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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie • Judith Gundry-Volf Martin Hengel • Otfried Hofius • Hans-Josef Klauck
188
Moisés Mayordomo
Argumentiert Paulus logisch? Eine Analyse auf dem Hintergrund antiker Logik
Mohr Siebeck
MOISÉS MAYORDOMO, geboren 1966; Studium der Ev. Theologie in Gießen, London, Heidelberg und Bern; 1997 Promotion; 2004 Habilitation; Oberassistent im Fachbereich Neues Testament der Christkatholischen und Evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Bern.
ISBN 3-16-148793-1 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:dnb.ddb.de abrufbar. © 2005 Mohr Siebeck Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Argumentiert Paulus logisch? Diese Frage entstammt nicht direkt dem Binnenraum gegenwärtiger Fachexegese, sie erwächst vielmehr aus einem weit verbreiteten Rezeptionsdilemma: Manche paulinischen Gedankengänge sind selbst mit erheblichem Aufwand kaum zu ergründen. Sie konfrontieren uns mit Begründungen, die konstruiert wirken, und mit Schlüssen, an deren Folgerichtigkeit viele intuitiv Zweifel hegen. Der zum Verstehen unabdingbare rationale Nachvollzug bleibt damit versagt. Solche hermeneutischen Sackgassen bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Sie wurde im Wintersemester 2003/2004 von der Christkatholischen und Evangelischen Theologischen Fakultät der Universität Bern als Habilitationsschrift angenommen und ist für den Druck vor allem im Hinblick auf logische Fragen überarbeitet worden1. Die jetzige Veröffentlichung betrachte ich mit einer gewissen Ambivalenz, denn das gewählte Thema hat zwischen meinen Interessen und meiner Neugierde einerseits und meinen Kompetenzen andererseits eine empfindliche Lücke aufgerissen. Neben den eigenen Ansprüchen galt es nicht nur den Anforderungen der eigenen Disziplin gerecht zu werden, sondern v.a. auch denen der Logik. Logik jedoch ist eine Gefährtin, die keine Nebenbuhlerinnen duldet. Sie erfordert Strenge, viel Übung und kombinatorische Freude. Logik eignet sich daher nicht für ein interdisziplinäres Verfahren, das sich damit zufrieden gibt, dem fremden Gebiet einen Kurzbesuch abzustatten, ausgesuchte Andenken mitzunehmen und diese dem eigenen Systemgebäude einzugliedern. Ohne den äußeren Druck einer akademischen Habilitation hätte ich es wohl kaum gewagt, an irgendeiner Stelle einen Punkt zu setzen. Damit mute ich der an Paulus interessierten fachlichen Öffentlichkeit einen explorativen Versuch zu, der vieles offen lässt. Dies erscheint mir jedoch nur dann eine unverzeihliche Leichtfertigkeit zu sein, wenn jener hier vorgelegte Ausschnitt dessen, was die aufgeworfene Frage an eingehender Behandlung verdient hätte, nicht auch Anregendes, Zutreffendes und Weiterführendes enthielte. Von letzterem bin ich trotz aller Aporien überzeugt. Um es vorweg1
Die Einarbeitung inzwischen erschienener exegetischer Literatur konnte nur auswahlweise vorgenommen werden. Umso wichtiger war es mir, inhaltlich auf möglichst viele der sachlichen Anregungen durch die Gutachter und weitere Gesprächspartnerinnen und -partner einzugehen. Zwei längere Exkurse – zur Bewertung des Paulus als Theologen und zum paulinischen Rationalitätsbegriff – hoffe ich, in Zukunft in überarbeiteter Form gesondert vorlegen zu könnnen.
VI
Vorwort
zuschicken: Als Desiderat empfinde ich vor allem die Behandlung paulinischer Argumentationen mit den Mitteln moderner Prädikatenlogik und die präzise logische Aufarbeitung rabbinischer Argumentationsweisen. Die Sekundärliteratur, über deren Umfang generell immer wieder Klagen angestimmt werden, hat mich leider auf diesen spezifischen Gebieten im Stich gelassen. Eine Weiterführung des Themas in diese Richtung hätte jedoch den ohnehin allzu langwierigen Beschäftigungsprozess über einen ungewissen Zeitraum hinaus ausgedehnt. Zur Entstehung und Beendigung dieser Arbeit haben viele maßgeblich beigetragen, denen ich von Herzen danken möchte: Prof. Ulrich Luz für die kritische, geduldige und überaus anregende Begleitung, die bereits die Dissertation und die Assistenzzeit zu einem wahren Vergnügen gemacht haben; Prof. Thomas Schmeller für sein engagiertes, sachkundiges und konstruktives Gutachten; Prof. Theodor G. Bucher für sein äußerst hilfreiches Gutachten zu Fragen der Logik, für viele Emails und längere Sachgespräche, die mir nicht nur die Grenzen meines logischen Wissens deutlich, sondern zugleich auch viel Mut gemacht haben, am Ball der Logik zu bleiben (und Frege zu lesen); PD Dr. Helmut Linneweber-Lammerskitten, dessen Einführung in die Logik ich sehr genossen habe und der sich zudem Zeit genommen hat, einzelne Paulusstellen logisch mit mir zu besprechen; PD Dr. Michael Groneberg für weiterführende logische Gespräche, die dazu beigetragen haben, die Anzahl der logischen Fehler in dieser Arbeit zu reduzieren (für die restlichen bin ich alleine verantworlich…); Prof. Christine Janowski für systematisch-theologische Anregungen, die mich weiterhin beschäftigen werden; Prof. Matthias Konradt für viele kleinere und größere exegetische Klärungen; Prof. E. Axel Knauf für eine Reihe erfrischend ehrlicher Randglossen; Julia Müller-Clemm für unzählige Diskussionen, Korrekturen und für den graphischen Hilfsdienst; Alison Sauer für spontane Hilfe in der Not; Christina Drobe, David Fellenberg und Thomas Dummermuth für ihre gründlichen Korrekturarbeiten; Prof. Jörg Frey für die unkomplizierte Aufnahme in die WUNT-Reihe ebenso wie für eine inhaltliche Stellungnahme, die mir entscheidend geholfen hat, die anfängliche Publikationsscheu zu überwinden; Dr. Henning Ziebritzki und Frau Tanja Mix für die professionelle Betreuung im Verlag; schließlich danke ich der Gruppe von Studierenden, die sich im Wintersemester 2003/04 mit dieser exotischen Thematik beschäftigt und mir mit ihren Fragen viel zu denken gegeben haben. Kaum in Worte zu fassen, ist der Dank an diejenigen, mit denen ich das Glück habe, das Leben zu teilen: Helga, Esteban und Milena Sara. Moisés Mayordomo Marín
Inhaltsverzeichnis Abkürzungen ................................................................................................................................. XI Formale Zeichen und Formalisierungen.....................................................................................XII
I.
Hinführung
A. Paulus zwischen obscuritas und claritas................................................................................. 1 1. »Fremd und widerspruchsvoll«: Paulinische obscuritas................................................... 1 2. »Einfach und klar«: Paulinische claritas............................................................................ 5 B. »Beständig und gottgewollt«: Vom Nutzen der Logik für die Exegese................................ 8 1. Theologie und Logik – Szenen einer (geschiedenen) Ehe ............................................... 8 2. Grundlegende Prinzipien der Logik ................................................................................. 15 3. Konsequenzen für die Exegese ........................................................................................ 20 4. Exkurs: Zum Status der Frage, ob Paulus logisch geschult war .................................... 23
II. Antike Logik im Überblick A. Allgemeine Probleme ............................................................................................................. 27 1. Die Quellenlage................................................................................................................. 27 2. Zur Terminologie .............................................................................................................. 30 3. Die beiden Logiksysteme ................................................................................................. 33 4. Sprachtheoretische Grundlegung: Die wahrheitsdefinite Aussage................................ 34 B. Die aristotelische Termlogik .................................................................................................. 38 1. Weitere sprachtheoretische Überlegungen ...................................................................... 40 a) Die logisch relevanten Modi des Aussagesatzes....................................................... 40 b) Die logisch relevanten Formen des Gegensatzes ...................................................... 42 2. Der »Schluss« (sullogismóß) ........................................................................................ 46 3. Logik in der Wissenschaft: Die Analytik (Syllogistik) .................................................. 50 a) Der syllogistische Schluss .......................................................................................... 50 b) Die Schlussfiguren ...................................................................................................... 52 c) Exkurs: Die Induktion als »zweite Form« des Wissens ........................................... 55 4. Logik in der Diskussion: Die Dialektik (Topik) ............................................................. 57 a) Vorüberlegungen ......................................................................................................... 57 b) Die vier Prädikatsklassen............................................................................................ 60 c) Die vier Werkzeuge (Top. I 13–18) ........................................................................... 62 d) Würdigung .................................................................................................................... 63 5. Logik in der Rede: Das »Enthymem« (Rhetorik) ........................................................... 63 a) Logik als rhetorisches Überzeugungsmittel .............................................................. 63 b) Was ist ein Enthymem? .............................................................................................. 67 c) Die vier Arten des Enthymems .................................................................................. 69 6. Theophrast und das Erbe der aristotelischen Logik ........................................................ 72 7. Exkurs: Die Schriften des Aristoteles und das »Organon« ............................................ 74
VIII
Inhaltsverzeichnis
C. Die stoische Aussagenlogik ................................................................................................... 80 1. Die Logik Chrysipps......................................................................................................... 81 a) Weitere sprachphilosophische Überlegungen ........................................................... 81 b) Die Argumentations- und Schlusslehre ..................................................................... 84 2. Historische Beziehungen und Auswirkungen stoischer Logik ...................................... 86
III. Analyse paulinischer Texte A. Vorfragen: Textwahl und logische Analyseschritte.............................................................. 91 B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)................................................ 95 1. Exegetische Vorfragen...................................................................................................... 96 a) Rhetorik und Gliederung von 1Kor 15 ...................................................................... 96 b) Der literarische Kontext (15,1–11) ............................................................................ 99 c) Die Streitfrage ........................................................................................................... 101 2. Exegetische Anmerkungen ............................................................................................. 104 3. Logische Analyse............................................................................................................ 108 a) Auslegungs- und forschungsgeschichtliche Perspektiven ...................................... 108 b) Die Umkehrung der Implikation als Fehlschluss .................................................... 113 c) Textabgrenzung und Bestimmung logisch relevanter Sätze .................................. 115 d) Versuch einer termlogischen Analyse ..................................................................... 117 e) Aussagenlogische Struktur und Prüfung der Gültigkeit ......................................... 121 f) Fazit............................................................................................................................ 123 4. Exkurs: Fragen aufgrund der Topik ............................................................................... 124 5. Exkurs: Weitere Beispiele für »modus tollens« in den Paulusbriefen ........................ 126 C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)............................ 128 1. Exegetische Vorfragen.................................................................................................... 129 a) Rhetorik und Gliederung .......................................................................................... 129 b) Literarischer Kontext ................................................................................................ 131 c) Der Streitpunkt: Das Erbe Abrahams ...................................................................... 133 2. Exegetische Anmerkungen ............................................................................................. 134 a) Positive Argumentation: Abraham-Exemplum (3,6–9).......................................... 134 b) Negative Argumentation: Fluch des Gesetzes (3,10–12) ....................................... 140 c) Die »Lösung« des Kerygmas (3,13f) ....................................................................... 147 3. Logische Analyse............................................................................................................ 148 a) Formalisierung .......................................................................................................... 148 b) Analyse logischer Gültigkeit .................................................................................... 153 c) Gesamtgedankengang ............................................................................................... 162 d) Fazit............................................................................................................................ 164 D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)............................................................................. 166 1. Exegetische Vorfragen.................................................................................................... 166 a) Argumentationsziel von 1,18–3,20 .......................................................................... 167 b) Literarischer Kontext (Röm 1,1–17)........................................................................ 169 2. Exegetische Anmerkungen ............................................................................................. 171 a) Röm 1,18–32 ............................................................................................................. 171 b) Röm 2,1–16 ............................................................................................................... 189 c) Röm 2,17–29 ............................................................................................................. 200 d) Röm 3,1–20 ............................................................................................................... 205
Inhaltsverzeichnis
IX
3. Logische Analyse ............................................................................................................ 212 a) Basale semantische Felder in Röm 1,18–3,20......................................................... 212 b) Formalisierung und Analyse..................................................................................... 215 c) Fazit............................................................................................................................ 228
IV. Schlussbetrachtung A. Argumentiert Paulus logisch? .............................................................................................. 229 B. Exegetisch-methodischer Ertrag .......................................................................................... 232 C. Weiterführender Ausblick .................................................................................................... 235 1. Paulus und rabbinische Logik ........................................................................................ 235 2. Logik und paulinische Rhetorik ..................................................................................... 238 3. Logik und paulinische Theologie................................................................................... 239
Literaturverzeichnis A. B. C. D.
Quellen................................................................................................................................... 243 Nachschlagewerke und NT-Kommentare ........................................................................... 249 Philosophisch-logische und rhetorische Literatur............................................................... 251 Exegetisch-theologische Literatur........................................................................................ 258
Register A. B. C. D.
Quellen................................................................................................................................... 275 Autoren und Autorinnen ....................................................................................................... 294 Griechische Begriffe ............................................................................................................. 300 Sachen und Namen ............................................................................................................... 300
Abkürzungen Alle bibliographischen Abkürzungen folgen Siegfried M. SCHWERTNER, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. IATG2 (Berlin: de Gruyter, 21992). Die folgenden Abkürzungen werden zusätzlich dazu verwendet: AGPh AWDÜ
Archiv für die Geschichte der Philosophie 40 (1931)ff. Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach; hrsg. von Hellmut Flashar. Berlin: Akademie. Bauer / Aland BAUER, Walter / A LAND, Kurt / ALAND, Barbara. Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. Berlin: de Gruyter, 61988. BDR BLASS, Friedrich / DEBRUNNER, Albert / REHKOPF, Friedrich. Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 161984. CAG Commentaria in Aristotelem Graeca. 23 Bde. Berlin: de Gruyter, 1882–1909. ClArS Clarendon Aristotle Series. Oxford: Clarendon. DiogL. Diogenes Laertios. De vita philosophorum (Leben der Philosophen). DNP Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Hrsg. von Hubert Cancik / Helmuth Schneider. Stuttgart; Weimar: Metzler, 1996ff. FDS HÜLSER, Karlheinz. Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker: Neue Sammlung der Texte mit deutscher Übersetzung und Kommentaren. 4 Bde. Stuttgart; Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1987–1988. GKom Grundlagen der Kommunikation; Berlin: de Gruyter. GGPhA Grundriss der Geschichte der Philosophie »Ueberweg«: Die Philosophie der Antike. Hrsg. Hellmut Flashar. Basel / Stuttgart: Schwabe. HWRh Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gert Ueding. Tübingen: Niemeyer, 1992ff. JSJ.S Supplements to the Journal for the Study of Judaism. Leiden: Brill. Louw / Nida LOUW, Johannes P. / NIDA, Eugene A. Greek-English Lexicon of the New Testament Based on Semantic Domains. 2 vols. New York, NY: United Bible Societies, 21988–1989. LSJ LIDDELL, Henry George / SCOTT, Robert. A Greek-English Lexicon. Revised and augmented throughout by Sir Henry Stuart JONES (with the assistance of Roderick McKenzie). Oxford: Clarendon, 91996. NW II/1 Neuer Wettstein: Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Hrsg. von Georg Strecker / Udo Schnelle unter Mitarbeit von Gerald Seelig. Bd. 2: Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse. Teilband 1. Berlin: de Gruyter, 1996. RUnB Reclams Universal-Bibliothek. Stuttgart: Reclam. STusc Sammlung Tusculum. München; Zürich u.a.: Artemis & Winkler. WBC Word Biblical Commentary. Ed. John D.W. Watts / Ralph P. Martin. Dallas, Texas: Word. ZMDAL Zur modernen Deutung der aristotelischen Logik. Begründet von Albert Menne / Niels Öffenberger. Ab Bd. 4 hrsg. von Niels Öffenberger. Hildesheim: Olms, 1982ff.
Formale Zeichen und Formalisierungen Junktoren zur Verknüpfung von Sätzen Negation: Konjunktion: Adjunktion (vel): Disjunktion (aut): Implikation:
¬ ∧ ∨ ›–‹ →
»nicht« »und« »oder« »entweder … oder« »wenn… dann«
Gültige aristotelische Syllogismen (a = allgemein bejahend; e = allgemein verneinend; i = partikulär bejahend; o = partikulär verneinend. In eckigen Klammern stehen die sog. »schwachen Schlüsse«, die weniger schließen, als sie könnten.)
Figur I MxP ∧ SxM → SxP
Figur II PxM ∧ SxM → SxP
Figur III MxP ∧ MxS → SxP
Figur IV PxM ∧ MxS → SxP
a-a-a e-a-e a-i-i e-i-o [e-a-o] [a-a-i]
e-a-e a-e-e e-i-o a-o-o [a-e-o] [e-a-o]
a-a-i e-a-o i-a-i a-i-i o-a-o e-i-o
a-a-i a-e-e i-a-i e-a-o e-i-o [a-e-o]
Barbara Celarent Darii Ferio
Cesare Camestres Festino Baroco
Darapti Felapton Disamis Datisi Bocardo Ferison
Bamalip Calemes Dimatis Fesapo Fresison
Gültige stoische Syllogismen Beispielsatz
Modusformel
Schema
»Wenn es Tag ist, ist es hell; nun aber ist es Tag; also ist es hell.«
»Wenn das Erste, dann das Zweite; nun aber das Erste; also das Zweite.« (modus ponens)
p→q p→q q
»Wenn es Tag ist, ist es hell; nun aber nicht: es ist hell; also nicht: es ist Tag.«
»Wenn das Erste, dann das Zweite; nun aber nicht das Zweite; also nicht das Erste.« (modus tollens)
p→q ¬q ¬p
»Nicht: sowohl es ist Tag, als auch es ist Nacht; nun ist es Tag; also nicht: es ist Nacht.«
»Nicht: sowohl das Erste als auch das Zweite; nun aber das Erste; also nicht das Zweite.«
¬(p∧q) ¬(p∧q) ¬q
»Entweder es ist Tag, oder aber es ist Nacht; nun ist es Tag; also nicht: es ist Nacht.«
»Entweder das Erste, oder aber das Zweite; nun aber das Erste: also nicht das Zweite.«
p ›–‹ q p ›–‹ q ¬q
»Entweder es ist Tag, oder aber es ist Nacht; nun aber nicht: es ist Nacht; also: es ist Tag.«
»Entweder das Erste oder das Zweite; nun aber nicht das Erste; also das Zweite.«
p ›–‹ q ¬p q
Formale Zeichen und Formalisierungen
XIII
Satz- und termlogische Formalisierung von 1Kor 15,12–19 Nr.
Vers
Satz- Termlog. log.
Satz
(1) (2) (3) (4) (5a) (5b) (6) (7) (8) (9) (10)
12b 12d.13a.15e.16a 13b.14a.15d.16b.17a 14b 14c 17b 15a 17c 18 19a 19b
C ¬A ¬C P G
Christus ist auferweckt worden. Tote werden nicht (von Gott) auferweckt. Christus ist nicht (von Gott) auferweckt worden. Die Predigt (von Paulus & Co.) ist inhaltslos. Der Glaube (der Korinther) ist inhaltslos. Der Glaube (der Korinther) ist wirkungslos. Paulus & Co. erweisen sich als Falschzeugen. Die Korinther sind noch in ihren Sünden. Die verstorbenen Christen gehen verloren. Wir haben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt. Wir sind die bemitleidenswertesten von allen Menschen.
F S V H M
CaA TeA CeA PaI GaI GaW EaF KaS VaD XaH XaM
Termlogische Formalisierung von Gal 3,6–14 Nr.
Vers
Form
Satz
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11a) (11b) (12) (13) (14) (15) (16)
3,6 3,7 3,8a 3,8b 3,9 3,10a 3,10b 3,11a 3,11b 3,12a 3,12b 3,12b 3,13a 3,13b 3,13c 3,14a 3,14b
AaD PaA HaD HaS PaS NaK OaK NeD DaP NeP NaT TaZ CaE CaK XaK HaS PaG
Der glaubende Abraham ist ein von Gott Gerechtfertigter. Die Glaubensmenschen sind (Kinder) Abraham(s). Die (glaubenden) Nichtjuden sind von Gott Gerechtfertigte. Die Nichtjuden (in Abraham) sind von Gott Gesegnete. Die Glaubensmenschen sind Gesegnete mit Abraham. Die Nomosmenschen sind unter einem Fluch. Jeder, der nicht alle Gebote erfüllt, ist ein Verfluchter. Kein Gesetzesmensch ist ein von Gott Gerechtfertigter. Der Gerecht(fertigt)e ist ein aus Glauben Lebender. Kein Nomos(mensch) ist ein Glaubensmensch. Der Nomosmensch ist ein Tatmensch. Der Tatmensch ist ein Lebender. (3,12b) Christus ist Befreier aus Nomos-Fluch. Christus ist (stellvertretender) Fluch. Ein Gekreuzigter ist Verfluchter. Die Nichtjuden nehmen in Christus Jesus am Abrahamssegen teil. Die Glaubenden sind Empfänger des verheißenen Geistes.
Satzlogische Formalisierung von Röm 1,18–3,20 A D E G O P S U
Menschen sündigen / Menschen handeln unrecht. Gott anerkennt Menschen im Gericht als gerecht. Menschen verhalten sich gut nach dem Gesetz. Menschen erkennen die Wahrheit. Gottes Zorn kommt als Strafe über Menschen. Gott richtet alle Menschen nach dem gleichen Prinzip. Menschen belügen sich selbst / sind verblendet. Menschen sind als Angeklagte vor Gott schuldig.
»Aber ihr haltet mir entgegen, was man uns Engländern hier oft entgegenhält: Siehe, du hast nach der Logik geantwortet. Los, los! Antworte gemäß der Theologie! Also ist bei den Theologen die Logik überflüssig. In Wahrheit gibt es kein gefährlicheres Tier, wenn Anmaßung dazukommt, als einen Theologen ohne Logik. Ihr wollt eine Frage ohne Logik behandeln: ihr sucht einen Stoff wie eine Mauer ohne Zement! Ich habe, als ich jung war, gehört, daß irgendein großer Mann sagte: Ein Theologe ohne gute Logik ist ein gehörnter Esel.« Johannes Lutterell (†1335), Epistula de visione beatifica, nr. 20f (ed. F. Hoffmann, 117).
»Theologus non logicus est monstrosus haereticus. Est monstrosa et haeretica oratio. Contra dictum commune. […] Breviter, Totus Aristoteles ad theologiam est tenebrae ad lucem.« »›Zu sagen, ein Theologe, der kein Logiker ist, sei ein ungeheuerlicher Ketzer, ist eine ungeheuerliche und ketzerische Rede. (Gegen die allgemeine Meinung.) […] Kurz, der ganze Aristoteles verhält sich zur Theologie wie die Finsternis zum Licht.« Martin Luther (1483–1546), Disputatio contra scholasticam theologiam, Thesen 45 und 50 (WA 1:226; dt. Aland, 1:358).
Mephistopheles: »Mein theurer Freund ich rath euch drum, / Zuerst Collegium Logikum. / Da wird der Geist euch wohl dressirt, / In Spansche Stiefeln eingeschnürt, / Dass er bedächtger so fort an / Hinschleiche die Gedanken Bahn. / Und nicht etwa die Kreuz und Queer / Irrlichtelire den Weeg daher.« Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), Faust, Schülerszene (hrsg. R. Petsch).
»›For a complete logical argument,‹ Arthur began with admirable solemnity, ›we need two prim Misses.‹ ›Of course!‹ she interrupted. ›I remember that word now. And they produce?‹ ›A Delusion,‹ said Arthur. ›Ye-es?‹ she said dubiously. ›I don’t seem to remember that so well. But what is the whole argument called?‹ ›A Sillygism‹.« Lewis Carroll (1832–1898), Sylvie and Bruno (Chapter 18), in: The Complete Stories and Poems of Lewis Carroll (New York: Gramercy, 2002) 138.
I. Hinführung Die Frage nach der Logik paulinischer Argumentation steht im Kontext einer langen Geschichte gescheiterter Verstehensversuche im Umgang mit den Schriften des Apostels1. Legt man die auslegungsgeschichtliche Wahrnehmung paulinischer Sprache als Maßstab an, dann überwiegt das Schwere gegenüber dem Leichten, die obscuritas gegenüber der claritas. Dass dies nicht ausschließlich jenem oft zitierten »historischen Graben«, der die Denkgewohnheiten des Paulus von den unseren unüberwindlich zu trennen pflegt, zugeschrieben werden darf, soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden. Ebenso soll vorab die Rolle der Logik bei der Behandlung der anstehenden hermeneutischen Problematik beleuchtet werden.
A. Paulus zwischen obscuritas und claritas 1. »Fremd und widerspruchsvoll«: Paulinische obscuritas »Ein Theaterstücklein, wie es noch niemand erfunden hat! Ein Ausspruch so fremd und so widerspruchsvoll (hallókoton Hr¨jma kaì hasúmfwnon)! Ein Wort, das sich selbst durch das eigene Schwert vernichtet! Ein ganz seltsamer Schuß, der zum Schützen zurückkehrt und ihn selbst trifft!«2
Inhaltsleere, Unverständlichkeit und Widersprüchlichkeit bis zur argumentativen Selbstzerstörung. Dieses scharfe Urteil über die paulinische Argumentation geht auf einen griechischen Philosophen zurück, dessen Identität leider nicht mit Gewissheit festgestellt werden kann3. Anlass dieser ironischen 1
Beispiele in W. FENSKE, Die Argumentation des Paulus in ethischen Herausforderungen (Göttingen, 2004) 35–37; F. SIEGERT, Argumentation bei Paulus gezeigt an Röm 9–11 (WUNT 34; Tübingen, 1985) 2f; altkirchliche Stellungnahmen zum Stil des Paulus in E. NORDEN, Die antike Kunstprosa (Stuttgart, 31915) II, 501–505. 2 MakarMag, Apokrit. III, 35 (A. Harnack, Kritik des Neuen Testaments von einem griechischen Philosophen des 3. Jahrhunderts [TU 37/4; Leipzig, 1911] 66f). 3 Das Zitat entstammt dem literarischen Streitgespräch des Bischofs von Magnesia, Makarius Magnes, das als h Apokritikòß ’j Monogen`jß pròß “ Jlljnaß überliefert ist (vgl. zu Makarius knapp U. VOLP, Art. Makarius Magnes, RGG 4 5 [2002] 699 und ausführlicher seinen demnächst erscheinenden Artikel in RAC 22 [2006]). In dieser apologetischen Schrift aus der zweiten Hälfte des 4. Jhs. (zur Datierung vgl. V OLP in RAC) werden eine Reihe antichristlicher quaestiones eines ungenannten »Hellenen« zitiert und zu widerlegen versucht. (Eine längst überfällige zweisprachige Ausgabe des Apokritikos wird ab 2006 erscheinen; hrsg. von U. Volp.) A. von HARNACK, Porphyrius »Gegen die Christen«, 15 Bücher
2
I. Hinführung
Abrechnung sind die bekannten Spannungen in der paulinischen Argumentation um das Götzenopferfleisch in 1Kor 8–10 (v.a. das Verhältnis von 8,4.8 zu 10,20.28). In Bezug auf die Aussagen des Paulus zum »Gesetz« (ein Thema, das auch heute noch heftige Kontroversen hervorruft) lässt sich der Philosoph nicht ohne Spott über dessen verwirrende Gedankengänge aus: »[Paulus,] der Treffliche, der Kluge, der Verständige, der aufs genaueste im väterlichen Gesetz unterrichtet war, der sich so oft des Moses aufs glücklichste erinnert hat – hebt wie im Weinrausch (“wsper hen o‘in^w) das Gebot des Gesetzes durch seine Lehre auf (hanaireï dogmatízwn toü nómou tò próstagma), indem er den Galatern schreibt: ›Wer hat euch bezaubert, der Wahrheit nicht zu gehorchen?‹ [Gal 3,1] d.h. dem Evangelium. Dann, um jedermann vor dem Gesetzesgehorsam schaudern zu machen, sagt er mit schrecklichen Worten: ›Denn alle die, welche zum Gesetz der Werke gehören, sind unter dem Fluch‹ [Gal 3,10]. Er, der den Römern schreibt: ›Das Gesetz ist geistlich‹ [Röm 7,14], und wiederum: ›Das Gesetz ist heilig und das Gebot heilig und gerecht‹ [Röm 7,12], stellt die, welche dem Heiligen gehorchen, unter den Fluch (toùß peiqoménouß t¨^w Hagí^w Hupò katáran tíqjsin). Dann vermischt er die Materien dieses Lehrstoffs von oben und unten (fúrwn ‘anw kaì kátw t`jn fúsin toü prágmatoß), verwandelt alles in einen Brei (sugcéei tò pän) und lagert Dunkelheit drüber (kaì zoferòn hergázetai), so daß die Hörer beinahe vor Schwindel krank werden (Hwß skotodiniásai mikroü deïn tòn hakoúonta) und wie in der Nacht an beides anrennen (kaì kaqáper hen nuktì prosaráttein Hekatéroiß) und in dem Wirrwarr sowohl gegen das Gesetz verstoßen als an dem Evangelium sich versündigen (t¨^w te nóm^w prosptaíein kaì t^¨w ehu aggelí^w proskroúein t¨∆ sugcúsei), mißleitet durch den Unverstand ihres Führers (dià t`j n toü ceiragwgoüntoß hamaqían).« 4
Dieses Zeugnis belegt die Schwierigkeiten, die Paulus einem in der Logik geschulten griechischen Philosophen bereitete, ja notwendig bereiten musste5. (AKPAW.PH Jg. 1916; Berlin) 3–15 hat darin Zeugnisse aus dem Werk »Gegen die Christen« des Neuplatonikers Porphyrius (233/34–ca. 305) vermutet und damit die Forschung nachhaltig beeinflusst. Die Diskussion um die Identität des Hellenen ist kürzlich durch den Vorschlag von E. DEPALMA DIGESER (Hierokles Porphyry, Julian, or Hierokles? The Anonymous Hellene in Makarios Magnês’ Apokritikos, JThS 53 [2002] 466–502), dass es sich dabei um den Neuplatoniker Hierokles von Alexandria († ca. Mitte des 5. Jhs.) handelt, neu entfacht worden. In seiner demnächst erscheinenden Replik »Porphyry, Julian, or Hierokles? The Anonymous Hellene in Makarios Magnes’ Apokritikos. A Response to Elizabeth DePalma Digeser« argumentiert U. VOLP vorsichtig für eine angesichts der dürftigen Quellenlage komplexere Hypothese: Hinter dem »Hellenen« verberge sich vielleicht mehr als ein Autor, wobei eine geistige Nähe zu Porphyrius zweifellos bestehe. (Ich danke Herrn Kollegen Volp für diese Einblicke in seine laufenden Makarios-Projekte.) 4 MakarMag, Apokrit. III, 33 (Harnack, Kritik, 64f; vgl. auch Porphyrius »Gegen die Christen«, 59, Nr. 30). Ähnliche Probleme mit der paulinischen Gesetzesauffassung bekundet Julian, C. Gal. 319E (ed. Wright, 410f). 5 Dieses Urteil hat umso mehr Gewicht, wenn es sich beim Autor um Porphyrius handeln sollte, ist er doch als Verfasser eines der einflussreichsten Lehrbücher (der sog. »Isagoge«) in die Logikgeschichte eingegangen (s.u. S. 72). Zu dieser Frage darf ich aus einem Mail vom 8.5.2005 von Ulrich VOLP zitieren: »Der Apokritikos ›enthält‹ zweifellos Porphyrios, aber sicher nicht als rekonstruierbares wörtliches Zitat. Im besten Fall als Epitomezitat und/oder einer Reihe von Einzelzitaten; meiner Ansicht nach eher deshalb, weil die – unbekannten und
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Dass sich hier auch antichristliches Ressentiment zu Wort meldet, machen die scharfen antipaulinischen Invektiven eines Julian »Apostata« deutlich: Paulus überbiete, so Julian, »alle Magier und Schwätzer aller Orten und Zeiten« 6. »Denn je nach Umständen ändert er seine Meinung über Gott (halláttei tà perì qeoü dógmata), wie ein Polyp seine Farbe ändert, um sich den Felsen anzupassen. Zunächst beharrt er darauf, dass die Juden alleine Gottes Erbanteil sind, dann wiederum, in einem Versuch, die Griechen auf seine Seite zu bewegen, sagt er: ›Ist er alleine Gott der Juden? Nicht auch der Nationen? Ja, auch der Nationen.‹ [Röm 3,29]« 7
Paulinische obscuritas ist jedoch nicht ausschließlich Projektionsfläche für antichristliche Polemik, sondern, wie 2Petr 3,15f belegt, bereits innerhalb des frühen Christentums Auslöser gescheiterter Verstehensprozesse8: »Und haltet die Langmut unseres Herrn für Heil, wie ja auch unser geliebter Bruder Paulus gemäß der ihm verliehenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen seinen Briefen, in denen er von diesen Dingen redet, in denen einiges schwer verständlich (dusnójta) ist, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen (strebloüsin), wie sie es auch mit den übrigen Schriften tun, zu ihrem eigenen Verderben.«
Neben der Wertschätzung, die dem »geliebten Bruder« als Lehrer der Kirche, dessen Briefe bereits in Umlauf sind, zweifelsohne entgegengebracht wird, erstaunt die Selbstverständlichkeit, mit der Verständnisschwierigkeiten eingestanden werden und vor Missbrauch gewarnt wird9. Bemerkenswerterweise wird so bereits innerhalb des neutestamentlichen Kanons das Verstehen der Paulusbriefe problematisiert. Ähnliche Überlegungen stellt Origenes an den Anfang seines Römerbriefkommentars (in der rufinischen Übersetzung): »Der Brief an die Römer gilt als schwerer verständlich (difficilior putatur ad intelligendum) als die anderen Briefe des Apostels Paulus, meines Erachtens aus zwei Gründen: Erstens ist m.E.s auch nicht erschließbaren – Autoren Porphyrios gelesen hatten, seine Argumentation und Ansicht kannten und sich ihr anschlossen.« 6 C. Gal. 100A (ed. Wright, 340f): tòn pántaß pantacoü toùß p´wpote gójtaß kaì hapate¨wnaß Huperballómenon Paülon. (eig. Übers.) 7 C. Gal. 106B (ed. Wright, 342f; eig. Übers.). 8 Vgl. P.J. A CHTEMEIER, ›Some Things in Them Hard to Understand‹: Reflections on an Approach to Paul, Int 38 (1984) 254–267; E. DASSMANN, Der Stachel im Fleisch: Paulus in der frühchristlichen Literatur bis Irenäus (Münster, 1979) 118–123; A. LINDEMANN, Paulus im ältesten Christentum (BHTh 58; Tübingen, 1979) 91–97.261–263. 9 Ein ähnliches hermeneutisches Problem belegt DiogL. IX 13. Im Hinblick auf Heraklits Hauptwerk »Über die Natur« soll der persische König Dareios in einem Brief beim Autor persönlich seine Schwierigkeiten folgendermaßen bekundet haben: »Du hast ein Buch über die Natur publiziert, das schwer zu verstehen und zu interpretieren ist (dusnójtón te kaì dusex´jgjton). Nimmt man an manchen Stellen deine Worte wörtlich (katà léxin), dann scheint sein Inhalt aus einer Theorie des gesamten Kosmos und seiner Erscheinungen zu bestehen, die in der göttlichen Bewegung gründen. Meist aber bleibt man ratlos, so daß auch die besten Literaturkenner hinsichtlich der genauen Exegese deiner Schrift in Verlegenheit sind.« (übers. Jürß, 412; vgl. auch Heraklit, Epistulae 1,1)
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die Redeweise des Paulus manchmal unklar, beziehungsweise es wird nicht alles ausgesprochen (elocutionibus interdum confusis et minus explicitus utitur). Zweitens wirft der Römerbrief viele Probleme auf; darunter sind besonders solche, die den Häretikern Anlaß geben, sich immer wieder auf den Römerbrief zu berufen […].« 10
Für Origenes ist die biblische Sprache generell von obscuritas geprägt. Das gilt jedoch in besonderem Maße für den Apostel Paulus, dem er – bei aller theologischen Wertschätzung – einen Mangel an Folgerichtigkeit (hakolouqía) und Ordnung (súntaxiß) bescheinigt11. In der fiktiven Korrespondenz zwischen Seneca und Paulus aus dem 4. Jh. konstatiert »Seneca«, dass »Paulus« vieles »mit dunklem Sinn« ausdrücke (Brief 13). Er wünscht sich ferner, sein christlicher Freund würde mehr »auf den reinen lateinischen Stil […] achten und für die erhabenen Gedanken auch die richtige Form […] finden« (Brief 13). Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn »Seneca« aus Sorge um den paulinischen Stil diesem ein Buch Über die Vielfalt von Ausdrucksmöglichkeiten schickt (Brief 9)12.
In der Wahrnehmung des »schwierigen« Paulus stimmen bereits früh christliche Theologen wie christentumskritische Philosophen überein. Solche Urteile sind von modernen Altphilologen bestätigt worden13. Doch so reizvoll es wäre, die Wirkungsgeschichte des Paulus aus der Perspektive seiner »Unverständlichkeit« zu beleuchten, möchte ich mich darauf beschränken, diesen Zeugnissen ein Zitat von Hans Lietzmann zur Seite zu stellen, das trotz seines Alters (1937) nichts von seiner Aktualität für die moderne Paulusforschung eingebüßt hat14: »Paulus ist ein eigenartiger und einsame Bahnen ziehender Denker, und er ist ein eigener und eigenwilliger Stilist – er redet bei aller Gelehrsamkeit auch nicht ›wie die Schriftgelehrten‹, sondern mit der seltsamen Gewalt eines Propheten […]. Die Menschen werden von ihm ergriffen, ohne ihn auch von sich aus ergreifen zu können. Voll verstanden hat den Paulus keiner von seinen Hörern und Lesern – bis auf den heutigen Tag. Wir spüren es an seinen Briefen, wie alles in ihm arbeitet, wenn er diktiert. Er erörtert ruhig, kühl und verstandesmäßig, dann will er eine komplizierte Deduktion vortragen: er setzt an, verfängt sich im
10 Origenes,
Comm. in Ep. ad Rom. I praefatio (ed. Th. Heither, 62f). Philoc. 9,3 (ed. M. Harl, 358f) bezieht sich dabei v.a. auf den Römerbrief, dessen Gebrauch des Begriffs n´omoß nur unter der Annahme der Mehrdeutigkeit kohärent verstanden werden kann. Vgl. dazu M. HARL, Origène et la sémantique du langage biblique, VigChr 26 (1972) 161–187; Origène et les interprétations patristiques grecques de l’›obscurité‹ biblique, VigChr 36 (1982) 334–371. 12 Übers. von C. Römer in NTApo II, 48.50. 13 Kein Geringerer als Eduard NORDEN (1868–1941), seines Zeichens Altphilologe und Religionshistoriker, bekennt (Kunstprosa, II, 499): »Paulus ist ein Schriftsteller, den wenigstens ich nur sehr schwer verstehe; das erklärt sich mir aus zwei Gründen: einmal ist seine Art zu argumentieren fremdartig, und zweitens ist auch sein Stil, als Ganzes betrachtet, unhellenisch.« A.D. N OCK, Paulus (Zürich; Leipzig, 1940) 189 fügt hinzu: »Wahrscheinlich werden alle klassischen Philologen diesem Urteil zustimmen.« 14 H. LIETZMANN, Geschichte der Alten Kirche (Berlin, 21937) I, 112f (einbändige Ausgabe S. 114f). 11 Origenes,
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Satzgefüge, verfolgt einen Nebengedanken, bringt ein schiefes Bild, bleibt schließlich stecken. Nun hebt er nochmal an, aber wieder überstürzen die Gedanken in ihrer Fülle die mühsam nachhinkenden Worte und verschlingen sich erneut zu einem seltsamen Satzgebilde – der Leser ahnt, was er sagen will, aber es kommt nicht zu Papier. Dann endlich – aber keineswegs immer – bildet sich die Form dem Inhalt gemäß. Und derselbe Mann kann mit hinreißendem Zauber der Gestaltung sein Gefühl ausströmen lassen in die Herzen der Leser […] als ein Sprachmeister von Gottes Gnaden, dem alle Register des menschlichen Organon gehorchen, ein einziger genialer Wildling in der sauber gezüchteten Baumschule des griechischen Literatentums der Zeit.«
Trotz solcher Urteile über die Unverständlichkeit paulinischer Argumentationen hat sich die Ansicht nicht durchgesetzt, es sei schlicht sinnlos, nach Kohärenz zu fragen. Die bloße Tatsache, dass an die paulinische Briefliteratur die Frage nach »Logik« oder »Stringenz« gestellt werden kann, spiegelt deren Anspruch auf argumentative Schlüssigkeit wider. Wenn unsere hermeneutischen Ressourcen bei der Lektüre eines Gedichts oder beim Hören eines Gebetes versagen, kommt uns wohl kaum in den Sinn, nach deren »Logik« oder »Stringenz« zu fragen. Sinnvoll ist ein solches Fragen nur dann, wenn es der Frage wert ist. Ich gehe davon aus, dass Fragen, die sich als heuristisch sinnvoll erwiesen haben, ein Indiz für das Vorhandensein konkreter Phänomene in bestimmten Untersuchungsobjekten sind. Paulinische Rede ist nicht nur »fremd und widerspruchsvoll« – wenn sie nur das wäre, könnten wir auf jeglichen Versuch rationalen Nachvollzugs verzichten –, sie ist auch von einer klar nachvollziehbaren Überzeugungskraft. 2. »Einfach und klar«: Paulinische claritas »›Aber etwas muß doch verkehrt (diastrof¨j ß) sein‹, sagst du, ›wenn im gegenseitigen Widerstreit sich alle auf ihn [= Paulus] berufen.‹ Freilich ist etwas verkehrt, aber suche es nur nicht bei Paulus, sondern bei denen, die sich auf ihn berufen. Denn er ist nicht vieldeutig, sondern einfach und klar (ohu gàr poikíloß tiß ~j n hallà Haploüß kaì saf´jß); diese aber wenden und drehen seine Aussprüche nach ihren besonderen Meinungen.«15
So äußert sich einer der größten Anwälte des Paulus in der Alten Kirche, Johannes Chrysostomus. Er richtet sich damit gegen die häretischen Zugriffe auf seinen großen Helden durch Markion und die Manichäer16. Ganz ähnlich urteilt Photios (820–891/897), Patriarch von Konstantinopel, der als »der gelehrteste Mann seiner Zeit«17 gilt: 15 Joh.
Chrysostomus, Hom. in 2 Cor. 21,4 [zu 2Kor 10,1f] (übers. A. Hartl, BKV I/6, 344 = PG 61, 545). 16 In Laud. 5 (ed. A. Piédagnel) nimmt Johannes jedoch die widersprüchlichen Handlungen und Reden des Paulus zum Anlass einer Lobrede. Vgl. dazu M.M. MITCHELL, ›A Variable and Many-sorted Man‹: John Chrysostom’s Treatment of Pauline Inconsistency, JECS 6 (1998) 93–111; The Heavenly Trumpet: John Chrysostom and the Art of Pauline Interpretation (HUTh 40; Tübingen, 2000) 330–353. 17 K. ZIEGLER, Art. Photios, KP 4 (1975) 813.
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I. Hinführung
»Was sodann die tropische Verwendung der Wörter betrifft und das, was davon (bereits) zur Härte hinneigt, weiß er [= Paulus] (beides) wohl zu scheiden und gönnt (dem zweiten) keinen Raum. Und doch ist er es, der durchwegs mit Größe die Deutlichkeit (megéqei tò saféß) verbindet, wie irgend ein anderer – nein, wie gar kein anderer.«18
Solche Aussagen sind nicht Frucht blinder Apologetik, sondern sachlich durchaus berechtigt. Paulus greift zwar auf feste Traditionen aus seiner christlichen und jüdischen Enzyklopädie zurück19, er benutzt Schriftzitate als autoritative Überzeugungsmittel und redet zuweilen prophetisch, apodiktisch, inspiriert20. Doch mehrheitlich besteht seine Rede nicht aus Orakelsprüchen, Dichterversen, Fabeln, Erzählungen, Mythen, Genealogien, Weisheitssprüchen, kultischen Reden, Hymnen oder Gebeten. Rein formal betrachtet, finden sich in der paulinischen Briefliteratur viele rhetorische Elemente, die typisch für argumentative Sprachhandlungen sind, z.B. »diatribische« Diskussionen, Antithesen, Analogien, Schlussformen und diverse Argumentationsformeln21. Seinem Anspruch nach kommuniziert Paulus vorwiegend in sprachlich gegliederten Gedankengängen und in verständlichen und nachvollziehbaren Aussagesätzen22. Desgleichen verteidigt er Thesen zu strittigen Fragen und versucht, diese durch Rückgriff auf eine gemeinsame Überzeugungs18 Quaestiones
ad Amphiliochium 92 (= PG 101, 585D/588A); übers. von B. WYSS, Photios über den Stil des Paulus, MH 12 (1955) 241. Als Beispiele paulinischen Stils hat Photios zuvor Röm 11,33 und Gal 3,13 zitiert. 19 Ich verwende den Begriff der »Enzyklopädie« im Sinne des kulturellen Wissens, in das Autoren und Autorinnen sowie Leser und Leserinnen eingebunden sind. Dieses Vorwissen ist nicht nur Teil der textuellen Kompetenzerwartung, sondern wird ebenso auch durch Texte vermittelt. Vgl. dazu meine Arbeit Den Anfang hören: Leserorientierte Evangelienexegese am Beispiel von Matthäus 1–2 (FRLANT 180; Göttingen, 1998) 47–51.151–163. 20 Vgl. H. MERKLEIN, Der Theologe als Prophet: Zur Funktion prophetischen Redens im theologischen Diskurs des Paulus, in: Ders., Studien zu Jesus und Paulus II (WUNT 105; Tübingen, 1998) 377–404. 21 Vgl. allgemein die wichtige Studie von SIEGERT, Argumentation und weiterhin R. WONNEBERGER, Überlegungen zur Argumentation bei Paulus, in: M. Schecker (Hrsg.), Theorie der Argumentation (Tübinger Beiträge zur Linguistik 76; Tübingen, 1977) 243–310 (am Beispiel von Röm 3,1–18); FENSKE, Argumentation und die Studien in J.S. VOS, Die Kunst der Argumentation bei Paulus: Studien zur antiken Rhetorik (WUNT 149; Tübingen, 2002). Aus der umfangreichen Literatur zu Einzelproblemen vgl. R. BULTMANN, Der Stil der paulinischen Predigt und die kynisch-stoische Diatribe (FRLANT 13; Göttingen, 1910); T. SCHMELLER, Paulus und die »Diatribe« (NTA 19; Münster, 1987), vgl. bes. die Überblickstabelle auf S. 70–74; S.K. STOWERS, The Diatribe and Paul’s Letter to the Romans (SBLDS 57; Chico, Calif., 1981); N. SCHNEIDER, Die rhetorische Eigenart der paulinischen Antithese (HUTh 11; Tübingen, 1970); H.M. GALE, The Use of Analogy in the letters of Paul (Philadelphia, 1964); C. MAURER, Der Schluß ›a minore ad majus‹ als Element paulinischer Theologie, ThLZ 85 (1960) 149–152; E. BAASLAND, Die PERI-Formel und die Argumentation(ssituation) des Paulus, StTh 42 (1988) 69–87. 22 Dies entspricht seiner Empfehlung an die korinthischen Pneumatiker, lieber »einige verständliche Worte« als »zehntausend in Zungen« zu sprechen (1Kor 14,13–19).
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basis (z.B. Bekenntnisformeln oder Schriftzitate) zu untermauern23. Paulus verbindet in seinen Briefen das Ziel der Persuasion24 mit dem Anspruch, möglichst deutlich und »vernünftig« für seine theologischen Überzeugungen zu argumentieren. Diese Beobachtung erweist sich selbst unter der Bedingung unterschiedlicher Definitionen von »Argumentation« als zutreffend25. Diesbezüglich können (mindestens) zwei Ansätze unterschieden werden: 1. Funktionalistisch: »Argumentation is generally spoken or written discourse, of varied dimensions, which combines a large number of arguments with the aim of obtaining agreement from an audience on one or more theses.«26 Oder: »In einer Argumentation wird versucht, mit Hilfe des kollektiv Geltenden etwas kollektiv Fragliches in etwas kollektiv Geltendes zu überführen.« 27 2. Logisch-formalistisch: Ein Argument ist eine »Folge von Sätzen, bestehend aus mindestens einer Prämisse und genau einer Konklusion«, und eine Argumentation ist eine »sprachliche Handlung […], bei deren Vollzug ein Argument oder mehrere Argumente geäußert werden, z.B. um Behauptungen zu begründen oder Entscheidungen zu rechtfertigen« 28.
Viele zentrale Fragen der gegenwärtigen Paulusforschung – etwa nach der Kohärenz und Systemqualität paulinischer »Theologie« oder nach Brüchen und Entwicklungen im Überzeugungssystem des Paulus – sind überhaupt erst plausibel auf der Grundlage, dass Paulus in der Tat argumentiert. Ungeachtet der Position, die zu diesen Themen bezogen wird, kann Paulus ein Mindestmaß an Rationalität kaum ernsthaft abgesprochen werden. Es ist jedoch die besondere Spannung zwischen claritas und obscuritas in der paulinischen Argumentationsweise, die zu Recht das Bedürfnis nach Erklärungen weckt, welche uns die Texte »einsichtig« machen. Dadurch gerät die Paulus-Exegese – oftmals ohne sich dessen gewahr zu sein – in den Bereich der Logik29. 23 Ob
eine Argumentation vorliegt, ist nicht nur aufgrund von formal-sprachlichen Kriterien zu beantworten, sondern muss sich auch anhand der persuasiven Intention einer Kommunikationshandlung nachweisen lassen (SIEGERT, Argumentation, 19). 24 Zur Unterscheidung von »Überzeugung« und »Überredung« schlägt SIEGERT, Argumentation, 22 idealtypisch vor: »Überzeugung verlangt die volle, kritische Mitarbeit des Partners, Überredung sucht diese Mitarbeit auf das für die eigene Seite günstige Maß zu reduzieren.« 25 Der lateinische Begriff der argumentatio steht in der antiken rhetorischen Tradition in einem engen Zusammenhang mit dem Beweisteil (probatio) einer Rede. Vgl. H. LAUSBERG, Handbuch der literarischen Rhetorik (Stuttgart, 31990) 190–236; J. MARTIN, Antike Rhetorik (HAW II.3; München, 1974) 95–137. 26 C. P ERELMAN , The New Rhetoric and the Humanities (Dordrecht, 1979) 24. 27 W. K LEIN , Argumentation und Argumente, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 38/39 (1980) 19. Dieser Definition folgen SIEGERT, Argumentation, 16–22 und K. BERGER, Formen und Gattungen im Neuen Testament (UTB 2532; Tübingen, 2005) 153. Die Definition hat m.E. darin etwas Zirkuläres, dass Mittel und Ziel im »kollektiv Geltenden« zusammenfallen. 28 K. BAYER, Argument und Argumentation (Opladen, 1999) 229f; ähnlich D. FØLLESDAL u.a., Rationale Argumentation (GKom; Berlin, 1988) 244. 29 »Logik« spielt auch eine Rolle, wenn es darum geht, Glossen in den Paulusbriefen »nachzuweisen« (s.u. S. 190, Anm. 474) oder Briefteilungshypothesen zu erhärten.
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I. Hinführung
B. »Beständig und gottgewollt«: Vom Nutzen der Logik für die Exegese »Dennoch ist gerade die Richtigkeit der logischen Schlüsse (veritas conexionum) nicht von Menschen eingerichtet, sondern vielmehr wahrgenommen und aufgezeichnet worden (non instituta sed animadversa est ab hominibus et notata), damit man diese entweder lernen oder lehren kann. Denn sie ist in der Vernunft der Dinge beständig und gottgewollt eingerichtet (in rerum ratione perpetua et divinitus instituta). Wie nämlich der, welcher von der Abfolge der Ereignisse erzählt, diese nicht selbst zusammenstellt und derjenige, der die Lage von Orten oder die natürliche Beschaffenheit von Tieren, Wurzeln oder Steinen beschreibt, nicht von Menschen eingerichtete Dinge beschreibt und jener, der die Sterne und ihre Bahnen beschreibt, nicht eine von ihm selbst oder von irgendeinem Menschen eingerichtete Sache beschreibt, so spricht auch, wer sagt: ›Wenn falsch ist, was folgt, ist notwendigerweise auch falsch, was vorausgeht‹, sehr wahr und bewirkt doch nicht selbst, daß es so ist, sondern er zeigt nur, daß es so ist (verissime dicit neque ipse facit ut ita sit, sed tantum ita esse demonstrat).« 30
Für den einflussreichen Kirchentheologen Augustin ist Logik zur Klärung von theologischen wie exegetischen Schwierigkeiten von unschätzbarem Wert, denn sie entspricht der natürlichen und göttlich eingerichteten »Vernunft der Dinge«31. Ein solch ungebrochenes Verhältnis zur Logik ist heute kaum vorstellbar. Bevor über den Beitrag der Logik zur Deutung paulinischer Argumentation nachgedacht werden kann, ist daher ein knapper historischer Blick auf das Verhältnis von Theologie und Logik nötig. 1. Theologie und Logik – Szenen einer (geschiedenen) Ehe Der Gebrauch der Logik in Theologie und Exegese war – wie auch obiges Augustin-Zitat zeigt – lange Zeit eine Selbstverständlichkeit32. Theologen haben dabei nicht nur auf logische Fragestellungen als Mittel der Textanalyse und theologischen Argumentation zurückgegriffen, sie haben auch wissenschaftsgeschichtlich gewichtige Beiträge zur Logik selbst geleistet33. Die
30 Augustin, DoctrChr
II,32(50),121 (dt. Pollmann, 88f; lat. ed. Green, 112). zur Auslegung dieser Stelle T.G. BUCHER, Zur formalen Logik bei Augustinus, FZPhTh 29 (1982) 3–45. 32 Die Rolle der Logik in der vormittelalterlichen Theologiegeschichte ist wenig untersucht worden. Vgl. zu Tertullian R.H. AYERS, Language, Logic, and Reason in the Church Fathers (AWTS 6; Hildesheim, 1979) 7–60; zu Origenes R.E. HEINE, Stoic Logic as Handmaid to Exegesis and Theology in Origen’s Commentary on the Gospel of John, JThS 44 (1993) 90-117 (dort weitere Literatur); zu Clemens Alexandrinus E. OSBORN, Logique et exégèse chez Clément d’Alexandrie, in: Lectures anciennes de la Bible (CBiPa 1; Strasbourg, 1987) 169-190; zu Augustin BUCHER, Logik bei Augustinus. 33 Das gilt für Boethius (480–524), Thomas von Aquin (1224–1274), die beiden Franziskaner Duns Scotus (1265–1308) und Ockham (1285–1349) und in besonderem Maße für Abaelard (1079–1142). Vgl. dazu knapp M. MÜHLING-SCHLAPKOHL, Art. Logik, RGG4 31 Vgl.
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Beziehung zwischen Theologie und Logik war, solange sie währte, dennoch nie wirklich frei von Spannungen, v.a. wenn es darum ging das »Mischungsverhältnis« beider zueinander genau zu bestimmen34. Die Genese der Trennung zwischen beiden ist komplex und kann hier nur angedeutet werden: Trotz der Auseinandersetzung mit »der« scholastischen Theologie haben manche Stränge humanistisch-reformatorischer Theologie sich einen Bezug zur Logik bewahrt. Hier ist v.a. Melanchthon (1497–1560) hervorzuheben, der einige einflussreiche logische Schriften in der Tradition des Aristoteles verfasste35. Dem steht jedoch die Haltung Luthers (1483–1546) gegenüber, der in seiner übereifrigen Polemik gegen die Scholastik auch der Logik wenig Bedeutung beimaß und damit zum Teil das Kind mit dem Bade ausschüttete36. Parallel zu diesen theologischen Entwicklungen kam es im Zuge der humanistischen Bewegung generell zu einer graduellen Abwertung der Logik. Für viele Humanisten war das scholastische Interesse an logischen Fragen nicht aus wissenschaftstheoretischen Gründen zu vernachlässigen, sondern schlicht aufgrund des »barbarischen Stils« und des wenig attraktiven Inhalts37. Petrus Ramus (1515–1572), Humanist und späterer Anhänger des Calvinismus, hatte daher mit seinem Entwurf einer antiaristotelischen Logik, bei der sich Logik in Rhetorik auflöst, großen Erfolg38. Die enormen Fortschritte im Bereich der Physik in der frühen Neuzeit machten schließlich deutlich, dass Logik kein geeignetes Instrument zur Entdeckung und Wissenserweiterung ist39. Damit verlor sie für Theologie und Philosophie zunehmend an Interesse. (2002) 491 und bes. zu Abaelard W. KENALE / M. KNEALE, The Development of Logic (Oxford, 21984) 202–224. 34 So hatten z.B. viele theologische Einwände und kirchenpolitische Angriffe gegen Ockham mit der Frage zu tun, welchen Stellenwert die Logik in der Theologie einnehmen soll. Vgl. F. H OFFMANN, Die Schriften des Oxforder Kanzlers Iohannes Lutterell (EThSt 6; Leipzig, 1959) 141–186. 35 Compendaria dialectices ratio (1520 »Kurzgefasstes System der Dialektik«), Dialectices Philippi Melanthonis libri quatuor ab auctore (1528) und Erotemata Dialectices (1547). Vgl. dazu G. FRANK, Melanchthons Dialektik und die Geschichte der Logik, in: J. Leonhard (Hrsg.), Melanchthon und das Lehrbuch des 16. Jahrhunderts (Rostock, 1997) 125–147; N. KUROPKA, Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft (SuR N.R. 21; Tübingen, 2002) 2–40. 36 Dass dies nicht alles ist, was zu Luthers Verständnis von Logik zu sagen ist, macht die differenzierte Darstellung in T. DIETER, Der junge Luther und Aristoteles (TBT 105; Berlin, 2001) 378–430 deutlich. 37 KNEALE / KNEALE, Logic, 300. 38 KNEALE / KNEALE, Logic, 301–305. Bezeichnend ist bereits der Titel von Ramus’ Magisterthese von 1536: »Und was immer Aristoteles sagte, ist erlogen« (Quecumque ab Aristotele dicat essent, commentita esse). Sein 1555 auf französisch erschienenes Lehrbuch »La dialectique« übte in der englischen Übersetzung von Roland MacIlmaine (1574) großen Einfluss auf den englischen und amerikanischen Puritanismus aus. 39 KNEALE / KNEALE, Logic, 307–310 (dort auch zur Abwertung der Logik in Bacon’s Novum Organum von 1620).
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I. Hinführung
Eine für Theologie wie Philosophie so wichtige Figur wie Friedrich D.E. Schleiermacher hat an dieser Lage wenig geändert. Er hat, im Gegenteil, kaum einen positiven Zugang zu Fragen der Logik gefunden 40. Sein Urteil lautet: »Das syllogistische Verfahren ist für die reale Urteilsbildung von keinem Wert.« 41 Logik im engeren Sinne trage zur Schlichtung eines Disputs, worum es in der Dialektik zentral gehe, nichts bei42. Das Wenige jedoch, was er in seiner Dialektik ausdrücklich zur Einseitigkeit formaler Logik sagt43, reicht aus heutiger Sicht kaum aus, um sie in einer Form rhetorischer Dialektik aufgehen zu lassen.
Der Graben zwischen Theologie und Logik hat sich (zumindest im deutschsprachigen Raum) durch den Einfluss der dialektischen Theologie noch vergrößert44. Von geradezu paradigmatischer Bedeutung dürfte hier die »rätselhafte« Freundschaft zwischen Karl Barth und Heinrich Scholz sein 45: Beide besuchten als Studenten in Berlin Harnacks Kolleg, doch zog es Scholz später von der Theologie über die Religionsphilosophie zur Philosophie und schließlich (angeregt durch die Lektüre der Principia Mathematica von Whitehead und Russell) gänzlich zur Logik. Als Ordinarius am ersten deutschen Lehrstuhl für mathematische Logik und Grundlagenforschung in Münster erlangte er eine ähnliche Bedeutung für die Logik wie Barth für die Theologie. Bis zum Tode von Scholz (1956) blieben beide einander freundschaftlich verbunden46. Dennoch wurde die sachliche Kommunikation zwischen ihnen durch den Umstand erschwert, dass die Faszination für die wissenschaftlichen Interessen des jeweils Anderen von einem grundlegenden Unverständnis überschattet wurde. Barth beschrieb in einem Brief an Thurneysen diese seltsame Distanz als eine Kommunikation »durch rhythmisches Klopfen an die Wand«47. Damit ist zugleich das Verhältnis zwischen dialektischer Theologie und Logik in ein treffendes Bild gefasst.
Erst durch die Auseinandersetzung der systematischen Theologie mit der modernen analytischen Philosophie werden auch logische Aspekte berührt, v.a. hinsichtlich des Problems einer vernünftigen und reflektierten Rede von Gott48. Die Begriffe »Logik« und »logisch« werden jedoch selten im Sinne 40 Einige
knappe Hinweise in C. ALBRECHT, Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit (SchlAr 15: Berlin, 1994) 58–60. 41 Dialektik, hrsg. M. Frank (stw 1529; Frankfurt a.M., 2001) I, 383. 42 Ebda., II, 34f. 43 Ebda., II, 403–408. 44 E. STOCK, Art. Logik und Theologie, EKL3 3 (1992) 181. 45 Vgl. A.L. MOLENDIJK, Eine ›rätselhafte‹ Freundschaft: Die Korrespondenz zwischen Heinrich Scholz und Karl Barth, ZDT 8 (1992) 75–98. 46 Vgl. H. SCHOLZ, Warum ich mich zu Karl Barth bekenne, in: Antwort (FS K. Barth; Zürich, 1956) 865–869. 47 Zitiert in MOLENDIJK, Freundschaft, 78. 48 Eine wichtige frühe Arbeit ist J. MACQUARRIE, Gott-Rede: Eine Untersuchung der Sprache und Logik der Theologie (Würzburg, 1974; engl. 1967), bes. 93–111 (zur Auseinandersetzung mit dem logischen Empirismus). Vgl. im deutschsprachigen Raum I.U. DALFERTH (Hrsg.), Sprachlogik des Glaubens (BEvTh 66; München, 1974), bes. 9–62 (Einleitung des Herausgebers); P. WIDMANN, Thetische Theologie: Zur Wahrheit der Rede von Gott (BEvTh 91; München, 1982); U. KROPAC, Naturwissenschaft und Theologie im Dialog (Studien zur systematischen Theologie und Ethik 13; Münster, 1999), bes. 135–149; T. SCHÄRTL, TheoGrammatik: Zur Logik der Rede vom trinitarischen Gott (Ratio fidei 18; Regensburg, 2003).
B. »Beständig und gottgewollt«: Vom Nutzen der Logik für die Exegese
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einer »formalen Logik« gebraucht49. Eine umfassende Untersuchung, die Logik und Theologie produktiv miteinander ins Gespräch bringt, bleibt m.E. weiterhin ein dringendes Desiderat50. Nicht minder zaghaft sind Annäherungen von Seiten der Logik an die Theologie. Bis auf die frühen Beiträge von Heinrich Scholz51 ist mir an umfrangreicheren Arbeiten nur der Versuch von J.M. Bochenski, Regeln und Gesetze der Logik auf die religiöse Sprache anzuwenden, bekannt52. Innerhalb der Theologie hat dieses Werk jedoch kaum Beachtung gefunden. Es ist angesichts einer solchen Konstellation auch nicht verwunderlich, dass es zur Fragestellung der vorliegenden Arbeit im engen Sinne keine Forschungsgeschichte gibt53. Zu dieser Lücke möchte ich vier Anmerkungen machen:
Auf moderne relationslogische Modelle greift M. MÜHLING-SCHLAPKOHL, Gott ist Liebe: Studien zum Verständnis der Liebe als Modell des trinitarischen Redens von Gott (MThSt 58; Marburg, 2000) 44–48.333–338 zurück. In seinem Artikel Logik, RGG4 5 (2002) 492f geht er kurz auf systematisch-theologische Grundfragen ein. 49 Die anregende »kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken« (so der Untertitel) in D. RITSCHLS, Zur Logik der Theologie (KT 38; München, 21988) erläutert den im Titel so exponierten Begriff der »Logik« weder in der »Erklärung bevorzugter Begriffe« (19–23) noch im Abschnitt zur »Stellung der Logik« (109–129). Aus einzelnen Aussagen lässt sich entnehmen, dass mit »Logik« so etwas gemeint ist wie eine »Grammatik« des Glaubens, eine Art »Regulativ« für theologisches Reden (13.26.115f). »Logik« ist hier jedenfalls nicht als »formale« Logik zu verstehen. Ähnlich unterbestimmt bleibt der LogikBegriff in der Arbeit seines Schülers H.O. JONES, Die Logik theologischer Perspektiven (FSÖTh 48; Göttingen, 1985). Gänzlich missverständlich ist der Gebrauch des Wortes »Logik« in H. BOUILLARD, Logik des Glaubens (QD 29; Freiburg, 1966), der darunter »die Logik der freien Zustimmung zum Mysterium des Christentums« (9) versteht. 50 Als Beitrag zu einem Teilgebiet »theologischer Logik« versteht H. SCHRÖER seine Untersuchung Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem: Eine Untersuchung zu Kierkegaard und der neueren Theologie als Beitrag zur theologischen Logik (FSThR 5; Göttingen, 1960). Eine logische Kriteriologie für die Theologie entwirft A. JEFFNER, Kriterien christlicher Glaubenslehre (SDCU 15; Stockholm, 1977) 97–126. 51 H. SCHOLZ, Wie ist eine evangelische Theologie als Wissenschaft möglich? (1931), in: G. Sauter (Hrsg.), Theologie als Wissenschaft (TB 43; München, 1971) 221–264; Was ist unter einer theologischen Aussage zu verstehen? (1936), in: Sauter, Theologie als Wissenschaft, 265–278; Das theologische Element im Beruf des logistischen Logikers, in: Ders., Mathesis Universalis (Basel, 1961) 324–340. Der erste Aufsatz wurde von BARTH kategorisch abgelehnt (vgl. KD 1 [1932] 7), auf die anderen ist er nicht mehr eingegangen. Vgl. dazu H.G. ULRICH, Was heißt theologische Wahrheitsfindung? Bemerkungen zu Fragen von Heinrich Scholz an Karl Barth, EvTh 43 (1983) 350–370; W. PANNENBERG, Wissenschaftstheorie und Theologie (Frankfurt a.M., 1973) 270–277. 52 J.M. BOCHENSKI , Logik der Religion (Köln, 1968). Vgl. auch T.G. BUCHER, Wahrheitsgarantie der Theologie und der Beitrag der Logik, LingBibl 58 (1986) 15–43. 53 Vgl. das immer noch zutreffende Urteil von T.G. BUCHER, Die logische Argumentation in 1. Korinther 15,12–20, Bib 55 (1974) 472: »Die Exegeten benutzen schon seit Jahrzehnten
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I. Hinführung
1. Seit der 1773 veröffentlichten Logica Paulina von Carl Ludwig Bauer ist mir keine Untersuchung bekannt, die systematisch Fragen der Logik auf Paulus anzuwenden versucht54. Aus heutiger Sicht wirkt Bauers Arbeit erratisch, nicht nur weil in der Folgezeit an die dort aufgeworfenen Fragen nicht mehr angeknüpft wurde, sondern auch weil sich darin ein Verständnis von Logik widerspiegelt, das durch seine Reduktion auf rhetorische Tropen weder den Ansprüchen moderner Logik genügt55, noch den Leistungen antiker Logik Rechnung trägt. H. LEISEGANGS Analyse der »Denkform des Apostels Paulus«56 spricht zwar von paulinischer »Logik«, tut dies aber in einer so eigenwilligen Art und Weise57, dass für die Fragestellung dieser Arbeit kaum etwas gewonnen werden kann. Paulus erscheint hier als Vertreter eines »Denkens in Kreisen« neben Heraklit und Goethe. Da für Paulus der »Satz vom Widerspruch« nicht gelte (116), sei er »mit den Denkmitteln der traditionellen Logik« kaum zu verstehen (125), ja die Logik der Rationalisten müsse an Paulus zerbrechen (126)58. Beim Versuch, die »Logik« des Paulus aus sich selbst heraus zu entdecken (128f), begeht LEISEGANG m.E. zwei Kategorienfehler: Er unterscheidet weder zwischen axiomatischen und deduzierten Sätzen 59 noch zwischen natürlicher und formaler Sprache. Die natürliche Sprache formuliert häufig paradoxe Sätze, die jedoch keine formallogischen Antinomien sind, sondern sprachlichen Äquivokationen entspringen60.
2. An exegetischen Fachpublikationen, die die Vokabeln »Logik« und »logisch« im Titel führen, herrscht kein Mangel. Die meisten davon sind wissenschaftlich anerkannte Methoden. […] Gerade deshalb fällt es umso mehr auf, wenn daneben die logische Struktur vernachlässigt wird oder gar unbeachtet bleibt.« 54 Carl Ludwig BAUER, Logica Paulina vel notatio rationis, qua utatur Paullus Apostolus in verbis adhibendis, interpretando, definiendo, enuntiando, argumentando, et methodo universa in usum exegeseos et doctrinae sacrae (Halle, 1773). 55 Als »Geburtsstunde« der modernen Logik gilt G. FREGES Begriffsschrift (Halle, 1879). 56 Denkformen (Berlin, 21951) 88–130. Anders als F ENSKE, Argumentation, 37 bewerte ich den Beitrag Leisegangs eher negativ. 57 »Wenn ein Denker seine Denkform systematisch ausbaut, so geschieht dies mit einer ihm eigenen Logik, und dieses Denken führt ihn zu einem mit den Mitteln dieser Logik ausgeführten System eigener Struktur. Wenn es verschiedene Denkformen gibt, so müßte es daher auch verschiedene ›Logiken‹ geben, die entweder nebeneinander bestehen können, ohne sich zu stören, oder sich gegenseitig ausschließen.« (44) 58 Als Beispiel führt LEISEGANG 1Kor 15 an: »Wie soll etwa aus der Tatsache, daß ein Mensch von den Toten auferweckt wurde, logisch folgen, daß nun alle auferweckt oder verwandelt werden müssen?« (126) 59 Die Verbindung z.B. zwischen der Auferstehung Jesu und der Auferstehung der an ihn Glaubenden in 1Kor 15,20 ist nicht deduziert, sondern bildet den Ausgangspunkt für den gültigen Schluss, dass die Glaubenden auferstehen werden. Der apokalyptische Zusammenhang, der in 1Kor 15,20 zum Ausdruck kommt, muss nicht selbst »logisch« sein, um als Grundlage für logisch gültige Schlüsse dienen zu können. 60 Wenn z.B. in der Alltagssprache der Satz geäußert wird »Diese Männer sind keine Männer«, dann sehen wir darin wohl kaum ein Indiz für »zyklisches Denken« und stellen den Sprecher oder die Sprecherin auch nicht in die Gefolgschaft Heraklits. Viel eher durchschauen wir schnell, dass der Begriff »Mann« auf zwei unterschiedliche Weisen gebraucht wird.
B. »Beständig und gottgewollt«: Vom Nutzen der Logik für die Exegese
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jedoch für die spezifische Fragestellung dieser Arbeit deshalb von geringem Interesse, weil darin keine formallogischen Verfahren zum Einsatz gelangen61. Es wäre an dieser Stelle nicht nur müßig, sondern geradezu beckmesserisch, dem nicht-terminologischen Sprachgebrauch durch Exegeten und Exegetinnen von der Warte der Logik aus einen Riegel vorschieben zu wollen. Zumindest ist dieser semantische Wucherungsprozess nicht nur im Bereich der Exegese festzustellen, sondern typisch für viele andere Disziplinen62. Die vorliegende Arbeit wird auf den alltagssprachlichen Gebrauch der Termini »Logik« und »logisch« verzichten, denn die begriffliche Unschärfe hat unweigerlich zur Folge, dass häufig Urteile, die logische Aspekte einer Argumentation tangieren, eher der Intuition als einer kontrollierbaren Methodik entsprechen. 3. Die aktuelle Rhetorik-Renaissance hat einige Arbeiten hervorgebracht, die Fragen der Logik streifen, jedoch ohne sich eingehend damit zu befassen. Das gilt z.B. für Hotzes Untersuchung zur Paradoxie bei Paulus63 ebenso wie für den Versuch von Moores, Röm 1–8 mit Hilfe Eco’scher Semiotik auf vorhandene aristotelische Enthymeme abzusuchen64. Neben einigen unbefrie-
61 »Logik«
begegnet in Titeln von aktuellen Fachpublikationen in Kombinationen wie »emotional logic«, »God’s semantic logic«, »agrartechnisch-biologische Logik der Gleichnisse«, »logic of history«, »logic of the dietary laws«, »logic of the Logos Hymn«, »logic of the role of the law«, »logical grammar of justification«, »Logik biblischer Erzählungen«, »Logik der Praxis christlichen Glaubens«, »Logik des trinitarischen Bekenntnisses«, »narrative Logik«, »theologische Logik der Metapher ›Wiedergeburt‹«, usw. Ein solcher Sprachgebrauch kann bestenfalls als »vorkritisch« bezeichnet werden. In der Regel bleibt der Referenzbereich dessen, was mit den Begriffen bezeichnet wird, semantisch unterdeterminiert. 62 Hier folgt die Wissenschaftssprache dem Alltagsgebrauch. Wir bezeichnen im Alltag etwas als »logisch«, das uns folgerichtig, klar, vernünftig, einleuchtend oder einfach selbstverständlich erscheint und bezeichnen mit dem Begriff »Logik« so etwas wie eine Lehre von den Gesetzen des Denkens (vgl. Duden: Rechtschreibung der deutschen Sprache [Mannheim, 211996] 463; G. WAHRIG, Deutsches Wörterbuch [Berlin, 1977] 2375). Umgekehrt ist das Adjektiv »unlogisch«, insbesondere in der Steigerung »total unlogisch«, häufig eine gepflegtere Art und Weise, etwas als »Unsinn« oder »Quatsch« zu bezeichnen. 63 G. HOTZE, Paradoxien bei Paulus (NTA 33; Münster, 1997). Der knappe Abschnitt »Zur logischen Struktur eines Paradox« (27–30) ist aus logischer Sicht an mind. drei Punkten unpräzise: Hotze geht zu unbedacht von der sprachlichen zur logischen Form über, er unterscheidet nicht zwischen konträren und kontradiktorischen Gegensätzen und vermischt logische Analyse und Wahrheitsbestimmung. 64 J.D. MOORES, Wrestling with Rationality in Paul: Romans 1–8 in a New Perspective (MSSNTS 82; Cambridge, 1995). Aus logischer Sicht bleibt an dieser Arbeit unbefriedigend, dass der Autor seine rekonstruierten Syllogismen nirgends formalisiert, um sie damit einer im strengen Sinne logischen Analyse zugänglich zu machen. Damit bleibt Moores auf halbem Wege.
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I. Hinführung
digenden Ausführungen zu »Logik«65, hat sich v.a. die Kategorie des Enthymems als ein fruchtbarer Untersuchungsgegenstand auf der Grenzlinie zwischen Rhetorik und Logik erwiesen66. 4. Die einzige nennenswerte Ausnahme zu diesem generell zu konstatierenden logischen blinden Fleck in der Exegese ist die sog. »BucherBachmann-Kontroverse« um die logische Analyse von 1Kor 15,12–2067. Die logische Diskussion, die die Exegese dieser Stelle ausgelöst hat, hat jedoch keine Ausweitung auf das Gesamt der Paulus-Exegese erfahren68. Insgesamt begegnen sich in der gegenwärtigen Forschung Theologie und Logik auf dem Parkett der Disziplinen höchst selten69. Die Unterschiede hinsichtlich der Pflege einer je eigenen Wissenschaftssprache, der leitenden 65 Etwa
T.E. van SPANJE, Inconsistency in Paul? A Critique of the Work of Heikki Räisänen (WUNT 2:110; Tübingen, 1999) 198f, der Argumentation als eine Funktion einzig und allein der Rhetorik und nicht der Logik betrachtet. Oder FENSKE, Argumentation, 31–38, der einen künstlichen Gegensatz zwischen »mathematischer« und »situationsorientierter« Logik aufbaut. Völlig unbestimmt bleibt der Logikbegriff in D. STARNITZKE, Die Struktur paulinischen Denkens im Römerbrief: Eine linguistisch-logische Untersuchung (BWANT 163; Stuttgart, 2004). Ich habe weder der Einführung (1–21) noch der Interpretation des Römerbriefes (23–477) entnehmen können, in welcher Form logische Untersuchungsmethoden hier zum Einsatz gelangen. 66 Am gelungensten erscheint mir D.E. AUNE, The Use and Abuse of the Enthymeme in New Testament Scholarship, NTS 49 (2003) 299–320. Vgl. weiterhin zu Paulus M.J. DEBANNÉ, An enthymematic reading of Philippians: Towards a typology of Pauline arguments, in: S.E. Porter / D.L. Stamps (eds.), Rhetorical Criticism and the Bible (JSNT.S 195; Sheffield, 2002) 481–503; L.R. DONELSON, Pseudepigraphy and Ethical Argument in the Pastoral Epistles (HUTh 22; Tübingen, 1986) 69–90; D. HELLHOLM, Enthymemic Argumentation in Paul: The Case of Romans 6, in: T. Engberg-Pedersen (ed.), Paul in his Hellenistic Context (Edinburgh, 1994) 119–179; P.A. HOLLOWAY, The Enthymeme as an Element of Style in Paul, JBL 120 (2001) 329–339; P. LAMPE, Reticentia in der Argumentation: Gal 3,10-12 als Stipatio Enthymematum, in: U. Mell / U.B. Müller (Hrsg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte (FS J. Becker; BZNW 100; Berlin, 1999) 27–39. Vgl. zur aristotelischen Enthymem-Theorie u. S. 63ff. 67 Vgl. dazu S. 108f. 68 J. RENSHAW, Boolean Logic in the Corinthian Correspondance, in: T.J. Burke / J.K. Elliott (eds.), Paul and the Corinthians (FS M. Thrall; NT.S 109; Leiden, 2003) 177–193 unternimmt ohne weitere Begründung den m.E. abenteuerlichen Versuch, die mathematische Boolsche Logik, die v.a. in der Informatik zum Einsatz kommt, auf ein sprachliches Gebilde wie die paulinische Korintherkorrespondenz anzuwenden. 69 Logik gehört in den meisten theologischen Curricula nicht zum Ausbildungskanon. Dass sich die römisch-katholische Theologie ebenso wie die anglo-amerikanische, skandinavische und niederländische Religionsphilosophie insgesamt etwas logikfreundlicher als die deutschsprachige evangelische Theologie zeigen (so STOCK, Logik, 181), bleibt angesichts der Logikkenntnisse früherer Theologengenerationen ein sehr relatives Urteil. Von den theologischen Standardlexika bieten zur spezifischen Frage »Logik und Theologie« TRE und LThK4 keinen eigenen Eintrag; knapp informieren RGG4 (MÜHLING-SCHLAPKOHL, Logik, 492f) und EKL3 (STOCK, Logik und Theologie, 181–183).
