie flankierendes, zunächst weniger, dann mehr in Erscheinung tretendes Behandlungs- und Versorgungskonzept verstanden werden. Neben einem fachübergreifenden Wissenstransfer und einer verbesserten Prognoseabschätzung ist hier vor allem eine Erweiterung der Kooperation und der gegenseitigen Abstimmung zwischen den Palliativteams und den vor- bzw. mitbehandelnden Fachdisziplinen, wie etwa der Anästhesie und Geriatrie, vonnöten.
7.3.5 Symptomkontrolle in der Palliativmedizin Die Palliativmedizin ist keine neue medizinische Disziplin. Seit jeher gehört die Linderung von Leiden zu den zentralen ärztlichen und pflegerischen Aufgaben. Neu belebt wurden jedoch Aspekte wie Kommunikation, Mitmenschlichkeit, Teamarbeit, Integration der Angehörigen in das Behandlungs- und Versorgungskonzept sowie die Berücksichtigung des Menschen in seiner ganzheitlichen Dimension durch ihren interdisziplinären und multiprofessionellen Ansatz. Neu ist auch die Integration evidenz-basierter Erkenntnisse in der Symptomkontrolle, insbesondere der Schmerztherapie. Für die palliativmedizinische Behandlung, Pflege und Begleitung sind die individuellen Bedürfnisse der Schwerstkranken und Sterbenden das wesentliche Kriterium. Die Grundlagen und Therapieansätze in der Symptomkontrolle unter besonderer Berücksichtigung älterer Patienten sollen im Folgenden dargestellt werden. Neben Schmerzen sind Übelkeit, Erbrechen, Obstipation
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7 Postoperatives Management und Dyspnoe häufige und meist sehr belastende und die subjektive Lebensqualität einschränkende Symptome bei Patienten mit inkurablen Erkrankungen. Voraussetzung für eine suffiziente Behandlung aller Symptome ist die Kenntnis der Pathophysiologie sowie eine sorgfältige Anamnese, in der neben den möglichen physischen auch die psychischen, sozialen und ggf. spirituellen Ursachen ermittelt werden. Die Erstellung eines individuellen, an Vorerkrankungen und Alter adaptierten Therapieplans, die regelmäßige klinische Untersuchung vor und während der Behandlung sowie die offene und ehrliche Kommunikation mit dem Patienten und seinen Angehörigen sind weitere wichtige Grundvoraussetzungen. Durch ein differenziertes Therapieregime lässt sich bei den meisten Patienten auch bei diesen Symptomen eine zufrieden stellende Symptomkontrolle erzielen.
Schmerztherapie Schmerzen sind nicht nur ein häufiges Problem bei fortgeschrittenen Tumorerkrankungen, sondern zählen gleichzeitig zu den Hauptproblemen älterer Menschen, weisen oftmals einen chronischen Verlauf auf und können mit Einbußen der körperlichen Funktionsfähigkeit, Verlust der Selbstständigkeit bis hin zu Rückzug und sozialer Isolation verbunden sein. Die Erhebung der Schmerzursache und Schmerzstärke ist im Alter häufig erschwert. Schmerzäußerung und die Möglichkeit Schmerzen zu beschreiben können bei geriatrischen Patienten durch Kommunikationsstörungen, delirante Syndrome oder Demenz eingeschränkt sein (s. Kap. 7.1, Kap. 7.2). Eine medikamentöse Schmerztherapie nach den Grundsätzen der WHO stellt – ggf. neben einer physiotherapeutischen Behandlung – die Grundlage einer Erfolg versprechenden Therapie dar. Aufgrund des Nebenwirkungsspektrums der Nichtopioid-Analgetika und der fehlenden Organtoxizität der Opioide sollten Opioide häufiger und frühzeitiger eingesetzt werden. Bei alten Menschen mit vorbestehender Multimorbidität und Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit, aber auch bei Polymedikation und Arzneimittelinteraktionen, ist eine vorsichtige Dosistitration erforderlich: „start low, go slow“. Bei einigen Schmerzsyndromen und problematischen Schmerzzuständen kann trotz Dosissteigerung der Opioide keine ausreichende Schmerzreduktion erreicht werden. Am häufigsten handelt es sich hierbei um neuropathische Schmerzen. Kommt es trotz zusätzlicher Gabe von Adjuvanzien wie z. B. trizyklischen Antidepressiva oder Antiepileptika nicht zu einer ausreichenden Schmerzlinderung oder zu anhaltenden Nebenwirkungen – z. B. Vigilanzstörungen –, so kann ein Opioidwechsel erforderlich werden (s. Kap. 7.2). Eine wichtige Rolle in der Schmerztherapie nehmen unterstützende Maßnahmen wie physikalische Therapie, Krankengymnastik und Ergotherapie ein. Sie führen aufgrund der hohen Bedeutung funktioneller Störungen für die Schmerzauslösung häufig zu einer deutlichen Schmerzlinderung, aber auch zur Erhaltung der Mobilität.
Symptomkontrolle Übelkeit und Erbrechen Etwa 40–70 % der Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung klagen über Übelkeit und/oder Erbrechen. Allgemein anerkannte Therapierichtlinien oder „Stufenschemata“ existieren lediglich für chemotherapieassoziierte Übelkeit und Erbrechen. Übelkeit und Erbrechen können sowohl über den Vestibularapparat und den zerebralen Kortex als auch durch Arzneimittel, Toxine und Metabolite, die über die Blutzirkulation die Chemorezeptortriggerzone (CTZ) erreichen, sowie über vagale Afferenzen durch die Reizung von Chemo- und Mechanorezeptoren von Kopf, Hals, Thorax, Abdomen, Becken (insbesondere Leber und Darm) mit direkter Stimulation des Brechzentrums ausgelöst werden. Spezifische Ursachen für Übelkeit und Erbrechen bei Tumorpatienten: ● gastrointestinal (Gastrostase, Obstruktion, Peritonealkarzinose, Ulcus ventriculi) ● pharyngeal (z. B. Candidainfektionen, Schleimhautulzerationen) ● medikamentös (Opioide, NSAID, Antibiotika, Digitalis) ● metabolisch (z. B. Hyperkalzämie, Urämie) ● toxisch (z. B. Strahlen-, Chemotherapie, paraneoplastisch, Infektionen) ● zentral (Hirnmetastasen, Meningeosis carcinomatosa, Meningitis) ● psychosomatische Ursachen (z. B. Angst, Stress, Schmerz)
Therapieansätze zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen Die Therapie von Übelkeit und Erbrechen umfasst nicht medikamentöse und medikamentöse Maßnahmen. Zunächst sollte – wenn möglich – die Ursache behandelt werden (z. B. Obstipation, Infektionen, Husten, Schmerzen, Hyperkalzämie, erhöhter Hirndruck). Zu den Möglichkeiten nicht medikamentöser Behandlung gehören die Beseitigung von üblen Gerüchen bei exulzerierenden Tumoren, das Schaffen einer ruhigen Umgebung sowie das Anbieten kleiner Mahlzeiten. Zur pharmakologischen antiemetischen Therapie stehen Antiemetika unterschiedlicher Wirkgruppen (Antihistaminika, Neuroleptika, Anticholinergika, Prokinetika, Cannabinoide und Glukokortikoide) zur Verfügung; weitere Substanzen mit anderem Wirkprofil, wie z. B. Neurokinin-1-Rezeptorantagonisten oder 5-HT3-Rezeptorantagonisten, sind lediglich für die Indikation der chemo- und strahlentherapieassoziierten (bzw. postoperativen) Übelkeit erprobt. Die Auswahl der Antiemetika erfolgt nach der auslösenden Ursache von Übelkeit und Erbrechen sowie der spezifischen Rezeptorwirkung. Die Medikation sollte regelmäßig, in ausreichender Dosierung und antizipativ verabreicht werden. Bei starkem Erbrechen kann initial
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7.3 Palliativmedizin eine parenterale Gabe der Antiemetika sinnvoll sein. Medikament der ersten Wahl (Basisantiemetikum) bei gastrointestinal bedingter Übelkeit stellt Metoclopramid (3–5 × 10 mg/Tag) dar. Bei Übelkeit und/oder Erbrechen, ausgelöst durch Erregung der Chemorezeptortriggerzone (CTZ), wird Haloperidol (3 × 0,5 mg/Tag) und bei Erregung des Brechzentrums ein Antihistaminikum, z. B. Dimenhydrinat (2–3 × 150 mg/Tag), verabreicht. Metoclopramid wie auch Haloperidol können jedoch insbesondere bei älteren Menschen zu extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen und bei Patienten mit Morbus Parkinson zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes führen. Hier empfehlen sich einerseits Domperidon, das die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann, oder ggf. auch 5-HT3-Rezeptorantagonisten oder Kortikosteroide. Durch eine direkte Wirkung der Opioide auf die Chemorezeptortriggerzone (CTZ), den Gastrointestinaltrakt (Gastrostase) sowie das Vestibularorgan klagen etwa 20– 30 % aller Patienten zu Beginn einer Opioidtherapie über Übelkeit und Erbrechen. Eine Toleranzentwicklung, und somit ein Nachlassen der Symptome, tritt in der Regel nach 8–10 Tagen ein. Eine Prophylaxe mit Antiemetika wie z. B. Haloperidol (3 × 0,5 mg/Tag, CTZ) bzw. Metoclopramid (30–60 mg/Tag, Gastrostase/CTZ) sind hier initial hilfreich.
Symptomkontrolle Obstipation Bei Palliativ- und Hospizpatienten ist das Symptom Obstipation ein multifaktorielles Geschehen. Die Behandlung mit Opioiden, die bei vielen Palliativpatienten indiziert ist, ist ein wesentlicher Faktor für das Auftreten von Obstipation. Gleichzeitig können organische (u. a. Tumoren), metabolische (z. B. Hyperkalzämie) oder neurogene und funktionelle Ursachen (u. a. ballaststoffarme Kost, geringe Flüssigkeitsaufnahme, Immobilität, Arzneimittel) Obstipation hervorrufen. Aufgrund dieser Probleme ist gerade bei älteren Patienten eine Indikation für eine medikamentöse, symptomatische Therapie mit Laxanzien gegeben, da eine Umstellung auf eine ballaststoffreiche Kost, Erhöhung der Trinkmenge und Steigerung der körperlichen Aktivität oft nicht mehr möglich ist. Mit Beginn einer Therapie mit starken Opioiden muss in jedem Fall eine Obstipationsprophylaxe mit Laxanzien durchgeführt und über den gesamten Therapieverlauf beibehalten werden (keine Toleranzentwicklung). Aufgrund der Pathophysiologie und der Wirkungsweise unterschiedlicher Laxanzien lässt sich ein Stufenschema der Laxanzientherapie bei Opioidgabe ableiten: Hierbei ist es sinnvoll, zunächst mit der regelmäßigen Gabe eines propulsiv wirkenden Laxans wie z. B. Natrium-Picosulfat (10–20 Tropfen initial) in Kombination mit einem osmotisch wirksamen Laxans wie Macrogol (1–2 Beutel/Tag) zu starten. Ist diese Behandlung nicht erfolgreich, so können Weichmacher wie Sennoside oder Paraffin (1–2 Esslöffel) oder ein antiresorptiv und hydra-
gog wirkendes Laxans wie Bisacodyl zusätzlich verabreicht werden. Je nach Vortherapie und klinischem Befund (Auskultation, Palpation) ist die frühzeitige manuelle Ausräumung (ggf. unter Sedierung) und/oder ein Mikroklysma und/oder ein Einlauf notwendig. In Extremfällen kann die Gabe eines wasserlöslichen Kontrastmittels wie Amidotrizoesäure (50–100 ml oral) Erfolg versprechend sein. Für die opioidinduzierte Obstipation wurde vor kurzem der μ-Rezeptor-Antagonist Methylnaltrexon zur subkutanen Applikation zugelassen. Wesentlich ist und bleibt jedoch die Verhinderung einer Obstipation durch eine konsequente prophylaktische Behandlung.
Symptomkontrolle Dyspnoe und terminales Rasseln Dyspnoe ist das unangenehme subjektive Symptom der Atemnot, dessen Ausmaß nur der Patient selbst bestimmen kann. Dyspnoe ist oftmals von Tachypnoe, Angst, Unruhe und Panik begleitet. Bis zu 70 % der Patienten mit terminaler Krebserkrankung, aber auch anderen inkurablen Erkrankungen, leiden im Verlauf ihrer Erkrankung unter Dyspnoe. Diese kann durch primäre oder sekundäre Lungentumoren, Pleuraergüsse, Lungenödem, Aszites, Anämie, chronische oder akute Atemwegsobstruktionen, Infektionen oder kardiale Ursachen bedingt sein. Die palliativmedizinischen Strategien zielen auf eine Reduktion der Atemfrequenz bei Tachypnoe und die Ökonomisierung der Atemarbeit ab, darüber hinaus auf die Beeinflussung der Reaktion des Patienten auf die Atemnot. Die wichtigsten Substanzen zur Symptomkontrolle von Dyspnoe sind Opioide. Sie bewirken eine größere Toleranz des Atemzentrums gegenüber erhöhten CO2Werten und führen durch Senkung der Atemfrequenz zur Abnahme der Atemarbeit. Bei gleichem Atemminutenvolumen und gleichzeitig geringerer Atemfrequenz steigt das Atemzugvolumen und damit die alveoläre Ventilation. Zudem dämpfen Opioide über ihre Wirkung am limbischen System die emotionale Reaktion des Patienten auf die Atemnot. Die medikamentöse Behandlung besteht aus der regelmäßigen Gabe von Morphin 5–10 mg unretardiert oral alle 4 Stunden, wenn der Patient bisher keine starken Opioide erhalten hat, sonst ⅙ bis ⅓ der bisherigen Tagesdosis. Ebenso können andere starke Opioide verwendet werden. Hier bietet sich bei älteren Patienten das Hydromorphon an, da insbesondere die niedrigere Plasmaeiweißbindung sowie die geringere Kumulation aktiver Metabolite bei Patienten mit Niereninsuffizienz Vorteile in Bezug auf das Nebenwirkungsspektrum zu bieten scheinen. Bei Panikattacken ist die Kombination mit Anxiolytika wie Diazepam oder Lorazepam indiziert. Hier kommt das rasch und stark anxiolytisch wirkende Lorazepam 1–2,5 mg sublingual zum Einsatz. Nicht medikamentöse Strategien wie Entspannungsverfahren, ein offenes Fenster, eine ruhige Umgebung, Oberkörperhochlagerung, nicht beengende Kleidung und
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7 Postoperatives Management der Einsatz eines Ventilators können zusätzlich Erleichterung verschaffen. Die nasale Gabe von Sauerstoff ist selten, d. h. nur bei ausgeprägter Hypoxämie und Zyanose, sinnvoll. Bei Palliativpatienten führt meistens das Versagen der Atemmechanik und nicht der Sauerstoffmangel zur Dyspnoe. Von der Dyspnoe ist das so genannte terminale Rasseln (Death Rattle) in der Finalphase abzugrenzen. Diese geräuschvolle Atmung wird in der Regel vom Patienten nicht wahrgenommen, kann aber für seine Angehörigen und auch die Behandelnden belastend sein. Das Absaugen des trachealen Schleims ist in der Regel nicht sinnvoll, da es beim Patienten in der Agonie Abwehrreaktionen hervorrufen kann und es häufig bereits nach kurzer Zeit durch weitere Schleimproduktion zum Wiederauftreten der Symptomatik kommt. Durch den frühzeitigen Einsatz von Butylscopolamin (10–20 mg alle 8 h s. c.) kann das Symptom, unterstützt durch eine 30-Grad-Lagerung des Patienten, häufig gut beherrscht werden. Wichtig ist es jedoch, dass während dieser Phase die Angehörigen mit ihren Fragen und Ängsten nicht alleine gelassen werden.
Rehabilitative Maßnahmen und Entlassungsplanung Neben den genannten Beispielen symptomkontrollierender Therapieansätze sind rehabilitative Maßnahmen insbesondere dann, wenn als Therapieziel die Entlassung in das häusliche Umfeld angestrebt wird, ein wesentlicher Baustein. Mit physiotherapeutischer Expertise (Krankengymnastik, Mobilisation, Lymphdrainage sowie Anpassung von Hilfsmitteln) kann oftmals eine zeitbegrenzte Rehabilitation ermöglicht und dadurch die subjektiv empfundene Lebensqualität der Patienten deutlich gesteigert werden. Die Mitarbeiter des multiprofessionellen Teams der Palliativstation oder des ambulanten Palliativdienstes koordinieren und organisieren die technische und personelle Unterstützung und klären finanzielle/sozialdienstliche Aspekte, damit dem Entlassungswunsch entsprochen werden kann. Unter dem Schutz einer suffizienten Analgesie mit ausreichender Basis- und Bedarfsmedikation wird im Rahmen eines „ressourcenorientierten Ansatzes“ versucht, verbleibende Mobilität gezielt in Hinblick auf häusliche Notwendigkeiten zu stärken.
Wundversorgung Neben den Tumoren der Haut oder des HNO-Traktes können auch zahlreiche andere solide Tumoren zu ulzerierenden Wunden mit konsekutiven Problemen der technischen Wundversorgung und der Symptomkontrolle, z. B. in Bezug auf Schmerz, Sekretion und Geruchsentwicklung, führen. Hier kann die Einbindung ambulanter Palliative-Care-Teams die spezialisierte Wundversorgung und damit die weitere häusliche Versorgung sichern und zu einer subjektiv hoch eingeschätzten verbleibenden Lebensqualität entscheidend beitragen.
Psychosoziale Aspekte Zahlreiche psychosoziale Unterstützungsangebote sind für Patienten mit unheilbaren Erkrankungen erforderlich und sinnvoll. Diese reichen von der frühzeitigen psychoonkologischen Begleitung bis hin zur sozialdienstlich beratenden Unterstützung bei der häuslichen Betreuung, bei finanziellen Regelungen, bei nicht abgesicherten Lebenssituationen oder bei betreuungsrechtlichen Fragen zur Verantwortlichkeit gegenüber minderjährigen Kindern. Die Palliativmedizin mit der dazugehörigen interdisziplinären und multiprofessionellen Infrastruktur hält die entsprechenden Angebote für einen solchen Unterstützungsbedarf vor. Dabei sind die Übergänge zu den Zielsetzungen und Angeboten der Psychoonkologie fließend und sollten in enger Absprache an die aktuellen Bedürfnisse der Patienten angepasst werden.
Symptomkontrolle in der Finalphase Der Begriff Finalphase umschreibt die Sterbephase und bezieht sich auf die letzten 72 Stunden des Lebens (Nauck 2001). Ziel der Sterbebegleitung muss es sein, Patienten konkrete medizinische Hilfe anzubieten, ihnen und ihren Angehörigen aber auch die nötige Aufmerksamkeit und Zuwendung zu geben. Nach wie vor werden Tod und Sterben verdrängt, jedoch gerade in der Intensivmedizin und Notfallmedizin sind Tod und Sterben allgegenwärtig. Durch eine angemessene medizinische und pflegerische Behandlung und Begleitung kann die Sterbephase ruhig und friedlich verlaufen. Gründe für eine aktive, kompetente ärztliche und pflegerische Behandlung sind in der oft dynamisch verlaufenden Finalphase das Auftreten neuer und/oder bisher gut behandelter, aber jetzt exazerbierter Symptome, die eine Änderung oder Beendigung bisheriger Behandlungsstrategien notwendig machen. Bei fortschreitendem Krankheitsverlauf kann es zu Symptomkrisen kommen, die nicht selten im Zusammenhang mit der entstehenden Unfähigkeit zur peroralen Medikamentenaufnahme stehen. Hier kann durch eine Umstellung der wesentlichen Medikamente auf eine parenterale Applikation, insbesondere der Analgetika, rasch eine suffiziente Symptomlinderung erreicht werden. Die Analgetika werden auch in der Finalphase nach festem Zeitschema gegeben. Durch sorgfältige und regelmäßige Überwachung erfolgt die Anpassung der Therapie, die durch Verschreibung einer ausreichenden Bedarfsmedikation sichergestellt wird. Die Umstellung der oralen Gabe zur subkutanen bzw. intravenösen erfolgt bei Morphin im Verhältnis 2 : 1 bzw. 3 : 1; d. h. eine Tagesdosis von 120 mg retardiertem Morphin oral entspricht 60 mg subkutan bzw. 40 mg intravenös. Die subkutane Applikation kann als Bolusgabe alle 4 Stunden über eine subkutan gelegte Butterflykanüle erfolgen. In der Palliativmedizin kommt es jedoch auch zu Grenzsituationen in der Schmerztherapie, in denen die geäußerten Schmerzen nicht oder nur unzureichend auf
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7.3 Palliativmedizin die Leitlinienbehandlung ansprechen und den Leidensdruck des Patienten, seiner Angehörigen und letztlich auch des therapeutischen Teams erhöhen. Hierzu gehören u. a. Durchbruchschmerzen, Schmerzen unter Belastung und schwer kontrollierbare neuropathische Schmerzen. Die wenigen Patienten, die trotz der Ausschöpfung aller Maßnahmen keine oder eine nur unzureichende Schmerzreduktion erfahren, bedürfen einer besonderen Fürsorge. Hier gilt es, die Patienten nicht alleine zu lassen, und gemeinsam unter Einbeziehung des gesamten multidisziplinären Teams und der Angehörigen in offener Kommunikation zu eruieren, mit welchen Strategien eine Linderung erreicht werden kann. Als Maßnahme zur Symptomkontrolle kann auch die palliative Sedierung gehören. Palliativmedizinische Versorgungsstrukturen (spezialisierte ambulante Palliativdienste mit 24/7Erreichbarkeit oder Palliativstationen mit Anbindung an die Notaufnahme einer Klinik) mit ihren interdisziplinären Therapieansätzen können in diesen schwierigen Situationen Unterstützung anbieten.
7.3.6 Palliativmedizin, Hospizarbeit und die Debatte um aktive Sterbehilfe Aktive Sterbehilfe, also die gezielte Tötung von schwerstkranken oder sterbenden Menschen auf deren ausdrückliches Verlangen hin, ist in Deutschland verboten. Eine Aufhebung dieses Verbots wird in der Gesellschaft lebhaft und kontrovers diskutiert. Dem heutigen Zeitgeist entspricht es eher, sich einen schnellen Tod zu wünschen, die Sterbephase vielleicht sogar abkürzen zu wollen und sich der Auseinandersetzung mit Tod, Sterben und der Endlichkeit des Menschen zu entziehen. Hospizarbeit und Palliativmedizin beinhalten eine Sterbebegleitung, die sich im Gegensatz zur Sterbehilfe stets durch den Respekt vor der unverbrüchlichen Würde des Menschen auszeichnet und kompetent Leiden und belastende Symptome lindert und auf der Tatsache beruht, dass der Tod, das Sterben-Müssen, zur Conditio Humana gehört, daher Sterben ein Teil des Lebens ist und aus der Tabuisierung der Gesellschaft wieder zurückgeholt werden muss. Aufklärung und Information über die Aufgaben und Möglichkeiten der hospizlichen und palliativmedizinischen Sterbebegleitung müssen daher höchste gesellschaftspolitische Priorität erhalten, wenn der zunehmenden Diskussion um die aktive Sterbehilfe und dem ärztlich assistierten Suizid kompetent begegnet werden soll. Hier können Haltung und Expertise in Anästhesiologie, Intensiv- und Rettungsmedizin einen wesentlichen Beitrag leisten.
7.3.7 Palliativmedizin und die Entwicklungen der modernen Onkologie Palliativmedizin wird abgegrenzt von der Palliativtherapie und Supportivtherapie in der onkologischen Behandlung. Palliativtherapie beinhaltet die tumorspezifische Therapie bei nicht kurativer Intention; unter Supportivtherapie hingegen versteht man die Prophylaxe und Behandlung tumortherapiebedingter Nebenwirkungen und Komplikationen wie z. B. chemotherapiebedingte Emesis oder radiogene Mukositis. Die palliativmedizinische Behandlung sollte dabei als (frühzeitig einsetzende) Ergänzung und Erweiterung der Versorgung schwerkranker Tumorpatienten verstanden werden, nicht als Anschluss- oder gar als Alternativkonzept. Wie oben aufgeführt, leiden fast neunzig Prozent der Palliativpatienten in Deutschland an einer zugrunde liegenden Tumorerkrankung; nur zögerlich nimmt der Anteil von Patienten mit nicht onkologischen Grunderkrankungen zu. Neben den Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems weisen Tumorerkrankungen eine deutlich steigende Inzidenz mit dem höheren Lebensalter auf; Neoplasien zählen zu den so genannten „Alterserkrankungen“. Insofern stellen ältere und alte Tumorpatienten in der Palliativmedizin eine sehr bedeutende Patientengruppe dar, mit ggf. atypischen Symptommustern, erschwerter Symptomerfassung, polypharmakologischen Aspekten der medikamentösen Symptomkontrolle und frühzeitig bestehender Notwendigkeit zur Unterstützung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens.
7.3.8 Anästhesie und die Entwicklungen der modernen Onkologie Für die palliativmedizinische wie für die anästhesiologische Behandlung älterer und alter Patienten mit zugrunde liegender Tumorerkrankung spielen die jüngsten Entwicklungen der internistischen Onkologie eine große Rolle. Neben zytotoxischen Drittgenerations-Chemotherapeutika und so genannten IMiD (Thalidomid, Revlimid) sind unüberschaubar viele Antikörper (die sich in der Regel gegen Wachstumsfaktoren wie EGF oder VEGF oder ihre Rezeptoren richten), Tyrosinkinasehemmer oder andere Substanzen mit zellproliferationshemmenden oder apoptoseregulierenden Eigenschaften kürzlich zugelassen worden oder stehen kurz vor der Zulassung. Diese „Targeted Therapies“ weisen veränderte, in der Regel kontrollierbare Nebenwirkungsprofile auf, erweitern sequenzielle Tumortherapieschemata oder werden dauerhaft auch in fortgeschrittenen Tumorstadien als Erhaltungstherapie bis zum neuerlichen Tumorprogress in sehr weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien appliziert.
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7 Postoperatives Management Dies hat bereits jetzt dazu geführt, dass bei bestimmten Tumorerkrankungen wie dem kolorektalen Karzinom von einer „Chronifizierung“ der Erkrankung gesprochen wird. Zudem ist zu erwarten, dass weniger toxische, auf dauerhafte anstatt zyklische Behandlung ausgerichtete Tumortherapien zunehmend auch bei älteren Patienten angewendet werden. Die Forschungsbemühungen in der geriatrischen Onkologie fokussieren dabei auf die Entwicklung umfassender, klinisch-funktioneller Assessment-Tools zur prätherapeutischen Risikoeinschätzung, während die onkologische Grundlagenforschung insbesondere molekulargenetische Profiling-Kriterien beisteuert, um Therapierisiken und Ansprechwahrscheinlichkeiten zu charakterisieren. Diese Entwicklungen werden dazu beitragen, dass nicht nur im Bereich der Palliativmedizin, sondern auch im Bereich der operativen Anästhesie und Intensivmedizin die Berührungspunkte mit älteren Tumorpatienten unter laufender medikamentöser Tumortherapie zunehmen werden. Hier zeichnet sich eine Reihe von (zumeist bislang unbeantworteten) Fragen ab bezüglich der perioperativen Sicherheit und des Arzneimittelinteraktionspotenzials der Tumortherapeutika, der Pharmakodynamik und -kinetik, der Wundheilung, der infektiologischen Besonderheiten u. a. So weist zum Beispiel ein Tumorpatient unter dem VEGF-Antikörper Bevacizumab (eingesetzt zum Beispiel bei Patienten mit kolorektalem Karzinom) ein erhöhtes Risiko für Magen-Darm-Perforationen oder Wundheilungskomplikationen auf, was eine entsprechend lange perioperative Therapiepause erfordert. Ein Patient unter Thalidomid (z. B. bei zugrunde liegendem Multiplem Myelom) kann eine protrahierte Thrombozytopenie bei sonst intaktem Blutbild aufweisen, oder ein Patient unter T-Zell-depletierendem Antikörper oder unter Temozolomid kann unter bestimmten Umständen ein erhöhtes Risiko für opportunistische Infektionen wie Pneumocystis-carinii-Pneumonie aufweisen, mit der Notwendigkeit fortwährender PCP-Prophylaxe. Insofern können nicht nur die demografische Entwicklung und die damit verbundene Tumorprävalenz, sondern auch die Entwicklungen der modernen Onkologie direkte Auswirkungen auf das anästhesiologische Tun haben.