B. »Beständig und gottgewollt«: Vom Nutzen der Logik für die Exegese
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Interessen und der standardisierten Vorgehensweisen scheinen so unüberwindbar groß, dass die Theologie – selbst in einer Zeit, in der Bemühungen um Interdisziplinarität nicht mehr das Stigma des Häretischen zu befürchten haben – nur äußerst selten ein genuines Interesse daran zeigt, ihre Antwortstrategien durch logische Fragestellungen zu bereichern. Die Beziehungsgeschichte der beiden Disziplinen, die hier nur in Auswahl gestreift werden konnte, steht heute an einem Punkt, an dem das Ignorieren der Logik seitens der Theologie keinem Begründungszwang unterliegt. Angesichts dieser Situation – die manche mehr andere weniger bedauern mögen – bedarf es im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit einer prinzipiellen Grundlegung. Was kann Logik im Hinblick auf ein Verstehen der paulinischen Argumentation überhaupt leisten? 2. Grundlegende Prinzipien der Logik70 Im Verlauf eines Gesprächs sagt jemand: »Wir können ja wohl annehmen, dass keine Tierschützerin zu den Verteidigern des Stierkampfs zählt. Und, wie wir alle wissen, ist Christina überzeugte Tierschützerin. Muss ich noch mehr sagen?« Die Anwesenden werden unweigerlich daraus den Schluss ziehen, dass Christina den Stierkampf nicht verteidigt. Später fragt jemand: »Wo ist Christina eigentlich jetzt?« Antwort: »Christina sagte, dass sie entweder daheim oder auf einem Konzert wäre. Sie ist jetzt definitiv nicht daheim.« Daraus können alle folgern, dass sie sich auf einem Konzert befindet.
Das Folgern aus diesen Sätzen ist für uns ebenso natürlich wie die Summe aus »1+2« zu ziehen. Unsere Alltagssprache ist so angelegt, dass jeder und jede aus einer begrenzten Anzahl von Aussagesätzen (sog. Prämissen) eine weitere Aussage folgern kann. Offenbar liegen der Sprache allgemeine Strukturen oder Gesetzmäßigkeiten zugrunde, die Schlüssen einer bestimmten Art oder Form gemeinsam sind. Dadurch sind Menschen in der Lage, vernünftige, begründete und nachvollziehbare Argumentationen zu formulieren. Ausgehend von solchen sprachlichen Beobachtungen, beschäftigen sich die klassischen logischen Entwürfe von Aristoteles in der Antike oder von Gottlob Frege in der Moderne genau mit diesen Strukturen der natürlichen
70 Was
hier zur Logik gesagt wird, bezieht sich nur auf die »klassische« zweiwertige Logik und erhebt keinerlei Anspruch auf Originalität. Es gehört vielmehr zu dem seit der Antike bekannten Basiswissen. Andere Bereiche der modernen Logik – mathematische, intuitionistische, mehrwertige oder modale Logik – sind ohne Interesse für die vorliegende Fragestellung. Empfehlenswert zur allgemeinen Einführung in den verzweigten Bereich der modernen Logik sind T.G. BUCHER, Einführung in die angewandte Logik (SG 2231; Berlin, 2 1998) und P. HOYNINGEN-HUENE, Formale Logik (RUnB 9692; Stuttgart, 1998). Wichtige Texte zur modernen Logik finden sich in K. BERKA / L. KREISER, Logik-Texte (Berlin, 3 1983).
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I. Hinführung
Sprache71. Logik wird daher als »Theorie der Regeln gültigen Schließens«72 oder als »Lehre der gültigen Formen«73 bestimmt. Was kann Logik praktisch leisten? Indem sie die Gültigkeit von sprachlichen Schlussfolgerungen prüft, spielt sie für die Argumentationsanalyse eine zentrale Rolle74. Sie ist in erster Linie eine ars iudicandi, ein Werkzeug zur Analyse von Begründungen und Schlussfolgerungen. Die logische Analyse richtet ihr Augenmerk auf die Angemessenheit des Übergangs von den Prämissen zur Konklusion. In einem sehr elementaren Sinne ist sie die Theorie der Partikel »also«, »folglich«, »daher«. Logik kann sich mit vielem beschäftigen, aber die Anwendung der klassischen Logik auf sprachliche Argumentationen unterliegt einer klaren Beschränkung75: Sie untersucht aus der Menge aller sprachlichen Äußerungen meistens solche, die zwei Bedingungen erfüllen76: 1. Eine Anzahl von Aussagesätzen77 muss so angeordnet sein, dass ihre Beziehung zueinander als »Schluss« aufgefasst werden kann. Das bedeutet,
71 Vgl.
zur sprachtheoretischen Grundlegung der Logik in der Antike u. S. 34ff. Die wichtigsten sprachlogischen Studien von Frege (»Funktion und Begriff«, »Über Sinn und Bedeutung« und »Über Begriff und Gegenstand«) sind bequem zugänglich in G. FREGE, Funktion, Begriff, Bedeutung: Fünf logische Studien, hrsg. G. Patzig (KVR 1144; Göttingen, 7 1994). Vertiefend zum allgemeinen Problem von Sprache und Logik vgl. G. PATZIG, Sprache und Logik (KVR 1281; Göttingen, 21981), bes. 5–38 und zum Begriff der Folgerung S. READ, Philosophie der Logik (Rowohlts Enzyklopädie 581; Reinbek bei Hamburg, 1997) 50–82. Es war in der Logikgeschichte umstritten, ob Logik Gesetze des »Seins«, des Denkens oder des Sprechens untersucht (vgl. E. TUGENDHAT / U. WOLF, Logisch-semantische Propädeutik [RUnB 8206; Stuttgart, 1983] 7–16). In der Zeit zwischen der einflussreichen Logik von Port-Royal (1662; dt. Ausgabe A. A RNAULD, Die Logik oder die Kunst des Denkens [Darmstadt, 1972]) und dem Durchbruch der modernen Logik mit FREGES Begriffsschrift dominierte ein psychologisches Interesse, das heute teilweise noch in der populären Vorstellung nachwirkt. 72 H.-G. LICHTENBERG, Art. Logik, in: H. Seiffert / G. Radnitzky (Hrsg.), Handlexikon zur Wissenschaftstheorie (München, 21994) 189. 73 BUCHER, Logik, 9. 74 Den Zusammenhang zwischen Logik und Argumentation betonen A. BÜHLER, Einführung in die Logik (München, 32000) 11–39; W.C. SALMON, Logik (RUnB 7996; Stuttgart, 1983) 7–19. Zwei aktuelle Beiträge zur Argumentationsanalyse, die stark den Bezug zur Logik betonen, sind BAYER, Argument und Argumentation und A. FISHER, The Logic of Real Arguments (Cambridge, 22004). 75 Die Vorstellung, dass alle Lebens- oder Sprachvollzüge in das enge Korsett einer logischen Rationalisierung geschnürt werden könnten, ist dem Anliegen der Logik fremd. 76 Die Unterscheidung zwischen logisch relevanten und logisch irrelevanten Sätzen impliziert selbstverständlich kein Urteil über die Qualität oder den Wahrheitsgehalt Letzterer. 77 Einzelwörter oder -sätze sind für die Logik irrelevant. Eine Ausnahme bilden jedoch logisch relevante Konjunktionen (im Mittelalter »synkategorematisch« genannt) wie »und«, »oder«, »wenn« usw.
B. »Beständig und gottgewollt«: Vom Nutzen der Logik für die Exegese
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dass eine Aussage (»Konklusion«) in der Regel aus zwei davon unterschiedlichen Aussagen (»Prämissen«) notwendig folgt78. Ein einfaches Beispiel: Alle Musiker sind Künstler. Alle Gitarristen sind Musiker. Alle Gitarristen sind Künstler. Nicht aus jeder Abfolge von Sätzen kann jedoch etwas gefolgert werden. Angenommen jemand sagt: »Immer wenn es regnet, wird es draußen nass, und nun ist es draußen nass.« Daraus kann jedoch nicht zwingend gefolgert werden, dass es geregnet hat, denn die Nässe des Strassenbelags kann auf andere Ursachen zurückgeführt werden (z.B. auf Kinder, die mit einem Wasserschlauch gespielt haben oder auf einen städtischen Reinigungswagen, der den Boden mit Wasser gesäubert hat).
2. Die zu analysierenden Sätze müssen eine Aussage machen79. Die Grundbedingung einer Aussage ist, dass sie »wahrheitsdefinit« ist; d.h. dass sie »wahr« oder »falsch« sein kann, auch wenn dies im Einzelfall nicht genau feststellbar ist. Grammatikalisch handelt es sich häufig um Sätze in der Indikativform. Befehle, Wünsche, Aufforderungen, Gebete, Ausrufe, usw. gehören nicht zum Gegenstand der Logik, weil sie weder wahr noch falsch sein können80. Die Alltagssprache ist nicht nur die Grundlage der klassischen Logik, sondern häufig zugleich auch ihr Problem, denn unser natürliches Folgern läuft manchmal ins Leere81. Ein Beispiel: Prämisse 1: Alle Autos sind Fortbewegungsmittel. Prämisse 2: Alle VWs sind Fortbewegungsmittel. Konklusion: Also: Alle VWs sind Autos. Viele würden spontan diesem Schluss logische Stringenz zusprechen. Obwohl die Aussage der Konklusion wahr ist, lässt sie sich aus den beiden vorherigen Prämissen »logisch« (im fachlichen Sinne) nicht herleiten. Dies lässt sich anhand einer anderen »Einsetzung« zeigen: Prämisse 1: Alle Autos sind Fortbewegungsmittel. Prämisse 2: Alle Hubschrauber sind Fortbewegungsmittel. Konklusion: Also: Alle Hubschrauber sind Autos.
78 Auf
das besondere Problem von Konklusionen aus einer Prämisse sei hier nur hingewiesen. Zur aristotelischen Definition des Schlusses s.u. S. 46ff. 79 Vgl. HOYNINGEN-HUENE, Formale Logik, 28–35.153f. Man spricht auch von »Proposition«. 80 Diese Einschränkung geht bereits auf die Antike zurück (s.u. S. 34ff). Darüber hinaus finden sich in der Antike bereits grundlegende Überlegungen zum Problem einer Modallogik (Notwendigkeits- und Möglichkeitsaussagen). Erst im 20. Jh. gibt es Versuche einer »deontischen Logik« (normative Sätze). 81 Vgl. allgemein zu »irrationalen« Verhaltensformen S.P. S TICH, Rationality, in: D.N. Osherson / E.E. Smith (eds.), Thinking (An Invitation to Cognitive Science 3; Cambridge, Mass.; London, 1990) 173–196.
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I. Hinführung
Beide Beispiele sind formal gleich aufgebaut. Dennoch folgt im zweiten aus wahren Prämissen eine falsche Konklusion. Selbst wenn im ersten Beispiel die Konklusion zufälligerweise wahr ist, ist der Schluss aufgrund seiner Form logisch inkorrekt. Bei solchen (und anderen wesentlich komplizierteren) Fällen führt unsere »Alltagslogik« häufig in die Irre.
Um die Gültigkeit von Schlüssen möglichst präzise prüfen zu können, ist es unerlässlich die semantischen Ungenauigkeiten und die einzelnen Inhalte zu umgehen. Logik operiert daher auf formaler und nicht auf inhaltlicher Ebene82. Sie sucht unter Abstraktion von konkreten Inhalten und Situationen, die Gesetzmäßigkeiten gültigen Schließens systematisch zu erfassen83. Wie die Mathematik greift sie auf eine eigene abstrakte Formsprache zurück. Die einfachste, seit der Antike bekannte Form der Abstraktion besteht darin, Sätze oder Satzteile mit Buchstaben oder Zahlen wiederzugeben. Statt eine unendliche Anzahl möglicher Sätze zu untersuchen, gelangt formale Logik zu einer Regelbildung anhand einer endlichen Anzahl analysierter Formen. Wir können z.B. aus der Abfolge der Sätze »Wenn es regnet, wird der Boden nass«, und »Es regnet«, schließen: »Der Boden ist nass.« Da sich dieser Schluss in allen »Einsetzungen« als korrekt erweist, lässt sich daraus ein gültiges formales Schema ableiten: Wenn p, dann q; nun p; also: q.
Die kleinen Buchstaben stehen für ganze Aussagesätze84. Zuweilen kann es jedoch auch logisch relevant sein, einzelne Wörter innerhalb eines Satzes in dieser Art abstrakt darzustellen. Der Schluss »Wenn alle Musiker Künstler sind und alle Gitarristen Musiker sind, dann sind alle Gitarristen Künstler«, lässt sich z.B. auf folgendes Schema zurückführen: Wenn alle A B sind und alle C A sind, dann sind alle C B.85
In diese logische Form lassen sich nun Begriffe so einsetzen, dass als Ergebnis immer ein wahrer Satz entsteht: »Wenn alle Griechinnen Europäerinnen sind und alle Athenerinnen Griechinnen sind, dann sind alle Athenerinnen Europäerinnen.« Oder: »Wenn alle Flaschen Tiere sind und alle Bücher Flaschen sind, dann sind alle Bücher Tiere.« Sprachliche Schlüsse sind dann gültig, wenn sie sich auf eine solche gültige Schlussform zurückführen lassen. Die Überführung von Aussagesät-
82 Der
seit Kant geläufige Begriff der formalen Logik hebt dieses besondere Chrakteristikum der Logik hervor. 83 Logik verhält sich damit zur Argumentation ähnlich wie Grammatik zur gesprochenen Sprache. 84 Vgl. zu den in dieser Arbeit so spärlich wie möglich gebrauchten formallogischen Zeichen o. S. XII. 85 Noch knapper formal darstellbar als: (AaB ∧ CaA) → CaB. Die Zeichen zur Verknüpfung von Teilsätzen sind in der antiken Logik nicht belegt.
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zen aus der Alltagssprache in eine logisch verwertbare Form86 ist daher keine Spielerei ohne Erkenntniswert, sondern ein notwendiger, weil der Frage nach der Gültigkeit von Schlüssen angemessener Schritt87. Der Sachbereich dessen, was durch die Frage nach der Logik einer Argumentation erfasst werden kann, sollte nicht zu weit ausgedehnt werden. Logik prüft z.B. nicht die Wahrheit von Aussagen. Im Alltagsgebrauch bezeichnen wir gerne eine falsche Aussage als »unlogisch«. Aus logischer Sicht ist diese Einschätzung unzutreffend. Logik setzt zwar voraus, dass Wahrheit eine Eigenschaft von Aussagen ist88, aber die tatsächliche Feststellung von Wahrheit überlässt sie anderen Bereichen der Wissenschaft (z.B. Erkenntnistheorie, Physik, Mathematik) oder einfach der empirischen Erkenntnis. Dabei gilt seit der Antike die Grundregel, dass aus wahren Aussagen bei Anwendung korrekter Schlussformen notwendig eine wahre Aussage folgt. Bei Anwendung von logisch ungültigen Schlussformen gibt es für den Wahrheitstransfer jedoch keine Garantie89. Die Logik berührt wichtige philosophische Grundfragen, auf die hier nur am Rand eingegangen werden kann. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) besagt, dass die Adjunktion (oder-Verbindung) aus einer Aussage und ihres kontradiktorischen Gegenteils nicht falsch sein kann 90. So ist z.B. der Satz: »Es regnet oder es ist nicht der Fall, dass es regnet«, immer wahr. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Da nur die Werte »wahr« oder »falsch« zugelassen sind, spricht man auch vom »Zweiwertigkeitsprinzip« und von »zweiwertiger Logik«. Der Satz vom Widerspruch (principium contradictionis) besagt, dass die Konjunktion (und-Verbindung) einer Aussage und ihres kontradiktorischen Gegenteils nicht wahr sein kann 91. Für die klassische Logik sind diese beiden Sätze grundlegend. Es
86 Vgl.
zum Problem der Formalisierung u. S. 92ff. und Exegetinnen, die nach der »Logik« eines Textes fragen, wagen es meistens nicht, eine Formalisierung anzubieten. Wenn zur Ungenauigkeit paulinischer Sprache noch die Vagheit des exegetischen Vokabulars hinzukommt, kann ohne formale Darstellung zur Logik einer Argumentation nichts gesagt werden. Ausnahmen wie BUCHER und BACHMANN (vgl. dazu S. 108f) bestätigen leider nur die Regel. 88 In der Regel setzt die Logik für die Satzwahrheit eine Korrespondenztheorie voraus: Wahr ist eine Aussage, wenn sie mit der außersprachlichen Realität übereinstimmt. Eine zunehmende Problematisierung dieser Wahrheitsauffassung hätte auch für die Logik Konsequenzen (vgl. READ, Philosophie der Logik, 18–28). 89 Vgl. zum Begriff »Warheitstransfer« HOYNINGEN-HUENE, Formale Logik, 15f. Eine Argumentation ist in der Praxis nicht nur dann überzeugend, wenn sie sich ausschließlich der Logik verpflichtet weiß. Es spielen ferner auch Aspekte der Charakterdarstellung, der Affektsteuerung und der sprachlichen Ästhetik eine Rolle (s.u. S. 63ff). 90 Formal: p ∨ ¬p = »p oder nicht-p.« Vgl. zum Begriff des kontradiktorischen Gegenteils u. S. 42ff. 91 Formal: ¬(p ∧ ¬p) = »Es ist nicht der Fall, dass p und nicht-p.« In verschiedenen Versionen lautet es in Worten des Aristoteles (vgl. J. LUKASIEWICZ, Über den Satz des Widerspruchs bei Aristoteles (1909), in: A. Menne / N. Öffenberger [Hrsg.], Über den Folgerungsbegriff in der aristotelischen Logik [ZMDAL 1; Hildesheim, 1982] 5–29): Ontologisch: »Es ist unmöglich, daß dasselbe demselben und in derselben Hinsicht zugleich 87 Exegeten
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I. Hinführung
stellt sich jedoch die Frage, ob eine Logik außerhalb solcher Regeln entworfen werden kann92. Zum Teil ist damit auch die Frage nach der Universalität und Kulturunabhängigkeit von Logik berührt93.
Zusammenfassend: Logik beschäftigt sich mit der Struktur der Sprache. Sie prüft die Gültigkeit von Schlussfolgerungen und beschränkt sich dabei auf wahrheitsdefinite Aussagen, ohne jedoch ein Urteil über die Wahrheit der gesetzten Prämissen zu geben. Die logische Analyse operiert lediglich auf formaler Ebene und kann dadurch das tragende Gerüst von Argumentationen sichtbar machen. 3. Konsequenzen für die Exegese Die Tatsache, dass Exegese und Logik auf sprachliche Äußerungen ausgerichtet sind, sollte es möglich machen, einen für beide gemeinsamen Objektbezukomme und nicht zukomme.« (Met. III 3,1005b19f) Logisch: »Der sicherste von allen Grundsätzen ist der, daß widersprechende Aussagen nicht zugleich wahr seien.« (Met. III 6,1011b13f) Psychologisch: »Es kann niemand glauben, daß dasselbe zugleich sei und nicht sei.« (Met. III 3,1005b23f) Die Tatsache, dass Aristoteles diese Probleme in der Metaphysik behandelt, zeigt, wie sehr Logik auf Fragen der Ontologie und Psychologie gründet. 92 In einer mehrwertigen Logik, die neben »wahr« und »falsch« auch den Wahrheitswert »unbestimmt« zulässt, ist der Satz vom Widerspruch nicht aufgehoben (vgl. U. BLAU, Die dreiwertige Logik der Sprache [GKom; Berlin, 1978]; P. SCHROEDER, Art. Logik, mehrwertige, EPhW 2 [1984] 678–680). Vgl. zu weiteren Logikentwürfen, die über die »traditionelle« Logik hinausgehen, K. LORENZ, Art. Logik, intuitionistische, EPhW 2 (1984) 667–671. Das philosophische Problem der Zweiwertigkeit diskutiert bereits Aristoteles in Int. 9,18a27–19b4 anhand des Satzes »Morgen wird eine Seeschlacht stattfinden«. Indem eine Aussage über die Zukunft die Logik vor die Frage stellt, ob es sich dabei um eine wahre oder um eine falsche Aussage handelt, führt sie diese in das philosophische Problemgebiet der Determiniertheit (das Problem der sog. contingentia futuri). Vgl. dazu M. G RONEBERG, Futura Contingentia. Die Suche nach der Logik kontingenter Zukunft (Habilitationsschrift Universität Freiburg / Schweiz, 2005). 93 Aristoteles argumentiert im Hinblick auf den Geltungsbereich von Rhetorik und Logik (von ihm »Dialektik« genannt) für ein universales Verständnis: »[B]eide behandeln solche Themen, deren Erkenntnis gewissermaßen allen Wissenschaftsgebieten (hepist´jmj) zuzuordnen ist und keinem bestimmten. Daher haben auch in irgendeiner Weise alle Menschen an beiden Anteil: Alle nämlich versuchen bis zu einem gewissen Grad, ein Argument einerseits zu hinterfragen, andererseits zu begründen, einerseits zu verteidigen, andererseits zu erschüttern (kaì hexetázein kaì Hupécein lógon kaì hapologeïsqai kaì katjgoreïn). Die Mehrheit tut dies teils auf gut Glück, teils vermöge einer aus Gewohnheit erworbenen Fertigkeit.« (Rhet. I 1,1354a1–7; übers. Krapinger, 7) Zur Verteidung der Universalität von Logik im Hinblick auf das sog. »östliche Denken« vgl. G. PAUL, Der Kulturstreit um die Universalität Aristotelischer Logik, in: N. Öffenberger / M. Skarica (Hrsg.), Beiträge zum Satz vom Widerspruch und zur Aristotelischen Prädikationstheorie (ZMDAL 8; Hildesheim, 2000) 117–136. Aus philosophischer Sicht vgl. auch T. NAGEL, Das letzte Wort (RUnB 18021; Stuttgart, 1999) 82–113.
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reich zu bestimmen. Die Beschränkung der Logik auf wahrheitsdefinite Aussagen schließt allerdings sehr viele Sprachformen religiösen Redens per definitionem aus ihrem Untersuchungsbereich aus94. Der christliche Glaube und die theologische Reflexion darüber drücken sich aber häufig auch in Satzformen aus, auf die die Bedingungen der logischen »Analysierbarkeit« zutreffen. Das gilt zweifelsohne auch für viele argumentative Abschnitte in den Paulusbriefen. Es mag umstritten sein, ob es für theologische Aussagen so etwas wie einen logischen »Freibrief« geben kann, aber wenn sich Theologie mit dem Anspruch zu Wort meldet, in vernünftiger Art und Weise eine These zu begründen oder aus einer Aussage nachvollziehbare Schlüsse zu ziehen, fallen ihre Aussagen nolens volens in den Zuständigkeitsbereich logischer Überprüfung95. Ebenso wie wir die Sprache des Paulus nach Stil, Rhetorik oder Grammatik befragen, spricht prinzipiell nichts dagegen, die Folgerichtigkeit seiner Argumentation mit den Mitteln formaler Logik zu prüfen. Die logische Analyse verfolgt dabei nicht das Ziel, die hermeneutisch so ungemein reiche paulinische Rede auf einfache logische Formeln zu reduzieren, sondern jenen Ausschnitt paulinischer Sprache, der eine Argumentation mit Begründungen und Schlussfolgerungen vorantreibt, auf seine Schlüssigkeit hin zu untersuchen96. Die logische Beschränkung auf die formalen Strukturen konkreter Sprachvollzüge lässt in der Textanalyse Fragen psychologischer oder produktionsästhetischer Art in den Hintergrund treten. Die Erwartung, mit den Mitteln der Logik einen direkten Einblick in die Denkprozesse der historischen Gestalt des Paulus erhalten zu können, wäre kaum berechtigt. Logische Analysen alltagssprachlicher Äußerungen müssen jedoch zuweilen unausgesprochene Prämissen rekonstruieren, aus denen sich wiederum Aussagen über die Enzyklopädie des Paulus ableiten lassen. Die vorliegende Arbeit bleibt für die logische Argumentationsanalyse weitgehend im Bereich der antiken Logik, obwohl die moderne Logik genauere Verfahren zur formalen Erfassung alltagssprachlicher Aussagen bereitstellt97. Die Leitfrage könnte demnach lauten: Was lässt sich im Rahmen 94 Eine
logische Analyse von Gebeten oder Hymnen wäre nicht aus Pietätsgründen kein erstrebenswertes Ziel der Logik, sondern schlicht, weil es sich dabei nicht um wahrheitsdefinite Sätze handelt. Erzählungen sind m.E. der Logik schwer zugänglich, weil es in der Erzählung (ebenso wie in der Geschichte) selten strikt notwendige Folgerungen gibt. 95 Logik kann als härteste Währung für Rationalität eine wichtige autoritätskritische Rolle spielen. 96 Wenn SIEGERT, Argumentation, 20 schreibt: »Argumentation ist also keineswegs nur Anwendung der Logik, und Argumente sind etwas anderes als Beweise«, dann ist das nur für den Fall zutreffend, dass Logik als Wissenschaft vom Beweis definiert wird. Eine solche Einschränkung ist jedoch kaum begründet. 97 Einer meiner logischen Diskussionspartner warnte mich: »Wenn du mit alten Instrumenten operierst, könnte der Patient sterben.« Ein moderner Rückgriff auf die antike Logik
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I. Hinführung
einer modernen Deutung der antiken Logik über die Schlüssigkeit der paulinischen Argumentation sagen? Diese Vorgehensweise ist zunächst darin begründet, dass für die gegenwärtige Exegese der Bereich der historischen Vor- und Gleichzeitigkeit einen privilegierten Ort des Verstehens bildet98. Der historisch-kulturelle Rahmen, der Autor, Text und Rezipienten wie Rezipientinnen in einen gemeinsamen Verstehenshorizont stellt, umfasst auch die Errungenschaften auf dem Gebiet der Logik. Die Exegese ist demnach gut beraten, paulinische Argumentationen zunächst auf diesen Hintergrund zu lesen. Es erscheint mir weiterhin sachlich angemessen, mit den ersten Schritten der Logik zu beginnen. Wie sich noch zeigen wird, hat die antike Logik ganz wesentliche Formen sprachlichen Argumentierens formal korrekt erfasst und ist darin noch bis heute gültig. Sie ist durch moderne Logik nicht einfach ersetzt, sondern darin (teilweise als deren einfachstes Gebiet) integriert und präzisiert worden99. Eine Beschränkung auf die antike Logik verschafft der Exegese daher einen sicheren Ausgangspunkt, um mit einfachen Mitteln elementare Schlussformen auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Das mag zwar nur ein erster Schritt sein, er ist aber gerade angesichts des Fehlens einer entsprechenden Forschungstradition m.E. unausweichlich100. Eine Deutung paulinischer Argumentationsgänge auf dem Hintergrund antiker formaler Logik kann auch für die hermeneutische Selbstreflexion gewinnbringend sein. Die scheinbar zweistellige Frageanordnung nach Paulus und (antike) Logik erweist sich bei genauerem Hinsehen als eine dreistellige Konstellation: Paulus, Logik und wir. Auch wenn dieser hermeneutische Aspekt nicht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht, so ist jedes auslegende Subjekt bewusst oder unbewusst durch eine bestimmte Vorstellung von Logik geprägt, die sich im exegetischen Vollzug an vielen Stellen niederschlägt. Die Möglichkeit, dass unsere Entwürfe paulinischer Theologie (auch) Projektionen unserer eigenen »Theo-Logik« sind, ist daher kaum kommt jedoch nicht umhin, von modernen Deutungen und Darstellungsformen auszugehen. Es geht also nicht darum, sich in einen Logiker aus dem 1. Jh. n.Chr. zurückzuversetzen. 98 Knappe Überlegungen dazu in M. MAYORDOMO, Wirkungsgeschichte als Erinnerung an die Zukunft der Texte, in: Ders. (Hrsg.), Die prägende Kraft der Texte: Hermeneutik und Wirkungsgeschichte des Neuen Testaments (SBS 199; Stuttgart, 2005) 11f. 99 Die meisten modernen Logiklehrbücher beginnen mit Beispielen, die formal aus der antiken Logik stammen. Das erste Beispiel in BUCHER, Angewandte Logik, 9 lautet: »Alle Winterartikel sind ausverkauft. Alle Schlittschuhe sind Winterartikel. Also sind alle Schlittschuhe ausverkauft.« HOYNINGEN-HUENE, Formale Logik, 14 steigt ein mit: »Alle Logiker sind Menschen. Alle Menschen sind schlafbedürftig. Also: Alle Logiker sind schlafbedürftig.« Beide Beispiele sind mit den Mitteln aristotelischer Logik einfach und präzise analysierbar. 100 Da die »antike Logik« den Referenzrahmen aller logischen Diskussionen bis ins 19. Jh. bildete, fördert eine solche Vorgehensweise das Verständnis für die logik-relevanten exegetischen Diskussionen in der Auslegungsgeschichte.
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a priori von der Hand zu weisen. Eine Beschäftigung mit Fragen der Logik ist daher für die »Horizontabhebung« zwischen den Schriften des Paulus und modernen Entwürfen paulinischer Theologie von nicht zu unterschätzender Bedeutung101. Für den Fall, dass sich am Ende dieser Arbeit herausstellt, paulinische Argumentationen seien logisch ungültig, gilt ein solches Ergebnis zunächst »nur« im Rahmen der hier gewählten logischen Verfahrensweisen. Da jedoch antike Logik in keinem kontrafaktischen Verhältnis zur modernen Logik steht, wird es – nach meiner derzeitigen Wahrnehmung – ein außerordentlich schweres Unterfangen sein, mit den Mitteln moderner Logik-Systeme ein solches Ergebnis zu falsifizieren. Eine Möglichkeit, ad hoc eine eigene paulinische »Logik« zu rekonstruieren, sehe ich nicht – jedenfalls nicht, wenn die terminologische Bedeutung des Wortes »Logik« gewahrt werden soll102. Außerdem ist die sprachliche Basis dafür zu schmal. Ein Letztes noch: Logik trägt nicht zum Wahrheitsgewinn bei, beugt aber der Gefahr vor, durch falsches Folgern der Wahrheit verlustig zu gehen. Das legitime Interesse der Theologie an der Wahrheitsfrage wird daher von der Logik nur indirekt berührt. Diese kümmert sich nicht um das Problem, ob die Wahrheit der Prämissen einer paulinischen Argumentation verifiziert werden kann. Wenn sich aber Folgerungen als logisch ungültig erweisen, besteht für die Wahrheit des Schlusses keine Garantie. 4. Exkurs: Zum Status der Frage, ob Paulus logisch geschult war Als Einwand könnte an dieser Stelle die Frage formuliert werden, ob Paulus überhaupt etwas von Logik wusste oder wissen konnte103. Damit werden nicht nur Aspekte der frühen Biographie des Paulus berührt104, sondern generell auch die Verortung des Apostels innerhalb der hellenistischen Kultur. Es dürfte jedoch aus dem bisher Gesagten deutlich geworden sein, dass die 101 Zum
Begriff der Horizontabhebung vgl. meine Arbeit Den Anfang hören, 62–65. das Problem einer spezifischen »rabbinischen Logik« komme ich am Ende der Arbeit zu sprechen (s.u. S. 235ff). 103 Ähnliche Fragen werden im Hinblick auf die Angemessenheit rhetorischer Analysen paulinischer Texte aufgeworfen. 104 Vgl. K. HAACKER, Zum Werdegang des Apostels Paulus: Biographische Daten und ihre theologische Relevanz, ANRW II.26.2 (1995) 852–855 = DERS., Paulus: Der Werdegang eines Apostels (SBS 171; Stuttgart, 1997) 50–53; M. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, in: M. Hengel / U. Heckel (Hrsg.), Paulus und das antike Judentum (WUNT 58; Tübingen, 1991) 177–293; G. STRECKER / T. NOLTING, Der vorchristliche Paulus: Überlegungen zum biographischen Kontext biblischer Überlieferung – zugleich eine Antwort an Martin Hengel, in: T. Fornberg / D. Hellholm (eds.), Texts and Contexts (FS L. Hartman; Oslo, 1995) 713– 741; W. WUELLNER, Der vorchristliche Paulus und die Rhetorik, in: S. Lauer / H. Ernst (Hrsg.), Tempelkult und Tempelzerstörung (70 n.Chr.) (FS C. Thoma; JudChr 15; Bern, 1995) 133–165. 102 Auf
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I. Hinführung
streng historisch-biographische Frage, ob Paulus über Logikkenntnisse verfügte, von untergeordneter Bedeutung ist. Dies aus dreierlei Gründen: 1. Historische Unklarheit: Präzise Angaben über das Bildungsniveau des Paulus gehören nicht zu unserem gesicherten historischen Wissen105. Die vorhandenen Quellen vermitteln zwar ein gutes Bild über das antike Schulsystem106, aber die Verwertbarkeit dieser Daten für die Profilierung des paulinischen Bildungshintergrundes wird meist davon abhängig gemacht, ob Tarsus oder Jerusalem als primärer Ausbildungsort favorisiert wird107. Der hellenistische Bildungweg (die sog. hegkúklioß paideía; lat. artes liberales) führte vom Elementarunterricht (7–11jährig) über den Unterricht beim Grammatiker (11–16/17jährig) bis zur Rhetoren-Schule (ab dem 17. Lebensjahr) und umfasste (etwa in dieser Reihenfolge) Lesen, Schreiben, Rechnen, dann elementare Kenntnisse in Geometrie, Astronomie, Musik, Grammatik und schließlich Logik und Rhetorik108. Einer der frühesten Texte, der 105 Eine
umfangreiche Aufarbeitung der antiken Bildungsthematik im Hinblick auf Paulus bietet T. V EGGE, Die Schule des Paulus: Eine Untersuchung zur Art und zum Stellenwert schulischer Bildung im Leben des Paulus (Oslo, 2004). Vgl. weiterhin HENGEL, Der vorchristliche Paulus, 212–239; R.F. HOCK, Paul and Greco-Roman Education, in: J.P. Sampley (ed.), Paul in the Greco-Roman World (Harrisburg, 2003) 198–227; D. KREMENDAHL, Die Botschaft der Form: Zum Verhältnis von antiker Epistolographie und Rhetorik im Galaterbrief (NTOA 46; Freiburg, CH / Göttingen, 2000) 28–31; J.H. N EYREY, The Social Location of Paul: Education as the Key, in: D.B. Gowler, et al. (eds.), Fabrics of Discourse (FS V.K. Robbins; Harrisburg, 2003) 126–164; SCHMELLER, Diatribe, 81–89; U. SCHNELLE, Paulus (De Gruyter Lehrbuch; Berlin, 2003) 56–71; S.K. STOWERS, Apostrophe, PROSWPOPOIIA and Paul’s Rhetorical Education, in: J.T. Fitzgerald, et. al. (eds.), Early Christianity and Classical Culture (FS A.J. Malherbe; NT.S 110; Leiden, 2003) 351–369. 106 Vgl. an aktueller Literatur J. CHRISTES, Art. Bildung. DNP 2 (1997) 663–673; Art. Erziehung, DNP 4 (1998) 110–120; Art. Schule, DNP 11 (2001) 263–268; R. CRIBIORE, Gymnastics of the Mind: Greek Education in Hellenistic and Roman Egypt (Princeton, 2001); T. MORGAN, Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds (Cambridge, 1998); VEGGE, Schule des Paulus, 13–376. 107 Obwohl hellenistische Einflüsse in Jerusalem nicht ausgeschlossen werden können (vgl. HENGEL, Der vorchristliche Paulus, 212–239.256–265), stellt Tarsus als Herkunftsort des Paulus (Apg 9,11.30; 11,25; 21,39; 22,3) deswegen eine reizvolle Metropole dar, weil sie als Zentrum berühmter Lehrer und Rhetoren galt (vgl. Strabo, Geographica XIV,5,13; Dio Chrysostomus, orat. 33–34 und die Belegsammlung in H ENGEL, Der vorchristliche Paulus, 180–182, Anm. 11). Seit der Arbeit von W.C. van UNNIK, Tarsus or Jerusalem: The City of Paul’s Youth, in: Ders., Sparsa Collecta I (NT.S 29; Leiden, 1973) 259–320 wird die Notiz in Apg 22,3 dahingehend gedeutet, dass Paulus bereits früh nach Jerusalem kam und im Wesentlichen dort ausgebildet wurde. Dies dürfte zumindest als die Sichtweise des Lukas gelten. Ob diese Angabe jedoch im Sinne eines präzisen historischen Datums gewertet werden darf, steht zur Debatte. Vgl. zur Kritik A.B. DU TOIT, A Tale of Two Cities: ›Tarsus or Jerusalem‹ Revisited, NTS 46 (2000) 375–402; VEGGE, Schule des Paulus, 475–484). 108 Als ausführlichste und zuverlässigste Quelle dazu gilt Quint, Inst. I,10. Vgl. U. LINDGREN, Art. Artes liberales, HWRh 1 (1992) 1080–1109; G. RECHENAUER, Art. Enkyklios Paideia, HWRh 2 (1994) 1160–1185.
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Rhetorik und Dialektik (= Logik) als Teil schulischer Bildung aufführt, findet sich in Philo, Congr 18: »Die Dialektik aber, Schwester oder, wie einige sagen, Zwillingsschwester der Rhetorik (dialektik`j dè Hj Hrjtorik¨jß hadelf`j kaì dídumoß), scheidet die wahren von den falschen Gründen, widerlegt die sophistischen Scheinargumente und heilt somit von einer großen Krankheit der Seele, der Trugrede. Mit diesen und anderen Gegenständen sich zu beschäftigen und sich vorher zu üben ist nützlich.« (gr. Colson / Whitaker, IV, 466; dt. Heinemann / Adler, in: Cohn, VI, 9)
Entsprechend fragt Epiktet am Anfang des 2. Jhs. n.Chr.: »Und was sonst hast du in der Schule geübt?«, um anschließend selbst zu antworten: »Syllogismen und Sophismen«109. Auf die Frage, warum in früheren Zeiten mehr Fortschritte im Bereich der Logik erzielt wurden, obwohl heute mehr darüber gearbeitet wird, antwortet Epiktet, dass heute mehr in die »Lösung von Syllogismen« (sullogismoùß hanalúein) investiert werde110. In den schulischen Übungstexten, den sog. Progymnasmata111, finden sich entsprechend Hinweise auf das konkrete Einüben von Syllogismen und Enthymemata112. Fasst man die These einer Schulbildung in Tarsus ins Auge, dann ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass Paulus (je nach Schichtzugehörigkeit!) mit der damals weit verbreiteten stoischen Logik in Kontakt gekommen ist113. Die Geschichte der stoischen Logik weist einige relevante Bezüge zu Tarsus auf. Apollonios (oder Apollonides), der Vater Chrysipps, siedelte von Tarsus nach Soloi (FDS, 153). Zenon aus Tarsus wurde Nachfolger Chrysipps in der Leitung der Stoa. Später übernahm Antipatros aus Tarsus von Zenons Nachfolger, Diogenes aus Seleukeia (der »Babylonier«), die Leitung der Stoa. Als Schüler des Antipatros werden u.a. Sosigenes und Herakleides, beide aus Tarsus, genannt114. Ebenso aus Tarsus stammen die Schüler des Panaitios Dikaios und Paramonos115. Im 1. Jh. v.Chr. sind folgende Stoiker mit Tarsus verbunden: Athenodoros Kordylion116 und bes. Athenadoros, Sohn des Sandon, aus Kana (einem Dorf bei Tarsus) 117. Er wirkte in Rom, kehrte aber im Alter nach Tarsus zurück (als Octavian, dessen Lehrer er 109 Epikt.,
Diss. II,13,21: kaì tí ‘allo hemelétaß hen t¨∆ scol¨∆; Sullogismoüß kaì metapíptontaß (gr. Oldfather, I, 302; eig. Übers.). Vgl. a. Diss. I,7,5–12. 110 Epikt., Diss. III,6,1-3 (Oldfather, II, 44–47). 111 Vgl. allgemein dazu die Sammlungen von R.F. HOCK / E. O’NEIL, The Chreia in Ancient Rhetoric, vol. 1: The Progymnasmata (SBL.TT 27; Atlanta, 1986); The Chreia and Ancient Rhetoric: Classroom Exercises (Writings from the Greco-Roman World 2; Atlanta, 2002); G.A. KENNEDY, Progymnasmata: Greek Textbooks of Prose Composition and Rhetoric (Writings from the Greco-Roman World 10; Atlanta, 2003). 112 Vgl. VEGGE, Schule des Paulus, 218–237. 113 Direkte Kenntnisse der aristotelischen Logik sind aufgrund der verwickelten Wirkungsgeschichte des Peripatos in der hellenistischen Zeit eher unwahrscheinlich (vgl. u. S. 74ff). 114 P. STEINMETZ, Die Stoa, in: H. Flashar (Hrsg.), Die hellenistische Philosophie (GGPhA 4; Basel; Stuttgart, 1994) 641. 115 STEINMETZ, Stoa, 661. 116 STEINMETZ, Stoa, 708. 117 STEINMETZ, Stoa, 711.
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gewesen war, den Osten beherrschte), wo er im Alter von 82 Jahren starb. Er verfasste ein Werk über Tarsus und ein weiteres »Gegen die Kategorien des Aristoteles«, worin er vom Standpunkt stoischer Logik aus die Sprachphilosophie des Aristoteles angreift.
Soweit die erreichbaren Daten. Was jedoch konkret daraus für Paulus geschlossen werden kann, reicht über das Mögliche kaum hinaus118. Die Bedeutung der Stadt Tarsus hat bereits zu so vielen biographischen Spekulationen im Hinblick auf die hellenistische Bildung des Apostels Anlass gegeben, dass Zurückhaltung das Gebot der Stunde ist. 2. Methodischer Vorrang der Textanalyse: Angesichts einer Quellenlage, die nur unsichere Wahrscheinlichkeitsurteile erlaubt, erscheint es ratsamer, statt vom allgemeinen Bildungskontext auf Paulus, umgekehrt von den konkreten paulinischen Texten auf die entsprechende Bildung zu schließen119. Gerade im Bereich hellenistischer Rhetorik hat sich m.E. diese induktive Vorgehensweise bewährt und der These, dass Paulus über ein Mindestmaß an hellenistischer Bildung verfügte, eine breite Basis verschafft120. Entsprechend sollte die Möglichkeit logischer Kenntnisse für Paulus nicht a priori ausgeschlossen werden. 3. Prinzipielle Autarkie der Logik: Letztlich aber ist der Status logischer Analysen verkannt, wenn diese nur in solchen Fällen zum Einsatz kommen dürfen, in denen als gesichert gelten darf, dass ein Sprecher oder eine Sprecherin mit den Grundregeln der Logik vertraut ist. Insofern die antike Logik sich an der realen Situation dialektischen Argumentierens orientiert, handelt es sich dabei um eine deskriptive und weniger um eine präskriptive Wissenschaft. Die Logik einer Argumentation lässt sich wie die Grammatik eines Textes unabhängig von der Frage nach dem tatsächlich vorhandenen Fachwissen in Logik oder in Grammatik analysieren. Die möglichen LogikKompetenzen des Paulus bilden eine hinreichende, aber gewiss keine notwendige Bedingung für das spezifische Anliegen der vorliegenden Arbeit121.
118 F.
NIETZSCHE, der alles andere als ein Paulusfreund war, hat auch aus diesem Faktum eine antipaulinische Invektive zu formulieren gewusst: »Einen Paulus, der seine Heimath an dem Hauptsitz der stoischen Aufklärung hatte, für ehrlich halten, wenn er sich aus einer Hallucination den Beweis vom Noch-Leben des Erlösers zurecht macht, oder auch nur seiner Erzählung, daß er diese Hallucination gehabt hat, Glauben schenken, wäre eine wahre niaiserie [Albernheit, MMM] seitens eines Psychologen: Paulus wollte den Zweck, folglich wollte er auch die Mittel.« (Der Antichrist, Nr. 42 [Kritische Studienausgabe 6; München, 2 1988] 216) 119 Vgl. VEGGE, Schule des Paulus, 379–381. 120 Vgl. u.a. die Arbeiten in T. ENGBERG-P EDERSEN (ed.), Paul in his Hellenistic Context (Edinburgh, 1994); SCHMELLER, Diatribe, 79–81; DU TOIT, Two Cities, 392–401. 121 Vgl. zur hermeneutischen Kritik an der sinndeterminierenden Rolle der »Intention des Autors« meine Überlegungen in Den Anfang hören, 170–187.
II. Antike Logik im Überblick1 A. Allgemeine Probleme Der Abschnitt der Logikgeschichte, der für die Fragestellung dieser Arbeit von Interesse ist, umfasst die Zeit von ihrer ersten Ausformulierung durch Aristoteles bis zu dem frühen Aristoteles-Kommentator Alexander von Aphrodisias und den ersten Lehrbüchern von Apuleius und Galen2. Der damit umrissene Zeitraum von ca. 600 Jahren (Mitte 4. Jh. v.Chr. bis Mitte 3. Jh. n.Chr.) lässt einen sehr unterschiedlichen Grad an Beschäftigung, Überlieferung und Fortschritt auf dem Gebiet der Logik erkennen, zeigt aber auch kontinuierliche Linien und Problemkonstellationen auf. 1. Die Quellenlage Die Quellen, die für die antike Logik zur Verfügung stehen, sind sehr uneinheitlich überliefert: An erster Stelle steht die Logik des Aristoteles (384–322)3. Das Corpus Aristotelicum mit den aristotelischen Lehrschriften (den sog. »Pragmatien«) 1
Die beiden wichtigsten Werke zur Logikgeschichte sind die kommentierte Quellenauswahl von J.M. BOCHENSKI, Formale Logik (OA III,2; Freiburg; München, 21962) und die Darstellung von KNEALE / KNEALE, Logic. Die monumentale vierbändige Geschichte der Logik im Abendlande von C. PRANTL (Leipzig, 1855–1870) ist heute vorwiegend aufgrund der reichhaltigen originalsprachlichen Zitate von Interesse. Das Urteil des Autors, dass es nach Aristoteles keine nennenswerten Beiträge zur Logik gegeben hat, macht seine Darstellung ebenso einseitig wie unzuverlässig (zur Kritik BOCHENSKI, Formale Logik, 8– 10). Vgl. für die antike Logik noch: E. KAPP, Der Ursprung der Logik bei den Griechen (KVR 214/216; Göttingen, 1965); K. LORENZ, Art. Logik II. Die Logik der Antike, HWP 5 (1980) 362–367; J. BARNES / S. BOBZIEN / M. MIGNUCCI, Logic and Language, in: K. Algra et al. (eds.), The Cambridge History of Hellenistic Philosophy (Cambridge, 1999) 65–176; K. IERODIAKONOU, Art. Logik, DNP 7 (1999) 393–400. 2 Unabhängig von der abendländischen Logik entwickelte sich ab dem 3. Jh. v.Chr. in Indien eine formale Logik, die im gesamten ostasiatischen Raum wirkte. Vgl. K. LORENZ, Art. Logik, indische, EPhW 2 (1984) 656–662; BOCHENSKI, Formale Logik, 13f. 481–517. 3 Vgl. zur Biographie des Aristoteles I. D ÜRING, Aristoteles (BKAW NF 1/2; Heidelberg, 1966) 1–20; O. HÖFFE, Aristoteles (München, 1996) 13–35. Die Darstellung in DiogL. V 1 ist nicht frei von legendarischen Ausmalungen. Aristoteles erscheint als »Dandy«, der, stets gut gekleidet, es nie an der Pflege seiner Haare missen ließ. Zum antiken biographischen Material vgl. I. DÜRING, Aristotle in the Ancient Biographical Tradition (GUÅ 63:2; Göteborg, 1957) und zum Forschungsstand H. FLASHAR, Aristoteles, in: H. Flashar (Hrsg.), Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos (GGPhA 3; Basel; Stuttgart, 1983) 175–457.
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II. Antike Logik im Überblick
beginnt mit den Abhandlungen zu Sprache und Logik. Diese Zusammenstellung verdankt sich der maßgebenden Edition und Redaktion durch Andronikos von Rhodos, der 70–50 v.Chr. Schulhaupt der von Aristoteles gegründeten Schule (des sog. »Peripatos«) war4. Seit der Spätantike werden die »logischen« Schriften als Organon bezeichnet und im Sinne einer Propädeutik zur eigentlichen Philosophie aufgefasst5. Zu diesen Schriften zählen traditionellerweise die folgenden Einzelwerke6: Werk Kategorien
Griech. Katjgoríai
Lat. Categoria
Abk. Cat.
Bekker-Zit. 1a–15b
Hermeneutik
De interpretatione Analytica priora Analytica posteriora
Int.
16a–24b9
Erste Analytik(en) Zweite Analytik(en)
Perì Hermjneíaß h Analutikà prótera h Analutikà “ustera
An. pr.
24a10–70b
Topik
Topik´j
Topica
Top.
Sophistische Widerlegungen
Perì t¨wn sofis- Sophistici tik¨wn helégcwn elenchi
An. post. 71a–100b
100a18– 164b19
Soph. el. 164a20– 184b8
Inhalt Semantischontolog. Grundlegung Sprachtheorie und Satzlehre Schlusslehre (Syllogistik) Wissenschaftslehre (Beweis) Dialektik (Argumentationslehre) Analyse des Fehlschlusses
Zu diesen Schriften kann weiterhin die Rhetorik (Rhet.) hinzugerechnet werden, weil hier Aspekte der Logik in ihrer Anwendung im Bereich der öffentlichen Rede zum Einsatz kommen7. 4
Vgl. DÜRING, Aristoteles, 54–59. Zu Werdegang der aristotelischen Schriften und zu den logischen Schriften im Besonderen s.u. S. 74ff. 5 Der Bezug der einzelnen Schriften zur Logik ist unterschiedlich ausgeprägt. Die Kategorienschrift ist nach moderner Auffassung am weitesten von Fragen der Logik entfernt. 6 Die Schriften des Aristoteles werden mit Angabe des Kapitels und (nach einem Komma) der Folioseite der Standardausgabe von Bekker (z.B. 183b) gefolgt von der Zeilenangabe (34–36) zitiert. Die zweisprachige Ausgabe von H.G. ZEKL, Aristoteles: Organon (4 Bde.; PhB 492–495; Hamburg / Darmstadt, 1997/1998) ist nicht immer zuverlässig und dazu von unnötiger sprachlicher Sperrigkeit geprägt. Vgl. zur Kritik F. BUDDENSIEK, in: AGPh 81 (1999) 334–338 (zu Top.); H. WEIDEMANN, Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Das Aristotelische Organon unter der Regie von H. G. Zekl, Zeitschrift für philosophische Forschung 53 (1999) 602–610 (zu An. pr. und An. pr.); Ein gelungener Versuch der Quadratur des Zirkels? Zu H.G. Zekls Neubearbeitung des Aristotelischen Organons, AGPh 83 (2000) 90–99 (zu Cat. und Int.). Wenn nicht anders angegeben, zitiere ich Cat. und Int. nach den Übersetzungen von K. Oehler und H. Weidemann in »Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung« (AWDÜ) und die restlichen Schriften des Organon nach Zekl. 7 Die arabische Aristoteles-Tradition rechnete nicht ganz ohne Grund die Rhetorik und die Poetik noch zum Organon. Vgl. dazu D.L. BLACK, Logic and Aristotle’s Rhetoric and Poetics in Medieval Arabic Philosophy (Leiden, 1990).
A. Allgemeine Probleme
29
Theophrast(us) (372/370–288/286), der Nachfolger des Aristoteles als Leiter des Peripatos, baute den Schulbetrieb aus und trug damit grundlegend zur Etablierung der Philosophie seines Vorgängers bei. Nach Auskunft der biographischen Tradition in Diogenes Laertios (3. Jh. n.Chr.) soll er 225 Werke verfasst haben (DiogL V 42–50), darunter eine ansehnliche Anzahl von logischen Beiträgen, von denen jedoch nur Zitate und Fragmente in der griechischen, lateinischen und arabischen Tradition erhalten geblieben sind8. Chrysipp (281/277–208/204) ist für die stoische Logik ebenso einflussreich wie Aristoteles für die Logik des Peripatos. Das umfangreiche logische Œuvre dieses einflussreichen stoischen Philosophen sowie die gesamte daran anschließende stoische Logiktradition ist quellenmäßig nur in fragmentarischer Form überliefert. Die wichtigsten zusammenhängenden Informationen verdanken wir den Referaten in Diogenes Laertios und Sextus Empiricus9. Mehr oder minder erhaltene Werke zur Logik finden wir erst wieder ab dem Ende des 2. Jhs. n.Chr.: Von Alexander von Aphrodisias, der zwischen 198 und 209 als Lehrer für aristotelische Philosophie vermutlich in Athen wirkte10, ist jener Teil eines Kommentars zu den An. pr. erhalten geblieben, der das erste Buch behandelt11. Eine knappe systematische Einführung in die
8
Vgl. die ausführliche Sammlung der logischen Texte: Theophrastus of Eresus, ed. W.W. Fortenbaugh et al. (PhAnt 54; Leiden, 1992) I, 114–275 (Frg 68–136) und Die logischen Fragmente des Theophrast, hrsg. A. Graeser (KlT 191; Berlin, 1973). 9 DiogL VII; Sextus Emp., Pyrrhoniae institutiones II; Advers. Math. VIII. Alle Fragmente und Zitate sind bequem zugänglich in der zweisprachigen Edition von K. HÜLSER, Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker (4 Bde.; Stuttgart; Bad Cannstatt, 1987–1988; abgekürzt FDS). Hinweise auf die klassische Fragmentensammlung von H. VON A RNIM, Stoicorum veterum fragmenta (4 Bde.; Leipzig, 1903–05, 1924; Nachdr. Stuttgart, 1964; abgekürzt: SVF) werden damit überflüssig (bes. Bd. 2: »Chrysippi Fragmenta Logica et Physica«). Hervorheben möchte ich noch die Quellensammlung mit Einleitungen, Übersetzungen und Kommentaren von M. BALDASSARRI, La logica stoica: Testimonianze e frammenti (8 Bde. in 10; Como, 1984–1987; ca. 1460 S.). Deutsche Texte in Auswahl bieten BOCHENSKI, Formale Logik, 125–153 und Th. EBERT, Dialektiker und frühe Stoiker bei Sextus Empiricus: Untersuchungen zur Entstehung der Aussagenlogik (Hyp. 95; Göttingen, 1991) 311–327. 10 Vgl. R.W. SHARPLES, Art. Alexandros von Aphrodisias, DNP 1 (1996) 480–482. 11 Alexandri in Aristotelis Analyticorum Priorum Librum I Commentarium, ed. M. Wallies (CAG II/1; Berlin, 1883). Englische Übersetzung: Alexander of Aphrodisias On Aristotle Prior Analytics 1.1–7, transl. by J. Barnes et al. (London, 1991); On Aristotle Prior Analytics 1,8–13, transl. by I. Mueller et al. (London, 1999); On Aristotle Prior Analytics 1,14–22, transl. by I. Mueller et al. (London, 1999). Die spätere Kommentartradition kann in der vorliegenden Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. Aus der Kommentarliteratur zu den An. pr. sind noch hervorzuheben der unvollständig erhaltene Kommentar des Ammonius (ca. Ende 5. Jh.) und der Kommentar seines Schülers Johannes Philoponus (der einzige vollständig erhaltene Kommentar zur An. pr.!). Vgl. generell T.-S. LEE, Die griechische Tradition der aristotelischen Syllogistik in der Spätantike (Hyp. 79; Göttingen, 1984); R. SORABJI (ed.), Aristotle Transformed: The Ancient Commentators and Their Influence (London, 1990) und
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II. Antike Logik im Überblick
Logik stammt aus der Feder des Arztes und Philosophen Galen aus Pergamon (129–216)12, der noch weitere Abhandlungen logischen Inhalts verfasst haben soll13. Schließlich finden wir noch ein dünnes Lehrbuch zur formalen Logik mit dem Titel »Peri Hermeneias«, dessen Autorschaft nach anfänglichen Zweifeln heute Apuleius von Madaura (Verfasser des Romans »Der goldene Esel«) zugeschrieben wird14. Diese drei Werke verdanken ihren Wert zum größten Teil dem Umstand, dass sie einen Einblick in damalige logische Auseinandersetzungen geben; sie sind jedoch kaum weiterführend in der Lösung logischer Probleme. Galens Institutio Logica ist auch deswegen bedeutsam, weil hier jener, die Spätantike und das Mittelalter dominierende, Weg eingeschlagen wird, der die Unterschiede zwischen der aristotelischen und der stoischen Logik zugunsten einer stärker an Aristoteles orientierten Systematik aufhebt. Die Tatsache, dass geschichtliche (Re)konstruktionen nur auf der Grundlage vorhandener Quellen geschehen können, ist im Falle der frühen Logikgeschichte besonders schmerzlich. Aus dem Umstand, dass das aristotelische Organon gesamthaft erhalten geblieben ist und wir von den logischen Traktaten des Stoikers Chrysipp nur Zitate und spärliche Fragmente haben, lässt sich keineswegs auf die tatsächliche Bedeutung oder auf den kurz- und mittelfristigen philosophischen Einfluss dieser beiden herausragenden Logiker schließen. In der Darstellung der antiken Logik nimmt zwar Aristoteles aufgrund der besseren Bezeugung einen breiteren Raum ein, vieles deutet jedoch darauf hin, dass Chrysipp sich nicht nur sehr viel umfassender mit Problemen der Logik beschäftigt hat, sondern auch dass seiner Logik eine viel breitere Wirkung beschieden war (zumindest in der hellenistischen Zeit)15. Ironie der Überlieferungsgeschichte! 2. Zur Terminologie »[A]ußer ›Philosophie‹ gibt es vielleicht keinen Namen einer Wissenschaft, welcher in der Geschichte so viele Bedeutungen angenommen hat wie die Homepage des von ihm geleiteten Projekts »Ancient Commentators on Aristotle«: http://www.kcl.ac.uk/kis/schools/hums/philosophy/aca/ (zuletzt besucht am 15.08.2005). 12 Galeni Institutio Logica, ed. K. Kalbfleisch (Leipzig, 1896). Eine deutsche Übersetzung mit Kommentar bietet J. MAU, Galen Einführung in die Logik (Institutio Logica) (Berlin, 1960). 13 V. NUTTON , Art. Galenos aus Pergamon, DNP 4 (1998) 748–756. 14 The Logic of Apuleius: Including a complete Latin text and English translation of the Peri Hermeneias of Apuleius of Madaura, ed by D. Londey / C. Johanson (PhAnt 47; Leiden, 1987). Weiterhin wird diskutiert, ob es sich um die lateinische Übersetzung eines verlorenen griechischen Originals handelt und ob es u.U. das dritte Buch der Schrift »De Platone et eius dogmate libri II« darstellt (da dort drei Bücher angekündigt werden). Vgl. M. ZIMMERMANN, Art. Apuleius von Madaura, DNP 1 (1996) 910–914. 15 S.u. 86ff.
A. Allgemeine Probleme
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›Logik‹.«16 Um Äquivokationen zu vermeiden, muss daher der heutige fachterminologische Wortgebrauch der historischen Benennungsvielfalt gegenübergestellt werden17. Das Substantiv Hj logik´j scheint erst ab dem 1. Jh. v.Chr. zaghaft als Terminus technicus für die Wissenschaft der Logik als Schlusslehre in Gebrauch zu kommen: So nennt Cicero jenen Teil der Philosophie, der Methode und Dialektik behandelt, logik´j 18 und meint, dass die Stoiker ihre Abhandlungen über die Verwirrungen (de perturbationibus) als logiká bezeichnen, »weil es mit besonderer Präzision erörtert wird«19. Die Tatsache, dass Cicero beide Male im lateinischen Text griechisch formuliert, scheint auf eine vorgeprägte Sprachtradition hinzudeuten. Diese lässt sich jedoch erst mit Sicherheit Anfang des 3. Jhs.. n.Chr. bei Alexander von Aphrodisias nachweisen. Im Vorwort seines Kommentars zu den An. pr. nimmt er Stellung zur Frage, ob »Logik« Teil der Philosophie oder Propädeutik ist, und spricht dabei ganz selbstverständlich von Hj logik´j im Sinne von »Syllogistik« (sullogistik´j) 20.
Die Wortfamilie logik´j findet im Werk des Aristoteles keine fachterminologische Verwendung. Ihre sprachliche Eingrenzung gestaltet sich jedoch schwierig21. Das Adjektiv logikóß jedenfalls bezeichnet bei Aristoteles im 16 BOCHENSKI,
Formale Logik, 3. die Beispiele in W. RISSE, Art. Logik I. Die historischen Benennungen der Logik, HWP 5 (1980) 357–362. 18 Fin. I,22 (= Gigon / Straume-Zimmermann, 24f). 19 Tuscul. disput. IV 14,33 (= FDS, 42). 20 In An. Pr. Comm. 1,3–6,14 (Barnes et al., 41–48; abschnittweise auch in FDS, 27). Er nennt seine Abhandlung gleich zu Beginn eine »zur Logik und Syllogistik«, spricht aber im weiteren Verlauf nur noch von »Logik«. 21 Der aristotelische Gebrauch des Adjektivs logikóß und seiner Ableitungen wird am ehesten in seinem Verhältnis zu hanalutikóß greifbar. Dass beide Begriffe keineswegs synonym verwendet werden, macht schon rein formal ihre Einbettung in mén-dé-Sätze deutlich (An. post. I 22,84a7; 84b2). Der ganze Abschnitt An. post. I 22,82b35ff ist diesbezüglich aufschlussreich: Aristoteles teilt seine Beweisführung (83b32: hapódeixiß) in zwei Argumentationsgänge ein: logik¨wß (82b35–84a4) und hanalutik¨wß (84a5–b2). Die dem logik¨wß entsprechende Betrachtungsweise ist eher allgemeiner Natur (83a1: kaqólou dè ˆwde légomen) und geht offenbar nicht so sehr in die Tiefe wie die »analytische«, denn mit der ersten wird im Hinblick auf das zu behandelnde Problem eine scheinbare Gewissheit erlangt, während die zweite erst den Beweisgang definitiv abschließt. Der Unterschied wäre also graduell im Sinne einer Intensivierung der Argumentation von der einfachen und allgemeinen zur differenzierten und spezifischen Beweisführung zu fassen. Dass mit dem logik-Lexem etwas für den Beweisgang allein nicht zureichendes ausgesagt wird, machen auch andere Texte deutlich: 1. Nach einer Reihe von Argumenten zur Frage nach dem Vorrang bestimmter Beweisarten wendet Aristoteles in An. post. I 24,86a22 selbst ein, dass das soeben Vorgetragene nur logiká sei, um unmittelbar ein abschließend klärendes Argument einzuführen. (Richtig daher Zekl, 588, Anm. 148: »logik¨wß hat diese peiorative Bedeutung. In der Tat, die Häufung so vieler Argumente ist ja ›schön‹, doch liegen Einwände auf der Hand: Das zu Beweisende wird zu stark vorausgesetzt, und gelegentlich steigt die Argumentation auf topisches Niveau herunter. Das ist ihm selbst also klar.«) 2. In An. post. I 32,88a19 17 Vgl.
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II. Antike Logik im Überblick
Unterschied zum analytischen Beweis die wahrscheinliche Folgerung aus mehr oder minder vagen Voraussetzungen22. Wesentlich umfassender ist der stoische Wortgebrauch: Hier teilt sich die gesamte Philosophie in einen physikalischen, einen ethischen und einen »logischen« Teil auf, wobei sich die »Logik« mit Denken und Sprache beschäftigt und auch »dialektisch« genannt werden kann23. Nach der einflussreichen Darstellung des Diogenes Laertios gelten für die »Logik« noch weitere Untergliederungen: »Das Gebiet der Logik (tò dè logikòn méroß) gliedert sich, wie einige erklären, in zwei Wissenschaften, in Rhetorik und Dialektik (e˙ß Hrjtorik`j n kaí e˙ß dialektik´j n) […] Die Dialektik gliedert sich nach ihnen in das Gebiet ›Über das Bezeichnete (die Bedeutungen)‹ und in das ›Über die Stimme (den Laut, das sprachliche Zeichen)‹ (tòn perì t¨wn sjmainoménwn kaì t¨jß fwn¨j ß tópon). Das Thema der Bedeutungen wiederum gliedert sich einerseits in die Lehre von den Vorstellungen und andererseits in die Lehre von den auf diesen beruhenden Lekta (tòn perì t¨wn fantasi¨wn tópon kaì t¨wn hek toútwn Hufistaménwn lekt¨wn), nämlich (in die Lehre) von den Aussagen, den [übrigen] vollständigen [Lekta] und den Prädikaten sowie den darunter befindlichen persönlich aktiven und persönlich passiven Prädikaten, den Gattungen und Arten, ferner von Argumenten, Modusformeln und Syllogismen sowie von den teils durch die Stimme (den sprachlichen Ausdruck) und teils durch die Sachen (Bedeutungen) verursachten Trugschlüssen.« (DiogL. VII 41.43 = FDS, 33 [alle Klammern original])
Trotz der Unklarheit mancher Fachtermini ist deutlich, dass die Bezeichnung logik´j in der stoischen Philosophie sehr viel mehr umfasst, als heute dem Wort fachterminologisch zugemutet werden kann, nämlich auch weite führt Aristoteles einen ersten Argumentationsgang mit der Wendung logik¨wß qewroüsin ein, erbringt aber dann den gültigen Erweis »aufgrund des Festgesetzten« (88a30: hek dè t¨wn keiménwn). 3. In An. post. II 8,93a15 bezeichnet Aristoteles den logikòß sullogismóß geradewegs als untauglich für den Beweis und lässt einen Argumentationsgang folgen, der wieder am Anfang (hex harc¨jß) ansetzt. 4. Die Vermutung eines graduellen Übergangs von logikóß zu hanalutikóß wird m.E. in Cael. I 7,275b12 [= Gigon, 76] bestätigt: Nach einer Diskussion über die Begrenztheit des Alls leitet Aristoteles zu einer eingehenderen Beweisführung mit der Wendung über: »Theoretischer (logik´wteron) läßt sich auch folgendermaßen schließen…« Die komparative Steigerung macht an dieser Stelle deutlich, dass der analytische Beweis eine Intensivierung der sprachlich-logischen Argumentation darstellt. 22 An. pr. I 30,46a9f; II 16,65a36f; II 23,68b9ff; Top. I 1,100a22 u. 29f; vgl. H. BONITZ, Index Aristotelicus (Aristotelis Opera 5; Berlin, 1961 = 1870) 183. Diese Bedeutung entspricht dem platonischen Begriff der »Dialektik« (Top. I 2,101b4; vgl. RISSE, Art. Logik, 358). Daher vermag ich das Urteil von KAPP, Ursprung der Logik, 25 »daß der spätere Name der Wissenschaft von der Logik auf Aristoteles’ Verwendung des Adjektivs zurückgeht«, kaum zu bestätigen. 23 Ps.-Plutarch (ca. 2. Jh. n.Chr.), De plac. philos. 874E: »Aus diesem Grund ist auch die Philosophie dreiteilig; einer ihrer Teile ist der physikalische (fusikón), ein zweiter der ethische (hj qikón), der dritte der logische Teil (logikón). [… D]er logische Teil ist der über das Denken (logikòn dè tò perì tòn lógon); ihn nennt man auch den dialektischen (dialektikón) Teil.« (= FDS, 15) Vgl. zur klassischen stoischen Dreiteilung der Philosophie die Fragmente 1–26 in FDS.
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A. Allgemeine Probleme
Bereiche der Rhetorik, Grammatik und Erkenntnistheorie24. Der heutige fachterminologische Gebrauch wäre als Unterkategorie der »Dialektik« im Bereich zwischen Bedeutungs- und Aussagelehre zu suchen25: logik´j
M Hrjtorik´j (Rhetorik)
M
dialektik´j (Dialektik)
perì t¨jß fwn¨jß (Zeichenlehre)
perì t¨wn sjmainoménwn
(Bedeutungslehre)
M perì t¨wn fantasi¨wn (Vorstellungen)
perì lekt¨wn (Aussagen)
Damit zeigt sich, dass es in der Antike in aller Regel andere Begriffe waren, deren fachterminologische Verwendung dem nahekommt, was heute mit »Logik« bezeichnet wird. Aristoteles benutzt mit Vorliebe Begriffe aus dem Wortfeld hanalutikóß26, während die Stoa vornehmlich von dialektik´j spricht. Im Folgenden wird der Begriff »Logik« im modernen Sinne für jenes theoretische Untersuchungsfeld verwendet, das sich der Überprüfung der Gültigkeit von sprachlichen Schlüssen widmet. Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass in der Antike Logik auch für die philosophische Schuldiskussion (Topik) und die öffentliche Beredsamkeit (Rhetorik) bedeutsam war. Gerade für die exegetische Zielsetzung der vorliegenden Arbeit sind diese praktischen Anwendungsmöglichkeiten der Logik von Interesse. 3. Die beiden Logiksysteme Auch wenn die Singularformulierung es nahe legen könnte, gibt es die antike Logik als ein einheitliches, sich progressiv aufbauendes Gedankengebäude nicht. Eher haben sich im Abstand eines knappen Jahrhunderts zwei große Systeme gebildet, die (trotz späterer Vereinheitlichungsversuche) den jeweiligen Vertretern als unvereinbar galten: Die Logik des Aristoteles beschäftigt sich mit Sätzen, die einem Subjekt S ein Prädikat P zu- oder absprechen. Die Kernfrage ist, wie sich aus zwei oder mehreren Sätzen der Form »Alle/einige A sind/sind nicht B«, ein Schluss notwendig ziehen lässt. Weil Aristoteles auf der Suche nach formalen Grundstrukturen von Schlüssen die zentralen Terme bzw. Prädikate des einfachen Aussagesatzes berücksichtigt, wird dieses Modell (in moderner 24 Vgl.
weitere Texte in FDS, 33–43. BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 65–67. 26 An. post. I 22,84a7–11. 25 BARNES /
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II. Antike Logik im Überblick
Terminologie) als »Term- oder Prädikatenlogik« bezeichnet. Ein typisches Beispiel dieser Form von Logik wäre: Wenn (1.) alle Menschen (M) sterblich (S) sind und (2.) alle Hellenen (H) Menschen (M) sind, dann folgt notwendig, (3.) dass alle Hellenen (H) sterblich (S) sind. Formal: Wenn MaS und HaM, dann HaS.
Die stoische Logik untersucht die logische Beziehung von Aussagesätzen zueinander und formalisiert daher den Einzelsatz als Ganzes. Daher spricht man von einer »Satz- oder Aussagenlogik«. Ein Beispiel: Die Erde ist entweder eine Scheibe oder die Erde ist eine Kugel. Es ist nicht der Fall, dass die Erde eine Scheibe ist. Also ist die Erde eine Kugel.
S ›–‹ K ¬S K
Wenn die damit implizierten philosophischen Fragen außer Acht gelassen werden, stellt sich der Unterschied zwischen beiden Systemen »nur« als eine Frage dar, wonach die logische Formalisierung fragt, bzw. wie engmaschig das logische Netz sein soll27. 4. Sprachtheoretische Grundlegung: Die wahrheitsdefinite Aussage Grammatik, Semantik und Logik sind aufs Engste miteinander verzahnt. Darin sind sich antike und moderne Logik einig28. Aristoteles und nach ihm die Stoiker haben sich entsprechend um eine Klärung sprachbezogener Probleme bemüht und sind dabei von einer gemeinsamen Basis ausgegangen: Grundlage logischer Theoriebildung ist die Aussage. 1. Aristoteles: Für eine Beschäftigung mit der aristotelischen Sprachauffassung bietet die »Hermeneutik« (Int.), die im Wesentlichen vom Satz und von der Verknüpfung von Satzteilen handelt, den wichtigsten Ausgangspunkt29. Am Anfang dieser Schrift steht die wohl einflussreichste antike Sprachtheorie30: »Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme (tà hen t¨∆ fwn¨∆) ein Symbol für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt (t¨wn hen t¨∆ yuc¨∆ paqjmátwn súmbola), und das, was wir schriftlich äußern, (ist wiederum ein Symbol) für die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme. Und wie nicht alle (Menschen) mit denselben Buchstaben schreiben, so sprechen sie auch nicht alle dieselbe Sprache. Die seelischen Widerfahrnisse aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen (sjmeïa) ist, sind bei allen (Menschen) dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, 27 In
der Spätantike wurden für diese unterschiedlichen Systeme die Begriffe »kategorische Syllogistik« (Aristoteles) und »hypothetische Syllogistik« (Stoa) benutzt (vgl. BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 77f). 28 Vgl. KAPP, Ursprung der Logik, 12–15; TUGENDHAT / WOLF, Propädeutik, 7–10. 29 Vgl. bes. DÜRING, Aristoteles, 64–69; und die kommentierte Übersetzung Peri Hermeneias, übers. Weidemann (AWDÜ I/2; Berlin, 1994). 30 W. AX , Aristoteles, in: M. Dascal u.a. (Hrsg.), Sprachphilosophie (Berlin, 1992) I, 244–259.
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A. Allgemeine Probleme
von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind (Homoi´wmata prágmata), (für alle) dieselben. […] Wie sich aber in unserer Seele (hen t¨∆ yuc¨∆) bald ein Gedanke (nójma) befindet, ohne daß es ihm zukäme, wahr oder falsch zu sein (‘aneu toü haljqeúein ’j yeúdesqai), bald aber auch einer, dem notwendigerweise eines von beidem zukommt (hanágkj toútwn Hupárcein), so äußern wir auch mit der Stimme (teils sprachliche Ausdrücke der einen und teils solche der anderen Art). Denn Falschheit wie Wahrheit sind an Verbindung und Trennung geknüpft (perì gàr súnqesin kaì diaíresín hesti tò yeüdóß te kaì tò haljqéß). Es gleichen nun die Nennwörter (tà ho nómata [in etwa »Nomen«]) und die Aussagewörter (tà Hr´jmata [in etwa »Verb«]) für sich allein einem Gedanken ohne Verbindung und Trennung, wie z.B. das Wort ›Mensch‹ oder das Wort ›weiß‹, wenn nicht noch etwas hinzugefügt wird. Denn (für sich allein) ist (ein solches Wort) noch nicht falsch oder wahr (o‘ute gàr yeüdoß o‘ute haljqéß), aber es ist (dennoch) ein Zeichen (sjmeïon) mit einer ganz bestimmten Bedeutung. Auch das Wort ›Bockhirsch‹ (beispielsweise) bedeutet ja etwas (sjmaínei ti), ist aber (deshalb) noch lange nicht wahr oder falsch, wenn man nicht hinzufügt – sei es schlechthin, sei es in einer temporal abgewandelten Form –, daß (die mit ihm gemeinte Sache) ist oder nicht ist (d.h. existiert oder nicht existiert).« (Int. 1,16a3–18; übers. Weidemann, 3f; vgl. auch Soph. el. 1,165a7)
Das Verhältnis zwischen »seelischen Widerfahrnissen«, bzw. »Gedanken«, Sprache, Schrift und Einzeldingen lässt sich graphisch wie folgt darstellen31: seelische Widerfahrnisse (Gedanken) symbolisieren
bilden ab
gesprochene Worte
Sachverhalte
symbolisieren
geschriebene Worte Konvention
31 Schaubild
Natur
nach Peri Hermeneias, übers. Weidemann (AWDÜ I/2) 149.
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II. Antike Logik im Überblick
Aristoteles unterscheidet deutlich zwischen, modern gesprochen, konventionellen und allgemeinen Aspekten der Sprache: Im Zentrum stehen die »Widerfahrnisse der Seele«32, die allen Menschen gemeinsam sind, weil sie die Außenwelt, die Dinge und Sachverhalte33, abbilden. Die Vernunftseele bildet aufgrund der Wahrnehmung Gedanken. Für diese Gedanken stellt jede Kultur konventionelle Zeichen oder Symbole zur Verfügung, die sich zunächst im gesprochenen Wort zur Sprache bringen und dann wiederum in der Schrift. Sprechen und Denken verlaufen parallel auf gegenüber liegenden Seiten von Konvention und Natur34. Aristoteles nimmt damit eine für die Logik sehr wichtige sprachtheoretische Weichenstellung vor: Die Werte »wahr« und »falsch« kommen nicht den Einzelwörtern zu, sondern den zu Aussagesätzen verbundenen Wörtern. Damit gelangt die Aussage, die sog. »Proposition«, die etwas bejaht oder verneint und damit als wahr oder falsch bestimmt werden kann, ins Zentrum der Analyse35: »Es ist aber jede Rede (lógoß “apaß) zwar bedeutend (sjmantikóß), aber nicht wie ein Werkzeug (Hwß ‘organon)36, sondern, wie bereits gesagt, nach Übereinstimmung (katà sunq´jkjn). Nicht jede (Rede) aber ist aussagend (hapofantikóß), sondern nur jene, zu der das Wahrsein oder Falschsein gehört (tò haljqeúein ’j yeúdesqai Hupárcei). (Eine solche Eigenschaft) gehört aber nicht zu jeder (Rede), z.B. ist ein Gebet (Hj ehuc´j) zwar auch eine Rede, doch weder wahr noch falsch. Diese anderen (Arten der Rede) seien nun auf die Seite gestellt – ihre Erörterung (skéyiß) gehört eher in die Rhetorik oder Poetik –, die aussagende Rede (hapofantikóß) hingegen ist Gegenstand der gegenwärtigen Betrachtung (qewríaß).« (Int. 4,16b33–17a6; eig. Übers.)
Knapp fasst Aristoteles am Anfang der An. pr. zusammen: »Eine Aussage ist eine Rede, die etwas von etwas bejaht oder verneint.«37 Die beiden Bestandteile oder Terme der Aussage sind ‘onoma und Hr¨jma38. Damit sind in etwa 32 Páqjma
bezeichnet das Empfangen eines Eindrucks, in gewisser Weise die Wahrnehmung. 33 Zur Bedeutung von prägma in diesem Sinne vgl. Met. IV 29,1024b17–25. 34 Vgl. AX, Aristoteles, 254. Vgl. zu dieser Parallelität auch Int. 3,16b20f; 14,23a32f. 35 Vgl. G. ENGLEBRETSEN, On Propositional Form, in: Menne / Öffenberger (Hrsg.), Formale und nicht-formale Logik, 131–140. 36 Die Wendung bedeutet in etwa »von Natur aus« (vgl. Int. 4,16a27) 37 An. pr. I 1,24a16–17: Prótasiß mèn o~u n h estì lógoß katafatikòß ’j h apofatikóß tinoß katá tinoß. (eig. Übers.) Als logischen Terminus technicus für die wahrheitsdefinite Aussage gebraucht Aristoteles häufig auch hapófansiß von hapofaínw (vgl. Int. 5,17a20– 22), das von hapófasiß (»negierte Aussage« von hapófjmi) zu unterscheiden ist. Selten begegnet aber auch die Form hapófasiß für hapófansiß. LSJ, 226 s.v. hapófasiß (B) zählt aus dem aristotelischen Schrifttum nur Rhet. I 8,1365b27 dazu (textkritisch jedoch unsicher!). 38 Griech. “oroß bedeutet »Grenze, Demarkationslinie, Maß, Regel« und ist in der Logik v.a. in drei Verwendungsweisen relevant: »Term einer Aussage« oder auch »Variable für den Term« (auf Subjekt ebenso wie auf Prädikat anwendbar), »Definition« und »Prämisse eines Syllogismus« (vgl. LSJ, 1256). Im Sinne von »Term« bestimmt Aristoteles am Anfang der An. pr. I 1,24b16–18: »Einen ›Term‹ (“oron) nenne ich das, in was die Aussage aufgelöst wird (e˙ß ”o n dialúetai Hj prótasiß), nämlich das, was ausgesagt wird, und das, wovon es
A. Allgemeine Probleme
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Subjekt und Prädikat gemeint (Int. 2,16a19–3,b25): Das »Nennwort« ist ein konventioneller Laut, der etwas bedeutet (im Gegensatz etwa zu Tierlauten) und der durch Zusatz von »ist«, »war«, »wird sein« oder deren Verneinungen eine wahre oder eine falsche Aussage macht. Das »Verb« bringt das Element der Zeit mit sich und ist nur bedeutungsvoll aufgrund seiner Beziehung zum »Nennwort« (d.h. ohne Verbindung zu einem solchen ist z.B. »ist gesund« ohne Bedeutung). Diese zweistellige sprachliche Konstellation, in der etwas von jemandem oder etwas ausgesagt wird, ist als Proposition für logische Analyse relevant. 2. Stoa: Im Anschluss an sprachphilosophische Überlegungen Zenons unterscheidet die Stoa drei Grundgegebenheiten der Sprache39. In einem für die antike Semantik wichtigen Text fasst Sextus Empiricus die stoische Position folgendermaßen zusammen: »Es gab bei diesen Leuten aber auch noch eine andere Kontroverse [gemeint ist die Auseinandersetzung über das Wahre unter den alten Philosophen], indem die einen das Wahre und Falsche in die Bedeutung (perì t¨^w sjmainomén^w) setzen, während die anderen es mit dem Laut (perì t¨∆ fwn¨∆) verbanden und wieder andere es auf die Bewegung des Verstandes (perì t¨∆ kin´jsei t¨j ß dianoíaß) bezogen. Die herausragenden Vertreter der ersten Auffassung sind die Stoiker mit ihrer Lehre, daß sich dreierlei miteinander verbinde: das Bezeichnete (die Bedeutung) (tò sjmainómenon), das Bezeichnende (das sprachliche Zeichen) (tò sjmaïnon) und das Erlangende (tò tugcánon). Dabei ist das sprachliche Zeichen der Laut (t`j n fwn´jn), z.B. das Wort ›Dion‹; die Bedeutung ist eben die Sache (tò prägma), auf die durch den Laut hingewiesen wird und die wir begreifen, da sie in Abhängigkeit von unserem Denken existiert, die aber fremdsprachige Leute nicht verstehen, so sehr sie auch den Laut hören; das Erlangende schließlich ist dasjenige, was vorgängig außerhalb zugrundeliegt, (das äußere Substrat), nämlich etwa die Person des Dion selbst. Zwei von diesen sind Körper (s´wmata), nämlich der Laut und das Erlangende; eines hingegen ist unkörperlich (has´wmaton) nämlich die bezeichnete Sache (tò sjmainómenon prägma), und zwar ein Lekton (kaì lektón), welches eben auch wahr oder falsch werden kann. Das freilich gilt nicht durchweg für jedes Lekton. Vielmehr sind Lekta teils unvollständig (hellipéß), teils vollständig (ahutoteléß). Und von den vollständigen ist die sogenannte Aussage (haxíwma) [wahr oder falsch]; diese umschreiben sie nämlich auch dadurch, daß sie sagen: ›Eine Aussage ist das, was wahr oder falsch ist.‹« (Adv. Math. VIII,11f = FDS, 67)
Ähnlich wie Aristoteles wird unterschieden zwischen dem physisch wahrnehmbaren Lautgebilde (»das Bezeichnende« = tò sjmaïnon; der Laut /Dion/), dem Gemeinten (das Bezeichnete = tò sjmainómenon; die Vorstellung von Dion) und dem außersprachlichen Gegenstand (tò tugcánon; die Person Dion selbst). In einer nicht sehr scharf umrissenen Terminologie wird
ausgesagt wird (tó te katjgoroúmenon kaì tò kaqh oˆu katjgoreïtai), unter Hinzusetzung [Textvariante: »oder Auslassung«] von ›ist‹ oder ›ist nicht‹.« Vgl. auch DÜRING, Aristoteles, 78, Anm. 178. 39 Nach STEINMETZ, Stoa, 595.
38
II. Antike Logik im Überblick
das Gemeinte zugleich als tò lektón bestimmt40 und diesem die »Aussagen« zugeordnet, auf die das Urteil wahr oder falsch zutrifft41. Im Bereich des Bezeichnenden untersuchte Chrysipp sehr genau die Wortund Formenlehre im Hinblick auf die verschiedenen Wortarten und ihre Flexionen. Wichtiger für die Logik jedoch ist der Bereich der durch Sätze ausgedrückten Sachverhalte – die sog. lektá –, denn nur diese sind wahrheitsdefinit42. Mithilfe einer Reihe von Unterscheidungen versucht Chrysipp, den logischen Status des »Sagbaren« zu erfassen. Es gibt verschiedene Satzarten (Fragen, Befehle, Wünsche, Aussagesätze, usw.) und entsprechend auch verschiedene Sachverhalte. Die Logik (im engeren Sinne) hat es nach Chrysipp – darin Aristoteles gleich – nur mit Aussagen zu tun (haxi´wmata)43. Eine Aussage ist »ein vollständiges Lekton, welches behauptet werden kann, soweit dies an ihm liegt«44.
B. Die aristotelische Termlogik Aristoteles ist der Begründer der Logik im Sinne einer formalen Wissenschaft45. In einem viel zitierten Abschnitt überschaut er seine eigene Leistung und stellt nicht ohne Stolz fest: 40 Lektón
meint wörtlich »das Sagbare«. zur Unterscheidung zwischen dem Gemeinten und dem Gesprochenen DiogL. VII 57: »Auch unterscheidet sich das Reden (Sagen) vom Vorbringen (Aussprechen) (diaférei dè kaì tò légein toü proféresqai); denn vorgebracht (ausgesprochen) werden die Laute (Stimmen) (proférontai mèn gàr aÓ fwnaí), gesagt aber die Sachen, die auch die lekta (das Gesagte, Sagbare) sind (légetai dè tà prágmata, ”a d`j kaì lektà tugcánei).« (= FDS, 476) 42 Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen vollständigen und unvollständigen Lekta (lektà ahutotel¨j , lektà hellip¨j) ist für die Logik nicht besonders relevant, weil einem unvollständigen Satz (etwa der indefiniten Form gráfei = »er/sie/es schreibt«) ein Wahrheitswert erst dann zugesprochen werden kann, wenn es gelingt, die Aussage in eine definite zu überführen (etwa: »Sokrates schreibt«). 43 Vgl. zur Übersetzung G RAESER, Zenon, 24, Anm. 2. 44 Sextus Emp., Pyrrh. II,104 (= FDS, 878): lektòn ahutotelèß h apofantòn “oson hefh Heaut^¨w. Vgl. zur Auslegung dieser umständlichen Formulierung und zu weiteren Definitionen BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 93–95. 45 Aus der umfangreichen Literatur: H. MAIER, Die Syllogistik des Aristoteles (3 Bde; Tübingen, 1896–1900); F. SOLMSEN, Die Entwicklung der aristotelischen Logik und Rhetorik (Berlin, 1929); A. BECKER, Die aristotelische Theorie der Möglichkeitsschlüsse (Berlin, 1933); J. LUKASIEWICZ, Aristotle’s Syllogistic from the Standpoint of Modern Formal Logic (Oxford, 21957); G. PATZIG, Die aristotelische Syllogistik (AAWG.PH 3:42; Göttingen, 1959); K. EBBINGHAUS, Ein formales Modell der Syllogistik des Aristoteles (Hyp. 9; Göttingen, 1964); F.-P. HAGER (Hrsg.), Logik und Erkenntnislehre des Aristoteles (WdF 226; Darmstadt, 1972); J. LEAR, Aristotle and Logical Theory (Cambridge, 1980); R. SMITH, The Syllogism in ›Posterior Analytics I‹, AGPh 64 (1982) 113–135; A. MENNE / N. 41 Vgl.
B. Die aristotelische Termlogik
39
»Von allem, was so gefunden wird, ist einiges von anderen schon früher ergriffen und mit Mühe ausgearbeitet worden; es ist dann Stück für Stück fortgeschritten unter der Arbeit derer, die es später übernahmen. Anderes, das neu gefunden wird, pflegt zunächst nur geringen Fortschritt zu nehmen, der allerdings viel nutzbringender ist als alle spätere Vermehrung daraus. Das Größte ist ja wohl der Anfang von allem, wie das Sprichwort sagt. Daher ist er auch das Schwierigste. Je wirkungsmächtiger das ist, desto winzigkleiner ist es an Größe und daher am schwierigsten zu Gesichte zu bekommen. Ist dieser (Anfang) aber erst einmal gefunden, so ist es leichter, das übrige hinzuzusetzen und zu mehren. […] Von dieser Anstrengung [pragmateía auch ›Untersuchung‹] dagegen war nicht einiges schon vorher ausgearbeitet, anderes noch nicht, sondern es lag noch gar nichts vor. […] Was die Kunst der Redner angeht, so war viel alter Lehr- und Vortragsstoff vorhanden; was das genaue Schlüsseziehen betrifft, so hatten wir früher gar nichts vorzutragen als nur, daß wir, zeitaufwendig herumsuchend, uns lange abmühten. Wenn es euch, indem ihr die Sache anschaut, so scheint, daß – angesichts solcher anfänglicher Vorgaben – dieser Entwurf einer Lehre einigermaßen gut dasteht im Vergleich zu den anderen Ausarbeitungen […], so wäre es nunmehr noch Aufgabe von euch allen, die es gehört haben, dafür, daß Stücke in dieser wegbereitenden Untersuchung noch fehlen, Nachsicht zu gewähren, für das Gefundene aber viel Anerkennung.« (Soph. el. 34,183b17–184b8)
Diese Selbsteinschätzung ist bis heute kaum ernsthaft bestritten worden46. Obwohl es bereits vor Aristoteles elementare Regeln für gültige Schluss- und Beweisverfahren gab und Diskussionen über logikrelevante Themen nicht fehlten47, hat erst er der Logik zu einer eigenen Metasprache verholfen und damit ihren Rang als eine klar umrissene Wissenschaft begründet. Wegweisend ist die Abstraktionsleistung, einzelne Elemente des Satzes durch Variablen (A, B, C, usw.) zu ersetzen. Damit hat Aristoteles das Formale bei der Analyse von Schlüssen ins Zentrum gerückt. Die aristotelische Logik ist in ihrer begrenzten Ausrichtung auf eine mit Termen operierende SchlussÖFFENBERGER (Hrsg.), Über den Folgerungsbegriff in der Aristotelischen Logik (ZMDAL 1; Hildesheim, 1983); A. MENNE / N. ÖFFENBERGER (Hrsg.), Formale und nicht-formale Logik bei Aristoteles (ZMDAL 2; Hildesheim, 1985); A. MENNE / N. Ö FFENBERGER (Hrsg.), Modallogik und Mehrwertigkeit (ZMDAL 3; Hildesheim, 1988); N. ÖFFENBERGER, Zur Vorgeschichte der mehrwertigen Logik in der Antike (ZMDAL 4; Hildesheim, 1990); F. BUDDENSIEK, Die Modallogik des Aristoteles in den Analytica Priora (ZMDAL 6; Hildesheim, 1994); Th. EBERT, Was ist ein vollkommener Syllogismus des Aristoteles? AGPh 77 (1995) 221–247; R. PATTERSON, Aristotle’s Modal Logic (Cambridge, 1995); O. PRIMAVESI, Die aristotelische Topik (Zet. 94; München, 1996), 59–82; P. THOM, The Logic of Essentialism: An Interpretation of Aristotle’s Modal Syllogistic (Dordrecht, 1996). 46 DÜRING, Aristoteles, 72: »Sein Stolz ist berechtigt.« BOCHENSKI , Formale Logik, 47 nennt Aristoteles den »erste(n) formale(n) Logiker«. Ähnlich J.L. ACKRILL, Aristoteles (SG 2224; Berlin, 1985) 122: »Aristoteles ist dafür berühmt, den Syllogismus erfunden oder entdeckt und damit die formale Logik begründet zu haben.« 47 Davon zeugt indirekt auch Aristoteles, wenn er auf vorgängige Diskussionen verweist, etwa Soph. el. 10,170b12–14 (zur Unterscheidung von »Wort« [‘onoma] und »Sinn« [diánoia]) oder 10,171a1–2 (Theorien zur Widerlegung: tò perì helégcou dialégesqai). Vgl. zur voraristotelischen Logik BOCHENSKI, Formale Logik, 35–46 (unter dem bezeichnenden Titel »Die Vorläufer«) und KNEALE / KNEALE, Logic, 1–22.
40
II. Antike Logik im Überblick
lehre (die sog. »Syllogistik«) bis heute gültig48. Ihre Begrenzungen sind zwar durch die moderne Prädikatenlogik, in der sie vollständig integriert ist, mehr als deutlich geworden49. Dennoch ist sie aufgrund ihrer Systematik weiterhin für die moderne philosophiosche Logik von Interesse50. 1. Weitere sprachtheoretische Überlegungen Neben der Konzentration auf die wahrheitsdefinite Aussage sind darüber hinaus zwei Aspekte der Sprache für die aristotelische Logik von grundlegender Bedeutung: a) Die logisch relevanten Modi des Aussagesatzes Neben der wichtigen Unterscheidung zwischen bejahenden (katafatikóß) und verneinenden (hapofatikóß) Aussagen führt Aristoteles weitere Einteilungskategorien ein: einfache und zusammengesetzte51 oder tatsächliche, notwendige und mögliche Aussagen. An. pr. I 2,25a1f: »Jeder Aussagesatz bezeichnet entweder das, was ist, oder das, was mit Notwendigkeit ist, oder das, was sein kann (’j toü Hupárcein ’j toü hex hanágkjß Hupárcein ’j toü hendécesqai Hupárcein).« Auf den ersten Blick könnte man bei dieser Gliederung an Indikativ-, Konjunktiv- und Imperativsätze denken. Doch gehören die letzten beiden Satzarten nicht zum Behandlungsfeld aristotelischer Logik, weil sie nicht wahrheitsdefinit
48 HÖFFE,
Aristoteles, 49 urteilt über diese Leistung: »klar, gründlich, so gut wie fehlerfrei und zum ersten Mal mit Elementen einer logischen Kunstsprache.« Ebenso einflussreich wie einseitig ist das Urteil von Immanuel KANT, Kritik der reinen Vernunft (Vorrede B VIII), hrsg. W. Weischedel (Frankfurt a.M., 1956) 20: »Daß die Logik diesen sicheren Gang [einer Wissenschaft, MMM] schon von den ältesten Zeiten her gegangen sei, läßt sich daraus ersehen, daß sie seit dem Aristoteles keinen Schritt rückwärts hat tun dürfen, wenn man ihr nicht etwa die Wegschaffung einiger entbehrlicher Subtilitäten oder deutlichere Bestimmung des Vorgetragenen als Verbesserungen anrechnen will […]. Merkwürdig ist noch an ihr, daß sie auch bis jetzt keinen Schritt vorwärts hat tun können und also allem Ansehen nach geschlossen und vollendet zu sein scheint.« 49 Vgl. BUCHER, Angewandte Logik, 172. 50 Bahnbrechend war die Arbeit des polnischen Logikers LUKASIEWICZ, Aristotle’s Syllogistic. Die wichtige Arbeit von PATZIG, Aristotelische Syllogistik, 199 kommt zu dem Urteil, dass wir es in den An. pr. mit einem Werk von »beispielhafter Strenge und logischer Reinheit« zu tun haben. Der Dialog zwischen aristotelischer und moderner Logik wird auf sehr hohem Niveau in der Buchreihe »Zur modernen Deutung der aristotelischen Logik« (hrsg. A. Menne, N. Öffenberger; Hildesheim; New York, 1983ff; bisher 8 Bde.) geführt. Diese Arbeiten haben einen deutlichen Unterschied zwischen der Logik des Aristoteles und der späteren Systematisierung in der klassischen Logik herausgearbeitet. 51 Int. 5,17a20–22: »Davon ist die eine die einfache Aussage (H j Hapl¨j hapófansiß), wenn etwas über etwas (bejaht wird), oder etwas von etwas (verneint wird) (tì katà tinòß ’j tì hapò tinóß); die andere ist die aus diesen zusammengesetzte, wenn es schon irgendeine zusammengefügte Rede ist (lógoß tiß ‘j dj súnqetoß).«
B. Die aristotelische Termlogik
41
sind52. Am besten wird diese Unterscheidung anhand von Beispielsätzen deutlich: a) Tatsächlich: »Einige Menschen werden zwei Meter groß.« Die Größe von zwei Metern kommt einigen Menschen tatsächlich zu. Es handelt sich aber um eine kontingente Eigenschaft, die nicht notwendig zum Menschsein dazugehört. b) Notwendig: »Jeder Mensch besteht aus Fleisch und Knochen.« Die Eigenschaft, einen Körper zu haben, gehört notwendigerweise zum Menschsein dazu. Das heißt, dass etwas Körperloses kein Mensch sein kann. c) Möglich: »Es kann sein, dass jetzt niemand schläft.« Es geht in diesem Satz um die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort die Tätigkeit des Schlafens von niemandem ausgesagt werden kann.
Für die Logik am wichtigsten jedoch ist die Unterscheidung zwischen universalen und partikulären Aussagen: »Ein Satz ist eine Rede, die etwas von etwas bejaht oder verneint. Sie ist entweder allgemein (kaqólou) oder partikulär (hen mérei) oder unbestimmt (hadióristoß).« (An. pr. I 1, 24a16f)
Universale Sätze machen allgemeine Aussagen, wie »Alle Menschen sind Lebewesen«, oder »Kein Tisch ist ein Tier«. Partikuläre Sätze machen beschränkte Aussagen, wie »Einige Pflanzen sind Fleischfresser«, oder »Einige Menschen sind nicht weiß«. Es handelt sich dabei aber nicht um eine strikte Partikularität (im Sinne von »nur einige«), sondern um eine abgeschwächte (»wenigstens einige«)53. Die Unterscheidung universal-partikulär bezieht sich auf den quantitativen Modus der Aussage und nicht auf die Bestimmung der Dinge selbst54. Der unbestimmte Modus ist logisch irrelevant55. Die wichtigsten Modi für die aristotelische Logik betreffen demnach die Quantität (allgemein / partikulär) und die Qualität (affirmativ / negativ) einer Aussage. Daraus ergeben sich vier Möglichkeiten für logisch relevante Sätze: affirmativ-allgemein, affirmativ-partikulär, negativ-allgemein und negativ52 Die
drei Modalitäten werden von der modernen Logik assertorisch, apodiktisch und problematisch genannt (vgl. J. BARNES, Aristoteles [RUnB 8773; Stuttgart, 1992] 47). Ich folge hier dem aristotelischen Sprachgebrauch. 53 Das ist wichtig für die Umkehrungsgesetze, die Aristoteles in seiner Syllogistik entfaltet (vgl. A. MENNE, Zur Syllogistik strikt partikulärer Urteile, in: Menne / Öffenberger, Formale und nicht-formale Logik, 141). 54 Nach Int. 7,17a36 können die Dinge selbst allgemein oder partikulär sein, je nachdem ob etwas von mehreren ausgesagt werden kann (z.B. »Mensch«) oder nur von einem Einzelding (z.B. »Kallias«). Da Aristoteles in den Analytiken an Einzeldingen kein Interesse hat, ist die Kategorie des singulären bzw. individuellen Satzes nicht in die eigentliche Logik eingegangen (vgl. ENGLEBRETSEN, Propositional Form, 132f). Zum Problem individueller Terme s.u. S. 117. 55 Der unbestimmte Satz ist einer, dessen Aussage weder eindeutig als allgemein noch als partikulär bestimmt werden kann. Aristoteles gibt selbst zwei Beispiele (An. pr. I 1,24a20– 22): »Das Konträre fällt unter dieselbe Wissenschaft.« »Die Lust ist kein Gut.« Für die aristotelische wie auch für die moderne Logik sind solche Sätze nur dann interessant, wenn sie eindeutig als universal oder partikulär interpretiert werden. Aristoteles nimmt diese Sätze jedoch sehr ernst. Damit erkennt er die Vagheit der Alltagssprache an. Gemäß Int. 10,19b6f muss das in der Behauptung Ausgesagte eines sein und über einen Gegenstand gesagt sein (”en dè deï e~inai kaì kaqh Henòß tò hen t¨∆ katafásei).
42
II. Antike Logik im Überblick
partikulär. Seit dem Mittelalter hat sich die bis heute übliche Darstellung eingebürgert56: Satzart affirmativ-allgemein affirmativ-partikulär negativ-allgemein negativ-partikulär
a-Satz i-Satz e-Satz o-Satz
Form
Deutung57
SaP SiP SeP SoP
Allen S kommt P zu. Einigen S kommt P zu. Keinem S kommt P zu. Einigen S kommt P nicht zu.
b) Die logisch relevanten Formen des Gegensatzes58 Aristoteles setzt in seinem philosophischen Werk durchgehend vier Weisen des Gegensatzes (Top. II 8,113b15: hantiqéseiß téttareß) voraus59: »In vierfachem Sinne sagt man, eines stehe einem anderen gegenüber (“eteron Hetér^w hantikeïsqai): entweder wie die Relativa (tà próß ti) oder wie das Konträre (tà henantía) oder wie Mangel und Besitz (stérjsiß kaì “exiß) oder wie Bejahung und Verneinung (katáfasiß kaì hapófasiß). Jedes davon steht gegenüber, um es im Umriß zu sagen, einerseits wie die Relativa, zum Beispiel das Doppelte und das Halbe; andererseits wie das Konträre, zum Beispiel das Schlechte und das Gute; oder wie Mangel und Besitz, zum Beispiel Blindheit und Sehkraft; oder wie Bejahung und Verneinung, zum Beispiel ›er sitzt‹ und ›er sitzt nicht‹.« (Cat. 10,11b16–22; übers. Oehler, 30)
Aristoteles behandelt diese vier Gegensatzarten ausgiebig: Gegensatz
Fachtermini (griech. / lat.) relativa 60
Text in Cat.
Relativ
próß ti / opposita
Konträr
henantíon / opposita contraria
10,11b31–12a25
Privativ
“exiß kaì stérjsiß / habitus et privatio
10,12a26–b5; 12b14–13a35
Kontradiktorisch
hantífasiß / opposita contradictoria
10,12b5–25; 13a36–b35
56 Die
10,11b23–30 (vgl. 7,6a36f)
modalen Platzhalter a e i und o leiten sich vom lateinischen affirmo für die beiden affirmativen Modi und nego für die beiden negativen her. 57 Als ein Verstehensversuch mit den Mitteln heutiger Mathematik lassen sich die aristotelischen Satzarten mengentheoretisch formulieren: 1. a-Satz: S ist Teilmenge von P (S ⊆ P). Das bedeutet, dass S und alles, was außerhalb von P liegt, keine gemeinsamen Elemente haben (S ∩ P’ = 0). 2. i-Satz: S und P haben eine gemeinsame Schnittmenge (S ∩ P ≠ 0). 3. e-Satz: S und P haben keine gemeinsame Schnittmenge (S ∩ P = 0). 4. o-Satz: S und P bilden eine Differenzmenge (S \ P). Das bedeutet, dass die Schnittmenge von S und allem, was außerhalb von P liegt, mindestens ein gemeinsames Element aufweist (S ∩ P’ ≠ 0). 58 BOCHENSKI, Formale Logik, 66–69; Kategorien, übers. K. Oehler (AWDÜ I/1; Berlin, 3 1997) 328–337. 59 Cat. 10,11b16–11,14a23; Top. II 2,109b18f; 8,113b15–114a25; Met. X 3,1054a23ff; 4,1055a38ff; 7,1057a33f. Einzig in Met. V 10,1018a20ff findet sich eine in einem Glied unterschiedliche Viererreihe (das »Äußerste« statt »Bejahung und Verneinung«). 60 Seit Boethius haben sich diese Fachbegriffe eingebürgert (vgl. Boethius, In Categorias Aristotelis, IV [PL 64,264B–283D]).
B. Die aristotelische Termlogik
43
Relative, konträre und privative Gegensätze beziehen sich auf das Verhältnis einzelner Wörter zueinander. Der kontradiktorische Gegensatz hingegen bezieht sich entweder auf die direkte Verneinung eines Wortes oder auf die eines ganzen Satzes. Für die Logik ist insbesondere der Unterschied zwischen »konträr« und »kontradiktorisch« von entscheidender Bedeutung. Der konträre Gegensatz (henantíon) besteht aus zwei Gliedern, die nicht aufeinander bezogen sind und die sich naturgemäß derart ausschließen, dass sie unmöglich einem Subjekt gleichzeitig zukommen können. Sie können aber beide gleichzeitig einem Subjekt nicht zukommen. So kann z.B. etwas Weißes nicht zugleich schwarz sein, es kann aber etwas weder weiß noch schwarz sein; etwas Totes kann nicht lebendig sein, es kann aber etwas weder tot noch lebendig sein (etwa eine Bratpfanne)61. Der kontradiktorische Gegensatz verneint Wörter (lebendig, nicht-lebendig) und v.a. wahrheitsdefinite Aussagen62. Dabei gilt notwendigerweise, dass, wenn eine der beiden Aussagen wahr, die andere falsch sein muss63. Müssen aber die anderen Gegensatzarten nicht auch notwendigerweise wahr oder falsch sein, wenn sie in Form von Aussagesätzen auftreten? Aristoteles macht dies abhängig von der Existenz des Ausgesagten (vgl. Cat. 10,13b12–35): Wenn Sokrates (= S.) existiert, dann können die konträren Aussagesätze »S. ist gesund«, und »S. ist krank«, nicht gleichzeitig wahr sein. Wenn der eine Satz wahr ist, ist der andere falsch, und umgekehrt. Wenn aber S. nicht existiert, sind beide Sätze falsch. Die privativen Aussagesätze »S. hat Sehkraft«, und »S. ist blind«, sind für den Fall, dass S. existiert, im gegenseitigen Wahrheitswert unbestimmt64. Die kontradiktorischen Aussagesätze »S. ist krank«, und »Es ist nicht der Fall, dass S. krank ist«, können bei Existenz von S. nicht gleichzeitig wahr sein. Für den Fall jedoch, dass S. nicht existiert, ist der Satz »S. ist krank«, falsch und der Satz »Es ist nicht der Fall, dass S. krank ist«, wahr 65.
61
Für manche dieser Mittelwerte gibt es keine passenden Bezeichnungen, so dass man sich mit der Negation der beiden Gegensätze behelfen muss. Es gibt zwar eine Farbe grau, die zwischen weiß und schwarz ist, aber für einen Mittelwert zwischen gut und schlecht wählt Aristoteles das Beispiel: »weder gut noch schlecht«. 62 Cat. 10,13b10–12: »Überhaupt aber ist nichts von dem, was ohne Verbindung gesagt wird (t¨wn katà mjdemían sumplok`jn legoménwn), entweder wahr oder falsch; und alles oben Angeführte wird ohne Verbindung gesagt.« (Übers. Oehler, 34) 63 Jedoch ist mit der Negationspartikel Vorsicht geboten, da diese nicht automatisch einen Satz zu einem kontradiktorischen Gegensatz macht. Wie Aristoteles selbst in Int. 10,19b20– 30 ausführt, gibt es neben der Affirmation »Mensch ist gerecht« auch die Affirmation »Mensch ist nicht-gerecht«. Die Verneinungen dazu lauten »Mensch ist nicht gerecht« und »Mensch ist nicht nicht-gerecht«. 64 Aristoteles konstruiert den Fall, dass Sokrates existiert, aber ihm die Natur noch nicht Sehkraft verliehen hat (z.B. als neugeborenes Kind). In diesem Fall wäre er nicht »blind« zu nennen, weil er noch keine Sehkraft hatte, der er beraubt worden wäre. 65 Vgl. weiterhin Kategorien, übers. Oehler, 273f.
44
II. Antike Logik im Überblick
Das Problem des für die Logik so wichtigen kontradiktorischen Gegensatzes von Bejahung und Verneinung behandelt Aristoteles ausgesprochen differenziert in Int. 6,17a26–7,18a1266: »Somit ist es offenkundig, daß jeder bejahenden Aussage eine verneinende entgegengesetzt ist (pás∆ katafásei hestìn hapófasiß hantikeiménj) und jeder verneinenden Aussage eine bejahende. Und wenn eine bejahende und eine verneinde Aussage einander entgegengesetzt sind, so wollen wir sie eine Kontradiktion (hantífasiß) nennen. Als einander entgegengesetzt bezeichne ich (eine bejahende und eine verneinende Aussage) dann, wenn sie dasselbe demselben Gegenstand zu- bzw. absprechen (légw dè hantikeïsqai t`j n toü ahutoü katà toü ahutoü), nicht in homonymer Weise freilich 67.« (Int. 6,17a31–35; übers. Weidemann, 8)
Aristoteles unterscheidet ferner in Int. 7,17a38–18a12 zwischen vier Klassen von entgegengesetzten Aussagepaaren68: 1. Singuläre Aussagepaare69 bejahen und verneinen »etwas Einzelnes« (kaqh “ekaston): »Sokrates ist weiß« – »Sokrates ist nicht weiß«. 2. Partikuläre Aussagepaare sprechen derart über Allgemeines (hepì toü kaqólou), dass einer allgemeinen Aussage ein partikulärer Gegensatz gegenübersteht: »Alle Menschen sind weiß.« (SaP) – »Nicht jeder Mensch ist weiß.« (SoP). »Kein Mensch ist weiß.« (SeP) – »Irgendein Mensch ist weiß.« (SiP) 3. Universelle Aussagepaare beziehen sich in allgemeiner Weise auf Allgemeines: »Alle Menschen sind weiß.« (SaP) – »Kein Mensch ist weiß.« (SeP) 4. Indefinite Aussagepaare beziehen sich auf Allgemeines, ohne jedoch anzugeben, ob das Gesagte irgendeinem oder jedem Ding zukommt oder nicht zukommt: »[Ein] Mensch ist weiß.« – »[Ein] Mensch ist nicht weiß.«
Der Gegensatz zwischen den Gliedern der ersten, zweiten und vierten Klasse wird als als »kontradiktorisch«, der der dritten Klasse als »konträr« bezeichnet. Die Kategorie der indefiniten Aussagen ist für die Logik sehr problematisch70. Die logischen Beziehungen zwischen den Aussagepaaren der zweiten
66 Diese
Ausdifferenzierung ist auch durch die Auseinandersetzung mit den Sophisten motiviert, gegen deren »Lästigkeiten« Aristoteles zu Felde zieht (Int. 6,17a35–37). 67 Unter »homonym« (oder äquivok) versteht Aristoteles nach Cat. 1,1a1–6 identische Wortformen, die sich aber auf unterschiedliche Sachen beziehen. So wären die Sätze (1) »Schlösser sind groß« und (2) »Schlösser sind nicht groß« nur dann eine Kontradiktion, wenn sich »Schlösser« in beiden Sätzen auf repräsentative Wohnbauten des Adels bezieht und nicht, wenn in Satz (1) solche Bauten und in Satz (2) eine Schlossvorrichtung an einer Tür gemeint sind. Ähnlich äußert sich Aristoteles in Soph. el. 5,167a23–27: »Widerlegung ist nämlich Widerspruch hinsichtlich eines und desselben (‘elegcoß mèn gár hestin hantífasiß toü ahutoü kaì Henóß) nicht Wortes, sondern Sachverhalts (m`j honómatoß hallà prágmatoß), und wenn schon eines Wortes, so nicht eines anderen, das in etwa das gleiche bezeichnet, sondern genau desselben.« 68 Vgl. den Kommentar in Peri Hermeneias, übers. Weidemann (AWDÜ I/2) 202–217. 69 Die gängigen Bezeichnungen (singulär, partikulär, universell, indefinit) gehen auf Boethius zurück. Drei davon finden sich auch in An. pr. I 1,24a17: ’j kaqólou (universell) ’j hen mérei (partikulär) ’j hadióristoß (indefinit). 70 Wenn über den Status der Allgemeinheit oder Partikularität eines Satzes nichts gesagt werden kann, dann kann auch nicht darüber entschieden werden, ob zwei kontradiktorisch
45
B. Die aristotelische Termlogik
und dritten Klasse werden seit der Hermeneutik des Platonikers und Sophisten Apuleius von Madaura (*125 n.Chr.) und aufgrund der Vermittlung des Boethius bis in die Gegenwart mit dem sog. »logischen Quadrat« graphisch ausgedrückt71: Jedes S ist P (SaP)
(A)
konträr
(E)
Alle Menschen sind gut.
Kein Mensch ist gut = Alle Menschen sind nicht gut.
subaltern
kontradiktorisch
subaltern
Irgendein Mensch ist gut.
Irgendein S ist P (SiP)
Kein S ist P = Jedes S ist nicht P (SeP)
Nicht jeder Mensch ist gut = Irgendein Mensch ist nicht gut.
(I)
subkonträr
(O)
Nicht jedes S ist P = Irgendein S ist nicht P (SoP)
Zur Erläuterung: Wenn die Aussage »Alle Menschen sind gut«, wahr ist, muss die Aussage »Nicht jeder Mensch ist gut«, (oder »Irgendein Mensch ist nicht gut«) falsch sein, und umgekehrt. Wenn aber die Aussage »Alle Menschen sind gut«, falsch ist, muss die Aussage »Kein Mensch ist gut«, nicht zwangsläufig wahr sein. Beide Sätze wären dann falsch, wenn es zutrifft, dass »einige Menschen gut sind«. Konträre Sätze können zwar nicht zugleich wahr, im Gegensatz zu kontradiktorischen Sätzen können sie jedoch zugleich falsch sein. Eine subalterne Beziehung besteht zwischen dem Universalsatz und dem sich daraus ableitenden Partikulärsatz. Wenn »Jeder Mensch ist gut«, wahr ist, ist auch »Irgendein Mensch ist gut«, wahr, aber nicht umgekehrt. »Subkonträr« ist die Umkehrung von »konträr«: Beide Aussagen können zugleich wahr, aber nicht zugleich falsch sein.
entgegengesetzte Aussagen wahr oder falsch sind. In Int. 8,18a11f bedenkt Aristoteles diesen Fall, in Int. 12,21b4 und Cat. 10,12b5–25; 13a36–b35 offenbar nicht (mehr?). 71 Vgl. Logic of Apuleius, ed. Londey / Johanson, 86–89.108–112; C. THIEL, Art. Quadrat, logisch, EPhW 3 (1995) 423–424; TUGENDHAT / WOLF, Propädeutik, 69–73.
46
II. Antike Logik im Überblick
2. Der »Schluss« (sullogismóß) Im Zentrum der aristotelischen Logik steht der Schluss (sullogismóß). Aristoteles definiert an drei Stellen, was er darunter versteht72: Top. I 1,100a25–27
An. pr. I 1,24b18–20
Soph. el. 1,165a1f
‘esti d`j sullogismòß lógoß hen ˆ^w teqéntwn tin¨wn “eterón ti t¨wn keiménwn hex hanágkjß sumbaínei dià t¨wn keiménwn.
sullogismòß dé hesti lógoß hen ˆ^w teqéntwn tin¨wn “eterón ti t¨wn keiménwn hex hanágkjß sumbaínei t¨^w taüta e~inai.
Ho mèn gàr sullogismòß hek tin¨wn hesti teqéntwn “wste légein “eteron hex hanágkjß ti t¨wn keiménwn dià t¨wn keiménwn.
»Es ist nun ein Schluss eine Rede, in der, wenn einige (Annahmen) gesetzt werden, etwas von den vorliegenden (Annahmen) Verschiedenes notwendig folgt aufgrund der vorliegenden (Annahmen).« (eig. Übers.)
»Ein Schluss ist eine Rede, in welcher, wenn einige (Annahmen) gesetzt werden, etwas von den vorliegenden (Annahmen) Verschiedenes notwendig daraus folgt, dass diese sind.« (eig. Übers.)73
»Der Schluss besteht nämlich aus einigen (Annahmen), die gesetzt werden, so dass er notwendig etwas von den vorliegenden (Annahmen) Verschiedenes aufgrund der vorliegenden (Annahmen) aussagt.« (eig. Übers.)
Der Text der An. pr. fährt noch mit einer wichtigen Bestimmung fort: »Ich meine aber mit ›daraus, dass dieses sind‹ (t¨^w taüta e~inai): ›Es folgt aufgrund dieser‹ (tò dià taüta sumbaínein). Und mit ›es folgt aufgrund dieser‹: Es bedarf keines von außen (eingeführten) Begriffes (tò mjdenòß ‘exwqen “orou prosdeïn) 74, damit sich die Notwendigkeit ergibt (pròß tò genésqai tò hanagkaïon).« (I 1,24b20–22; eig. Übers.)
Ein syllogistischer Schluss ist also eine gegliederte Rede oder ein Satz (lógoß ist vieldeutig), in dem aus einigen Annahmen (also mindestens zwei) etwas anderes notwendig folgt75. Oder anders formuliert: In einem Schluss werden mindestens drei Aussagen dergestalt miteinander verbunden, dass aus den ersten etwas davon Unterschiedliches folgt. Die Folge muss sich »notwendig« (hex hanágkjß) aus den Prämissen der Vordersätze ergeben. Es bedarf also keiner weiteren Erklärungen, damit ihre Notwendigkeit einsichtig wird76. 72 PRIMAVESI,
Topik, 59–82. allen drei Texten gebraucht Aristoteles für die »Annahmen« erst Passiv von tíqjmi und dann keïmai. Beide Verben werden gewöhnlich im Sinne von »vorlegen, annehmen» gebraucht (vgl. LSJ 934 III.4; 1791 B.II), wobei keïmai häufig an Stelle des Passivs von tíqjmi steht (LSJ 1790). Sie sind in den vorliegenden Texten deutlich kontextsynonym. 74 DÜRING, Aristoteles, 78, Anm. 178 plädiert dafür, “oroß mit »Term« zu übersetzen. 75 Die petitio principii – also jener Beweisfehler, der die zu ziehende conclusio als Prämisse setzt (im Sinne von »Wenn p, dann p«) – ist als aristotelischer Schluss unzulässig (vgl. zum a˙teïsqai tà hen harc¨∆ Top. VIII 13,162b31–163a13 und An. pr. II 16,64b28–65a37). 76 Die Bedingung selbstevidenter logischer »Notwendigkeit« berührt einen sehr komplexen Bereich aristotelischer Philosophie, auf den hier nicht weiter eingegangen werden kann (vgl. PATZIG, Syllogistik, 24–51). An. pr. I 10,30b32–40 unterscheidet zwei Formen der Notwendigkeit: 1. Die syllogistisch-relative Notwendigkeit (I 10,30b38f: toútwn ‘ontwn hanagkaïon) bezieht sich auf die Folgerichtigkeit einer Wenn-dann-Beziehung, also auf die 73 In
B. Die aristotelische Termlogik
47
Man darf diese allgemeine Syllogismusdefinition nicht im engen Sinne der in den Analytiken ausgereiften Syllogistik verstehen (s.u. S. 50ff). Denn von Schlusssätzen mit drei Begriffen, von Figuren, von Umkehrungsregeln usw. ist weder in der Topik noch in den sophistischen Widerlegungen noch in der Rhetorik die Rede77. Dass der aristotelische Syllogismusbegriff breiter zu verstehen ist, als es die Ausführungen in den beiden Analytiken nahelegen, lässt sich auch dem Umstand entnehmen, dass sich im weiteren philosophischen Werk des Philosophen im Sinne der An. pr. vollständige Syllogismen nur selten finden78. Dennoch beansprucht die gleichlautende Definition Gültigkeit für alle drei logischen Werke und für die Rhetorik. Sullogismóß ist also ein weitgefächerter Gattungsbegriff, der verschiedene Arten von Schlüssen umfasst, die sich im Hinblick auf den Zuverlässigkeitsgrad ihrer Annahmen unterscheiden (vgl. Top. I 1,100a27–101a23)79: 1. Ein apodiktischer Syllogismus (An. pr.) liegt vor, »wenn aus wahren und unmittelbaren (Annahmen) der Schluß erfolgt, oder aus solchen, die von bestimmten wahren Erstannahmen aus den Ausgangspunkt der Erkenntnis darüber genommen haben«80. Damit sind Prämissen gemeint, »die nicht über syntaktische Verknüpfung von mehreren Teilsätzen. »Es ist eine Notwendigkeit: Wenn AaB und BaC, dann AaC.« 2. Die uneingeschränkte oder absolute Notwendigkeit (I 10,30b40: Hapl¨wß hanagkaïon) bezeichnet die semantische Verknüpfung von Subjekt und Prädikat innerhalb eines einzigen Satzes: »A kommt B mit Notwendigkeit zu.« 77 Vgl. dazu M.F. BURNYEAT, Enthymeme: Aristotle on the Logic of Persuasion, in: D. Furley / A. Nehemas (eds.), Aristotle’s Rhetoric: Philosophical Essays (Princeton, 1994) 14f. Der Umstand, dass die Syllogistik erst in den Analytiken zur Vollendung kommt, dient als Hauptbegründung für jene häufig vertretene Entwicklungshypothese, die Top. zeitlich vor An. pr. ansetzt (vgl. PRIMAVESI, Topik, 60f mit Anm. 6 und 7). 78 J. BARNES, Aristotle’s Theory of Demonstration, Phronesis 14 (1969) 123: »The method which Aristotle follows in his scientific and philosophical treatises and the method which he prescribes for scientific and philosophic activity in the Posterior Analytics seem not to coincide.« BARNES hat daraus die nicht unumstrittene These abgeleitet, dass die Syllogistik nicht eine Theorie der Forschungspraxis, sondern vielmehr eine der Lehre sein will (vgl. An. post. I 1,71a1f). 79 PRIMAVESI, Topik, 63–65 setzt diese drei Syllogismusarten mit den drei Arten des Frage- und Antwort-Logos in Verbindung (Top. VIII 5,159a25–b35; Soph. el. 2,165a38– b11): Dialog zwischen Übungspartnern (dialektische gumnasía), zwischen Streitenden (Eristik) und zwischen Lehrer und Schüler (Apodiktik). Apodiktische Syllogismen finden sich auch außerhalb solcher Dialoge, etwa im einfachen Lehrvortrag. Ferner wäre noch die rhetorische Situation zu berücksichtigen (vgl. dazu u. S. 63ff). 80 Top. I 1,100a27–29: hapódeixiß mèn o~u n hestin, “otan h ex haljq¨wn kaì pr´wtwn Ho sullogismòß ~∆ , ’j hek toioútwn “a diá tinwn pr´wtwn kaì haljq¨wn t¨j ß perì ahu tà gn´wsewß t`j n harc`j n e‘iljfen. Vgl. die sehr ähnliche Formulierung in An. post. I 2,71b20ff. Nach An. pr. I 1,24a30f muss eine Prämisse im apodiktischen Schluss »wahr und auf dem Wege über die Voraussetzungen vom Anfang her zur Annahme gelangt« sein (haljq`j ß kaì dià t¨wn hex harc¨jß Hupoqésewn e˙ljmménj). An. post. I 2,71b17f definiert den Beweis knapp als »den zum Wissen führenden Schluss« (hapódeixin dè légw sullogismòn hepistjmonikón).
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II. Antike Logik im Überblick
andere vermittelt, sondern durch sich selbst die Gewähr besitzen«81, weil sie entweder selbstevident sind oder als wissenschaftlich bewiesen gelten. Da solche Sätze nicht abgelehnt werden können, wird die apodiktische Prämisse in aller Regel nicht als Frage vorgelegt82. 2. Ein dialektischer Syllogismus (Top.) ist ein solcher, »welcher aus einleuchtenden (Annahmen) (hek hendóxwn) zum Schlussergebnis kommt.«83 Aristoteles selbst präzisiert: ‘ Endoxa »ist aber das, was allen oder den meisten oder den Weisen – und unter ihnen entweder allen oder den angesehensten und namhaftesten – so erscheint.« (Top. I 1,100b21– 23; eig. Übers.; vgl. auch I 10,104a8–11; I 14,105a34–105b3)
Der so verstandene dialektische Schluss bildet das Herzstück der Argumentation um ein gestelltes Problem, bei der Schlussfolgerungen nur aus Prämissen gezogen werden dürfen, die der Dialogpartner zugestanden hat84. Die Prämisse wird daher – den Gepflogenheiten damaliger Übungsgespräche entsprechend (s.u. S. 58f) – als Entscheidungsfrage gestellt85. Sie wird dem Partner zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt und im Falle einer Annahme als Grundlage für einen Schluss gebraucht. 3. Der rhetorische Schluss (Rhet.), der auch »Enthymem« genannt wird, gründet auf Regeln, Hinweisen und Sentenzen und dient v.a. als Beweismittel für den sachlichen Teil einer öffentlichen Rede. 4. Ein eristischer Syllogismus (Soph. el.) ist ein spitzfindiger und auf Streit ausgerichteter (so der Sinn des griech. heristikóß) Schluss:
81 Top.
I 1,100a30–100b21: tà m`j dih Hetérwn hallà dih ahut¨wn ‘econta t`jn pístin. Aristoteles erklärt sofort: »Man darf nämlich bei den wissenschaftlichen Anfangsgründen (hepistjmonikaïß harcaïß) nicht nach dem ›aufgrund wovon?‹ (tò dià tí) suchen, sondern (muß annehmen), daß jede der Anfangsannahmen (t¨wn harc¨wn) selbst für sich selbst beglaubigt ist (kaqh Heaut`j n e~inai pist´jn).« 82 An. pr. I 1,24a24: ohu gàr herwt^ä h allà lambánei Ho hapodeiknúwn. 83 Top. I 1,100a29f: dialektikòß dè sullogismòß Ho h ex h endóxwn sullogizómenoß. Bei diesen Prämissen handelt es sich nicht einfach um »wahrscheinliche Sätze« (so die Rolfes-Übersetzung), sondern um allgemein »akzeptierte« Sachverhalte, die von der gelehrten Mehrheit geteilt werden (opinio communis). H ÖFFE, Aristoteles, 54f: »Endoxa haben aber nichts mit objektiver (statistischer) Wahrscheinlichkeit (probabilitas) zu tun. [...] Gemeint ist auch nicht eine subjektiv begrenzte Gewißheit (verisimilitudo), schließlich nicht der erkenntnistheoretische Umstand, daß es für manche Aussagen statt hinreichender nur einleuchtende Gründe gibt. Der Ausdruck ist nämlich nicht abschwächend, sondern verstärkend gemeint; es geht um Aussagen, die nach allem, was man bislang weiß, richtig sind.« Vgl. weiterhin PRIMAVESI, Topik, 33, Anm. 11. 84 KAPP, Ursprung der Logik, 8. 85 Top. I 10,104a9f (hesti dè prótasiß dialektik`j h er´wtjsiß ‘ endoxoß); vgl. auch An. pr. I 1,24a24f (Hj dè dialektik`j her´wtjsiß hantifáse´wß hestin). In 24b12 verweist Aristoteles ausdrücklich auf die Topik (kaqáper hen toïß Topikoïß e‘irjtai).
49
B. Die aristotelische Termlogik
»der aus anscheinend Einleuchtendem, das es in Wirklichkeit aber nicht ist, (erfolgt), und der, welcher aus Einleuchtendem oder anscheinend Einleuchtendem nur scheinbar zusammenkommt« 86.
Aristoteles geht offenbar von zwei Grundformen aus: Ein Schluss auf der Grundlage von nur scheinbar akzeptablen Prämissen87 und ein scheinbarer Schluss auf der Grundlage von akzeptablen Prämissen. Letzteres verdient jedoch nicht die Bezeichnung »Schluss« (Top. I 1,101a3f)88. Schluss
Annahmen
Verwendung
Form
Schrift
apodiktisch
Wahres, Evidentes, Bewiesenes Akzeptiertes
Beweis, wissenschaftl. Erkenntnis Gespräch, Persuasion, Argumentation Öffentliche Rede
Wissenschaftl. Untersuchung Frage – Antwort
An. pr.
Inventio-Teil der Rede, Enthymem Dialog
Rhet.
dialektisch rhetorisch eristisch
Hinweise, allg. anerkannte Regeln scheinbar Akzeptiertes Streitrede
Top.
Soph. el.
Aus dieser Einteilung gehen zwei wichtige Aspekte hervor: 1. Das charakterische Merkmal eines gültigen Schlusses ist der »Wahrheitstransfer« von den Prämissen zur conclusio. Wenn also die Prämissen wahr sind, muss die Konklusion auch wahr sein. Damit im Überzeugungsgespräch ein Schluss als gültig angesehen werden kann, reicht es aus, dass die Prämissen von beiden Partnern akzeptiert werden89. 2. Ein Syllogismus kann bei Aristoteles verstanden werden als eine Form eines gültigen Arguments90. Dabei liegt der Unterschied zwischen apodiktischem und dialektischem Schluss nicht in der Stringenz der Beweiskette (beiden liegt ja die gleiche Grunddefinition zugrunde), sondern »im Grad der Evidenz«91. Darin wird nicht zuletzt auch die enge Verzahnung von abstrakter Logik und praktischer Argumentation erkennbar.
86 Top.
I 1,100b23–25: heristikòß dh hestì sullogismòß Ho hek fainoménwn hendóxwn m`j ‘ontwn dé, kaì Ho hex hendóxwn ’j fainoménwn hendóxwn fainómenoß. Mit der lakonischen Begründung »Denn nicht alles, was einleuchtend erscheint, ist auch einleuchtend.« (100b26) problematisiert Aristoteles die Stellung der Endoxa. 87 Ein bekanntes Beispiel eines »eristischen Schlusses« ist das sog. »Horn-Paradox« (DiogL. VII 187 = FDS, 1244–1246). Hier ist die erste Prämisse nur scheinbar akzeptabel: Prämisse 1: Was man nicht verloren hat, das besitzt man noch. Prämisse 2: Du hast keine Hörner verloren. Konklusion: Du hast Hörner. 88 In der modernen Logik nennt man solche Schlüsse »formal ungültig«. 89 Topics, transl. R. Smith (ClArS, 1997) 45: »Put briefly: whatever is (believed to be) deduced from believed premisses is believed.« 90 Topics, transl. Smith, 43: »His definition here [gemeint ist Top. I 1,100a25–27] […] comes close to embracing any sort of valid argument […], though it probably differs in some points from standard modern logical usage.« 91 FLASHAR, Aristoteles, 326.
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II. Antike Logik im Überblick
Im Folgenden soll die Logik des Aristoteles entlang dieser unterschiedlichen Kontexte für den Syllogismus dargestellt werden, wobei jedoch auf eine besondere Zusammenfassung der Eristik verzichtet wird92. 3. Logik in der Wissenschaft: Die Analytik (Syllogistik) Die rezeptionsgeschichtliche Wahrnehmung der Logik des Aristoteles hat zu einer Einschränkung auf die Syllogistik geführt. Die Tatsache, dass der »Syllogismus« auch im Zusammenhang von Top. und Rhet. von Bedeutung ist, sollte als Argument gegen derlei Einseitigkeiten genügen. Dennoch gehört die Syllogistik zu den herausragendsten Teilen der aristotelischen Logik und kann – im Gegensatz zur Topik – einem spezifischen philosophischen »Sitz im Leben« nicht deutlich zugeordnet werden93. a) Der syllogistische Schluss Es gehört zum logischen Basiswissen der modernen »traditionellen« Logik, dass ein »Syllogismus« die Beziehung zwischen drei Sätzen ausdrückt, wobei die ersten beiden eine obere und eine untere Prämisse und der dritte Satz die daraus zu ziehende Konklusion bilden. Besonders bekannt ist der »SokratesSyllogismus«, der als Ausgangspunkt für die Annäherung an das Verständnis des Aristoteles dienen soll: Alle Menschen sind sterblich. Sokrates ist ein Mensch. Sokrates ist sterblich.
[Obere Prämisse] [Untere Prämisse] [Konklusion]
Formalisiert kann dieser »Syllogismus« so wiedergegeben werden: Alle M sind P. S ist M. S ist P.
[Obere Prämisse] [Untere Prämisse] [Konklusion]
Aristoteles selbst hat weder dieses noch ein formal gleiches Beispiel formuliert. Die Unterschiede sind nicht ohne Bedeutung94: 1. Aristoteles formuliert seine Syllogismen in aller Regel nicht als drei Einzelsätze, sondern als einen Konditionalsatz mit zwei Prämissen (protáseiß) und einer Konklusion (sumpérasma)95. Der Sokrates-Syllogismus 92 Im
Rahmen der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit kann auf die »Meta-Logik« des Aristoteles verzichtet werden. Weite Teile der An. post. kommen daher hier nicht zur Sprache. Vgl. dazu LEAR, Aristotle and Logical Theory; PATZIG, Syllogistik, 137–196. 93 HÖFFE, Aristoteles, 49 hält es für möglich, dass Aristoteles Gepflogenheiten aus Debatten im akademischen Disputationsbetrieb systematisiert. Konkrete Hinweise fehlen jedoch. 94 Vgl. zum Folgenden PATZIG , Syllogistik, 11–24. 95 Diese Deutung ist von LUKASIEWICZ, Aristotle’s Syllogistic, 30–30 und dann von PATZIG, Syllogistik vertreten worden.
B. Die aristotelische Termlogik
51
wäre daher als Implikation zu formulieren: »Wenn alle Menschen sterblich sind und Sokrates ein Mensch ist, dann ist Sokrates sterblich.« Eine solche Deutung hat den Vorteil, dass sich über die Wahrheit des Syllogismus eine Aussage treffen lässt, die die gesamte Aussage und nicht drei Einzelaussagen betrifft96. Sie hat aber auch den Nachteil, dass sie den Beweischarakter des Syllogismus verdeckt97. Im Folgenden werden daher – der üblichen Darstellung folgend – Syllogismen mit drei Sätzen untereinander dargestellt. 2. Der Sokrates-Syllogismus wäre aber auch in der Formulierung als Konditionalsatz wohl kaum in der Syllogistik des Aristoteles anzutreffen, weil darin keine Indivualbegriffe wie »Sokrates« auftauchen98. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung besteht Aristoteles darauf, dass die benutzten Terme weder individuelle Gegenstände noch die höchste Allgemeinheit bezeichnen99. Diese Entscheidung ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass Aristoteles das Gebiet der Wissenschaft v.a. auf Ausdrücke beschränkt sieht, die sich weder auf das Einzelne noch auf das Allgemeinste beziehen100. Die verwendeten Terme müssen daher in der Prädikats- als auch in der der Nomenstellung verwendet werden können101. 3. Die geläufige Formulierung »S ist (hestín) P«, findet sich bei Aristoteles nicht102. Er bevorzugt vielmehr Formulierungen wie »Das A kommt B zu« (Hupárcei)103, »A wird ausgesagt von B« (légesqai katá oder katà katêgoreïsqai)104, »A folgt dem B« (hakolouqeïn)105 oder »B ist in A als 96 Deswegen
fällt es in der aristotelischen Formulierung einfacher, sich mit der Tatsache anzufreunden, dass gültige Schlüsse auch mit falschen Prämissen gebildet werden können. Vgl. etwa den Satz: »Wenn alle Gelehrten Brillen tragen und Theologinnen Gelehrte sind, dann tragen Theologinnen Brillen.« Dieser Satz ist als Konditionalperiode wahr, unabhängig von der Frage nach der Wahrheit der beiden Prämissen. 97 So der Haupteinwand von LEAR, Aristotle and Logical Theory, 8–11. 98 Die wenigen Ausnahmen stehen entweder in Beispielsätzen für unkorrekte Schlüsse (An. pr. II 27,70a16ff) oder als Terme, aus denen nichts geschlossen werden kann (An. pr. I 33,47b15ff). 99 An. pr. I 27,43a25–43; 43b12f. 100 Wird Gott als das Allgemeinste gedacht, dann hätte dies zur Konsequenz, dass »Gott« nicht Teil eines wissenschaftlichen Syllogismus sein kann. 101 Man kann zwar sagen »Sokrates ist ein Mensch«, aber man kann nicht sagen »einige Menschen sind Sokrates«. Am Rande sei vermerkt, dass FREGE eine sehr viel tiefere Analyse der Beziehung zwischen »Begriff« (als Bedeutung eines grammatikalischen Prädikats) und Gegenstand (als Bedeutung eines Nomens) geliefert hat, die sich im Nachhinein als philosophische Begründung für die vorsichtige Vorgehensweise des Aristoteles lesen lässt (vgl. Über Begriff und Gegenstand [1892], in: Ders., Funktion, Begriff, Bedeutung, 66–80). Ob Aristoteles sich über diese Probleme bewusst war, steht auf einem anderen Blatt. 102 Einfache Aussagesätze benutzt er gelegentlich, um konkrete Begriffe einzuführen (z.B. An. pr. I 2,25a6.9; II 27,70a21.26f), jedoch nicht wenn er mit Variablen arbeitet. 103 An. pr. I 4,26a25.36f; 26b3. 104 An. pr. I 4,25b37ff; I 2,24b27; I 2,25a1f. 105 An. pr. I 4,26a2; 4,26b6; 27,43b4.
52
II. Antike Logik im Überblick
einem Ganzen« (hen “ol^w e~inai “eteron Hetér^w)106. Manche dieser Formulierungen legen eine Analogie zur modernen Mengenlehre nahe107. Der Sokrates-Syllogismus müsste also aristotelisch umformuliert werden: »Wenn allen Menschen das Sterblichsein zukommt und wenn allen Hellenen das Menschsein zukommt, dann kommt allen Hellenen das Sterblichsein zu.«
Patzig betont zurecht, dass »[a]lle diese Ausdrucksweisen […] im Griechischen ebensowenig natürliche Rede wie im Deutschen« sind108. Er vermutet dahinter die Absicht, die logische Struktur der Sätze deutlicher zu machen. Zugleich umgeht Aristoteles damit die Vieldeutigkeit des Verbs »sein«, das als Kopula Nomen und Prädikat verbinden (z.B. »Alle Wale sind Säugetiere.»), aber auch Teil des Prädikats sein kann (z.B. »Der Morgenstern ist die Venus«)109. 4. Syllogismen werden meistens »deduktiv« gelesen, also von »oben« nach »unten«, von den Prämissen zum Schluss. Diese Beweisrichtung ist im Werk des Aristoteles jedoch eher selten. Es geht ihm zumeist um den Erweis von Gültigkeit als Hilfe für die Argumentationspraxis110. Der Syllogismus ist also »weniger deduktiv als explikativ zu lesen«111. b) Die Schlussfiguren Das besondere Merkmal der Syllogistik ist das Verfahren der hanálusiß (An. pr. I 38,49a19), in dem es darum geht, Terme (“oroi) zu finden und so anzuordnen, dass die Konklusion mit Notwendigkeit folgt. Aristoteles arbeitet dabei in den Beispielsätzen immer mit drei Termen: Oberterm (P), Unterterm (S) und Mittelterm (M). Seine Fragestellung ist rein formaler Art112: Welche »Figuren« (sc´jmata) lassen sich formal bestimmen, die unabhängig von den eingesetzten Begriffen immer dann zu wahren Konklusionen führen, wenn die Prämissen wahr sind? Die erste und grundlegende Figur definiert Aristoteles wie folgt: »Wenn drei Begriffe (“oroi) sich so zueinander verhalten, daß der letzte in dem mittleren ganz enthalten ist (hen “ol^w e~inai) und der mittlere in dem ersten ganz entweder enthalten ist oder nicht enthalten ist, dann muß sich notwendig (hanágkj) für die Eckbegriffe ein vollkommener Schluß (sullogismòn téleion) ergeben. […] Wenn nämlich A von jedem B und B von 106 An.
pr. I 2,24b27–30. Aristoteles, 50. 108 Syllogistik, 20. PATZIG beruft sich dabei nicht einfach auf sein griechisches Sprachgefühl, sondern auf den Analytik-Kommentar des Alexander von Aphrodisias. 109 Diese Unterschiede sind von FREGE, Begriff und Gegenstand, 67–69 herausgearbeitet worden. 110 Vgl. An. pr. I 27,43a22–24. 111 HÖFFE, Aristoteles, 53. 112 Aristoteles benutzt Begriffsvariablen (A, B, C); konkrete Beispiele verwendet er nur bei ungültigen Schlüssen (z.B. »Tier, Mensch und Stein« in An. pr. I 4,26a9). 107 HÖFFE,
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B. Die aristotelische Termlogik
jedem C (ausgesagt wird), so ist notwendig: A wird von jedem C ausgesagt (katjgoreïsqai). […] Entsprechend aber auch, wenn A von keinem B, B dagegen von jedem C (ausgesagt wird, dann gilt), daß A an keinem C vorliegen wird.« (An. pr. I 4,25b30–26a2)
Als Satz ausgedrückt: Wenn alle M P sind und alle S M sind, dann sind alle S P. In »traditioneller« Darstellung: Alle M sind P Alle S sind M Alle S sind P
MaP SaM SaP
[Große Prämisse oder maior] [Kleine Prämisse oder minor] [Konklusion]
Die folgenden Regeln sind zu beachten: a) Es kommen drei verschiedene Terme vor. b) In der Konklusion darf kein neuer Term auftreten. c) Der Mittelterm muss in beiden Prämissen erscheinen und sich auf den gleichen Inhalt beziehen. d) Der Mittelterm erscheint nicht in der Konklusion. Aristoteles erkannte, dass nicht nur die Satzart (affirmativ, negativ, allgemein und partikulär), sondern auch die Stellung des Mittelterms von entscheidender Bedeutung für die logische Struktur des Syllogismus ist. Bei den Syllogismen der ersten Figur steht der Mittelterm in der großen Prämisse in der Subjekt- und in der unteren Prämisse in der Prädikatstellung. Wenn zwei Allgemeinaussagen derart angeordnet sind, kann eine davon unterschiedliche Allgemeinaussage als notwendiger Schluss gezogen werden. Wenn der Mittelterm z.B. in beiden Prämissen in der Prädikatstellung erscheint, kann aus zwei Allaussagen nicht mehr auf eine davon unterschiedliche Allaussage notwendig geschlossen werden, wie sich aus dem folgenden Fehlschluss leicht ersehen lässt: »Wenn alle Männer Menschen sind und wenn alle Frauen Menschen sind, dann sind alle Frauen Männer.«
Die einzelnen aristotelischen Schlussfiguren richten sich daher nach dem Mittelterm, der in jeder Prämisse je in Subjekt- oder in Prädikatstellung erscheinen kann. Daraus ergeben sich rein rechnerisch vier Figuren: I.
MxP SxM SxP
PxM II. SxM SxP
MxP III. MxS SxP
PxM IV. MxS SxP
Aus Gründen, die in der Fachliteratur kontrovers diskutiert werden, hat Aristoteles jedoch die vierte Figur nicht eigens thematisiert113. Das x steht für die vier Modi affirmativ-allgemein (a), affirmativ-partikulär (i), negativallgemein (e) und negativ-partikulär (o). Wenn sich diese vier Satzarten auf 113 Das
Fehlen der vierten Figur ist auffällig in Anbetracht der Tatsache, dass Aristoteles für sein System Vollständigkeit beansprucht (An. pr. I 23,41b1–3). LUKASIEWICZ, Aristotle’s Syllogistic, 27 spricht von einem Flüchtigkeitsfehler, aber nach PRANTL, Geschichte der Logik, I, 367 ist diese Figur wissenschaftlich »schlechthin wertlos«; KANT nennt sie »unnatürlich« (»Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren«, [1762] in: Vorkritische Schriften, hrsg. A. Buchenau [Immauel Kants Werke 2; Berlin, 1912] 57; ähnlich Prior and Posterior Analytics, ed. W.D. Ross, 34f). PATZIG, Syllogistik, 117–127 schlägt vor, dass Figur IV im Rahmen der aristotelischen Methode gar nicht von Figur I unterschieden werden kann.
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II. Antike Logik im Überblick
drei Teilsätze (2 Prämissen und eine Konklusion) verteilen, ergibt das in jeder Figur 43 = 64 Kombinationsmöglichkeiten. Berücksichtigt man (wie seit dem frühen Mittelalter üblich) die Syllogismen der vierten Figur gibt es eine Anzahl von 256 Syllogismen. Davon sind insgesamt 24 Schlussformen logisch gültig114: Figur I: Figur II: Figur III: Figur IV:
a-a-a; [a-a-i]; a-i-i; e-a-e; [e-a-o]; e-i-o a-e-e; [a-e-o]; a-o-o; e-a-e; [e-a-o]; e-i-o a-a-i; a-i-i; e-a-o; e-i-o; i-a-i; o-a-o a-a-i; a-e-e; [a-e-o]; e-a-o; e-i-o; i-a-i
Die Figur I beinhaltet in der Konklusion alle vier Modi (a, e, i, o), Figur II nur zwei (e, o), Figur III ebenso zwei (i, o). Aristoteles unterscheidet weiterhin zwischen vollkommenen Schlüssen, deren Gültigkeit direkt evident ist (das gilt nur für die der ersten Figur!) und unvollkommenen Schlüssen, deren Schlüssigkeit nur indirekt evident ist, nämlich durch ihre Rückführung auf vollkommene Schlüsse (An. pr. II 1,52b38–53b3)115. Seit dem Mittelalter werden die gültigen Syllogismen mit folgendem Merkspruch bezeichnet116. Barbara, Celarent primae, Darii Ferioque; Cesare, Camestres, Festino, Baroco secundae; Tertia grande sonans recitat Darapti, Felapton, Disamis, Datisi, Bocardo, Ferison; quartae sunt Bamalip, Calemes, Dimatis, Fesapo, Fresison.
In der Fachliteratur werden diese Begriffe zur Bezeichnung der Schlussformen weiterhin verwendet. So kann z.B. ein Schluss der Art »Wenn alle Elefanten Tiere sind und alle Elefanten Rüsselträger sind, dann sind einige Rüsselträger Tiere« als Darapti der 3. Figur bezeichnet werden. Zusammenfassend (ohne die vierte Figur): Figur I MxP ∧ SxM → SxP
Figur II PxM ∧ SxM → SxP
Figur III MxP ∧ MxS → SxP
a-a-a e-a-e a-i-i e-i-o [e-a-o] [a-a-i]
e-a-e a-e-e e-i-o a-o-o [e-a-o] [a-e-o]
a-a-i a-i-i e-a-o e-i-o i-a-i o-a-o
114 Die
Barbara Celarent Darii Ferio
Cesare Camestres Festino Baroco
Darapti Datisi Felapton Ferison Disamis Bocardo
Schlüsse in eckigen Klammern bezeichnen sog. »schwache« Konklusionen, weil sie zwar gültig sind, aber weniger schließen, als möglich ist. Z.B.: Maior: Alle Menschen sind sterblich. Minor: Alle Griechen sind Menschen. Konklusion: Einige Griechen sind sterblich. 115 Dafür liegen drei Beweisarten vor: 1. Konversion (Umkehrung), 2. Reductio ad absurdum (Nachweis eines Widerspruchs bei gegenteiliger Annahme) und 3. Ekthesis (z.B. durch Einsetzen eines Unterbegriffes; selten verwendet). 116 Dabei bezeichnen die Vokale der Namen die Modi der beiden Prämissen und der Konklusion. Die Anfangsbuchstaben deuten auf die Konversionsregeln hin.
B. Die aristotelische Termlogik
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c) Exkurs: Die Induktion als »zweite Form« des Wissens Im Gegensatz zur modernen Logik beschäftigt sich Aristoteles aus wissenschaftstheoretischen Gründen auch mit einer Form des Wissens, die nicht syllogistisch verfährt. Auf der Ebene des wissenschaftlichen Diskurses steht neben dem Syllogismus die Induktion (hepagwg´j)117 als eine zweite Form der Sicherung von Wissen118. Aristoteles definiert den Fachterminus hepagwg´j (wörtlich »Heranführung«) als »Aufstieg vom Besonderen zum Allgemeinen«119. Er gibt selbst ein Beispiel dieser Vorgehensweise: »Wenn wirkungsvollster Steuermann der ist, der seine Sache versteht, und so beim Wagenlenker auch (usf.), dann ist auch überhaupt in jedem Belange, wer seine Sache versteht, der vorzüglichste.« (Top. I 12,105a14–16)
Bei der Induktion kommt der Wahrnehmung eine zentrale Rolle zu: »Einsichtig ist auch: Wenn es an einer bestimmten Sinneswahrnehmung (tiß a‘isqjsiß) mangelt, dann muß es auch an einem bestimmten Wissen (hepist´jmjn) mangeln, das man dann unmöglich ergreifen kann, – wenn wir uns doch Wissen aneignen über Heranführung oder Beweis (manqánomen ’j hepagwg¨∆ ’j hapodeíxei), und es erfolgt der Beweis von den allgemeinen Aussagen aus (‘esti dh Hj mèn hapódeixiß hek t¨wn kaqólou), die Heranführung dagegen von Aussagen über Teilbereiche aus (Hj dh hepagwg`j hek t¨wn katà méroß), und es ist unmöglich, das allgemeine ›über alles‹ zum Betrachtungsgegenstand zu machen, wenn nicht über Heranführung (hadúnaton dè tà kaqólou qewr¨jsai m`j dih hepagwg¨jß).« (An. post. I 18,81a38–81b2)
In der Induktion geht es nicht einfach um die Auflistung von Beispielen, sondern um den Transfer von empirisch verifizierbaren Einzelbeobachtungen zu einem allgemeinen Schluss. Dies ist nur aufgrund der Annahme möglich, dass es ein gesetzmäßiges Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Phänomenen gibt120. Dieses Verhältnis oder diese »Proportion« wird griechisch lógoß genannt, woraus sich die Analogie herleitet. Die aristotelische Induktion ist eine Analogiemethode: Der wahrnehmend denkende Mensch isoliert aus verschiedenen Phänomenen gemeinsame Elemente und zieht daraus einen Schluss.
117 Vgl.
ROSS, Analytics, 47–51.481–487; ausführlich und in Auseinandersetzung mit modernen Konzepten von Deduktion K. von FRITZ, Die hepagwg´j bei Aristoteles (1964), in: Ders., Grundprobleme der Geschichte der antiken Wissenschaft (Berlin, 1971) 623–676. 118 An. pr. II 23,68b13f: »Denn alles, was uns glaubwürdig vorkommt, kommt entweder über Schluß oder durch Heranführung.« (“apanta gàr pisteúomen ’j dià sullogismoü ’j hex hepagwg¨jß) Vgl. weiterhin An. pr. I 25,42a3f; II 23,68b32–37; An. post. I 1,71a5–11. 119 Top. I 12,105a13f: hepagwg` j dè Hj hapò t¨wn kaqh “ ekasta h epì tò kaqólou ‘ efodoß. Vgl. zum Wortgebrauch ROSS, Analytics, 481–485. 120 Eine solche Grundlage bildet die aristotelische Diskussion der »Ähnlichkeit« (Hj Homoiótjß) in Top. I 17,108a7–18,108b31 (vgl. DÜRING, Aristoteles, 80).
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II. Antike Logik im Überblick
Im Vergleich zum Syllogismus geht die Induktion den umgekehrten Weg. Das Wissen steigt vom Einzelnen zum Allgemeinen auf121. Der Schluss geschieht nicht aufgrund einer allgemeinen Wahrheit über einen Mittelbegriff, sondern aufgrund von Einzelbeobachtungen und einer diesen gemeinsamen Proportion (An. pr. II 23,68b15ff). Damit ein induktiver Schluss uneingeschränkt als wissenschaftlicher Beweis gelten kann, müssten aber alle Einzelfälle berücksichtigt werden122. Eine solche vollständige Induktion ist jedoch eine empirische Unmöglichkeit, da nicht alle Phänomene zu allen Zeiten registriert werden können. Das Problem einer solchen »vollständigen Induktion« stellt sich für Aristoteles jedoch nicht, weil es ihm bei der Induktion nicht um einen »Beweis« geht. Als stringente wissenschaftliche Beweisform ist die Induktion dem Syllogismus unterlegen123, aber für die Erfassung der ersten, weil eben nicht beweisbaren Prinzipien, ist eine Herleitung mittels Induktion unerlässlich124: »Es ist uns notwendig, die allerersten (Ausgangsbegriffe) mittels Heranführung zu erkennen (Hjmïn tà pr¨wta hepagwg¨∆ gnwrízein hanagkaïon); es ist so auch die Wahrnehmung, die in uns das Allgemeine einbildet (kaì gàr Hj a‘isqjsiß o“utw tò kaqólou hempoieï).« (An. post. II 19,100b3–5) »Von den Ursprüngen aber erkennt man die einen durch Induktion (t¨wn harc¨wn dh a”i mèn hepagwg¨∆ qewroüntai), die anderen durch Wahrnehmung (a˙sq´jsei), wieder andere durch eine Art von Gewöhnung (heqism¨^w tiní) und andere wieder anders.« (EN I 7,1098b3–5; übers. Gigon, 30f) »Die Induktion ist auch Prinzip des Allgemeinen (Hj mèn d`j hepagwg`j harc´j hestin kaì toü kaqólou), die Schlußfolgerung dagegen geht vom Allgemeinen aus (Ho dè sullogismòß hek t¨wn kaqólou). Es gibt Prinzipien, aus denen die Schlußfolgerung kommt (e˙sìn ‘ara harcaì hex ˆwn Ho sullogismóß) und die nicht wieder durch eine Schlußfolgerung gewonnen sind (ˆwn ohuk ‘esti sullogismóß). Also tritt da die Induktion ein (hepagwg`j ‘ara).« (EN VI 3,1139b29–32; übers. Gigon, 242f)
Syllogismus und Induktion bilden komplementäre Formen des Wissens. Der Syllogismus dient dem Nachweis von Gültigkeit, während die Induktion den Transfer von Einzelbeobachtungen in ein übergeordnetes Ganzes leistet. 121 Belege bei
Analytics, ed. Ross, 48 mit Anm. 1–4. pr. II 23,68b28f: »C ist das aus allen den Einzel(-Wesen und -Fällen) zusammen Bestehende; die Heranführung erfolgt ja über alle (Fälle).« (tò G tò hex Hapántwn t¨wn kaqh “ekaston sugkeímenon≥ Hj gàr hepagwg`j dià pántwn.) 123 Interessant ist die Gegenüberstellung in Top. I 12,105a16–19: »Dabei ist die Heranführung überzeugender, durchsichtiger, über Wahrnehmung leichter erkennbar und der großen Masse der Leute gemeinsam; der Schluß ist zwingender und gegenüber spitzfindigen Streitkünstlern wirksamer.« 124 ROSS, Analytics, 49 nennt als Beispiel das »Gesetz vom Widerspruch«: Indem der Mensch wahrnimmt, dass ein Gegenstand A nicht gleichzeitig die Eigenschaft B haben und nicht haben kann, und dass dies auch auf den Gegenstand C in Bezug auf die Eigenschaft D zutrifft usw., kann geschlossen werden, dass es ein generelles »Gesetz vom Widerspruch« gibt. 122 An.
B. Die aristotelische Termlogik
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4. Logik in der Diskussion: Die Dialektik (Topik)125 a) Vorüberlegungen Der Zusammenhang zwischen Logik und Argumentation tritt in der Topik deutlich zutage. »Dialektik« (von dialégesqai) bezeichnet die philosophische Schuldiskussion, bei der Thesen des Gegners angegriffen und eigene verteidigt werden. Das Ziel solcher Debatten besteht darin, aus akzeptierten Prämissen zu einem Schluss zu gelangen (s.o. S. 48). Für die praktische Bedeutung der Logik ist der Zusammenhang zur konkreten Argumentationspraxis von außerordentlicher Bedeutung. Was ein »Topos« ist, wird in der Topik nicht eigens definiert, doch findet sich die Bedeutung »Gesichtspunkt« oder »Gemeinplatz« für tópoß erstmals bei Aristoteles126. Es geht dabei um methodisch erschlossene Gesetzmäßigkeiten für die korrekte Aufstellung von Sätzen für Schlüsse und Beweise (vgl. Beispiele u. S. 124ff)127. Die Topik ist daher ein ausführliches an der Praxis der dialektischen Diskussionen in der Akademie orientiertes Lehrbuch der logischen Argumentationstechnik, das gültige »Gemeinplätze« dem Anspruch nach vollständig aufführt und diskutiert128. Aristoteles bietet erstmals ein theoretisches Nachschlagewerk, eine dialektische técnj, zum Erlernen der angemessenen »Topoi« in der Argumentation129. 125 DÜRING,
Aristoteles , 69–87; HÖFFE, Aristoteles, 53–8; Topics, transl. Smith. Rhet. I 2,1358a12–14 definiert Aristoteles tópoi als »die allgemeinen Gesichtspunkte (oÓ koinoí) in Bezug auf Recht, Natur, Politik und vieles andere verschiedener Art, wie beispielsweise der Topos des Mehr und Weniger.« (übers. Sieveke, 19); vgl. weiterhin Rhet. II 22,1396b30; 1397a7; II 26,1403a17f (tópoß = stoiceïon). Cicero, Top. 2,7 führt den technischen Begriff »Topos« klar auf Aristoteles zurück: »Wie also das Auffinden von Dingen, die im verborgenen liegen, dann leicht ist, wenn die Stelle gezeigt und bezeichnet ist, so müssen wir, wenn wir irgendein Argument aufspüren wollen, erst einmal die ›Stellen‹ (locos) kennen; so nämlich sind diese – man könnte sagen ›Sitze‹ (sedes) – von Aristoteles genannt worden, aus denen man die Argumente hervorholt.« (übers. Bayer, 10f) Die lateinische Rhetoriktradition entwickelte die Lehre von den Loci als Teil der inventio (vgl. Quintilian V,10,20: »›Stellen‹ (locos) nenne ich […], wo die Beweise ihren Sitz haben (sedes argumentorum), wo sie sich verbergen und man sie suchen muß.« [Rahn, I, 554f]). 127 FLASHAR, Aristoteles, 327; PRIMAVESI, Topik, 83–88. Obwohl der Syllogismus zentral für die Topik ist, wird in den Büchern II bis VII,2 nur äußerst spärlich darauf Bezug genommen. Das erklärt sich aus dem methodisch-praktischen Interesse dieser Schrift. 128 So schreibt er am Ende von Buch 7: »Die Gesichtspunkte (tópoi), mittels derer wir reichlich Vorrat haben, an jede gestellte Aufgabe Hand anzulegen, sind somit in etwa vollständig aufgezählt.« (Topik VII 5,155a36f) 129 Im Unterschied zu Platon ist für Aristoteles Dialektik eine Kunstfertigkeit wie Rhetorik oder Medizin (DÜRING, Aristoteles, 78). In der mittelalterlichen Loci-Tradition kam es allerdings zu einer Verwechslung der Loci mit den Argumenten selbst. Dadurch kam im 17. und 18. Jh. die Topik als unnütz in Verruf. Beim Auswendiglernen der Loci würde man – so hieß es – das Nachdenken unterlassen. Vgl. K. PETRUS, Genese und Analyse: Logik, Rhetorik und Hermeneutik im 17. und 18. Jahrhundert (QSP 43; Berlin, 1997) 23–28. 126 In
58
II. Antike Logik im Überblick
Der »Sitz im Leben« der Topik ist in den Schuldebatten und Argumentationsübungen in der Akademie zur Zeit Platons zu suchen130. Die Vorgehensweisen solcher verbalen Schlagabtausche waren klar geregelt: In der von der Topik her vorausgesetzten Standardsituation stehen sich im Gespräch zwei Diskussionspartner gegenüber, die die Rolle des Fragestellers (Ho herwt¨wn) und des Antwortenden (Ho hapokrinómenoß) übernehmen (z.B. I 18,108a23)131. Beide einigen sich auf einen Diskussionsgegenstand, der die Form eines bejahenden Aussagesatzes hat. Das Gespräch wird dadurch eröffnet, dass der Fragesteller dem Antwortenden den Gegenstand als Wahlfrage (próbljma) wörtlich »vor-wirft« (probállein) 132. Wenn der Antwortende daraufhin eine Position bezieht (qésiß), ist es Aufgabe des Fragestellers, diese anzugreifen (hepiceiréw). Je nachdem ob der Antwortende die Wahlfrage bejaht oder verneint, ist der Fragesteller bestrebt, den Sinn des Satzes »aufzuheben« (hanairéw, hanaskeuázw) oder diesen »aufzurichten« (kataskeuázw). Dieses Ziel versucht der Fragesteller anzusteuern, indem er Schlüsse zieht (sullogízomai), für die er der Zustimmung seines Gesprächspartners bedarf. Daher versucht er durch Entscheidungsfragen (protáseiß), die er diesem »hinstreckt« (proteínw), sein Einverständnis zu erzielen 133. Dabei muss er taktisch so vorgehen, dass die Verwendungsmöglichkeiten der Prämissen dem Gegner nicht sofort deutlich werden. Durch Fragen gelangt also der Fragesteller zu den Prämissen, die er dann einsetzt, um die Conclusio (tò sumpérasma) ziehen zu können, die das kontradiktorische Gegenteil der anfänglichen Position des Antwortenden zum Inhalt haben muss134.