7.3.9 Anästhesie und Palliativmedizin Palliativpatienten in der perioperativen Situation Steht bei Palliativpatienten ein operativer Eingriff an, so gilt es einige Besonderheiten zu beachten. Bereits während der Prämedikation wird häufig deutlich, dass sich viele Palliativpatienten und ihre Angehörigen bereits sehr intensiv mit ihrer unheilbaren Erkrankung, Sterben und Tod auseinandergesetzt haben. Häufiger liegen Patientenverfügungen vor bzw. äußern die Patienten gezielt ihre Wünsche bezüglich einer Behandlung am Lebensende.
Abhängig von der Grunderkrankung und dem geplanten operativen Eingriff sollten gemeinsam mit dem Patienten auch die möglichen Gefahren des postoperativen Verlaufs besprochen werden, damit bei Auftreten von Komplikationen das Vorgehen an den Behandlungswünschen des Patienten orientiert ist. Häufigere Operationen bei Patienten in der Palliativsituation sind abdominelle Eingriffe aufgrund eines Subileus oder Ileus. Bei diesen oft sehr geschwächten Patienten besteht trotz aller prophylaktischen Maßnahmen ein deutlich erhöhtes Risiko einer massiven Aspiration während der Narkoseeinleitung, aber auch von ausgeprägten Herz-Kreislauf-Reaktionen, die eine postoperative intensivmedizinische Behandlung erforderlich machen können. Somit muss der Anästhesist, unterstützt durch den behandelnden Palliativmediziner, bereits im Vorfeld besprechen, ob eine postoperative längere intensivmedizinische Behandlung ggf. mit Beatmung oder Nierenersatzverfahren medizinisch indiziert, vom Patienten gewünscht oder überhaupt akzeptiert wird. Weitere Eingriffe stellen Osteosynthesen bei pathologischen Frakturen dar. Bei multiplen pathologischen Frakturen stellen bereits Lagerung und Bedarfsmedikation bei der Schmerztherapie Herausforderungen dar. Die meisten Palliativpatienten erhalten aufgrund ihrer Schmerzen starke Opioide, zum Teil in hohen Dosierungen. Deshalb ist es erforderlich, im Vorfeld der Operation ein Konzept für die postoperative Schmerztherapie und Symptombehandlung zu erarbeiten.
7.3.10 Palliativmedizin und Intensivmedizin Auf den ersten Blick bestehen zwischen Intensivmedizin und Palliativmedizin scheinbar eher Gegensätze als Gemeinsamkeiten: Die Intensivmedizin mit ihren enormen apparativen und medikamentösen Therapieangeboten und die Palliativmedizin mit ihrem ganzheitlichen Behandlungsansatz, neuen Wege in der Kommunikation und Symptomkontrolle sowie stetiger Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen. Durch Grenzverschiebungen wurden Sterben und Tod zunehmend verdrängt, mit der Folge, eher das „medizinisch-technisch“ Machbare zu tun als nach der „medizinisch-ethischen“ Vertretbarkeit zu fragen. Angst vor einer inhumanen Apparatemedizin, unnötiger Leidensverlängerung und unwürdigen Sterbesituationen leiteten jedoch einen Paradigmenwechsel ein, der dazu beiträgt, den entstandenen Defiziten in unserem Gesundheitswesen zu begegnen. Trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte haben Intensivmedizin und Palliativmedizin zahlreiche Gemeinsamkeiten. In beiden Bereichen werden Patienten in extremen Lebensphasen und problematischen Therapiesituationen behandelt, die oftmals von einer enormen Dynamik geprägt sind. Hohe Fachkompetenz, Arbeit im inter- und multidisziplinären Team, mit einem der Intensität der Versorgung angepassten Stellenplan sind Voraussetzun-
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7.3 Palliativmedizin gen für eine erfolgreiche Arbeit sowohl auf der Palliativstation als auch auf der Intensivstation. Offene Kommunikation im Team, mit Patienten und Angehörigen, Aufklärung und Übermittlung schlechter Nachrichten sowie Entscheidungsfindung in schwierigen ethischen Fragestellungen gehören zu weiteren wesentlichen Gemeinsamkeiten. Im Gegensatz zu den längst etablierten und aus unserem Gesundheitssystem nicht mehr wegzudenkenden, hoch entwickelten Intensivstationen stellen Palliativstationen jedoch noch die Ausnahme dar. Dies zu ändern ist die Herausforderung für die nächsten Jahre – eine Aufgabe, die im Interesse aller Fachgebiete der Medizin liegen sollte.
7.3.11 Ethische Entscheidungen in der Notfallmedizin und Intensivmedizin Bei dem Begriff Intensivmedizin assoziiert man eher Maximaltherapie, Lebensrettung oder Reanimation als Therapiezieländerung oder Therapieabbruch. Das ist auch vom Selbstverständnis der Intensivmedizin her zunächst verständlich. Auf Intensivstationen oder in der Notfallmedizin werden zahlreiche Patienten in Grenzsituationen des Lebens behandelt. Dabei gilt es nicht nur, die unterschiedlichsten medizinischen Herausforderungen anzunehmen, sondern auch ethische Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen der Patientenautonomie (Selbstbestimmung des Patienten), der medizinischen Prognose und der ärztlichen Fürsorge zu treffen. Behandlungsziel der Notfall- und Intensivmedizin ist in erster Linie die Wiederherstellung der Gesundheit, und für den Fall, dass dies nicht möglich ist, die Sicherung des Überlebens des Patienten. Dabei ist die konsequente Linderung von belastenden Symptomen aufgrund der Erkrankung wesentlicher Bestandteil der Intensivbehandlung. In Anlehnung an einen Beschluss der 5. International Conference in Critical Care in Brüssel 2003 gehört zu einer optimalen Betreuung des Intensivpatienten die Konzentration auf „cure, care and comfort“ als gleichwertige Elemente unter Beachtung palliativmedizinischer Prinzipien; das bedeutet auch die Einbeziehung des Patienten und seiner Angehörigen im Sinne von „shared decision making“ und „comfort care“ unter Berücksichtigung physischer, psychischer, sozialer und spiritueller Gesichtspunkte im multidisziplinären Team. Für den Arzt kommt es darauf an, den Übergang von „cure to care“ zu vermitteln, wenn eine Lebensverlängerung und Wiederherstellung lebensbedrohlich gestörter Organfunktionen nicht möglich ist, der Krankheitsverlauf nicht mehr abwendbar ist und der Tod nahe bevorsteht. Eine Entscheidung für die Fortführung einer Behandlung oder die Anordnung einer erneuten Diagnostik fällt, so zeigt sich im klinischen Alltag, nicht selten leichter als eine Entscheidung hin zu einer Therapiezieländerung, die auch den Abbruch einer Behandlung umfassen kann.
In unklaren Situationen bei nicht entscheidungsfähigen Patienten und wenn im Behandlungsteam kein Konsens besteht, ist das „ethische Fallgespräch“ mit Ärzten, Pflegenden, Seelsorgern, Sozialarbeitern und ggf. Angehörigen ein gutes Instrument, um die bestmögliche und angemessene medizinische, pflegerische, seelsorgerische und psychosoziale Betreuung und Behandlung für die Patienten zu ermitteln. Dennoch gibt es Grenzsituationen, in denen Ärzte Entscheidungen treffen und diese auch straf-, zivil- und standesrechtlich und ethisch vertreten müssen. Bei intensivmedizinischen Patienten besteht nicht selten Klärungsbedarf bei ethischen Problemen. Deshalb muss in Zukunft auch unter dem Aspekt einer zunehmend alternden Gesellschaft und somit der immer häufigeren Behandlung geriatrischer Patienten stärker auf eine kompetente ethische Beratung fokussiert werden.
7.3.12 Palliativmedizin und Altersmedizin Derzeit wird ein großer Teil der Patienten, die im Rahmen einer chronischen Alterserkrankung an Schmerzen und Symptomen leiden, nicht ausreichend palliativmedizinisch versorgt. Dies wird besonders an der nicht adäquaten Schmerztherapie von Patienten mit Demenz deutlich, auch im Zusammenhang mit einer in der Regel unterschätzten Schmerzintensität. Aber nicht nur in der Schmerztherapie und Symptomkontrolle können palliativmedizinische Prinzipien sinnvoll in altersmedizinische Konzepte eingebunden werden, sondern auch in anderen Bereichen, wie in der Strukturierung ethischer Entscheidungen am Lebensende (z. B. Krankenhauseinweisung, künstliche Ernährung oder Antibiotikatherapie), im Sterbebeistand und in der Trauerbegleitung. Diese Synergieeffekte werden vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, die für Deutschland für die kommenden Jahrzehnte prognostiziert wird, als zunehmend dringlich erachtet.
Kernaussagen ●
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Palliativmedizin ist definiert als ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Palliativmedizin ist ein multiprofessioneller Ansatz. Strukturen in der Palliativmedizin sind die Palliativstation, stationäre und ambulante Hospize, der palliativmedizinische Konsiliardienst und der ambulante Palliativdienst. Obwohl oft auch Patienten mit nicht malignen Grunderkrankungen einer palliativmedizinischen Versorgung bedürfen, werden in Deutschland zu annähernd 90 % Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen palliativmedizinisch versorgt.
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7 Postoperatives Management ●
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Im Vordergrund palliativmedizinischer Behandlung steht die Kontrolle von Symptomen wie Schmerz, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation und Dyspnoe, um die subjektive Lebensqualität des Patienten mit inkurablen Erkrankungen zu verbessern. Palliativmedizinische Konzepte sollten frühzeitig im Erkrankungsverlauf eingebracht werden; die Entwicklungen der modernen Onkologie tragen zu einer Ausweitung der Überschneidungsbereiche von Palliativmedizin und Onkologie bei.