130 Diese
Praxis kann relativ genau aus Top. I 10,104a3–11,105a9 und VIII erschlossen werden. Ich folge hier der Zusammenfassung in PRIMAVESI, Topik, 38–40. Ausführlicher dazu P. SLOMKOWSKI, Aristotle’s Topics (PhAnt 74; Leiden, 1997) 9–42. Die meisten der Beispiele in der Top. entnimmt Aristoteles den Werken Platons und den Diskussionen in der Akademie (vgl. I. DÜRING, Aristoteles, RE Suppl. 11 [1968] 189ff), so dass wir hier eine kreative Fortführung der platonischen Dialektik, bzw. eine methodische Systematisierung der Dihairesismethode Platons finden, mit der Aristoteles einer Forderung Platons selbst nachkommt (Platon, Soph. 253b.c). Vgl. zum Verhältnis der Top. zu Plato FLASHAR, Aristoteles, 326–328. 131 Das Frage-Antwort-Spiel ist für die aristotelische Dialektik grundlegend. Die Ursprünge dieser Form von Wahrheitsfindung gehen auf Sokrates zurück. 132 In Top. I 10–11 geht Aristoteles ausführlich darauf ein, was im Gespräch als Frage (prótasiß) und Problem (próbljma) annehmbar ist. Beispiele solcher »Wahlfragen« finden sich in I 4,101b32f (»Ist ›zweifüßiges Landlebewesen‹ eine Definition des Menschen oder nicht?«); I 11,104b7f (»Ist Lust erstrebenswert oder nicht? Ist die Welt ewig oder nicht?«). 133 Der Unterschied zwischen der als Frage formulierten Aufgabe (próbljma) und einer im Gesprächsverlauf fallenden Entscheidungsfrage (prótasiß) ist v.a. formeller Art (Top. I 4,101b26–36): Als próbljma gilt im dialektischen Gespräch eine Frage, die einer weiteren Diskussion bedarf (z.B. »Ist es der Fall [ãrá ge], daß ›zweifüßiges Lebewesen, zu Lande lebend‹ die Definition von ›Mensch‹ ist?«), während die Entscheidungsfrage auf eine einfache Ja-oder-Nein-Antwort abzielt (z.B. »Ist ›zweifüßiges Lebewesen, zu Lande lebend‹ die Definition von ›Mensch‹ oder nicht?«). Das »Problem« ist demnach disjunktiv, die »Wahlfrage« dagegen suggestiv (Zekl, 601, Anm. 64). 134 Die Fragen sind Lockmittel, um die eigene Meinung zu begründen. Der Antwortende muss »auf der Hut sein vor Konzessionen, die dem Fragenden zu seiner Schlußfolgerung verhelfen könnten. Denn wenn der Fragende zu seiner Schlußfolgerung gelangt, ist der
B. Die aristotelische Termlogik
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Absicht und Nutzen der Topik umreißt Aristoteles folgendermaßen: »Das Vorhaben der Untersuchung (besteht darin), eine methodische Vorgehensweise zu finden, aufgrund derer wir in der Lage sein werden, Schlüsse zu ziehen über jede zu behandelnde Streitfrage aus allgemein anerkannten Annahmen und, wenn wir selbst eine Sache verteidigen müssen 135, nichts Widersprüchliches zu sagen.«136 (Top. I 1,100a18–21; eig. Übers.)
Mit der in der Topik vorliegenden Studie (pragmateía) soll demnach eine »Methode«137 entfaltet werden, die an der Praxis der Diskussion orientiert ist. Das Ziel wird in doppelter Weise abgesteckt: Befähigung zur Bildung von nachvollziehbaren Schlüssen über jede Streitfrage und Widerspruchsfreiheit bei der eigenen Verteidigung138. Die in der Topik dargestellten Schritte und Kniffe sind von Bedeutung für die Ethik, Jurisprudenz, Politik, Rhetorik und Poetik 139. Von besonderem Nutzen sind sie jedoch in drei Bereichen (Top. I 2,101a26–28), denen der Bezug auf eine andere Person gemeinsam ist (Top. VIII 1,155b10f)140: Als 1. Übung für Schuldebatten, die nach der oben ausgeführten Form vor sich gehen, 2. für den lockeren Gedankenaustausch in der Diskussion mit Ungeschulten auf der Grundlage ihrer Meinung und 3. für die philosophische Diskussion, um das Für und Wider aller wissenschaftlichen Meinungen zu untersuchen.
Die Dialektik steht im Dienst der Wahrheit. Es geht ihr nicht einfach um den möglichst schnellen Sieg141. Sie hat jedoch eine negative Grundtendenz: am Ende bewährt sich indirekt nur das, was allen Kritikversuchen zu widerstehen vermag. Antwortende offensichtlich der Verlierer, da er gezwungen ist zu leugnen, was er zu Beginn behauptet hatte, oder umgekehrt.« (KAPP, Ursprung der Logik, 18) 135 Zum Gebrauch des Verbs Hupécw vgl. S LOMKOWSKI, Aristotle’s Topics, 9, Anm. 1. 136 H J mèn próqesiß t¨j ß pragmateíaß méqodon eHureïn h afh ˆ jß dunjsómeqa sullogízesqai perì pantòß toü proteqéntoß probl´jmatoß hex hendóxwn, kaì ahutoì lógon Hupéconteß mjqèn heroümen Hupenantíon. Vgl. zur Stelle Topics, transl. Smith, 41–43. 137 Ich gehe von einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen unserem Begriff »Methode« und dem aristotelischen Gebrauch von méqodoß aus. Einer semantischen Bestimmung, die méqodoß praktisch zum Synonym von pragmateía macht (Topics, transl. Smith, 41), stehe ich gerade von dieser Textstelle her sehr skeptisch gegenüber. Die Methode ist nicht identisch mit der Untersuchung, sondern Gegenstand derselben. Der Zusammenhang mit dem Verb eHureïn und dem anschließenden Relativsatz (hafh ˆjß …) macht deutlich, dass es um die Systematisierung einer für die praktische Diskussion bestimmten Vorgehensweise geht. 138 PRIMAVESI, Topik, 31 stellt die im Zusammenhang dieser Praxis leicht nachvollziehbare These auf, dass die doppelte Zielsetzung der Topik den komplementären Rollen von Fragesteller und Antwortendem entspricht: Ersterem soll sie dazu verhelfen, gültige Schlüsse aus akzeptierten Annahmen zu ziehen; Zweiterem, sich bei seiner Verteidigung nicht in Widersprüche zu verfangen. 139 FLASHAR, Aristoteles, 328f. 140 Obwohl auch eine Debatte mit sich selbst möglich ist (Top. VIII 14,163b3f; vgl. VIII 1,155b5f). 141 In klarer Abgrenzung von der sophistischen Praxis (vgl. Met. IV 2,1004b26; Top. I 1,100b23ff; Soph. el. 11,171b3–172b8).
60
II. Antike Logik im Überblick
b) Die vier Prädikatsklassen Besonders wichtig für den Inhalt und den Gesamtaufbau der Topik ist die »Einteilung aller prädizierten, d.h. mit einem bestimmten Subjekt verbundenen Prädikate (katjgoroúmena) in vier Klassen, die jeweils durch eine bestimmte Relation zwischen Prädikat und Subjekt gekennzeichnet sind«142. Diese vier Klassen liegen den über 300 (!) Topoi zugrunde, aus denen die Sätze für Schlussverfahren gewonnen werden, und dienen als Einteilung für die gesamte Topik143: »Gemäß der jetzt vorgenommenen Einteilung ergibt sich, daß es insgesamt vier sind, entweder Begriffsbestimmung oder eigentümlich oder Gattung oder nebenbei zutreffend (’j “oron ’j ‘idion ’j génoß ’j sumbebjkóß).« (Top. I 4,101b24f)
1. Eine Definition (“oroß) ist für Aristoteles eine Rede – also mehr als ein gleichbedeutendes Wort –, die das Wesen, die Essenz, die Substanz von etwas bezeichnet144. Die schwer verständliche Wendung tò tí ~jn e~inai (wörtlich: »das Was-es-zu-sein-war«) bezieht sich auf das, was es für X bedeutet, X zu sein145. Es gibt neben der Definition im strengen Sinne auch definitorische Bestimmungen, wie z.B. »Das Schöne ist das Anständige«, die aber dem gleichen Kriterium unterliegen, wesentlich zwischen Identität und Differenz zu scheiden. Eine bei Aristoteles sehr häufige Definition von Mensch wäre z.B. »zweibeiniges, zu Lande lebendes Lebewesen« (Top. I 4,101b30f). 2. Als Proprium (‘idion) gilt, was zwar nicht das Wesen eines Gegenstandes bezeichnet, aber doch etwas, was nur diesem eigentümlich ist und »wechselweise voneinander ausgesagt« werden kann146. Die Forderung der wechselseitigen Aussagbarkeit ist nicht leicht zu deuten. In der modernen Forschung vermutet man dahinter die Koextension beider Begriffe147: Wenn A das Proprium von B ist, dann wäre umgekehrt auch B ein Proprium von A. So wäre z.B. der Schlaf kein Proprium des Menschen, weil dies auch auf andere Lebewesen zutrifft, die Schreibfähigkeit jedoch wäre ein Proprium (zumindest nach damaliger Auffassung). Eine genaue Abgrenzung jedoch zur »Definition« wird durch den Begriff des »Wesentlichen« erschwert148. 142 PRIMAVESI,
Topik, 89. zum Inhalt FLASHAR, Aristoteles, 238–240 und DÜRING, Aristoteles, 72–86. 144 Top. I 5,101b38: ‘esti dh “oroß mèn lógoß Ho tò tí ~j n e~ inai sjmaínwn. 145 Topics, transl. Smith, 60. Zur Problematisierung der Definition äußert sich Aristoteles ausführlich in Top. VI und An. post. II 8,93a1–10,94a19. 146 Top. I 5,102a18f: ‘ Idion dh h estìn “o m`j djloï mèn tò tí ~jn e~inai, món^ w dh Hupárcei kaì hantikatjgoreïtai toü prágmatoß. 147 Topics, transl. Smith, 61f. Als Extension gilt in der Logik der Umfang eines Begriffs, bzw. die Gesamtheit der unter diesen Begriff fallenden Gegenstände. 148 Wäre für Aristoteles Schreibfähigkeit kein Teil der Definition eines Menschen, weil man auch ohne eine solche wohl zur Spezies Mensch zu rechnen ist? Oder wäre für Aristoteles allenfalls die potentielle Schreibfähigkeit dem Menschen wesentlich? 143 Vgl.
61
B. Die aristotelische Termlogik
Weitere Differenzierungen zeigen, dass Aristoteles es sich mit dem Problem des Propriums nicht leicht gemacht hat149. 3. Gattung (génoß) ist, »was über mehrere (Gegenstände), die der Art nach verschieden sind, in dem Bereich ›was ist es?‹ ausgesagt wird«150. Eine Gattung liegt also vor, wenn man von unterschiedlichen Dingen auf die Frage »Was ist das Vorliegende?« (I 5,102a34: tí hesti tò prokeímenon) die gleiche Antwort geben kann. So wäre z.B. »Lebewesen« Antwort auf die Frage »Was ist X?«, wenn X für »Mensch«, »Rind« oder »Albatros« stünde. 4. Alles, was weder Definition noch Proprium noch Gattung ist, aber dennoch auf einen beliebigen Gegenstand zutreffen (oder auch nicht zutreffen) kann, nennt Aristoteles »nebenbei zutreffend« oder Akzidenz (sumbebjkóß)151. Es geht um Bestimmungen, die in Bezug auf das Subjekt entweder zeitlich variabel sein können (z.B. die sitzende Haltung hinsichtlich einer bestimmten Person) oder nicht notwendigerweise zu diesem Subjekt gehören müssen (z.B. die Farbe weiß in Bezug auf einen Gegenstand). Die Grenzen sind jedoch zuweilen durchlässig: Wenn die Extension eines Begriffes nur ein Element umfasst (z.B. wenn sich die Menge der Sitzenden zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine Person reduziert), dann kann dieses »nebenbei Zutreffende« zum Proprium werden, weil die Bestimmung »der Sitzende« eine eindeutige Referenz darstellt (Top. I 5,102b20–26). 1. Klasse
2. Klasse
3. Klasse
4. Klasse
griech.
“oroß
‘idion
génoß
sumbebjkóß
lat.
definitio
proprium
genus (differentia specifica)
accidens
dt.
Definition
charakteristisches Merkmal
Art, Gattung
Akzidenz, Ereignis
Top I 5
101b38–102a17
102a18–30
102a31–102b3
102b4–26
Topoi152
Top. VI–VII (112 Topoi)
Top. V (35 Topoi)
Top. IV (74 Topoi)
Top. II–III (91 Topoi)
149 In
Top. V 1,128b34–129a5 unterscheidet Aristoteles vier Arten des Propriums: gattungsbildende Unterschiede (kaqh aHutó), Relationsattribute (pròß “eteron), immer vorhandenes Proprium (haeí) und zeitweilig vorhandenes Proprium (poté). 150 Top. I 5,102a31f: Génoß dh hestì tò katà pleiónwn kaì diaferóntwn t¨^w e‘idei h en t¨^w tí hesti katjgoroúmenon. Zur Unterscheidung zwischen »Gattung« und »Art« vgl. Topics, transl. Smith, 63f. 151 Top. I 5,102b4–7: Sumbebjkòß dé h estin ”o mjdèn mèn toútwn hestí, m´jte “oroß m´jte ‘idion m´jte génoß, Hupárcei dè t¨^w prágmati, kaì ”o hendécetai Hupárcein Hot^woün Henì kaì t¨^w ahut^¨w kaì m`j Hupárcein. Der Terminus technicus sumbebjkóß ist Part. Perf. von sumbaínw (»zusammenkommen, zutreffen, sich ereignen, widerfahren«). 152 Zahlenangaben nach der Einleitung, in: Organon (Bd. 1), hrsg. Zekl, LXXVI, CVIII– CXV.
62
II. Antike Logik im Überblick
c) Die vier Werkzeuge (Top. I 13–18) Aristoteles gibt seinen Schülern vier Werkzeuge (‘organa) in die Hand, um Schlüsse (sullogismoí) zu finden (Top. I 13,105a20–25)153: 1. Die logische Erfassung von Prämissen (tò protáseiß labeïn; vgl. I 14) zu den drei Bereichen Ethik, Natur und Logik154 bedarf der genauen Sammlung von Gelehrtenmeinungen (sog. Endoxa, s.o. S. 48) und eingehender Beschäftigung mit niedergeschriebenen Reden. Durch gezieltes Fragen werden im Gespräch die dialektischen Prämissen gefunden. Dabei schöpfen die Dialogpartner entweder direkt Aussagen aus dem Reservoir der Meinungen und Reden155 oder sie bilden eigenständige Sätze, die aber den Endoxa ähnlich sind. Für die dialektische Situation ist es ausreichend, sich auf angesehene Meinungen zu stützen, wohingegen die Wissenschaft auf eindeutig Wahrem fußen sollte (I 14,105b30f). 2. Die Fähigkeit zur semantischen Einteilung von Mehrdeutigkeiten (tò posac¨wß “ekaston légetai dúnasqai dieleïn) wird durch eine Reihe von kritischen Schritten geschärft (vgl. I 15), etwa durch die Betrachtung gegenteiliger Begriffe (z.B. »scharf-dumpf« in Bezug auf die Stimme und »scharfstumpf« in Bezug auf Gegenstände), durch Prüfung der Gattungen (z.B. »Bock« als Tier, »Bock« als Sportinstrument) oder durch Verwendung in unterschiedlichen Zusammenhängen (z.B. bedeutet »hell« in den Wendungen »helle Stimme« und »heller Himmelskörper« nicht das gleiche). 3. Das Auffinden von Unterschieden (tò tàß diaforàß eHureïn; vgl. I 16) hat nicht zum Ziel, festzustellen, dass Dinge unterschiedlich sind, sondern aufgrund welcher Eigenschaften sie sich voneinander unterscheiden. Unterschiede zwischen Dingen, die zu unterschiedlichen Gattungen gehören (z.B. »Fisch« und »Fahrrad«), sind weniger interessant als solche, die innerhalb der gleichen Gattung vorkommen. Erst dann kann man von wirklichen »Differenzen« reden, die innerhalb der Gattung eine Art von der anderen unterscheiden156. 4. Die kritische Prüfung von Ähnlichkeit (Hj toü Homoíou skéyiß; vgl. I 17) ist ein zum Auffinden von Unterschieden komplementärer Prozess. Auch hier gilt die Unterscheidung zwischen gattungsverschiedenen und artverschiedenen Dingen. Gehören die Dinge zu unterschiedlichen Gattungen, dann lassen 153 Aristoteles
geht hierbei nach dem »dihairetischen« Prinzip von Trennen und Definieren vor. 154 In Top. I 14,105b20f zählt Aristoteles mérj tría auf: aÓ mèn gàr hjqikaì protáseiß e˙sín, aÓ dè fusikaí, aÓ dè logikaí. 155 Aristoteles stellt bereits die Forderung des Quellenbelegs: »Dazu muß man anmerken, daß es Meinung dieses oder jenes Mannes ist.« (Top. I 14,105b16) 156 In Top. VI 6,143b3–10 unterscheidet Aristoteles entsprechend zwischen »Unterschieden der Gattung« (toü génouß diaforá) und »artbildenden Unterschieden« (e˙dopoiòß diaforá).
B. Die aristotelische Termlogik
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sich analoge Strukturen finden (z.B. das Wissen verhält sich zu dem, was man wissen kann, wie die Wahrnehmung zum Wahrnehmbaren). Gehören sie aber zur gleichen Gattung, dann sind gemeinsame Merkmale, die die Ähnlichkeit begründen, zu suchen. d) Würdigung Die Topik gewährt zwar einen anderen Blickpunkt auf praktische Anwendungen der Logik, sie erweist sich jedoch wesentlich sperriger gegenüber den Interessen der modernen Logik als die Syllogistik. Hier ist Logik kein formales Analyseinstrument zur Prüfung der Gültigkeit von Schlüssen, sondern ein Übungsfeld für das Auffinden von schlagenden Argumenten. In ihrer kaum überschaubaren Vielfalt und fehlenden Systematizität ist die aristotelische Topik exegetisch schwer anzuwenden157. 5. Logik in der Rede: Das »Enthymem« (Rhetorik)158 a) Logik als rhetorisches Überzeugungsmittel Die Beziehung zwischen Logik und Rhetorik war in der Philosophiegeschichte selten frei von Spannungen159. Für Aristoteles, der sich damit zwischen seinem Lehrer Platon und den sophistischen Rhetorikern positioniert, gehören Logik und Rhetorik keinesfalls in konkurrierende Lager160; vielmehr bildet
157 Der
knappe Exkurs u. S. 124ff stellt einen Anwendungsversuch dar. zum Enthymem die vorzügliche Studie von J. SPRUTE, Die Enthymemtheorie der aristotelischen Rhetorik (AAWG.PH 3:124; Göttingen, 1982) und zur Begriffsgeschichte M. KRAUS, Art. Enthymem, HWRh 2 (1994) 1197–1222. Vgl. weiterhin: W.M.A. GRIMALDI, The Centrality of the Enthymeme, in: Ders., Studies in the Philosophy of Aristotle’s Rhetoric (Hermes Einzelschriften 25; Wiesbaden, 1972) 53–82; S. SCHWEINFURTH-WALLA, Studien zu den rhetorischen Überzeugungsmitteln bei Cicero und Aristoteles (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft 9; Tübingen, 1984) 38–64; BURNYEAT, Enthymeme, 3–55; M. WÖRNER, Das Ethische in der Rhetorik des Aristoteles (München, 1990) 352–357. 159 G. GABRIEL, Logik und Rhetorik der Erkenntnis (Explicatio; Paderborn, 1997) führt den Niedergang der Rhetorik in der Moderne darauf zurück, »daß ihr methodologischer Teil, insbesondere die Lehre von den rhetorischen Schlüssen, gegenüber der Lehre vom Ausdruck (elocutio) ins Hintertreffen geraten ist, so daß Rhetorik schließlich nicht mehr als Theorie der Rede, sondern der Redefiguren, ja, des Redeschmucks verstanden worden ist.« (13) Vgl. auch P. RICŒUR, Die lebendige Metapher (Übergänge 12; München, 1986) 13f. Durch hermeneutische und postmoderne Positionen hat die Rhetorik in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Manchen postmodernen Philosophen gilt sie sogar als »Gegenmittel« gegen die Logik. Vgl. etwa P. de MAN, Allegorien des Lesens (es 1357; Frankfurt a.M., 1988) 40: »Rhetorik ist die radikale Suspendierung der Logik und eröffnet schwindelerregende Möglichkeiten referentieller Verirrung.« 160 Vgl. S PRUTE, Enthymemtheorie, 41–55; SCHWEINFURTH-W ALLA, Überzeugungsmittel, 19–24. Der Nexus zwischen beiden Disziplinen war auch im Mittelalter ungebrochen. Vgl. 158 Vgl.
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II. Antike Logik im Überblick
Logik (neben Psychologie!) einen Grundpfeiler der Rhetorik161. Das wird nicht nur daran ersichtlich, dass die Topik zu weiten Teilen in Bereiche der Rhetorik hineingreift162, sondern auch daran, dass Aristoteles für seine Syllogistik mit den drei Schlussfiguren Gültigkeit für die Rhetorik beansprucht163, insofern diese das Ziel verfolgt, mit vernünftigen Schlüssen eine These zu belegen und Andersdenkende zu überzeugen164. Bereits in der Einleitung seines rhetorischen Lehrbuchs macht Aristoteles den Zusammenhang unmissverständlich klar: »Von den durch die Rede geschaffenen Überzeugungsmitteln (t¨wn dè dià toü lógou porizoménwn pístewn) gibt es drei Arten: Sie sind zum einen im Charakter des Redners angelegt (hen t¨^w ‘jqei toü légontoß), zum anderen in der Absicht, den Zuhörer in eine bestimmte Gefühlslage zu versetzen (hen t¨^w tòn hakroat`j n diaqeïnaí pwß), zuletzt in der Rede selbst, indem man etwas nachweist oder zumindest den Anschein erweckt, etwas nachzuweisen (hen ahut^¨w t¨¨^w lóg^w dià toü deiknúnai ’j faínesqai deiknúnai). Durch den Charakter geschieht dies, wenn die Rede so dargeboten wird, daß sie den Redner glaubwürdig erscheinen läßt (“wste haxiópiston poi¨jsai tòn légonta). Den Anständigen glauben wir nämlich eher und schneller (toïß gàr hepieikési pisteúomen mällon kaì qätton), grundsätzlich in allem, ganz besonders aber, wo es eine Gewißheit nicht gibt (tò hakribèß m`j ‘estin), sondern Zweifel (tò hamfidoxeïn) bestehen bleiben. […] Mittels der Zuhörer überzeugt man, wenn sie durch die Rede zu Emotionen verlockt werden (“otan e˙ß páqoß Hupò toü lógou proacq¨wsin). Denn ganz unterschiedlich treffen wir Entscheidungen, je nachdem, ob wir traurig oder fröhlich sind, ob wir lieben oder hassen (hapodídomen tàß kríseiß lupoúmenoi kaì caíronteß, ’j filoünteß kaì misoünteß). […] Durch die Rede (dià dè toü lógou [gemeint ist die logische Argumentation]) endlich überzeugt man, wenn man Wahres oder Wahrscheinliches aus jeweils glaubwürdigen Argumenten darstellt (“otan haljqèß ’j fainómenon deíxwmen hek t¨wn perì “ekasta piqan¨wn). Da Überzeugung nur durch diese drei Mittel erfolgt (aÓ písteiß dià toútwn e˙sí), ist augenscheinlich, daß nur der sie erreichen wird, der Schlüsse ziehen (toü sullogísasqai dunaménou), über Charakterzüge und Vorzüge und drittens über Affekte urteilen kann (toü qewr¨j sai perì tà ‘jqj kaì perì tàß haretàß kaì tríton [toü] perì tà páqj) […] 25 Daraus ergibt sich, daß die Rhetorik gewissermaßen ein Schößling der Dialektik und der Beschäftigung mit Ethik ist J. FRIED (Hrsg.), Dialektik und Rhetorik im früheren und hohen Mittelalter (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 27; München, 1997). 161 Vgl. die relativ häufigen Hinweise auf die Analytiken in Rhet. I 2,1356b9; 1357a30; 1357b25; II 25,1403a5.12. 162 Die Rhetorik umfasst folgerichtig auch eine Sammlung von Topoi (Rhet. II 22,1395b20–24,1402a29). Hier kann sich der Redner heuristische Hilfestellung holen, um für den inventio-Teil der Rede die angebrachten Enthymeme zu finden. 163 In An. pr. II 23,68b9–13 stellt er fest, »daß nicht nur die dialektischen und apodiktischen Schlüsse (oÓ dialektikoì kaì hapodeiktikoì sullogismoí) durch die aufgeführten Figuren (scjmátwn) gehen, sondern auch die rhetorischen (oÓ Hrjtorikoí) und überhaupt jedes Mittel zur Überzeugung, welches auch immer und einerlei, nach welchem Verfahren (méqodon) herbeigeführt.« (eig. Übers.) 164 Rezeptionsgeschichtlich interessant ist die Tatsache, dass in der einflussreichen arabischen Aristoteles-Tradition Rhetorik und Poetik noch als Teil des Organon angesehen und nicht wie in den modernen Editionen auseinandergerissen wurden. Vgl. dazu BLACK, Rhetoric and Poetics.
B. Die aristotelische Termlogik
65
(parafuéß ti t¨jß dialektik¨j ß e~inai kaì t¨jß perì tà ‘jqj pragmateíaß), die die Bezeichnung ›Staatskunst‹ (politik´j n) 165 verdient.« (Rhet. I 2,1356a1–28 übers. Krapinger, 12f)166
Insofern das Ziel der Beeinflussung oder Veränderung fremder Meinungen und Urteile nicht mit den Mitteln der Gewalt, der Bestechung oder der Magie erreicht werden soll, bleibt als wichtigstes und vernünftigstes (wenngleich nicht immer auch erfolgreichstes) Überzeugungsmittel einzig die Sprache167. Dies entspricht dem weit verbreiteten Selbstverständnis der antiken Rhetorik als eine »Kunst der sprachlichen Überzeugung«168. In der ihm eigenen analytischen Schärfe und auf Grundlage bis heute gültiger empirischer Beobachtungen gelangt Aristoteles zu einer Dreiteilung der sprachlichen Überzeugungsmittel (písteiß)169: 1. Charakter (~j qoß): Auf welche Art und Weise weckt ein Sprecher durch seine Rede Sympathie für seine Person und das Vertrauen seiner Zuhörer und Zuhörerinnen in seine Glaubwürdigkeit und Kompetenz, um damit eine Übernahme seiner Ansichten und Handlungsweisen zu erleichtern? 2. Affektsteuerung (páqoß): Welche sprachlichen Mittel werden eingesetzt, um jene Gefühlsregungen hervorzurufen, die den eigenen Zielsetzungen förderlich sind? 3. Logische Argumentation (lógoß)170: Inwiefern sind die vorgetragenen Argumente sachlich-logisch schlüssig und nachvollziehbar?
165 Die
Rhetorik ist natürlich nicht einfach eine um politisches Wissen erweiterte Dialektik, denn als técnj bringt sie auch eigene Leistungen hervor. 166 Vgl. den Rückbezug auf diesen Text in I 4,1359b9–11 und einen Abschnitt ähnlichen Inhalts in II 1,1377b20ff. Zur Auslegung des Textes W.M.A. GRIMALDI, Aristotle, Rhetoric I: A Commentary (New York, 1980) 38–45. Cicero empfiehlt unter Rückbezug auf diesen Anfangstext der aristotelischen Rhetorik, dass sich der Redner Kenntnisse in der »benachbarten Disziplin der Dialektik« aneignen sollte (Orator 32,113f = FDS, 38). Dort berichtet er auch davon, wie Zenon, der Gründer der Stoa, das Verhältnis von Logik und Rhetorik gestisch zu erklären pflegte: »Er preßte nämlich die Finger zusammen und machte eine Faust; dazu erklärte er dann, so sei die Dialektik; wenn er andererseits die Finger auseinanderspreizte und die Hand öffnete, dann erklärte er, die Beredsamkeit ähnele dieser flachen Hand.« (Orator 32, 113 = FDS, 38) 167 Es gibt nach Rhet. I 2,1355b35–39 neben den písteiß ‘entecnoi auch nichtrhetorische Überzeugungsmittel (písteiß ‘atecnoi), wie z.B. Zeugen, Folterungen, Schriftdokumente usw. Die nicht-rhetorischen Beweismittel liegen vor, die rhetorischen müssen erst »gefunden« (inventio) werden. Die spätere lateinische Nomenklatur unterscheidet entsprechend zwischen genus artificiale probationum und genus inartificiale probationum. 168 Die »Überredung« oder »Überzeugung« (peíqein) gilt in der gesamten Antike als die dominante Funktion der Rhetorik. Rhetorik als »Kunst des schönen Ausdrucks« (e~u légein) tritt demgegenüber zurück. Vgl. dazu MARTIN, Antike Rhetorik 2–4. 169 Vgl. zum semantischen Spektrum des aristotelischen pístiß-Begriffs SPRUTE, Enthymemtheorie, 59f. GRIMALDI, Aristotle Rhetoric I, 39 betont zu Recht, dass es bei den drei elementaren písteiß um sprachliche Ausdrucksweisen geht, weswegen hier am ehesten die Bedeutung »Überzeugungsmittel« ins Zentrum gerückt wird. 170 Der griech. Chamäleonbegriff lógoß schwankt in der Rhetorik des Aristoteles zwischen allgemein »Rede« und spezifisch »Argument« oder »logisch-sachliche Erklärung«.
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II. Antike Logik im Überblick
Mit einem solch umfassenden Modell verfolgt der Philosoph die Absicht, einer funktionellen Reduktion der Rhetorik auf den Aspekt der Affektsteuerung einen Riegel vorzuschieben (vgl. Rhet. I 2,1356b16f)171. Dieses Zusammenwirken ethischer, pathetischer und sachlicher Überzeugungsmittel gehört seit Aristoteles in verschiedenen Variationen zum rhetorischen Grundwissen172. Die bleibende Aktualität des aristotelischen Dreierschemas wird durch die moderne Argumentationsforschung indirekt dadurch bestätigt, dass weiterhin die Entstehung und Veränderung von Überzeugungen im Hinblick auf Sender, Empfänger und Nachricht untersucht werden (Sender ≈ Ethos; Empfänger ≈ Pathos; Nachricht ≈ Logos)173. Es bleibt insgesamt umstritten, ob Aristoteles dem sachlichen Argument innerhalb dieser Trias eine vorrangige Stellung zugewiesen hat. Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass in Rhet. I 1,1354a1–1355b25 – in scharfer Abgrenzung gegenüber bisherigen Entwürfen – eine rhetorische Methode in Aussicht gestellt wird, die beinahe ausschließlich an der Logik orientiert zu sein scheint. Der Argumentationsgang in I 1,1355a3–15 führt zwangsläufig zu einer Vorrangstellung des syllogismusartigen Enthymems. Ein guter Redner zeichnet sich dadurch aus, dass er ein guter »Enthymematiker« ist (I 1,1354b21f: henqumjmatikóß). Die »Königswürde« des Enthymems als s¨wma t¨j ß Vgl. dazu GRIMALDI, Aristotle, Rhetoric I, 39f; J.M. COOPER, Ethical-Political Theory in Aristotle’s Rhetoric, in: Furley / Nehamas, Aristotle’s Rhetoric, 197, Anm. 8. 171 Dass die Rhetorik sich nie völlig aus dem Gefahrenbereich dieser Reduktion bewegen konnte, bedarf im Zeitalter massenmedialer Überzeugungsmechanismen keiner weiteren Begründungsversuche. Rhet. I 1,1354a14–18: Die bisherigen Rhetorik-Bücher »sprechen nämlich nicht von den Enthymemen, worin doch gerade die Grundlage der Überzeugung besteht; was jedoch außerhalb der eigentlichen Aufgabe liegt, damit befassen sie sich zumeist: Denn Verdächtigung, Mitleid, Zorn und dergleichen Affekte der Seele zielen nicht auf die Sache selbst, sondern auf den Richter.« (übers. Sieveke, 7) 172 Einige Beispiele in chronologischer Reihenfolge: Dionysius Halic. (I v.Chr.), Lys 19,1–4 unterteilt die rhetorischen Beweisformen (písteiß) ähnlich in prägma (im Sinne von »Sache«), páqoß und ~jqoß und zeigt in allen drei Bereichen Stärken und Schwächen in der Rhetorik des Lysias auf (ed. Usher, 60f). Für Cicero (I v.Chr.) sind die drei Formen der rhetorischen Überzeugung (fides): »die Herzen gewinnen« (concilientur animi), »belehren« (doceantur) und »gefühlsmäßig bewegen« (moveantur) (De Orat II,121 = Merklin, 280f; vgl. auch II,115.128.310; in PartOrat 13,46 nennt er allerdings nur Glaubwürdigkeit und Gefühlsregung). Ähnlich sieht Quintilian (I n.Chr.) die drei Pflichten oder Aufgaben (officia) des Redners als Lehren (docere), Bewegen (movere) und Unterhalten (delectare) (III,5,2; V, pr. 1; 8,3; VIII, pr. 7; IX,2,4; 4,4; X,1,119; 2,27; XI,1,6; XII,2,11; 10,43.59). Noch im Athen des 3. Jhs. n.Chr. äußert sich der Rhetor Minukianos, Epich 1 (ed. Hammer, 340, Z. 8f) ganz im Sinne des Aristoteles: t¨wn dè hentécnwn pístewn aÓ mén e˙sin hjqikaí, aÓ dè paqjtikaí, aÓ dè logikaí, aÓ ahutaì kaì pragmatikaí. Vgl. zum Beweis als wichtigsten Bestandteil der inventio MARTIN, Antike Rhetorik, 95–137 und zur Rolle von Ethos und Pathos in der Antike die Studie von J. WISSE, Ethos and Pathos from Aristotle to Cicero (Amsterdam, 1989). 173 Ähnlich WISSE, Ethos and Pathos, 6. Die sachliche Nähe zu Aristoteles ist etwa in FØLLESDAL u.a., Rationale Argumentation, 5–30 offensichtlich. Ähnliche triadische Modelle finden sich häufig in der Literatur- und Kommunikationswissenschaft.
B. Die aristotelische Termlogik
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pístewß (I 1,1354a15) oder als kuri´wtaton t¨wn pístewn (I 1,1355a7f) weicht aber ab I 2 einer gleichberechtigten Stellung neben Ethos und Pathos (vgl. z.B. die lange Beschäftigung mit Gefühlen und Zuhörerpsychologie in II 2–14). Diese Unterschiede sind häufig als Anlass für weitreichende entstehungsgeschichtliche Theorien genommen worden 174. Es ist aber auch möglich, dass Aristoteles in Rhet. I 1 einen ersten Idealentwurf wagt, der nur anwendbar wäre in einem Staat, dessen Verfassung den Gebrauch sachfremder Argumente vor Gericht verbietet (vgl. I 1,1354a21–24), um anschließend im Rahmen der real existierenden Praxis zu reflektieren 175. Das Enthymem bleibt für Aristoteles das Überzeugungsmittel im engeren Sinne176.
b) Was ist ein Enthymem? Die Beschäftigung mit der aristotelischen Enthymemlehre steht am Anfang vor der Aufgabe, die historische Betrachtung von den heute gängigen Enthymemdefinitionen zu entlasten. Gewöhnlicherweise gilt ein Enthymem als ein Syllogismus, bei dem eine Prämisse oder sogar die conclusio aus Gründen der rhetorischen Wirksamkeit unausgesprochen bleibt und daher hinzugedacht werden muss177. Beliebt ist die terminologische Rückführung des Begriffs auf die Wendung hen qum^¨w, weil das fehlende Glied »im Geiste« präsent ist. Vieles an dieser populären Konstruktion geht auf die spätantike und frühmittelalterliche Aristoteles-Rezeption zurück, kann aber für Aristoteles selbst nicht geltend gemacht werden.
Es mag bedeutsam sein, dass sich Aristoteles nicht veranlasst sieht, den Begriff henqúmjma bei seinem ersten Gebrauch in Rhet. I 1,1354a14 näher zu erklären. Wenn also der Begriff als bekannt vorausgesetzt wird, dann deutet der voraristotelische Gebrauch zunächst einmal nur sehr allgemein an, dass es sich dabei um einen besonders pointierten Gedanken handelt, der als rhetorisches Beweismittel vor allem dazu dient, einen Widerspruch aufzuzeigen178. Der Begriff leitet sich daher kaum von hen qum^¨w her, sondern vom Verb henqumeïsqai (»beherzigen, erwägen, überlegen, ersinnen«)179. Aristoteles knüpft an diesen Wortgebrauch an, verbindet den Terminus aber mit seiner Syllogistik, indem er das folgende Verhältnis postuliert: »Was aber der Unterschied zwischen Beispiel und rhetorischem Schlußverfahren (diaforà paradeígmatoß kaì henqum´jmatoß) ist, geht aus der Topik hervor – denn dort ist bereits 174 Vgl.
u.a. SOLMSEN, Entwicklung, 208–211. die attraktive These von SPRUTE, Enthymemtheorie, 36–41. Vgl. zum Problem weiterhin COOPER, Ethical-Political Theory, 196f und J. BRUNSCHWIG, Rhétorique et Dialectique, Rhétorique et Topiques, in: Furley / Nehamas, Aristotle’s Rhetoric, 86–90. 176 SPRUTE, Enthymemtheorie, 66. 177 Vgl. z.B. BUCHER, Logik, 198f. Diese Sicht findet sich bereits in den alten AristotelesKommentaren von Alexander und Philiponus (vgl. BURNYEAT, Enthymeme, 6f). 178 Vgl. dazu KRAUS, Enthymem, 1201f. 179 Vgl. zur Wortgeschichte BURNYEAT, Enthymeme, 11f. Von dieser Herleitung wissen noch die römischen Rhetoriker Cicero (Top. 13,55) und Quintilian (V,10,1; VIII,5,9). Vgl. zu späteren Herleitungen KRAUS, Enthymem, 1200f. 175 So
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II. Antike Logik im Überblick
früher schon über Syllogismus und Induktion (hepagwg¨jß) gehandelt –, daß nämlich der Beweis, es verhalte sich etwas an Hand von Vielem und Ähnlichem so (hepì poll¨wn kaì Homoíwn deíknusqai “oti o“utwß ‘ecei), dort die Induktion, hier aber das Beispiel ist, und daß ferner der Nachweis, unter bestimmten Voraussetzungen ereigne sich – entweder allgemein oder meistens (’j kaqólou ’j Hwß hepì tò polú) – etwas anderes als dieses dadurch, daß diese Voraussetzungen existieren, dort ›Syllogismus‹, hier aber ›Enthymem‹ heißt.« (Rhet. I 2,1356b13–17; Sieveke, 14f)
Indem Aristoteles das Enthymem als deduktiven Schluss im Sinne seiner Syllogistik versteht, versucht er, die damals geläufige, terminologisch recht weite rhetorische Verwendung des Begriffs auf ein methodisch schärfer umrissenes Terrain zu führen180. Das Enthymem ist jedoch nicht nur etwas dem Syllogismus Analoges (wie das eben angeführte Zitat nahelegen könnte), sondern es ist selbst ein Syllogismus im Kontext einer Rede: »Ein Enthymem ist ein [unvollständiger] Schluß aus Wahrscheinlichem oder Indizien.«181 Die formale Eigenschaft einer unausgesprochenen Prämisse gehört auffälligerweise nicht zum Wesen des Enthymems182. Ähnlich wie im Falle der Topik (Top. I 1,100a25–b23) unterscheidet sich das Enthymem als rhetorischer Syllogismus nicht aufgrund seiner Form vom kategorischen Syllogismus, sondern aufgrund des Evidenzgrades der verwendeten Prämissen183. Diese drücken im Falle des Enthymems nicht etwas aus, was »notwendigerweise« der Fall sein muss, sondern das, was nur »zumeist« oder »in der Regel« der Fall ist und sich daher auch anders verhalten könnte184. Es geht dabei weder um das Beweisen im wissenschaftlichen Sinne noch um das Gewinnen einer dialektischen Diskussion, sondern um die Persuasion angesichts der Erfordernisse öffentlicher Redesituationen (bes. natürlich im Gerichtsverfahren). Daraus erklärt sich ein besonders gewichtiger Unterschied zum apodiktischen und dialektischen Syllogismus: Im Enthymem als rhetorischem Schluss ist der Gebrauch singulärer Termini der Regelfall185. 180 Aristoteles
wirft seinen Vorgängern vor, den Begriff vernachlässigt zu haben (Rhet. I 1,1354a14–16; b16–22). Die voraristotelische Rhetorik kannte ein »topisches Enthymem«, bei dem es darum ging, aufgrund vorgegebener Regeln und Muster logisch nicht zwingende aber suggestiv überzeugend wirkende Argumente zu bilden (KRAUS, Enthymem, 1197f). Diesen Gebrauch möchte Aristoteles mit der Syllogistik nach Möglichkeit unterbinden. 181 An. pr. II 27,70a10: h enqúmjma mèn o~un sullogismòß [hatel`jß] h ex e˙kótwn ’j sjmeíwn. Vgl. ähnliche Definitionen in Rhet. I 2,1357a32f; I 3,1359a7–10. 182 Das Adjektiv hatel´j ß ist textkritisch auszuscheiden, zeugt aber von dem Missverständnis, ein Enthymem sei ein formal unvollkommener Syllogismus. Vgl. dazu BURNYEAT, Enthymeme, 6–8. 183 Dadurch berührt Aristoteles Probleme der Modalität von Aussagen. Die Anforderungen an den Wahrheitswert von Aussagen sind je nach Sprechsituation (Beweis, Disputation, öffentliche Rede) unterschiedlich streng. Das kommt modernen Logiksystemen nahe, die innerhalb einer Skala von 1 (= wahr) und 0 (= falsch) unendlich vielen Werte zulassen. 184 Rhet. I 2,1357a13–15.22–31.34–36; II 25,1402b15f. 185 Zur logischen Behandlung von Singuläraussagen s.u. S. 117.
B. Die aristotelische Termlogik
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Die Streichung einer Prämisse (oder gar der conclusio) gehört zwar nicht zum Wesen des Enthymems im aristotelischen Sinne, entspricht aber einer Empfehlung im Sinne der rhetorischen Tugend der Kürze186. Daher ist auch die Mehrheit der von Aristoteles angeführten Beispiele zweigliedrig in Form von einfachen Begründungssätzen formuliert: »A ist der Fall, da B der Fall ist.«187 So lässt sich aus einer Sentenz z.B. durch das Hinzufügen eines Grundes (a˙tía) ein Enthymem bilden188. Ein Begründungssatz (z.B. der Form »S. ist sterblich, denn er ist ein Mensch«, oder »S. ist sterblich, denn alle Menschen sind sterblich«) löst seinen Geltungsanspruch durch seine Rückführbarkeit auf ein syllogistisches Enthymem ein. Damit erlaubt die aristotelische Enthymemtheorie die logische Analyse von Begründungssätzen. c) Die vier Arten des Enthymems Die aristotelischen Enthymemata sind ihrem Wesen nach syllogistisch. Die weiteren Einteilungsversuche, die Aristoteles vornimmt, sind aufgrund der Tatsache verwirrend, dass er an einigen Stellen zwei Arten unterscheidet189, während er an anderen Stellen von vier Enthymemata spricht190. Die folgende Zuordnung ist daher nicht völlig stringent191: 1. Das Eikós-Enthymem (hex e˙kótwn, ex probabilibus) ist ein Syllogismus der ersten Figur, bei dem die Oberprämisse aus einem Satz besteht, der eine allgemein anerkannte Ansicht wiedergibt192. Auch wenn solche Schlüsse für den wissenschaftlichen Beweis ungenügend wären, sind sie für die rhetorische 186 Rhet.
I 2,1357a16–21; II 22,1395b25–27. BURNYEAT, Enthymem, 21–24 erinnert zu Recht daran, dass der aristotelische Syllogismus nicht per definitionem aus exakt zwei Prämissen gebildet wird, sondern aus mindestens zwei Prämissen. Deswegen ergibt sich selbst bei Befolgung der rhetorischen brevitas nicht zwangsläufig ein Enthymem der Form Prämisse-Conclusio. 187 Vgl. die Beispiele in Rhet. I 2,1357b15; II 24,1401b10–13.20–22. SPRUTE, Enthymemtheorie, 92f. 188 Rhet. II 21,1394a29–34. Vgl. dazu S PRUTE, Enthymemtheorie, 131. 189 An. pr. II 27,70a10: h ex e˙kótwn ’j sjmeíwn; Rhet. I 2,1357a32: hex e˙kótwn ’j sjmeíwn. 190 Rhet. II 25,1402b13f: hepeì dè tà h enqum´jmata légetai hek tettárwn, tà dè téttara taüth hestín, e˙kòß parádeigma tekm´jrion sjmeïon. 191 KRAUS, Enthymem, 1197f nennt aus der antiken Enthymem-Diskussion noch das topische Enthymem, das auf der Grundlage anerkannter Topoi arbeitet, den verkürzten Syllogismus und die Sentenz mit Begründung. Das syllogistische Enthymem nennt KRAUS »Protasen-Enthymem«. 192 An. pr. II 27,70a3–6; Rhet. I 2,1357a34–b1. Die unterschiedlichen Formulierungen H wß hepì tò polù ‘on (Rhet. I 2,1357a30–34) und tà Hwß hepì tò polù dokoünta (Rhet. II 25,1402b14–16) lassen sich im Oberbegriff der ‘endoxa zusammenfassen (vgl. zum Zusammenhang SPRUTE, Enthymemtheorie, 74–80 und zum Begriff der ‘endoxa oben S. 48). Als Beispiele solcher Sätze nennt SPRUTE, 78: »Elefanten sind grau«, »Kinder, die geschlagen werden, weinen«.
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Situation ausreichend193. Hier kann der Redner auch auf Sentenzen (gn´wmj) zurückgreifen, die meistens allgemein anerkannte Aussagen über das menschliche Verhalten knapp zusammenfassen194. Ihre Widerlegung ist jedoch nicht dadurch erbracht, dass die Nicht-Notwendigkeit der Prämissen gezeigt wird, sondern ihre Nicht-Wahrscheinlichkeit195. 2. Das Paradeigma196 ist ein Schluss auf der Grundlage von Beispielen, die im Sinne einer unvollständigen Induktion197 einen allgemeinen Satz wahrscheinlich machen sollen198. Dabei verhält sich das angeführte Beispiel zu dem vorliegenden Fall wie »Teil zu Teil, Ähnliches zu Ähnlichem«199. Ein Beispiel (aus Rhet. I 2,1357b26–30): »Peisistratos und andere trachteten, als sie eine Leibwache forderten, nach der Tyrannis. Nun fordert Dionysios eine Leibwache. Also strebt er nach der Tyrannis.« Der erste Satz kann als große Prämisse nur dann »funktionieren«, wenn er in der Redesituation als allgemeiner Hinweis verstanden wird, dass Menschen, die eine Leibwache fordern, grundsätzlich oder aller Regel nach Tyrann werden wollen. Ein ähnliches Beispiel findet sich in An. pr. II 24,69a2f: Um zu zeigen, dass der Krieg der Athener gegen die Thebaner ein Übel ist, beruft sich Aristoteles darauf, dass der Krieg der Thebaner gegen die Phoker ein Nachbarschaftskrieg war und zugleich ein Übel. Daraus lässt sich die große Prämisse konstruieren: Nachbarschaftskriege sind (ganz allgemein) ein Übel.
Als »Beispiele« sind nicht nur tatsächliche Gegebenheiten aus der Geschichte denkbar, sondern auch fiktive Beispiele, sofern diese Ähnlichkeit mit dem zur Diskussion stehenden Problem aufweisen200. Aristoteles unterscheidet zwischen »Parabel« und »Fabel« (II 20,1393a29f) und fasst Ersteres als eine fiktionalisierte Tatsache aus dem täglichen Leben auf201 und Letzteres als eine Veranschaulichung menschlicher Verhaltensweisen anhand der Tierwelt. 193 Aristoteles
führt dies auf das einfache Gemüt der ungebildeten Leute zurück (Rhet. I 2,1357a3–4.10–11; II 22,1395b25f). 194 Rhet. I 2,1357a22–27; II 21,1394a26–28; II 21,1394b8–16. 195 Vgl. SCHWEINFURTH-WALLA , Überzeugungsmittel, 44 (Hinweis auf II 25,1402b34f). 196 Verwirrenderweise behandelt Aristoteles in diesem Zusammenhang das parádeigma als eine Unterkategorie des Enthymems, stellt es aber an anderen Stellen gleichberechtigt neben das Enthymem (z.B. Rhet. I 2,1356b5–7; I 9,1368a29–33; II 18,1392a1–4; II 20,1393a23f; III 17,1418a1–2). Vgl. allgemein dazu: An. pr. II 24 (ausführlichste Diskussion); Rhet. I 2,1357a10–24.b25–36; II 20,1393a25ff; II 25,1402b16–18. In der späteren Rhetorik ist das »Beispiel« weiterhin eines der gerichtlichen Beweismittel in Quintilian, Inst. V,11,6: exemplum est … utilis ad persuadendum id, quod intenderis, commemoratio. Vgl. MARTIN, Antike Rhetorik, 119–124; J.C. RAYMOND, Enthymemes, Examples, and Rhetorical Method, in: R.J. Connors et al. (eds.). Essays on Classical Rhetoric and Modern Discourse (Carbondale, 1984) 140–151.280–81. 197 Vgl. zum Analogieverhältnis Beispiel-Induktion Rhet. I 2,1356b13–17 (s.o. S. 67f). 198 Rhet. I 2,1357b25–36; II 25,1402b16–18; An. pr. II 24,68b38–69a19. 199 Rhet. I 2,1357b26–30: Hwß méroß pròß méroß. 200 Rhet. II 20,1393a27f; II 20,1394a3f. 201 Rhet. II 20,1393b3–8 mit dem Beispiel: Wenn Athleten nicht nach dem Los, sondern nach ihren Fähigkeiten ausgewählt werden, dann sollte man auch Politiker nicht durch Losentscheid wählen.
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B. Die aristotelische Termlogik
3. Das Indizien-Enthymem (hek sjmeíwn, ex signis) basiert auf Prämissen, die einen Sachzusammenhang ausdrücken. »Dasjenige ist ein Indiz (sjmeïon) für das Vorhandensein oder für das Geschehensein einer Sache, bei dessen Vorhandensein die Sache auch vorhanden ist oder im Hinblick auf dessen Geschehensein die Sache früher oder später geschehen ist.« 202
Kompliziert wird die Diskussion durch den Umstand, dass Aristoteles weiter unterscheidet zwischen notwendigen und nicht-notwendigen Indizien und für Erstere den Begriff tekm´jria (»Nachweise«) und für Letztere (mangels Alternativen?) den Begriff sjmeïa benutzt203. a) Das Tekmêrion-Enthymem gründet auf »Indizien«, die aller Erfahrung nach immer gemeinsam oder in Abfolge auftreten, also echte allgemeine Aussagen sind. Aristoteles nennt als Beispiele (Rhet. I 2,1357b14–16): Fieber ist ein Indiz für Krankheit, Milch-Haben ist ein Indiz für vorangegangene Schwangerschaft. Natürlich sind auch diese Zusammenhänge nur dann für den rhetorischen Schluss relevant, wenn sie sich allgemeiner Anerkennung erfreuen, aber dennoch handelt es sich bei den echten »Indizien« nicht um e˙kóta, denn für Aristoteles sind sie rhetorisch nicht zu widerlegen. b) Das Semeion-Enthymem (im engeren Sinne) beruft sich auf Indizien, die nicht notwendigerweise zusammengehören (z.B. krank sein und schwer atmen)204, und das deswegen widerlegbar ist. Um die Beweiskraft des Indizien-Enthymems zu bestimmen, greift Aristoteles in der Analytik auf einen anderen Klassifizierungsversuch zurück (An. pr. II 27,70a11–38)205. Hier gilt als Kriterium die Stellung des »Indizes« als Mittelterm in den drei Schlussfiguren: Figur I
MxP Milch haben ist Anzeichen, dass jd. geboren hat. SxM Diese Frau hat Milch. SxP Diese Frau hat geboren.
Nachweis (nicht widerlegbar)
Figur II
PxM Wer schwanger ist, ist bleich. SxM Diese Frau ist bleich. SxP Diese Frau ist schwanger.
Niemals gültig
Figur III
MxP Pittakos ist gut. MxS Pittakos ist weise. SxP Alle Weisen sind gut.
Anfechtbar, auch wenn conclusio wahr
Interessant ist diese Unterscheidung v.a. deswegen, weil es sich dabei m.W. um das einzige Beispiel handelt, in dem Aristoteles die für seine Syllogistik charakteristische Figuren-Lehre für die Rhetorik verwertet. Damit ist auch in der Rhetorik das Gewicht der ersten Figur unangefochten. 202 An.
pr. II 27,70a7–9: oˆu gàr ‘o ntoß ‘estin ’j oˆu genoménou próteron ’j “usteron gégone tò prägma, toüto sjmeïón hesti toü gegonénai ’j e~inai. 203 An. pr. II 27,70b1–6; Rhet. I 2,1357b3–10. Vgl. zum Begriff der Notwendigkeit SPRUTE, Enthymemtheorie, 91–98. 204 Rhet. I 2,1357b10–13. 205 Vgl. Rhet. I 2,1357b10–21.
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II. Antike Logik im Überblick
6. Theophrast und das Erbe der aristotelischen Logik Die Wirkungsgeschichte der aristotelischen Logik würde sich zum größten Teil mit der Geschichte der Logik im Allgemeinen decken206 – zumindest bis zu Freges epochaler »Begriffsschrift«. Die wichtigsten Anwälte des Aristoteles seit der Spätantike waren zum Teil aber auch diejenigen, denen aus heutiger Sicht Einseitigkeiten, Vereinfachungen und Verzerrungen angelastet werden können. In einer solchen Galerie wären der Plotin-Schüler Porphyrios hervorzuheben, dessen Einleitung in die Kategorien (»Isagoge« oder »Quinque Voces«) über Jahrhunderte hinweg fester Bestandteil der dialektisch-logischen Schulausbildung war207, die Übersetzungen und Kommentare aristotelischer Werke bes. durch Boethius, der damit auch die gültige lateinische Logik-Sprache schuf 208, Thomas von Aquin, der sich nicht nur in Vielem auf Aristoteles (bei ihm einfach »der Philosoph«) berief, sondern auch Kommentare zu logischen Schriften hinterlassen hat, Wilhelm von Ockham und Immanuel Kant, dessen Urteil über die Vollkommenheit aristotelischer Logik (s.o. Anm. 48) ebenso einseitig wie einflussreich war.
Für die Fragestellung dieser Arbeit ist eine Beschränkung auf die hellenistische Zeit209 und dabei besonders auf Theophrast (372/370–288/286) geboten210. Die spärlichen Zeugnisse, die über seine logischen Studien erhalten geblieben sind, erlauben den Schluss, dass dieser für die hellenistische Periode als wichtigster Repräsentant peripatetischer Logik anzusehen ist211. 206 Einen
Gesamtüberblick über die Wirkungsgeschichte des Aristoteles von der Antike bis in die Gegenwart bietet O. GIGON, Art. Aristoteles, TRE 3 (1978) 760–768. Zum Aristotelismus als philosophische Denkrichtung vgl. ebda. H. DÖRRIE (768–776: Antike), A.T. KHOURY (777–779: Arabisch-Islamisch), H. GREIVE (779–782: Judentum), W. KLUXEN (782–789: Mittelalter) und R. SCHÄFER (789–796: Reformation und nachreformatorische Theologie). Speziell zur patristischen Rezeption des Aristoteles vgl. J.H. WASZINK / W. HEFFENING, Art. Aristoteles, RAC 1 (1950) 657–667; D.T. RUNIA, Festugière Revisited: Aristotle in the Greek Fathers, VigChr 43 (1989) 1–34. 207 Diese Schrift wirkte in ihrer lateinischen Übersetzung durch Boethius ebenso wie durch Übersetzungen ins Syrische, Armenische und Arabische auf breitester Basis während des gesamten Mittelalters. Vgl. die dt. Übersetzung in der Organon-Ausgabe von Zekl, Bd. I, 155–188 und die Einführung S. LIII–LXIII. 208 Vgl. bes. seine Übersetzung und Kommentar der Cat (In Cat. Arist. = PL 64). 209 Zur Wirkungsgeschichte des Aristoteles ist das zweibändige Werk von P. MORAUX unverzichtbar: Der Aristotelismus bei den Griechen: Von Andronikos bis Alexander von Aphrodisias (2 Bde.; Peripatoi 5–6; Berlin, 1973, 1984). Der Bekanntheitsgrad des Aristoteles war im 1. Jh. n.Chr. begrenzt. So urteilt ein guter Kenner der Szene, Aristoteles sei jemand, »von dem sogar zünftige Philosophen, ganz wenige ausgenommen, keinen Schimmer haben« (Cicero, Top. 1,3: …qui ab ipsis philosophis praeter admodum paucos ignoretus). 210 Vgl. zu Person und Quellenlage oben S. 29. Zur Logik vgl. I. BOCHENSKI, La logique de Théophraste (CF N.S. 32; Fribourg, 1947); J. BARNES, Theophrastus and Hypothetical Syllogtistic, in: J. Wiesner (Hrsg.), Aristoteles – Werk und Wirkung (FS P. Moraux; Berlin, 1985) I, 557–576; BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 78–83. 211 BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 74: »Peripatetic logic in the Hellenistic period is for us the logic of Theophrastus.«
B. Die aristotelische Termlogik
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Neben der Einführung einer zum Teil genaueren Terminologie212 sind vor allem zwei Aspekte gegenüber Aristoteles hervorzuheben: 1. Die Frage, wie syllogistische Schlüsse zu ziehen sind, wenn die Prämissen sich Sätzen unterschiedlicher Modalitäten bestehen213, hat Theophrast mit der später sogenannten Peiorem-Regel gelöst214: Das Mögliche ist »schwächer« als das Tatsächliche und dieses wiederum »schwächer« als das Notwendige. Für einen modal gemischten Syllogismus gilt nun, dass die conclusio dem schwächsten Modus der Prämissen entsprechen muss215. Nehmen wir als Prämissen einen apodiktischen Satz (»Alle Menschen sind sterblich«) und einen problematischen (»Möglicherweise sind alle lesefähigen Lebewesen Menschen«). Daraus kann nicht geschlossen werden »Alle lesefähigen Lebewesen sind sterblich«, sondern nur im problematischen Modus: »Möglicherweise sind alle lesefähigen Lebewesen sterblich.«
2. Aristoteles bezieht sich in seiner Logik immer auf Sätze der Form »allen / einigen A kommt B zu / nicht zu«. In An. pr. I 44,50a39–b2 spricht er jedoch en passant von »hypothetischen« Syllogismen und stellt in Aussicht, diese später zu behandeln216. Der spätere Aristoteles-Kommentator Alexander stellt jedoch fest, dass der Meister kein Buch zu diesem Problem hinterlassen hat, dass aber Theophrast (und Eudemos) diese Lücke geschlossen haben217. Leider erlauben die Quellen kaum, einigermaßen Klarheit über den Umfang der Beschäftigung mit dieser Frage zu gewinnen und dadurch auch zu erahnen, inwieweit im Peripatos Aspekte, die erst aus der stoischen Logik bekannt sind, vorweggenommen worden sind218. Wenn sich aber die Darlegungen Alexanders zum hypothetischen Syllogismus auf Theophrast zurückführen lassen219, dann ist es vorstellbar, dass der Nachfolger des Aristoteles an Syllogismen der folgenden Art arbeitete: Wenn A, dann B. Wenn B, dann C. Daher: Wenn A, dann C. Wenn es regnet, wird der Boden nass. Wenn der Boden nass wird, wird es grün. Daher: Wenn es regnet, wird es grün. 212 Vgl.
dazu Alexander, In An. Pr. Comm. 69,26–70,21. zu den drei Modi assertorisch, apodiktisch und problematisch oben S. 40. 214 Vgl. Alexander, In An. Pr. Comm. 124,8–13 und die Texte 105–107 in FORTENBAUGH, Theophrast. Die Scholastik prägte den Merkspruch: peiorem semper sequitur conclusio partem. 215 Vgl. zur theophrastischen Modallogik BOCHENSKI, Théophraste, 73–102. 216 Der Sprachgebrauch ist nicht völlig klar. Folgt man aber einer Spur in Galens, Inst. Log. 3,3–5 dann entsprach es peripatetischer Redeweise zwei Arten »hypothetischer« Sätze zu unterscheiden: Bedingungssätze wurden hypothetisch »durch Verbidung« (katà sunéceian) genannt und disjunktive Sätze hypothetisch »durch Teilung« (katà diaíresin). 217 Alexander, In An. Pr. Comm. 389,31–390,9. Vgl. dazu BARNES, Theophrastus. 218 Manche sehen in Theophrast einen direkten Vorläufer der Logik Chrysipps (etwa PRANTL, Geschichte der Logik, I, 379). Vgl. dazu BOCHENSKI, Théophraste, 9 und das vorsichtige Fazit in BARNES, Theophrastus, 574–576 und Fragmente des Theophrast, hrsg. A. Graeser, 42.46. 219 Vgl. In An. Pr. Comm. 326,22–25. 213 Vgl.
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II. Antike Logik im Überblick
Diese in ihren Umrissen halbwegs erkennbaren Erneuerungen, die Theophrast gegenüber der logischen Grundlagenarbeiten seines Lehrers vorgenommen hat, lassen etwas von der Innovationskraft und analytischen Schärfe der theophrastischen Version aristotelischer Logik erahnen. Sie deuten aber auch Entwicklungen an, die in der stoischen Aussagenlogik weiter entwickelt werden, nämlich die logische Analyse von ganzen Sätzen und Satzverbindungen. 7. Exkurs: Die Schriften des Aristoteles und das »Organon« Das Gesamtwerk des Aristoteles ist von erstaunlichem Umfang: Das Werkverzeichnis des Diogenes Laertios führt 146 Titel mit insgesamt 445270 Zeilen auf (DiogL. V 22–27), wobei die Metaphysik und die Nikomachische Ethik fehlen. Etwa drei Viertel des Gesamtœuvres sind heute nicht mehr erhalten. Die bis heute gültige Einteilung in »exoterische« und »esoterische« Schriften ist bereits alt220: 1. Als exoterische oder enzyklische Schriften gelten Lehrwerke für ein gebildetes Publikum, die auf dem Büchermarkt zu erwerben waren. Dazu gehören der Protreptikos (Werbeschrift für die Philosophie) und viele Dialoge (Über die Philosophie, Über Gerechtigkeit, Politikos, Über Dichter). Diese populären Schriften wurden nach dem Tod des Stagariten weiterhin gelesen. Sie gingen jedoch vor dem Mittelalter aus bis heute nicht ganz einsichtigen Gründen verloren 221. Esoterische Schriften (oder »Pragmatien«) werden professionelle Abhandlungen für Schüler und Kollegen genannt, die innerhalb des Lehrbetriebs verfasst wurden. Die Ausführungen sind gedrängt, der Stil zuweilen elliptisch, der Gedankengang manchmal abrupt, was eine sehr intensive Lektüre nötig macht. Die meisten uns erhaltenen Schriften stammen aus dieser Werkgruppe. Es handelt sich mehr oder weniger um Vorlesungsnotizen, die ständig überarbeitet wurden, teils von Aristoteles selbst, teils aber auch von seinem Nachfolger Theophrast und anderen Schülern. 3. Schließlich gibt es noch Sammlungen von Forschungsmaterial mit Lehrmeinungen früherer Philosophen zur Naturforschung und zur Politik, Sammlungen von Sprichwörtern, homerischen Streitfragen, Aufführungsdaten von Tragödienwettkämpfen (Didaskalien), griechische Verfassungen, usw. Der Großteil dieser Sammlungen ist nicht erhalten.
Die geschichtlichen Umstände, denen wir den heutigen Bestand an Aristoteles-Schriften zu verdanken haben, sind ebenso verwickelt wie unklar222: Die nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen Pragmatien weckten zum Teil auch außerhalb des Peripatos Interesse bei Spezialisten verschiedener Disziplinen, die diese dann in der Bibliothek der Schule benutzen oder sich eine Kopie davon anfertigen lassen konnten (z.B. eine Kopie der Metaphysik für die Eudemos-Schule in Rhodos). Ob und in welchem Umfang Aristoteles selbst 220 Gemäß
Cicero, Fin. V,12 sprachen bereits die Peripatetiker von duo genera librorum, nämlich die populariter scriptum, quod hexwterikón appellabant und die Werke quod in commentariis reliquerunt. 221 Immerhin lobt Cicero ihren »goldenen Fluß der Rede« (Acad. 2,119: flumen orationis aureum). 222 Vgl. MORAUX , Aristotelismus bei den Griechen, I, 3–94; J. BARNES, Roman Aristotle, in: J. Barnes / M. Griffin (eds.), Philosophia Togata II (Oxford, 1997) 1–69.
B. Die aristotelische Termlogik
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seine Vorlesungsnotizen in eine elementar lesbare Form brachte oder dies seinen Schülern, Mitarbeitern und späteren Herausgebern überlassen bleiben sollte, ist nicht näher zu bestimmen. Dass aber Aristoteles einige seiner Texte selbst bearbeitete, steht in der Forschung außer Frage. Die mehr als ansehnliche Bibliothek des Aristoteles – einem der ersten systematischen Büchersammler! – ging nach dessen Tod in den Besitz seines Mitarbeiters und Nachfolgers Theophrast über. Dieser vererbte sie dann seinem Mitarbeiter Neleus, der allerdings enttäuscht in seine Heimatstadt Skepsis (in Troas) zurückkehrte, als nicht er, sondern Straton zum Leiter der Schule gewählt wurde. Später verkaufte Neleus einen Teil des Bücherbestandes der kurz zuvor gegründeten alexandrinischen Bibliothek, bewahrte aber einen Teil in Skepsis auf; allem Anschein nach v.a. die Werke des Aristoteles223. Die gängige Vorstellung, dass die internen Schulschriften des Aristoteles unmittelbar nach seinem Tod in völlige Vergessenheit gerieten, ist in dieser Absolutheit nicht haltbar. Noch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod gab es Lehrschriften von ihm in Skepsis (bei Neleus), Alexandrien (in der Bibliothek), Rhodos (in der Schule Eudems) und weiterhin im athenischen Peripatos. Auch zeugt der nachweisliche literarische Einfluss dieser Schriften auf die erste Generation des Peripatos (Theophrast, Eudemos, Straton) davon, dass diese noch einige Zeit Gegenstand der Lektüre im engen Kreise blieben 224. Eine breite öffentliche Wirksamkeit war den Pragmatien natürlich nicht vergönnt.
Unter der Leitung Stratons verlor der Peripatos an Bedeutung. Straton hinterließ Lykon die Leitung der Schule samt der Bibliothek. Dieser teilte bei seiner Erbschaftsverfügung die Bücher in zwei Gruppen auf: Die bereits Gelesenen und die noch nicht Edierten. Erstere vermachte er seinem Freigelassenen Chares, Letztere Kallinos, einem Vertreter des neuen Leitungskollegiums der Schule. Dass alle aristotelischen Pragmatien weiterhin im Besitz der Schule blieben, ist zwar vorstellbar aber nicht nachweisbar. Vom Schicksal des literarischen Nachlasses des Aristoteles in Skepsis ist bekannt225, dass die Erben des Neleus kein Interesse am Inhalt dieser Bücher hatten. Einer Tradition zufolge versteckten sie diese in einem unterirdischen (und für Schriftrollen schädigend feuchten!) Raum, damit sie nicht im Auftrag der Könige Pergamons für den Aufbau ihrer Bibliothek beschlagnahmt wurden. Als sicher gilt, dass anfangs des ersten Jhs. v.Chr. der reiche Sammler und peripatetische Philosoph Apellikon aus Teos den Nachlass des Neleus zu einem hohen Preis erwarb226. Als der erfolgsverwöhnte Feldherr 223 MORAUX,
Aristotelismus, I, 13–15 hält es für sehr wahrscheinlich, dass Abschriften aristotelischer Schriften in der alexandrinischen Bibliothek zur Verfügung standen. 224 Nach einer zuverlässigen Tradition hatte Epikur in der zweiten Hälfte des 3. Jhs. v.Chr. die Analytiken, die Physik und De caelo benutzt und exzerptiert (vgl. MORAUX, Aristotelismus, I, 11, Anm. 22). 225 Vgl. zur Quellenlage MORAUX, Aristotelismus, I, 18–28. 226 Nach einer nicht über jeden Zweifel erhabenen Tradition, die Strabon überliefert, versuchte Apellikon die stark beschädigten Manuskripte mehr schlecht als recht zu ergänzen.
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II. Antike Logik im Überblick
Sulla 84 v.Chr. Athen eroberte, fand auch Apellikon den Tod. Sulla brachte neben vielen Kunstwerken auch Apellikons wertvolle Bibliothek nach Rom227. Hier wurde sie von dem hoch angesehenen Grammatiker Tyrannion von Amisos († 26/5 v.Chr.) bearbeitet und einzelne Schriften (von weniger sorgfältigen Buchhändlern) in fehlerhaften Abschriften auf den Büchermarkt gebracht228. Tyrannion versorgte Andronikos von Rhodos, der ab ca. 80 v.Chr. Schulhaupt des Peripatos war, mit Kopien. Dieser gab die Pragmatien schließlich in einer Sammlung heraus229. Oftmals werden die Arbeit des Tyrannion und die Herausgabe des Andronikos für eine völlige Neuentdeckung des Aristoteles im 1. Jh. v.Chr. verantwortlich gemacht. Es gibt jedoch klare Anzeichen für eine davon unabhängige Rezeption des aristotelischen Œuvres in Rom230: In der prunkvollen Bibliothek des L. Lucullus gab es Werke des Aristoteles, die Cicero begierig zu Rate zog231. Der Epikuräer Philodem zitierte Auszüge aus der aristotelischen Ökonomik und Cicero gab 55 v.Chr ein Gespräch wieder, das so 36 Jahre zuvor stattgefunden haben soll. Darin soll Catullus gegenüber Antonius bemerkt haben: »Die meisten Philosophen geben keine Anweisungen für die Rede und sind trotzdem für die Behandlung jedes Themas vorbereitet. Doch Aristoteles, den ich besonders bewundere, führte ganz bestimmte Fundstellen an (quosdam locos) [Hinweis auf die Topik], wo jede Argumentation nicht nur für eine philosophische Erörterung, sondern auch für die Art der Rede, die wir bei Prozessen halten, zu finden sei. Mit diesem Mann stimmst du, Antonius, in deinen Worten schon längst überein, sei es, daß du aus Gründen der Ähnlichkeit mit seinem göttlichen Geist auf denselben Spuren wandelst oder daß du, was in meinen Augen jedenfalls wahrscheinlicher ist, auch gerade die betreffenden Passagen gelesen und studiert hast.« (Cicero, De Orat., II,152 = Merklin, 300f) Später behauptet Antonius: »Ich las von ihm [= Aristoteles] sowohl das Buch, in dem er alle früheren rhetorischen Systeme dargestellt hat, wie die Bücher, in denen er selbst seine eigene Auffassung über ebendiese Wissenschaft geäußert hat.« (II,160 = Merklin, 307)
Auch wenn diese Angaben für das Jahr 91 einen Anachronismus darstellen, geht daraus hervor, dass zumindest im Jahre 55 »die Benutzung von Lehrschriften des Aristoteles keine besondere Schwierigkeit zu machen schien«232. 227 Die
Bibliothek ging nach Sullas Tod (78 v.Chr.) in den Besitz seines Sohnes Faustus über, der diese wahrscheinlich mit einem Teil seiner Habe versteigern ließ, um anstehende Schulden zu bezahlen. Zu manchen dieser Bücherschätze hatte anscheinend Cicero Zugang (vgl. MORAUX, Aristotelismus, I, 37–39). 228 Eine Aristoteles-Ausgabe lag damit jedoch nicht vor (MORAUX, Aristotelismus, I, 34). 229 Ort und Zeit dieser editorischen Leistung sind in der Forschung umstritten: Entweder wirkte Andronikos Anfang des 1. Jhs. v.Chr. in Athen (Frühdatierung) oder er gab die Werke später (nach Ciceros Tod) zwischen 40 und 20 v.Chr. in Rom heraus (Spätdatierung). Vgl. MORAUX, Aristotelismus, I, 45–58 mit Argumenten für eine Frühdatierung. 230 MORAUX, Aristotelismus, I, 39–41. 231 Vgl. Cicero, Fin. III,10. 232 MORAUX, Aristotelismus, I, 41.
B. Die aristotelische Termlogik
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Wenn also mit der Ausgabe des Andronikos nicht eine völlige Neuentdeckung des Aristoteles einsetzt, so wird man doch eingestehen müssen, dass Andronikos mit seiner zuverlässigen und leicht zugänglichen Edition die Grundlage für eine Neubelebung des Aristotelismus um die Zeitwende legte233. Er stellte jedoch die ihm zugänglichen Werke nicht mehr oder minder wahllos zusammen, sondern er fügte thematisch verwandte Texte zu Einheiten zusammen234. Damit schaffte er eine systematische Ordnung, die über Jahrhunderte die Aristoteles-Rezeption nicht weniger geprägt hat als die eigentliche Edition235. In der Andronikus-Edition hat das aristotelische Œuvre unzweifelhaft das Gepräge eines systematisch-philosophischen Gesamtentwurfs: Nach einer logisch-wissenschaftstheoretischen Propädeutik (das »Organon«) folgen die Praktische Philosophie (Ethik, Politik, Rhetorik, Poetik), die Naturphilosophie (Physik, Naturkunde) und schließlich die »Metaphysik« (weil »nach« der Physik platziert). Im Folgenden soll nur das »Organon« interessieren236: Traditionell wird den hier zusammengestellten sprachlich-logischen Schriften die Rolle einer Propädeutik in die Philosophie zugewiesen. Inhaltlich scheint das organische Zueinander der verschiedenen Werke der Zusammenstellung durch Andronikos im Nachhinein Recht zu geben: Nach einer Begriffs- und Satzlogik (Cat. und Int.) folgt eine Schlusslogik oder Syllogistik (An. pr.), eine Beweislogik (An. post.) und eine dialektische Diskurstheorie als komplementäre Beweisform (Top.), die schließlich mit einer Theorie der Trugschlüsse abgerundet wird (Soph. el.). Gegen beide Vorstellungen – die einer systematischen Einheit und die einer »bloßen« Propädeutik – sprechen starke Argumente237:
233 MORAUX,
Aristotelismus, I, 45. Andronikos verschiedene Einzelwerke zu größeren Abhandlungen zusammengefügt hat, ergibt sich aus dem Vergleich zu den beiden vorandronikischen Verzeichnissen der aristotelischen Werke (MORAUX, Aristotelismus, I, 60–63): DiogL. V 22–27 (= Düring, Biographical Tradition, 41–50) und Anonymus Menagii (= Hesychius) 10 (= Düring, Biographical Tradition, 83–89). 235 Darin ist er dem späteren Plotin-Herausgeber Porphyrius ein ausdrückliches Beispiel: »Ich hielt es zuerst für richtig, das Durcheinander einer sich nach der Entstehungszeit der Schriften richtenden Edition zu vermeiden; ich ahmte den Athener Apollodor und den Peripatetiker Andronikos nach: Der erste trug die Produktion des Komikers Epicharm zusammen und verteilte sie auf zehn Bände, der andere teilte die Werke des Aristoteles und des Theophrast in Pragmatien auf, indem er die verwandten Stoffe zusammenbrachte.« (Porphyrius, Vit. Plot. 24, zitiert nach MORAUX, Aristotelismus, I, 59) 236 Ob der Ausdruck »Organon« auf Andronikos selbst zurückgeht, ist nicht auszumachen. Der Begriff ist als Sammelbezeichnung erst in spätantiken Kommentaren belegt. Sachlich dürfte er sich aus Top. I 18,108b32 herleiten (vgl. FLASHAR, Aristoteles, 236): Hier werden die Hilfsmittel zur Aufstellung gültiger Schlüsse, um die es im Top I geht, als ‘organa bezeichnet (‘organa dih ˆwn oÓ sullogismoí; vgl. auch Top VIII 14,163b9). 237 DÜRING, Aristoteles, 53; HÖFFE, Aristoteles, 37–39. 234 Dass
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II. Antike Logik im Überblick
1. Es gibt – mit Ausnahme der beiden Analytiken und einem Hinweis in Int. 11,20b26 – keine Querverweise zwischen den Werken, die vermuten lassen könnten, dass sie von Aristoteles bewusst als ein organisches Ganzes konzipiert worden wären238. Die beiden Analytiken und die Topik sind zwei in sich geschlossene Abhandlungen, die zudem zwei verschiedene Formen der Logik entwerfen. 2. Die unterschiedlichen Werke sind in ihrem Umfang unproportioniert (v.a. die Topik ist auffallend umfangreich). 3. Eine einheitliche Begrifflichkeit, die alle Abschnitte durchwaltet, fehlt (das gilt bes. für die zehn Kategorien aus dem gleichnamigen Werk). 4. Die logischen Schriften werden nirgends von deren Autor selbst als Einheit hervorgehoben oder erwähnt. 5. Dass die Logik nicht zur eigentlichen Philosophie gehört, sondern nur deren Propädeutik ist, lässt sich schwerlich mit dem Denken des Aristoteles vereinbaren. Für ihn stehen logische Sätze gleichberechtigt neben ethischen oder physikalischen Aussagen239. 6. Inhaltlich werden Themen behandelt, die den Rahmen einer nur einführenden Logik deutlich sprengen: Grammatik in Int. und Fragen der Ontologie in Cat. 7. Logische und wissenschaftstheoretische Exkurse durchziehen das gesamte aristotelische Œuvre240, ebenso allgemeine wissenschaftstheoretische Überlegungen 241.
Chronologisch stammen die logischen Schriften aus der ersten Athenperiode (367–347). Es sind beinahe ausschließlich inhaltliche Aspekte, die über ihre relative Reihenfolge Auskunft geben können. Dass die Topik vor den Analytiken verfasst wurde, gilt seit langem als wissenschaftlicher Konsens242. Darüber hinaus gibt es keine einheitlich vertretene Meinung243. Die heute geläufigen Titel stammen, wie in der Antike allgemein üblich244, nicht vom Autor selbst, sondern sind erst in den spätantiken Sammlungen und Kommentarwerken belegt. 1. Kategorien (Cat.): Im 19. Jh. wurde diese Schrift zum Teil noch als unecht betrachtet245. Auch die sog. Postprädikamente (Kap. 10–15) sind in den Verdacht der Unechtheit geraten. Der heutige Forschungskonsens ist wesentlich zuversichtlicher: Mit der (vielleicht von Aristoteles selbst verfassten) interpolierten Überleitungsformel in 11b8–15 sind die Kap. 1–9 und die Kap. 10–15 zusammengefügt worden. Dies geschah bereits vor der Sammlung des Andronikos246. Beide ursprünglich selbstständigen Teile gehören zu 238 In
An. pr. I 1,24b14 gibt es z.B. einen Hinweis auf die Topik. Top. I 14,105b20f. 240 Z.B. EN I 1; I 2; I 7 und II 2; De An. I 1,402a–403a. 241 Phys. I 1; EN VI 1–7; VII 1,1145b2–7. Es gibt auch eine Reihe von Texten, die als selbstständige Texte erst später integriert wurden: Part. an. I 1; Met. I 1–2; II; VI 1. 242 Grundlegend zu diesem Konsens beigetragen hat die Arbeit von C.A. BRANDIS, Über die Reihenfolge der Bücher der Aristotelischen Organons und ihre Griechischen Ausleger, Histor.-philolog. Abh. der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1833 (Berlin, 1835) 249–291; Nachtrag 292–299. 243 Vgl. DÜRING, Aristoteles, 54; HÖFFE, Aristoteles, 24f; P.M. HUBY , The Date of Aristotle’s Topica and its Treatment of the Theory of Ideas, CQ NS 12 (1962) 72–80; FLASHAR, Aristoteles, 236f. Veraltet ist SOLMSEN, Entwicklung. 244 Vgl. einige knappe Hinweise in MAYORDOMO, Anfang, 206f. 245 So noch W.W. JAEGER, Aristoteles (Berlin, 21955) 45. 246 DÜRING, Aristoteles, 55. 239 Vgl.
B. Die aristotelische Termlogik
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den frühesten Arbeiten des Philosophen, da bes. der Inhalt der Kap. 1–9 in allen übrigen frühen Schriften als bekannt vorausgesetzt wird. 2. Hermeneutik (Int.): Während man im 19. Jh. diese mit vielen Auslegungsschwierigkeiten belastete Schrift erst in die Spätzeit des Aristoteles verlegte, ist man sich heute darin einig, dass sie in die Zeit des ersten AthenAufenthalts gehört: Wir finden zum einen in 11,20b26 einen Hinweis auf die Topik247. Zum anderen ist deutlich, dass manche Aspekte dieser Schrift in den Analytiken klarer und schärfer behandelt werden. Dass sie thematisch an Fragen über die Bedeutung der Wörter anknüpft, die Platon im Kratylos, Theaitetos und Sophistes diskutiert, spricht auch für eine Entstehung während der Akademie-Zeit des Aristoteles. Überlieferungsgeschichtlich ist es möglich, dass Kap. 14 ein hier später angefügter Text des Aristoteles selbst darstellt248. 3. Topik (Top.): Die Entstehung dieser Schrift, auf die Aristoteles oftmals verweist, ist komplex, da sie aus Einzelabhandlungen (z.B. VII,1–2) hervorgewachsen ist. Wahrscheinlich finden sich in den Büchern II–VII die ältesten Entwürfe. Das erste einleitende Buch und Buch VIII mit praktischen Ratschlägen sind danach entstanden. Wenn in VII 3,153a24f auf die Analytiken verwiesen wird (was keineswegs sicher ist), dann wäre VII,3–5 später entstanden. Ihre jetzige Form erhielt die Topik wahrscheinlich zu der Zeit, als die beiden Analytiken entstanden. Trotz ihrer Entstehungsgeschichte steht hinter der Topik eine einheitliche Grundkonzeption. Die Topik gilt chronologisch als die erste große logische Schrift der Philosophiegeschichte. Allerdings gilt es als sicher, dass Aristoteles das syllogistische Verfahren der An. pr. bei der Abfassung der Top. noch nicht vor Augen hatte. Früher ist häufig daraus geschlossen worden, dass die Top. nur eine Vorstudie auf dem Weg zur ausgereiften Analytik ist. Heutzutage wird die Topik jedoch als eine eigenständige Abhandlung gewürdigt, die ihr Autor auch nach Fertigstellung der Analytik vorgetragen und überarbeitet hat249. Für Aristoteles handelt es sich demnach um zwei parallele Darstellungen zu verschiedenen Gebieten (An. pr. I 30,46a28–30): Die Topik gehört in das dialektische Gespräch, die beiden Analytiken hingegen sind dem wissenschaftlichen Beweis gewidmet. 4. Sophistische Widerlegungen (Soph. el.): Das neunte Buch der Topik wird seit der Spätantike eigens als Einzelwerk hervorgehoben. Der Titel stammt aus den Anfangsworten (1,164a20) und der Zusammenfassung 247 Wahscheinlich
ist auf Soph. el. 5,167b38 und 169a6 angespielt. vermutet J.L. ACKRILL in seiner Übersetzung Aristotle’s Categories and De interpretatione (ClArS; Oxford, 1963) 153. 249 Vgl. zu solchen Überarbeitungsindizien E. WEIL, Die Rolle der Logik innerhalb des aristotelischen Denkens (1951), in: F.–P. Hager (Hrsg.), Logik und Erkenntnislehre des Aristoteles (WdF 226; Darmstadt, 1972) 137–142 mit Anm. 7. DÜRING, Aristoteles, 80–83 hat gezeigt, dass viele zentrale philosophische Grundsätze des Aristoteles ebenso wie wichtige Abgrenzungen gegenüber Platon bereits in Top. zu finden sind. 248 Das
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II. Antike Logik im Überblick
(12,172b5). Der Rückverweis in 12,172b27 (»wie früher gesagt«) auf Top. II 5 zeigt deutlich, dass die in diesem Buch versammelten Stücke bereits von Aristoteles mit der Topik verbunden worden waren. Die Berührungspunkte mit anderen Schriften des Aristoteles lassen kaum den Schluss zu, dass es sich um eine sehr frühe Schrift handeln könnte. 5. Erste und Zweite Analytik (An. pr., An. post.): Aristoteles selbst hat die vier Bücher der Analytiken als ein Werk in der heutigen Bücherreihenfolge konzipiert und sich auch gesamthaft darauf als hanalutiká berufen250. Ob sich jedoch die Entstehungchronologie der einzelnen Abhandlungen mit der jetzigen Anordnung deckt, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Manche Zeichen der Unabgeschlossenheit lassen eher daran zweifeln 251.
C. Die stoische Aussagenlogik252 Das Konstrukt einer »stoischen Logik« ist mit zwei Schwierigkeiten behaftet253: Zum einen ist der Logik-Begriff der Stoa wesentlich umfassender als der gegenwärtige fachterminologische Gebrauch (vgl. dazu oben S. 32f). Zum anderen erlaubt die Quellenlage nicht, stoische Logik als einheitliche Lehre analog der formalen Begriffslogik des Aristoteles zu rekonstruieren. Die dürftige Quellenlage (s.o. zu Chrysipp S. 29) legt vielmehr sogar nahe, dass es
250 Vgl.
Int. 10,19b31; Top. VIII 11,162a11; 13,162b32; Soph. el. 2,165b9; Met. VI 12,1037b8; EN VI 3,1139b26.32; MM II 6,1201b25; EE I 6,1217a17; II 6,1222b38; II 10,1227a10; Rhet. I 2,1356b9; I 2,1357b24f; II 25,1403a5.12. 251 In An. pr. I 44,50b1–2 weist Aristoteles z.B. auf eine spätere thematische Ausführung hin, die sich aber nirgends mehr finden lässt. Das zweite Buch der An. pr. besteht aus Einzeluntersuchungen (Kap. 1–15; 16–21 und 23–27). Während An. post. I eine straffe und einheitliche Beweistheorie bietet, finden sich im 2. Buch unvollendete Entwürfe für eine Wissenschaftstheorie. Mit Sicherheit jedoch gilt die These als falsch, die zweite Analytik sei vor der ersten verfasst worden. 252 Literatur: U. EGLI , Zur stoischen Dialektik (Basel, 1967); M. FREDE, Die stoische Logik (AAWG.PHK 3:88; Göttingen, 1974); S. BOBZIEN, Die stoische Modallogik (Epistemata Reihe Philosophie 32; Würzburg, 1986); Th. EBERT, Dialektiker und frühe Stoiker bei Sextus Empiricus: Untersuchungen zur Entstehung der Aussagenlogik (Hyp. 95; Göttingen, 1991); K. DÖRING / Th. EBERT (Hrsg.), Dialektiker und Stoiker: Zur Logik der Stoa und ihrer Vorläufer (Philosophie der Antike. Veröffentlichungen der Karl-und-Gertrud-Abel-Stiftung 1; Stuttgart, 1993); S. BOBZIEN, Stoic Syllogistic, Oxford Studies in Ancient Philosophy 14 (1996) 133–192; J. BARNES, Logic and the Imperial Stoa (PhAnt 75; Leiden, 1997); J. BARNES, Aristotle and Stoic Logic, in: K. Ierodiakonou (ed.), Topics in Stoic Philosophy (Oxford, 1999) 23–53; A. SPECA, Hypothetical Syllogistic and Stoic Logic (PhAnt 87; Leiden, 2001). Kurze Zusammenfassungen zur stoischen Logik in IERODIAKONOU, Art. Logik, 398f; K. HÜLSER, Art. Logik, stoische, EPhW 2 (1984) 687–689. 253 Vgl. FREDE, Stoische Logik, 9–12.
C. Die stoische Aussagenlogik
81
innerhalb der Stoa keine einheitliche Meinung zu logischen Fragen gab254. Mit einiger Sicherheit lässt sich sagen, dass trotz möglicher Vorläufer in der sog. »megarischen Schule«255 die Logik einen eigenständigen philosophischen Wert in der Stoa erst unter ihrem »zweiten Gründer« Chrysipp(os) aus Soloi (281/77–208/04) erlangt hat256. Er gilt daher in der heutigen Forschung als Hauptzeuge stoischer Logik, was jedoch nicht impliziert, dass es vor, neben oder nach ihm keine nennenswerten logischen Beiträge von Stoikern gegeben hat257. Im Folgenden soll der Ausdruck »stoische Logik« im engeren Sinne auf die Logik Chrysipps beschränkt bleiben. 1. Die Logik Chrysipps Im Nebel des Fragmentarischen lassen sich einige klare Umrisse erkennen. Die beiden wichtigsten Pfeiler sind zum einen die Sprach- und zum anderen die Argumentationslehre. a) Weitere sprachphilosophische Überlegungen Wie bereits erwähnt gehen die Stoiker wie Aristoteles von Aussagesätzen aus. Stoische Logik hebt sich jedoch dadurch ab, dass sie ihr Augenmerk auf den Satz als Ganzes und die Verbindung von Sätzen lenkt. Sie gelangt dadurch zu einer reicheren Kategorisierung von Satzarten258. Chrysipp unterteilt die Aussageformen in folgende Kategorien: 254 Galen,
De libris propriis, 11 schreibt über die Unterschiede in der Logik: »Bei den Peripatetikern ist die Uneinigkeit (diafwnía) verhältnismäßig klein; bei den Stoikern und Platonikern aber ist sie groß.« (= FDS, 225) Auch Cicero weiß von innerstoischen Diskrepanzen in Sachen Logik zu berichten (Acad. 2,143 = Schäublin, 184–187). Vgl. weiterhin BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 71f und die Überlegungen von HÜLSER, der demgegenüber den systematischen Charakter stoischer Logik hervorhebt (Fragmente I, XLIX–LVI). 255 BOCHENSKI, Formale Logik, 121–125 spricht von »megarisch-stoischer Logik« und nennt als megarische Vorläufer u.a. Diodoros Kronos, Apollonios Kronos, Eubulides von Milet und den Sokrates-Schüler Euklid von Megara. Während FREDE, Stoische Logik, 19–23 diese mehrfach vertretene Meinung kritisiert, wird sie von EBERT differenziert und verfeinert, Dialektiker und frühe Stoiker, vgl. bes. 21–24. Vgl. zu den Megarikern K. DÖRING, Art. Megariker, DNP 7 (1999) 1143f. 256 Vgl. allgemein zu Chrysipp STEINMETZ, Stoa, 584–625 (Lit!), bes. zur Logik Chrysipps S. 593–603. Zu Chrysipp als »Urheber der stoischen Logik« vgl. FREDE, Stoische Logik, 27f. 257 In der Zeit vor Chrysipp hat v.a. Zenon wichtige sprach- und erkenntnistheoretische Fragen behandelt. Vgl. dazu A. GRAESER, Zenon von Kition (Berlin, 1974) 8–81. In der Zeit nach Chrysipp gibt es Hinweise auf einige bedeutsame Beiträge durch Poseidonius (vgl. dazu BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 71f). Zur Berechtigung der Konzentration auf Chrysipp vgl. FREDE, Stoische Logik, 29–31. 258 Vgl. dazu die Texte in FDS, 914f.952 und die Diskussion in BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 97–103.
82
II. Antike Logik im Überblick
Einfache Aussagen (Haplä) sind Aussagen, die weder mit sich selbst noch mit anderen verknüpft sind: 1. Affirmativ (bejahend):
a) Definite Aussagen bestehen aus Prädikat und einem hinweisenden Begriff (z.B. »Dieser wandelt umher«). b) Indefinite Aussagen führen ein unbestimmtes Pronomen als Subjekt (z.B. »Jemand wandelt umher«). c) In mittleren Aussagen ist ein Appellativ oder eine Eigenname Subjekt (z.B. »Ein Mensch sitzt«, »Sokrates wandelt umher«).
2. Negativ (verneinend):
a) Verneinung (hapofatikón) durch die Negation des gesamten Satzes (z.B. »Nicht [ohu] ist es Tag«). b) Bestreitung (harnjtikón) durch ein negatives Pronomen als Subjekt (z.B. »Niemand [ohudeíß] wandelt umher«). c) Privation (stjrjtikón) durch a-Privativum (z.B. »Ein Nicht-Menschenfreund [hafilánqrwpoß] ist dieser«).
Nicht-einfache Aussagen (ohuc Haplä) sind Aussagen, die entweder mit sich selbst (z.B. »Es ist Tag und es ist Tag«) oder mit anderen (z.B. »Wenn es regnet, wird es nass«) durch Konjunktionen verbunden sind. 1. Konjunktive Aussage (haxíwma sumpepljgménon):
Zweistellige Aussage, die durch die Konjunktion »und« (kaí) gebildet wird (z.B. »Es ist Tag und es ist hell«).
2. Disjunktive Aussage (haxíwma diezeugménon):
Zweistellige Aussage, die durch die Konjunktion »entweder … oder« (‘jtoi ... ‘j) gebildet wird (z.B. »Entweder ist es Tag oder Nacht«).
3. Implikative Aussage (haxíwma sunjmménon):
Zweistellige Aussage, die durch die Konjunktion »wenn« (e˙) gebildet wird und in der der Nachsatz aus dem Vordersatz »folgt«259 (z.B. »Wenn es Tag ist, ist es hell«).
Dass Aussagen aufgrund ihrer Beziehung zu einer außersprachlichen Wirklichkeit mit den Wahrheitswerten »wahr« oder »falsch« belegt werden können, ist Grundlage der stoischen Logik. Die Frage, wie sich dies genau bewerkstelligen lässt, ist ein Problem der Erkenntnislehre oder der Metaphysik, jedenfalls nicht der Logik, denn hierbei geht es um die Frage der Referenz zum außersprachlichen Gegenstandsbereich260. Zentral aber für das 259 Formulierung
nach DiogL VII 71 (= FDS, 914): Die Implikation ist »die Aussage, die vermittels des implikativen Satzverknüpfers (Junktor) ›wenn‹ (e˙) zusammengesetzt ist – dieser Satzverknüpfer (Junktor) besagt, daß das Zweite aus dem Ersten folgt (hepaggélletai dh Ho súndesmoß oˆutoß hakolouqeïn tò deúteron t^¨w pr´wt^w).« 260 Vgl. DiogL. VI 65: »Ihren Namen hat die Aussage (h axíwma) von haxioüsqai (behauptend in Geltung setzen) her erhalten; wer nämlich sagt: ›Es ist Tag‹, behauptet offensichtlich mit Geltungsanspruch, daß es Tag ist. Wenn es nun wirklich Tag ist, so ist die vorliegende Aussage wahr. Wenn aber nicht, dann wird sie falsch.« (= FDS, 874). STEINMETZ, Stoa, 597: »Eine Vorstellung ist dann wahr, wenn eine Aussage, die sie richtig beschreibt, wahr ist, und das ist der Fall, wenn sie mit der die Vorstellung verursachenden Wirklichkeit (den tugcánonta) übereinstimmt. Wenn ich die Vorstellung habe, es sei Tag, und die Aussage ›Es ist Tag‹ richtig ist, weil es tatsächlich Tag ist, dann ist meine Vorstellung wahr.« Vgl. weiterhin FDS, 1212; FREDE, Stoische Logik, 40–44.
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C. Die stoische Aussagenlogik
logische Verhältnis von Sätzen ist die Bestimmung des Wahrheitswertes von zusammengesetzten Aussagen. Im Anschluss an vorgängige Diskussionen durch die Megariker beschreitet Chrysipp den Weg über den Wahrheitswert der einfachen Aussagen, aus denen die Gesamtaussage sich zusammensetzt. Konjunktive Aussagen (durch »und« verbunden) sind nur dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind. Disjunktive Aussagen (ausschließendes »oder« im Sinne von aut) sind nur dann wahr, wenn eines der Glieder wahr ist und das andere falsch. Die implikative Aussage (»wenn…, dann«) ist besonders problembeladen, da es sehr viele unterschiedliche Formen gibt, die Beziehung zwischen Vorder- und Nachsatz zu fassen261. Für Chrysipp ist der innere Zusammenhang (sunártjsiß) ausschlaggebend. Dadurch gelangt er zu zwei Bestimmungen: 1. Wahr ist eine Implikation dann, wenn das kontradiktorische Gegenteil des Nachsatzes mit dem Vordersatz unvereinbar ist. So ist z.B. die Aussage »Wenn es Tag ist, ist es hell« wahr, weil die Kontradiktion »es ist nicht hell« im Widerspruch steht zur Aussage »Es ist Tag«. 2. Umgekehrt ist eine Implikation falsch, wenn das kontradiktorische Gegenteil des Nachsatzes mit dem Vordersatz vereinbar ist. Die Implikation »Wenn es Tag ist, wandelt Dion umher« ist falsch, weil die Aussage »Dion wandelt nicht umher« mit »Es ist Tag« vereinbar ist.
Diese logischen Bestimmungen können in sog. Wahrheitstafeln formal dargestellt werden (w = wahr; f = falsch): Konjunktion
Implikation262
Disjunktion
p
q
p∧q
p
q
p ›–‹ q
p
q
p→q
w
w
w
w
w
f
f
w
w
f
w
w
w
f
w
w
f
f
f
w
f
f
w
w
f
w
w
f
f
f
f
f
f
f
f
w
Chrysipp dachte zwar, dass eine Aussage wahr oder falsch sein muss, aber er war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass aufgrund von Zeit- und Ortsangaben oder deiktischen Hinweisen (wie »hier« oder »dieser«) der Wahrheitswert des Sachverhaltes sich ändern kann263. So ist die Aussage »Es ist Tag« nicht zu jedem Zeitpunkt wahr. Chrysipp fragte daher auch nach dem
261 Die
Frage nach dem Wahrheitswert von Konditionalsätzen war in der Zeit vor Chrysipp ausgiebig diskutiert worden (Cicero, Acad. 2,143). Vgl. zu den Unterschieden zwischen der (in der Stoa aufgenommenen) philonischen und der diodereischen Implikation BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 84–86; BOCHENSKI, Formale Logik, 133–136; KNEALE / KNEALE, Logic, 128–138; FREDE, Stoische Logik, 80–93. 262 Das Konditional wird in der modernen Aussagenlogik auf seine extensionale Bedeutung reduziert: »Es ist nicht der Fall, dass A wahr und B falsch ist.« = ¬ (A ∧ ¬ B) = A → B. 263 Vgl. DiogL. VII 65 (= FDS, 696).
84
II. Antike Logik im Überblick
logischen Status von möglichen, unmöglichen, notwendigen und nicht notwendigen Aussagen (vgl. das Referat in DiogL. VII 75)264. Modalität
Bestimmung (nach Sachverhalt und äußeren Umständen)
Beispiel
möglich:
was (a) wahr sein kann und (b) von äußeren Umständen nicht gehindert wird.
»Diokles lebt.«
unmöglich:
was (a) nicht wahr sein kann und (b) von den äußeren Umständen gehindert wird.
»Die Erde fliegt.«
notwendig:
was (a) wahr ist und nicht falsch sein kann; oder: was (a) falsch sein kann, aber (b) von äußeren Umständen gehindert wird, falsch zu sein.
»Die Tugend nützt.«
nicht notwendig: was (a) sowohl wahr als auch falsch sein kann, und (b) von äußeren Umständen nicht gehindert wird.
»Dion wandelt umher.«
b) Die Argumentations- und Schlusslehre265 Die Hauptbegriffe der stoischen Argumentations- und Schlusslehre werden von Diogenes Laertios knapp eingeführt: »Das Argument (tòn lógon) selbst sei ein System aus Prämissen und Konsequenz (sústjma hek ljmmátwn kaì hepiforäß). Der Syllogismus aber sei ein aus diesen Komponenten bestehendes syllogistisches Argument (tòn dè sullogismòn lógon sullogistikòn hek toútwn). Und der Beweis (hapódeixin) sei ein Argument, welches das weniger Erkannte korrekt aus dem besser Erkannten erschließt (dià t¨wn mällon katalambanómenon peraínonta).« (DiogL. VII 45 = FDS, 1037)
Die stoische Logik benutzt für die Aussagen Variablen wie »das erste«, »das zweite« oder »a«, »b«. Im Gegensatz zum aristotelischen System stehen diese nicht für Begriffe, sondern für einfache Aussagen. Ein typischer stoischer Schluss hat die folgende Form: Wenn p, dann q. Aber (dé) p. Also (‘ara) q.
Wenn es Tag ist, dann ist es hell. Nun gilt: Es ist Tag. Also ist es hell.
Häufig besteht die »leitende Prämisse« (Hjgemonikòn l¨jmma) aus einer nichteinfachen und die »Zweitprämisse« (prósljyiß) aus einer einfachen Aussage. Dass ein Schluss nur aus mehreren Prämissen gezogen werden kann, war auch in der Stoa die orthodoxe Sicht266. Die logische Gültigkeit eines syllogistischen Schlusses hängt von seiner Rückführbarkeit auf eine der sog. 264 Hier
werden Aspekte der modernen Modallogik vorweggenommen, welche die sog. »alethischen« Modalitäten berücksichtigt: »notwendig« (Symbol: Δ, oder L) und »möglich« (Symbol: ∇, oder M). Vgl. K. LORENZ, Art. Modallogik, EPhW 2 (1984) 907–911. 265 Vgl. zum Folgenden BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 121–157. 266 »Schlüsse« der Form »p, deshalb p«, »p und q, deshalb p« oder »p, dehalb p oder q« wären stoisch betrachtet unzulässig.
C. Die stoische Aussagenlogik
85
fünf unbeweisbaren Formen (hanapódeiktoß)267 ab. Es handelt sich dabei um Regeln, mit deren Hilfe aus einer Reihe unbeweisbarer, weil direkt evidenter Sätze wahre Aussagen gewonnen werden können. Die fünf »Grundsyllogismen« werden bei Sextus und Diogenes Laertios ausführlich dargestellt268: Form269
Beschreibung
a) Beispielsatz; b) Modusformel
1. »Wenn ein Argument zwei Prämissen hat, von denen die eine eine Implikation und die andere der in der Implikation enthaltene Vordersatz ist, und wenn es außerdem als Konsequenz den in derselben Implikation enthaltenen Nachsatz hat.« (Sextus)
a) »Wenn es Tag ist, ist es hell; nun aber ist es Tag; also ist es hell.« (modus ponens) b) »Wenn das Erste, dann das Zweite; nun aber das Erste; also das Zweite.«
p→q p→q q
2. »Wenn ein Argument wiederum aus zwei Prämissen zusammengestezt ist, von denen die eine eine Implikation und die andere der kontradiktorische Gegensatz des in der Implikation enthaltenen Nachsatzes ist, und wenn es außerdem als Konsequenz den kontradiktorischen Gegensatz des Vordersatzes hat.« (Sextus)
a) »Wenn es Tag ist, ist es hell; nun aber nicht: es ist hell; also nicht: es ist Tag.« 270 (modus tollens) b) »Wenn das Erste, dann das Zweite; nun aber nicht das Zweite; also nicht das Erste.
p→q ¬q ¬p
3. »Das dritte unbeweisbare Argument ist dasjenige, welches aufgrund einer negativen Konjunktion und einem der Konjunktionsglieder den kontradiktorischen Gegensatz des verbleibenden Konjunktionsglieds als Schlusssatz hat.«
a) »Nicht: sowohl es ist Tag, als auch es ist Nacht; nun ist es Tag; also nicht: es ist Nacht.« b) »Nicht: sowohl das Erste als auch das Zweite; nun aber das Erste; also nicht das Zweite.«
¬(p∧q) ¬(p∧q) ¬q
4. »Der vierte unbeweisbare Syllogismus ist der Typ von Argumenten, der aufgrund einer Disjunktion und eines der Disjunktionsglieder [als Prämissen] den kontradiktorischen Gegensatz des verbleibenden Disjunktionsglieds als Schlusssatz hat.«
a) »Entweder es ist Tag, oder aber es ist Nacht; nun ist es Tag; also nicht: es ist Nacht.« b) »Entweder das Erste, oder aber das Zweite; nun aber das Erste: also nicht das Zweite.«
p ›–‹ q p ›–‹ q ¬q
5. »Der fünfte unbeweisbare Syllogismus, das ist die Klasse all der Argumente, die aus einer Disjunktion und dem kontradiktorischen Gegensatz eines der Disjunktionsglieder konstruiert werden und deren Konsequenz das verbleibende Disjunktionsglied ist.«
a) »Entweder es ist Tag, oder aber es ist Nacht; nun aber nicht: es ist Nacht; also: es ist Tag.« b) »Entweder das Erste oder das Zweite; nun aber nicht das Erste; also das Zweite.«
p ›–‹ q ¬p q
267 DiogL. VII
79 (= FDS, 1036). Zitate in der folgenden Tabelle stammen für 1–3 aus Sextus Empir., Adv. Math. VIII,224–227 (= FDS, 1131) und 4–5 aus DiogL. VII 80f (= FDS, 1036). 269 Die fünf stoischen Axiome sind auch in der modernen Aussagenlogik gültig. Daher wird hier die knappe Formel in moderner »Schreibweise« geboten. 270 An dieser Stelle ist der sonst sehr zuverlässigen Darstellung von BARNES / BOBZIEN / MIGNUCCI, Logic and Language, 128 ein bedauernswerter Fehler unterlaufen. Die Wiedergabe der Beschreibung des zweiten Axioms ist korrekt, der Beispielsatz, der sich sowohl bei Sextus als auch bei Diogenes Laertios findet, ist jedoch falsch angegeben: »If it is day, it is light. Not: it is day. Therefore not: it is light.« 268 Die
86
II. Antike Logik im Überblick
Diese »Unbeweisbaren« sind selbstevident und dienen als formale Matrix für die Bestimmung syllogistischer Gültigkeit271. Auf diese Grundtypen lassen sich dann weitere »beweisbare« Syllogismen zurückführen. 2. Historische Beziehungen und Auswirkungen stoischer Logik Die historischen Beziehungen zwischen den Vertretern stoischer Logik und der heute viel klarer greifbaren Logik des Aristoteles lässt sich anhand der Quellen nicht mit Gewissheit klären. Bereits in den spätantiken Aristoteles-Kommentaren werden Elemente stoischer Logik integriert, so dass das stoische System ab dem 2. Jh. n.Chr. immer weniger als eigenständige Größe erkennbar wird272. Diese Entwicklung hat sich bis ins 19. Jh. in Form des wissenschaftlichen Konstrukts einer einheitlichen »antiken Logik« – die es so nie gab – fortgesetzt273. Die stoische Logik ist erst im 20. Jh. aus ihrer aristotelischen »Umklammerung« gelöst und als sachlich eigenständiges System gewürdigt worden. Was das Verhältnis der stoischen zur aristotelischen Logik betrifft, so ist unsicher, ob Chrysipp das aristotelische logische Werk kannte. Die verschiedenen Schulen in Athen waren sich jedoch geographisch so nahe, dass Querbezüge vorstellbar sind. Unterstützung erhält diese Vermutung durch Plutarch, der aus Chrysipps »Über die Dialektik« Folgendes entnimmt: »Im dritten Buch ›Über die Dialektik‹ weist er darauf hin, daß Platon und Aristoteles sich ernsthaft um die Dialektik bemüht haben (hespoúdase perì t`jn dialektik´j n), desgleichen ihre Nachfolger bis hin zu Polemon und Straton, ganz besonders aber Sokrates; und er fügt hinzu, daß man wegen der großen Zahl und der Qualitäten dieser Leute sogar bereit wäre, sich mit ihnen auf Irrwege einzulassen (sunexamartánein).« (De Stoic. repugn. 24, 1045F– 1046A = FDS, 217)
271 Die
lateinischen Autoren haben diese Liste durch zwei weitere »Syllogismen« erweitert, die jedoch kaum etwas zu den fünf Syllogismen Chrysipps beitragen. Vgl. Cicero, Top. 12,53–14,57 (= FDS, 1138); Boethius, Cic. Top. 355–358 (= FDS, 1140); Galen, Inst. Log. 5,3f (= FDS, 1119); 6,7 (= FDS, 1152); 15,1–11 (= FDS, 1153). 272 Vgl. zu Galen(os) o. S. 30. 273 Typisch etwa für die Forschungslage bis ins 19. Jh. ist die Darstellung in PRANTL, Geschichte der Logik, I, 401–496, der der stoischen Logik Minderwertigkeit bescheinigt und sie gänzlich der aristotelischen unterordnet. Als typisch kann das folgende (Fehl)urteil gelten: »Materiell Neues in der Logik hat Chrysippus eigentlich nicht geschaffen, denn er wiederholt nur das bei den Peripatetikern schon Vorhandene sowie die von den Megarikern aufgebrachten Einzelheiten; seine Thätigkeit besteht darin, dass er in der Behandlungsweise des Materials zu einem bemitleidenswerthen Grade von Plattheit, Trivialität und schulmässiger Abschachtelung heruntersank …« (408). Der entscheidende Anstoß zur Entdeckung der stoischen Logik als einem eigenständigen und wissenschaftlich relevanten Entwurf kam von dem bedeutenden polnischen Logiker J. LUKASIEWICZ, Zur Geschichte der Aussagenlogik, Erkenntnis 5 (1935) 111–131.
C. Die stoische Aussagenlogik
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Wenn Plutarch den Inhalt der chrysippischen Dialektik korrekt wiedergegeben hat, dann würde dies bedeuten, dass Chrysipp die Logik des Peripatos mit Respekt aber auch mit kritischer Distanz zur Kenntnis nahm. Von einer direkten Beeinflussung ist daher kaum zu sprechen274. In der Folgezeit haben die Vertreter der beiden Schulen ihre jeweiligen Logik-Systeme als einander ausschließend gegeneinander zu behaupten versucht275. Dies verstärkt den Eindruck, dass wir es bei der stoischen Logik mit einer genuin eigenständigen und von Aristoteles unabhängigen Entwicklungslinie zu tun haben. Dass Chrysipp sehr viel intensiver an Fragen der Logik gearbeitet hat als Aristoteles und seine Nachfolger, lässt sich nicht nur einem Hinweis Ciceros entnehmen276, sondern auch der beeindruckend langen Liste logischer Schriften Chrysipps, die Diogenes Laertios aufführt277. Der fragmentarische Zustand der Texte zur stoischen Logik – ein bedauernswerter Zufall der Überlieferung – darf über diese Tatsache nicht hinwegtäuschen. In der frühen Kaiserzeit waren die Gebildeten nach Cicero ohne weiteres in der Lage, die Logik der Peripatetiker und die der Stoiker voneinander zu unterscheiden: »Von einem wirklich guten Redner erwarte ich also, daß ihm die gesamte dialektische Methodik bekannt ist, soweit sie mit der Vortragsrede in Verbindung gebracht werden kann. Wie du […] zweifellos weißt, wurde dieses Gebiet auf zweierlei Art bearbeitet (duplicem habuit docendi viam). Denn einerseits hat Aristoteles selbst sehr viele Argumentationsregeln niedergelegt; und andererseits haben später die sogenannten Dialektiker noch weitaus spitzfindigere Vorschriften entwickelt. Wer sich daher vom Ruhm der Beredsamkeit abziehen läßt, der darf, so meine ich, auf diesem Gebiet nicht völlig ungebildet sein; vielmehr soll er entweder nach jener alten Schule oder nach der des Chrysipp (vel illa antiqua vel hac Chrysippi disciplina institutum) ausgebildet sein.« (Orator 32,114f = FDS, 38)
Die Formulierung Ciceros legt zudem nahe, dass die Logik Chrysipps als die »moderne Logik schlichtweg« galt278. Bedenkt man ferner das Schicksal der aristotelischen Schriften bis zur Edition des Andronikos von Rhodos im 1. Jh. v.Chr.279, dann erscheint die Annahme mehr als plausibel, dass im 1. Jh. 274 Vgl.
BARNES, Aristotle and Stoic Logic, 23–53 und auf genereller Ebene F.H. SANDBACH, Aristotle and the Stoics (Proceedings of the Cambridge Philological Society. Supplementary vol. 10; Cambridge, 1985). Für sachliche Einflüsse auf dem Gebiet der Sprachtheorie plädiert vorsichtig W. AX, Der Einfluß des Peripatos auf die Sprachtheorie der Stoa, in: Döring / Ebert, Dialektiker und Stoiker, 11–32. 275 Vgl. FREDE, Stoic vs. Aristotelian Syllogistic, AGPh 56 (1974) 1–32; I. MUELLER, Stoic and Peripatetic Logic, AGPh 51 (1969) 173–187. 276 Cicero, Fin. IV,9 = FDS 252: »Wenn auch Chrysipp an diesen Dingen sehr intensiv gearbeitet hat (a Chrysippo maxime est elaboratum)…« 277 DiogL VII 189–202 = FDS 194. Vgl. dazu J. BARNES, The Catalogue of Chrysippus, in: K.A. Algra et al. (eds.), Polyhistor: Studies in the History and Historiography of Ancient Philosophy (FS J. Mansfeld; PhAnt 72; Leiden, 1996). 278 FREDE, Stoische Logik, 27. 279 S.o. Exkurs S. 74ff.
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II. Antike Logik im Überblick
n.Chr. nicht die aristotelische, sondern die stoische Logik das philosophische Feld beherrschte280. Noch im 3. Jh. weiß Diogenes Laertios zu berichten, »dass die meisten Leute meinten, falls es bei den Göttern eine Dialektik gäbe, so würde es sich wohl um keine andere handeln als um die des Chrysipp«281. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Bedeutung der Logik in der stoischen Philosophie während der Kaiserzeit überhaupt zukam. Die Tatsache, dass bekannte Stoiker wie Seneca, Musonius, Epiktet und Marc Aurel sich vorrangig mit ethischen Problemen beschäftigten, spricht eher gegen ein ausgeprägtes logisches Interesse. Der stoische Kaiser Marc Aurel äußert sich in seinen Selbstbetrachtungen wiederholte Male negativ über die Logik: So dankt er den Göttern u.a. auch dafür, dass er bei seinem philosophischen Streben nicht einem Sophisten verfiel und sich »nicht hinsetzte, Gemeinplätze zu verfassen oder Syllogismen aufzulösen« (I,17,22: hepì tò tópouß suggráfein ’j sullogismoùß hanalúein; übers. Theiler; vgl. a. VII,67,3). Die minderwertige Bedeutung der Logik ist v.a. darin begründet, dass sie den Menschen nicht dem Glück näher bringt. Das glückliche Leben findet sich nämlich »nicht in Syllogismen (ohuk hen sullogismoïß), nicht im Reichtum, nicht im Ruhm, nicht im Genuß«, sondern in einem Leben im Einklang mit der Natur (VIII,1,5; übers. Theiler). Der Briefwechsel zwischen N. Cornelius Fronto und seinem (ehemaligen) Schüler Marc Aurel legt jedoch nahe, dass wir es hierbei sehr wahrscheinlich mit einer Alterseinsicht zu tun haben. Fronto, der berühmte Redner, zeigt sich nämlich in seinen Briefen »über die Redekunst« (de eloquentia) sehr darum bemüht, seinen Schüler von der Logik abzubringen und für die Redekunst zu gewinnen 282. Das Werk Senecas bietet ein ähnliches Bild 283: In ep. V 45 (Rosenbach, III, 346–357) führt der Philosoph einen »Streit mit den Dialektikern« (V 45,13: lis cum dialecticis), bei dem ein Argument im Zentrum steht: Die logische Beschäftigung mit Wortbedeutungen, Fehlschlüssen und Spitzfindigkeiten ist angesichts der Herausforderungen, die die Philosophie zu meistern hat, nichts als Zeitverschwendung (s.a. V 49,7). An verschiedenen Stellen
280 Zu
diesem Ergebnis gelangt die große Studie von MORAUX, Aristotelismus, I, 169: »Die einzige formale Logik, die nach dem Einschlafen des Peripatos nach den ersten Nachfolgern des Aristoteles und bis zur Wiederbelebung durch Andronikos praktiziert wurde, war eben die der Stoiker. Trotz ihrer Herkunft muss sie weniger als die Logik einer Schule denn als die moderne, fortgeschrittene Logik überhaupt erschienen sein.« 281 DiogL VII 180 (= FDS 154). 282 Fronto sieht mit großer Sorge, dass Marc Aurel sich mit Fehlschlüssen beschäftigt und dabei die Rhetorik vernachlässigt (2,13 [van den Hout, 141] = 1,14 [Haines, II, 66f]). Sein Schüler folge dabei einer weit verbreiteten Unsitte (4,5 [van den Hout, 149] = 3,4 [Haines, II, 74f]). Fronto erinnert ihn nicht nur daran, dass der sicherlich vom jungen Marc Aurel hoch geschätzte stoische Logiker Chrysipp von vielen rhetorischen Redeformen Gebrauch gemacht hat (2,14f [van den Hout, 141f] = 1,15f [Haines, II, 66–69]), er malt ihm ferner den einschläfernden Logik-Unterricht aus (5,4f [van den Hout, 151f] = 4,3f [Haines, II, 82–85] und beschwört ihn geradezu: »Tell me, I pray you, do you take anything in from your dialectics? are you proud of taking in anything?« (1,18b [Haines, II, 71] = 2,17 [van den Hout, 144: dic, obsecro, mihi: de dialecticis istis ecquid tenes? ecquid tenere te gaudes?) 283 Vgl. dazu BARNES, Logic and the Imperial Stoa, 10–23. F ENSKE, Argumentation, 34 betont nur die negative Seite von Senecas Stellungnahmen.
C. Die stoische Aussagenlogik
89
bedenkt Seneca Fehlschlüsse, die zu seiner Zeit diskutiert wurden, mit beißendem Spott284. Aus seiner Sicht handelt es sich um kindische Belanglosigkeiten (pueriles ineptias), die den Menschen nicht auf den Tod vorbereiten oder in Armut oder Reichtum helfen (V 48,6f; Rosenbach, III, 378–381; s.a. X 82,8f.19). Obwohl solche Diskussionen unnütz sind (V 49,5), sollte man »einen Blick auf derlei werfen, aber es darf nur betrachtet und von der Schwelle aus gegrüßt werden zu dem einen Zweck, daß wir uns nicht Worte vormachen lassen und meinen, ihnen wohne ein großes und geheimes Gut inne« (V 49,6; Rosenbach, III, 389). Die Art und Weise, wie Seneca über den Briefadressaten Lucilius auf eine breitere Öffentlichkeit einzuwirken versucht, zeigt, dass es ein großes Interesse v.a. der Jugend an solchen logischen Diskussionen gab, welches der Philosoph einschränken will285. Ferner ist zu beachten, dass Senecas Kritik nicht der Logik schlechthin gilt, sondern ihrer Überbewertung angesichts der »großen« philosophischen Fragen nach Leben und Tod286. Die lange Kette von syllogistischen Argumenten gegen den Reichtum in ep. IX 87,11–41 macht deutlich, dass Seneca ein logischer »Utilitarist« ist, der immer dann gerne auf logische Schlüsse rekurriert, wenn diese für die Erhellung moralischer Fragen nützlich sind.
Die negativen Aussagen zur Logik von bekannten stoischen Philosophen lassen sich nicht ohne weiteres als Beleg für ein allgemeines Desinteresse an logischen Fragen anführen. Der polemische Ton legt viel eher nahe, dass die zitierten Autoren gegen eine zu eifrige Beschäftigung mit logischen Quisquilien (oder was sie dafür hielten) argumentieren. Die z.B. von Frede vertretene Meinung, »daß die stoische Logik von der Alten Stoa entwickelt, von der Mittleren und Neuen Stoa aber so vernachlässigt worden ist, daß sie völlig verfiel«287, bedarf demnach einer differenzierteren Sicht. Leider wissen wir nur sehr wenig über stoische Logiker aus der Kaiserzeit288. Das Werk Epiktets gibt jedoch klarere Auskunft über den Stellenwert der Logik289: Epiktet hat bei Musonius Rufus Logik gelernt290. Neben einem Traktat über den Gebrauch von äquivoken Prämissen und hypothetischen Argumenten (I,7: perì t¨jß creíaß t¨wn 284 Er
nennt u.a. den Horn-Fehlschluss (V 45,8), das Lügner-Paradox (V 45,10), den Maus-Fehlschluss (V 48,6–7: Maus ist eine Silbe. Eine Maus nagt den Käse. Also: Eine Silbe nagt den Käse.) und den Vers-Fehlschluss (XIX–XX 113,25f: Ein guter Vers ist ein Gut. Jedes Gut ist ein Lebewesen. Also: Ein Vers ist ein Lebewesen.). 285 Viele der diskutierten Fehlschlüsse werden Seneca von Lucilius als Frage vorgelegt (z.B. V 45,10; 48,6f). 286 Es ist nicht klar, seit wann der Topos der Nützlichkeit von Logik, der etwa bei Galen begegnet, philosophisch diskutiert wurde. Vgl. dazu J. BARNES, Galen and the Utility of Logic, in: J. Kollesch / D. Nickel (Hrsg.), Galen und das hellenistische Erbe (Sudhoffs Archiv Beihefte 32; Stuttgart, 1993) 33–52. 287 Vgl. FREDE, Stoische Logik, 31; BARNES, Logic and the Imperial Stoa, 3 nennt diese Meinung »a commonplace«. 288 Vgl. zu möglichen Kandidaten BARNES, Logic and the Imperial Stoa, 4f mit Anm. 19. 289 Vgl. BARNES, Logic and the Imperial Stoa, 24–145. 290 Eine kleine biographische Anekdote dazu findet sich in I,7,32 (Oldfather, I,56f): Epiktet berichtet davon, dass Musonius Rufus ihm vorgeworfen habe, eine fehlende Prämisse in einem Syllogismus nicht erkannt zu haben (tò paraleipómenon ”en hen sullogism^¨w tini ohuc e“uriskon). Epiktet erwiedert, dass das wohl kaum so schlimm sei, als ob er das Kapitol niedergebrannt hätte. Musonius entgegnet: »Sklave, das Fehlen ist das Kapitol!«
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II. Antike Logik im Überblick
metapiptóntwn kaì Hupoqetik¨wn) und einem über die Notwendigkeit der Logik (II,25: p¨wß hanagkaïa tà logiká) greift Epiktet im Verlauf seiner Argumentation zuweilen auf logische Argumentationsformen zurück (z.B. I,8,1–3; II,20,2f; IV,1,61)291. Er drückt explizit das aus, was Seneca in seinen Angriffen gegen die »Dialektiker« zu implizieren scheint: Logik war in den ersten beiden Jahrhunderten unserer Zeitrechnung bei vielen Philosophen besonders beliebt. In III,2,1–4 unterscheidet er drei Gebiete des philosophischen Studiums, die zur menschlichen Vollendung führen: die Gefühle (Ho perì tà páqj), die gesellschaftliche Pflicht (Ho perì tò kaq¨jkon) und schließlich die Vermeidung von Irrtümern (Ho perì t`j n hanexapatjsían) 292. Dass mit Letzterem die Logik gemeint ist, macht schließlich seine Klage über die »heutigen Philosophen» (oÓ nün filósofoi) deutlich (III,2,6): Diese übergehen nämlich das erste und das zweite Gebiet und konzentrieren sich auf das dritte, auf »äquivoke Prämissen, durch Fragen gewonne (Syllogismen), hypothetische Prämissen und Lügner-Paradoxa« (metapíptontaß, t^¨w hjrwt¨jsqai peraínontaß, Hupoqetikoúß, Yeudoménouß; Oldfather II,22–25)293. Für Epiktet ist jedoch die Beschäftigung mit den beiden ersten Gebieten grundlegend (III,2,3f) und mit der Logik soll sich jemand erst dann beschäftigen, wenn die ethische Vollendung erreicht ist (III,2,7: tòn kalòn kaì hagaqón) 294.
Die Stoiker der Kaiserzeit zeigen gerade mit ihren Invektiven gegen die Logik, welche Anziehungskraft dieser Teil der Philosophie damals ausübte295. Für das kulturelle Umfeld des Paulus bedeutet dies zweierlei: Die dominierende Form von Logik war die chrysippisch-stoische und diese war im philosophischen Diskurs der Zeit höchst präsent296.
291 Zum
Gebrauch logischer Fachtermini in Epiktet vgl. BARNES, Logic and the Imperial Stoa, 27–29. 292 Die Dreiteilung ist häufig in Epiktet (vgl. I,4,11f; 17,22–24). 293 Vgl. a. II,23,41. Eine ähnliche Argumentation begegnet in Ench. 52: »[W]e spend our time in the third division, and all our zeal is devoted to it, while we utterly neglect the first.« (Oldfather, II, 536f). Epiktet beklagt sich über junge Philosophen, die bei einem Gastmahl mit ihren Kenntnissen über hypothetische Argumente prahlen (I,26,9; s.a. II,19,8–10). 294 Vgl. I,4,6–9: Die Lektüre der Schriften Chrysipps vermag nicht, Fortschritt in der Tugend zu erbringen. 295 In diesem Sinne beschließt BARNES, Logic and the Imperial Stoa, 126 seine Studie über Epiktet: »[H]is contemporaries – Stoic teachers and Stoic pupils – were obsessed not by ethics but by logic; they gave themselves to logical matters with a passion, a singlemindedness, and no doubt a pedantry which galled Epictetus – as it had galled Seneca […] Nonetheless, it seems to me beyond doubt that logic engrossed men during this period in the history of philosophy as it has rarely engrossed men in any other period.« 296 Historisch sind demnach Querbezüge zwischen paulinischem Gedankengut und stoischer Logik denkbar (vgl. jedoch zum Status dieser Frage o. S. 23ff). Neuere Studien zum Themenfeld »Paulus und die Stoa« gehen auf die Logik nicht ein (vgl. M.L. COLISH, Stoicism and the New Testament: An Essay in Historiography, ANRW II.26.1 [1992] 334–379; T. ENGBERG-PEDERSEN, Paul and the Stoics [Edinburgh, 2000]). Wenn wir den Blick in die frühere Theologiegeschichte ausweiten, dann lassen sich Spuren stoischer Logik deutlich bei Origenes und Augustin nachweisen (vgl. HEINE, Stoic Logic; BUCHER, Logik bei Augustinus).
III. Analyse paulinischer Texte A. Vorfragen: Textwahl und logische Analyseschritte Die im Folgenden behandelten Texte sollen einen exemplarischen Einblick in die logische Struktur paulinischer Argumentationsgänge gewähren. Eine Auswahl muss neben rein arbeitsökonomischen Gründen auch sachlich begründet sein1: 1Kor 15,12–19 darf in einer Arbeit zur Logik paulinischer Aussagen nicht fehlen, weil es nur zu diesem Text eine Logik-Debatte gibt, die sich mit den Zielsetzungen der vorliegenden Untersuchung deckt. Gal 3,6–14 und Röm 1,18–3,20 stellen zentrale argumentative Texte dar, die beide relativ zu Beginn längerer Ausführungen stehen und beide auf Schriftbeweise und christliche Bekenntnisformeln rekurrieren. Der Argumentationsverlauf von Gal 3,6–14 wird von vielen Exegeten als besonders verwirrend empfunden, so dass sich hier die Frage nach der Logik in besonderem Maße aufdrängt. An der theologischen Kohärenz von Röm 1,18–3,20 bestehen ebenso Zweifel. Zudem stellt sich hier das Problem der logischen Analyse einer längeren Argumentation. Da logische Analyse nicht Bestandteil gegenwärtiger Exegese ist, möchte ich einige Überlegungen zur methodischen Anwendung dieser Fragestellung in der Exegese anschließen: Logische Analyse versucht zwar, von rein inhaltlichen Fragen zu abstrahieren, da aber konkrete alltagssprachliche Äußerungen selten so präzise sind, dass sie sich gleich logisch formalisieren ließen, kann auf die exegetische Beschäftigung mit dem Text nicht verzichtet werden. Um zu einer logisch verwertbaren Formalisierung zu gelangen, sind vor allem exegetische Verfahren wichtig, die auf der Textebene das Argumentationsziel2 und die sprachlich-rhetorischen Dimensionen zu erfassen helfen, und jene, die die
1
Ein früherer Versuch meinerseits, anhand von rein formal-sprachlichen Kriterien die argumentative Dichte von paulinischen Textpassagen quasi-objektiv zu erfassen, ist gerade aufgrund der Diskrepanz zwischen sprachlich-grammatikalischer und logischer Form (s.u. S. 93) gescheitert. 2 Hier helfen einfache Fragen wie: Was ist der fragliche oder strittige Punkt? Welche Partner stehen sich gegenüber? Welche Positionen werden zu diesem Fraglichen bezogen? Von welcher gemeinsamen Basis aus wird argumentiert? Welche These soll verteidigt oder widerlegt werden? Welche Argumente liegen vor?
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III. Analyse paulinischer Texte
vom Text aufgerufenen enzyklopädischen Kompetenzbereiche erhellen3. Die Übersetzung der für die Logik interessanten Partikeln (z.B. gár, “wste, usw.) stellt ein besonderes Problem dar, auf das in der Exegese besonders geachtet werden muss. Auf der Grundlage solcher exegetischen Analyseschritte kann die logische Analyse einsetzen. Diese verfolgt das Ziel, die logische Gestalt eines sprachlichen Schlusses so offen zu legen, dass eine Entscheidung über die Gültigkeit des Schlusses anhand der Satzform und nicht anhand des Satzinhalts getroffen werden kann. Ich möchte dazu einen Dreischritt vorschlagen, der sicherlich nicht in jedem Fall streng schematisch zu befolgen ist: Bestimmung der logisch relevanten Sätze, Formalisierung und Prüfung der Gültigkeit. 1. Bestimmung logisch relevanter Sätze: In der Regel sind Fragesätze, Ausrufe, Gebete, Wünsche und Befehle für die logische Analyse irrelevant4. Meistens kann es eine Hilfe sein, wenn aus den relevanten Aussagesätzen, insofern sie eine komplexe Struktur aufweisen, sog. Elementar- oder »Atomsätze« gebildet werden. Auf Folgendes ist dabei zu achten: a) Passive Formen sollten möglichst in aktive umgewandelt werden. b) Manchmal kann es sinnvoll sein, Genitivkonstruktionen aufzulösen, bildliche Sprachfiguren umzuformulieren und Ellipsen zu vervollständigen. c) Am Ereignis beteiligte »Agenten« sollten als Subjekte der betreffenden Verbalhandlung genannt werden (z.B. im Falle eines Passivum divinum). d) Verben des Mitteilens, Meinens und Wahrnehmens und Redewendungen der Einleitung, des Einschubs oder des Abschlusses sind logisch irrelevant und können ausgeklammert werden.
2. Formalisierung5: Der heikelste und zugleich schwerste Schritt jeder logischen Analyse besteht im Versuch der Formalisierung. Diese bildet jedoch nicht das Ziel der Analyse, sondern einen Zwischenschritt, um die Rückführbarkeit auf eine logisch gültige Form im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar zu machen. Dabei gilt es einige Regeln zu beachten:
3
Rhetorische Fragestellungen sind dabei ebenso wichtig wie eine möglichst genaue Klärung des Streitpunkts, bzw. des persuasiven Ziels. Die Betrachtung des unmittelbar voranstehenden Kontextes kann insofern von Bedeutung sein, weil der zu behandelnde Text u.U. Prämissen voraussetzt, die vorher bereits genannt worden sind. Nicht alle fachexegetischen Probleme, derer es in den betreffenden Texten wahrlich nicht mangelt, sind für die hier gestellte Aufgabe gleichermaßen relevant. 4 Die Exegese kann allerdings in begründeten Fällen zeigen, dass sich hinter einem Fragesatz in Wirklichkeit eine für die Schlussfolgerung unabdingbare Aussage verbirgt (z.B. in Form einer rhetorischen Frage). Diese wäre in der logischen Analyse zu berücksichtigen. 5 Vgl. zum Folgenden G. BRUN, Die richtige Formel: Philosophische Probleme der logischen Formalisierung (Frankfurt a.M., 2003); R.M. SAINSBURY, Logical Forms (Oxford, 1993). Beispiele für Formalisierungen von längeren Textpassagen sind mir kaum begegnet. Ein faszinierendes theologisches Beispiel bearbeitet einen Text von Anselm: J.L. SCHERB, Anselms philosophische Theologie (MPhS N.F. 15; Stuttgart, 2000).
A. Vorfragen: Textwahl und logische Analyseschritte
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a) Sprachliche und logische Form sind nicht identisch. Eine der größten Schwierigkeiten in der Praxis der Formalisierung ist auf den Umstand der Inkongruenz zwischen Alltagssprache und logischer Form zurückzuführen. Ein Beispiel: Der alltagssprachliche Satz »Der Sommer kommt und die Menschen gehen ins Freibad«, ist für eine logische Formalisierung nicht auf Anhieb zugänglich. Das hängt mit den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der Konjunktion »und« zusammen. Rein mechanisch wäre man versucht, den Satz als logische Konjunktion zu fassen: S∧M. Nach den Wahrheitskriterien der Stoiker wäre der zusammengesetzte Satz nur dann wahr, wenn beide Aussagen wahr sind. Er wäre also auch dann falsch, wenn der Fall eintritt, dass der Sommer nicht kommt und die Menschen nicht ins Freibad gehen. Vielleicht ist aber der Sinn der Aussage präziser wiederzugeben mit: »Wenn der Sommer kommt, dann gehen die Menschen ins Freibad.« In der logischen Analyse wäre dieser Satz als Implikation zu formalisieren: S→M. Diese logische Form hat eine andere Wahrheitstabelle, je nachdem welcher Wahrheitswert den einzelnen Teilsätzen zugeordnet wird. Die Entscheidung, welche von beiden Formalisierungen angemessener ist, kann ohne eine Auslegung der betreffenden Aussage nicht gefällt werden 6.
b) Insbesondere die aristotelische Logik kann nicht jeden Aussagesatz formal erfassen. Eine wichtige Beschränkung betrifft z.B. Aussagen, die Relationen ausdrücken7. Aussagen der Art »A und B sind miteinander verwandt«, oder »A liegt zwischen B und C«, sind aristotelisch nicht formalisierbar. Während die stoische Aussagenlogik jeden Aussagesatz formalisieren kann, ist die aristotelische Syllogistik reduziert auf Aussagesätze der Form »Von allen/keinen/einigen B wird A ausgesagt/nicht ausgesagt«. Wenn man also den Weg der aristotelischen Syllogistik wählt, dann sind komplexe Sätze auf ihre zentralen Terme zu reduzieren und möglichst in einfachen Aussagesätzen wiederzugeben – auch wenn die sprachliche Eleganz auf der Strecke bleibt8. Es handelt sich nur um eine »Hilfsstütze« für die Analyse. c) Zwischen einer aussagenlogischen und einer prädikaten- oder termlogischen Formalisierung muss unterschieden werden. Wie bereits dargestellt, arbeiten beide Systeme mit verschieden engmaschigen Netzen, um die Beziehung zwischen Aussagen, aus denen etwas gefolgert wird, zu erfassen. Es geht nicht um die Frage, welches von beiden Systemen »richtig« ist, sondern nur darum, welches geeigneter ist, um mit möglichst wenig Aufwand die logischen Strukturen des Textes freizulegen. d) Die relevanten Sätze müssen in eine logische Form überführt werden. Die logischen Zeichentypen, die für die Anwendung der antiken Logik 6
Es gibt in der Logik m.W. keine anerkannten, standardisierten Formalisierungsverfahren, die ohne Auslegung der betreffenden Sätze der Alltagssprache auskommen könnten. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum sich Logik-Lehrbücher ihre Sätze »zurechtlegen«, ohne sich allzu sehr um die Probleme der Alltagssprache zu kümmern. 7 Vgl. BUCHER, Angewandte Logik, 244–248. 8 Der Satz »A liebt B« müsste, um aristotelisch »verwertbar« zu sein, umformuliert werden in »A ist ein B-Liebender«, usw. Aber: Ästhetische Urteile treffen die Logik nicht!
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III. Analyse paulinischer Texte
benötigt werden, sind (im Vergleich zur modernen Logik) nicht besonders zahlreich: Wir benötigen Aussage- und Prädikatenkonstanten (meist Großbuchstaben), um – je nach gewähltem System – ganze Aussagen oder einzelne Terme zu symbolisieren9, und logische Konstanten, um die Verknüpfungen zwischen den Aussagen (»und«, »oder«, »wenn…dann«, »genau dann wenn«) und um die Quantoren (»alle«, »keiner«, »einige«, usw.) wiederzugeben. Die formale Struktur des Textes wird durch die Verbindung dieser Konstanten sichtbar. Ein Problem stellt die Vagheit der Sprache und die rhetorische Tugend der variatio dar. So werden innerhalb eines Abschnittes oftmals verschiedene mehr oder minder kontextsynonyme Begriffe benutzt, die für die Logik möglichst »semantisch generalisiert« werden müssen. Die logische Formalisierung muss in manchen Fällen unterschiedliche griechische Begriffe mit einer Aussagekonstante verknüpfen. Diese semantische Engführung ist nur innerhalb eines klar gekennzeichneten Kontextes zulässig und auch nur dann, wenn die Exegese das semantisch rechtfertigt. Solche Schlüsse wären nach wissenschaftlichen Maßstäben inexakt, weil die Terme nicht wirklich identisch sind; aber für den konkreten Sprachgebrauch ist das ausreichend.
3. Überprüfung der Gültigkeit: Auf der Grundlage der Formalisierung kann die logische Struktur auf ihre Gültigkeit hin untersucht werden, entweder anhand der aristotelisch gültigen Schlüsse oder durch die stoischen axiomatischen Schlussformen. Die Diskussion um das »Enthymem« (s.o. S. 63ff) hat gezeigt, dass es im konkreten rhetorischen Vollzug dazu kommen kann, dass nicht jede für einen Schluss notwendige Prämisse explizite Erwähnung im Text findet. Die Überprüfung der Schlüssigkeit benötigt aber innerhalb der aristotelischen Syllogistik mindestens zwei Prämissen und eine Konklusion. Der für den Schluss vorauszusetzende Satz muss hier also rekonstruiert und mit berücksichtigt werden 10. Für die Auffindung solcher impliziten Prämissen empfiehlt es sich, von der Konklusion auszugehen und im Text nach mindestens einer geeigneten Prämisse zu suchen. Von den drei syllogistischen Figuren ist in der Praxis die grundlegendste die erste. Damit sind die wichtigsten Figuren für »Rückschlüsse« auf fehlende Prämissen Barbara, Celarent, Darii und Ferio.
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Die verwendeten Buchstaben müssen sich innerhalb einer Analyse immer auf die gleiche Aussage oder den gleichen Term beziehen. 10 Den Grad der Selbstverständlichkeit, mit der von einer »natürlichen Annahme« ausgegangen werden darf, hat die Traditions- und Motivgeschichte zu prüfen.
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
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B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)11 1Kor 15 steht nicht zufällig, beiläufig oder als Anhängsel am Ende dieses thematisch so vielseitigen Briefes. Vielmehr bildet dieses Kapitel »Höhe- und Schlüsselpunkt«, »Spitze und Krone« des gesamten Briefes12. Die Bedeutung, die diesem Kapitel für die Erschließung paulinischer »Eschatologie« beigemessen wird, ist ganz ohne Zweifel berechtigt. Die Art und Weise, wie die Frage der Auferstehungshoffnung von Paulus behandelt wird, deutet darauf hin, dass sich die theologische »Lehrbildung« auf diesem Gebiet noch in statu nascendi befand, obgleich die Auferstehung Jesu in der urchristlichen Missionspredigt von Anfang an fest verankert war (vgl. 15,1–11; Röm 1,3f). Manche sehen in 1Kor 15 daher nicht ganz ohne Grund eine »in sich geschlossene Abhandlung über die Auferstehung der Toten«13. Diese Einschätzung verdankt sich gewiss auch der analytischen Kraft von 15,12–1914. 11 J.-N.
ALETTI, L’Argumentation de Paul et la position des Corinthiens. 1Co 15,12–34, in: L. de Lorenzi (ed.), Résurrection du Christ et des Chrétiens (1 Co 15) (Rome, 1985) 63– 97; M. BACHMANN, Zur Gedankenführung von 1Kor 15,12ff, ThZ 34 (1978) 265–276; Rezeption von 1. Kor. 15 (V. 12ff) unter logischem und unter philologischem Aspekt, LingBibl 51 (1982) 79–103; Noch einmal: 1 Kor 15,12ff und Logik, LingBibl 59 (1987) 100– 104; Sünder oder Übertreter: Studien zur Argumentation in Gal 2,15ff (WUNT 59; Tübingen, 1992) 48f mit Anm. 132; Zum ›argumentum resurrectionis‹ 1Kor 15,12ff nach Christoph Zimmer, Augustinus und Paulus, LingBibl 67 (1992) 29–39; Eulen und Fallen: Zu Christoph Zimmers ›Replik‹ hinsichtlich des Verständnisses des ›argumentum resurrectionis‹ von 1Kor 15, LingBibl 68 (1993) 95–99; 1Kor 15,12f.: ›resurrection of the dead (= Christians)‹, ZNW 92 (2001) 295–299; H. BINDER, Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund von 1Kor 15,12, ThZ 46 (1990) 193–201; T.G. BUCHER, Die logische Argumentation in 1Kor 15,12–20, Bib 55 (1974) 465–486; Auferstehung Christi und Auferstehung der Toten, MThZ 28 (1976) 1– 32; Nochmals zur Beweisführung in 1Kor 15,12–20, ThZ 36 (1980) 129–152; Allgemeine Überlegungen zur Logik im Zusammenhang mit 1 Kor 15,12–20, LingBibl 53 (1983) 70–98; J. HOLLEMAN, Jesus’ Resurrection as the Beginning of the Eschatological Resurrection (1 Cor 15,20), in: R. Bieringer (ed.), The Corinthian correspondence (BEThL 125; Leuven, 1996) 653–660; G. SELLIN, Der Streit um die Auferstehung der Toten (FRLANT 138; Göttingen, 1986) 15–37.255–260; B. SPÖRLEIN, Die Leugnung der Auferstehung (BU 7; Regensburg, 1971) 63–70; C.M. TUCKETT, The Corinthians who say ›There is no resurrection of the dead‹ (1 Cor 15,12), in: Bieringer, Corinthian Correspondence, 247–275; J.S. VOS, Die Logik des Paulus in 1Kor 15,12–20, ZNW 90 (1999) 78–97; teilweise aufgenommen in: Logik und Rhetorik in 1Kor 15,12–20, Kunst der Argumentation, 158–171; Chr. ZIMMER, Das argumentum resurrectionis 1Kor 15,12–20, LingBibl 65 (1991) 25–36; Die enthymematische Falle: Replik zu Bachmann, LingBibl 67 (1992) 40–44. 12 Dieses Urteil von K. BARTH, Die Auferstehung der Toten (Zürich, 41953) 1.57 erfreut sich allgemeiner Anerkennung. 13 CONZELMANN , 302, dem sich THISELTON, 1177 anschließt. Für weitere Beispiele vgl. SCHRAGE, IV, 8, Anm. 4, der selbst feststellt, dass die »abstechende Konsistenz der zugrundeliegenden Gedanken […] nicht gut zu übersehen« ist. 14 Vgl. das Urteil von WITHERINGTON, 303: »This is one of the most rhetorically powerful and detailed arguments in the letter.«
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III. Analyse paulinischer Texte
1. Exegetische Vorfragen a) Rhetorik und Gliederung von 1Kor 15 Der erste Korintherbrief ist Gegenstand unterschiedlicher rhetorischer Untersuchungen geworden15. Neben der methodischen Grundsatzfrage, inwieweit sich rhetorische Kategorien auf Briefe übertragen lassen16, sind m.E. zwei Fragen weithin ungeklärt: 1. Welchen Stellenwert für eine mögliche Gesamtdeutung haben eindeutige Genusattributionen für den Brief als Ganzen? Methodisch möchte ich darauf hinweisen, dass die drei rhetorischen Genera sich nach den vom Redner intendierten Qualifizierungen und Beurteilungsmöglichkeiten im Rahmen der drei Standardsituationen öffentlicher Rede in der Antike richten (Gerichtsrede, politische Beratungsrede vor der Volksversammlung und öffentliche Lob- oder Schmährede) 17. Dementsprechend geht es um die Qualifizierung von etwas (oder jemandem) als díkaion oder ‘adikon (»gerecht/ungerecht«) im genus iudiciale (tò dikanikòn génoß), als sumféron oder blaferón (»nützlich/unnütz«) im genus deliberativum (tò sumbouleutikòn génoß) oder als kalón oder a˙scrón (»gut/schlecht«) im genus demonstrativum (tò hepideiktikòn génoß). Die alternativen Beurteilungsmöglichkeiten sind Anklage/Verteidigung, Zuraten/Abraten oder Lob/Tadel. Da sich die Rhetorik auf standardisierte öffentliche Situationen
15 Vgl.
(in chronologischer Reihenfolge): M. BÜNKER, Briefformular und rhetorische Disposition im 1. Korintherbrief (GTA 28; Göttingen, 1983); E. SCHÜSSLER FIORENZA, Rhetorical Situation and Historical Reconstruction in I Corinthians, NTS 33 (1987) 386–403; M.M. MITCHELL, Paul and the Rhetoric of Reconciliation: An Exegetical Investigation of the Language and Composition of 1 Corinthians (HUTh 28; Tübingen, 1991); H. PROBST, Paulus und der Brief: Die Rhetorik des antiken Briefes als Form der paulinischen Korintherkorrespondenz (1 Kor 8–10) (WUNT 2:45; Tübingen, 1991); S.M. POGOLOFF, Logos and Sophia. The Rhetorical Situation of 1 Corinthians (SBLDS 134; Atlanta, Ga, 1992); D. LITFIN, St. Paul’s Theology of Proclamation. 1 Corinthians 1–4 and Greco-Roman Rhetoric (MSSNTS 79; Cambridge, 1994); I. SAW, Paul’s Rhetoric in 1 Corinthians 15 (Lewiston, 1995); F.W. HUGHES, Rhetorical Criticism and the Corinthian correspondence, in: S.E. Porter / T.H. Olbricht (eds.), The Rhetorical Analysis of Scripture (JSNT.S 146; Sheffield, 1997) 336–350; A. ERIKSSON, Traditions as Rhetorical Proof: Pauline Argumentation in 1 Corinthians (CB.NT 29; Stockholm, 1998). 16 Vgl. zur Diskussion zwischen Rhetorik und Brieftheorie R.D. ANDERSON, Ancient Rhetorical Theory and Paul (Contributions to biblical exegesis and theology 18; Kampen, 1996) 93–110; H.-J. K LAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament (UTB 2022; Paderborn, 1998) 165–180; KREMENDAHL, Botschaft der Form, 15–20; PROBST, Brief, 99– 101; C.A. WANAMAKER, Epistolary vs. Rhetorical Analysis: Is a Synthesis Possible?, in: K.P. Donfried / J. Beutler (ed.), The Thessalonians Debate (Grand Rapids, MI, 2000) 255–286. Zur Begründung rhetorischer Analysen vgl. C.J. CLASSEN, Paulus und die antike Rhetorik, ZNW 82 (1991) 1–33; engl. Überarbeitung: St. Paul’s Epistles and Ancient Greek and Roman Rhetoric, in: Rhetorical Criticism of the New Testament (WUNT 128; Tübingen, 2000) 1–28; S.E. PORTER, The Theoretical Justification for Application of Rhetorical Categories to Pauline Epistolary Literature, in: S.E. Porter / T.H. Olbricht (eds.), Rhetoric and the New Testament (JSNT.S 90; Sheffield, 1993) 100–122. 17 Vgl. Aristoteles, Rhet. I 3,1358a35–1359a29; Rhet. ad Her. 1,2; 2,1.
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
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bezieht, sollte es nicht verwundern, wenn nicht alle Qualifizierungen, die Sprachhandlungen intendieren können, von diesem Inventar erfasst werden 18. Die Frage z.B., ob ein Sachverhalt »wahr« oder »falsch« ist, wird von der Rhetorik deswegen nicht behandelt, weil solche Fragen der philosophischen Schuldiskussion vorbehalten waren. Die »Kunst« dieser Form von Rede wird in der Topik behandelt. Was das Genus des 1Kor angeht, ist der Vorschlag Bünkers, den Brief zum genus iudiciale zu rechnen 19, weitgehend der These einer Zuweisung zum genus deliberativum gewichen. Dies verdankt sich vornehmlich dem ausführlichen Begründungsversuch durch Mitchell20, die daraus allerdings sehr weitreichende Konsequenzen in Bezug auf die Gesamtpragmatik des Briefes zieht21. Gerade die Argumentation in 1Kor 15 sperrt sich gegenüber einer solchen einheitlichen Genusbestimmung22.
2. Wenn der 1Kor als kommunikative Einheit betrachtet wird23, inwiefern können dann einzelne Abschnitte nach rhetorischen Kategorien wie exordium, narratio, argumentatio und peroratio/conclusio segmentiert werden? Ein Vergleich zwischen drei aktuellen rhetorischen Analysen von 1Kor 15 zeigt zum Teil beträchtliche Unterschiede: Bünker 24 (genus iudiciale) Mack 25 (genus deliberativum) Watson26 (genus deliberativum) exordium (1–3a) narratio (3b–11) argumentatio I (12–28)
exordium (1–2) narratio (3–20)
peroratio I (29–34) argumentatio II (35–49)
argumentatio (21–50)
peroratio II (50–58)
conclusio (51–58)
18 Diese
exordium (1–2) narratio (3–11) refutatio I (12–19) confirmatio I (20–28) peroratio I (29–34) refutatio II (35–44a) confirmatio II (44b–57) peroratio II (58)
Beschränkung der gängigen Klassifikation bemängelt bereits Quintilian, III,4,3f: »Denn wenn wir die Aufgabe, zu loben und zu tadeln, als dritten Teil annehmen, in welcher Gattung werden wir uns dann wohl befinden (in quo genere versari videbimur), wenn wir klagen, trösten, besänftigen, anfeuern, erschrecken, bestärken, lehren, unklar Ausgedrücktes erklären, erzählen, abbitten, danken, beglückwünschen, Vorwürfe machen, schmähen, beschreiben, empfehlen, mitteilen, wünschen, vermuten und so vieles andere? Deshalb muß ich, wenn ich bei der alten Überzeugung verharre, fast um Nachsicht bitten und die Frage stellen, wodurch denn die Früheren sich haben bewegen lassen, einen so weit zerstreuten Stoffkreis so knapp zu fassen.« (übers. Rahn) 19 BÜNKER, Briefformular, 49–51, 20 Vgl. MITCHELL, Rhetoric, 20–64. 21 MITCHELL, Rhetoric, 184ff: »a unified deliberative letter urging concord«. 22 MITCHELLS Versuch, 1Kor 15 im Sinne der Pragmatik des »urging concord« zu lesen (Rhetoric, 283–290), ist m.E. wenig überzeugend (im Gegensatz zu anderen Textanalysen). Vgl. zur Kritik ANDERSON, Rhetorical Theory, 229–238. 23 Das Problem möglicher Teilungshypothesen ist im Folgenden nicht von Belang. 24 BÜNKER, Briefformular, 59–72. 25 B.L. MACK , Rhetoric and the New Testament (GBS; Minneapolis, 1990) 56–59. 26 D.F. WATSON, Paul’s Rhetorical Strategy in 1 Corinthians 15, in: Porter / Olbricht, Rhetoric and the New Testament, 231–249.
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III. Analyse paulinischer Texte
Ob die Unterschiede zwischen diesen und ähnlichen Analysen27 auf methodische Unschärfen oder aber auf die Besonderheiten des Briefes zurückzuführen sind, ist schwer zu entscheiden28. Angesichts der in den VV. 12–19 dominierenden negativen Grundannahme »Tote werden nicht auferweckt« wird sich für diesen Abschnitt eine »widerlegende« Funktion kaum von der Hand weisen lassen. In diesem Sinne möchte ich für diese Verse von einer refutatio reden29. Auf der Inhaltsebene lässt sich 1Kor 15 grob in drei Abschnitte einteilen30, die zum Teil mit den rhetorischen Vorschlägen übereinstimmen: 1. Das paulinische Kerygma als gemeinsame Grundlage (1–11) 2. Aufweis der Widersprüche in der korinthischen Position (12–34) a) Die Toten werden nicht auferweckt (12–19) b) Die Auferstehung Christi und die Konsequenzen (20–28) c) Absurdität der korinthischen Position (29–34) 3. Der Modus der Auferstehung (35–58)
Ein Hinweis, der die antike Rhetorik nicht für Fragen der Textgliederung funktionalisiert, findet sich im Kommentar von Georg Heinrici zum 1Kor31: »Die einzelnen Beweisstücke haben ihre Analogien in den tópoi der antiken Rhetorik, welche Überzeugung erwecken wollen, den písteiß […]. Dieselben sind teils ‘atecnoi, die in der Sache selbst liegenden, dazu gehören Tatsachen und testimonia divina (vgl. V. 1–11.20– 28.50–58), teils ‘entecnoi, die durch Induktion, durch Schlüsse oder Analogien gefunden werden und sich an Kopf, Herz und das sittliche Bewusstsein wenden (V. 12–19.29f.36f.).« 32 27 Eine
ähnliche Struktur wie BÜNKER schlägt für 15,1–34 J.-N. A LETTI, La dispositio rhétorique dans les épîtres pauliniennes, NTS 38 (1992) 396 vor: exordium (1–2), narratio (3– 11), propositio (12a), probatio (12b–32), peroratio (33–34). An MACK orientiert sich WITHERINGTON, 292: exordium (1–2), narratio (3–11), propositio (12–19), »thesis« (20), probatio (21–50) und conclusio (51–58). Analog zu WATSON der Vorschlag von ERIKSSON, Traditions, 248–251: exordium (1–2), narratio (3–11), refutatio (12–19), confirmatio (20– 34), refutatio II (35–49), confirmatio II (50–57), probatio (58). THISELTON, 1177f folgt diesem Vorschlag, bestimmt aber 1–11 als narratio. 28 Die Tatsache jedoch, dass bei Anwendung der gleichen Methode unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden, ist per se kein Argument gegen die Angemessenheit dieser methodischen Vorgehensweise. Zudem ist Vielfalt ein Antrieb und kein Hindernis für forschendes Fragen. 29 In Bezug auf den Gebrauch rhetorischer Kategorien zur Segmentierung einzelner Abschnitte innerhalb eines Briefes bleibe ich skeptisch. Vgl. das Fazit von ANDERSON, Rhetorical Theory, 238: »[U]nlike Paul’s letters to the Galatians and Romans, the body of the first letter to the Corinthians cannot be analysed in terms of sustained rhetorical argumentation. It therefore bears little resemblance to a rhetorical speech.« Generell mahnt KLAUCK, Briefliteratur, 179: »Eine nahezu mechanische Anwendung des klassischen Redeschemas auf Briefe und Briefteile ist eher geeignet, die rhetorische Analyse in Mißkredit zu bringen.« 30 Ähnlich SCHRAGE, IV, 9. 31 HEINRICI hat das hellenistische Erbe des Paulus so stark betont, dass er sich den lauten »Protest« von NORDEN zugezogen hat (Kunstprosa, II, 493f). Es mag daher kein »Zufall« sein, dass ein solcher Hinweis gerade in seinem Kommentar zu finden ist. 32 HEINRICI, 441f (Rechtschreibung modernisiert).