Weiterführende Literatur Alt-Epping B, Alt-Epping S, Quintel M, Nauck F. Die Entwicklungen der modernen Onkologie und ihre Auswirkungen auf die Anaesthesie und Intensivmedizin. Anästhesist 2009; 58: 589–593 Aulbert E, Nauck F, Radbruch L. Lehrbuch der Palliativmedizin, 2. überarbeitete und ergänzte Aufl. Stuttgart: Schattauer; 2006 Fine PG. The evolving and important role of anesthesiology in palliative care. Anesth Analg (United States) 2005; 100(1): 183–188 Husebø S, Klaschik E. Palliativmedizin. Praktische Einführung in Schmerztherapie, Ethik und Kommunikation. 4. überarbeitete Aufl. Heidelberg: Springer; 2006 Klaschik E, Nauck F, Radbruch L et al. Palliativmedizin – Definitionen und Grundzüge. Internist 2000; 41: 606–611 Nauck F. Symptom control in the terminal phase. Schmerz 2001, 15 (5): 362–369 Nauck F, Alt-Epping B. Crises in palliative care – a comprehensive approach. Lancet Oncol 2008; 9: 1086–1091
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Sachverzeichnis
A Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen 135 ff – strafrechtliche Entscheidung 135 – zivilrechtlicher Beschluss 136 Abkühlung, Regelprozess 45 ff Acarbose 230 ACE-Hemmer – Dauermedikation, perioperativer Umgang 111 – Wirkung, unerwünschte 107 Acetylcholinesterasehemmer 74, 189 Acetylcholinrezeptoren, postsynaptische, Blockade 72 Acetylsalicylsäure 218, 266 f – Dauermedikation – – perioperativer Umgang 199 – – rückenmarksnahe Regionalanästhesie 121 – Nebenwirkungen 62 Achlorhydrie 26 ACTH-Sekretion 233, 235 f ACTH-Syndrom, paraneoplastisches 35 Acute on chronic respiratory failure 210 Addison, Morbus 233 ADH-Konzentration im Serum 158, 232 ADH-Sekretion 234 f – erhöhte 233 – inadäquate 235 – Reaktion auf Flüssigkeitsrestriktion 234 f – Stressantwort 235 f Adipositas, Beatmung mit PEEP 172 Adrenalinkonzentration im Plasma 89 f Advanced glycation End-products 13 AGE (Advanced glycation End-products) 13 Age-related cognitive Decline 10 Agitation, postoperative 194 Airway closure 171 Ajmalin 186 Aktin 41 f Akutschmerzdienst 266, 270 f – interdisziplinärer 271 Albträume, Ketamin-bedingte 69 Aldosteron 232 ff Aldosteronantagonisten 234 Aldosteronsekretion 233 Aldosteronübersekretion 233 f Alfentanil – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – bei Augenoperation 243 – Dosisreduktion 61 – Pharmakodynamik 61 – bei reduzierter Nierenfunktion 227
Allgemeinanästhesie (s. auch Narkose) 141 f – Atmungskontrolle 143 – Augenoperation 241 ff – Einleitung bei Herzinsuffizienz 204 – mit Epiduralanästhesie 143 – bei Herzinsuffizienz 203 f – bei Herzklappenfehler 205 – bei koronarer Herzkrankheit 200 f – Techniken 142 Allgemeinerkrankung, Anästhesierisiko 97 Allopurinol 120 Altersemphysem 169 Altersinkontinenz 29 Altersmedizin 281 Alveolitis 212 Alzheimer, Morbus 188 Amantadin 116, 191 Amidlokalanästhetika, Clearance 84 Amidotrizoesäure 277 Aminoglykoside 92 f – Nephrotoxizität 93 – Ototoxizität 93 – Therapieschema 93 Aminophenole 266 Amiodaron 186 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 112 f – Hypothyreoseinduktion 231 Amitriptylin 270 – Dosierung, koanalgetische 63, 270 Amnesie, anterograde, Benzodiazepinbedingte 69 Amyloid-β-Peptid 188 Analgesie s. auch Schmerztherapie – in der Finalphase 278 f – intravenöse, patientenkontrollierte 265, 270 – multimodale 265 – patientenkontrollierte 259, 265, 270 – postoperative 259 – – neurobiologische Aspekte 59 – rückenmarksnahe, kathetergestützte 271 Analgetika 265 ff – Ausscheidung 60 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 123 f – Kombination 265 – Metabolisierung 60 – nicht opioidhaltige s. Nicht-OpioidAnalgetika – opioidhaltige s. Opioide – oral zugeführte, Resorptionsrate 60 – periphere 259 – Pharmakokinetik 60 – Plasmaeiweißbindung 60 – Verteilung 60
– Vormedikation 59 – Wirkungseintritt, verzögerter 60 – Wirkungsverstärkung 60 Analgosedierung 141 f, 147 – Augenoperation bei Lokalanästhesie 242 – Wechsel zur Allgemeinanästhesie 142 Anämie 161 – chronische 226 – perniziöse 26 Anästhesie – Herzschrittmacherpatient 181 – intravenöse, totale 142, 243 – neuroaxiale 84 f – perioperatives Vorgehen 104 – rückenmarksnahe – – Blockadeausbreitung 203 – – bei Herzinsuffizienz 203 – – Traumapatient 249 Anästhesieplanung 147 Anästhesierisiko 97 ff – Aufklärung 128 – Untersuchung, präoperative 98 ff Anästhesie-Standby 141 f, 242 Anästhesietiefesteuerung 151 Anästhetikum(-a) 74, 243 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 192 f – Interaktion mit Acetylcholin 189 – kurz wirksame 243 – Potenz 56 f – Steuerbarkeit 56 f – volatile 76 ff – – absolute Kontraindikation 78 – – Anflutungsgeschwindigkeit, Herzzeitvolumen-abhängige 77 – – Einfluss auf das kardiovaskuläre System 77 – – bei koronarer Herzkrankheit 201 – – Pharmakokinetik 76 – – bei reduzierter Nierenfunktion 227 – – Steuerbarkeit – – – herzfunktionsabhängige 77 – – – lungenfunktionsabhängige 76 – – Verteilung 76 Aneurysma 216 f – operative Versorgung 217 – spurium 216 – thorakoabdominelles 216 f – verum 216 Angehörige, Anwesenheit bei der Patientenaufklärung 132 Angioplastie, koronare, Operationsrisiko 214 Angiotensin-Converting-EnzymHemmer s. ACE-Hemmer Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten 111
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Sachverzeichnis ANP-Konzentration im Serum 158 Antagonisten, α-adrenerge 107 Antazida 107 Antiarrhythmika – Dauermedikation, perioperativer Umgang 112 f – Klassifkation 112, 186 Antiasthmatika 117 Antibiotika 91 ff – Dauermedikation, perioperativer Umgang 117 – Interaktion mit nicht steroidalen Antiphlogistika 59 – Pharmakokinetik 92 ff Anticholinerges Syndrom, zentrales 259 Anticholinergikum 191 Antidepressiva 63 – aktivierender Effekt, Behandlung 107 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 113 ff – tetrazyklische 114 – trizyklische – – Nebenwirkungen 269 – – bei Schmerztherapie 269 f Antidiabetika, orale 118, 230 Antiemetika 107, 276 f Antiepileptika 116 f – Interaktion mit nicht steroidalen Antiphlogistika 59 Antihyperglykämika 230 Antikoagulanzien – Dauermedikation, perioperativer Umgang 120 f, 197 – – Traumapatient 249 – Zeitintervall – – zur Entfernung eines rückenmarksnahen Katheters 120 – – zur rückenmarksnahen Punktion 120 Antikoagulation, perioperative 219 Antikonvulsiva 63 – Nebenwirkungen 269 – bei Schmerztherapie 269 f Antikörper, diabetesassoziierte 229 Antinozizeptives System, zentrales 262 Antiphlogistika, nicht steroidale 265 ff – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – COX-2-selektive 62, 267 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 124 – Einfluss auf die Thrombozytenfunktion 62 – Interaktion – – mit Antibiotika 59 – – mit Antiepileptika 59 – Nebenwirkungen – – gastrointestinale 62 – – renale 62 – nicht selektive 267 – Wirkungsweise 61 f – Zyklooxygenasehemmung 62 Antipsychotika 195 Antitussiva 107 Aortenaneurysma s. Aneurysma Aortenbogen, deszendierender, Aneurysmaauschaltung 216 Aortendissektion 217 – Stanford-Klassifikation 217 Aortenklappeninsuffizienz 206 Aortenklappenstenose 205 f Aortenstent, endovaskulär platzierbarer 216 f
Apoplex 145 – blutdruckabhängiges Risiko 220 – hämorrhagischer 196 – ischämischer 196 – perioperativer 196 – präoperativ stattgehabter 196 f – – Anästhesie 196 f – – Rezidivprophylaxe 197 Arbeitsgedächtnis 10 ARCD (Age-related cognitive Decline) 10 Arrhythmie, kardiale – okulokardialer Reflex 244 – perioperative, Risikofaktoren 185 Arteriosklerose 215 f Arthritis, rheumatoide – Halswirbelsäulenbeteiligung 166 – schwierige Intubation 164, 166 Arthrose 39 f – Prävalenz 40 – Risikofaktoren 39 Arylessigsäure-Derivate 266 Arylpropionsäure-Derivate 266 Arzneimittel s. auch Pharmakon – Hepatotoxizität 27 – Interaktion mit Grapfruitsaft 124 – kumulative Effekte 151 Arzneimittelexanthem, penicillinbedingtes 92 Arzneimittel-Informations-Dienst der Klinikapotheke des Universitätsklinikums Heidelberg 108 Arzneimittelinteraktion 59, 107 – Computer-gestütztes System 108 – Häufigkeit 108 – Makrolide 93 Arzneimittelkombination, Computergestütztes System 108 Arzneimittelwirkung, unerwünschte, Behandlung 107 Arzt-Patient-Kommunikation, geschlechterspezifische 132 Aspirationsrisiko 164 – Parkinson-Patient 259 Aspirin-Asthma 62 Asthma bronchiale 211 f – anästhesiologisches Management 212 – Therapie 212 Asystolie, okulokardialer Reflex 244 Atelektase 171 f – postoperative 257 Atemdepression, opioidbedingte 269 Atemgasklimatisierung 155 Atemmechanik 19 Atemmuskulatur, Alterungsprozess 168 Atempumpe, Alterungsprozess 168 Atemwege, Alterungsprozess 168 Atemwegsdruck – bei Blähmanöver 173 – Rekrutierungseffekt 173 Atemwegsmanagement 164 ff – bei Augenoperation 243 – Traumapatient 249 Atemwegsobstruktion, variable 211 f Atemwegssicherung 165 f Atemwegswiderstand, erhöhter 210 Atemzentrum, Alterungsprozess 168 Atherogenese 13 Atmungskontrolle 18 – bei Allgemeinanästhesie 143 – bei Regionalanästhesie 143
ATP (antitachykardes Pacing) 179 Atracurium 72 – Dosierung 73 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Aufklärung – angemessene 127 f – Anwesenheit von Angehörigen 132 – betagter, gebrechlicher Patienten 131 ff – Bildungsgrad des Patienten 130 – das Leben des Patienten gefährdende 130 – eingeschränkte 133 – Einzelfallaspekte 129 – Erinnerungsleistung des Patienten 132 – individualisierte 130 f – Intelligenz des Patienten 130 – Verzicht des Patienten 133 Aufklärungsadressat 134 Aufwachraum, Verweildauer – nach Inhalationsanästhesie 79 f – nach perioperativer Hypothermie 154 Aufwachraumphase 255 ff – Komplikation – – kardiovaskuläre 255 ff – – neurologische 258 f – – pulmonale 257 f – Schmerztherapie 259 f, 266 – Verlegungskriterien 260 Augenerkrankung 241 ff Augenoperation – Allgemeinanästhesie 241 ff – am offenen Auge 243 – Atemwegsmanagement 243 – Druck, intraokularer 244 f – Lokalanästhesie 242, 244 – Prämedikation 241 f – präoperative Evaluation 241 f – Wahl des Anästhesieverfahrens 244 Autoimmunthyreoiditis, chronische 231 Autonomie des Patienten 127 AV-Überleitungsstörung, Herzschrittmacher 178 Azetabulumfraktur 247 Azidose – respiratorische 210 – Traumapatient 249
B Ballon-Angioplastie, koronare, Dauerantikoagulation 122 – perioperatives Management 122 Barbiturate – Dosierungsempfehlung 70 – Kontraindikation 66 – kurz wirksame 65 ff – bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 – Wirkort 65 – Wirkung 65 f Basendefizit 248 Basisanalgesie, orale 265 f Basismonitoring – kardiovaskuläres 149 – respiratorisches System 151 Beatmung – assistierende 170 – intraoperative 168 ff
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Sachverzeichnis – – Einstellungen 170 – – Rekruitmentmanöver 173 – kontrollierte 170 – nicht invasive 210 – – Aufwachraumphase 258 – volumenkontrollierte 170 ff – – Atemfrequenz 170 – – Druck-Zeit-Kurve 168 – – Gasflusskurve 170 f – – I:E-Verhältnis 170 – – Parameter 168 – – Tidalvolumen 170 – – Ziele 168 f Beatmungsmodus, Wahl 170 ff Bedarfsanalgesie 265 Begleiterkrankungen 158 Behandlungsrisiko, Aufklärung 128 Behandlungsverweigerung 133 – durch Betreuer 136 – Dokumentation 133 Beinvenenthrombose, tiefe 218 Belastbarkeit – funktionelle, Anästhesierisiko 103 – körperliche – – Abnahme 169 – – bei Herzinsuffizienz 202 Belastungsinkontinenz, weibliche 30 Benzodiazepine 69 f – Antagonisierung 69 – Dosierungsempfehlung 70 – kurz wirksame 200 – bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 – Prämedikation 222, 241 Benzylisochinoline 72 Betalactamantibiotika 92 Betamethason, NNR-supprimierende Tagesdosis 233 Betreuerbestellung 134 Betreuung 134 f Betreuungsverfügung 135 Bevollmächtigter 134 Bewusstseinslage, postoperative, wechselnde 258 f Biguanide 118, 230 Biophasekompartment 55 f Bisacodyl 277 BIS-Analyse (Bispektralindex-Analyse) 151 Blase s. Harnblase Blockade, neuromuskuläre 72 ff – Antagonisierung 74 – prolongierte 73 – Restblockade, postoperative 74 Blutdruck – diastolischer 220 – präoperativer 221 – systolischer 220 Blutdruckamplitude, große 221 Blutdruckeinstellung 220 Blutdruckmessung – invasive, kontinuierliche, Monitoring 149 f – nicht invasive, diskontinuierliche, Monitoring 149 Blutdruckschwankung, intraoperative 222 Blutdruckspitze, intubationsbedingte 223 Blutfluss, zerebraler 11, 59 Blutgasanalyse – präoperative 99 – Traumapatient 248
Blut/Gas-Verteilungskoeffizient 76 Blutgerinnungsstörung – bei Diabetes mellitus 33 – bei perioperativer Hypothermie 154 – nach TURP 238 Blutglukosekonzentration – intraoperative 201 – Zielwert 230 Blutkonservenbereitstellung, präoperative – bei Nierenerkrankung 226 – Traumapatient 248 Blutproduktgabe, perioperative 160 ff Bluttransfusion, allogene, Risiken 161 Blutung – gastrointestinale, NSAID-bedingte 62 – intrazerebrale – – akute 196 – – Schädel-Hirn-Trauma 247 – retrobulbäre 242 Blutungsrisiko bei Cephalosporintherapie 92 Blutverlust, perioperativer, Regionalanästhesieeinfluss 145 Blutvolumen, intrathorakales 150 Bradykardie 16 – atropinrefraktäre 230 – bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 – perioperative 187 Bradykinese 189 Breitbandantibiotika 93 Bronchialsystem, NSAID-Wirkung 62 Bronchodilatatoren, Dauermedikation, perioperativer Umgang 117 Budipin 191 Bupivacain 85, 242 – Elimination 84 – Interaktion mit Kalziumantagonisten 112 Butylscopolamin 278 Butyrophenone, Kontraindikation 193
C Calcitonin 270 CAM-Score (Confusion Assessment Method) 194 cAMP-Spiegel 88 Carbamazepin 269 f Carbapeneme 92 Carbidopa 191 Cardiac Risk Index 103 Celecoxib 266 Cellsaver 248 Cephalosporine 92 Chinolone 93 Chlorgylen 113 f Chronische Krankheit, ökonomische Bedeutung 4 f Cilastatin 92 Cimetidin, Arzneimittelinteraktion 119 Ciprofloxacin 93 Cis-Atracurium 72, 201 – Dosierung 73 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Clamping, suprarenales, bei Aortenaneurysmaversorgung 217 Claudicatio intermittens 215 Clearance 52 ff Clomipramin 270 Clonidin 158, 242
– perioperatives 200 Clopidogrel 218 – Blutungsrisiko 239 Closing Capacity 171 Clostridien-Selektion, cephalosporinbedingte 92 CO2-Narkose 211 Cockcroft-Gault-Formel 54 Colestyramin 109 f Compliance, arterielle, Rückgang 13 f COMT 190 f Confusion Assessment Method 194 COPD s. Lungenerkrankung, chronisch obstruktive Cor pulmonale 209, 211 COX (Zyklooxygenase) 61 COX-1 61, 265 COX-2 61 f, 265 COX-2-Hemmer, selektive 267 Coxibe 266 f – Nebenwirkungen 62 – Wirkungsweise 61 f CRH-Sekretion, erhöhte 233 CRT (kardiale Resynchronisation) 177 f Cushing-Syndrom 35 Cyclodextrine 74 Cytochrom-P450-Isoenzyme 115 Cytochrom-P450-System 93, 114 f
D Darmdivertikulose 26 Darmflora 26 Dauermedikation – perioperativer Umgang 109 ff – Traumapatient 248 DDD-Herzschrittmacher, Stimulationsmöglichkeiten 178 DDDRA-Herzschrittmacher 177 f DeBakey-Einteilung, Aortenaneurysma 217 Decarboxylasehemmer 190 f Declamping nach Aortenaneurysmaversorgung 217 Defibrillation 177, 183 – perioperative 186 Defibrillator – antibradykarde Funktion 179 – antitachykarde Stimulation 179 – Klassifikation 178 f – Magnetanwendung 182 – NASPE/BPEG-Code 177 – permanenter – – Fehlfunktionszeichen 180 – – Indikation 179 – – Kontrolle, präoperative 179 f – – Parameterdokumentation, präoperative 180 – – perioperatives Vorgehen 183 f – – Umprogrammierung, präoperative 181 – Schrittmacherfunktion 178 f – Tachykardieerkennung 179 Defizit, kognitives, postoperatives 78 Dehydratation, präoperative 159 Delirium – hyperaktives, postoperatives 194 – hypoaktives, postoperatives 194 – postoperatives 78, 194 f, 258 f – – begünstigende Faktoren 194, 259 – – Prävention 194 f – – standardisierter Test 194
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Sachverzeichnis Delirium, postoperatives, Symptome 259 Demand-Herzschrittmacher 178 Demenz 188 f – Häufigkeit nach postoperativem Delirium 194 – präsenile 188 – Schmerzmessung 264 – senile 145 – – Alzheimer-Typ 188 f Demografie 3 f Depolarisationsblock 72, 74 Desfluran 76, 79 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 Detrusor vesicae 29 Dexamethason, NNR-supprimierende Tagesdosis 233 Diabetes mellitus 33 f, 229 ff – Blutzucker-Monitoring, perioperatives 119 – Komplikationen 33 – Management, perioperatives 229 ff – Risiko, perioperatives 106 – Therapie, perioperative 230 Dialysepflichtiger Patient, Volumenersatz 227 Diazepam 70 Diazoxid 113 Diclofenac 62, 266 f Digitalisglykoside, Arzneimittelinteraktion 112 Dihydralazin 113 Dikaliumclorazepat 241 Dilatation, linksatriale 207 Diltiazem 257 Dilutionskoagulopathie 239 Dimenhydrinat 277 Dispositionsfunktion 51 f Distickstoffmonoxid 76, 243 Diuretika 109 Dobutamininfusion 89 Doloplus Scale 264 Domperidon 277 Dopaminagonisten 116, 191 Dopamin-Carboxylase-Hemmer 116 Dopaminmangel 189 f Dopaminrezeptorantagonisten 195 Dopamin-Rezeptor-Blockade 116 Dosierung eines Pharmakons 51 ff DRG-System, Einfluss auf die Gesundheitskosten 6 Druck – endexspiratorischer, positiver s. PEEP – intraokularer 244 f – – erhöhter 244 – – Hyperkapnieeinfluss 242 – transpulmonaler 171 f Druckerhöhung, intraabdominelle 171 Druckgradient, transvalvulärer 206 f Dünndarm, bakterielle Überwucherung 26 Durchblutungsstörung, zerebrale 217 f Dysautonomie 230 Dysfunktion, kognitive – postoperative 105, 144, 188 f, 195 f – – Risikofaktoren 195 – präexistente 258 Dyspepsie – ASS-assoziierte 107 – NSAR-assoziierte 107 Dysphagie 25 Dyspnoe, Palliativpatient 277
E
F
Echokardiografie – bei Herzklappenfehler 205 – transösophageale – – intraoperative 201 – – präoperative 205 – transthorakale, präoperative 205 Effektkompartment 55 f Eingriff – endoskopischer 237 f – herzchirurgischer, volatile Anästhetika 201 – operativer – – elektiver, nach perkutaner Koronarintervention 122 – – Palliativpatient 280 – – urologischer 237 f – – – Anästhesieverfahren 240 Einwilligung, selbstbestimmte 127 f Einwilligungsfähigkeit des Patienten 128 – fragliche 134 Elektroenzephalogramm, bispektrale Analyse 151 Elektrokardiografie – intraoperative, bei koronarer Herzkrankheit 201 – Monitoring 149 – präoperative 99 f – bei Verdacht auf Myokardinfarkt 256 Elektrokauter, Interferenz mit Herzschrittmacher/Defibrillator 181 f Embolie, zerebralarterielle, perioperative 196 Emphysem 169 Endokarditisprophylaxe 205 Endokrine Erkrankung 229 ff Endokrines System 33 ff β-Endorphin-Ausschüttung 59 Endotrachealtubus, Widerstand 170 Entzündungsreaktion, abnorme, auf inhalative Noxen 209 Epiduralanästhesie – bei Allgemeinanästhesie 143 – bei COPD 211 – hämodynamische Stabilität 142 f – bei Herzklappenfehler 206 – kardiale Effekte 142 f – bei koronarer Herzkrankheit 200 – lumbale 200, 206 – patientenkontrollierte 270 f – – Nebenwirkungen 271 – thorakale 200 – – kontinuierliche 203 – – opioidfreie, postoperative 144 Epilepsie 145 Erbrechen, Palliativpatient 276 f Ergotaminpräparate 191 Erinnerungsleistung des Patienten 132 Erregungsleitung, motorische 189 f Erythrozytenkonzentrat 161, 226 Esmolol 186 Etomidate 68, 200 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Dosierungsempfehlung 70 – Lipidemulsion 68 – pharmakologische Daten 70 Etoricoxib 266 f Evaporation 47 Extrasystolie, ventrikuläre 186 Extrazellulärflüssigkeit 53
Face Pain Scale 264 Femurfraktur, proximale 249 Fentanyl 60 f – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – bei Augenoperation 243 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Fettgewebe 53 Fettleibigkeit 20 Filtration, glomeruläre 60 Finalphase, Symptomkontrolle 278 f Fläche, linksventrikuläre, enddiastolische 150 Flumazenil 69 Fluoxetin 107 Flüssigkeitsgabe, intraoperative, Standardvorgehen 160 Flüssigkeitshaushalt, Störfaktoren, perioperative 159 f Flüssigkeitsrestriktion, ADH-Sekretion 234 f Flüssigkeitsstatus 160 Flüssigkeitstherapie, perioperative 159 f – nach hämodynamischen Parametern 160 – individuelle 160 – Natriumzufuhr 158 – zielgerichtete 160 Fondaparinux 121 Fraktur – isolierte 249 – osteoporosebedingte 39, 247 FRC s. Residualkapazität, funktionelle Frequenzkontrolle – bei postoperativem Vorhofflimmern 257 – bei Tachyarrhythmia absoluta 186 Füllungsdruck, enddiastolischer, linksventrikulärer 206
G Gabapentin 269 f – Dosierung, koanalgetische 63, 270 GABAA-Rezeptor 65, 67, 69 Gasaustausch, altersbedingte Veränderung 18 f Gastritis, atrophische 26 Gastrointestinale Störung, postoperative 144 Gastrointestinaltrakt – altersbedingte Veränderung 24 ff, 263 – NSAID-Wirkung 62 Gastroparese, diabetische 33 Geburtendefizit 3 Gedächtnis, primäres 10 Gedächtnisverlust 9 Gefäßchirurgie 214 f – Anästhesiemanagement 215 Gefäßerkrankung 214 ff – Anästhesierisiko 215 Gefäßsystem, altersbedingte Veränderung 13 ff Gehirn – Funktionsveränderung 10 – morphologische Veränderung 9 – Volumenreduktion, altersabhängige 9 Gehirngewicht 59
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Sachverzeichnis Gehörgang, Körperkerntemperaturmessung 155 Gehstrecke, schmerzfreie 215 Gelatinepräparat bei reduzierter Nierenfunktion 227 Gesamtkörperwasser 53, 158 f Gesundheitskosten – altersabhängige 4 f – direkt vor dem Tode 6 – DRG-System-Einfluss 6 Gesundheitsmarkt 4 Gewebe/Blut-Verteilungskoeffizient 76 GFR (Glomeruläre Filtrationsrate) 225 Gichtmittel 120 Glinide 230 Globalinsuffizienz, kardiale 202 Glomeruläre Filtrationsrate 225 α-Glucosidase-Inhibitoren 230 Glukokortikoide – adrenale 35 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 119 f Glukokortikoidmangel 233 Glukoseinfusion 230 Glukosestoffwechsel 33 f Glukoseschwelle, renale 33 Glukosetoleranz – postoperative, nach Regionalanästhesie 146 – verminderte 33 Glutamat 9 Glycylcyclin 93 Glykation, nicht enzymatische, endogene 13 Goldmann-Index 101 G-Protein/Adenylatzyklase-System 88 Grapefruitsaft, Interaktion mit Medikamenten 124 Gyrasehemmer 93 Gyrus postcentralis 262
H HAES-Präparat bei reduzierter Nierenfunktion 227 Haloperidol 195, 277 Halswirbelsäule, Arthritis, rheumatoide 166 Haltungsunsicherheit 189 Hämatom, spinales 239 Hämoglobinkonzentration im Blut 161 – Indikation zur Erythrozytenkonzentrat-Transfusion 161 Harnblase, Körperkerntemperaturmessung 155 Harnblasenfunktionsstörung 29 Harnblasenmuskulatur 29 Harnblasenperforation bei TURP 238 Harnblasenentleerungsstörung, prostatabedingte 237 Harninkontinenz 29 f Harnkontinenz 29 Harnröhrensphinkter 29 Harntraktinnervation 29 Harnwegsinfektion 91 f Hautinfektion 91 Heilmittel, pflanzliche, Dauereinnahme, perioperativer Umgang 124 Heizmatte 155 Hemmung, GABAerge, Förderung 116 Heparin – niedermolekulares 239
– unfraktioniertes 239 Hepatosplanchnikusgebiet, altersbedingte Veränderung 24 Herz, altersbedingte Veränderung 14 ff Herzfrequenz, intraoperative 206 Herzfunktion – diastolische 77 – Steuerbarkeit volatiler Anästhetika 77 – systolische 77 Herzfunktionsstörung 14 Herzinsuffizienz 101, 201 ff – altersbedingte 149 – anästhesiologisches Management 203 – Definition 201 – diastolische 202 – Kompensationsmechanismen 202 – Monitoring, intraoperatives 204 – Narkoseeinleitung 204 – NYHA-Klassifkation 202 – perioperative 257 – präoperative Optimierung 203 – Risikoabschätzung 203 – Rückwärtsversagen 202 – systolische 202 – Volumengabe, intraoperative 203 – Vorwärtsversagen 202 Herzklappenersatz 205 Herzklappenfehler 204 ff – Echokardiografie 205 – Endokarditisprophylaxe 205 – erworbener 204 – Narkoseführung 205 – Risikoevaluation, präoperative 204 f Herzklappeninsuffizienz 204 Herzklappenrekonstruktion 205 Herzklappenstenose 204 Herzklappenveränderung 14 Herzrhythmusstörung 15, 149, 185 ff – bradykarde s. Bradykardie – perioperative 185 ff – – Akutintervention 186 – – Aufwachraumphase 257 – – Prävention 185 f – tachykarde s. Tachykardie Herzschrittmacher 177 f – Einkammersystem 178 – festfrequenter 178 – Hysterese-Funktion 178 – Klassifikation 177 f – NASPE/BPEG-Code 177 f – permanenter 179 ff – – elektromagnetische Interferenzen 181 f – – Fehlfunktionszeichen 180 – – Funktion bei Muskelrelaxation 181 – – Indikation 179 – – Parameterdokumentation, präoperative 180 – – Umprogrammierung, präoperative 181 – synchroner 178 – temporärer 183 f – – Stimulation – – – transthorakale 183 – – – transvenöse 184 Herzschrittmacherausfall, Magnetanwendung 182 Herzschrittmacherpatient – Anästhesieverfahren 181 – Defibrillation bei Kammerflimmern 183