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
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Damit sind die unterschiedlichen rhetorischen Überzeugungsmittel (s.o. S. 63ff), die Paulus zum Einsatz bringt, zutreffend bestimmt33. Zugleich macht der Hinweis Heinricis deutlich, warum sich die logische Analyse auf den Abschnitt 15,12–19 beschränkt. Der Abschnitt 15,1–11 argumentiert nicht, sondern stellt die Inhalte der apostolischen Verkündigung dar. Mit 15,20 setzt eine Argumentation ein, die sich in ihrem Gebrauch apokalyptischer Vorstellungszusammenhänge nicht mit den Mitteln der Logik beschreiben lässt (s.u. S. 114f)34. b) Der literarische Kontext (15,1–11) Mit 15,1 setzt ein neuer Abschnitt ein, der sich ausführlich dem Thema der Auferstehung widmet. Gleich zu Beginn ruft Paulus seinen Hörern und Hörerinnen in Erinnerung, wie sehr ihre Vergangenheit (parelábete »ihr habt empfangen«), ihre Gegenwart (Hest´jkate »ihr steht«; katécete »ihr haltet fest«) und ihre Zukunft (s^´wzesqe »ihr werdet errettet«) vom paulinischen Kerygma geprägt ist (1–2)35. Der Inhalt des Kerygmas wird in VV 3–5 von Paulus in Form eines überlieferten Bekenntnisses zur Sprache gebracht36. Dabei bedient sich Paulus einer für die Übermittlung mündlicher Traditionen typischen Terminologie (vgl. auch die Abendmahlsparadosis in 11,23): Er hat ihnen das Kerygma »übermittelt« (paradídwmi), das im Wesentlichen aus zwei Hauptaussagen besteht, deren Wahrheit von den Schriften bezeugt wird37: Jesus ist »für die Sünden« gestorben und – darauf richtet sich das Interesse im gegenwärtigen Kontext – am dritten Tag von Gott auferweckt worden. Die Auferweckung ist von den Schriften bezeugt38 und durch Petrus 33 Diesen
Zusammenhang stellt neuerdings auch WITHERINGTON, 291 her (anscheinend ohne Kenntnis von H EINRICI). 34 BACHMANN , Gedankenführung, 276 stellt zu Recht zu 15,20–58 (von BÜNKER, Briefformular, 142, Anm. 126 inkorrekterweise als Aussage BACHMANNS zum Verständnis von 15,12–20 zitiert) fest: »Für das Verständnis dieses wichtigen Argumentationsganges […] ist freilich, wie schon an der Benutzung der Anschauung, Christus stehe zu Adam in Entsprechung, deutlich werden wird, von der klassischen Logik her kaum Hilfe zu erwarten.« 35 Vgl. ROBERTSON / PLUMMER, 331. 36 Dass hier eine vorpaulinische Tradition vorliegt, wird einhellig vertreten (vgl. ähnliche Aussagen in Lk 24,45–47; Apg 13,28–31). Über den Umfang und den genauen Wortlaut besteht jedoch kein Konsens. Vgl. J. KLOPPENBORG, An Analysis of the Pre-Pauline Formula in 1Cor 15:3b–5 in Light of Some Recent Literature, CBQ 40 (1978) 351–367; SCHRAGE, IV, 18–25. 37 Beide Hauptaussagen sind parallel aufgebaut: 1. Bekenntnissatz (»Christus starb«, »Christus wurde auferweckt«), 2. Schriftbeweis (»nach der Schrift«) und 3. stützender »Beweis« (»er wurde begraben«, »er erschien Kephas und den Zwölfen«). 38 An welche Texte konkret gedacht werden soll und welche hermeneutischen Prozesse notwendig wären, um eine solche Verbindung herzustellen, wird leider nicht näher erläutert. Vgl. zu möglichen Schriftbezügen K. LEHMANN, Auferweckt am dritten Tag nach der Schrift (QD 38; Freiburg, 1968) 262–290.
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III. Analyse paulinischer Texte
und »die Zwölf« zumindest als Erfahrung einer »Erscheinung« beglaubigt39. Die Ausweitung der Zeugenliste in VV 6f ist wohl bereits paulinisch. Hier wird nicht nur die hohe Zeugenzahl (500 gleichzeitig!) betont, sondern auch die Tatsache, dass viele von ihnen noch am Leben sind. Weiterhin werden Individualerscheinungen im Falle des Herrenbruders »Jakobus« und im Falle der »Apostel« hervorgehoben40. Über diese Erscheinungen gelangt Paulus chronologisch auch zu seiner eigenen Damaskuserfahrung (VV 8–10), die ihn als »Letzten von allen« (‘escaton pántwn), als »Fehlgeborenen« (hektr´wma) und als »Geringsten von den Aposteln« (Ho helácistoß t¨wn hapostólwn) noch an dieser besonderen Gnade teilhaben ließ, obgleich er die Gemeinde verfolgte. Die Liste der Zeugen schließt mit einer umfassenden Aussage ab: »Es sei nun ich oder jene: so [wie gerade dargestellt] predigen wir, und so habt ihr geglaubt (o“utwß kjrússomen kaì o“utwß hepisteúsate).« Das Kerygma ist keine paulinische Sonderüberlieferung, sondern steht – so zumindest stellt es Paulus dar – in völliger Übereinstimmung zur apostolischen Predigt der ersten Zeugen der Auferstehung Jesu. Dies gilt auch für die Christen und Christinnen in Korinth. Den VV. 1–11 kommt für den weiteren Gedankengang eine grundlegende Funktion zu41. Der Rückgriff auf vorgegebene Traditionen ist – wie Eriksson gezeigt hat – eine charakteristische Argumentationsstrategie im 1Kor42. Dabei fungieren die Traditionen als Prämissen für die weitere Argumentation43. Paulus etabliert durch diesen Anfangstext aber auch sein »Ethos« als zuverlässiger Verkündiger, der – im Einklang mit den Aposteln – die Korinther mit der heilbringenden Macht des Evangeliums in Berührung gebracht hat. 39 Die
Passivform ‘wfqj, die sich in VV. 5–8 wiederholt (vgl. auch Lk 24,34 und Apg 13,31), kann in nicht-religiösen Zusammenhängen »erscheinen« (1Makk 4,6; Apg 7,26: Mose erscheint bei seinen Landsleuten, während diese streiten) oder »sichtbar sein« (LXX Gen 1,9; Cant 2,12; 1Makk 4,19; 9,27) bedeuten. Meistens jedoch dient der Ausdruck in religiösen Kontexten als Hinweis auf Epiphanien, Erscheinungen und andere Formen visionärer Erfahrungen: Engelserscheinungen (LXX Ex 3,2; Ri 6,12; 13,3; Tob 12,22; Lk 1,11; 22,43; Apg 7,30), Gottesepiphanien (LXX Gen 12,7; 17,1; 18,1; 22,14; 26,2.24; 35,9; 48,3; Ex 16,10; Lev 9,23; Num 14,10; 16,19; 17,7; 20,6; 3Bas 3,5; 9,2; 2Chron 1,7; 3,1; 7,12; LXX Jer 38,3 = MT 31,3; Apg 7,2), Erscheinungen von besonderen Gestalten (Mk 9,4par [Mose und Elia]; Bar 3,22.38 [die Weisheit]), Traumgesichte (2Makk 3,25 [?]; Apg 16,9), apokalyptische Visionen (Apk 11,19; 12,1.3). 40 Der Unterschied zwischen den »Zwölfen« (V. 5) und der Gruppe »aller Apostel« (V. 7) ist nicht ganz klar (vgl. dazu FEE, 729). 41 Der Inhalt des Evangeliums scheint zumindest in seinem Kernbestand nicht strittig zu sein. Nichts in 1Kor 15,1–11 deutet darauf hin, dass Paulus hier schon Überzeugungsarbeit leisten müsste. FEE, 714 spricht zu Recht von »reestablishing their commonly held ground«. 42 ERIKSSON , Traditions untersucht die rhetorisch-argumentative Funktion der folgenden Traditionsstücke im 1Kor: 8,6.11b; 10,16; 11,23–25; 12,3.13; 15,3–5; 16,22. 43 ERIKSSON , Traditions, 3: »My suggestion is that the traditions constitute agreed upon premises which are the starting point for argumentation.«
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
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c) Die Streitfrage Was steht in 15,12ff zur Debatte? Nachdem Paulus die gesamte Diskussion auf die Grundlage des traditionellen Kerygmas vom Tod und der leiblichen Auferstehung Jesu gestellt hat (1–11), nennt er in V. 12 das zwischen ihm und den Korinthern Strittige: »Wenn aber Christus verkündigt wird; und zwar, dass er von den Toten auferweckt wurde, wie können manche unter euch nur behaupten: ›Eine Auferstehung von den Toten gibt es nicht (hanástasiß nekr¨wn ohuk ‘estin)‹?«
Es ist nicht näherhin bestimmbar, wie Paulus zu seinem Wissen über diese Auffassung gelangt ist44. Der Streitpunkt selbst lässt sich sehr allgemein dahingehend eingrenzen, dass »einige« (tineß) in Korinth die Vorstellung einer Totenauferstehung – in welcher Form auch immer – leugneten45. Dass die Korinther an der Auferstehung Jesu zweifelten46, ist angesichts der Tatsache, dass in 15,1–11 die beiden Diskussionspartnern gemeinsame Basis durch den Rückgriff auf das apostolische Kerygma gelegt wird, höchst unwahrscheinlich. Die »logische Dissonanz«, wie sie sich für Paulus darstellt, besteht in der Möglichkeit, an die Auferstehung Jesu glauben und zugleich eine Totenauferstehung leugnen zu können. Die Streitfrage wäre aus paulinischer Sicht am ehesten so zu formulieren: Ist es möglich, dass es eine Auferstehung von Toten nicht gibt angesichts der Tatsache, dass Jesus von den Toten auferstanden ist? 44 Dass
der Abschnitt nicht mit perì dé einsetzt (wie 7,1.25; 8,1; 12,1; 16,1.12), schließt den Brief der Korinther an Paulus als primäre Informationsquelle (vgl. 7,1) für Kap. 15 aus. Deswegen muss bei der Beantwortung der Frage nach dem Streitpunkt deutlich unterschieden werden zwischen dem in der Rhetorik des Textes Strittigen und der tatsächlichen These der Korinther, die Paulus hier ad absurdum zu führen versucht (ähnlich SELLIN, Streit, 17). Ohne ein Urteil über die »Fairness« des Apostels zu präjudizieren, muss zumindest die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass durch die Behandlung der Problematik, wie sie in 1Kor 15 vorliegt, die korinthische Position gewisse Transformationen erfahren hat. Wann immer also von der »These der Korinther« die Rede ist, bezieht sich das nur auf die im Text erfasste paulinische Wahrnehmung, Selektion und polemische Wiedergabe dieser These. Methodisch ganz anders akzentuiert LINDEMANN, 338: »Aus methodischen Gründen abzuweisen ist die Erwägung, Paulus sei über die in Korinth vertretene Position nicht zutreffend informiert gewesen; in diesem Fall gäbe es gar keine Möglichkeit, die in 15,12b zitierte Aussage (und die Gegenargumente des Paulus) angemessen zu interpretieren.« Nach meiner Wahrnehmung lässt sich eine Aussage auch dann angemessen interpretieren, wenn die Aussage selbst keine angemessene Interpretation des darin ausgedrückten Sachverhaltes darstellt. 45 Ob diese Meinung von allen oder beinahe allen in der Gemeinde vertreten wurde, lässt sich kaum näher bestimmen. Die Wendung hen Humïn tineß legt vielleicht nahe, dass es zwar nur einige waren, aber sicherlich solche, die einen starken Einfluss innerhalb der korinthischen Hausgemeinden ausübten (vgl. SELLIN, Streit, 15; FEE, 713f; SCHRAGE, IV, 16 mit Anm. 14–18). SELLIN, Streit, 14 weist zu Recht darauf hin, dass in Kap. 15 Paulus »durchgehend die Gesamtgemeinde anredet« (so auch WOLFF, 377). 46 So W. SCHMITHALS, Die Gnosis in Korinth (FRLANT 66; Göttingen, 31969) 150.
102
III. Analyse paulinischer Texte
Lässt sich die korinthische Position anhand von Angaben aus dem Brief selbst schärfer umreißen? Und lässt sie sich einem ideengeschichtlichen Hintergrund plausibel zuweisen? Beide Fragen haben in der Forschung zu einer Reihe unterschiedlicher Hypothesen geführt47: 1. Leugnung jeder postmortalen Existenz: Die Aussagen in VV. 13–19 und 30–34 schließen eine solche Sicht nicht aus. Die Philosophie- und Religionsgeschichte hält sowohl auf jüdischem (sadduzäische Auferstehungsleugnung) wie auf nicht-jüdischem Boden (epikuräische Skepsis) Analogien dazu bereit. Diese These, die früher häufig vertreten wurde48, wird heute mit guten Gründen als unwahrscheinlich betrachtet49: Zum einen wäre zu fragen, welche Art »Skeptiker« dem Grundkerygma von 1Kor 15,1–11 hätten zustimmen können. Zum anderen bezieht das Argument in 15,18 (Wenn Christus nicht auferweckt wurde, dann »würden auch die verstorbenen Christen verloren gehen«) seine persuasive Kraft einzig auf dem Hintergrund einer von den Korinthern geteilten postmortalen Erlösungsvorstellung. Auch der mysteriöse Hinweis auf die »Taufe für die Toten« (15,29) bezeugt den Glauben an eine Erlösung post mortem 50. 2. Leugnung der Leiblichkeit der Auferstehung: Justin warnt in seinem »Dialog mit Tryphon« vor solchen, die »sich Christen nennen […] und sich dazu erdreisten, den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs zu lästern, und die behaupten, dass es eine Auferstehung von Toten nicht gebe, sondern dass ihre Seelen zugleich mit dem Sterben in den Himmel aufgenommen werden«51. Dieser Text macht in der Tat deutlich, dass die in der Antike so weit verbreitete Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele zur Leugnung einer leiblichen Auferstehung führen konnte. Sieht man eine solche dualistische Anthropologie im Hintergrund wirken, dann lassen sich nicht nur im Bereich des Platonismus oder der späteren Gnosis Analogien finden, sondern auch – was näher liegend erscheint – im hellenistischen Judentum (v.a. im Werk Philos) 52. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass das Wortfeld s¨wma erst ab VV. 35ff eine argumentative Rolle spielt. Doch selbst in 15,35ff wird die These einer
47 Von
den Kommentaren informieren bes. ausführlich SCHRAGE, IV, 111–119 und THISELTON, 1172–1176. Die Gruppierung der einzelnen Thesen verdankt sich dem forschungsgeschichtlichen Überblick von SELLIN, Streit, 17–37, an den u.a. auch TUCKETT, Corinthians who say, 251–261 anknüpft. Vgl. aus der neueren Literatur noch J.R. ASHER, Polarity and Change in 1 Corinthians 15 (HUTh 40; Tübingen, 2000) 32–35. 48 Z.B. ROBERTSON / P LUMMER, 346f. 49 Neuerdings jedoch neu aufgelegt von J.S. VOS, Argumentation und Situation in 1Kor 15, NT 41 (1999) 313–333. 50 Die Annahme, dass in 15,29 eine andere Gruppe innerhalb der Gemeinde angesprochen sei (A.J.M. W EDDERBURN, The Problem of the Denial of the Resurrection in 1 Corinthians XV, NT 23 [1981] 229; LINDEMANN, 338; WITHERINGTON, 301f; frühere Vertreter dieser Sicht nennt TUCKETT, Corinthians who say, 252, Anm. 23), ist nicht durch rhetorische Signale zu belegen. Sie ist zudem im Sinne der wissenschaftstheoretischen Notwendigkeit zur Hypothesenbeschränkung (Ockham’s berühmtes »Rasiermesser«) »unökonomisch«. 51 Justin, Dialog mit Tryphon 80,4: tisi legoménoiß Cristianoïß ... kaì blasfjmeïn tolm¨wsi tòn qeòn h Abraàm kaì tòn qeòn h Isaàk kaì tòn qeòn h Iak´wb [die dreigliedrige Gottesbezeichnung nimmt die Auferstehungsbegründung Jesu gegenüber den Sadduzäern in Mt 22,32par auf], o”i kaì légousi m`j e~inai nekr¨wn hanástasin, hallà “ama t¨^w hapoqn´jskein tàß yucàß ahut¨wn hanalambánesqai e˙ß tòn ohuranón (griech. Text ed. Ruiz Bueno, 446; eig. Übersetzung). Justin fährt fort, dass man solche ebenso wenig als »Christen« ansehen, wie man Sadduzäer »Juden« nennen sollte. 52 Das hat v.a. SELLIN, Streit, 30–37 und passim herausgearbeitet.
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
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nicht-leiblichen Weiterexistenz kaum angegriffen 53. Weder 1–11 noch die Diskussion in 12– 34 rücken das Problem der Leiblichkeit ins Zentrum54, auch fehlen explizite Hinweise darauf, dass für Paulus die leibliche Auferstehung die Unsterblichkeit der Seele ausschließt55. 3. Leugnung der Zukünftigkeit der Auferstehung: Als eine neutestamentlich belegbare Analogie wird häufig auf 2Tim 2,17f verwiesen: Hymenäus und Philetus werden als für den Glauben gefährliche Irrlehrer namentlich aufgeführt, weil sie behaupten, »die Auferstehung sei bereits geschehen« (hanástasin ‘j dj gegonénai). Wenn der 1Kor als »Spiegel« für die Theologie der Korinther gelesen werden kann 56, lassen sich Texte wie 4,8 oder 15,20–28 dahingehend auswerten, dass von den Korinthern tatsächlich eine Form von »realized eschatology« vertreten wurde57. In diesem Falle wäre für Christen und Christinnen die Auferstehung bereits vollzogen, eine zukünftige Auferstehung nach dem Tod somit überflüssig 58. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Spiritualisierung der christlichen Auferstehungssprache so früh vorstellbar ist59 und ob sie als These sprachlich mit dem Satz hanástasiß nekr¨wn ohuk ‘estin überhaupt ausgedrückt werden konnte. Zudem setzt Paulus zwar die zukünftige Dimension der Auferstehung in 1Kor 15 voraus, hebt diesen Aspekt aber nicht besonders hervor.
53 SPÖRLEIN ,
Leugnung, 98f: »poí^w s´wmati hat als Gegenüber nicht etwa ein (unausgesprochenes) ›ohne Leib‹. Die Leiblichkeit der kommenden Auferstehung sieht allem Anschein nach Paulus nicht eigens bestritten.« (Hervorhebung vom Autor) 54 TUCKETT, Corinthians who say, 255. 55 Vgl. LANG, 218. Dass beide Vorstellungen verbunden werden konnten, belegt Josephus, Bell 2,163 gerade für die Pharisäer: »Zwar sei jede Seele unsterblich, es gehen aber nur die der Guten in einen anderen Leib über, die der Schlechten jedoch würden durch ewige Bestrafung gezüchtigt (yuc´jn te päsan mèn ‘afqarton, metabaínein dè e˙ß “eteron s¨wma t`j n t¨wn hagaq¨wn mónjn, tàß dè t¨wn faúlwn a˙dí^w timwríâ kolázesqai).« (Michel / Bauernfeid, 1:212–215) J.H. ULRICHSEN, Die Auferstehungsleugner in Korinth: Was meinten sie eigentlich?, in: T. Fornberg / D. Hellholm (eds.), Texts and Contexts (FS L. Hartman; Oslo, 1995) 781–799 plädiert dafür, die korinthische Auferstehungsleugnung von der Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele her zu begründen. Er wertet den umstrittenen Text 2Kor 5,1ff dahingehend aus, dass Paulus seine Gegner zur Zeit der Abfassung von 1Kor für Materialisten hielt, er aber später aufgrund besserer Informationen zur Einsicht gelangte, dass sie die Unsterblichkeit der Seele lehren. Dagegen wolle er in 2Kor nicht weiter argumentieren. 56 Vgl. generell zu den Gefahren des »mirror reading« G. LYONS, Pauline Autobiography (SBLDS 73; Atlanta, GA, 1985) bes. 96–105. 57 Diese Sicht wird mit verschiedenen Nuancen heute von der Mehrheit der Exegeten und Exegetinnen vertreten (vgl. A.C. THISELTON, Realized Eschatology at Corinth, NTS 24 [1977/78] 510–526). Zum sozialgeschichtlichen Hintergrund vgl. WITHERINGTON, 292–295. 58 Ob dies auf die Einwohnung durch das göttliche Pneuma zurückgeführt wurde oder sich aus einer mit dem Taufgeschehen verbundenen Unsterblichkeitsvorstellung herleitete, ist schwer zu beantworten. Aus den Kapiteln 12–14 wird deutlich, dass Paulus um ein angemesses Verständnis dessen ringt, was es bedeutet pneumatikóß zu sein. Liegt hier ein thematischer Nexus zwischen Kap. 12–14 und 15? Vielleicht wurde die Geisterfahrung in Korinth als ein Versetztwerden in einen »engelsgleichen« Zustand (vgl. 13,1) verstanden, der schließlich den Menschen über den Bereich des Leiblichen enthebt. 59 Zurückhaltend zeigen sich A.J.M. W EDDERBURN , Baptism and Resurrection (WUNT 44; Tübingen, 1987) 164–232; G. SELLIN, ›Die Auferstehung ist schon geschehen‹: Zur Spiritualisierung apokalyptischer Terminologie im Neuen Testament, NT 25 (1983) 220–237.
104
III. Analyse paulinischer Texte
Vielleicht spielten beide Elemente, leibliche und zukünftige Auferstehung, eine Rolle. Zieht man jedoch die Möglichkeit in Betracht, dass Paulus die korinthische Position missverstanden hat oder unzureichend darüber informiert war60, dann bleibt der Blick »hinter die Kulissen« versperrt. Doch selbst ohne eine solche Annahme sind die Angaben des Apostels zu knapp, um eine historische Rekonstruktion, die über plausible Mutmaßungen hinausgelangt, zu ermöglichen. Leider zeigt er an genetischen Herleitungen ebenso wenig Interesse wie an der Definition der benutzten Termini. Die logische Analyse kann nur von der jetzigen Sprachgestalt ausgehen, obwohl es reizvoll wäre, die korinthische Seite der Argumentation logisch zu beleuchten. 2. Exegetische Anmerkungen 12
E˙ dè Cristòß kjrússetai “oti hek nekr¨wn heg´jgertai, p¨wß légousin hen Humïn tineß “oti hanástasiß nekr¨wn ohuk ‘estin;
Wenn aber Christus verkündigt wird; und zwar, dass er von den Toten auferweckt wurde, wie können manche unter euch behaupten: »Eine Auferstehung von Toten gibt es nicht«?
Paulus stellt gleich zu Anfang jenen Teil des Kerygmas aus 1–11 voran, der in der weiteren Diskussion im Zentrum steht: Christus »wird verkündigt«61, nämlich dass er »aus den Toten«62 auferweckt worden sei (Passivum divinum?)63. Die apostolische Verkündigung (kjrússetai) wird der Behauptung 60 Vgl.
die Diskussion in SELLIN, Streit, 18–20. Prolepse (in diesem Fall die Vorwegnahme des Objektes aus dem Nebensatz “oti Cristóß hek nekr¨wn in den Hauptsatz) dient der Betonung des Verbalinhalts des Nebensatzes (in der Übersetzung ausgedrückt durch »und zwar«). Durch die komplizierte Satzstruktur gelingt es Paulus, Cristóß als Subjekt voranzustellen und in zwei “oti-Sätzen das Kerygma und die korinthische These einander gegenüberzustellen. 62 Zum Ausdruck h ek nekr¨wn im Sinne von »die Toten insgesamt« vgl. P. H OFFMANN , Die Toten in Christus (NTA N.F. 2; Münster, 21969) 180–185; M.C. de BOER, The Defeat of Death (JSNT.S 22; Sheffield, 1988) 107. Für BACHMANN, Gedankenführung, 268 verweist das Fehlen des Artikels vor nekr¨wn auf die »Gesamtheit der Verstorbenen, alle in der Unterwelt befindlichen«. Er betont daher sehr stark, dass es nicht um »Auferstehung der Toten« oder um die »allgemeine Totenauferstehung« gehe, sondern um das »Heraustreten aus dem Kreis der Toten« (269). Kontextuell sichert BACHMANN, Gedankenführung, 269–271 diese Deutung durch Hinweis auf ähnlichen Gebrauch in Röm 1,4 und 1Kor 15,12ff ab. Die Gegenprobe findet sich in 1Kor 15,35ff, da hier von der allgemeinen Totenauferstehung stets mit Artikel die Rede ist (V. 42: Hj hanástasiß t¨wn nekr¨wn; 35.52: oÓ nekroì [hegeíresqai]). BDR §254, Anm. 7 setzen in Bezug auf 1Kor 15 einen etwas anderen Akzent: Der Artikel muss fehlen, »weil es auf den Begriff, nicht auf die Vollzahl ankommt«. 63 Die Parallelität zwischen hanístjmi aufstehen und hegeírw ist bereits in LXX Jes 26,19 belegt: hanast´jsontai oÓ nekroí, kaì eh gerq´jsontai oÓ hen toïß mnjmeíoiß. Zum Verb hegeírw vgl. neben den Wörterbüchern S. SABUGAL, Anástasis (BAC 536; Madrid, 1993) 77– 81. Dem Passiv kommt dabei an sich keine besondere theologische Bedeutung zu, da die intransitive Passivform im nicht-übertragenen Sinne einfach »aufwachen« (und nicht spezifisch »aufgeweckt werden«) bedeutet (Bauer / Aland, 433). Vgl. bes. O. HOFIUS, ›Am 61 Die
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
105
einiger (légousin tineß)64, dass es eine »Auferstehung von Toten« nicht gebe65, gegenübergestellt. Ob hierbei allgemein an alle Toten66 oder nur an die verstorbenen Glaubenden zu denken ist, lässt sich den Begriffen alleine nicht entnehmen67. Die negative These ist jedoch so formuliert, dass von einer Auferstehung die Rede ist und dass Christus zur Gruppe der »Toten« zu zählen ist68. Die rhetorische Frage (p¨wß) zeigt etwas von der (sicherlich nicht vorgespielten) Fassungslosigkeit, mit der Paulus dieser Aussage begegnet69. Er verfolgt im Folgenden das argumentative Ziel, die korinthische These zu widerlegen, mit zwei parallelen »Schlussketten« (13–15 und 16–19). 13
e˙ dè hanástasiß nekr¨wn ohuk ‘estin, ohudè Cristòß heg´jgertai≥
14
e˙ dè Cristòß ohuk heg´jgertai, Wenn aber Christus nicht auferweckt wurde, kenòn ‘ara [kaì70] tò k´jrugma dann ist [sowohl] unsere Verkündigung Hjm¨wn, ken`j kaì Hj pístiß Hum¨wn71, inhaltslos, und euer Glaube ist inhaltslos,
Wenn es aber eine Auferstehung von Toten nicht gibt, dann wurde Christus nicht auferweckt.
driten Tage auferstanden von den Toten‹: Erwägungen zum Passiv hegeíresqai in christologischen Aussagen des Neuen Testaments, in: Ders., Paulusstudien II (WUNT 143; Tübingen, 2002) 202–214. 64 Die durativen Präsensformen betonen die Gleichzeitigkeit beider Sprechakte. 65 Die Zusammenstellung von hanístjmi und nekroí begegnet auch in Jes 26,14.19; 2Makk 12,44. Die einzigen LXX-Texte, die hanástasiß im Sinne von Totenauferstehung gebrauchen sind 2Makk 7,14b und 12,43. 66 Vgl. BACHMANN, 1Kor 15,12f. gegen die Vorstellung, dass bereits in 15,12 an das besondere Problem der Auferstehung von Christen und Christinnen zu denken sei. 67 Gegen die These von J. JEREMIAS (›Flesh and Blood cannot inherit the Kingdom of God‹ (I Cor. XV. 50), in: Ders., Abba [Göttingen, 1966] 303f), dass nekroí ohne Artikel (V 12f.15f.20f.29.32) und mit Artikel (V 29.35.42.52) sich je auf Tote allgemein und auf verstorbene Christen bezieht, vgl. SCHRAGE, IV, 128, Anm. 574. CONZELMANN, 312f denkt bereits in 15,12 an gestorbene Christen, begründet dies aber m.E. nicht ganz schlüssig mit dem »christologische[n] Charakter des Beweises«. 68 Paulus will kaum argumentieren: »Wenn Christus von den Toten auferweckt wurde, wie können einige behaupten, dass manche Tote nicht auferstehen?« Dass Paulus einen negierten Allfall (und nicht etwa einen Partikuläraussage) im Sinn hat, ist für die logische Form relevant. Ob Paulus und seine Leserschaft an eine allgemeine Totenauferstehung oder an eine exklusive Auferstehung der Gerechten zum Heil dachten, ist daher nebensächlich. 69 P¨ wß drückt Verwunderung aus (ROBERTSON / PLUMMER, 346; LINDEMANN , 377). Der theologische Zusammenhang, der erst in 15,20 zum Ausdruck kommt, steht ihm hier bereits vor Augen (s.u. S. 114). 70 Kaí bleibt textkritisch umstritten, da für beide Optionen sehr gute Zeugen sprechen: Während es in a* A D F G 33 erscheint, wird es im P46 a2 und B ausgelassen. Von den Kommentaren plädiert z.B. THISELTON, 1218 für Auslassung und LINDEMANN, 339 für Einbeziehung. Inhaltlich ändert sich wenig. 71 Die Variante in der ersten Plural Hj pístiß Hjm¨wn ist zwar ausgesprochen gut handschriftlich belegt (B D* 0243 0270* 6 33 81 1241s 1739 1881; gegenüber Hum¨wn in a A D2 F G), lässt sich aber leicht als Angleichung an Hjm¨wn in 14a erklären. Zudem nimmt 17a die Wendung Hj pístiß Hum¨wn aus 14c wieder auf.
106 15
III. Analyse paulinischer Texte eHuriskómeqa dè kaì yeudomártureß toü qeoü, “oti hemartur´jsamen katà toü qeoü “oti ‘jgeiren tòn Cristón, “on ohuk ‘jgeiren e‘iper ‘ara nekroì ohuk hegeírontai.
und wir erweisen uns als falsche Zeugen Gottes, da wir gegen Gott bezeugt haben, dass er Christus auferweckt hat, den er nicht auferweckte, da nämlich Tote nicht auferweckt werden.
Typisch für die Argumentationsstruktur dieses Abschnitts ist die Form von Bedingungssätzen72. Dies erlaubt der Argumentation eine Art Wahrheitssuspension, da Implikationen auch dann wahr sind, wenn beide Teilsätze falsch sind73. Paulus kann so die These der Korinther als Prämisse für eine Kette von Schlüssen übernehmen74. Bereits der erste Schluss hat eine vernichtende Wirkung: Wenn es eine Auferstehung von Toten nicht gibt, dann ist auch Christus nicht von Gott auferweckt worden. Daraus ergibt sich eine ganze Kaskade dramatischer Konsequenzen (VV 14f)75: Erstens, die apostolische Verkündigung (vgl. 15,11) wird inhaltlich ausgeleert (kenóß), sie verliert ihren Realitätsgehalt76. Zweitens, erweist sich der Glaube der Korinther, der sich dieser Verkündigung verdankt, ebenso als hohl und leer (wieder kenóß)77. Schließlich werden die christlichen Verkündiger entlarvt78 als Falschzeugen 72 Vgl.
zu e˙ in paulinischen »Beweisführungen« BDR §372,2b. IV, 129 verkennt diesen Sachverhalt, wenn er sich darüber erstaunt zeigt, dass »trotz der hypothetischen Redeweise […] die Auferstehung Jesu Christi, die doch von einer langen Zeugenkette bestätigt worden ist […], von Paulus in Frage gestellt wird.« In IV, 139 referiert SCHRAGE die Meinung Augustins, der – logisch korrekt – zu V. 13 bemerkt, dass zwar die beiden Sätze falsch sind, der Konditionalsatz aber wahr (DoctrChr II,31[49],119f). Paulus stellt also nichts in Frage! Ein Beispiel: Der Satz »Wenn die Sonne nicht scheint, gehen Meiers nicht an den Strand« ist auch dann wahr, wenn es sowohl der Fall ist, dass die Sonne scheint, als auch, dass Meiers an den Strand gehen. 74 Die Kette von Schlüssen und neu gesetzten Prämissen kann als sorites (vgl. BUCHER, Angewandte Logik, 196f) bezeichnet werden. Vgl. S.M. LEWIS, »So that God May be All in All«: The Apocalyptic Message of 1 Corinthians 15,12–34 (Tesi Gregoriana. Serie Teologia 42; Roma, 1998) 43. LINDEMANN, 337 spricht von einem »Kettenschema«. 75 Besonders bedeutsam für 15,13–19 ist der Topos des persönlichen »Nachteils« als Folge einer bestimmten Meinung. Die Möglichkeit des Heilsverlustes, die in diesem Abschnitt mehr als nur angedeutet wird, appelliert untergründig an die Angst der Rezipienten und betont damit stark die Ebene des Pathos. Vgl. A. ERIKSSON, Fear of Eternal Damnation: Pathos Appeal in 1 Corinthians 15 and 16, in: T.H. Olbricht / J.L. Sumney (eds.), Paul and »Pathos« (SBL Symposium Ser., 16; Atlanta, 2001) 117–119. 76 Kenón steht betont voran; auch das Fehlen der Kopula dient der Betonung. 77 Sachlich steht diese Konsequenz in der Nähe der in 15,2 geäußerten Befürchtung, die Korinther seien womöglich »vergeblich zum Glauben gekommen« (e˙k¨∆ hepisteúsate). Demgegenüber hält Paulus für seinen eigenen apostolischen Dienst fest, dass sich hier »Gottes Gnade nicht als vergeblich erwiesen hat« (15,10a: Hj cáriß ahu toü Hj e˙ß hemè ohu ken`j hegen´jqj). 78 Louw / Nida geben für die Passivform eHurískomai an: »to be in a state which has not been anticipated, to be found to be, to discover to be, to turn out to be.« Bauer / Aland, 658: »Wie ax;m]nI sich zeigen, erscheinen, erkennbar werden, sich erweisen, erfunden werden als.« 73 SCHRAGE,
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
107
Gottes (yeudomártureß79 toü qeoü80) und Lügner gegen Gott, weil sie gegen Wissen und Evidenz verkündigen, dass Gott Jesus auferweckt habe, wo es doch keine Auferweckung gibt81. 16
e˙ gàr nekroì ohuk hegeírontai, ohudè Cristòß heg´jgertai≥
Wenn also Tote nicht auferweckt werden, dann ist auch Christus nicht auferweckt worden.
17
e˙ dè Cristòß ohuk heg´jgertai, mataía Hj pístiß Hum¨wn, ‘eti hestè hen taïß Hamartíaiß Hum¨wn.
Wenn aber Christus nicht auferweckt wurde, dann ist euer Glaube nutzlos, und ihr seid noch in euren Sünden.
18
‘ara kaì oÓ koimjqénteß hen Crist¨^w hap´wlonto.
Folglich würden auch die Entschlafenen in Christus verloren gehen.
19
e˙ hen t¨∆ zw¨∆ taút∆ hen Crist¨^w hjlpikóteß hesmèn mónon, heleeinóteroi pántwn hanqr´wpwn hesmén.
Wenn wir in diesem Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben (und nur das), dann sind wir die bemitleidenswertesten 82 von allen Menschen.
Der zweite Argumentationsgang setzt wieder mit der These der Korinther aus V. 13 an und zieht daraus wieder den Schluss, dass Christus nicht auferweckt worden sei (16). Paulus knüpft in V. 17 an die bereits dargestellte Konsequenz, dass der Glaube »leer« sei (14c), an (mataía), betont hier aber stärker die Wirkungslosigkeit eines solch ausgehöhlten Glaubens83. Daraus zieht er zwei weitere Schlüsse: Eine Erlösung von Sünden84 hätte nicht stattgefunden 79 Das
Ablegen eines falschen Zeugnisses (yeudomarturéw) wird im Dekalog ausdrücklich verboten (LXX Ex 20,16; Dtn 5,20) und gilt in der Spruchweisheit als ein großes moralisches Fehlverhalten (LXX Prov 6,19; 14,5.25; 19,5.9; 21,28; 24,28; 25,18). 80 Der Genitiv drückt entweder Zugehörigkeit aus (»Falschzeugen im Dienst Gottes«; so ROBERTSON / PLUMMER, 348f; CONZELMANN, 314f) oder das Objekt des Falschzeugnisses (»Lügenzeugen über Gott«; so BACHMANN, 437; FEE, 742f; WOLFF, 378f). 81 BARRETT, 348 formuliert mit theologischem Feinsinn: »If there is no resurrection, the Christian proclamation is a lie placed where it is likely to do most damage, in a statement about God.« 82 Vgl. zum Gebrauch des Komparativs für den Superlativ BDR §60. 83 Es ist unklar, ob mataía gegenüber kenóß in V. 14 einen Unterschied markiert. Für Kontextsynonymität plädieren u.a. LINDEMANN, 340 und A. OEPKE, Art. kenóß ktl., ThWNT 3 (1938) 660/37–39. Eine solche Bedeutungsüberlappung lässt sich in der LXX belegen: Y 30,7; Hiob 20,18; Hos 12,2; Mi 1,14; Jes 30,7; 59,4; weitere Belege in Bauer / Aland, 870. CONZELMANN, 325; ROBERTSON / PLUMMER, 349; SCHRAGE, IV, 129; THISELTON, 1219f; W. VERBURG, Endzeit und Entschlafene. Syntaktisch-sigmatische, semantische und pragmatische Analyse von 1 Kor 15 (FzB 78; Würzburg, 1996) 137, Anm. 158 machen jedoch einen semantischen Unterschied zwischen »inhaltsleer« (kenóß) und »wirkungslos« (mataía). Der literarische Kontext spricht m.E. für eine solche Nuancierung: Während es in 14b–15 darum geht, dass die Apostel Lügenzeugen sind, weil sie etwas ohne Inhalt verkündigen, geht es in 17c–18 darum, dass die Korinther verloren gehen, wenn ihr Glaube ohne Wirkung ist. 84 Der für Paulus seltene Plural von Hamartía schließt an das Kerygma in 15,3 an. H. BRAUN, Exegetische Randglossen zum 1. Korintherbrief, in: Ders., Gesammelte Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt (Tübingen, 21967) 201–204 denkt konkret an die Tatsünden der vorchristlichen Existenz.
108
III. Analyse paulinischer Texte
(17)85 und die verstorbenen Christen und Christinnen (euphemistisch »die Entschlafenen«) wären statt in die jenseitige Errettung ins Verderben gegangen (18: hap´wlonto). Paulus beendet die Argumentation mit einer pathetica sententia (19)86: Wenn christliche Hoffnung für dieses Leben gilt – und nur das87, dann sind »wir die bemitleidenswertesten aller Menschen«88. 3. Logische Analyse a) Auslegungs- und forschungsgeschichtliche Perspektiven Die Auslegungsgeschichte von 1Kor 15,12–19[20] ist mit wechselnder Intensität und Sachkenntnis an die Logik dieses Textes herangegangen. In der Gegenwart ist v.a. die Auseinandersetzung zwischen dem Logiker Theodor G. Bucher und dem Exegeten Michael Bachmann nicht nur unter auslegungsgeschichtlichen Gesichtspunkten von Interesse, sondern v.a. auch deshalb, weil dadurch eine Reihe entscheidend wichtiger Fragen methodischer und hermeneutischer Natur im Hinblick auf das Verhältnis von Exegese und Logik zur Sprache gebracht worden sind89. Zur Bucher-Bachmann-Debatte90: In seinem ersten Aufsatz zum Text hat Bucher vorgeschlagen 91, 1Kor 15,12–20 mit den Mitteln stoischer Satzlogik als modus tollens (das ent85 Wenn
der Glaube, dass Jesus »für die Sünden« gestorben ist (15,3) inhaltsleer wird, dann ist folglich auch die Vergebung dieses Pseudokerygmas ohne Realitätsbezug. 86 So Bullinger (nach SCHRAGE, IV, 134). MACK, Rhetoric, 57, der die pathetische Note bemerkt, stellt sie jedoch ganz ohne Grund der argumentativen Logik des Textes entgegen: »This ends on a pathetic note, showing that Paul’s argument was designed not to give reasons for the trustworthiness of the kerygma but to ward off questions about it.« 87 Mónon ist kaum zu helpikóteß zu ziehen (so aber ALLO, 403), da helpízw bei Paulus immer positiv konnotiert ist. Häufig wird es mit hen t¨∆ zw¨∆ verbunden (»wir sind nur in diesem Leben Hoffende«; BDR §3521; CONZELMANN, 315; FEE, 744f; LINDEMANN, 341; SCHRAGE, IV, 134f; W EISS, 355; WOLFF, 380). Die syntaktische Stellung jedoch legt nahe, mónon auf den gesamten Satz zu beziehen (BACHMANN, 439; BARRETT, 349f; THISELTON, 1221). ROBERTSON / PLUMMER, 350 übersetzen: »If in this life we are hopers in Christ and have nothing beyond.« 88 Der Grund dieses bemitleidenswerten Zustandes besteht nicht einfach darin, dass es keine Auferstehung der Toten gibt, sondern darin, dass die in VV. 13ff angeführten Nachteile zu ertragen sind. In einem anderen Zusammenhang äußert sich syrBarApk 21,13 ähnlich: »Denn gäbe es nur dies Leben, das jedermann hier hat – nichts könnte bitterer sein.« (Klijn, JSHRZ V/2, 136) 89 Die Debatte selbst ging über verschiedene »Runden« in verschiedenen Zeitschriften (Bib., ThZ, LingBibl) und brachte als »Nachzügler« noch einen kleinen Meinungsaustausch zwischen BACHMANN und Christoph ZIMMER und letzthin einen Artikel von Johan S. VOS hervor (vgl. die vollen bibliographischen Angaben oben in S. 95, Anm. 11). 90 Ein detailliertes chronologisches Referat der Auseinandersetzung ist deswegen wenig ertragreich, weil im Verlauf derselben das zwischen beiden Strittige ebenso wie das Gemeinsame sich in verschiedenen Anläufen immer deutlicher herausgeschält hat und es nicht nur zu Annäherungen gekommen ist, sondern auch zu wichtigen Präzisierungen, sowohl
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
109
spricht der zweiten stoischen Grundform; s.o. S. 85) aufzufassen. Aus logischer Perspektive hat er dabei nicht nur Vorschläge wie reductio ad absurdum oder argumentum ad hominem einer kritischen Analyse unterzogen, sondern auch Grundlagenwissen über Logik vermittelt92. Bachmann hat in seiner Replik 93 v.a. an der Formulierung Buchers, hier ginge es um eine »allgemeine Auferstehung«94, Anstoß genommen und darauf gedrängt, die logische Analyse auf eine exaktere philologische Untersuchung der verwendeten Terme zu gründen95. Uneinig zeigen sich beide im Hinblick auf das Problem der verwendeten logischen Formalisierungssystematik. Während Bucher die logischen Strukturen des Textes nur mit satzlogischen Mitteln zu erheben versucht96, geht Bachmann auch prädikatenlogisch vor97. Beide haben in der Folge auch die Auslegungsgeschichte in Patristik und Mittelalter berücksichtigt98. Trotz einiger Abweichungen fundamentallogischer Natur gibt es auf dem Gebiet der konkreten Formalisierung kaum Unterschiede. So kann Bucher nicht sehen, »worin denn unsere Abweichung sachlich besteht« (Beweisführung, 139). Dieser Eindruck drängt sich auch Außenstehenden beim Anblick von Bachmanns synoptischer Gegenüberstellung der beiden Formalisierungsvorschläge auf99: Bucher (1) ¬A → ¬C (2) C (3) A
(V. 13) (V. 20a)
Bachmann (i) ¬A* → ¬C (V.13) (ii) C (V. 20a) (iii) A* (s. V. 20b.21b)
im Hinblick auf die Möglichkeit einer logischen Textanalyse als auch im Hinblick auf das konkrete Verständnis der Argumentation von 1Kor 15,12–20. 91 BUCHER, Logische Argumentation. Der gleiche Gedankengang findet sich in »Auferstehung Christi«. 92 Zur Implikation vgl. BUCHER, Logische Argumentation, 477–486; Beweisführung, 135f; zur Satz- und Prädikatenlogik und zum Problembereich von »Wahrheit und Gültigkeit« vgl. Überlegungen, 72–80.84–91. Allgemein hat sich BUCHER zu solchen Fragen in seiner Einführung in die angewandte Logik geäußert. 93 BACHMANN , Gedankenführung. 94 BUCHER, Logische Argumentation, 470. 95 Vgl. bes. BACHMANN , Gedankenführung, 268–272; Rezeption, 81–83.94. 96 BUCHER, Logische Argumentation betont mit Nachdruck, »dass sich die vorliegende Argumentation nicht in Syllogismen ausdrücken lässt« (473, Anm. 1). Die Prädikatenlogik aristotelischer Manier könne an diesem Texte nicht angelegt werden, weil »Paulus […] hier nach der Aussagenlogik [argumentiert], d.h. er teilt die Aussagen nicht in Subjekt und Prädikat auf, von denen eines als Mittelterm fungiert, sondern er nimmt die Aussagen als ganze« (474). Ähnlich S. 486: »Paulus argumentiert mit der stoisch-megarischen Logik und die Exegeten suchen den Gedankengang in der Syllogistik von Aristoteles unterzubringen. Die Prädikatenlogik ist aber dem diskutierten Problem nicht angepasst.« In BUCHER, Überlegungen, 80–83 argumentiert er nochmals gegen den Einsatz der Prädikatenlogik. 97 In Gedankenführung, 272, Anm. 42 postuliert er diese Möglichkeit, bietet aber nur Beispiele satzlogischer Art. Erst in Noch einmal, 101 formalisiert BACHMANN 15,13 als einen aristotelischen Syllogismus der Form ferio: »1) Kein Gestorbener ist der Auferstehung teilhaftig. 2) Christus ist ein Gestorbener. 3) Christus ist der Auferstehung nicht teilhaftig.« Vgl. auch BACHMANN, Argumentum, 38f. 98 BUCHER, Beweisführung, 143–152 (zu Augustin und Thomas von Aquin); BACHMANN, Argumentum, 33–38 (zu Augustin). 99 In BACHMANN , Rezeption, 84. Die gleiche Formalisierung schlägt ZIMMER, Argumentum, 25f vor.
110
III. Analyse paulinischer Texte
Die Diskussion hat als Minimalergebnis die Einsicht gebracht, dass sich 1Kor 15,12–19 trotz seiner zweifellos von Pathos getragenen rhetorischen Einkleidung auf seine logische Stringenz hin sinnvoll befragen lässt100.
In der Fachexegese finden sich häufig Vorschläge zur argumentativen Struktur des Textes, die die »Logik« im engen Sinne wenig berühren: 1. Johannes Weiß hat in 1Kor 15,12ff »ein Spiel mit dem logischen Gesetz« erblickt, »daß ein allgemeiner negativer Satz nicht aufrecht erhalten werden kann, wenn eine positive Ausnahme nachgewiesen ist, oder daß es nicht eine einzige Ausnahme geben darf, wenn die allgemeine Negation aufrecht erhalten werden soll.«101 Dieses »Gesetz« kann – trotz der Tatsache, dass es in der Folgezeit von vielen aufgenommen worden ist102 – schon alleine deswegen kein Gesetz der Logik sein, weil es Logik um das Verhältnis von Aussagesätzen zueinander geht und nicht um das von Satzinhalten zu aus der Empirie herbeigezogenen »Ausnahmen«103. Das »Weiß’sche Gesetz« jedenfalls hat mehr mit Erkenntnistheorie als mit Logik zu tun104. 2. Häufig wird 1Kor 15,12ff als reductio ad absurdum oder reductio ad impossibile bestimmt105. Da die Bedeutung beider Begriffe nicht immer scharf umrissen ist, bedarf es an dieser Stelle einer Klärung: Der Begriff der reductio ad absurdum (auch deductio ad impossibile) hat in logischem und in rhetorischem Kontext eine je andere Beudeutung. In der griechischen Bezeichnung hapagwg´j e˙ß tò hadúnaton hat es sein Heimatrecht zunächst deutlich im Bereich der Logik, wo es einen indirekten Beweis bezeichnet. In den Worten des Aristoteles: »Denn alle Folgerungen aufgrund von Unmöglichem schließen zwar auf Falsches, beweisen aber die hypothetische Anfangsannahme, wenn nämlich aus der Annahme des (kontradiktorischen) Gegenteils etwas Unmögliches folgt.« (An. pr. I 23,41a22–26; eig. Übers.) 106 100 Seine
zweite Erwiderung an BUCHER schreibt BACHMANN »aus der mich mit Bucher fraglos einenden Überzeugung heraus, es könne von der klassischen Logik (und ihrer modernen Formalisierung) her Hilfe für das Verständnis von Texten wie 1. Kor. 15,12ff. erhofft werden.« (Rezeption, 79) 101 WEISS, 353. S CHLATTER, 404 formuliert eine ähnliche »logische[...] Regel […], daß von einer allgemein gültigen Verneinung jeder besondere Fall getroffen wird.« 102 Vgl. z.B. S PÖRLEIN , Leugnung, 67; LINDEMANN, 337. 103 SCHRAGE, IV, 126, Anm. 566: »Das aber ist schon darum fraglich, weil es bekanntlich keine Regel ohne Ausnahme gibt.« Ein solcher Einwand berührt logische Fragen nicht. 104 Vgl. zur Kritik weiterhin BUCHER, Logische Argumentation, 473f. 105 BACHMANN , 437 (deductio ad absurdum); K. BERGER, Formgeschichte des Neuen Testaments (Heidelberg, 1984) 103; Exegese des Neuen Testaments (UTB 658; Heidelberg, 21984) 54; V. HASLER, Credo und Auferstehung in Korinth. Erwägungen zu 1 Kor 15, ThZ 40 (1984) 24; HÉRING, 163; ROBERTSON / PLUMMER, 348; SCHRAGE, IV, 109 und 126, Anm. 566; SIEGERT, Argumentation, 241; W. STENGER, Beobachtungen zur Argumentationsstruktur von 1Kor 15, Strukturale Beobachtungen zum Neuen Testament (NTTS 12; Leiden, 1990) 259. J. HOLLEMAN, Resurrection and Parousia (NT.S 84; Leiden, 1996) 41, Anm. 4 definiert das argumentum ad absurdum kurzerhand im Sinne des Weiß’schen Gesetzes. 106 Pánteß gàr oÓ e˙ß tò h adúnaton peraínonteß tò mèn yeüdoß sullogízontai, tò dh hex harc¨jß hex Hupoqésewß deiknúousin, “otan hadúnaton ti sumbaín∆ t¨jß hantifásewß
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
111
Da hier die Absurdität oder Unmöglichkeit nicht Ziel, sondern Mittel zum Beweis ist, wäre es präziser, von probatio per absurdum107 oder demonstratio per impossibile108 zu sprechen. In der modernen Logik ist dieses Beweisverfahren gültig und hat meist eine der beiden folgenden Grundformen109: (1a)
B (A ∧ B) → C (A ∧ B) → ¬C ¬A
(1b)
B (¬A ∧ B) → C (¬A ∧ B) → ¬C A
(2a)
(2b) A→C A → ¬C ¬A
¬A → C ¬A → ¬C A
Wie C. Thiel zurecht betont, sollte im strengen Sinne von einer reductio ad absurdum nur dann die Rede sein, »wenn der erreichte Widerspruch ein logischer (ein ›absurdum‹) ist, d.h. nicht bloß einer empirischen Tatsache widerspricht (›impossibile‹) oder gar nur ein ›lästiges Faktum‹ (›incommodum‹) ist« 110. An dieser Stelle wird der Übergang zur argumentativen Verwendung des Begriffs deutlich. In der Argumentation geht es nicht um den Beweis, sondern um den Aufweis von Ungereimtheiten bei Annahme der gegenteiligen Position. So bietet z.B. W.C. Salmon ein logisch weniger strenges Schema111: Behauptung:
p.
Voraussetzung:
Nicht-p.
Daraus deduziert man:
Eine falsche Aussage; entweder p (Widerspruch zur Voraussetzung nicht-p) oder q und nicht-q (Selbstwiderspruch) oder irgendeine andere Aussage r, die bekanntermaßen falsch ist.
Konklusion:
Nicht-p ist falsch; also gilt p.
Dieses Schema lässt jede Deduktion zu, »die bekanntermaßen falsch ist«. In diesem Sinne kann auch in der Rhetorik von einer reductio gesprochen werden 112, wenn eine gegnerische Meinung durch den Aufweis widerlegt wird, dass »die Vordersätze der Schlüsse falsch sind«113. Dennoch sind Begriffe wie hapagwg´j oder reductio kaum in die Rhetorik-Lehrbücher eingegangen114. Ich möchte daher im Folgenden unterscheiden zwischen der streng logischen reductio ad absurdum und einer eher rhetorischen reductio ad impossibile115.
teqeísjß. Vgl. weiterhin Aristoteles An. pr. I 5,27a14f; 6,28b21; 7,29b6 (dazu PATZIG, Aristotelische Syllogistik, 153–166; KNEALE / KNEALE, Logic, 96–100). Vorformen dieser Argumentationsform finden sich bei Platon (z.B. Theaithetos 164a.b; Apologie 27d.e) oder bei Zenon von Elea (vgl. KNEALE / KNEALE, Logic, 15f). 107 S. MATUSCHEK , Apagoge, HWRh 1 (1992) 758. 108 N. RESCHER, Art. Reductio ad absurdum, HWPh 7 (1992) 369. 109 C. THIEL, Art. reductio ad absurdum, EPhW 3 (1995) 516. 110 THIEL, reductio, 516. 111 SALMON, Logik, 64. 112 MATUSCHEK , Apagoge, 759. 113 MARTIN , Antike Rhetorik, 125 nennt dies eines der wichtigsten Ziele der lúsiß oder refutatio (vgl. allg. dazu S. 124–133). 114 MATUSCHEK , Apagoge, 759. 115 Eher zur Verwirrung geeignet ist die Abgrenzung von KNEALE / KNEALE, Logic, 9: »Perhaps the name reductio ad absurdum may be allowed to cover those which are not strictly instances of reductio ad impossibile.«
112
III. Analyse paulinischer Texte
Für den unter Betracht stehenden Text lässt sich die Bestimmung als reductio ad impossibile nicht leicht von der Hand weisen: Paulus geht hypothetisch von der These der Korinther aus und nimmt diese als Ausgangsprämisse für eine Reihe von Konklusionen, denen die Korinther kaum zugestimmt haben dürften. Ein logischer Beweis im obigen Sinne ist jedoch nicht formalisierbar. 3. Am direktesten ist die Frage nach der Logik betroffen, wenn sie für den Text schlicht als irrelevant betrachtet wird116. In diese Richtung bewegt sich deutlich die These, der Text sei lediglich ein argumentum ad hominem117. Doch die rhetorischen Kommunikationsebenen von Ethos, Pathos und Logos greifen derart ineinander über, dass mit der Aussage, in einem Text werde an Gefühle appelliert oder ein Text ziele auf Persuasion, nichts über die logische Struktur des Textes gesagt ist – und umgekehrt118. Auch der Hinweis, dass die Christologie im Zentrum stehe, dispensiert wohl kaum von einer Analyse der logischen Gültigkeit119. Im Namen der theologischen »Sache« sollte ein Text nicht gegen die Möglicghkeit einer logischen Analyse immunisiert werden120!
116 CONZELMANN ,
313 setzt sich z.B. von WEISS ab: »Das ist nicht formallogische Konsequenzmacherei.« Bereits Luther erblickte in diesem Text nur einen »schwachen Beweis«, »einen Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine« (Korintherbriefe, hrsg. Ellwein, 213). 117 Vgl. SPÖRLEIN , Leugnung, 69; W EISS, 354f (allerdings nur im Hinblick auf V. 17 und das nicht zu Unrecht!). Zur Kritik vgl. BUCHER, Logische Argumentation, 469. Neuerdings wieder SCHRAGE, IV, 111: »Dabei geht es Paulus allerdings weniger um logische Gesetze und Beweise als um persuasive Argumente ad hominem, wobei er auch affektische Mittel einsetzt.« Zur BUCHER-BACHMANN-Debatte urteilt SCHRAGE, IV, 127, Anm. 569: »Insofern sind die scharfsinnigen formallogischen Distinktionen auf der Basis der antiken Prädikatenoder Aussagenlogik von Bucher und Bachmann m.E. nur mit Vorbehalt hilfreich.« 118 Wenn z.B. der logischen Analyse BUCHERS vorgeworfen wird, er verkenne »den grundsätzlichen Charakter von 1. Kor 15 als lebendiger Rede und als dynamischen Argumentationsprozeß« (BÜNKER, Briefformular, 142, Anm. 126), dann steht dahinter das Zerrbild einer »Logik«, die im konkreten Sprachvollzug mit so etwas wie dynamischen Prozessen unvereinbar ist. BÜNKER, Briefformular, 68: »Nicht die logisch distanzierte Abhandlung wird im Vordergrund stehen, sondern die Überredung bzw. Überzeugung der Zuhörer.« Eine ebenso falsche wie traurige Alternative! 119 SCHRAGE, IV, 126, Anm. 566 wendet gegen die logische Bestimmung der Argumentation ein: »Vor allem der Zusammenhang zwischen V 1–11 und 12ff spricht dagegen. Nicht in sich schlüssige Denkrichtungen und weltanschauliche Möglichkeiten stehen im Zentrum der Debatte, sondern die Christologie und ihre universalen und eschatologischen Dimensionen.« S. 127: »Gewiß sind Enthymeme mit Prämissen und Konklusionen erkennbar (V 13.16), mit denen Paulus auf Inkonsequenzen aufmerksam macht. Das Entscheidende aber ist nicht, daß dann, wenn die Auferstehung Jesu feststeht, eine prinzipielle Leugnung der Totenauferstehung logisch unhaltbar ist. Entscheidend ist vielmehr, daß die Wirklichkeit der Auferweckung Jesu als Anbruch der neuen Welt und als eschatologischer Beginn und Grund der Totenauferstehung zu verstehen ist…« 120 Dies gilt etwa für BRAUN, Randglossen, 198, der das »Weiß’sche Gesetz« ablehnt und meint, dass der ganze Text »in syllogistischer Form inhaltliche Notwendigkeiten geltend macht, nach dem Gesetz der Sache, die da verbietet, von Christi Auferweckung zu reden, wo
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
113
Insgesamt ist der beschränkte, aber doch unverkennbare Nutzen der Logik für die Analyse von Schlussverfahren trotz der Beiträge von Bucher und Bachmann in der Fachexegese nicht in vollem Umfang gewürdigt worden. Manche Abgrenzungen zeugen vielmehr von einer unzutreffenden Auffassung von Logik121. b) Die Umkehrung der Implikation als Fehlschluss122 In der Literatur findet sich häufig ein Fehlschluss, bei dem zwei logisch relevante Implikationen miteinander verwechselt werden: (1) (2)
Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist Christus nicht auferweckt worden Wenn es eine Auferstehung der Toten gibt, dann ist Christus auferweckt worden.
¬p → ¬q p→ q
Der Schritt von Satz 1 zu Satz 2 entspricht zwar häufiger »Alltagslogik«123, ist aber logisch unzulässig, wie ein Beispiel zeigt: Wenn es regnet, wird der Boden nass (S1). Wenn es nicht regnet, wird der Boden nicht nass (S2). S2 kann unmöglich aus S2 logisch gefolgert werden. Wenn gilt, dass der man die Totenauferstehung bestreitet«. BUCHER, Logische Argumentation, 474–476 attestiert BRAUN eine Vermischung von Logik und Ontologie. 121 Dass dies nicht immer so war, zeigt der informative Aufsatz von Vos, der die Auslegungsgeschichte danach befragt, wie die Logik und Rhetorik dieses Textes bestimmt worden sind (Logik des Paulus, 80–96. Vgl. auch die knappen Hinweise in SCHRAGE, IV, 139–142). Er gelangt dabei im Wesentlichen zu drei Optionen (modus tollens, modus ponens und reductio ad absurdum), die in unterschiedlichen Kombinationen bei Augustin, Thomas von Aquin, Cajetan, Bullinger, Osiander und weiteren Exegeten bis ins 19. Jh. nachweisbar sind. Ein solches auslegungsgeschichtliches Panoptikum hat jedoch für die Sachfrage nach der logischen Struktur von 1Kor 15,12–19 deswegen kaum Gewicht, weil sich die Logik seit dem Humanismus in einem derartigen Niedergang befand (vgl. KNEALE / KNEALE, Logic, 298ff), dass die meisten, die hier zu Wort kommen, kaum als Experten für logische Fragen gelten können. Die m.E. gewichtigste logische Diskussion zu diesem Text findet sich in Augustin DoctrChr II 31(49),119–32(50),121 (lat. Green, 112; dt. Pollmann, 88f), der den Text im Sinne eines stoischen modus tollens analysiert. Vos führt Augustins, Contra litteras Petiliani III, 46(55)–47(57) = CSEL 52, 207–10 als Beleg dafür auf, das Augustin den Text auch im Sinne einer reductio ad absurdum deuten konnte. Ich bin hier skeptisch: In seiner antidonatistischen Schrift benutzt Augustin 1Kor 15,13–15 als Beispiel dafür, wie hypothetische Aussagen missverstanden werden können, wenn der erste Teil der Aussage nicht berücksichtigt wird. In diesem Sinne könne Paulus die Aussage »Christus ist nicht auferstanden« unterstellt werden. In DoctrChr geht es Augustin darum, anhand von 1Kor 15,13ff elementare Gesetze der Logik aufzuzeigen, hier geht es ihm um die Kommunikationsabsicht des Paulus. Im Hinblick auf die besondere Fehlmeinung der Korinther möchte Paulus ihre »Absurdität korrigieren« (46[56] absurditate corrigit), indem er aufzeigt, welche gottlosen Aussagen daraus folgen. Eine technische Aussage über die Argumentationsform des Textes scheint mir das nicht zu sein. 122 Vgl. zur Asymmetrie der Implikation BUCHER, Logische Argumentation, 480–483. 123 Ein Beispiel: »Wenn es schneit, fahren wir in die Berge. Nun schneit es nicht, also…«
114
III. Analyse paulinischer Texte
Boden immer nass wird, wenn es regnet, ist noch keine Aussage darüber getroffen, was im Falle von ausbleibenden Regenfällen geschieht. Da es viele andere Ursachen dafür geben kann, dass der Boden nass wird (z.B. ein Wasserrohrbruch), lässt sich nicht nur in diesem Fall, sondern generell aus der Negation der Protasis einer Implikation nichts folgern124. Die Argumentationsrichtung von 1Kor 15,12–19 ist in den Bedingungssätzen in VV. 13 und 16 gleich zweimal mit unmissverständlicher Klarheit angegeben: Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist Christus nicht auferweckt worden. Daraus ist jedoch nichts im Hinblick darauf zu schließen, wie es sich mit der Auferstehung Christi verhalten könnte, wenn es eine Auferstehung der Toten gäbe. An keiner Stelle deutet der Text mit auch nur einem Wort die Absicht an, von der allgemeinen Auferstehung auf die Auferstehung Jesu schließen zu wollen. Dies ist mit den Mitteln der Logik aus den Implikationen in 15,13.16 auch völlig unmöglich125. Die Auferstehung Jesu wird nach der Darlegung des Kerygmas in 15,1–11 in 15,20 fern jeder logischen Beweisbarkeit »kategorisch affirmiert«126. Die Argumentationsrichtung von der Auferstehung Christi zur Auferstehung der Toten beginnt erst in 15,20 (nicht bereits in 15,12)127. Dass ab hier jedoch nicht mehr im Sinne logischer Implikationen argumentiert wird, lässt sich daran ablesen, dass Paulus ab V. 20 stilistisch von Konditional- zu Aussagesätzen übergeht (einzige Ausnahme: 15,32b). Der argumentative Schritt ist dadurch möglich, dass ein zusätzlicher Aspekt ins Spiel gebracht wird: Die »allgemeine« Auferstehung (vielleicht nur auf verstorbene Christen und Christinnen bezogen) findet ihre Begründung deshalb in der Auferstehung Jesu, weil diese als eschatologischer »Eröffnungsakt« verstanden wird 128. Dies liegt sachlich (nicht logisch!) in 124 Die
stoische Logik war sich des Problems bewusst, so dass von den zwei axiomatischen Implikationen (s.o. S. 85), keine als zweite Prämisse die Negation der Protasis setzt. 125 SELLIN, Auferstehung, 257, Anm. 107: »Was er [= Paulus] letztlich zeigen will, ist, daß aus der Auferweckung Christi die Auferweckung der (aller) Christen folgen wird. Keine Logik allein bringt solchen Schluß zustande.« Die letzte Aussage ist zwar zutreffend, aber zumindest für 15,12–19 gilt keineswegs, dass Paulus die Auferweckung der Christen aus der Auferweckung Christi zeigen wollte. 126 BUCHER, Logische Argumentation, 470. Erhellend auch 471, Anm. 1: »Die Annehmbarkeit von V. 20 ist Sache der Erkenntnistheorie, resp. der theologischen Entscheidung, hat aber mit Logik nichts zu tun. Diese unglückselige Vermischung zwischen Logik und Erkenntnistheorie schreibt der Logik auf der einen Seite Leistungen zu, die sie nicht erbringen will, auf der anderen Seite werden ihr Leistungen in ihrem eigenen Kompetenzbereich gar nicht zugetraut und a priori als unmöglich hingestellt.« 127 Anders CONZELMANN, 313, Anm. 18 (zu V. 13): »Es schwebt bereits hier der kausale Zusammenhang zwischen der Auferstehung Christi und derjenigen des Christen vor.« 128 Vgl. 6,14; 15,20; 2Kor 4,14; Röm 8,11. S. VOLLENWEIDER, Ostern – der denkwürdige Ausgang einer Krisenerfahrung, in: Ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie (WUNT 144; Tübingen, 2002) 118f betont, dass die Auferstehung Jesu »im Sinne einer gewissmachenden Antizipation« zur allgemeinen Auferstehung in Bezug gesetzt wird, was allerdings nicht als Aufarbeitungsversuch von Todesfällen in den Gemeinden zu werten ist, sondern als »eine zunächst fast selbstverständliche Implikation«. U. LUZ, Das Geschichtsver-
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
115
der apokalyptischen Vorstellung begründet, dass mit der Auferstehung Jesu die Heilszeit ihren Anfang nimmt129. Paulus täuscht an dieser Stelle also keineswegs mehr logische Stringenz vor, als den Sätzen beigelegt werden könnte130. Im Gegensatz zu manchen seiner modernen Ausleger begeht er den Fehlschluss der Implikationsumkehrung nicht131.
c) Textabgrenzung und Bestimmung logisch relevanter Sätze Die Abgrenzung der Texteinheit unter logischen Gesichtspunkten kann zuweilen von gängigen Textabgrenzungen abweichen. So sind zwar die VV. 12–19 aufgrund der Kette von Bedingungssätzen als eine Einheit zu betrachten, aber Bucher hat in seiner logischen Analyse vorgeschlagen, V. 20a als »die erforderliche Zusatzprämisse, um eine Folgerung abzuleiten«, zu berücksichtigen132. Dies ist allerdings nicht zwingend, weil die Affirmation der Auferstehung Jesu bereits in 15,1–11 dargelegt worden ist und sich in den traditionellen Stücken des 1Kor gerade auch die Prämissen der weiteren Argumentation finden (s.o. S. 100). Im Hinblick auf die Ausscheidung von logisch irrelevanten Sätzen gerät V. 12 ins Visier Buchers, weil die Frage nur »psychologisch-rhetorische Bedeutung« hat133. Aus der rhetorischen Form der Frage geht jedoch hervor, dass es hier um mehr geht als nur um psychologisch-rhetorische Beeinflussung (Pathos). Hier wird die Ausgangsfrage formuliert: Besteht zwischen dem Satz »Christus ist auferweckt worden«, und dem Satz »Es gibt keine Auferstehung von Toten«, ein Widerspruch? Beziehungsweise: Besteht zwischen der allgemeinen urchristlichen Missions-
ständnis des Paulus (BEvTh 49; München, 1968) 333, Anm. 61: »in Wirklichkeit argumentiert er – vielleicht pseudologisch – von der Auferstehung Christi her«. SCHRAGE, IV, 128: »Prämisse und Ziel seiner Argumentation ist V 20, der die Eingangsthese von V 12a wiederholt und daraus folgert, daß die Toten auferstehen.« Dies ist nicht ganz richtig, weil V. 20 nicht V. 12a wiederholt, sondern durch haparc`j t¨wn kekoimjménwn ganz entscheidend qualifiziert. 129 ROBERTSON / PLUMMER, 347f: »The connexion between antecedent and consequent is therefore not logical merely, but causal: the Resurrection of Christ is not viewed by the Apostle as one particular case of a general law, but as the source of Divine Power which effects the Resurrection in store for His members.« (Hervorhebung vom Autor) 130 Wieder ROBERTSON / PLUMMER, 351: »In these verses [20–28, MM] the Apostle ceases to argue, and authoritatively declares the truth. Human logic is for the moment dropped, and the inspiration of the Prophet takes its place.« 131 Richtig THISELTON , 1214: »Any possible sense of confusion for the modern reader arises because the resurrection of Christ is also regarded (in vv. 20–34) as the paradigm case of resurrection in reality. Hence it may appear that Paul is turning an anticipated argument upside down. In practice, however, these two approaches represent different and complementary arguments. There is no contradiction of logic between vv. 12–19 and 20–34.« 132 BUCHER, Logische Argumentation, 472f; vgl. auch LANG , 217. WOLFF, 376 segmentiert 15,12–20 ohne weitere Begründung als eine Einheit. 133 BUCHER, Logische Argumentation, 465. Für ihn ist V. 12 ein argumentum ad hominem (S. 466).
116
III. Analyse paulinischer Texte
verkündigung und der Behauptung einiger Christen in Korinth ein Widerspruch?134 Für die logische Analyse ergeben sich zehn Elementarsätze: Satz
Elementarsatz
(1)
Cristòß hek nekr¨wn heg´jgertai.
Christus ist auferweckt worden. [= Gott hat Christus von den Toten auferweckt.]
12b.15c.20a
(2)
hanástasiß nekr¨wn ohuk ‘estin.
Tote werden nicht (von Gott) auferweckt.
12d.13a.15e. 16a
(3)
Cristòß ohuk heg´jgertai. Christus ist nicht auferweckt worden. [= Gott hat Christus nicht auferweckt.]
13b.14a.15d. 16b.17a
(4)
tò k´jrugma Hjm¨wn hestin Die Predigt (von Paulus & Co.) ist inhalts– kenón. los.
14b
(5a/b) Hj pístiß Hum¨wn hestin ken´j / mataía.
Vers
Der Glaube (der Korinther) ist inhaltslos / wirkungslos.
14c.17b
(6)
eHuriskómeqa yeudomártureß toü qeoü.
Paulus & Co. erweisen sich als Falschzeugen Gottes.
15a
(7)
‘eti hestè hen taïß Hamartíaiß Hum¨wn.
Die Korinther sind noch in ihren Sünden.
17c
(8)
oÓ koimjqénteß hen Crist¨^w hap´wlonto.
Die verstorbenen Christen gehen verloren.
18
(9)
hen t¨∆ zw¨∆ taút∆ hen Crist¨^w hjlpikóteß hesmèn mónon.
Wir haben in diesem Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt.
19a
(10)
heleeinóteroi pántwn hanqr´wpwn hesmén.
Wir sind die bemitleidenswertesten von allen Menschen.
19b
Auffällig ist die Wiederholung gleicher Aussageinhalte (Nr. 1-3). Ein kontradiktorischer Gegensatz besteht zwischen Satz (1) und (3). Die restlichen Sätze (4)–(10) hängen inhaltlich alle dadurch miteinander zusammen, dass sie in rhetorisch wirkungsvoller Abwechslung die Konsequenzen der Implikation der korinthischen These (Satz 2) ausmalen: Die Verkündigung wie der Glaube sind inhaltslos und nutzlos (4) (5), die Prediger sind Falschzeugen (6), die Christen sind noch in ihren Sünden (7), die verstorbenen Christen sind verloren (8), die auf Christus Hoffenden sind bemitleidenswert (9) (10). Dadurch wird deutlich, dass die Grundstruktur der Argumentation mit vier basalen Sätzen operiert: (1) (2) (3) (4–10)
134 Die
Christus ist (von Gott) auferweckt. Tote werden nicht (von Gott) erweckt. Christus ist (von Gott) nicht auferweckt worden. Die Verkündigung ist inhaltslos, usw.
Argumentation weiß sich damit dem Prinzip vom »ausgeschlossenen Dritten« verpflichtet. Beide Aussagen können gleichzeitig nicht wahr sein.
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
117
d) Versuch einer termlogischen Analyse Wie oben dargestellt, ist die Frage nach der Formalisierung von Bucher und Bachmann unterschiedlich gewichtet worden. Beide sind darin einig, dass sich die argumentative Grundlinie aussagenlogisch formalisieren lässt. Um in dieser Frage jedoch keine Vorentscheidung zu treffen, soll zunächst ein termlogischer Versuch unternommen werden. Ein erstes Formalisierungsproblem stellt der Individualterm »Christus« dar. Obwohl in der Rhetorik Indivualterme vorkommen, hat Aristoteles in der Syllogistik diese nicht berücksichtigt, so dass wir vor die Frage gestellt sind, ob sie im Sinne einer All- oder einer Partikuläraussage formalisiert werden sollen. Die mittelalterliche Logik hat sich für den Allquantor entschieden135. D.h.: Der Satz »Sokrates ist ein weiser Mann«, ist zu formalisieren als SaM (etwa: »Alle Menschen, auf die es zutrifft, Sokrates zu sein, sind weise«) und nicht als SiM (etwa: »Einige Menschen/Mindestens ein Mensch, auf den es zutrifft, Sokrates zu sein, sind/ist weise«). In diesem Sinne lassen sich die zehn Elementarsätze folgendermaßen formalisieren: Satz
Form
Elementarsatz
(1) (2) (3) (4) (5a) (5b) (6) (7) (8) (9) (10)
CaA
Christus ist auferweckt worden. Tote werden nicht (von Gott) auferweckt. Christus ist nicht auferweckt worden. Die Predigt (von Paulus & Co.) ist inhaltslos. Der Glaube (der Korinther) ist inhaltslos. Der Glaube (der Korinther) ist wirkungslos. Paulus & Co. erweisen sich als Falschzeugen Gottes. Die Korinther sind noch in ihren Sünden. Die verstorbenen Christen gehen verloren. Wir haben in diesem Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt. Wir sind die bemitleidenswertesten von allen Menschen.
TeA CeA PaI GaI GaW EaF KaS VaD XaH XaM
Die aristotelische Termlogik vermag die logische Grundstruktur der Argumentation nicht zu erfassen136, sie wirft jedoch einiges Licht auf die implizite Logik der Schlusskette (sorites) in den VV. 13–19. Ein Beispiel: Der Behauptung »Sokrates ist unsterblich«, könnte entgegnet werden: »Wenn er unsterblich ist, dann ist er kein Mensch.« Hinter dieser Implikation verbirgt sich ein 135 Vgl.
BUCHER, Wahrheitsgarantie, 28–30. Die Gründe, die dazu geführt haben, lassen sich z.B. am Darapti-Schluss der dritten Figur veranschaulichen: »Alle Menschen sind Denkende. Alle Menschen sind Atmende. Also: Einige Atmende sind Denkende.« Aus den Prämissen »Sokrates ist ein Denkender«, und »Sokrates ist ein Atmender«, lässt sich ebenso der Schluss ziehen: »Einige (im Sinne von: mindestens einer) Atmende sind Denkende.« Dieser Schluss ist bei einer Formalisierung der beiden Individualaussagen als i-Sätze nicht zulässig. 136 Ein weiteres Problem ergibt sich aus der Formalisierung der Individualaussagen in Satz (1) und (3): CaA und CeA bilden einen konträren und keinen kontradiktorischen Gegensatz.
118
III. Analyse paulinischer Texte
verkürzter Syllogismus, dessen obere Prämisse, dass alle Menschen sterblich sind, unausgesprochen bleibt. In diesem Sinne können einige der Implikationen in VV. 13–19 auf ihre Logik hin befragt werden.
Der Verlauf der »Argumentationskette« nimmt seinen Ausgang in 13a–14a und dann erneut in 16a–17a mit der wiederholten Grundimplikation: Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist Christus nicht auferweckt worden. Von dieser Folgerung aus verläuft die Argumentation in zwei »parallel« verlaufenden Linien: Die erste (14b–15) geht vom Inhaltsverlust (kenóß) aus und malt die Konsequenzen aus, die dies für die Apostel und ihre Verkündigung (1. Plural) hat137. Die zweite Linie (17b–18) greift das Problem der Wirkungslosigkeit (mátaioß) auf und zieht Konsequenzen im Hinblick auf das Heil der Korinther (3. Plural). Der Plural in V. 19 schließt wahrscheinlich beide Gruppen (hesmén) ein. Sowohl jene, die Leeres verkündigen, als auch jene, die Kraftloses glauben, sind bemitleidenswert. Insgesamt arbeitet der Text mit sieben Implikationen, deren fehlende Prämissen mit den Mitteln aristotelischer Logik teilweise eruiert werden können. Für die erste Implikation (15,13.16) besteht ein gültiger Syllogismus nach Celarent: TeA CaT CeA
Wenn Tote nicht auferweckt werden und Christus ein Toter ist/war, dann ist Christus nicht auferweckt worden.
[maior] [minor, implizit] [concl.]
Die zweite Implikation in V. 14 (und ähnlich in V. 17) lässt sich in der jetzigen Formalisierung nicht logisch anordnen, wie bereits die formale Darstellung der beiden Sätze deutlich macht: »Christus ist nicht auferweckt worden« (CeA) und »Die Predigt ist inhaltslos« (PaI): Damit liegen insgesamt vier unterschiedliche Terme und kein Mittelterm vor (C, A, P, I). Bei genauerer Analyse jedoch gibt sich die Problemursache in der Vermischung von Objektsprache (»Christus ist nicht auferstanden«) und Metasprache (»Wir verkündigen…«) zu erkennen138. Der Übergang von einer Ebene auf die andere gründet auf der Überzeugung: Wenn p gilt, dann ist die Aussage »p ist wahr« wahr. Umgekehrt: Wenn die Aussage »p« falsch ist, gilt nicht-p. Der »Schluss«, der in natürlicher Sprache stringent erscheint, kann formal als Barbara-Schluss dargestellt werden, indem die Aussage »Christus ist auferstanden« selbst als Term erscheint (= AC): 137 Die
erste Pluralform steht daher in 14b–15 im Zentrum. Der Hinweis auf den Glauben der Korinther in 14c schlägt eine Brücke zur zweiten Argumentationslinie in 17b–18. 138 Th. LEWANDOWSKI, Linguistisches Wörterbuch (UTB 201; Heidelberg, 31979) 2:524f: »In der umgangssprachlichen Kommunikation gehen O[bjektsprache] und Metasprache oft unmerklich ineinander über, Mißverständnisse und Paradoxien können durch den Kontext vermieden werden. Rein sprachliche Indikatoren für O[bjektsprache] und M[etasprache] gibt es nicht.« Es gilt als anerkannt, »daß die Nichtbeachtung dieser Unterscheidung zu folgenschweren Paradoxien und semantischen Antinomien führt« (525).