– Kontrolle, präoperative 179 f – Magnetresonanztomografie 182 – Monitoring, intraoperatives 181 – perioperatives Vorgehen 183 f Herzzeitvolumen – Monitoring 150 – Sauerstoffangebotsberechnung 161 – Steuerbarkeit volatiler Anästhetika 77 High T4-Syndrome 231 Hilfeleistung bei gebrechlichem Patienten 133 Hippocampus 9 Hirnventrikelvolumen 59 Histaminliberation – durch nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien 72 – Succinylcholin-bedingte 74 Hochbetagte, Bevölkerungsanteil 3 Hofmann-Elimination 72 Homöostase, perioperative 145 f Hormon – antidiuretisches s. ADH – Thyreoidea-stimulierendes s. TSH Hormonhaushalt, renaler 158 Hospiz – ambulantes 274 – stationäres 274 Hospizarbeit 274, 279 H2-Rezeptor-Antagonisten 107, 119 HSM s. Herzschrittmacher 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten 277 – Arzneimittelinteraktion 119 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 119 Hüftfraktur 39 Humanalbumingabe bei reduzierter Nierenfunktion 228 Husten, ACE-Hemmer-induzierter 107 Hybridparameter, pharmakokinetische 52 Hydralazin 113 Hydrokortison – NNR-supprimierende Tagesdosis 233 – Substitution, perioperative 119 f Hydroxyäthylstärke bei reduzierter Nierenfunktion 227 Hyperaldosteronismus 233 – sekundärer 234 Hyperglykämie 229 – postoperative Komplikation 106 Hyperhydratation, hypoosmolare, intravasale, bei TURP 238 Hyperkaliämie 35 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 – Succinylcholin-bedingte 74 Hyperkapnie 210 – Augeninnendruckerhöhung 242 – chronische 211 – Stimulierbarkeit des Atemzentrums 168 Hyperkortisolismus 35 Hyperparathyreoidismus 34 Hyperreaktivität, vegetative 222 Hyperthermie – maligne 74 – – Disposition 78 – Traumapatient 249 Hyperthyreose 34, 231 – jodinduzierte 231 – Narkosebedarf 123 Hypertonie – arterielle 220 ff
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Sachverzeichnis Hypertonie, arterielle, anästhesiologisches Management 221 ff – – – stadiengerechtes 222 – – Dauermedikation, perioperativer Umgang 222 – – ESC-Richtlinien 220 – – ESH-Richtlinien 220 – – Hyperaldosteronismus 234 – – Narkoseausleitung 223 – – postoperative, im Aufwachraum 223 – – Stadieneinteilung 221 – – systolische 220 f – – WHO/ISH-Definition 220 – – WHO-Richtlinien 220 – pulmonale 207 Hypertrophie – kardiale 14 – linksventrikuläre 205 f, 207 f Hypnotika, Narkoseeinleitung 226 Hypoaldosteronismus 233 Hypochlorhydrie 26 Hypoglykämie – bei Diabetes mellitus 229 – perioperative 118, 231 – Symptome 229 Hyponatriämie 235 Hypophysenhinterlappenfunktion 234 f Hypophysenvorderlappen 235 Hypothalamus 45 f Hypothalamus-HypophysenNebennieren-Achse 235 – Suppression, glukokortikoidbedingte 119 Hypothermie 47 – perioperative 151 – – Entstehung 153 – – Komplikation 154 – – Maßnahmen, perioperative 156 f – – operative Situation 156 – – bei rückenmarksnaher Regionalanästhesie 154 Hypothyreose 34, 231 f – Narkosebedarf 122 – subklinische 34, 231 f Hypotonie, arterielle, perioperative 150, 196, 223 Hypoventilation 210 – postoperative 258 Hypoxämie 210 – chronische 211 – perioperative 21 – Stimulierbarkeit des Atemzentrums 168 Hysterese-Funktion des Herzschrittmachers 178
– Keimspektrum 91 f – Mortalität 91 Infektionserreger – multiresistente 93 f – Resistenzentwicklung 91 Inflammatorische Reaktion, postoperative 236 Influenza-Typ-A-Viruspneumonie 92 Infusionslösung, kristalloide, bei reduzierter Nierenfunktion 227 Infusionswärmer 156 Inhalationsanästhesie 79 f Inhalationsanästhetikum(-a) 76 ff – Anästhesie, intravenöse, totale 142 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Dosierung 78 – Konzentration – – endtidale 78 – – minimale alveoläre 78 – Wahl 78 f – – kardiovaskulärer Risikopatient 79 Injektionsanästhetika 65 ff – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Dosierungsempfehlungen 70 – pharmakologische Daten 70 Injektionsschmerz, Propofol-bedingter 68 Inspirationsdauer/ExspirationsdauerVerhältnis 170 Insulin-Dauermedikation, perioperativer Umgang 118 f Insulingabe, perioperative 118 f Insulin-like-Growth-Factor 43 Insulinresistenz 27, 33, 230 Insulinsekretion, verminderte 27, 33 Insulin-Sensitizer 230 Insulintherapie, intensivierte, intraoperative 201 Intensivmedizin 280 f – ethische Entscheidungen 281 Intubation, endotracheale – fiberoptische, bei wachem Patienten 165 – bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 – Narkosetiefe 223 – schwierige 164, 166 Iris-Linsen-Diaphragma, Protrusion 244 Isofluran 76, 79 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 Isolation, wärmeprotektive 156 Isoprenalininfusion 89
I
J
Ibuprofen 62, 266 f IGF-I (Insulin-like-Growth-Factor) 43 Ileus, opioidbedingter 144 Imipenem mit Cilastatin 92 Immunologische Reaktion bei Bluttransfusion 161 Indometacin 266 – Nebenwirkungen 62 Infektion – bei Bluttransfusion 161 – katheterassoziierte 150 – respiratorische 91 Infektionserkrankung 91
Jackson-Position 166
K Kältezittern 45 f Kalzium, Muskelfunktion 40 ff Kalziumantagonisten, Dauermedikation, perioperativer Umgang 111 f, 222 Kalziumkanal-Blocker 112 Kalziumregulation 34 Kammerflimmern, Herzschrittmacherpatient 183
Kammerwasserabflussstörung 244 Kapnometrie, Monitoring 149, 151 Kardiales Ereignis bei perioperativer Hypothermie 154 Kardiomyopathie, Zytostatika-bedingte 117 Kardiovaskuläres System – altersbedingte Veränderung 13 ff, 263 – Alterungsprozess 169 – Einfluss volatiler Anästhetika 77 Kardioversion, R-Zacken-getriggerte 186 Karotisbifurkationsstenose 217 f Karotisstenose 218 Katabolie, peripoperative 154, 159 Katecholamine 35, 88 ff – bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 Katheter, rückenmarksnaher, Entfernung, Intervall zur Antikoagulation 120 Katheteranästhesie, epidurale, bei Herzinsuffizienz 203 Ketamin 69 f – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 Ketoazidose 230 Ketoprofen 266 KHK s. Koronare Herzkrankheit Knochenbildung 37 Knochendichte 39 Knochenmasse 38 f Knochenmineraldichte, verringerte 38 Knochen-Modelling 38 Knochen-Remodelling 38 Knochenumbau 38 Knorpelgewebe 38 Koagulopathie, Traumapatient 249 Ko-Analgetika 63, 269 f – Nebenwirkungen 63 Kolitis, pseudomembranöse 92 Koma – hyperosmolares 230 – ketoazidotisches 230 Kommunikation – geschlechterspezifische 132 – Schmerzmessung 264 3-Kompartment-Modell der Pharmakokinetik 52 – Lokalanästhetika 83 Komplikation – kardiovaskuläre – – Aufwachraumphase 255 ff – – perioperative 101 – neurologische, postoperative 105 – postoperative, altersabhängige 98 – pulmonale – – Aufwachraumphase 257 f – – perioperative 104 f – – Risikofaktoren 21, 258 Kompressionsatelektase 171 Konduktion 46 Konsiliardienst, palliativmedizinischer 274 Konstipation 26 Konvektion 46 Konzentration eines Pharmakons im Blut 51 ff Konzentrationsstörung, postoperative 194 Konzentrations-Wirkungs-Beziehung 54 ff Konzentrations-Wirkungs-Kurve 54 ff
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Sachverzeichnis Koronarangiografie, präoperative 100 f Koronararterienstenose 15, 218 Koronare Herzkrankheit 15, 199 ff – anästhesiologisches Management 199 ff – interventionsbedürftige, nicht herzchirurgische Operationsindikation 123 – Monitoring, intraoperatives 201 – Narkoseleitung 200 f – präoperative Optimierung 199 f – Risikoabschätzung 199 Koronarinsuffizienz, relative 206 Koronarintervention, perkutane, Rethromboserisiko 122 Körperkerntemperatur 45, 47 – Abfall 153 – Messort 155 – Messung 154 f – Plateau-Phase 153 Körperoberflächenisolation, wärmeprotektive, intraoperative 157 Körperoberflächenwärmung, intraoperative 157 Körpertemperatur, Monitoring 151 Kortikoid s. auch Glukokortikoid; s. auch Steroid Kortikoidsubstitution, perioperative 234 Kortikoidtherapie, Nebennierenrindeninsuffizienz, sekundäre 233 Kortisol 232 f Kortisolkonzentration im Serum 232 f, 235 Kortisolsekretion, fehlende 232 f Kortisolsynthesehemmung, Etomidatebedingte 68 Kortison, NNR-supprimierende Tagesdosis 233 Kraftverlust 43 Krankheitskosten, altersabhängige 5 Kreatinin-Clearance 54 – Kontraindikation für nicht selektive NSAID 267 Kreatininkonzentration im Serum 60, 225 Kreislaufregulation 16 f Krikoarytenoidgelenk, Arthritis, rheumatoide 166 Krise, thyreotoxische 123 Kurzzeitgedächtnis 10
L Labordiagnostik, präoperative 99 Lachgas 76, 243 LADA (Late Autoimmune Diabetes in Adults) 229 Laktatazidose, biguanidbedingte 230 Laryngoskopie – Narkosetiefe 223 – schwierige 166 Larynxmaske 165, 243 Late Autoimmune Diabetes in Adults 229 Late onset Asthma 212 Laxanzien 107 – beim Palliativpatienten 277 Laxanziengebrauch 26 Laxanzientherapie, Stufenschema 277 L-Dopa 191 Lebenserhaltende Maßnahmen, Abbruch s. Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen
Lebenserwartung, durchschnittliche 3f Lebensqualität, individuelle, Operationsindikationsstellung 98 Leber, altersbedingte Veränderung 263 Leberfunktionsstörung, Muskelrelaxanzienwirkung 73 Lebermasseabnahme 24, 27 Leberschädigung, medikamentenbedingte 27 Leitungsbahn, kardiale, akzessorische 186 Lethal Triad 249 Levey-Formel 225 Levo-Bupivacain 85 Levodopa 190 f – Dauermedikation, perioperativer Umgang 116 Levofloxacin 93 Lidblock 242 Lidocain 186, 242 – Elimination 84 – pharmakokinetische Daten 85 Linksherzinsuffizienz 202, 220 Lipidinfusion bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 Lipidsenker 109 f Lithium 117, 231 Lokalanästhesie, Augenoperation 242, 244 Lokalanästhetikum(-a) 82 ff – Absorption 82 f – Applikation – – epidurale 84 f – – in den Peribulbärraum 242 – – in den Retrobulbärraum 242 – – spinale 84 f – Biotransformation 84 – Clearance 84 – Elimination 83 f – Kombination mit einem Opioid 271 – 3-Kompartment-Modell 83 – pharmakokinetische Daten 85 – Proteinbindung 83 f – systemische Verteilung 82 f Lokalanästhetikumintoxikation 86 Long-QT-Syndrom 119 Lorazepam 70 Lovastatin 109 f Lower Urinary Tract Symptoms 237 Luftwärmer, konvektiver 156 Lunge, altersbedingte Veränderungen 18 ff, 263 Lungenembolie 218 f Lungenerkrankung – chronisch obstruktive 20, 209 ff – – akute respiratorische Insuffizienz 210 f – – Anästhesierisiko 105 – – anästhesiologisches Management 211 – – postoperative Komplikation 257 f – – Schweregrad 209 – chronische 209 ff – interstitielle 212 f Lungenfibrose 212 Lungenfunktion – präoperative Evaluation 20, 99 – Steuerbarkeit volatiler Anästhetika 76 – Traumapatient 248 Lungengewebe-Compliance, statische 210
Lungenparenchym, Alterungsprozess 169 Lungenresektion, präoperative Evaluation 20 Lungenversagen, akutes, Beatmung mit PEEP 172 Lungenvolumina 19 LUTS (Lower Urinary Tract Symptoms) 237
M MAC (minimale alveoläre Konzentration), Inhalationsanästhetikum 78 MAC50, Inhalationsanästhetikum-Dosierung 78 MACawake (endtidale Inhalationsanästhetikumkonzentration) 78 Macrogol 277 Magenentleerungsstörung 230 Magenmukosa, Zytoprotektion 26 Magensäureproduktion 24, 26 Magnetanwendung – bei Herzschrittmacherausfall 182 – ICD-Aggregat 182 Magnetresonanztomografie, Herzschrittmacherpatient 182 Makroangiopathie bei Diabetes mellitus 230 Makrolide 93 Malabsorption 26 MAO-A-Hemmer 113 f MAO-B-Hemmer 113 f MAO-Hemmer 191 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 113 f Maskenbeatmung 165 – schwierige 164 f – – Definition 165 MCI (Mild cognitive impairement) 188 Medikament s. Arzneimittel Membran, postsynaptische, Dauerdepolarisation 72 Mepivacain 84 f Metamizol 267 Metformin 230 f Methohexital 67, 70 Methylnaltrexon 277 Methylprednisolon, NNR-supprimierende Tagesdosis 233 Metoclopramid 277 – Kontraindikation 193 Metyrapon 235 Midazolam 69 f, 200, 241 – Arzneimittelinteraktion 115 – Interaktion mit Grapfruitsaft 124 – Konzentrations-Wirkungs-Kurve, EEG-bezogene 57 – pharmakologische Daten 70 Mikroangiopathie, diabetische 230 Miktionszentrum 29 Mild cognitive impairement 188 Mineralokortikoide 35 Mineralokortikoidmangel 233 Minoxidil 113 Mitralklappeninsuffizienz 207 f Mitralklappenstenose 207 Mitteldruck, arterieller, intraoperative Abweichung 223 Mivacurium – bei Augenoperation 243 – Dosierung 73
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Sachverzeichnis Mivacurium bei reduzierter Nierenfunktion 227 Mobilisierung, postoperative 258 f, 271 Moclobemid 113 f Modelling, Knochen 38 Monitored Anaesthesia Care 242 Monitoring 149 ff – hämodynamisches, erweitertes 149 f, 201, 207 – Herzschrittmacherpatient 181 – intraoperatives – – Gefäßchirurgie 215 – – bei Herzinsuffizienz 204 – – bei koronarer Herzkrankheit 201 – – bei Mitralklappeninsuffizienz 207 – kardiovaskuläres 149 f – neuromuskuläres, unter Muskelrelaxation 74 – respiratorisches System 150 f Monoaminooxidasehemmer s. MAOHemmer Morphin – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – bei Dyspnoe des Palliativpatienten 277 – patientenkontrollierte intravenöse Analgesie 265, 270 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Motoneuronverlust 42 Moxifloxacin 93 MRSA-Infektion 91 Multi-System-Atrophie 189 Multimorbidität – Gefäßchirurgie 214 – Trauma 247 Mundhöhle, Körperkerntemperaturmessung 155 Mundtrockenheit 24 Muskelenzymerhöhung, lipopeptidbedingte 94 Muskelfaserverlust 42 Muskelproteinabbau, postoperativer, nach perioperativer Hypothermie 154 Muskelrelaxanzien 72 ff – Antagonisierung 74 – Arzneimittelwechselwirkung 73 – – mit Kalziumantagonisten 111 f – – bei Morbus Parkinson 193 – bei Augenoperation 243 – depolarisierende, Herzschrittmacherfunktion 181 – bei koronarer Herzkrankheit 201 – Monitoring, neuromuskuläres 74 – nicht depolarisierende 72 – – Nebenwirkungen 72 – Recovery-Index 54 – bei reduzierter Nierenfunktion 226 f – verzögerter Wirkungseintritt 73 Muskelrelaxation, Zwerchfellverlagerung 171 Muskelschwäche 43 Muskelzittern, postoperatives 158 Muskulatur 40 ff – altersbedingte Veränderung 42 f – quergestreifte 40 ff – regenerative Kapazität 42 Myokardinfarkt 15 – Diagnostik bei Verdacht 256 – Elektrokardiogramm 256 – Nicht-ST-Strecken-Hebung 256 – perioperativer 255 ff – – Aufwachraumphase 255 ff
– – Risikofaktoren 255 f – ST-Strecken-Hebung 256 Myokardischämie – perioperative 199, 256 – – Regionalanästhesieeinfluss 143 Myokardperfusion, Steuerbarkeit volatiler Anästhetika 77 Myokardpräkonditionierung, ischämische 15 Myokardrevaskularisation, präoperative – Indikationsstellung 100 f – Zeitintervall zur Operation 101 Myosin 41 f Myosinfilamente 40
N Nachbeatmung 158 Nachblutung, Traumapatient 249 Nachlast – linksventrikuläre – – intraoperativer akuter Anstieg 206 – – Senkung bei Aortenaneurysmaversorgung 217 – rechtsventrikuläre, Senkung 207 f Naloxon 266, 269 Naproxen 266 Narkose s. auch Allgemeinanästhesie Narkosetiefe 196 Narkoseverfahren 21 Nasopharynx, Körperkerntemperaturmessung 155 NASPE/BPEG-Defibrillator-Code 177 NASPE/BPEG-HerzschrittmacherCode 177 f Natriumbedarf bei TURP-Syndrom 239 Natriumkanal-Blocker 112, 116 Natrium-Picosulfat 277 Natriumretention, perioperative 159 Nebennierenfunktion 35 Nebennierenrindenadenom 233 Nebennierenrindenhormone 232 f Nebennierenrindenhyperplasie 233 Nebennierenrindeninsuffizienz 35, 233 Nebennierenrindenunterfunktion 233 Nebenschilddrüsenfunktion 34 Nephropathie – diabetische 225 – hypertensive 225 Nephrosklerose 220 Nephrotoxine 160 Nephrotoxizität – Aminoglykoside 93 – Nicht-Opioid-Analgetika 267 Nervenblockade, periphere 200 – bei Herzinsuffizienz 203 – kathetergestützte 271 – bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit 216 Nervenstimulator, peripherer, Interferenz mit Herzschrittmacher/ Defibrillator 182 Nervensystem – autonomes 11, 89 f – peripheres 11 – – altersbedingte Veränderungen 263 – zentrales 9 ff – – altersbedingte Veränderungen 263 – – Gyrasehemmer-Nebenwirkung 93 Neurobiologische Veränderungen 59 Neurodegenerative Erkrankung 9
Neuroleptika 116 Neuroleptisches Syndrom, malignes 116 Neurologische Erkrankung – altersabhängige 145 – perioperative 188 ff Neurologische Störung – perioperative 105 – – nach Regionalanästhesie 145 Neuromuskuläre Funktion, Überwachung 151 Neuronenveränderung, morphologische 9, 11 Neuropathie, autonome, diabetische 33, 230 Neurotransmitter, verminderte 59 Neurotransmittersystem – exzitatorisches 9 – inhibitorisches 9 Nichtdepolarisationsblock 72 f Nicht-Opioid-Analgetika 265 ff – Kombination 265 – Nebenwirkungen 266 f – – gastrointestinale 267 – Nephrotoxizität 267 – Pharmakodynamik 61 ff Nicht-ST-Hebungs-Myokardinfarkt 256 Niere, altersbedingte Veränderungen 263 Nierenarterienstenose 234 Nierenerkrankung 225 ff – Blutkonservenbereitstellung, präoperative 226 – Narkoseeinleitung 226 – präoperative Checkliste 226 Nierenfunktion – altersabhängige 54 – Einfluss kolloidaler Volumenersatzmittel 227 – reduzierte 225 – – Dauermedikation, perioperativer Umgang 226 – – Komorbidität 225 f Nierenfunktionsstörung, Muskelrelaxanzienwirkung 73 Nierenfunktionsveränderung 158 Niereninsuffizienz, chronische 225 f – geeignete Muskelrelaxanzien 227 Nierenversagen, akutes, perioperatives 105, 160 Nifedipin 221 Nikotinabusus, Anästhesierisiko 105 Nikotinkarenz, präoperative 21 Nitrate 112 NMDA (N-Methyl-D-Aspartat) 69 NMDA-Antagonist 69 N-Methyl-D-Aspartat 69 N-Methyl-Thiotetrazolring 92 Non-ergoline-Dopaminagonisten 191 Noradrenalininfusion 89 Noradrenalinkonzentration im Plasma 89 Notfallmedizin, ethische Entscheidungen 281 Notfallsituation, rechtliche Aspekte 134 Noxe, inhalative, abnorme Entzündungsreaktion 209 Nozizeptoren 262 NRS (Numerical Rating Scale), Schmerzmessung 264, 270 NSAIDs s. Antiphlogistika, nicht steroidale
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Sachverzeichnis NSTEMI (Nicht-ST-Hebungs-Myokardinfarkt) 256 Nüchternblutzuckerspiegel 33 Numerical Rating Scale, Schmerzmessung 264, 270 NYHA-Klassifkation, Herzinsuffizienz 202
O Oberflächenanästhesie am Auge 242 Obstipation – opioidbedingte 269, 277 – Palliativpatient 277 – Verapamil-induzierte 107 Ökonomie 4 Onkologie, internistische 279 f Operation, notwendige, Ablehnung durch den Patienten 131 Operationsindikation, nicht herzchirurgische, bei interventionsbedürftiger koronarer Herzerkrankung 123 Operationsrisiko 103 Opioidantagonist 269 Opioide 60 f, 267 ff – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – bei Augenoperation 243 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 123 – Dosisreduktion 61 – bei Dyspnoe des Palliativpatienten 277 – kurz wirksame, Anästhesie, intravenöse, totale 142 – Nebenwirkungen 265, 268 – Pharmakokinetik 60 f – physische Abhängigkeit 268 – postoperative 265 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 – schwach potente 268 f – stark potente 268 f Organschädigung, hypertoniebedingte 221 f Ösophagus – altersbedingte Veränderung 25 – Körperkerntemperaturmessung 155 Osteoblasten 37 Osteoklasten 37 f Osteopenie 38 Osteoporose 39, 246 f – Frakturrisiko 39, 247 – bei Hyperthyreose 34 Osteozyten 37 Ototoxizität, Aminoglykoside 93 Ovarialhormonproduktion 35 Ovarialhormonsubstitution, postmenopausale 35 Oxazolidinone 93 Oxidative Schädigung 43 Oxycodon – orale Applikation 266 – patientenkontrollierte intravenöse Analgesie 265, 270 Oxycodon/Naloxon 266 Oxygenierungsstörung – Atelektasengröße 171 f – postoperative 258 – progrediente, Beatmung mit PEEP 172 Oxygesic Akut Kapseln 266
P Palliativmedizin 273 ff – rehabilitative Maßnahmen 278 – Symptomkontrolle 275 f – Therapieangebote 275 Palliativpatient 275 ff – in der Finalphase 278 f – operativer Eingriff 280 – psychosoziale Unterstützung 278 Palliativstation 273 Palliativversorgung, ambulante, spezialisierte 274 Pancuronium 73, 226 Pankreasveränderung, altersbedingte 26 Paracetamol 266 f – Arzneimittelinteraktion 119 Paraffin 277 Parasympathikus 11, 16 Parathormonspiegel 34 Parkinson, Morbus 189 ff – Anästhesie 190, 192 – Aspirationsrisiko 259 – betroffene Organsysteme 192 – Medikamenten-Anästhetika-Wechselwirkung 192 f – Pathophysiologie 189 f – Therapie 190 ff – – intraoperative 190, 192 – – postoperative Fortsetzung 259 Parkinson-Plus-Syndrom 189 Parkinson-Syndrom 145 – atypisches 189 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 116 Patientenverfügung 135 ff PCA (patientenkontrollierte Analgesie) 259, 265, 270 PCIA (patientenkontrollierte intravenöse Analgesie) 265, 270 Peak bone mass 38 PEEP (positiver endexspiratorischer Druck) 171 f – Indikation 172 – intrinsischer 170 f, 211 Penicilline 92 – Pneumokokkenresistenz 92 Peptid, natriuretisches, atriales 158 Perchlorat, Dauermedikation, perioperativer Umgang 122 f Perfusion, myokardiale, Steuerbarkeit volatiler Anästhetika 77 Peribulbäranästhesie 242 Periduralanästhesie 271 – Traumapatient 249 Periduralkatheter, thorakaler 249 Pethidin 114, 158 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Phantomschmerz 216, 270 Phäochromozytomoperation, α-/β-Rezeptoren-Blockade, kombinierte 113 Pharmakaelimination, Einflussfaktoren 24 Pharmakodynamik 51 ff, 78 Pharmakokinetik 51 ff, 92 – 3-Kompartment-Modell 52 – Biophase 55 – lineare 53 Pharmakon s. auch Arzneimittel Pharmakon-Clearance s. Clearance
Pharmakondosierung 51 ff – Effektverlauf 51 – im Steady-State 53 Pharmakonkonzentration im Blut 51 ff – Verteilungsvolumen 53 Phase-I-Metabolismus, reduzierter 24 Phenothiazine, Kontraindikation 193 Phlebothrombose 218 f Phosphodiesteraseinhibitoren bei Lokalanästhetikumintoxikation 86 Physiotherapie, schmerztherapeutische 271 Piritramid – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – patientenkontrollierte intravenöse Analgesie 270 Piroxicam, Nebenwirkungen 62 Plasmavolumen 53 Plexusblockade, zervikale 218 Pneumokokken, Resistenz gegen Penicilline 92 Pneumonie, ambulant erworbene 92 POCD s. Dysfunktion, kognitive, postoperative Polyglobulie 211 Prähypertonie 220 Präinfarktangina 15 Prämedikation 107 ff, 266 – altersadaptierte 21 – Einflussfaktoren 24 Prämedikationsvisite, Herzschrittmacherpatient 179 f Präoxygenierung 164 Prednisolon, NNR-supprimierende Tagesdosis 233 Pregabalin 269 f Presbyakusis 93 Prilocain 85 Probenecid 120 Procain 85 Propofol 67 f – Anästhesie, intravenöse, totale 142, 243 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Dosierungsempfehlung 70 – Narkoseeinleitung bei Augenoperation 243 – Nebenwirkung 68 – Pharmakokinetik 67 f – pharmakologische Daten 70 – Target controlled Infusion 68 – Wirksamkeit 67 Prostaglandinsynthesehemmer 265 f – Nebenwirkungen 124 Prostatahyperplasie, benigne 237 ff Prostatakarzinom 237 Prostataresektion, transurethrale 238 f – Komplikation 238 f – Spüllösung 238 Prostatasyndrom, benignes 237 Prostatavergrößerung 29 Prostazykline, inhalativ applizierte 207 Proteinbindung, Lokalanästhetika 83 f Proteine, herzspezifische, perioperativ erhöhte 256 Proteinkatabolismus, posttraumatischer 236 Proteinsynthese 42 f Protonenpumpeninhibitoren 107 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 119
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Sachverzeichnis Pseudo-Allgemeinanästhesie 141 Pulmonalarterie, Körperkerntemperaturmessung 155 Pulmonalarterienkatheter 150 – intraoperativer – – bei koronarer Herzkrankheit 201 – – bei Mitralklappenstenose 207 Pulse-pressure-Hypertonie 15 Pulse Pressure Variation 150 Pulsoxymetrie 151 Punktion, rückenmarksnahe – bei ASS-Dauermedikation 121 – bei Fondaparinux-Dauermedikation 121 – Intervall zur Antikoagulation 120
Q Quetiapin
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R Radiation 47 Rasseln, terminales, Palliativpatient 278 Raumtemperaturerhöhung 155 Rechts-Links-Shunt 76, 258 Rechtsherzinsuffizienz 202, 211 Recovery-Index 54 Reflex, okulokardialer 244 Reflux, gastroösophagealer 25 Regionalanästhesie 21, 141 – bei COPD 211 – gastrointetinale Integrität 144 – hämodynamische Stabilität 142 f – hämopoetische Stabilität 145 – bei Herzinsuffizienz 203 – kardiale Effekte 142 f – klinische Vorteile 146 – bei koronarer Herzkrankheit 200 – neurologische Störung, postoperative 145 – Opioideinsatz, begleitender 144 – bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit 216 – postoperative 144 – – mit Katheter 271 – respiratorische Effekte 143 f – rückenmarksnahe – – unter Antikoagulation 239 – – bei ASS-Dauermedikation 121 – – perioperative Hypotonie 154 – Techniken 141 – bei TURP 240 – Vorteile 142 – zentralnervöse Stabilität 144 f Regulationsstörung, orthostatische 189 Regurgitation, transvalvuläre 206 f Rekruitment, alveoläres 173 Rekruitmentmanöver 173 Rektum, Körperkerntemperaturmessung 155 Relaxometrie 151 Remifentanil 58 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – bei Augenoperation 243 – Dosisreduktion 61 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Remodelling, Knochen 38