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
AC a I P a AC PaI
119
Wenn »Christus ist auferstanden« inhaltslos ist [maior] und wenn die Predigt lautet »C. ist auferst.«, [minor implizit] dann ist Christus nicht auferweckt worden. [concl.]
Mit einem solchen Vorschlag sind jedoch die Möglichkeiten der antiken Logik wohl überreizt. Das Problem liegt in der Vagheit der Alltagssprache, die problemlos von der Objekt- auf die Metaebene wechseln kann139. Auffällig ist noch, dass in den beiden ersten Implikationen eine »kleine« Prämisse zu ergänzen ist, die sich aus der Bekenntnisformel in 15,3–5 herleitet: Jesus ist gestorben (impliziert in V. 13/16) und er ist von den Toten auferweckt worden (impliziert in V. 14 als Inhalt der Verkündigung). Damit bestätigt sich die These, dass Traditionen im 1Kor Prämissen für die Argumentation bereitstellen (s.o. S. 100). Die dritte Implikation (14b.c) hat einen gemeinsamen Term und kann daher im folgenden Sinne zu einem Barbara-Schluss ergänzt werden: PaI GaP GaI
Wenn die Predigt inhaltslos ist und der Glaube in der Predigt »enthalten« ist, dann ist der Glaube inhaltslos.
[maior] [minor implizit] [concl.]
Dass Verkündigung und Glaube ursächlich miteinander verbunden sind, setzt Paulus hier deutlich voraus. Die vierte Implikation ist einfacher als eine Folgerung von V. 15 aus 14b (anstatt aus 14c) zu verstehen, da V. 15 deutlich macht, warum die apostolische Verkündigung kenóß ist. Sie ist »leer«, weil sie eine Aussage über Gottes Heilshandeln macht, die nicht zutreffen kann, wenn es wahr ist, dass Tote nicht auferweckt werden. Die logische Herleitung von V. 15 aus V. 14b ist aber mit den vorhandenen vier Termen (P, I, E, F) unmöglich. Im Sinne einer semantischen Generalisierung müsste für eine solche Analyse der Term kenóß (14b) als kontextsynonym mit yeudómartuß140 oder katà toü qeoü marturéw (15) betrachtet werden (also PaI = PaF). Damit lässt sich der folgende Barbara-Schluss konstruieren: PaF EaP EaF
139 Im
Wenn die christl. Predigt falsch/gegen Gott (leer) ist [maior aus PaI], und die Apostel diese Predigt verkündigen, [minor (15c–e)] dann sind die Apostel falsche Zeugen / gegen Gott. [concl.]
Rahmen dieser Vermischung von Objekt- und Metasprache erscheint ein Argument wie »Weil es keinen Weihnachtsmann gibt, sind die Erzählungen der Eltern ohne Inhalt«, als schlüssig. 140 Beide Begriffsfelder können sich semantisch überschneiden. Vgl. Sir 34,1: »Eitel ist die Hoffnung (kenaì helpídeß) des Toren und eine trügerische (yeudeïß) Erwartung, und Träume beunruhigen törichte Menschen.« (Sauer, JSHRZ) Hos 12,1f: »In Ephraim ist allenthalben Lüge (yeúdei) wider mich … und täglich mehrt es Eitles und Nichtiges (kenà kaì mátaia).«
120
III. Analyse paulinischer Texte
Auch hier ist eine gewisse Grenze des Formalisierbaren erreicht. Dennoch leuchtet das Argument ein: Die christlichen Verkündiger sind lügenhafte Zeugen, weil sie das Gegenteil dessen behaupten, was der Fall ist141. V. 16 wiederholt die Argumentation von V. 13. Die Implikation in V. 17a.b wiederholt im Wesentlichen 14b.c, geht aber gleich zum Glauben über und tauscht kenóß durch mátaioß aus. Dieser Wechsel ist für die weitere Argumentation nicht ohne Bedeutung, bleibt aber logisch nicht begründbar. Die fünfte Implikation (17b.c) schließt aus der Unwirksamkeit des Glaubens auf die Tatsache, dass die Christen noch in ihren Sünden sind. Der Zusammenhang ist deutlich: »Sündenvergebung gehört zu den ›Wirkungen‹ des Glaubens. Wenn aber der Glaube ›wirkungslos‹ (weil ›inhaltslos‹) ist, dann sind auch seine Wirkungen illusorisch.« Einen Weg, diese Struktur zu erfassen, sehe ich mit den Mitteln aristotelischer Syllogistik nicht. Die sechste Implikation (17c–18) hat zwar vier Terme, aber K (korinthischen Christen) und V (Verstorbene) beziehen sich nicht auf zwei ganz unterschiedliche Menschengruppen, sondern im Wesentlichen auf korinthische Christen. Es ist daher durchaus sachgemäß, mit drei Termen zu operieren: SaD KaS KaD
Wenn Menschen »in Sünden« verloren gehen [maior implizit] u. wenn die korinth. Christen (auch d. Verstorbenen) »in Sünden« sind, [minor] dann gehen die korinth. Christen (samt der Verstorbenen) verloren. [concl.]
Die siebte Implikation in V. 19 markiert gegenüber der bisherigen Kettenargumentation einen Bruch, weil sie nicht an eine vorherige Schlussfolgerung anschließt. Es gibt zwar einen sachlichen Bezug zwischen der Aussage, dass jemand seine Hoffnung auf eine inhaltsleere und wirkungslose Botschaft setzt, und der Aussage, dass eine solche Person zu bemitleiden ist142, aber der superlativische Komparativ »am bemitleidenswertesten« ist syllogistisch nicht formalisierbar. Hier ist ohnehin mehr Pathos als Logos am Werk! Fazit: Die einzelnen Implikationen der Argumentation sind nicht fern jeder syllogistischen Logik. Die Gültigkeit der ersten und dritten Implikation ist unter Zuhilfenahme einer impliziten Prämisse problemlos aufweisbar. Bei der vierten und sechsten Implikation muss einer der vorhandenen Terme durch semantische Generalisierung gestrichen werden. Die zweite Implikation bietet ein besonderes Problem der Alltagssprache: die Vermischung von Objektund Metasprache. Schließlich sind die fünfte und siebte Implikation ebenso wenig wie der Übergang von 17a zu 17b syllogistisch formalisierbar. Die aristotelische Syllogistik steht vor dem Problem, dass die sprachliche Vielfalt eine Reduktion auf die drei für den Schluss nötigen Terme nicht immer 141 Katà
toü qeoü impliziert, dass Gott als die Instanz von »Wahrheit« gilt. »Syllogismus«: »(1) Menschen, die ihre Hoffnung auf eine inhaltsleere Botschaft setzen, sind bemitleidenswert. (2) Christen sind solche Menschen. (3) Christen sind bemitleidenswert.« 142 Als
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
121
ermöglicht. Aber selbst wenn sich mit Zusatzprämissen und Stützhypothesen die logische Struktur der Implikationskette einigermaßen durchleuchten lässt, hat die Termlogik für die Analyse des gesamten Argumentationsgangs nichts erbracht. Es ist nicht gezeigt, dass der Satz »Es gibt keine Auferstehung von Toten« falsch ist, sondern nur, dass es unvorteilhaft ist, von einer solchen Aussage auszugehen. Im logischen Sinne des Fachbegriffs liegt hier demnach auch keine reductio ad absurdum vor. e) Aussagenlogische Struktur und Prüfung der Gültigkeit143 Satz
Form
Elementarsatz
(1) (2) (3) (4) (5a/b) (6) (7) (8) (9) (10)
C ¬A ¬C P144 G F S V H M
Christus ist auferweckt worden. Tote werden nicht (von Gott) auferweckt. Christus ist nicht auferweckt worden. Die Predigt (von Paulus & Co.) ist inhaltslos. Der Glaube (der Korinther) ist inhaltslos/wirkungslos. Paulus & Co. erweisen sich als Falschzeugen Gottes. Die Korinther sind noch in ihren Sünden. Die verstorbenen Christen gehen verloren. Wir haben in diesem Leben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt. Wir sind die bemitleidenswertesten von allen Menschen.
Ob die Konditionalsätze logisch als materiale Implikationen werden können (s.o. S. 83)145, ist nun zu prüfen: Satz 1
Form 1
Form 2
Wenn Tote nicht erweckt ¬A → ¬C = ¬(¬A ∧ C) werden, ist Christus nicht erweckt worden. (13.16)
Satz 2 Es kann nicht gleichzeitig gelten, dass Gott Tote nicht erweckt und Christus erweckt (hat).
Wenn Gott Christus nicht ¬C → P erweckt hat, ist die Verkündigung inhaltslos. (14; s.a. 17)
= ¬(¬C ∧ ¬P) Es kann nicht gleichzeitig gelten, dass Gott Christus nicht erweckt hat und die Verkündigung nicht inhaltslos ist
Wer auf Christus gehofft H → M hat, ist äußerst bemitleidenswert.
= ¬(H ∧ ¬M) Es kann nicht gleichzeitig gelten, dass Menschen auf Christus hoffen u. nicht äußerst bemitleidenswert sind.
143 Für
die satzlogische Formalisierung habe ich der besseren Vergleichbarkeit willen die Satzbuchstaben von BUCHER, Logische Argumentation, 467 übernommen. 144 Es ist Ermessenssache, ob ein Satz der natürlichen Sprache wie »Die Predigt ist inhaltslos« als eine positive Aussage aufgefasst wird oder bereits als Negat der Aussage: »Die Predigt ist sinnvoll«. BUCHER, Logische Argumentation, 467 schlägt P als Aussagekonstante für den Satz vor: »Die Predigt ist nicht leer = sie ist sinnvoll, begründet.« Um näher an der Formulierung des Textes zu bleiben, habe ich den Satz als »positive« Aussage gefasst. Das Gleiche gilt für Satz (5) in 14c. 145 p → q im Sinne von ¬(p∧¬q). Also: Wenn p, dann q = Es ist nicht der Fall, dass gleichzeitig p und nicht-q gilt.
122
III. Analyse paulinischer Texte
Diese Umformulierung der Sätze macht deutlich, dass die Verbindungspartikel e˙ in den VV 13f.16f und 19 logisch als Implikation gedeutet werden kann146. In Anlehnung an Bucher möchte ich die folgende Formalisierung vorschlagen147: Vers
Formalisierung
Aussage
13/16
¬A → ¬C
Wenn Tote nicht (von Gott) erweckt werden, dann ist Christus nicht (von Gott) erweckt worden.
14f
¬C → (P ∧ G ∧ F)
Wenn Gott Christus nicht erweckt hat, dann ist die Verkündigung inhaltslos, der Glaube inhaltslos und die Apostel erweisen sich als Falschzeugen Gottes.
17f
¬C → (G ∧ S ∧ V)
Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist der Glaube nichtig und ihr seid in euren Sünden und die in Christus Entschlafenen sind verloren..
19
H→M
Wenn wir nur gehofft haben, dann sind wir bejammenswerter als die andern Menschen.
20a
C
Christus ist von den Toten auferweckt worden.
Die Aussagenlogik erlaubt es, die logische Struktur klarer auf ihre Gültigkeit hin zu untersuchen. In diesem Falle geht es um den Nachweis der logischen Stringenz zwischen der Auferstehung Christi und der Negation, dass Gott Tote auferwecke. Aus der Aussage »Gott hat Jesus von den Toten auferweckt« wird die Aussage »Es gibt keine Auferstehung von Toten« in einer Art als falsch erwiesen, die der alten aussagenlogischen Regel des modus tollens entspricht148. Die beiden Prämissen für den Schluss sind in den Versen 13 und 20a (bzw. schon in 15,4f) zu finden: 1. Wenn Tote (von Gott) nicht auferweckt werden, ¬A → ¬C Prämisse 1 dann ist auch Christus nicht auferweckt worden (13). 2. Nun ist aber Christus auferweckt worden (20). C Prämisse 2 3. Also werden Tote (von Gott) auferweckt. A 1, 2, modus tollens
Dieser Schluss ist »zwingend, ja er kann an logischer Strenge nicht mehr überboten werden«149. Paulus nennt diese Konklusion nicht ausdrücklich, wahrscheinlich weil er ab V. 20 die eschatologische Vorstellung von der 146 BUCHER,
Logische Argumentation, 477: »Die Bedeutung der Implikation kann hier kaum überschätzt werden.« 485f: »Ganz allgemein läßt sich zur Implikation bemerken, dass dieser logische Funktor von den Theologen in seiner Bedeutung unterschätzt wird.« 147 BUCHER, Logische Argumentation, 467. 148 Darin sind sich BUCHER, BACHMANN und ZIMMER einig; ihnen folgen u.a. F EE, 740; und ASHER, Polarity, 60 (der in Anm. 98 die Struktur allerdings falsch angibt: »if A then B; not A; therefore not B« korrekt wäre: »if A then B; not B; therefore not A«). 149 BUCHER, Logische Argumentation, 471. Luther, Korintherbriefe, 213, der davon ausging, dass die Korinther die Auferstehung Jesu und die Auferstehung der Toten leugneten, hält diesen Text deswegen für einen »schwachen Beweis«, weil »das, was bestritten wird, durch das bewiesen wird, was man leugnet. […] Das heißt man einen Beweis erschleichen.«
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
123
Auferstehung Jesu als »Erstling« ins Spiel bringt und dadurch Auferstehung Jesu und Auferstehung von Christen auf eine andere Art und Weise miteinander verbindet150. f) Fazit Es hat sich gezeigt, dass von einem Text unterschiedliche Formalisierungen möglich sind. Im streng logischen Sinne liegt hier jedoch nur eine Schlussform vor: der zweite stoische axiomatische Syllogismus, der sog. modus tollens151. Für 1Kor 15,12–19 lässt sich festhalten, dass Paulus logisch gültig argumentiert152. Die Empfehlung Bachmanns, »bis zum Erweis des Gegenteils das Wahrheitssystem des Paulus als mit der klassischen Logik verträglich aufzufassen und die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Paulus wolle (gelegentlich) streng logisch argumentieren«153, kann aufgrund dieses Textes nur unterstrichen werden154. Was das Verhältnis zur traditionellen Exegese anbelangt, hat Bucher den Vorrang der Logik gegenüber Fragen historischer Exegese verteidigt: Bevor nämlich die Exegese den Text mit Hilfe von »Zusatzhypothesen« zur vorausgesetzten Situation zu verstehen versucht, sollte sie prüfen, »wie weit die Struktur der Argumentation derartige Vermutungen rechtfertigt«155. Damit kommt für Bucher der logischen Analyse einer Argumentation eine vorrangige und von der konkreten Rekonstruktion der impliziten Kommunikationssituation unabhängige Rolle zu. M.E. kann die satzlogische Analyse mehr auf exegetische Detailfragen verzichten, weil die Formalisierung ganzer Sätze großzügig über Inhalte hinwegsehen kann. Aristotelische Syllogistik ist nur auf der Grundlage genauer Exegese durchführbar, weil sowohl die inhaltliche Bestimmung als auch die Reduktion auf die nötigen Terme ohne Exegese nicht begründet werden kann.
150 BUCHER,
Logische Argumentation, 471 führt dies darauf zurück, dass die damaligen, in solchen logischen Verfahren geschulten Leser und Leserinnen, es sofort begriffen hätten. 151 Darin stimmen BUCHER und BACHMANN überein. BUCHER benutzt 1Kor 15,12–20 als Übung in seiner Einführung in die angewandte Logik, 126f.416. 152 BACHMANN , Gedankenführung, 266f meint jedoch, dass die Schlussfolgerung im modus tollens keineswegs den Beweis des Wahrheitswertes »wahr« für die Aussage »Es gibt eine allgemeine Totenauferstehung (A)« erbringe, sondern nur für die folgende Aussage (266f): »Der Satz ›es gibt eine allgemeine Totenauferstehung‹ ist wahr, wenn der Fall eintritt, dass es keine Totenauferstehung gibt und Christus nicht auferstanden ist, Christus aber doch auferstanden ist‹; also (¬A→¬C ∧ C) → A.« Die logische Analyse ist damit durch unnötige Differenzierungen belastet (vgl. BUCHER, Überlegungen, 84–91). 153 BACHMANN , Gedankenführung, 267, Anm. 15. THISELTON, 1217: »These verses underline Paul’s expectation that believing Christians will respect logical coherence and rational thought. He does not hesitate to appeal to it.« 154 Die biographische Frage ist in dieser Arbeit zurückgestellt worden (s.o. S. 23ff). Dennoch darf hier spekuliert werden: Wären die Mehrheit der paulinischen Argumentationen diesem Text ähnlich, gäbe es an der logischen Bildung des Paulus keinen Zweifel. 155 BUCHER, Logische Argumentation, 465.
124
III. Analyse paulinischer Texte
4. Exkurs: Fragen aufgrund der Topik Der folgende Versuch, mit den Mitteln der Topik (s.o. S. 57ff) Aspekte des Textes zu beleuchten, bewegt sich nach heutigem Verständnis kaum noch innerhalb der Grenzen der Logik, sondern eher im Graubereich nichtanalytischer Schlussformen. Eine logische Formalisierung ist meistens nicht möglich. Zur These der Korinther, dass es keine Auferstehung der Toten gibt, steht die These des Apostels in einem kontradiktorischen Gegensatz: Es gibt eine Auferstehung der Toten. Von den vier Prädikatsklassen der aristotelischen Topik betrifft diese Diskussion ein Proprium: Paulus behauptet, dass es verstorbenen Menschen (oder zumindest Christen) »eigen« ist, nach dem Tod von Gott auferweckt zu werden. Es handelt sich also um keine theo-logische Frage, in der etwa die Macht Gottes, solches zu tun, zur Debatte stünde. Paulus hält beide Thesen für unvereinbar. Welche argumentativen »Allgemeinplätze« stehen Paulus zur Verfügung, um diesen Disput in seinem Sinne zu entscheiden? Aus dem reichhaltigen Inventar der aristotelischen Topik kommen die folgenden in Betracht: 1. Spezifizierung von Allgemeinaussagen in ihre Arten (vgl. Top. II 2,109b13–29): Wenn eine Allgemeinaussage aufgestellt wird (z.B. »Es gibt bzw. es gibt nicht eine Auferstehung der Toten«), dann sind die Gegenstände genau zu betrachten, zuerst nach ihren Arten bis hin zu den Einzeldingen156. Ähnlich dem Popper’schen Fallibilismus gilt die Aussage solange als richtig, bis ein Gegenbeispiel gefunden ist157. Anders als die topischen Empfehlungen des Aristoteles differenziert Paulus nicht, welche Arten von Auferstehung oder von toten Menschen es geben könnte, sondern er geht gleich zu einem »empirischen« Gegenbeispiel über: der auferstandene Christus. Die Allgemeinthese der Korinther kann dadurch zu Fall gebracht werden. 2. Nach den Prämissen oder Folgen einer Aussage fragen (Top. II 4,111b17–23)158: a) Im begründenden Sinne soll die Richtigkeit der Prämisse gezeigt werden, aus der dann die Richtigkeit der aufgestellten Behauptung folgt. b) Um aber eine These zu widerlegen, ist auf die Folgen dieser These zu schauen. Aristoteles formuliert deutlich:
156 Der
Satz z.B.: »Das gleiche Wissen bezieht sich auf Gegenteile«, wäre zuerst auf die verschiedenen Arten von Gegenteilen und dann im Hinblick auf konkrete Beispiele (»gerecht-ungerecht« usw.) zu prüfen. 157 Organon (Bd. 1), hrsg. Zekl, XLII fasst zusammen: »Ein o-Fall destruiert eine a-Konstruktion, ein i-Fall eine e-Konstruktion.« 158 Organon (Bd. 1), hrsg. Zekl, 603, Anm. 72: »Der später so genannte Topos ab antecedentibus et a consequentibus. Er hat eher seinen Ort in der Rhetorik.« Ebda., XLIV: »Das enthält alles nicht viel Philosophie, stiftet nur oberflächliche Verbindungen, ermangelt der wirklich kausalen Strenge, nähert sich rhetorischen Argumentationsfiguren.«
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
125
»›Was ist, wenn das Vorliegende ist?‹ wenn wir nämlich zeigen können, daß das dem Vorliegenden Folgende nicht besteht (tò hakólouqon t^¨w prokeimén^w m`j ‘o n), so werden wir auch das Vorliegende aufgehoben haben (han∆rjkóteß hesómeqa tò prokeímenon).« 159
Was Aristoteles hier beschreibt, kommt in der praktischen Ausführung dem modus tollens der stoischen Satzlogik sehr nahe: Wenn aus »a« »b« folgt und »b« falsch ist, dann ist »a« auch falsch. Ausgangspunkt ist die Überzeugung, dass aus einer richtigen Annahme keine falsche Konklusion folgen kann. 3. Es gibt auch topische Verschleierungstaktiken, die ins Spiel gebracht werden können. Im Topos der »falschen Fährte« (Top. II 3,110a23–110b7) geht es um den Fall, dass die Mehrdeutigkeit eines für die These zentralen Begriffes dem Diskussionspartner verborgen ist. Der Disputant kann nun seine These begründen oder die fremde widerlegen, indem er nur für eine der Begriffsbedeutungen stützende oder gegenteilige Argumente sucht160. Grundsätzlich ist es möglich, dass Paulus mit einem Begriff von Auferstehung operiert, der dem der Korinther gar nicht entspricht. In diesem Fall würde er (bewusst oder unbewusst) diese Mehrdeutigkeit in seinem Sinne gebrauchen161. Da wir über die genauen Begründungsformen der korinthischen Position nicht ausreichend informiert sind, ist auch die Möglichkeit zu erwägen, dass Paulus mit seiner Argumentation gar nicht den Kern der Debatte getroffen hat. Verschiedene Szenarien sind denkbar: 1. Die Korinther haben ein anderes, nämlich ein nicht-leibliches Verständnis von Auferstehung. Der Nexus zwischen der Auferstehung Jesu und der der Christen und Christinnen ist also nicht aufgelöst. Jesus ist nicht-leiblich auferweckt worden und ebenso sind die Christen und Christinnen in Korinth bereits pneumatisch auferweckt worden (oder werden es in Zukunft, aber nicht in leiblicher Art und Weise)162. 2. Die Korinther verbinden »Jesus« nicht mit der »Menschheit«; d.h. die Auferstehung Jesu wäre kein schlüssiges Beispiel gegen die allgemeine Behauptung, dass es eine Totenauferstehung nicht gibt. Dann käme nur in
159 Ähnlich
auch Top. II 5: Explikation von Impliziertem. Gelingt es, ein Implikat zu stürzen, fällt auch das Implizierende. 160 Diese stillschweigende Umwandlung eines i-Falles in einen a-Fall ist beinahe sophistisch. Organon (Bd. 1), hrsg. Zekl, XLIII: »Die Anweisung grenzt an Sophistik: Wenn das Ganze nicht geht, so genüge die Hälfte, und die sei dann für das Ganze behauptet! Also Schluß vom i- auf den a-Fall.« 161 BARTH, Auferstehung, 89 bemerkt: »Es ist die Hinterlist dieses Abschnittes, daß Paulus in das von den Korinthern Zugegebene, die Auferstehung Christi, zum vornherein einen Sinn hineinlegt, der ihnen so fremd ist, wie das von ihnen nicht Zugegebene, die allgemeine Totenauferstehung, und sie nun von daher überrumpelt und aufrollt.« 162 Ähnlich erwägt WITHERINGTON, 302, dass die Korinther bereits die Auferstehung Jesu spiritualisiert haben.
126
III. Analyse paulinischer Texte
Frage, dass Jesus als generelle Ausnahme oder als nicht-menschliches Wesen betrachtet wurde163. Die Haltung der Korinther, wie sie sich in 1Kor 15,12ff widerzuspiegeln scheint, macht in der Tat einen logisch so absurden Eindruck, dass an solche Differenzierungen zu denken ist (zumal sie vom Gesamtbefund her glaubwürdig erscheinen!). Hat Paulus diese Differenzierungsmöglichkeiten nicht sehen wollen oder nicht sehen können (aufgrund seiner überlieferten Anthropologie und Eschatologie)? 5. Exkurs: Weitere Beispiele für »modus tollens« in den Paulusbriefen Die folgende Zusammenstellung verfolgt nicht das Ziel einer ausführlichen logischen Analyse. Es soll lediglich anhand einiger Beispiele gezeigt werden, dass sich auch an anderen Stellen paulinische Argumentationen auf das Schema des modus tollens zurückführen lassen: Röm 4,2:
»Denn wenn (e˙) Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist (hex ‘ergwn hedikai´wqj), so hat er etwas zum Rühmen (‘ecei kaúcjma), aber nicht vor Gott (hallh ohu pròß qeón).« Basissätze: (1) Ga Abraham wird aus Werken gerechtfertigt (2a). (2) Ra Abraham hat (vor den Menschen) nicht vor Gott Ruhm (2b). Der »modus tollens«-Schluss wird nicht ausdrücklich formuliert, da Paulus das in 4,3 folgende Zitat aus Gen 15,6 offenbar so versteht, dass es die Wahrheit von Satz 1 ausschließt. Es ist aber gut denkbar, dass der folgende Schluss in 4,2 implizit mitzudenken ist:
Ga → Ra ¬Ra ¬Ga
Wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist (2a), dann hat er Ruhm (vor den Menschen) nicht vor Gott (2b). Nun hat aber Abraham Ruhm vor Gott. Daher gilt nicht, dass Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist.
1Kor 2,8:
»Keiner von den Fürsten dieser Welt hat sie [= die Weisheit Gottes] erkannt (‘egnwken), denn wenn sie sie erkannt hätten (e˙ gàr ‘egnwsan), so würden sie wohl den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt haben (ohuk ’an tòn kúrion t¨jß dóxjß hestaúrwsan).« Basissätze: (1) Wm Die Machthaber erkennen Gottes Weisheit (8b). (2) Km Die Machthaber kreuzigen den Herrn der Herrlichkeit (8c).
Wm→¬Km Km ¬Wm
Wenn die Machthaber Gottes Weisheit erkennen (8b), dann kreuzigen sie den Herrn der Herrlichkeit nicht (8c). Nun haben sie aber den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt (implizit). Also ist es nicht der Fall, dass die Machthaber Gottes Weisheit erkennen (8a).
163 CONZELMANN ,
313, Anm. 18: Die Korinther hätten erwidern können, »Christus sei – als Himmelswesen – eine Ausnahme«.
B. Widerlegung der Auferstehungsleugnung (1Kor 15,12–19)
Gal 2,21:
127
»Ich mache die Gnade Gottes nicht ungültig; denn wenn Gerechtigkeit durch Gesetz kommt (e˙ gàr dià nómou dikaiosúnj), dann ist Christus umsonst gestorben (‘ara Cristòß dwreàn hapéqanen).« Basissätze: (1) G Die Gerechtigkeit kommt durch das Gesetz (21b). (2) C Christus ist umsonst gestorben (21c).
G→C ¬C ¬G
Wenn Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt (21b), dann ist Christus umsonst gestorben (21c). Nun ist Christus nicht umsonst gestorben (vgl. 1,4). Also ist es nicht der Fall, dass die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt.
Gal 3,18:
»Denn wenn das Erbe aus Gesetz (kommt), so (kommt es) nicht mehr aus Verheißung (e˙ gàr hek nómou Hj kljronomía, ohukéti hex hepaggelíaß); dem Abraham aber hat Gott es durch Verheißung geschenkt (dih hepaggelíaß kecáristai).« Basissätze: (1) E Das Erbe (Abrahams) kommt aus dem Gesetz (18a). (2) V Das Erbe (Abrahams) kommt aus der Verheißung (18b).
E → ¬V V ¬E
Wenn das Erbe (Abrahams) aus dem Gesetz kommt (18a), dann kommt es nicht aus der Verheißung (18b). Nun kommt es aber aus der Verheißung (18c). Also ist es nicht der Fall, dass das Erbe (Abrahams) aus dem Gesetz kommt. (Der Schluss wird nicht ausdrücklich gezogen, aber die weitere Diskussion in 3,19–29 baut deutlich darauf auf.)
Gal 3,21:
»Ist denn das Gesetz gegen die Verheißungen (Gottes)? Auf keinen Fall. Denn wenn ein Gesetz gegeben worden wäre (e˙ gàr hedóqj nómoß), das lebendig machen könnte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz (‘o ntwß hek nómou ’an ~j n Hj dikaiosúnj).« Basissätze: (1) L Es wird ein lebendig machendes Gesetz gegeben (21b). (2) G Die Gerechtigkeit kommt aus dem Gesetz (21c).
L→G ¬G ¬L
Wenn ein lebendig machendes Gesetz gegeben wird (21b), dann kommt die Gerechtigkeit aus dem Gesetz (21c). Nun kommt aber die Gerechtigkeit nicht aus dem Gesetz (2,16.21). Also ist es nicht der Fall, dass ein lebendig machendes Gesetz gegeben wird.
128
III. Analyse paulinischer Texte
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)164 Gal 3,6–14 stellt die Auslegung vor besondere Schwierigkeiten165. Die Sachurteile über die argumentative obscuritas dieses Textes fallen entsprechend aus: »a maze of laboured exegesis, puzzling illustration, and cryptic theological shorthand«166, »highly condensed and cryptic«167, »Paul’s way of arguing appears arbitrary in the highest degree«168. Angesichts solcher Zeugnisse, die sich problemlos erweitern ließen169, verspricht die Suche nach
164 N.
BONNEAU, The Logic of Paul’s Argument on the Curse of the Law in Galatians 3:10–14, NT 39 (1997) 60–80; D. BOYARIN, A Radical Jew (Berkeley, 1994) 136–157; M. CRANFORD, The Possibility of Perfect Obedience: Paul and an Implied Premise in Galatians 3:10 and 5:3, NT 36 (1994) 242–258; T.L. DONALDSON, The ›Curse of the Law‹ and the Inclusion of the Gentiles: Galatians 3:13–14, NTS 32 (1986) 94–112; J.D.G. DUNN, Works of the Law and the Curse of the Law (Galatians 3:10–14), NTS 31 (1985) 523–542 = Jesus, Paul and the Law: Studies in Mark and Galatians (London, 1990) 215–241; H.-J. ECKSTEIN, Verheißung und Gesetz: Eine exegetische Untersuchung zu Galater 2,15–4,7 (WUNT 86; Tübingen, 1995) 94–170; D.B. GARLINGTON, Role reversal and Paul’s use of scripture in Galatians 3.10–13, JSNT 65 (1997) 85–121; G.W. HANSEN, Abraham in Galatians: Epistolary and Rhetorical Contexts (JSNT.S 29; Sheffield, 1989) 109–127; R.B. HAYS, The Faith of Jesus Christ: The Narrative Substructure of Galatians 3:1–4:11 (Grand Rapids, MI, 2002) 166–183; I.-G. HONG, Does Paul Misrepresent the Jewish Law? Law and Covenant in Gal. 3:1–14, NT 36 (1994) 164–182; M. KONRADT, ›Die aus Glauben, diese sind Kinder Abrahams‹ (Gal 3,7). Erwägungen zum galatischen Konflikt im Lichte frühjüdischer Abrahamtraditionen, erscheint in: G. Gelardini (Hrsg.), Kontexte der Schrift, Bd. 1: Text – Ethik – Judentum und Christentum – Gesellschaft (FS E.W. Stegemann; Stuttgart, 2005) 27– 50; J. LAMBRECHT, Curse and Blessing: A Study of Galatians 3,10–14 (1991), in: Ders., Pauline Studies. Collected Essays (BEThL 115; Leuven, 1994, 271–298; LAMPE, Reticentia; K.A. MORLAND, The Rhetoric of Curse in Galatians: Paul Confronts Another Gospel (Emory Studies in Early Christianity 5; Atlanta, 1995), bes. 24–28; 181–233; G.M.M. PELSER, The Opposition Faith and Works as Persuasive Device in Galatians (3:6–14), Neotest. 26 (1992) 389–405; W. REINBOLD, Gal 3,6–14 und das Problem der Erfüllbarkeit des Gesetzes bei Paulus, ZNW 91 (2000) 91–106; J.M. SCOTT, ›For as Many as are of Works of the Law are under a Curse‹ (Galatians 3.10), in: C.A. Evans / J.A. Sanders (ed.), Paul and the Scriptures of Israel (JSNT.S 83; Sheffield, 1993) 187–221; H.–J. SCHOEPS, Paulus (Tübingen, 1959) 183–192; C.D. STANLEY, ›Under a Curse‹: A Fresh Reading of Galatians 3.10–14, NTS 36 (1990) 481–511; N.T. W RIGHT, Climax of the Covenant (Minneapolis, 1992) 137–156 (»Curse and Covenant: Galatians 3.10–14«); N.H. YOUNG, Who’s cursed – and why? (Galatians 3:10–14), JBL 117 (1998) 79–92. 165 Vgl. das Zeugnis des unbekannten hellenistischen Philosophen o. S. 2. 166 DONALDSON, Curse, 94. 167 BONNEAU, Logic, 60. 168 BETZ, 137. 169 Weitere Beispiele in LAMPE, Reticentia, 27; Probleme logischer Kohärenz listet LAMBRECHT, Curse, 272–274 auf.
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
129
der Logik der Argumentation von Gal 3,6–14 ein besonders aussichtsloses Unterfangen zu werden170. Mit der Frage nach der Argumentationskohärenz ist das Problem verknüpft, ob das Verhältnis des Paulus zu seinem jüdischen Erbe (insbesondere aufgrund der Aussagen in 3,10–14) nicht bereits einen Punkt erreicht hat, an dem man dem Apostel zwar nicht »Antisemitismus« wird vorwerfen können, aber doch ein grobes Missverständnis jüdischer Torahfrömmigkeit. Aus der Sicht jüdischer Religionsgeschichte bemängelt G.F. Moore zu Gal 3,10–12: »How a Jew of Paul’s antecedents could ignore, and by implication deny, the great prophetic doctrine of repentance […] – that seems from the Jewish point of view inexplicable.« 171 Das Problem der jüdischen Identität des Paulus (und damit auch das der frühen Brüche in der Beziehung des sich bildenden Christentums zum »formativen« Judentum) bildet einen reizvollen hermeneutischen Blickwinkel auf Gal 3,6–14, dem im Folgenden nicht weiter nachgegangen werden kann 172.
1. Exegetische Vorfragen a) Rhetorik und Gliederung Dass der Gal zu einem Sturmzentrum kontroverser rhetorischer Analysen geworden ist, verdankt sich besonders dem Kommentar von Hans Dieter Betz173, der zu einem wahren Rhetorik-»Revival« in der Paulus-Exegese geführt hat174. Zwar hat sein Vorschlag, den Gal der Gattung des »apologetischen Briefes« und damit dem genus iudiciale zuzurechnen, von vielen Seiten Kritik erfahren175, aber sein makrotextueller Gliederungsvorschlag ist vielfach positiv rezipiert worden176. 170 LAMPE,
Reticentia, der wie viele andere festellen muss, dass »die Logik des Textes […] prima facie rätselhaft« erscheint (27), fragt dennoch: »Kann dem Abschnitt eine sinnvolle Logik unterstellt werden?« (28) Ähnlich wagt MORLAND, Curse, 182 »an attempt to uncover its logic«. Der Beitrag von BONNEAU, Logic beschäftigt sich trotz des Titels nicht mit Fragen der Logik im technischen Sinne. 171 Judaism in the First Centuries of the Christian Era (Cambridge, 1958) 3:151. 172 Vgl. dazu den Kommentar von MUSSNER. BOYARIN, Radical Jew, 136–157 behandelt Gal 3 unter dem bezeichnenden Titel »Was Paul an ›Anti-Semite‹?« und stellt den Apostel als radikalen jüdischen Kulturkritiker dar, der mit den Mitteln »häretischer« Midrashim argumentiert. SCHOEPS, Paulus, 183–192 nimmt Gal 3 als Paradebeispiel dafür, dass Paulus die jüdische Gesetzesauffassung grundlegend missverstanden hat; ähnlich E.P. SANDERS, Paul, the Law, and the Jewish People (Philadelphia, 1983) 20–27. 173 Die Hauptthese des Kommentars legte BETZ bereits früher vor: The Literary Composition and Function of Paul’s Letter to the Galatians, NTS 21 (1975) 353–379. Sie wird neuerdings von KREMENDAHL, Botschaft der Form, 120–150 vertreten. 174 Vgl. zur Forschungsgeschichte ANDERSON , Rhetorical Theory, 111–123; R.A. BRYANT, The Risen Crucified Christ in Galatians (SBLDS 185; Atlanta, 2001) 44–52; KREMENDAHL, Botschaft der Form, 6–14. 175 Diejenigen, die gegenüber BETZ das genus deliberativum für den Gal bevorzugen (z.B. V. JEGHER-BUCHER, Der Galaterbrief auf dem Hintergrund antiker Epistolographie und Rhetorik [AThANT 78; Zürich, 1991]; J. SMIT, The Letter of Paul to the Galatians: A
130 Betz177 Präskript (1,1–5) exordium (1,6–11) narratio (1,12–2,14) propositio (2,15–21) probatio (3,1–4,31) exhortatio (5,1–6,10)
Postskript (6,11–18)
III. Analyse paulinischer Texte Smit178 exordium (1,6–12) narratio (1,13–2,21) confirmatio (3,1–4,11) conclusio (4,12–5,12 ) 1. conquestio (4,12–20) 2. enumeratio (4,21–5,6) 3. indignatio (5,7–12) [später Zusatz (5,13–6,12)] amplificatio (6,11–18)
Hall179 exordium (1,1–5) propositio (1,6–9) probatio (1,10–6,10) A. narratio (1,10–2,21) B. »further headings« (3,1–6,10)
Epilogue (6,11–18)
Die Vorschläge machen – unabhängig von der den hermeneutischen Blick zum Teil verengenden Genusfrage – auf das aufmerksam, was sich anhand der Evidenz als klar herausstellt, aber auch auf das, wofür der Text als Grundlage einer klaren rhetorischen dispositio eine zu schwache Basis liefert. Die Tatsache, dass 1,12(13)–2,21 grundlegende Themen des Briefes narrativ ausgestaltet, berechtigt zur Bezeichnung narratio180. Ebenso deutlich ist der Einsatz der probatio (oder confirmatio) in 3,1181. Spätestens ab Kap. 5 versagen aber m.E. die Kategorien der antiken Rhetorik. Deliberative Speech, NTS 35 [1989] 1–26), arbeiten zwar die Schwachpunkte der Betz’schen These heraus, werden aber häufig durch eine andere, aber ebenso eindeutige Zuweisung des gesamten Briefs zu einem der drei rhetorischen Genera der Vielfalt intentionaler Redehandlungen im Gal m.E. kaum gerecht (vgl. generell zur methodischen Kritik an dieser Vorgehensweise o. S. 96f). ANDERSON, Rhetorical Theory, 106–108 zweifelt grundsätzlich an der Existenz einer Gattung des »apologetischen Briefes«. Interessant ist, dass sich Melanchthon im Hinblick auf den Gal veranlasst sah, den gängigen Dreierkanon der rhetorischen Genera um ein Glied zu erweitern, dem genus didacticum (vgl. CLASSEN, Rhetorical Criticism, 11). 176 Z.B. (mit teils geringen Änderungen) B.H. BRINSMEAD , Galatians – Dialogical Response to Opponents (SBLDS 65; Chico, CA, 1982) 57–90; J.D. HESTER, The Rhetorical Structure of Galatians 1:11–2:14, JBL 103 (1984) 223–233; KREMENDAHL, Botschaft der Form, 157–161; J. SCHOON-JANSSEN, Umstrittene Apologien in den Paulusbriefen (GTA 45; Göttingen, 1991) 71; F. VOUGA, La construction d’histoire en Galates 3–4, ZNW 75 (1984) 259–269; Zur rhetorischen Gattung des Galaterbriefes, ZNW 79 (1988) 291f (bestätigt den Aufbauvorschlag von Betz durch Vergleich mit einer Rede von Demosthenes). LONGENECKER übernimmt in seinem Kommentar trotz Kritik an BETZ (vgl. S. cix–cxiii) im Wesentlichen dessen Aufbau. KLAUCK, Briefliteratur, 178 bezeichnet den Betz’schen Gliederungsvorschlag als »ausgesprochen erhellend«. 177 BETZ, 14–25. 178 SMIT, Deliberative, 9–22. 179 R.G. HALL, The Rhetorical Outline for Galatians, JBL 106 (1987) 277–287. 180 S.a. BONNEAU, Logic, 64. 181 Das bedeutet nicht, dass Kap 1–2 nicht bereits argumentative Züge tragen. M.E. dienen diese Kapitel dazu, das »Ethos« des Redners sprachlich zu vermitteln. Johannes Chrysostomus deutet das Verhältnis von Kap 1–2 zu Kap 3–4 in seiner meisterhaft knappen Auslegung (In Ep. Gal. Com.) ähnlich: »Des Weiteren, nachdem er [= Paulus] sich selbst als
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
131
Der Abschnitt 3,6–14 ist von den rhetorischen Fragen in 3,1–5 klar abgehoben. Mit der direkten Anrede und der metaskommunikativen Wendung »ich rede nach menschlicher Weise« ist 3,15 deutlich als neuer Einsatz im Rahmen der Abraham-Thematik markiert182. Eine genauere Untergliederung für 3,6–14 ergibt sich aus den unterschiedlichen Argumentationsabsichten183: Nach der positiven Argumentation anhand des »Beispiels« Abrahams (6–9), folgt als dessen Negativum der »Fluch« des Gesetzes (10–12) und schließlich die »Lösung« des Kerygmas, der Freikauf durch Christus (13f). b) Literarischer Kontext Die enge Verbindung von 3,1–5 und 3,6–14 lässt sich rein formal an der Verteilung des Leitbegriffes pístiß (3,2.5.8f.11f.14) und an der inclusio zwischen 3,2 und 3,14 (Stichwörter: pneüma, lambánw, pístiß) ablesen184. Ein thematisch wichtiger Zusammenhang besteht zur Hauptthese des Briefes, die in einer recht umständlichen Formulierung in 2,16 gleich dreimal wiederholt wird185. Es ist v.a. diese Aussage, die in 3,6ff argumentativ untermauert werden soll186. Der Übergang zur probatio des Briefes setzt in 3,1 mit der wenig schmeichelnden Anrede der Adressaten als »unvernünftige Galater« (~w hanójtoi Galátai) recht grob ein187. Die rhetorischen Fragen, die sich daran anschlievertrauenswürdigen Lehrer hingestellt hat, führt er hier seine Rede mit umso größerer Kontrolle (Macht) fort, indem er einen (rhetorischen) Vergleich macht zwischen Glaube und Gesetz.« (hentaüqa dè loipòn haxiópiston katast´jsaß Heautòn didáskalon metà pleíonoß t¨jß ahuqentíaß dialégetai, pístewß kaì nómou súgkrisin poioúmenoß. 3,1 = PG 61, 647 [zu 3,1]; eig. Übersetzung) Johannes versteht Gal 1–2 als Apologie gegen Vorwürfe (ebda: t¨wn kaqh Heautòn hapelog´jsato). Mit 3,1 gehe Paulus deutlich zu einem »anderen Hauptpunkt« über (hefh “eteron kefálaion). 182 Vgl. LONGENECKER, 126. 183 Die ausführlichste und m.E gelungenste Gliederungsbegründung bietet EBELING, 229– 232; ähnlich LUZ, Geschichtsverständnis, 149, der zudem einen Bezug zum weiteren Argumentationsverlauf herstellt: 3,15ff (Abraham); 3,19ff (Gesetz); 3,25ff (Christus). 184 Mit LONGENECKER, 109 u.a. Für S CHLIER, 126 und MUSSNER, 211 ist 3,6–14 nur locker mit 3,1–5 verbunden. 185 »Da wir wissen, dass durch Werke des Gesetzes (h ex ‘ ergwn nómou) kein Mensch gerecht gesprochen wird (ohu dikaioütai), sondern nur durch den Glauben an Jesus Christus (dià pístewß h Ijsoü Cristoü), haben auch wir an Christus Jesus geglaubt (e˙ß Cristòn h Ijsoün hepisteúsamen), damit wir aus Glauben an Christus (hek pístewß Cristoü) gerecht gesprochen werden (dikaiwq¨wmen) und nicht aus Werken des Gesetzes (hex ‘ergwn nómou), denn aus Werken des Gesetzes (hex ‘ergwn nómou) wird kein Mensch gerecht gesprochen (dikaiwq´jsetai).« 186 BETZ, 142; STANLEY, Curse, 497. 187 Seit 1,11 hat Paulus die Adressaten nicht direkt angeredet. Die namentliche Anrede ist – wie MUSSNER, 206 hervorhebt – bei Paulus selten (2Kor 6,11; Phil 4,15). Durch ~w + Vokativ wird der Neueinsatz in 3,1 deutlich verstärkt.
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III. Analyse paulinischer Texte
ßen (3,1–5), dienen auf pragmatischer Ebene der Erzeugung von Schamgefühlen durch Tadel. Dass Paulus hier vorwiegend mit »Pathos« zu überzeugen sucht, liegt auf der Hand188. Dennoch lassen sich in diesem Übergangsabschnitt auch Konturen von Rationalität erkennen: Die tadelnde Beschimpfung als hanójtoi (1a) hat diesbezüglich Signalcharakter und wird durch Wiederholung verstärkt (3a)189. Am Anfang einer aus der Sicht des Paulus verheerenden Reihe von Selbstwidersprüchen und Inkonsequenzen steht das Aussetzen der Vernunft190. Denn aus der klaren Nachzeichnung des Kreuzesgeschehens und seiner Bedeutung (1c), aus dem hörenden Glaubensgehorsam (2b: hako¨jß pístewß) und aus der Erfahrung eines vom kraftvollen Wirken des göttlichen Geistes bewegten Lebens (3b.5) hätte etwas anderes »folgen« sollen als das Zurückfallen in die Gesetzeswerke und das »Fleisch« (2b.3b). Für diese Fehlentwicklung – die sogar Anlass zur Befürchtung gibt, alles sei umsonst gewesen (4) – findet Paulus in der leicht übertriebenen Tonart der ersten rhetorischen Frage nur eine Erklärung: Die Galater sind einer nicht näher spezifizierten Form von irrational-magischer Einwirkung (1b: baskaínw) zum Opfer gefallen. Die zweimalige Anklage der Unvernunft ist nicht nur literarischer Rückgriff auf gängige Beschimpfungsmuster, sondern auch Ausdruck des Unverständnisses gegenüber einer Entwicklung, die Paulus rational kaum nachvollziehen kann191. Die rhetorischen Fragen machen allesamt auf die Inkonse188 MUSSNER,
206 vermutet an dieser Stelle »etwas Erregendes an sich« und wird »einer gewißen zornigen Bitterkeit und Ironie« gewahr. Die Rhetorik des Pathos impliziert jedoch nicht entsprechende Gefühlsregungen seitens des Sprechers. 189 Aus dem für uns erstaunlichen Umstand, dass Beschimpfungen in der Antike in den unterschiedlichsten Gattungen belegt sind (von der Komödie über Graffiti bis zu Gerichtsreden), lässt sich ablesen, in welch hohem Maße »verbale Aggression offenbar […] geduldet wurde« (B.-J. SCHRÖDER, Art. Schimpfwörter, DNP 11 [2001] 175). Die interessante Studie von I. OPELT, Die lateinischen Schimpfwörter und verwandte sprachliche Erscheinungen (Heidelberg, 1965) untersucht eingehend den Gebrauch von Schimpfwörtern in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen, von denen im Hinblick auf das besondere Verhältnis des Paulus zu seinen Gemeinden die Beziehungen Vater-Sohn (S. 54–58) und Lehrer-Schüler (S. 115–124) von besonderem Interesse sind. In der erzieherischen Scheltrede dienen Beschimpfungen dem Ziel, den Sohn zur Vernunft zu bringen (S. 54). Wenn der Lehrer sich genötigt sieht, zur Scheltrede zu greifen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass seine bisherigen Bemühungen gescheitert sind. »[D]er pädagogische Tadel ist daher entweder Vorwurf der Dummheit oder moralische Disqualifizierung.« (S. 115) 190 Eine genaue semantische Abgrenzung von hanójtoß ist kaum möglich. MUSSNER, 206 denkt an »mangelnde Einsicht […] in das Wesen des Evangeliums«. Textpragmatisch hat der Vorwurf der »Dummheit« eine »ermahnende« Funktion. OPELT, Schimpfwörter, 262 stellt generell für die lateinische Literatur fest, dass ein solcher Vorwurf »stets ›nouthetisch‹« ausgerichtet ist (vgl. etwa zum beliebten Schimpfwort stultus [»dumm«] die Beleghinweise im Register S. 281). 191 OPELT, Schimpfwörter, 261 zieht das Fazit, dass Schimpfwörter nicht ausschließlich als Leistung des Affektes anzusehen sind. Aus »dem Verhältnis der Wortwahl zur Situation«
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
133
quenz zwischen anfänglichen Überzeugungen und Erfahrungen und dem jetzigen Zustand aufmerksam. Trotz des erkennbaren Pathos setzt die Betonung der Unvernunft einen wichtigen Doppelpunkt vor die folgenden Argumentationsgänge: Paulus möchte von einer gemeinsam akzeptierten Basis aus die Galater von der Falschheit ihrer Position argumentativ überzeugen192. Die vermutete »Verhexung« soll nicht durch einen noch stärkeren rhetorischen Zauber außer Kraft gesetzt, sondern mit den Mitteln der Argumentation, insbesondere der Schriftargumentation, bekämpft werden. c) Der Streitpunkt: Das Erbe Abrahams Von den in der Einleitungswissenschaft zu Genüge diskutierten Positionen zum polemischen Hintergrund des Gal sind die folgenden für das Verständnis von 3,6–14 besonders relevant193: Paulus sah sich judenchristlichen Missionaren gegenübergestellt, die in bewusster Konkurrenz zu seiner gesetzesfreien »Heiden«mission 194 eine »Alternative« verkündigten und damit in den von Paulus gegründeten galatischen Gemeinden erfolgreiche Überzeugungsarbeit leisteten (1,6–9). Dabei spielte die Frage der Torahobservanz durch Christen und Christinnen nichtjüdischer Provenienz eine besondere Rolle, was sich v.a. daran ablesen lässt, dass die Beschneidung als verpflichtend galt, ebenso wie die Einhaltung eines bestimmten Festtagskalenders (4,10; 6,12f). Eines der wichtigsten »Überzeugungsmittel« der Konkurrenten war die Schrift. Dabei machten sie in besonderem Maße Gebrauch von der Abraham-Figur195. Es ist vorstellbar, dass die Figur Abrahams als Vorbild benutzt wurde, um die galatischen Christen zur Beschneidung zu bewegen. Vielleicht lehrten sie, dass Christen erst durch die Beschneidung auch in vollem Umfang als »Kinder Abrahams« am Heilsbund teilnehmen 196. ist vielmehr »die Vorherrschaft des Verstandes auch im Bereiche der affektivischen Sprache« ablesbar. Die Beschimpfung gerät umso stärker in den Bereich des Affekts je hyperbolischer sie durch Adjektive, Genitive u.ä. verstärkt wird. Der relativ moderate Einsatz von Tadel in Gal 3,1–5 deutet also weniger auf Affekt als auf einen rationalen Einsatz damals gewöhnlicher pädagogischer Sprachmittel hin. 192 Ähnlich VOUGA , 66 (zu 3,1). 193 Vgl. neben den Einleitungen und Kommentaren die methodischen Überlegungen in J.M.G. BARCLAY, Mirror-reading a Polemic Letter: Galatians as a Test Case, JSNT 31 (1987) 84–86 (zur Methode) und zu Gal 1–2 LYONS, Autobiography. 194 Zur Übersetzungsschwierigkeit von ‘eqnoß s.u. Anm. 354. 195 Dies ist für BARCLAY, Mirror-reading, 88 »highly probable«; s.a. LONGENECKER, 114; BURTON, 153f; ausführlich HANSEN, Abraham, 167–174; KONRADT, Kinder Abrahams. Das Frühchristentum hat die mit dem Namen Abrahams verknüpfte Frage, wer als Jude gelten kann und wer nicht, auf neue Weise problematisiert (vgl. Mt 3,9; Lk 3,8; 16,24; Joh 8,33f; Röm 2,28f; 9,6). 196 Der Abrahamsbund wurde im antiken Judentum nicht einheitlich als Beschneidungsbund gedeutet. Bei Philo fehlt ein solcher Zusammenhang, in Sir 44,19–21; CD 16,4–6 und im Jubiläenbuch wird er ausdrücklich hergestellt. Vgl. dazu KONRADT, Kinder Abrahams; und allgemein zur Abraham-Figur K. BERGER, Art. Abraham II. Im Frühjudentum und Neuen Testament, TRE 1 (1977) 372–382; HANSEN, Abraham, 175–199; F.E. WIESER, Die Abrahamvorstellungen im Neuen Testament (EHS 23/317; Bern, 1987) 153–179.
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III. Analyse paulinischer Texte
Eine polemische Auseinandersetzung um das »Erbe Abrahams« besonders im Hinblick auf die Stellung der Nichtjuden zum abrahamitischen Heilsbund ist als Hintergrund von Gal 3,6–14 förmlich mit Händen zu greifen. Abraham galt als »greatest example of the Jewish ›faith‹«197, als »personalisierte Erwählungsgeschichte Israels«198. Er bildete daher einen steten Referenzpunkt für Identitätszuweisungen. Vieles spricht dafür, die Frage nach Abrahams »wahren Erben« als einen, vielleicht sogar den Hauptpunkt (rhetor. »Stasis«) der argumentativen Auseinandersetzung in Gal zu verstehen199. 2. Exegetische Anmerkungen a) Positive Argumentation: Abraham-Exemplum (3,6–9)200 6
kaq`wß h Abraàm hepísteusen t¨^w qe¨^w, kaì helogísqj ahut¨^w e˙ß dikaiosúnjn.
(Es ist) wie (im Falle) Abrahams: er vertraute (glaubte an) Gott, und es wurde ihm als Gerechtigkeit (Bundestreue) angerechnet. [Gen 15,6]
Der Anschluss mit kaq´wß wird satzsyntaktisch unterschiedlich bewertet: Im Sinne von o“utwß als »verlegene[s] Flickwort« 201, als implizite Antwort auf die rhetorische Frage in V. 5202, als Abkürzung für die Wendung kaq´wß gégraptai203 oder als Einleitung zum exemplum Abrahams204. Während der erste Vorschlag eher eine Verlegenheitslösung darstellt und der zweite 3,6ff zu stark von der letzten rhetorischen Frage abhängig macht205, kann sich der dritte auf den häufigen Gebrauch dieser Formel206 und auf eine
197 BETZ, 141.
198 BECKER, 49. 199 HANSEN, 2
200 3,6–9
Abraham, 170–174; HONG, Misrepresent, 165; KONRADT, Kinder Abrahams. fehlt in Markions Apostolikon (vgl. A. von HARNACK, Marcion [Leipzig,
1924] *72). 201 LIETZMANN, 18 übersetzt entsprechend: »So hat Abraham ›Gott geglaubt…‹«; ähnlich SCHLIER, 126f. Aus rein grammatikalischer Perspektive hält C.K. BARRETT, The Allegory of Abraham, Sarah, und Hagar in the Argument of Galatians, in: J. Friedrich (Hrsg.), Rechtfertigung (FS E. Käsemann; Tübingen / Göttingen, 1976) 6 diese Option als die Beste. 202 BRUCE, 152; BURTON , 153; MARTYN, 296f; ähnlich HAYS, Faith, 169f; WILLIAMS, 85. LIGHTFOOT, 136 übersetzt als Antwort auf V. 5: »Surely of faith and so it was with Abraham«. 203 BETZ, 140; BONNARD , 65; DUNN, 160. Das eigentliche Zitat würde also mit »Abraham« beginnen. 204 LONGENECKER, 112; MORLAND, Curse, 195f; PELSER, Opposition, 396; VOUGA, 71; ähnlich D.-A. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums (BHTh 69; Tübingen, 1986) 106. BAUER, Logica, 382 spricht von »exemplo Abrahami«. 205 ECKSTEIN, Verheißung, 94. 206 Vgl. W. RADL, Art. kaq´ wß, EWNT 2,556f; ausführlich zu Einleitungsformeln: J.A. FITZMYER, The Use of Explicit Old Testament Quotations in Qumran Literature and in the New Testament, in: Ders., Essays on the Semitic Background of the New Testament (London, 1971) 7–16; B.M. METZGER, The Formulas introducing Quotations of Scripture in the New
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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(schwach bezeugte) textkritische Variante207 berufen. Problematisch jedoch ist die Stellung am Anfang der Argumentation, denn die komplette Einführungsformel kaq´wß gégraptai steht ansonsten immer nach der zu begründenden Aussage208. Einfaches kaq´wß ist als Einführungspartikel für exempla belegt209. Versteht man 3,6 in diesem Sinne, dann ist allerdings eine Unterbrechung des Satzgefüges in Kauf zu nehmen 210. Die rhetorische Bestimmung der Figur Abrahams als exemplum ist für die Argumentation des Textes von Belang 211.
Mit Gen 15,6 greift Paulus einen zentralen Abrahamstext heraus212. Durch die Rekontextualisierung in den Argumentationsgang von Gal 3 erhält der alttestamentliche Intertext eine neue Bedeutung. Der Apostel deutet den Text – gegen jüdische und judenchristliche Positionen seiner Zeit213 – im Sinne des semantischen Netzes seiner theologischen Schwerpunkte214. Es geht dabei nicht um die »Treue« Abrahams, die sich durch seine Standfestigkeit in den Versuchungen bewährt, sondern um sein »Vertrauen« auf Gottes Verheißung215. Ähnlich ändert sich der Referenzbereich der Wendung »zur Gerechtigkeit anrechnen«216 im Sinne der paulinischen Vorstellung der RechtfertiTestament and the Midrash, in: Ders., Historical and Literary Studies (NTTS 8; Leiden, 1968) 52–63. 207 G Vgclem Ambrosiaster ergänzen in diesem Sinne. 208 Vgl. kaq` wß gégraptai oder johanneisch kaq`wß hestin gegramménon in Mt 26,24; Mk 1,2; 9,13; 14,21; Lk 2,23; Joh 6,31; 12,14; Apg 7,42; 15,15; Röm 1,17; 2,24; 3,4.10; 4,17; 8,36; 9,13.33; 10,15; 11,8.26; 15,3.9.21; 1Kor 1,31; 2,9; 2Kor 8,15; 9,9. Ähnlich verhält es sich mit Wendungen, die kaq´wß mit Verben des Sprechens verbinden und ein Zitat einleiten: Joh 1,23; Apg 7,48; Röm 9,29; 2Kor 6,16; Hebr 3,7; 4,3.7; 5,6. 209 Kaq´ wß als Hinweis auf eine Analogie zu einer Gestalt oder einem Ereignis aus der Schrift: Lk 11,30 (Jona); 17,26.28 (Tage Noahs – Tage Lots); Joh 3,14 (Erhöhung der Schlange durch Mose); 1Joh 3,12 (Kain als Negativbeispiel: ohu kaq`wß Káin). 210 KOCH, Schrift, 13f, Anm. 12: »[D]as Zitat hat ein derartiges Eigengewicht, daß der übergeordnete syntaktische Zusammenhang zerbricht.« Er vermutet ferner, dass anstelle der Fortsetzung des Vergleichs (etwa kaq`wß h Abraàm ... o“u twß oÓ hek pístewß ktl.), »die schlußfolgernde Zitatinterpretation von V 7« erscheint (S. 106). Die Änderung in der Wortstellung gegenüber der LXX dient zudem der Absicht, »Abraham« möglichst an den Satzbeginn zu stellen. 211 Vgl. zur Funktion des »Beispiels« in der rhetorischen Logik des Aristoteles o. S. 70f. 212 Zur atl.-jüd. Auslegungsgeschichte vgl. J.R. WISDOM, Blessing for the Nations and the Curse of the Law (WUNT 2:133; Tübingen, 2001) 23–42.65–86. MARTYN, 297 vermutet m.E. zu Recht, dass dieser Text nicht auf das Konto der »Gegner« geht (gegen BARRETT, Allegory, 6). 213 Die traditionelle Verbindung zwischen dem »Glauben« und den »Werken« Abrahams bringt Jak 2,20–26 unmissverständlich klar zum Ausdruck. Vgl. dazu F. AVEMARIE, Die Werke des Gesetzes im Spiegel des Jakobusbriefs: A very old perspective on Paul, ZThK 98 (2001) 282–309. 214 Ähnlich BETZ, 141. 215 Theologisch wird dieser Gedanke in Röm 4, bes. 4,13–25, ausgeführt. 216 Die syntaktische Einheit erscheint noch in Röm 4,3f.9.22f; vgl. logízomai in Röm 2,3.26; 3,28; 4,4–6.8.10f.24; 6,11 usw.; Jak 2,23.
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III. Analyse paulinischer Texte
gung aus Glauben217. Argumentatorisch liegt hier eine (beabsichtigte oder unbeabsichtigte?) Äquivokation vor218. Dass also Paulus in seiner Abrahamsdeutung den Glauben von seiner Treue in der Prüfung trennt und das gesamte Gewicht auf ersteren Aspekt legt, ist im Rahmen jüdischer Abrahamsvorstellungen einzigartig219. Für Paulus beginnt die Torahtreue erst mit Moses und nicht schon – wie in der jüdischen Tradition häufig angenommen – bereits mit Abraham. 7
Gin´wskete ‘ara “oti oÓ hek pístewß, oˆutoi uÓoí e˙sin h Abraám.
Wisset nämlich, dass die »Glaubensmenschen« diese Kinder Abrahams sind.
Die Entscheidung, ob gin´wskete indikativisch oder imperativisch zu lesen ist, bleibt nicht ohne Folgen für das Verstehen des Argumentationsverlaufs des Textes. Denn daran entscheidet sich, ob Paulus etwas Bekanntes in Erinnerung ruft oder auf etwas Neues schließt220. Obwohl Longenecker für die indikative Deutung geltend macht, dass es sich um eine typische »disclosure formula« des hellenistischen Briefes handelt221, fügt sich die imperative Deutung organischer in die Argumentation222. Die Partikel ‘ara legt ein Verständnis von V. 7 als Schlussfolgerung aus V. 6 nahe (vgl. jedoch zur logischen Analyse u. S. 153f)223. 217 Die
semantischen Schwierigkeiten können hier nicht ausgiebig diskutiert werden. Auf der synchronen Ebene ist jedoch deutlich, dass die LXX-Wendung logízomaí tini e˙ß dikaiosúnjn im paulinischen Sprachgebrauch semantisch austauschbar ist mit Ho qeòß dikaioï tiná. Vgl. dazu K. K ERTELGE, »Rechtfertigung« bei Paulus (NTA N.F. 3; Münster, 2 1971) 185–195; M.A. SEIFRID, Justification by Faith: The Origin and Development of a Central Pauline Theme (NT.S 68; Leiden, 1992); H.W. W EIDLAND, Art. logízomai ktl., ThWNT 4 (1942) 287–295, bes. 292–295. 218 Über die Erfolgsaussichten solchen Argumentierens urteilt BETZ, 141: »Therefore his contention that Gen 15:6 proves his understanding of ›justification by faith‹ as opposed to ›by works of the Torah‹ can convince only those who share his theological and methodological presuppositions.« 219 So auch REINBOLD, Erfüllbarkeit, 94f u.a. 220 Die beiden anderen Belege für gin´wskete in den Paulusbriefen (2Kor 8,9; Phil 2,22) sind leider wenig aussagekräftig. 221 LONGENECKER, 114 ohne Angabe von Quellen (ebenso MARTYN , 299; PELSER, Opposition, 396). Indikativisch deuten v.a. die älteren Kommentatoren (z.B. LIGHTFOOT, 136; weitere Belege in SIEFFERT, 173); neuerdings auch ECKSTEIN, Verheißung, 103 und STANLEY, Curse, 494, Anm. 44. 222 Dies ist die häufigste Deutung. Eine ähnliche Abfolge von kaq´wß, Schrifthinweis und schlussfolgerndem ‘ara findet sich in Röm 9,13–16 und 10,15–17. Für Parallelen aus der didaktischen Literatur vgl. BETZ, 141. 223 LONGENECKER, 114: »The particle ‘ara (›then‹) marks this statement of v 7 as the logical consequence of the quotation of v 6.« Unklar erscheint mir die Bestimmung von BETZ, 141: »What the Galatians are asked to recognize is not obvious, but is the result of the following argument here anticipated.«
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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Das exemplum Abrahams bezeugt für Paulus einen paradigmatischen Sachbezug zwischen Glaube und Heil. Daher kann all jenen, deren Existenz vom Glauben geprägt ist (oÓ hek pístewß)224, die Eigenschaft, Kinder Abrahams zu sein (uÓoí h Abraám), zuerkannt werden. Der Abrahamskindschaft wird dadurch jede genealogische Implikation genommen, so dass der Begriff »Sohn« metaphorisch im Sinne der »Zugehörigkeit, die das Wesen des Menschen bestimmt«225, zu verstehen ist. Die entscheidende Kategorie für Paulus ist der Glaube – und es ist anzunehmen, dass Paulus bereits hier an den Glauben an Jesus Christus denkt226. Mit dem Stichwort »Abraham« berührt Paulus den Streitpunkt zwischen ihm und seinen judaistischen Gegnern. Verhandelt wird das legitime Erbe des Heilsbundes und die Frage nach der Stellung der Nichtjuden zu diesem Bund. Auch wenn man nicht ohne weitere Qualifizierung hier von einer intendierten antijüdischen Spitze reden kann227, impliziert diese Redeweise eine religionssoziologische Abgrenzung. Paulus deutet identitätsstiftende Bezeichnungen neu und reklamiert sie für die »Heiden«christen228. Als »Kinder Abrahams« sind die Christen und Christinnen auch »Kinder Gottes« (3,26; 4,6f)229. 224 MARTYN ,
299: »[T]hose who derive their identity from observance of the Law.« Der substantivierte Ausdruck begegnet nur in Gal 3,7.9 und Röm 3,26b (vgl. aber Röm 4,16: t^¨w hek pístewß h Abraám) und geht wohl auf Paulus zurück. In Gal 3,10 steht es antithetisch zu “osoi hex ‘ergwn nómou e˙sín. Ähnliche Substantivierungen mit hek/hex sind für Paulus nicht selten: Röm 2,8 (oÓ hex heriqeíaß); 4,14 (oÓ hek nómou); 9,6 (oÓ hex h Isra´jl); 16,10 (toùß hek t¨wn h Aristoboúlou); 16,11 (toùß hek t¨wn Narkíssou); 1Kor 13,10 (tò hek mérouß); Gal 2,12 (toùß hek peritom¨jß [vgl. Apg 10,45; 11,2; Tit 1,10]); 4,23 (Ho hek t¨jß paidískj); Phil 1,16f (oÓ hex hagápjß ... oÓ hex heriqeíaß); 4,22 (oÓ hek t¨jß Kaísaroß o˙kíaß); Kol 4,12 (Ho hex Hum¨wn). ECKSTEIN, Verheißung, 104: »Bei den abstrakten Begriffen wird somit im Genitiv die Sache angegeben, die für die betreffenden Menschen charakteristisch und normativ ist.« (Hervorhebungen vom Autor) 225 Vgl. zum Ausdruck »Sohn« für Zugehörigkeit G. FOHRER / E. LOHSE / E. SCHWEIZER, Art. Hu ióß ktl., ThWNT 8 (1969) 346f (AT), 359f (Judentum), 366f (NT). Zitat oben von LOHSE, 359/11f. 226 Sachlich wird der Gedanke in Gal 4,22–31 entfaltet. Vgl. weiterhin Gal 3,16.19.29 (Samen Abrahams); Röm 4,13.16.18; 9,7f.29; 11,1; 2Kor 11,22 usw. Der Ausdruck »Abraham unser Vater« erscheint in Röm 4,1.12. Der ungewöhnliche Vorschlag von HAYS, Faith, 170–173, pístiß hier auf den »Glauben Jesu« zu beziehen, gründet auf einer sehr weitreichenden exegetischen Gesamtentscheidung, die hier nicht gebührend bewertet werden kann. 227 Vgl. etwa BETZ, 142: »To be sure, this identification is intentionally anti-Jewish.« 228 Die Bedeutung der Nachkommenschaft Abrahams für jüdisches Selbstverständnis spiegelt sich wider in einem Text wie 4Makk 9,21: »Selbst als sein Knochenskelett sich schon im Zustand des Zerfallens befand, seufzte er nicht, der hochgemute Jüngling, ein wahrer Nachkomme Abrahams (Ho megalófrwn kaì Abramiaïoß neaníaß ohuk hesténaxen).« (Klauck, JSHRZ) 229 BRUCE, 155 verweist darauf, dass der Gebrauch der maskulinen Form uÓoí (statt tékna wie in 4,28 und Röm 9,7) nicht im Zusammenhang mit der Beschneidungsthematik
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III. Analyse paulinischer Texte
8
providoüsa dè Hj graf´j “oti hek pístewß dikaioï tà ‘eqnj Ho qeòß proeujggelísato t¨^w h Abraàm “oti h Eneulogjq´jsontai hen soì pánta tà ‘eqnj.
Weil ja die Schrift vorausgesehen hat, dass Gott aufgrund von Glauben die Nichtjuden gerecht spricht, verkündete sie Abraham im Voraus die gute Botschaft: In dir werden alle Völker/Heiden gesegnet werden. [Gen 12,3; 18,18]
9
“wste oÓ hek pístewß ehulogoüntai sùn t¨^w pist¨^w h Abraám.
So dass die »Glaubensmenschen« gesegnet werden mit dem glaubenden Abraham.
Es ist anzunehmen, dass die Beschneidung für die judaistischen Gegner des Paulus einen entscheidenden Stellenwert in der Frage nach der legitimen »Abrahamskindschaft« einnahm. Es sind daher zwei argumentative Operationen nötig: Zum einen muss über das exemplum Abrahams der Sachbezug zwischen Glaube und Heil hergestellt werden. Zum anderen muss der Einschluss der Nichtjuden in diesen abrahamitischen Glaubensbund gesichert werden. V. 8 (locker angeschlossen mit dé) lokalisiert nun als weitere Folge von V. 6 mit einem Schriftzitat die Erlösung aus Glauben für die Nichtjuden in der Abrahams-Segensverheißung. Das Schriftzitat als solches hat einige Eigenheiten aufzuweisen: Der Singular Hj graf´j scheint auf eine konkrete Stelle zu referieren230. Jedoch kommen aus der LXX unterschiedliche Stellen in Betracht231. Die Schrift bekommt weiterhin einen beinahe »theomorphen« Charakter 232: Sie hat die Rechtfertigung der Nichtjuden aus Glauben vorausgesehen (providoüsa) und entsprechend hat es Gott Abraham vorhergesagt. Interessant ist ferner der Gebrauch der »Präsens«-Form (dikaioï): Von der zeitlichen Bedeutung her wäre eher ein Futur zu erwarten. Aber die Betonung liegt auf dem durativen Aspekt233: Die Schrift sah voraus, »dass Gott dauerhaft Nichtjuden aufgrund des Glaubens rechtfertigt …« Schließlich fällt das wenig belegte Verb proeuaggelízomai auf 234, das hier aber auf die jetzige
gedeutet werden soll. Vielmehr ist aus 3,26 zu schließen, dass mit der maskulinen Form auch die »Töchter« gemeint sind. 230 Vgl. Röm 9,17; 10,11; 11,2; Lk 4,21; Joh 19,36f; Apg 8,35. 231 Gen 12,3 (kaì heneulogjq´jsontai hen soì päsai aÓ fulaì t¨jß g¨j ß); 18,18 (kaì heneulogjq´jsontai hen ahut¨^w pánta tà ‘eqnj t¨jß g¨j ß); 22,18 (kaì heneulogjq´jsontai hen t¨^w spérmatí sou pánta tà ‘eqnj t¨jß g¨jß); 26,4 (kaì heneulogjq´j sontai hen t¨^w spérmatí sou pánta tà ‘eqnj t¨j ß g¨jß); 28,14 (kaì heneulogjq´jsontai hen soì päsai aÓ fulaì t¨jß g¨jß kaì hen t¨^w spérmatí sou). Direkte Echos finden sich in Y 71,17 (kaì ehulogjq´jsontai hen ahut¨^w päsai aÓ fulaì t¨j ß g¨jß); Sir 44,21 (dià toüto hen “ork^w ‘estjsen ahut¨^w heneulogjq¨jnai ‘eqnj hen spérmati ahu toü). 232 Bill. III, 538 verweist auf die rabbinische Wendung: »Was hat die Torah gesehen?« Ähnliche »Hypostasierungen« der Schrift finden sich in Gal 3,22 (»die Schrift hat alles unter [die] Sünde eingeschlossen«) und in der Wendung »die Schrift sagt« (Gal 4,30; Röm 4,3; 9,17; 10,11; 11,2). Etwas zu weit geht wohl BRUCE, 155: »Hj graf´j is here practically equivalent to Ho qeóß, as in Rom 9:17.« 233 Ähnlich BRUCE, 156: »present tense, because it is God’s abiding policy«. 234 Philo, Op 34; Mut 158; G. F RIEDRICH, Art. proeuaggelízomai, ThWNT 2 (1935) 735 und ECKSTEIN, Verheißung, 112; zum Zeitverständnis vgl. P. STUHLMACHER, Erwägungen zum Problem von Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie, ZThK 64 (1967)
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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Evangeliumsverkündigung zu beziehen ist. Die Verheißung an Abraham »war ein Evangelium vor dem Evangelium« 235. Die Abrahamsverheißung wird damit zu einer prototypischen Evangeliumsverkündigung.
Das Interesse des Paulus an der zitierten Stelle gilt der Wendung pánta tà ‘eqnj, die sich in seinem Sprachgebrauch eindeutig auf Nichtjuden bezieht (Gal 1,6; 2,2.8f.12.14f; 3,14). Für ihn wird diese Verheißung durch seine gesetzesfreie Evangeliumsverkündigung Wirklichkeit236. Die Rechtfertigung der Nichtjuden (Gal 2,15–21) ist identisch mit dem abrahamitischen Segen für die Nichtjuden (3,14)237. Wichtig an der Abrahamfigur ist, dass der Glaube Abrahams in keiner Weise dem Glauben der christlichen Gemeinde qualitativ unterlegen ist238. Er steht vielmehr als Prototyp allen Glaubens239. Betz kommt zu Recht zu folgendem Urteil: »Did Abraham, to whom this promise was given, understand it also in this sense? Paul concludes he did. The Apostle thereby attributes to Abraham a unique role: he was the only person before Christ who actually knew the gospel and believed it. How can this be? Paul explains this by the reference to his concept of Scripture: ›Scripture foresaw [it]‹ […] and ›proclaimed [it] before to Abraham‹«.240
Dass Paulus bei seiner Bibeldeutung zutiefst von seiner Erfahrung als »Heiden«missionar geprägt ist, wird daraus ersichtlich, dass er diese Thematik immer wieder theologisch für sich nutzt241. In V. 9 zieht Paulus ein Fazit aus seiner bisherigen Argumentation (“wste)242: Gesegnet mit dem glaubenden Abraham werden nur die »aus Glauben«. Abraham wird damit ganz in den Bereich des christlichen Glaubens geholt243. »In Abraham« (V. 8) wird 423–450; LUZ, Geschichtsverständnis, 111f. MARTYN, 300 führt den Wortgebrauch auf die paulinischen Konkurrenten zurück. 235 SIEFFERT, 175. 236 Das wird v.a. die christologische Deutung des Begriffs »Samen Abrahams« später deutlich machen. 237 BETZ, 142; LAMBRECHT, Curse, 278f. 238 Wie SCHLIER, 141 anzudeuten scheint. Vgl. dagegen BETZ, 153, Anm. 141; FUNG , 136; KERTELGE, Rechtfertigung, 193. Treffend EBELING, 232: »[D]er Glaube an Jesus Christus ist wesenhaft kein anderer Glaube als der Glaube Abrahams.« 239 ROHDE, 137f.; ECKSTEIN, Verheißung, 101f.: Abraham ist »für den Apostel exemplum im Sinne von Urbild und Typos.« LONGENECKER, 113: »Abraham’s faith […] stands as the prototype of human response to God.« 240 BETZ, 142f. 241 LONGENECKER, 115 mit Hinweis auf Röm 15,9–12, wo Paulus Ps 18,49; 2Sam/2Bas 22,50; Dtn 32,43; Ps 117,1; Jes 11,10 zitiert. 242 Vgl. den Gebrauch der Partikel nach Schriftzitaten in Gal 3,24 (“wste Ho nómoß...); 4,7 (“wste ohukéti...). 243 BETZ, 143: »Abraham who in Judaism is the prototype of ›righteousness through obedience to the Torah‹ now has become the prototype of the ›men of faith‹.« Das Adjektiv pistóß bedeutet hier »glaubend« (im Sinne des paulinischen Sprachgebrauchs) und nicht
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III. Analyse paulinischer Texte
hier im Sinne von »mit ihm« gedeutet. Abraham und die jetzt an Christus Glaubenden (Nichtjuden?) bilden eine »Glaubensgemeinschaft«244. Die Beziehung zu Abraham wird terminologisch (mit hen und sún) im Übrigen sehr ähnlich wie die Beziehung zu Jesus (dem »Samen« Abrahams!) in Worte gefasst. Paulus benutzt die Segensterminologie als sprachliche Überleitung zur Antithese »Fluch und Segen« in 10ff. b) Negative Argumentation: Fluch des Gesetzes (3,10–12) 10
“osoi gàr hex ‘ergwn nómou e˙sìn Hupò katáran e˙sín≥ gégraptai gàr “oti h Epikatáratoß päß “oß ohuk hemménei päsin toïß gegramménoiß hen t¨^w biblí^w toü nómou toü poi¨jsai ahu tá.