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System – Aktivierung 89 – Überfunktion 234 Rescue-Analgesie 265 Reserve, pulmonale, funktionelle 19 f Residualkapazität, funktionelle 76, 171 – Reduktion, narkosebedingte 257 Resorptionsatelektase 171 Respiratoreinstellung 21 Respiratorische Insuffizienz, akute, bei COPD 210 Respiratorisches System 18 ff – Alterungsprozess 168 f – perioperatives Management 21 Restblockade, neuromuskuläre, postoperative 74 Restharn 29 Resynchronisation, kardiale 177 f Retikulum, sarkoplasmatisches 40 Retrobulbäranästhesie 242 Revised Cardiac Risk Index 103 Rezeptoren, m2-muskarinerge, Autoantikörper 89 α-Rezeptoren 16 α2-Rezeptoren 88 – Signaltransduktionssystem 88 β-Rezeptoren, Empfindlichkeitsabnahme 88 β1-Rezeptoren 88 – Signaltransduktionssystem 88 – Upregulation 89 β2-Rezeptoren 88 α-Rezeptoren-Agonisten 88 α2-Rezeptoren-Agonisten – Dauermedikation, perioperativer Umgang 113, 222 – perioperative 199 f α1-Rezeptoren-Antagonisten 113 α-/β-Rezeptoren-Blockade, kombinierte, bei Phäochromozytomoperation 113 β-Rezeptoren-Blockade, perioperative 104 β-Rezeptoren-Blocker 112 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 109 ff, 222 – kardioselektive 109 – Kontraindikation 200 – perioperative 199 f – Traumapatient 248 – Wirkung, unerwünschte 109 β1-Rezeptoren-Blocker 109 Rhythmuskontrolle bei Tachyarrhythmia absoluta 186 Rigor 189 Rippenfraktur 247 – Schmerztherapie, postoperative 249 Risiko, kardiales, perioperatives – Reduktion 104 – Scores 101 ff Risikoaufklärung, angemessene 128 ff Risikoevaluation – kardiale, präoperative 101 ff – – Determinanten 103 – metabolische, präoperative 106 – neurologische, präoperative 105 – präoperative 101 ff – – Vorerkrankungen 103 – pulmonale, präoperative 20, 104 f – renale, präoperative 105 Risikopatient, kardiovaskulärer – Inhalationsanästhetikum-Wahl 79
– Zeitmanagment bei Dauerantikoagulation 121 f Risperidon 195 Rocuronium 201, 226 – Dosierung 73 Ropivacain 84 f Rotigotin 192 Routine-12-Kanal-EKG, präoperatives 100 – evidenzbasierte Indikation 100 Rückenmarkveränderung 11 Rückwärtsversagen, kardiales 202 Ruhe-EKG, präoperatives 99 f Ruheschmerz, ischämischer 215
S Salizylate 266 Salzintoleranz, perioperative 158 Sarkolemm 40 Sauerstoff, an Hämoglobin gebundener 161 Sauerstoffangebot 161, 169 Sauerstoffaufnahme 164 Sauerstoffbilanz, myokardiale, intraoperative 200 Sauerstoffgehalt, arterieller 161 – Sauerstoffangebotsberechnung 161 Sauerstoffradikale, freie 43 Sauerstoffsättigung – arterielle, Monitoring 151 – zentralvenöse 150 Sauerstoffverbrauch 164 Schädel-Hirn-Trauma 247 – Atemwegesicherung 249 Schenkelhalsfraktur 249 Schilddrüsenerkrankung 231 f Schilddrüsenfunktion 34 Schilddrüsenhormone 34, 231 Schilddrüsenhormon-Substitution, perioperatives Management 122 Schilddrüsenüberfunktion s. Hyperthyreose Schilddrüsenunterfunktion s. Hypothyreose Schlafapnoe 20 Schlaganfall s. Apoplex Schlagvolumenvariation, linksventrikuläre 150 Schmerzen 262 – chronische, Opioiddauermedikation 123 – neuropathische 263, 269 f – postoperative, ansteigende 266 – schwer kontrollierbare, in der Finalphase 278 f – somatische 263 – viszerale 263 Schmerzkonzept, balanciertes, multimodales 264 Schmerzleitung 59, 262 – bei Allgemeinanästhesie 145 Schmerzmessung 262, 264, 266 – bei Demenz 264 – Kommunikation 264 Schmerzreaktion 59 Schmerzskala 264 Schmerztherapie s. auch Analgesie – DIVS-S3-Leitlinie 264 – Einfluss altersbedingter physiologischer Veränderungen 263 – neuroaxiale, postoperative 260
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Sachverzeichnis – nicht pharmakologische 271 – Objektivierung 264 – Palliativpatient 276 – patientenkontrollierte 259, 265, 270 – perioperative 123 – physiotherapeutische 271 – postoperative 21, 146, 223, 240, 259 f, 262 ff – – Ko-Medikation 269 – – Medikamente 265 ff – – orale 265 f – – Organisation 271 – – Qualität 262 – – systemische 265 – – Traumapatient 249 – – WHO-Stufenschema 265, 267 Schmerztherapie s. auch Analgesie Schmerztoleranz 59 Schockraummanagement 249 f Schrittmacher s. Herzschrittmacher Schwartz-Bartter-Syndrom 234 f Seal-Larynxmaske 243 Sedativa 107, 141 f Sedierung – palliative 279 – überschießende 141 1-Sekundenkapazität, exspiratorische, forcierte 209 Selbstbestimmungsrecht des Patienten 126 ff Selegilin 114 Sennoside 277 Serotonin-Antagonisten, Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 Serotonin-Syndrom 114 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, selektive – Arzneimittelinteraktion 114 f – Dauermedikation, perioperativer Umgang 114 f Setrone 119 Sevofluran 76, 79 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 Sexualhormone 35 Shunt, intrapulmonaler 169, 172 SIADH (Syndrom der inadäquaten ADHSekretion) 235 Simvastatin 109 f Sinusbradykardie, okulokardialer Reflex 244 Skelettsystem 37 ff – altersbedingte Veränderung 38 Somnolenz, postoperative 194 Speichelproduktion 24 Spinalanästhesie – bei COPD 211 – Kontraindikation, relative 206 – bei koronarer Herzkrankheit 200 – Traumapatient 249 Spinal-Epiduralanästhesie, kombinierte 216 Spinalis-anterior-Syndrom 217 Spüllösung bei transurethraler Prostataresektion 238 SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) 114 f Stabilität – kardiozirkulatorische, postoperative 260 – metabolische, postoperative 260 – respiratorische, postoperative 260
Stand by, anästhesiologischer 141 f, 242 Standunsicherheit 189 Stanford-Klassifikation, Aortendissektion 217 Staphylococcus aureus, methicillinresistenter 91 Statine – Dauermedikation, perioperativer Umgang 109 f – Number needed to treat 109 Steady-State, Pharmakondosierung 53 Steinschnittlage 237 STEMI (ST-Hebungs-Myokardinfarkt) 256 Stent – endoluminal platzierter 216 f – medikamentenbeschichteter, koronarer, Dauerantikoagulation 122 – – perioperatives Management 122 Sterbebegleitung 279 Sterbehilfe, aktive 279 Steroid s. auch Glukokortikoid; s. auch Kortikoid Steroiddauermedikation, perioperativer Umgang 119 f Steroidderivate, Muskelrelaxanzien 72 ST-Hebungs-Myokardinfarkt 256 Stickstoffmonoxid, inhalatives 207 f Stimmbänderengstellung 165 Stimmbandlähmung nach endotrachealer Intubation 164 f Stoffwechselstörung, endokrin bedingte 33 ff Stress-EKG, präoperatives 99 f Stress, kardialer 100 – nicht invasiver 100 Stressabschirmung, medikamentöse, präoperative 222 Stressreaktion 145 f, 235 f Sturz, Ursache 246 Succinylcholin 73 f – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Nebenwirkungen 74 Sufentanil – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 – Dosisreduktion 61 – Pharmakodynamik 61 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Sulfonylharnstoffe 230 Suxamethonium s. Succinylcholin Sympathikolyse, perioperative 199 f, 205 Sympathikotonus, erhöhter 89 Sympathikus 11, 16 Sympathikusaktivierung, schmerzinduzierte 259 β2-Sympathomimetika 117, 212 Symptomkrise in der Finalphase 278 Syndrom der inadäquaten ADHSekretion 235
T Tachyarrhythmia absoluta 186 Tachykardie – bei chronischer β-Blockade 111 – Hyperthyreose 231 – perioperative 186 – supraventrikuläre 186
– ventrikuläre 186 Tagesklinik, palliativmedizinische 274 Target controlled Infusion, Propofol 68 Targin 266 TCI (Target controlled Infusion) 68 Temperaturgradient 45 f Temperatursondenplatzierung 155 Testosteronspiegel 35 Thalamus, Schmerzleitung 262 Theophyllin 212 – Dauermedikation, perioperativer Umgang 117 – therapeutisches Drug Monitoring 117 Thermoregulation 45 ff Thiamide 122 f Thienopyridine 199 Thioharnstoffderivate 123 Thiopental 65 f, 70 – Arzneimittelwechselwirkung bei Morbus Parkinson 193 Thorax-Röntgenaufnahme, präoperative 99 f Thromboembolie – postoperative, Regionalanästhesieeinfluss 145 – bei postoperativem Vorhoflimmern 257 Thrombozytenaggregationshemmung 218 – perioperativer Umgang 199, 239 – Zeitintervall – – zur Entfernung eines rückenmarksnahen Katheters 120 – – zur rückenmarksnahen Punktion 120 Thrombozytenfunktion, NSAID-Wirkung 62 Thyreoidektomie 232 Thyreostatika 122 f Thyreotoxikose 231 Thyroxinüberdosierung 231 TIA (transitorische ischämische Attacke) 218 Tidalvolumen 170 Tigecyclin 93 TIVA (totale intravenöse Anästhesie) 142, 243 Torsade-de-pointes-Tachykardie 186 Tractus – spinomesencephalicus 262 – spinoreticularis 262 – spinothalamicus lateralis 262 Trainingszustand 43 Transfusionsbedarf bei perioperativer Hypothermie 154 Transfusionstrigger 161 Transitorische ischämische Attacke 217 f Tranylcypromin 113 f Trauma 246 ff – anästhesiologisches Management 249 – Dauermedikation 248 – Gerinnungsstatus 247 – Komorbidität 247 f – Lethal Triad 249 – Lungenfunktion 248 – Monitoring 248 – Pathophysiologie 248 f – Schockraummanagement 249 f – Volumenersatz 248 Tremor 145, 189
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Sachverzeichnis Trendelenburg-Lage 237 Trigonum vesicae 29 Tropfanästhesie 242 Troponin C 40 Troponin I 40 Troponin T 40 Troponinerhöhung, postoperative 256 – Differenzialdiagnose 256 TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) 34 TSH-Bestimmung 231 TSH-Sekretion, basale 235 TSH-Spiegel – hoher 231 – supprimierter 231 T4-Spiegel im Serum 231 T-Typ-Kalzium-Einwärtsstrom, Hemmung 116 Tumorerkrankung 279 f Tumorschmerztherapie, WHO-Stufenschema 267 TURP s. Prostataresektion, transurethrale TURP-Syndrom 238 f – Natriumbedarf 239 – Therapie 239 TVT (tiefe Beinvenenthrombose) 218 Typ-1-Diabetes 229 f Typ-2-Diabetes 229 f
U Übelkeit – Digitoxin-assoziierte 107 – opioidbedingte 277 – Palliativpatient 276 f Übertragung, neuromuskuläre, Überwachung 151 Überwachung, perioperative, erweiterte 104 Überwässerung, periphere 158 Ulkus, gastrointestinales, NSAIDbedingtes 62 Unfallursache 246 f Universitätsklinikum Heidelberg, Arzneimittel-Informations-Dienst der Klinikapotheke des 108 Ureterkathetereinlage 237 Urikostatika 120 Urikosurika 120 Urinretention, anticholinergikabedingte 107 Urogenitaltrakt, altersbedingte Veränderungen 237 Urolithotripsie 237 Urologische Erkrankung 237 ff
V VAS (Visuelle Analog Scale), Schmerzmessung 264 Vasodilatanzien, arterioläre, Dauermedikation, perioperativer Umgang 113 Vasokonstriktion
– renale, durch Prostaglandinsynthesehemmer 124 – thermoregulatorische 45 f Vasopressinspiegel 17 Vecuronium 201, 226 – Dosierung 73 Venendruck, zentraler 150 Venenkatheter, zentraler 150 Ventilation – alveoläre 76 – neurologische Kontrolle 19 Ventilations-/Perfusionsmismatch 169 Ventilations-Perfusions-Quotient 169, 171, 210 Ventilations-Perfusions-Verteilungsstörung 210 Ventilations-Perfusionsstörung 76 Ventilationsstörung – obstruktive 209 f – restriktive 209, 212 Verapamil 257 Verbal Descriptor Scale, Schmerzmessung 264 Verdünnungshyponatriämie bei TURP 238 Verdünnungsthrombozytopenie bei TURP 239 Verlangsamung, psychomotorische, postoperative 194 Verschlussdruck, pulmonalarterieller 150 Verschlusskrankheit, arterielle, chronische 214 ff – anästhesiologisches Management 216 – Hirnarterien 217 f – periphere, Stadieneinteilung 215 Verschlussvolumen, kritisches 164, 171 Verteilungsvolumen eines Pharmakons 53 Vertreter, gesetzlicher 134 Videolaryngoskop 166 Visuelle Analog Scale, Schmerzmessung 264 Vitalkapazität – forcierte 209 – Reduktion, narkosebedingte 257 Volumenersatz – kolloidaler 227 f – kristalloider 227 – bei reduzierter Nierenfunktion 227 Volumenmanagement 158 ff, 227 f – Traumapatient 248 Vorerkrankungen 107 – Anästhesierisiko 103 Vorhofflimmern 16 – chronisches 207 – bei Hyperthyreose 231 – paroxysmales, perioperatives 257 – postoperatives 257 – – Frequenzkontrolle 257 Vormedikation 59 Vormundschaftsgericht 134 f – Genehmigung bei ärztlichen Maßnahmen 137 f
Vorsorgevollmacht 135 Vorwärmung des Patienten 157 Vorwärtsversagen, kardiales 202 VVI-Herzschrittmacher 178 VVT-Herzschrittmacher 178
W Wachstumshormon 43, 235 Wärmeaustausch 45 f Wärmeaustauschkoeffizient 45 f Wärmemanagement 153 ff – adäquates 155 Wärmeprotektionsverfahren 155 Wärmeregulation 45 ff Wärmetherapie, postoperative 158 Wärmeumverteilung 153 Wasser-Elektrolyt-Haushalt, Störung 158 f – Diagnose 159 Wasserretention – bei Hypothyreose 232 – peripoperative 159 Weichteilinfektion 91, 93 f WHO-Stufenschema, Schmerztherapie 267 Wille des Patienten 126 – mutmaßlicher, Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen 135 Willensfähigkeit des Patienten 128 Wirbelkörperfraktur, osteoporosebedingte 39 Wolff-Parkinson-White-Syndrom 186 Wundheilungsstörung nach perioperativer Hypothermie 154 Wundinfektion 154 Wundversorgung, palliativmedizinische 278 Würde, personale, des Patienten 126
X Xenon
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Z Zahnprothese 165 Zeitkonstante, atemmechanische 210 Zentralnervöse Veränderung, postoperative 194 f Zerebrovaskuläre Erkrankung 196 f Ziprasidon 195 Zusatzmonitoring 151 Zwerchfellverlagerung, muskelrelaxationsbedingte 171 Zwischenfall, intraoperativer, durch elektronische Interferenz 181 f Zyklooxygenasehemmung 61 f, 124, 265 – nicht selektive 267 Zystozele 29 Zytostatika 117