Diese nämlich, die Menschen der Gesetzeswerke sind, sind unter einem Fluch, denn es steht geschrieben: Verflucht jeder, der nicht verharrt (in) allen Dingen, die im Buch des Gesetzes zu tun (vor)geschrieben sind. [Dtn 27,26]
Das anfängliche gár legt nahe, dass hier noch ein argumentativer Grundstein für das zuvor Gesagte gelegt werden soll. Die Verbindung ist aber locker fortführend245. 10a ist eher als conclusio des folgenden Schriftzitats zu lesen. Mit einer Gegenüberstellung von Dtn 27,26 und Lev 18,5 (in 3,12) einerseits und Hab 2,4 (in 3,11) andererseits stellt Paulus einen kontradiktorischen Gegensatz zwischen Fluch beim Gesetz und Leben beim Glauben fest246. Der Gebrauch von Dtn 21,23 (»Verflucht jeder, der am Holze hängt«) in 3,13 ist im Hinblick auf die Opposition besonders interessant. Mit “osoi hex ‘ergwn nómou hebt Paulus eine Gruppe Menschen heraus, die kategorisch zu unterscheiden ist von den hek pístewß247. Ob es sich dabei sachlich um einen kontradiktorischen Gegensatz handelt, könnte sachkritisch diskutiert werden. Im vorliegenden Kontext ist aber deutlich, dass der Kreis »treu und bewährt«. Die paulinische Semantik verdrängt deutlich den jüdischen Gebrauch. Vgl. in Bezug auf Abrahams »Treue« z.B. Sir 44,20 (»und in der Versuchung wurde er als treu erfunden« [kaì hen peirasm¨^w eHuréqj pistóß]); 1Makk 2,52; Philo, Post 173. 244 Wie Israel in diese »Gemeinschaft« passt, thematisiert Paulus hier nicht. 245 BETZ, 144: »gár should best be taken as inferential (›certainly, so, then‹) or as marking another step in the argument.« BONNEAU, Logic, 71 schlägt sogar eine adversative Deutung vor. 246 BARRETT, Allegory, 6f sieht in Dtn 27,26 einen Schriftbeweis, den die Gegner des Paulus gegen ihn verwendeten (ähnlich MARTYN, 309). Wird dadurch der paulinische Schriftgebrauch nicht zu sehr auf die Apologetik seiner Person reduziert? Es ist m.E. wahrscheinlicher, dass die Abfolge von Schriftstellen sorgfältig gewählt wurde, um ein konkretes argumentatives Ziel zu erreichen. Ich finde es daher schwer anzunehmen, dass Paulus, nur mit den Vorgaben seiner Gegner ausgestattet, ein Spiel exegetischer Kombinatorik betrieben haben sollte. 247 SIEFFERT, 178 bemerkt richtig, dass “osoi »auch diejenigen, welche sich zu J[esus] Chr[istus] bekennen«, umfasst; also auch die judenchristlichen Konkurrenten (s.a. BONNARD, 67; SCHLIER, 132). Daher deckt Paulus in 1,8f »nur den Zustand der Judaisten auf, in dem sie längst stehen« (BECKER, 50).
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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der »Gesetzesmenschen« und der der »Glaubensmenschen« keine »Schnittmenge« besitzt. Eine Überschneidung zwischen beiden kann es so wenig geben, wie zwischen den binären Antithesen »Fluch« und »Segen«. Um den Begriff der ‘erga nómou ist eine Debatte entbrannt, die in ihrem literarischen Umfang forschungsgeschichtliche Dimensionen anzunehmen droht. Der gewichtigste Beitrag stammt von Dunn248: Im Gegensatz zur klassischen Sicht, die den Begriff allgemein mit jüdischer Werkfrömmigkeit in Verbindung bringt, denkt Dunn an eine Form von Torahfrömmigkeit, die auf die physisch-nationale Einhaltung der jüdischen »boundary marker« reduziert bleibt. Dieses in sich defizitäre Verständnis von Bundeszugehörigkeit findet seine Konkretisierung insbesondere in der Beschneidung und in der Einhaltung der Speisevorschriften 249. Paulus wendet sich also nicht gegen das jüdische Bestreben, dem Gesetz des Mose gerecht zu werden, sondern gegen »the assumption that ethnic origin and identity is a factor in determining the grace of God and its expression«250. Diese Position hat viel Anerkennung aber auch viel Kritik erfahren251. Eine philologische Lösung kann anhand des vorhandenen Quellenmaterials kaum definitiv gefällt werden. Griechisch ist die syntaktische Einheit vor Paulus nicht belegt252. Die Belege in 4QMMT können das Problem nicht lösen 253. Es ist für die Exegese daher ratsam, beide Optionen offen zu lassen.
248 DUNN,
Works. Im Wesentlichen ist DUNN bei seiner Darstellung geblieben. Vgl. Yet Once More – ›The Works of the Law‹: A Response, JSNT 46 (1992) 99–117; Whatever happened to ›Works of the Law‹?, in: EPITOAUTO (FS P. Pokorny; Praha, 1998) 107–120; Noch einmal ›Works of the Law‹: The dialogue continues, in: I. Dunderberg et al. (eds.), Fair Play: Diversity and Conflicts in Early Christianity (FS H. Räisänen; NT.S 103; Leiden, 2001) 273–290. 249 Der wenig beachtete Beitrag von R. H EILIGENTHAL hat in wichtigen Punkten die Position DUNNS vorweggenommen: Soziologische Implikationen der paulinischen Rechtfertigungslehre im Galaterbrief am Beispiel der ›Werke des Gesetzes‹: Beobachtungen zur Identitätsfindung einer frühchristlichen Gemeinde, Kairos 26 (1984) 38–53. 250 J.D.G. DUNN , The Theology of Paul’s Letters to the Galatians (New Testament Theology; Cambridge, 1993) 143. 251 Positiv u.a. CRANFORD , Perfect Obedience, 249; BONNEAU, Curse, 66f. Ablehnend C.E.B. CRANFIELD, ›The Works of the Law‹ in the Epistle to the Romans, in: Ders., On Romans and other New Testament Essays (Edinburgh, 1998) 1–14; T.R. SCHREINER, ›Works of Law‹ in Paul, NT 33 (1991) 217–244. 252 In die Nähe des paulinischen Begriffs kommt aus der LXX nur Ex 18,20: Das Volk soll unterwiesen werden in den Ordnungen (prostágmata), im Gesetz (nómon), in den Wegen, die sie gehen sollen, und in »die Werke, die sie tun sollen« (tà ‘erga ”a poi´jsousin). 253 4Q398, 14 II,2f: »Und auch wir haben an dich geschrieben etliches von den TorahPraktiken (hrwth yç[m), die wir als gut für dich und dein Volk befunden haben […].« (übers. Maier, 2:375) Vgl. dazu M. BACHMANN, 4QMMT und Galaterbrief, hrwth yç[m und ERGA NOMOU, in: Ders., Antijudaismus im Galaterbrief? (NTOA 40; Freiburg, CH / Göttingen, 1999) 33–56; J.D.G. DUNN, 4QMMT and Galatians, NTS 43 (1997) 147–153; J. KAMPEN, 4QMMT and New Testament Studies, in: J. Kampen / M.J. Bernstein (eds.), Reading 4QMMT (SBL Symposium Series 2; Atlanta, 1996) 129–144. Gegen die Sicht von DUNN, dass es im Qumrantext nur um »defining a boundary which marks out those of faith/faithfulness from others« (4QMMT, 151) gehe, muss geltend gemacht werden, dass am
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III. Analyse paulinischer Texte
Die Präpositionalwendung Hupò katáran wirft die semantische Frage auf, ob Hupò katáran e˙sín und hepikatáratoß synonym verstanden werden sollen. Für die Implikationen dieses Begründungsganges ist diese Frage wichtig. Die Argumente für eine Unterscheidung beider Begriffe sind im Wesentlichen zwei254: ein philologisches – die Wendung Hupò tina e~inai bedeutet »unter jemandes Gewalt stehen« – und ein argumentum e silentio – wenn Paulus von einer tatsächlichen Verfluchung hätte reden wollen, hätte er bereits in 10a hepikatáratoß gebraucht255. Leider erlaubt die Sprachgeschichte keine klare Entscheidung, da die Wendung Hupò katáran in der griechischen Literatur hier zum ersten Mal erscheint256. Einige Beobachtungen sprechen jedoch für ein synonymes Verständnis: a) In Justins »Dialog mit Tryphon« wird in deutlicher Anlehnung an Gal 3 vorausgesetzt, dass der Gesetzesmensch faktisch verflucht ist, weil er das Gesetz nicht ganz halten kann, wie ja auch die jüdischen Gesprächspartner ihm bereitwillig zugestehen müssen (94,5–95,1). b) Gal 3,12 (Cristòß Hjmäß hexjgórasen hek t¨j ß katáraß toü nómou) macht zudem deutlich, dass der »Fluch des Gesetzes« in seiner ganzen Dramatik zu fassen ist, ansonsten wäre das stellvertretende »Fluchwerden« Jesu wohl kaum notwendig. c) Auch der »vorweggenommene« Fluch in 1,8f sieht die Verfluchung nicht als reine Möglichkeit an. d) Letztendlich ist vom Gesamtduktus her deutlich, dass diejenigen, die unter dem Fluch stehen, nicht am Segen Abrahams teilnehmen. Sie sind faktisch »verflucht«. 257 Ohne ein solches synonymes Verständnis könnte das Zitat in 10b kaum 10a begründen.
Die Begründung in 10b (gár) liefert Paulus mit einem Text aus Dtn 27,26258. Die paulinische Strategie, mit einem Torahwort die Torahobservanz selbst in Ende der betreffenden Stelle steht: »[…] damit es dir zur Gerechtigkeit angerechnet wird, da du das Rechte vor Ihm tust und das Gute zu deinem Beste und für Israel.« (4Q398, 14 II,7f) 254 Vgl. bes. S TANLEY, Curse, 499; REINBOLD, Erfüllbarkeit, 98f; WILLIAMS, 89f. 255 Ein solches Argument ist gerade angesichts der Vagheit und Vielschichtigkeit der paulinischen Sprache nicht besonders schlagkräftig. Paulus überführt immer wieder die Sprache seiner Schriftbeweise in seine eigenen Sprachschemata (vgl. nur 3,6–9). Warum sollte er hier nicht ähnlich verfahren? 256 Dies gilt zumindest für die literarischen Zeugnisse, die im TLG erfasst sind. Vgl. aber ähnliche Wendungen in 3,22 (unter Sünde); 3,23; 4,4f.21; 5,18 (unter Gesetz); 3,25 (unter dem Zuchtmeister); 4,2 (unter Vormündern und Verwaltern); 4,3 (versklavt unter die Elemente der Welt). Vgl. weiterhin MORLAND, Curse, 201f. Für positiven Gebrauch vgl. Josephus, Ap 2,210: »To all who desire to come and live under the same laws with us [Hupò toùß ahutoùß Hjmïn nómouß], he [= Moses] gives a gracious welcome, holding that it is not family ties alone that constitute relationship, but agreement in the principles of conduct.« (LCL) 257 MORLAND , Curse, 201–203. 258 Es handelt sich um die letzte der zwölf levitischen Verfluchungen. Vgl. zur atl.-jüd. Wirkungsgeschichte MORLAND, Curse, 52–58; SCOTT, Many, 194–213; WISDOM, Blessing, 43–62.87–128. Das Zitat stimmt nicht wörtlich mit den heute bekannten LXX-Fassungen überein. Die Änderungen sind allerdings kaum sinnverändernd, zumal alle LXX-Fassungen gegenüber MT päsin haben! Vgl. auch Dtn 28,58 (pánta tà Hr´jmata); 30,10 (pásaß tàß hentoláß). LONGENECKER, 117 bringt den Fluch in Zusammenhang mit der mehrmaligen Auspeitschung des Paulus (2Kor 11,24), weil nach mMak 3,10–14 bei solchen Synagogenstrafen auch Dtn 27,26 verlesen wurde. Diese biographische Verknüpfung ist im Gal-Kontext etwas weit hergeholt. Sie ist aber auch ungenau, weil die in mMak 3,14 nicht Dtn 27,26 direkt zitiert wird, sondern Dtn 28,58f; 29,9 und Ps 78,38.
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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eine »Fluchzone« zu verwandeln, wirkt aus heutiger Sicht wie ein Dekonstruktionsversuch jüdischer Identität. Diese »paradoxe Intervention« hat unter Exegeten zu unterschiedlichen Nuancierungen geführt in Bezug auf die Frage, worin der »Fluch der Torah« (3,13) denn konkret besteht259: 1. Die faktische Nichterfüllung »aller« Gebote als Fluch: Diese Sicht, die als die »traditionelle« angesehen werden darf, geht davon aus, dass der Zusammenhang nur durch Hinzunahme einer Zusatzprämisse hergestellt werden kann260: Niemand kann alle (päsin) Gebote halten 261. Paulus hat entweder den Wortlaut der 613 Vorschriften und Verbote der Torah vor Augen oder aber er geht von der menschlichen Sünde als Hinderungsgrund aus262. Wenn es aber in 3,10 um die Nichterfüllbarkeit des Gesetzes geht, verwundert es, dass dieser Gedanke in 3,11f keine Rolle mehr spielt263. 2. Der Bundesbruch als faktischer Fluchzustand Israels: Paulus deutet Dtn 27,26 im Sinne des Deuteronomisten 264: Die Torah wurde als Bundessatzung mit der Absicht gegeben, dass sich Israel gewissenhaft daran hält. Bereits eine Gesetzesübertretung würde den Bund zu Fall bringen und die Flüche in Kraft setzen. Für den Deuteronomisten hat sich dieser Fall in der Geschichte Israels erfüllt: Israel lebt unter dem Fluch, weil es unter Fremdherrschaft lebt. Das gleiche Deutungsmuster wurde jetzt auch während der römischen Fremdherrschaft verwendet265. M.E. ist die Kompetenzerwartung, die eine Kenntnis der »deuteronomistischen« Bundestheologie voraussetzt, unrealistisch hoch 266.
259 Vgl.
die Diskussion unterschiedlicher Positionen in BETZ, 145f und STANLEY, Curse, 482–486 (gefolgt von BONNEAU, Logic, 61f). 260 BECKER, 50; BRUCE, 159; BURTON , 164 (»unexpressed premise of the argument«); B. BYRNE, »Sons of God« – »Seed of Abraham« (AnBib 83; Rom, 1979) 151f; ECKSTEIN, Verheißung, 131f; FUNG, 142; HANSEN, Abraham, 117–120; H. HÜBNER, Gal 3,10 und die Herkunft des Paulus, KuD 19 (1973) 215–231; LAMBRECHT, Curse, 282; LIETZMANN, 19 (»dieser notwendige Gedanke ist hier als selbstverständlich nicht ausgesprochen«); LONGENECKER, 118; LUZ / (SMEND), Gesetz (Stuttgart, 1981) 94f; LUZ, Geschichtsverständnis, 149f; MUSSNER, 224–226; OEPKE, 105; H. RÄISÄNEN, Paul and the Law (WUNT 29; Tübingen, 21987) 94f; ROHDE, 141; SCHOEPS, Paulus, 183–185; SIEFFERT, 179. 261 Gegen die Betonung auf päsin hat SANDERS, Paul, the Law, 22f eine ausführliche Argumentation aufgebaut, die trotz der hohen Auszeichnung durch das Urteil BOYARINS, »impeccable« zu sein (Radical Jew, 138f), nicht wirklich überzeugend ist (vgl. CRANFORD, Perfect Obedience, 246f). 262 In diesem Sinne teilt STANLEY , Curse, 482 diese Position auf in »jüdisch-rigoristisch« und »christlich motiviert«. Die »rigoristische« Sicht hat HÜBNER, Gal 3,10, zum Anlass genommen, Paulus der Schule Shammais zuzuweisen. Zur Kritik dazu s. E.P. SANDERS, Paul and Palestinian Judaism (Philadelphia, 1977) 138, Anm. 61. 263 G. STANTON, The Law of Moses and the Law of Christ. Galatians 3:1–6:2, in: J.D.G. Dunn (ed.), Paul and the Mosaic Law (WUNT 89; Tübingen, 1996) 110f bemerkt, dass diese Deutung impliziere, dass in V. 11f ein neues Argument beginnt. Das scheint ihm eher unwahrscheinlich. 264 Vgl. M. NOTH, ›Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch‹, in: Ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 6; München, 1957) 155–171. 265 In diese Richtung deuten ECKSTEIN , Verheißung, 125–128; HONG, Misrepresent; SCOTT, Many (v.a. von Dan 9 her) und WRIGHT, Climax, 137–156. 266 Vgl. zur weiteren Kritik RÄISÄNEN , Paul and the Law, 125–127.
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III. Analyse paulinischer Texte
3. Das »Halten« der Gebote als Fluch: Paulus möchte betonen, dass diejenigen, die die Torahanweisungen halten, unter dem Fluch stehen 267. Leitend ist der Gegensatz zwischen »Tun« und »Glauben«268. Das Schwergewicht der Aussage liegt also auf poi¨jsai und zwar unter der Voraussetzung, dass das Gesetz gehalten werden kann. Allerdings scheint Paulus nicht das Halten des Gesetzes unter den Fluch stellen zu wollen, sondern das Nicht-Halten 269. 4. Der Anschluss ist nur terminologisch, nicht theologisch: Sanders hat sich dafür stark gemacht, diesem umstrittenen Text in gewisser Weise die theologische Brisanz durch die These zu nehmen, dass Paulus auf Dtn 27,26 nur deswegen zurückgreife, weil das der einzige Text ist, in dem von »Gesetz« und »Fluch« die Rede ist270. Diese Begriffe braucht er, um einen Gegensatz zur Segenssprache in 3,6–9 aufzubauen. Die je nach Deutung betonten Begriffe päsin (Position 1) und poi¨jsai (Position 3) sind für Paulus unbedeutend. Diese These halte ich für die schwächste, weil sie kaum zu erklären vermag, warum der »Fluch« in 3,13 als so bedeutend angesehen wird, dass er den Tod Jesu nötig macht271.
Im Hinblick auf die logische Analyse müssen drei Fragekomplexe sorgfältig auseinander gehalten werden: 1. Gab es innerhalb der vielfältigen jüdischen Torahvorstellungen auch solche, die angesichts der Verpflichtung, alle Gebote zu halten, von der faktischen Unerfüllbarkeit des Gesetzes ausgegangen sind?272 Mit dieser Frage ist zugleich das Problem gestreift, wie 267 BONNARD,
67.149; LUZ, Geschichtsverständnis, 150 (unklar); PELSER, Opposition, 398f; SCHLIER, 132f.134f; ähnlich BRUCE, 160. Einen »Neuanstrich« hat diese Deutung durch BOYARIN, Radical Jew, 139f erfahren: Er versteht toü poi¨jsai ahutá instrumental. Paulus habe nach bewährten Midrash-Methoden (vgl. S. 301, Anm. 7) die Wendung so gedeutet, dass sie den ganzen Satz modifiziere: »Everyone, who [precisely] by doing it does not uphold to all that is written in the book of the Law, is under a curse.« (Hervorhebungen original) Der Sinn wäre: Die Torah beinhaltet sehr viel mehr als nur »Tun«. Wer sie also darauf reduziert, ist verflucht. In dieser interessanten Deutung werden die Meinungen von SCHLIER und DUNN kreativ gekreuzt. Sie scheitert jedoch an der vorausgesetzten instrumentalen Deutung von toü poi¨jsai ahutá, das in Wirklichkeit von gegramménoiß abhängig und final zu verstehen ist. 268 SCHLIER, 134: Die Menschen unter dem Gesetz sind verflucht, »[d]enn das Gesetz hat es nicht mit dem Glauben, sondern mit der Tat zu tun.« Die Begründung dafür sieht SCHLIER, 135 in Röm 7,7–23. 269 So zu Recht MUSSNER, 224–26; STANLEY , Curse, 483; BONNEAU, Logic, 61. 270 SANDERS, Paul, the Law, 21–27. 271 STANLEY, Curse, 485f; zur weiteren Kritik vgl. I.–G. HONG, The Law in Galatians (JSNT.S 81; Sheffield, 1993) 135–138. 272 Die Frage ist umstritten: Relativ positiv äußert sich M. LÖWY, Die paulinische Lehre vom Gesetz, MGWJ 47 (1903) 417–422; LAMPE, Reticentia, 29 mit Anm. 5; dagegen BETZ, 145f; BOYARIN, Radical Jew, 138.299f, Anm. 1; CRANFORD, Perfect Obedience; DUNN, 171; MOORE, Judaism, 3:150f; REINBOLD, Erfüllbarkeit«; SANDERS, Paul, the Law, 21–24. LUZ, Gesetz, 99.153, Anm. 168 führt rabbinische Belege für maximalistische und minimalistische Positionen auf, die es wohl erlauben immerhin von einer jüdischen »Randthese« zu sprechen. Rigoristische Tendenzen sind auch in Qumran belegt: 1QS 5,8: Der Neueintretende »soll sich durch einen bindenden Eid verpflichten, umzukehren zum Gesetz Moses gemäß allem, was er befohlen hat.« (s.a. 1QS 8,22f) Als Eleazar den König Izates von Adiabene zur Beschneidung bewegen will, fragt er: »Es ist nämlich nicht genug, das Gesetz zu lesen, du mußt vielmehr auch alle seine Gebote befolgen. Wie lange willst du also noch ohne Beschneidung bleiben?« (Josephus, Ant 20,45)
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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»erfolgreich« Paulus innerhalb einer jüdisch geprägten »Enzyklopädie« argumentieren konnte273. 2. Ist Paulus an anderen Stellen nachzuweisen, dass er eine solche Sicht teilt oder setzt er sogar deren Gegenteil an anderen Stellen voraus?274 Hier ist nicht mehr die Frage der Übereinstimmung des Paulus mit anderen jüdischen Gesetzesvorstellungen berührt, sondern die nach der Kohärenz seiner leitenden Überzeugungen. 3. Ist eine logische Stringenz von 3,10 herstellbar, ohne von der Prämisse der Unerfüllbarkeit des Gesetzes auszugehen? Die logische Analyse hat sich vornehmlich um diese Frage zu kümmern (s.u.). 11
“oti dè hen nóm^w ohudeìß dikaioütai parà t¨^w qe¨^w d¨jlon, “oti H O díkaioß hek pístewß z´jsetai≥
Dass also durch (das) Gesetz niemand bei Gott gerecht(gesprochen) wird, ist offensichtlich, denn: Der Gerechte aus Glauben wird leben. [Hab 2,4].
Eine weitere Begründung folgt275, die den Gedankengang deutlich (d¨jlon) machen soll276, indem sie positiv sagt, was V. 10 negativ formuliert. Damit soll die Dichotomie zwischen Gesetz und Glaube weiterhin untermauert werden. Dabei entspricht hen nóm^w deutlich hex ‘ergwn nómou (in 2,16; 3,2.5.10)277. Das Zitat aus Hab 2,4 (hier ohne formelle Einführungsformel, da überflüssig) soll nun den »Beweis« bringen, obgleich diese Aussage bereits in der propositio in 2,16 aufgestellt worden ist278. 273 Die
Aussicht auf argumentativen Misserfolg innerhalb eines jüdischen Kontextes sollte kein Argument dagegen sein, dass Paulus eine solche Vorstellung habe voraussetzen können. Entweder war für ihn diese Einsicht ganz selbstverständlich oder er wollte sie wegen ihres Störpotentials verschleiern. Anders DUNN, Works, 234; CRANFORD, Perfect Obedience, 243, die beide gegen diese Meinung mit dem Argument zu Felde ziehen, dass Paulus dadurch riskiere, nicht besonders überzeugend zu sein. 274 Auch diese Frage ist nicht einheitlich zu beantworten: Gal 3,10 und 5,3 (»Ich bezeuge aber noch einmal jedem Menschen, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist« [“oti ho feilétjß hestìn “olon tòn nómon poi¨jsai]) scheinen dies nahezulegen. Auf der anderen Seite steht Röm 2,13f und v.a. die Selbstaussage des Paulus in Phil 3,6: »der Gerechtigkeit nach, die im Gesetz ist, untadelig geworden« (katà dikaiosúnjn t`jn hen nóm^w genómenoß ‘amemptoß). Seit dem Aufsatz von K. STENDAHL, The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West, in: Ders., Paul among Jews and Gentiles (Philadelphia, 1976) 78–96 ist von dem »robusten Gewissen« des Paulus die Rede. Vgl. aber zur Kritik dazu J.M. ESPY, Paul’s ›Robust Conscience‹ Re-examined, NTS 31 (1985) 161–188. 275 BETZ, 146: »The dé introduces a matter in addition to a previous one (›furthermore‹), so that v 11 is more than simply a ›parallel‹ to v 10.« 276 Die Wendung d¨jlon “oti erscheint im Zusammenhang der Schriftargumentation auch in 1Kor 15,27; 1Tim 6,7 (v.l.); Ign., Eph. 6,1. Das erste “o ti ist deklarativ und von d¨jlon abhängig, das zweite ist kausal (H. HANSE, DJLON [zu Gal 3,11], ZNW 34 [1935] 299–303). 277 Es gibt daher (gegen MUSSNER, 228) hier keinen Wechsel vom mosaischen Gesetz zu einem universalen abstrakten Gesetz. BETZ, 146, Anm. 77: »For the Jew, this distinction is of course artificial; for Paul the ›universal‹ would be the ›will of God‹ itself which is identical with salvation as a whole (cf. 1:4; 5:14) and different from the Jewish Torah.« 278 Der Text erscheint in Röm 1,17 an zentraler Stelle und auch in Hebr 10,38.
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III. Analyse paulinischer Texte
Zur jüdischen Auslegungsgeschichte279: a) Die Tradition der LXX schwankt in der Position des Possessivpronomens mou. Die Bedeutung wäre entweder »Mein Gerechter aber wird aufgrund von Vertrauen/Treue leben« (in MT klarer: »aufgrund seiner Treue«) oder »Der Gerechte aber wird aufgrund meiner [= Gottes] Treue leben.« b) 1QpHab 8,1–3: »Seine Deutung (geht) auf alle die Täter der Torah (hrwth yçw[ lwk) im Haus Judah, welche Gott erretten wird aus dem Haus des Gerichts wegen ihres Bemühens und (wegen) ihrer Treue zum Anweiser der Gerechtigkeit.« (übers. Maier, I, 161)
Paulus nimmt in diesem Text den Zusammenhang zwischen »gerecht« und »Glaube« als Begründung seiner Position wahr, wobei er »Glaube« als »Glaube an Jesus« deutet und das Leben als eschatologisches Heil auffasst280. Er führt zugleich den Argumentationsgang von V. 10 fort: »if the ›men of the Law‹ are under the curse, it is obvious that by that Law no one can be justified before God.«281 12
Ho dè nómoß ohuk ‘estin hek pístewß, hallh H O poi´jsaß ahutà z´jsetai hen ahu toïß.
Das Gesetz (aber) ist nicht aus Glauben, sondern Wer diese [Gebote] tut, wird durch sie (in ihnen) leben [Lev 18,5].
Wieder wird der Kontrast zwischen beiden Aussagen deutlich282. Der Gegensatz zwischen Gesetz und Glaube ist für Paulus absolut283. Genau diesen Gegensatz will er aus Lev 18,5 herauslesen284. Mit diesem Schriftwort versucht er eine erste Begründung zu liefern285. Die Opposition GesetzGlaube gründet auf dem Unterschied zwischen »glauben« und »diese tun«286. Das Gesetz ist geprägt vom Handeln nicht vom Glauben287. Der Wechsel vom Singular nómoß zum Plural ahutá macht deutlich, dass Paulus beim Gesetz an die vielen Gebote denkt (päsin toïß gegramménoiß hen t¨^w biblí^w toü nómou toü poi¨jsai).
279 Vgl.
LAMPE, Reticentia, 31, Anm. 10; KERTELGE, Rechtfertigung, 89–95. Faith, 132–141 schlägt eine alternative Lektüre vor: Jesus sei der díkaioß von Hab 2,4, der durch sein Vertrauen lebt. 281 BETZ, 146. 282 V. 11 steht antithetisch zu V. 10 und V. 12 steht antithetisch zu V. 11. BETZ, 147, Anm. 147 sieht allerdings nicht die Kontraste: »dé stands juxtaposed to “oti dé v 11a and can therefore be translated as ›also‹.« 283 Gegen gängige jüdische Sichtweisen, die Gesetz und Treue/Vertrauen keineswegs trennen. 284 Er zitiert wörtlich, lässt lediglich ‘a nqrwpoß aus; ebenso zitiert er in Röm 10,5. 285 Eine ausführlichere Begründung folgt in 3,19–25. 286 Ich denke, dass von der Kontextsynonymität her poiéw ah utá als verbale Umschreibung der ‘erga nómou angesehen werden muss. 287 Röm 2,13: »Denn vor Gott sind nicht gerecht, die das Gesetz hören, sondern die das Gesetz tun, werden gerecht sein.« Röm 10,5f: »Mose nämlich schreibt von der Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt: ›Der Mensch, der das tut, wird dadurch leben.‹ [Lev 18,5] Aber die Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht so: ›Sprich nicht in deinem Herzen: Wer will hinauf gen Himmel fahren?‹ [Dtn 30,12] nämlich um Christus herabzuholen.« 280 HAYS,
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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c) Die »Lösung« des Kerygmas (3,13f)288 13
Cristòß Hjmäß hexjgórasen hek t¨jß katáraß toü nómou genómenoß Hupèr Hjm¨wn katára, “oti gégraptai, h Epikatáratoß päß Ho kremámenoß hepì xúlou
Christus hat uns freigekauft aus dem Fluch des Gesetzes, indem er für uns Fluch geworden ist, denn es steht geschrieben: Verflucht jeder, der am Holze hängt [Dtn 21,23].
Durch asyndetischen Anschluss hervorgehoben, bezieht sich V, 13 auf die Heilstat Jesu in Bildern der damaligen Handelssprache (hexagorázw = los-, freikaufen)289. Der Ausdruck »Fluch des Gesetzes« erscheint nur hier bei Paulus und weist zurück auf das Dtn-Zitat in 3,10. Die knappe und symbolhafte Sprache mutet traditionell an290. Der Gebrauch der ersten Person Plural ist durchaus bedeutsam, da Paulus damit im Gal oftmals, sich selbst einschließend, die Judenchristen meint (2,15; 3,23–26; 4,5). Davon ist auch hier auszugehen291. In Dtn 21,22f geht es rechtlich um die öffentliche Pfählung eines Übeltäters nach seiner legalen Hinrichtung292. Jüdische Auslegungen wenden diesen Text aber durchaus auch auf die Praxis der Kreuzigung an293. 11QTemp (11Q19) 64,6–13: »Wenn (7) ein Mann Nachrichten über sein Volk weitergibt [vgl. Lev 19,16] und er verrät sein Volk an ein fremdes Volk und fügt seinem Volk Böses zu, (8) dann sollt ihr ihn ans Holz hängen, so daß er stirbt. Auf Grund von zwei Zeugen und auf Grund von drei Zeugen (9) soll er getötet werden, und (zwar) hängt man ihn ans Holz. [vac] Wenn ein Mann ein Kapitalverbrechen begangen hat [vgl. Dtn 21,22] und er flieht zu (10) den Völkern und verflucht sein Volk, die Israeliten, dann sollt ihr ihn ebenfalls an das Holz hängen, (11) so daß er stirbt. Aber es bleibe ihr Leichnam nicht am Holz über Nacht hängen, begrabe sie vielmehr bestimmt noch am selben Tag, denn (12)
288 Vgl.
zur Auslegungs- und Forschungsgeschichte D. BRONDOS, The Cross and the Curse: Galatians 3.13 and Paul’s Doctrine of Redemption, JSNT 81 (2001) 3–32. 289 Vgl. K. BERGER, Abraham in den paulinischen Hauptbriefen, MThZ 17 (1966) 52. 290 Viele (u.a. LONGENECKER, 121f; BETZ, 149–51) sehen hier eine vorpaulinische jüdisch-christliche Bekenntnisformel. N.A. DAHL, The Atonement – An Adequate Reward for the Akedah?, in: Ders., The Crucified Messiah (Minneapolis, 1974) 153–155 vermutet, dass es sich in Gal 3,13f sogar um einen judenchristlichen Midrasch zur Aqeda Isaaks handelt (vgl. seine Studies in Paul [Minneapolis, 1977] 34; M. WILCOX, Upon the Tree: Deuteronomy 21:22–23 in the New Testament (Gal 3:13; Acts 5:30, 10:39, 13:28–30), JBL 96 [1977] 99). Der ungewöhnliche Ausdruck »Fluch des Gesetzes« ist jedoch hier unpassend. Er ist zu sehr vernetzt mit der gegenwärtigen Diskussion und dem Schriftzitat. 291 Ausführliche Begründung in DONALDSON, Curse, 95–99, gefolgt von HONG, Misrepresent, 178. 292 Vgl. zur Praxis Num 25,4; Jos 10,26f; 2Sam 21,6–9. 293 J.A. FITZMYER, Crucifixion in Ancient Palestine, Qumran Literature, and the New Testament, CBQ 40 (1978) 498–507.510–512; D. SÄNGER, ›Verflucht ist jeder, der am Holze hängt‹ (Gal. 3,13b): Zur Rezeption einer frühen antichristlichen Polemik, ZNW 85 (1994) 279–285.
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III. Analyse paulinischer Texte
(/Verfluchten) Gottes und der Menschen ist ein ans Holz gehängter, und du sollst das Land nicht verunreinigen, das ich (13) dir zum Erbbesitz gebe [Dtn 21,23].« (Maier, I, 425) 294
Die Kreuzesbotschaft war für jüdische Hörer ein Skandal (1Kor 1,23; Gal 5,11) und stellte damit die frühen judenchristlichen Missionare vor die besondere Herausforderung, den Messiasanspruch Jesu mit der Tatsache seiner Kreuzigung in Übereinstimmung zu bringen. Eine Form diese Herausforderung zu »lösen« stellt der Rückgriff auf die Vorstellung des »Austausches« dar: Jesus wurde »für uns« zum Fluch295. 14
“ina e˙ß tà ‘eqnj Hj ehulogía toü h Abraàm génjtai hen Crist¨^w h Ijsoü, “ina t´j n hepaggelían toü pneúmatoß lábwmen dià t¨jß pístewß.
damit zu den Nichtjuden der Segen Abrahams hingelange in/durch Christus Jesus, damit wir durch den Glauben die Verheißung des Geistes (= den verheißenen Geist) empfangen mögen.
Die beiden koordinierten finalen “ina-Sätze bringen diesen Argumentationsgang zu Ende. Dabei knüpft die Abrahamsthematik an 6–13 und der Hinweis auf das Pneuma an 1–5 an296. Der Einschluss der Nichtjuden in den Abrahamssegen wird erst in Christus vollendet. Das ist eines der wichtigsten Argumentationsanliegen dieses Abschnittes. Mit anderen Worten: Erst in Christus sind die Nichtjuden »in Abraham«. Die Verheißungsthematik leitet bereits zum nächsten Gedankenabschnitt in 3,15ff über und verbindet die Abrahamsverheißung (»das Land erben«) mit dem Geistempfang. 3. Logische Analyse Dass der anfängliche Abschnitt 3,1–5 aufgrund der Häufung rhetorischer Fragen einer logischen Analyse praktisch unzugänglich ist, liegt auf der Hand. Der gewählte Abschnitt 3,6–14 ist hingegen von seiner Aussagestruktur her logisch befragbar. Ob sich der Abschnitt besser für eine aussagen- oder für eine termlogische Analyse eignet, lässt sich dem Text selbst nicht entnehmen. Die Argumentation arbeitet jedoch mit vielen ungenannten Prämissen, die mit den Mitteln des Aristoteles explizit gemacht werden können. Im Folgenden soll daher einer term- oder prädikatenlogischen Formalisierung der Vorzug gegeben werden. a) Formalisierung 3,6–7: Der Bezug der Terme »Abraham«, »glauben«, »Gott« und »Gerechtsprechen« zueinander ist auf den ersten Blick ebenso wenig klar wie die logische Bedeutung der Konjunktion kaí im Schriftzitat. Aus dem Wortlaut 294 Vgl.
weiterhin 4QpNah 3–4 I 6–8. 5,21: »Den, der Sünde nicht kannte, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm.« 296 LONGENECKER, 124. 295 2Kor
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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von Gen 15,6 (hepísteusen t¨^w qe¨^w kaì helogísqj ahut¨^w e˙ß dikaiosúnjn) lassen sich grundsätzlich unterschiedliche formale Verknüpfungen bilden: 1. Zwei Sätze mit kausaler Verknüpfung: Die Sätze »Abraham vertraute Gott«, und »es wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet«, wären kausal im Sinne einer Prämisse und einer Konklusion in Beziehung zueinander zu setzen. Der Sinn wäre: »Weil Abraham Gott vertraute, wurde es ihm (von Gott) als Gerechtigkeit angerechnet.« Die implizite obere Prämisse müsste für einen vollständigen Syllogismus der Form Barbara lauten: PaD AaP AaD
Alle Glaubenden sind von Gott Gerechtgesprochene. (impliz.) Abraham war ein Glaubender. (3,6a) Abraham war ein von Gott Gerechtgesprochener. (3,6b)
Diese große Prämisse könnte zwar vorausgesetzt werden, da sie in 2,16 kategorisch affirmiert und als bekannt vorausgesetzt worden ist297, aber einige Gründe sprechen gegen diese Formalisierung: a) Schriftzitate sind in der Regel Argumentationsbasis und nicht -ziel. Als unumstrittene, autoritative Aussagen müssen Schriftworte nicht eigens begründet werden, sie können vielmehr logisch als Endoxa (s.o. S. 48) oder als Axiome fungieren. In Schriftzitaten ist daher nach Prämissen und nicht nach Konklusionen zu suchen. b) Überhaupt wäre angesichts der »Stasis« des Briefes (Welches ist die Rolle der Nichtjuden im Evangelium?) zu fragen, welche Bedeutung die unumstrittene Konklusion, dass Abrahams pístiß von Gott als Gerechtigkeit angerechnet wurde, im Rahmen der gegenwärtigen Argumentation haben könnte. In 2,16 gibt Paulus zwar den Kernsatz als etwas Bekanntes aus, aber er formuliert aus der Perspektive des Judenchristentums298. Gerade für diesen Satz muss er in der probatio den Nachweis erbringen! Wenn aber das Ziel dieses Abschnittes darin besteht, zu zeigen, dass die Gerechtsprechung aufgrund des Glaubens kommt, dann wäre hier der Argumentationsfehler der petitio principii begangen, d.h. die zu beweisende Aussage würde stillschweigend als Prämisse vorausgesetzt.
2. Zwei Prämissen eines Schlusses: Die beiden Sätze »Abraham ist ein Glaubender«, (AaP) und »Abraham ist ein von Gott Gerechtgesprochener«, (AaD) haben den gemeinsamen Mittelterm (»Abraham«) je in Subjektstellung (also dritte Figur) und werden im rhetorischen Syllogismus wie affirmativallgemeine Sätze (a-Sätze) eingestuft. Als gültiger Schluss ließe sich daraus nur ein i-Satz (affirmativ-partikulär) bilden (der sog. »Darapti«-Schluss): AaP AaD DiP
297 e˙dóteß
Abraham ist ein Glaubender. (3,6a.) Abraham ist ein von Gott Gerechtgesprochener. (3,6b) Einige von Gott Gerechtgesprochene sind Glaubende.
“oti ohu dikaioütai ‘anqrwpoß hex ‘ergwn nómou heàn m`j dià pístewß h Ijsoü Cristoü. 298 Im Vorfeld ist von den Hjmeïß fúsei h Ioudaïoi kaì ohuk h ex h eqn¨ wn Hamartwloí die Rede (2,15). Das kaì Hjmeïß in 2,16b ist in diesem Zusammenhang zu verstehen.
150
III. Analyse paulinischer Texte
Mit einem solchen Partikulärsatz kann die probatio kaum von der Stelle kommen!299 Der generelle Schluss, auf den Paulus hinaus will (»Alle Glaubenden sind von Gott Gerechtgesprochene«), wäre in diesem Fall nicht nur Folgerung aus einem exemplum, sondern aus zwei. Es ist daher ratsamer, das exemplum als eine Prämisse zu fassen. 3. Eine Prämisse: Die beiden Teilsätze machen in Wirklichkeit eine Aussage: »Der (glaubende) Abraham ist ein Von-Gott-Gerechtfertigter.« (= AaD) Das exemplum Abrahams macht in der Argumentation auf einen Aspekt aufmerksam. Von daher können Glaube und Anrechnung zur Gerechtigkeit nicht auseinandergerissen werden. Die Aussage, dass Abraham glaubte, ist ehedem redundant, weil er geradezu als Typus des Glaubenden galt. Paulus benutzt das exemplum nicht im historischen Sinne, sondern als theologische Kategorie. Die Wendung Ho pistòß h Abraám in 9b zeigt, dass das Vertrauen zu Abraham gehört wie Weisheit zu Salomo oder Gewaltlosigkeit zu Gandhi. Aus dem Schriftzitat in 3,6 ist also nur eine Prämisse zu gewinnen. Die Formalisierung von V. 7 ist mit weniger Schwierigkeiten behaftet, da es sich um einen einfachen Aussagesatz handelt: »Die ›Glaubensmenschen‹ sind Kinder Abrahams«. Um aber die Verknüpfung zwischen den Sätzen zu ermöglichen, ist zu fragen, wie »Abraham« und »Kinder Abrahams« zueinander in Beziehung stehen. Mit der Aussage in V. 7 wird nämlich die logische Funktion »Abrahams« deutlich: Es handelt sich nicht einfach um ein Individualsubjekt, gleichsam um eine Untermenge aller »Glaubenden«300, sondern umgekehrt: Abraham ist die personifizierte Kategorie des Glaubens, das »Genus« aller Glaubenden. Die Glaubenden sind »Kinder«, weil sie Abraham zugehörig sind (wie etwa die »Landeskinder«) und an seiner Geschichte teilnehmen. Der Satz »Abraham ist ein Glaubender« ließe sich demnach (in unelegantem deutsch) umkehren in: »Alle Glaubenden sind Abraham« oder »Alle Glaubenden sind in Abraham enthalten«. Wenn »Abraham« als eine Art »corporate personality« für alle Glaubenden gelesen werden kann301, dann umschreibt der Begriff »Abraham« die Menge aller glaubenden Individuen. Daher sind die Begriffe »Abraham« und »Kinder Abrahams« für die logische Analyse als identische Terme aufzufassen: (1) (2)
Der glaubende Abraham ist ein von Gott Gerechtfertigter. (3,6) Die Glaubensmenschen sind (Kinder) Abraham(s). (3,7)
AaD PaA
3,8–9: Zwei Schwierigkeiten stellen sich der Formalisierung: Zunächst, Paulus formuliert nicht passiv, sondern aktiv. Für die Wahl der Aussagekonstanten und ihrer Stellung im Satz ist dies jedoch folgenreich. Die Sätze »Gott 299 Überhaupt
ist es auffällig, wie stark Partikulärsätze in der Rede des Paulus in den Hintergrund treten. 300 Daher schließt der Text auch nicht induktiv von Abraham auf alle Menschen; gegen MORLAND, Curse, 197 (»inductive proof« in 3,7). 301 Ähnlich MUSSNER, 222.
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
151
rechtfertigt Abraham«, und »Abraham ist ein Gerechtfertigter«, sind zwar inhaltlich identisch (im Sinne eines identischen Referenzbereiches), aber sie wären unterschiedlich zu formalisieren, da sie andere Terme enthalten und/oder die Terme unterschiedlich angeordnet sind. Um die Struktur der vorherigen Sätze beizubehalten, ziehe ich es hier vor (vgl. jedoch o. S. 92), weiterhin die passive Formulierung zu formalisieren. Das zweite Problem stellt sich in V. 8b auf der Ebene der semantischen Verschiebung. Die bisherige Terminologie, die mit den Begriffen »Glaube/Vertrauen«, »Rechtfertigen« und »Abraham« operierte, wird nun in das semantische Feld des »Segens« überführt. Um die Argumentation so führen zu können, sind die Verben »rechtfertigen« und »segnen« als kontextsynonym zu behandeln302. (3) (4)
Die (glaubenden) Nichtjuden sind von Gott Gerechtfertigte. (3,8a) Die Nichtjuden (in Abraham) sind von Gott Gesegnete. (3,8b)303
HaD HaS
In V. 9 stellt sich im Hinblick auf das Auffinden eines logisch verwertbaren Prädikatsterms die Frage nach der verantwortbaren Reduktion. Da der Text sprachlich zur Segensterminologie wechselt und zudem aus dem Kontext deutlich wird, dass es sich beim Segen immer um den Segen Abrahams handelt und dass Abraham immer als glaubend zu gelten hat, werden die Terme Glauben und Segen ins Zentrum gerückt. Besonders schwer für die Formalisierung des klassischen Syllogismus sind Relationsbegriffe wie uÓoì h Abraám (7), hen soi (8), sùn h Abraám (9). Im gegenwärtigen Zusammenhang werden die drei Wendungen wohl im identischen Sinne gebraucht. V. 8f knüpft demnach an die Aussage von V. 7 an und zieht daraus als Schluss: (5)
Die Glaubensmenschen sind Gesegnete mit Abraham. (3,9)
PaS
3,10: Aus diesem Vers lassen sich einfach zwei formalisierbare Aussagesätze gewinnen304: (6) (7)
Die Nomosmenschen sind unter einem Fluch. (3,10a) Jeder, der nicht alle Gebote erfüllt, ist ein Verfluchter. (3,10b)
302 Wahrscheinlich
NaK OaK
ist »segnen« als der umfassendere Begriff aufzufassen; d.h. es gäbe Formen göttlichen Segens, die nicht als Akt göttlicher Rechtfertigung zu deuten sind. Im vorliegenden Kontext ist aber der Segen Abrahams identisch mit der Rechtfertigung der »Heiden«christen. Diese Entscheidung ist für die logische Analyse völlig unproblematisch, auch wenn sie theologisch nicht ohne weiteres evident erscheint. 303 BETZ, 143 beobachtet richtig, dass pánta tà ‘eqnj aus V. 8 hier offenbar die Nichtjuden meint, die wie Abraham geglaubt haben. Es sind also nicht »alle« Nichtjuden im Blick. Paulus argumentiert aber ohne weitere Differenzierungen bezüglich der Nichtjuden, die nicht Christen sind. Geht Paulus noch von der optimistischen Vorstellung, alle Nichtjuden zu erreichen, aus (Röm 11,25)? Oder argumentiert er ohne weiteres Überlegen kategorisch und allgemein? 304 Unrichtig ist die Behauptung, V. 10 sei »a sentence that is, by the simple canons of logic, incoherent« (MARTYN, 309).
152
III. Analyse paulinischer Texte
3,11–12: Wieder ist das erste Schriftzitat als Prämisse zu lesen. Dabei muss die unterschiedliche Sprache zwischen Zitat und paulinischer Konklusion vereinheitlicht werden. Der Gerechte ist identisch mit dem von Gott Gerechtgesprochenen und die Wendung, dass er aus Glauben leben wird, bedeutet, dass er ein »Glaubensmensch« (einer der oÓ hek pístewß) ist. Die Formalisierung der beiden Sätze in V. 12 ist deswegen schwer, weil ein Mittelterm kaum auffindbar ist. Auch der Wechsel von eher personalen Begriffen wie »die aus Glauben« (9) und »die aus Gesetzeswerken« (10) zu den Abstrakta »Gesetz« und »Glauben« bereitet Mühe. Die logische Untersuchung erfordert an dieser Stelle eine relativ großzügige Handhabe ähnlicher semantischer Felder. Die Aussage, »das Gesetz ist nicht aus Glauben«, kann auf einer Ebene gelesen werden wie »Kein Nomosmensch ist ein Glaubensmensch« (NeP). Schließlich ist das Zitat aus Lev 18,5 aristotelisch kaum formalisierbar. Je nachdem, ob poi´jsaß oder z´jsetai ins Zentrum gerückt wird, ergeben sich zwei unterschiedliche Sätze. (8) (9) (10) (11a) (11b)
Kein Gesetzesmensch ist ein von Gott Gerechtfertigter. (3,11a) Der Gerecht(fertigt)e ist ein aus Glauben Lebender. (3,11b) Kein Nomos(mensch) ist ein Glaubens(mensch). (3,12a) Der Nomosmensch ist ein Tatmensch. (3,12b) Der Tatmensch ist ein Lebender. (3,12b)
NeD DaP NeP NaT TaZ
3,13–14: Die folgenden Sätze lassen sich formalisieren: (12) (13) (14) (15) (16)
Christus ist Befreier (aus Nomos-Fluch). (3,13a) Christus ist (stellvertretender) Fluch. (3,13b) Gekreuzigter ist Verfluchter. (3,13c) Die Nichtjuden sind Gesegnete. (3,14a) Die Glaubenden sind Empfänger des verheißenen Geistes. (3,14b)
CaE CaK XaK HaS PaG
Zusammenfassend: 1. Aussagekonstanten: A C D E G H K N O P S T X Z
h Abraám (6), uÓoí h Abraám (7) Cristóß (13) logízomai ahut¨^w e˙ß dikaiosúnjn (6), dikaiów (8.11a), Ho díkaioß (11b) hexagorázw (13a) t´jn hepaggelían toü pneúmatoß (14b) tà ‘eqnj (8.14) Hupò katáran (10a), hepikatáratoß (10b.13), katára toü nómou (13) (oÓ) hex ‘ergwn nómou (10), hen nóm^w (11), Ho nómoß (12) “oß ohuk hemménei päsin toïß gegramménoiß hen t¨^w biblí^w toü nómou toü poi¨jsai ahutá (10b) pisteúw (6), oÓ hek pístewß (7.9), hek pístewß (11.12), dià t¨jß pístewß (14b) (hen)eulogéw (8.9), Hj ehulogía toü h Abraám (14) Ho poi´jsaß (12) Ho kremámenoß hepì xúlou (13) z´jsetai (12)
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
153
2. Aussagen: Nr. (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11a) (11b) (12) (13) (14) (15) (16)
Vers
Form
Satz
3,6 3,7 3,8a 3,8b 3,9 3,10a 3,10b 3,11a 3,11b 3,12a 3,12b 3,12b 3,13a 3,13b 3,13c 3,14a 3,14b
AaD PaA HaD HaS PaS NaK OaK NeD DaP NeP NaT TaZ CaE CaK XaK HaS PaG
Der glaubende Abraham ist ein von Gott Gerechtfertigter. Die Glaubensmenschen sind (Kinder) Abraham(s). Die (glaubenden) Nichtjuden sind von Gott Gerechtfertigte. Die Nichtjuden (in Abraham) sind von Gott Gesegnete. Die Glaubensmenschen sind Gesegnete mit Abraham. Die Nomosmenschen sind unter einem Fluch. Jeder, der nicht alle Gebote erfüllt, ist ein Verfluchter. Kein Gesetzesmensch ist ein von Gott Gerechtfertigter. Der Gerecht(fertigt)e ist ein aus Glauben Lebender. Kein Nomos(mensch) ist ein Glaubensmensch. Der Nomosmensch ist ein Tatmensch. Der Tatmensch ist ein Lebender. (3,12b) Christus ist Befreier aus Nomos-Fluch. Christus ist (stellvertretender) Fluch. Ein Gekreuzigter ist Verfluchter. Die Nichtjuden nehmen in Christus Jesus am Abrahamssegen teil. Die Glaubenden sind Empfänger des verheißenen Geistes.
b) Analyse logischer Gültigkeit 3,6–7: Aus der einen Prämisse in V. 6 kann nichts geschlossen werden. Dies wird erst durch die Zusatzinformation (gin´wskete ‘ara) in V. 7 möglich. Aus diesen beiden Sätzen (AaD, PaA) lässt sich folgern: »Alle Glaubensmenschen sind von Gott Gerechtfertigte.« (PaD) Doch kann die hier vertretene Hypothese rasch durch den Hinweis falsifiziert werden, dass die Partikel ‘ara in V. 7 im gewöhnlichen Sinne eine Folgerung einleitet305. Dann wäre das logische Verhältnis der beiden Verse zueinander kaum als das zweier Prämissen aufzufassen. In diesem Fall aber müsste es möglich sein, aus den Propositionen in V. 6 Prämissen zu bilden, die auf V. 7 schließen lassen. Etwa: Abraham glaubte an Gott. (3,6a) Gott rechnete es ihm als Gerechtigkeit an. (3,6b) Alle Glaubenden sind Kinder Abrahams. (3,7)
Ein Syllogismus, der diesen Schluss in der ersten Figur hervorbringt, müsste jedoch auf Prämissen rekurrieren, die nicht explizit vorkommen: Alle Gerechtfertigten sind Kinder Abrahams. Alle Glaubenden sind Gerechtfertigte. Alle Glaubenden sind Kinder Abrahams. (3,7) 305 Die
Folgerungspartikel ‘ara ist der Häufigkeit nach im NT am stärksten als »marker of result« (Louw / Nida 89.46) belegt (Röm 8,1; Mt 12,28; 18,1 [hier vielleicht auch der lebhaften Rede wegen]). Vgl. zu ‘ara in syllogistischer Verwendung KÜHNER / G ERTH, Grammatik, II/2, 322. Die Partikel kann aber auch rhetorisch zur Hervorhebung benutzt werden (vgl. Bauer / Aland, 208f; DENNISTON, Greek Particles, 44–46).
154
III. Analyse paulinischer Texte
Hansen versteht die Beziehung zwischen V. 6 und V. 7 im Sinne eines rhetorisch verkürzten Enthymems306: Der glaubende Abraham wurde von Gott gerechtfertigt. (3,6) So wie Gott mit Abraham umging, geht er mit allen Menschen um. (impliz.) Alle Glaubenden sind Kinder Abrahams. (3,7)
Auch wenn die implizite Prämisse theologisch sinnvoll erscheint, handelt es sich jedoch im streng logischen Sinne keineswegs um eine Brücke, die von 3,6 zu 3,7 zu führen vermag, weil der Mittelterm fehlt. Es ist daher logisch unmöglich, V. 7 als Konklusion von V. 6 zu verstehen307. Entscheidet man sich also für die häufigere Verwendung von ‘ara, dann bricht die argumentative Logik dieses Abschnitts bereits nach zwei Sätzen zusammen. Wenn aber die seltenere, aber durchaus mögliche Verwendung von ‘ara als Mittel der rhetorischen Hervorhebung (»wisset nämlich…«) ins Auge gefasst wird308, dann lässt sich syllogistisch ein logischer Argumentationsgang nachzeichnen309: AaD PaA PaD
(1) Der glaubende Abraham war Gerechtgeprochener von Gott. (2) Alle Glaubenden sind (Kinder) Abraham(s). (1&2) Abraham war ein von Gott Gerechtgesprochener.
(3,6) (3,7) (3,6b)
Mengentheoretisch lässt sich der Schluss wie folgt darstellen:
P
A
D
Graphik 1 306 HANSEN,
Abraham, 112; ebenso PELSER, Opposition, 397. CHANCE, The Seed of Abraham and the People of God: A Study of Two Pauls, SBL.SP 32 (1993) 385f wendet sich zu Recht gegen diesen Syllogismus, jedoch ohne genauere logische Analyse. Für ihn ist V. 7 nur »seemingly logical« (385). Demgegenüber gebraucht LONGENECKER, 114 das Attribut »logisch« etwas vorschnell: »The particle ‘ara (›then‹) marks this statement of v 7 as the logical consequence of the quotation of v 6.« 308 Auch in 1Kor 15,15 führt ‘ ara eine Prämisse ein: »Wir werden aber auch als falsche Zeugen Gottes erfunden, weil wir gegen Gott bezeugt haben, daß er Christus auferweckt habe, den er nicht auferweckt hat, wenn wirklich (‘ara) Tote nicht auferweckt werden.« 309 Hinter der Beziehung von V. 6 und 7 verbirgt sich eine sachliche Analogie. Die Glaubenden sind Kinder Abrahams, »weil sie ihm ähnlich sind« (REINBOLD, Erfüllbarkeit, 95). BAUER, Logica, 293 verwickelt sich auf der Suche nach geeigneten »Tropen« in recht umständliche Erklärungen: Das Verhältnis sei über die imitatio (filii enim imitantur patres) und über die Antecedens-Consequens-Regel (ut simile antecedens, fidei, habeat etiam simili consequens beneficii obtinendi) zu bestimmen. Es handele sich demnach um ein duplex argumentum e similitudine. Wenn die Funktion des »Beispiels« im Enthymem ernst genommen wird, dann ist jedoch die komplizierte Bestimmung von BAUER nicht notwendig. 307 J.B.
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
155
Dieses Schaubild macht zugleich auf einige offene Fragen aufmerksam: Mit dem »BarbaraSchluss« ist zwar gezeigt, dass alle Glaubenden, da sie ja »in« Abraham sind, wie dieser von Gott gerechtfertigt werden. Es ist aber (noch) nicht gezeigt, dass es nicht auch andere Möglichkeiten der Rechtfertigung geben könnte. Graphisch gefragt: Wie umfassend sind die Ober- und Untermengen? Gibt es neben den Glaubenden noch andere, die Kinder Abrahams sind (z.B. die Juden, die Beschnittenen)? Gibt es neben den »Abrahamskindern« noch andere, die von Gott gerecht gesprochen werden? In der Auseinandersetzung, die Paulus im Galaterbrief mit missionierenden Judaisten führt, ist v.a. die Frage wichtig, ob diejenigen, die sich an die »Werke des Gesetzes« halten, in irgendeinem »Kreis« noch eine Rolle spielen oder ob sie abseits der Gerechtigkeit stehen.
Fazit: Gal 3,6–7 ist nicht als rhetorisch verkürztes Enthymem zu lesen. Vielmehr nennt das Schriftzitat in 3,6 die große Prämisse und die nachgeschobene Erklärung in 3,7 die kleine Prämisse. Der logische Schluss wird nicht explizit gezogen. 3,8–9: V. 8 formuliert einen Satz, der sich aus der unausgesprochenen Konklusion von V. 6f als Folgerung ableiten lässt: PaD HaP HaD
(1&2) Glaubensmenschen sind von Gott Gerechtfertigte. (Konkl. aus V. 6f) »Heiden«christen sind Glaubensmenschen. (Implikat aus 3,2310) (3) »Heiden«christen sind von Gott Gerechtfertigte. (3,8a)
Diesen Gedankenschritt braucht der Text nicht explizit zu machen, weil sich aus V. 6f mit Sicherheit die große Prämisse ergibt, und mit ebensolcher Sicherheit trifft aufgrund der Situation des Lesenden die kleine Prämisse zu. Der Übergang zur Aussage in Satz 3 ist also zulässig und ist im weiteren Sinne als Konklusion von 6f aufzufassen311.
H
P
A
D
Graphik 2
V. 8f sucht aber eine weitere Stütze für die Aussage HaD zu bieten312. Inhaltlich möchte Paulus mit der Schrift den Erweis bringen, dass die 310 Paulus
fragt rhetorisch: »Habt ihr aus Werken des Gesetzes den Heiligen Geist empfangen oder aus dem Glaubensgehorsam (hex hako¨jß pístewß)?« 311 Um von dem Gen-Zitat in 3,6 auf die Aussage in 3,8 zu kommen, müssen die folgenden semantischen Entsprechungen angenommen werden: pisteúw (AT) = oÓ pístewß (7) / hek pístewß (8) und logízomaí tini e˙ß dikaiosúnjn (AT) = dikaiów (8). 312 Einen besonders unachtsamen Umgang mit logischen Begriffen legt MARTYN , 301 an den Tag. Er sieht im Hintergrund von 3,8 »a simple syllogism«, den er wie folgt zum Ausdruck bringt: »The major premise is provided by an event witnessed by Paul almost every day: God is now making things right in the Gentile world by the rectifying faith of Jesus
156
III. Analyse paulinischer Texte
Konklusion aus V. 6f bereits Abraham in Form eines »vorweggenommenen Evangeliums« bekannt war. Die semantische Gleichschaltung von »Segen« und »Rechtfertigen«, die notwendig ist, um das Zitat aus Gen 12,3 (und 18,18) als Grundlage für die Konklusion in 8a einsetzen zu können, lässt sich als große Prämisse in etwa so fassen: SaD HaS HaD
Alle Gesegneten (in Abraham) sind von Gott Gerechtfertigte. Alle Nichtjuden sind von Gott Gesegnete (in Abraham). (3,8b) Die (glaubenden) Nichtjuden sind von Gott Gerechtfertigte. (3,8a)
Anders ausgedrückt: SaD HaS HaD
Der Abrahamssegen ist die Rechtfertigung aus Glauben. Alle Nichtjuden nehmen teil am Abrahamssegen. Alle Nichtjuden nehmen teil an der Rechtfertigung aus Glauben.
H
S
D
Graphik 3
V. 9 bringt diesen Argumentationsgang nochmals vom Segen der Nichtjuden auf die allgemeinere Stufe: Ganz allgemein sind die Glaubenden mit Abraham gesegnet. In der Partikel “wste vermischen sich Aspekte der Folgerung (»deshalb, daher, also« als Einführung zu selbstständigen Sätzen313), der Finalität (»so dass« als Einführung zu abhängigen Sätzen314) und der Intentionalität (»damit«, »in der Absicht« ähnlich wie “ina).
V. 9 sollte am ehesten als Folgerung gelesen werden315. Wie aber ist logisch auf den Satz zu schließen »Die Glaubensmenschen sind Gesegnete mit dem Christ (2:16). The minor premise is Paul’s certainty that the God who is doing this new deed is the same God who dealt with Abraham. Conclusion: Read in light of this new deed, the promise spoken to Abraham by scripture (in God’s behalf) was the word of this same God, indeed the gospel of Christ.« Wenn »Prämissen« aus einem »event witnessed« und aus »Paul’s certainty« hergeleitet werden, bewegt sich die Analyse trotz der gewählten Fachtermini so weit außerhalb der Logik, dass es nicht mehr verwundern darf, wenn weder die Prämissen formalisierbar sind noch die von MARTYN formulierte conclusio sich daraus notwendig ableiten lässt. 313 Vgl. im unmittelbaren Umfeld 3,24: »Also (“wste) ist das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus hin geworden, damit wir aus Glauben gerechtfertigt würden.« 4,7: »Also (“wste) bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; wenn aber Sohn, so auch Erbe durch Gott.« 4,16: »Bin ich also (“wste) euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage?« 314 Z.B. Gal 2,13: »Und mit ihm heuchelten auch die übrigen Juden, so dass (“wste) selbst Barnabas durch ihre Heuchelei mit fortgerissen wurde.«
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
157
glaubenden Abraham« (oÓ hek pístewß ehulogoüntai sùn t¨^w pist¨^w h Abraám = PaS)? Aus dem Schriftzitat alleine lässt sich das nicht schließen, denn die Verheißung, dass die Nichtjuden am Abrahamssegen teilnehmen (HaS), wäre nur mit dem folgenden inhaltlich absurden Syllogismus wirklich als Prämisse zum Schluss PaS verwertbar: HaS PaH PaS
Alle Nichtjuden sind Empfänger des Abrahamssegens. (3,8b) Alle Glaubenden sind Nichtjuden. Alle Glaubenden sind Empfänger des Abrahamssegens. (3,9)
Die implizite kleine Prämisse, dass alle Glaubenden Nichtjuden sind, ist Paulus natürlich nicht zu unterstellen. Auf den ersten Blick reizvoll erscheint der Vorschlag von Morland für einen Syllogismus in V. 8f316: »General premise: In thee (= Abraham) shall all the nations be blessed (3:8b). Specific premise: Those who are men of faith are in Abraham. (= 3:7) Conclusion: Those who are men of faith are blessed. (3:9a; cf. 3:8a)«
Dieser Syllogismus scheint einen Barbara-Schluss in der ersten Figur darzustellen. Problematisch ist jedoch die Stellung der Terme in der Oberprämisse. Subjekt des Satzes sind eigentlich die Nichtjuden, so dass der Satz eigentlich lauten müsste: »All nations shall be blessed in thee.« Dadurch aber ändert sich die Position des Mittelterms »in thee« und der Schluss ist nicht mehr gültig. Sucht man jedoch im vorherigen Kontext nach »verwertbaren« Prämissen, dann gelangt man leicht zu folgendem Schema: DaS PaD PaS
Alle Gerechtfertigten sind Empfänger des Abrahamssegens. Alle Glaubensmenschen sind Gerechtfertigte. (Konklusion aus 6f) Alle Glaubensmenschen sind Empfänger des Abrahamssegens.
P
D
S
Graphik 4
Wenn man abschließend die beiden impliziten Prämissen in V. 8 und 9 vergleicht, dann wird deutlich, dass Paulus nicht davon ausgeht, dass der Abrahamssegen die Rechtfertigung aus Glauben umfasst, sondern mit dieser identisch ist317, denn es gilt: SaD DaS 315 Vgl.
Der Abrahamssegen ist die Rechtfertigung aus Glauben. (3,8) Die Gerechtfertigten aus Glauben sind Empfänger des Abrahamssegens. (3,8)
den Gebrauch der Partikel nach Schriftzitaten in Gal 3,24 und 4,7. Curse, 199. 317 Das stellt – ohne logische Analyse – auch BETZ fest (142). 316 MORLAND ,
158
III. Analyse paulinischer Texte
Die beiden sind also deckungsgleich. Damit hat Paulus unausgesprochen eine Reduktion vorgenommen: Es gibt keinen Abrahamssegen außerhalb der Rechtfertigung und umgekehrt318.
P
D=S
Graphik 5
Wenn der Satz HaD (»Nichtjuden werden von Gott aus Glauben gerechtfertigt«) bereits aus 6f folgt, wäre zu fragen, warum sich Paulus die Mühe macht, nochmals von einer anderen Seite her darauf zu schließen. Darüber kann nur vorsichtig spekuliert werden: Graphik 1 (zur Argumentation in 6f) macht deutlich, dass noch nicht gezeigt werden konnte, welche Bedeutung dem Halten des Gesetzes in der Frage der Abrahamskindschaft, bzw. für die »Gerechten« zukommt. Paulus hat deutlich einen Ausschluss vor Augen und möchte die einzelnen »Kreise« exklusiv deuten. In V. 8 nimmt er daher einen semantischen Wechsel vor, der es ihm erlaubt, mit Schriftworten die beiden sich ausschließenden Gegensätze »Segen« und »Fluch« einander gegenüberzustellen. Mit der Sprache der »Rechtfertigung« wäre dies gleichwohl schwerer, weil ein klares Antonym dazu fehlt. Mit der Sprache von »Segen« und »Fluch« ist dies jedoch möglich. Jetzt kann er nach dem positiven Beweis (confirmatio) auch die negative Seite (refutatio) beleuchten. Ziel ist es zu zeigen, dass die Torahmenschen nicht in den Kreis des Segens gehören 319.
3,10: Vieles hängt aber von der Frage ab, ob Paulus Segen und Fluch als konträre oder als kontradiktorische Gegensätze versteht320. Der Anspruch der Argumentation ist, dass das Schriftzitat aus Dtn 27,26 die Aussage in 10a begründet (gár). Dass es dafür einer Zusatzprämisse bedarf, ist eine Tatsache, 318 Ob
er damit rechnen konnte, dass diese implizite Prämisse erkannt und v.a. geteilt werden konnte? REINBOLD, Erfüllbarkeit, 95 stellt zwar zuerst zu V. 9 fest: »Die Logik dieses Schlußes ist nach dem Vorhergesagten evident.« Fügt aber die entscheidende Frage hinzu: »Wer den Text genau liest, kann sich mit diesem Schluß indes noch nicht zufrieden geben. Denn bislang hängt der Nachweis im entscheidenden Punkt in der Luft. Wie kommt Paulus dazu, den Segen aus dem zweiten Schriftzitat so ohne weiteres mit der Glaubensgerechtigkeit in Verbindung zu bringen?« 319 Richtig beobachtet BETZ, 143: »The conclusion in v 9, however, shows already that the thesis of v 7 is exegetically correct. What is still to be done is the elimination of those who base their salvation upon the ›works of the Torah‹.« 320 Konträr würde heißen, dass zwar niemand gleichzeitig gesegnet und verflucht sein kann, aber dass jemand, der nicht gesegnet ist, nicht zwangsläufig verflucht ist (also die Negation von beiden kann wahr sein, wie z.B. bei »schwarz« und »weiß«). Kontradiktorisch bedeutet, dass wenn eines zutrifft, zwangsläufig das Gegenteil davon falsch sein muss und umgekehrt; d.h. wer nicht am Segen teilnimmt, steht unter einem Fluch; und wer nicht unter einem Fluch steht, nimmt am Segen teil.
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
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die viel Diskussion ausgelöst hat (s.o. S. 143ff)321. Es ist äußerst wichtig, Inhaltliches und Formelles zu trennen. Wenn sich die Aussage in 3,10a aus der Aussage 3,10b logisch herleiten soll, dann muss eine Zusatzprämisse hinzugedacht werden. 3,10b Jeder O [“oß ohuk hemménei päsin toïß gegramménoiß] ist K [hepikatáratoß]. [Implizite Prämisse] 3,10a Alle N [“osoi hex ‘ergwn nómou] sind K [Hupò katáran].
Das Auffinden einer impliziten Prämisse ist bei der Konstellation von zwei Sätzen mit drei verschiedenen Termen (O, K, N), von denen einer wiederholt wird (K), sehr einfach. Die kleine Prämisse muss für einen Barbara-Schluss der ersten Figur die Struktur NaO aufweisen322. Also: 3,10b Jeder O [“oß ohuk hemménei päsin toïß gegramménoiß] ist K [hepikatáratoß]. Alle N [“osoi hex ‘ergwn nómou] sind O [“oß ohuk hemménei päsin toïß...]. 3,10a Alle N [“osoi hex ‘ergwn nómou] sind K [Hupò katáran].
Formal323: OaK NaO NaK
321 LAMPE,
(7) Jeder Gesetzesübertreter ist ein Verfluchter. (3,10b) Jeder Nomosmensch ist einer, der nicht alle Gebote erfüllt. (6) Jeder Nomosmensch ist verflucht. (3,10a)
Reticentia, 33 macht im Übrigen eine komplizierte und logisch schwer nachvollziehbare Rekonstruktion, um zu zeigen, dass auch dieser Satz von Paulus »bewiesen« wird. 322 Logisch irreführend ist die Auseinandersetzung, die CRANFORD, Perfect Obedience, 248 mit T.R. SCHREINER, Is Perfect Obedience to the Law Possible: A Re-examination of Galatians 3:10, JETS 27 (1984) 151–160 führt. SCHREINER illustriert die Notwendigkeit der impliziten Prämisse anhand des folgenden Satzes: »Maior: Alle Märchengestalten sind fiktiv. Conclusio: Aschenputtel ist fiktiv. Also muss minor lauten: Aschenputtel ist eine Märchengestalt.« CRANFORD versucht die Logik dieses Barbara-Schlusses durch folgenden analogen Satz ad absurdum zu führen: »Maior: Alle Junggesellen sind Männer. Conclusio: Tom ist ein Mann.« Die implizite zweite Prämisse müsste nun lauten: »Tom ist ein Junggeselle.« Dagegen wendet CRANFORD ein: »What should be obvious is that it is not [Hervorhebung vom Autor] logical to accept the implied proposition ›Tom is a bachelor‹« Die Begründung für diese Behauptung ist nicht logischer, sondern inhaltlicher Art: »While it might be true that Tom is a bachelor, it might just as well be totally false.« CRANFORD verwechselt in seiner Auseinandersetzung mit SCHREINER Inhalt und Form. Wenn aus dem Satz »Alle Junggesellen sind Männer«, logisch auf den Satz geschlossen werden soll »Tom ist ein Mann«, dann muss in der Tat die implizite Prämisse lauten: »Tom ist ein Junggeselle.« Die Frage, ob das wahr ist oder nicht, hat mit der logischen Frage nach der impliziten Prämisse nichts zu tun. 323 Vgl. auch MORLAND, Curse, 204. LAMPE, Reticentia, 29 weitet die Terme zu stark aus: Maior: Jeder, der das Gesetz übertritt, ist verflucht. Minor: Niemand [also kein Mensch] erfüllt alle Gebote. Conclusio: Jeder steht unter dem Fluch. Paulus will ja nicht zu dem Schluss gelangen, dass alle Menschen verflucht sind, er will vielmehr zeigen, dass all jene unter einem Fluch stehen, die sich auf die Gesetzeswerke verlassen.
160
III. Analyse paulinischer Texte
Wenn zwischen »Verfluchung« und »unter einem Fluch stehen« unterschieden wird (s.o. S. 142), wird man einen »weicheren« Modus wählen müssen: Gesetzesübertreter sind verflucht. Gesetzesmenschen können das Gesetz übertreten. (Sie tun es nicht notwendigerweise.) Gesetzesmenschen können verflucht werden. (Sie stehen unter einem Fluch.)
Die Frage, was diese implizite Prämisse aussagt, ist keine Frage der Logik, sondern der Exegese. Der Satz behauptet den Tatbestand der Gesetzesübertretung prima facie nicht von allen Menschen oder von allen Juden, sondern von allen, auf die es zutrifft, dass sie hex ‘ergwn nómou leben. Deswegen »funktioniert« diese Logik auch dann, wenn man sich Dunn’s Verständnis der Wendung ‘erga nómou anschließt (s.o. S. 141f)324. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Frage, wie das erste gár zu verstehen ist. Wenn es in seiner vollen begründenden Funktion ernst genommen werden soll, dann würde das heißen, dass in 3,10 eine Prämisse gefunden werden muss, die einen Schluss auf 3,9 erlaubt; d.h.: »Weil alle Gesetzesmenschen unter einem Fluch stehen, sind die Glaubensmenschen gesegnet.«325 Ein solcher Schluss ist nur sehr schwer zu rekonstruieren326. Man müsste, um mit ähnlichen Termen operieren zu können, die Aussage in V. 9 umwandeln von »Alle Glaubensmenschen sind mit Abraham gesegnet« (PaS) in »Kein Glaubensmensch ist von Gott verflucht« (PeK). Wie lässt sich aber von V. 10 (NaK) auf diese Aussage schließen? Der folgende Schluss ist formal ungültig 327: NaK PeN PeK
Alle Nomosmenschen sind verflucht (3,10). Kein Glaubensmensch ist ein Nomosmensch. (vgl. 3,12a) Kein Glaubensmensch ist verflucht. (3,9 umgewandelt)
Es gäbe einen gültigen Schluss in der zweiten Figur: KaN PeN PeK
324 Die
Alle Verfluchten sind Nomosmenschen. (Das sagt 3,10 nicht aus!). Kein Glaubensmensch ist ein Nomosmensch. (vgl. 3,12a) Kein Glaubensmensch ist verflucht. (3,9 umgewandelt)
“osoi hex ‘ergwn nómou wären in diesem Fall nicht alle Menschen, die sich nach der Torah richten, sondern jene, die die Torahfrömmigkeit auf die äußeren physischen Merkmale reduzieren. Ähnlich CRANFORD, Perfect Obedience, 249; R.G. HAMERTON-KELLY, Sacred violence and the curse of the Law (Galatians 3,13), NTS 36 (1990) 116. 325 Lockerer versteht BETZ, 144 den Anschluss: »gár should best be taken as inferential (›certainly, so, then‹) or as marking another step in the argument.« LAMPE, Reticentia, 29, Anm. 7: »Das erste gár in Gal 3,10a markiert diesen Übergang zur Negativargumentation, ist also fortführend im Sinne von ›aber‹ wie in 1,11; 5,13.« Zu ähnlichen Meinungen vgl. REINBOLD, Erfüllbarkeit, 96, Anm. 14, der selbst meint, dass V. 10 e contrario eine Begründung für das zuvor Gesagte bringe; s.a. ECKSTEIN, Verheißung, 121; SIEFFERT, 177. 326 WILLIAMS, 88 bemerkt, zwischen V. 9 und 10 »some thought seems to be missing«. 327 Ein Beispiel für die logische Ungültigkeit der Form a-e-e in der ersten Figur: »Alle Autos haben Räder. Kein Fahrrad ist ein Auto. Also: Kein Fahrrad hat Räder.«
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
161
Der Übergang von 6–9 zu 10–12 weist logische Brüche auf. Die Argumentation wird dabei von der Annahme geleitet, dass es zwischen »Glaubensmenschen« und »Nomosmenschen« keine Schnittmenge gibt328. Dies wird bereits in der propositio in Gal 2,15–21 vorausgesetzt. 3,11–12: Ein gültiger Schluss aus den Sätzen dieser beiden Verse lässt sich in der zweiten Figur (Camestres) mit einer Implikation herstellen, die in 12a explizit genannt wird329: DaP (9) Der Gerechtfertigte ist ein Glaubensmensch. (11b) NeP 330 (10) Kein Nomosmensch ist ein Glaubensmensch. (vgl. 12a) NeD (8) Kein Nomosmensch ist ein Gerechtfertigter. (11a)
Sachlich entspricht dieses Ergebnis dem von V. 10331. Die Funktion von 12b ist nicht ganz deutlich. Gerne wird das Zitat als direkte Begründung von 12a gelesen. Dagegen dürfte aber der Anschluss mit hallá (statt gár oder “oti) sprechen. Das Schriftzitat aus Lev 18,5 kann vielmehr als »Definition« dessen verstanden werden, was einen »Nomosmenschen« ausmacht. Die Betonung liegt auf poi´jsaß ahutá (vgl. bereits 10c: toü poi¨jsai ahutá)332. Offenbar möchte die Argumentation darauf hinaus, Tun (12b) und Glauben (11b) streng als zwei »Lebenswege« voneinander zu trennen. Logisch lässt sich jedoch daraus nichts ableiten333. Der folgende Versuch zeigt, dass hier die logische Analyse an ihre Grenzen gelant: TeP NaT NeP 328 Paulus
Kein Tatmensch ist ein Glaubensmensch. (unde?) Jeder Nomosmensch ist ein Tatmensch. (3,12b) Kein Nomosmensch ist ein Glaubensmensch. (12a)
fasst beide Begriffe ebenso wie das Begriffspaar »Fluch« und »Segen« im Sinne eines kontradiktorischen Gegensatzes auf. Richtig daher BETZ, 144: »Not being blessed is the same as being cursed«. 329 Dieser Schluss ist bereits klar von BAUER, Logicae, 343 erkannt worden. Er wird auch heute noch relativ häufig so herausgearbeitet: LAMBRECHT, Curse, 283; MORLAND, Curse, 212; STANLEY, Curse, 503, Anm. 58; VOUGA, 75: »Der Obersatz (V. 11b) hat den Schluss V. 11a zur notwendigen Folge.« VOUGA, 74 betont die logische Funktion von d¨jlon in 3,11a. 330 Das entspricht definitiv nicht jüdischem Selbstverständnis. LAMPE, 31: »Ob die Folgerung dieses dritten Verfahrens jüdisch beeinflusste Leser inhaltlich überhaupt überzeugt haben wird, wäre auf einem anderen Blatt (wohl negativ) zu beantworten.« 331 LAMPE, Reticentia, 30. 332 Der Wechsel vom Sg. nómoß (12a) zum Pl. ahutá macht deutlich, dass die Gebote im Blick sind, die päsin toïß gegramménoiß hen t¨^w biblí^w toü nómou toü poi¨jsai. 333 LAMPE, Reticentia, 31f möchte aus 12b und 11b den Schluss herleiten, dass Glaube und Nomos zwei verschiedene Wege darstellen. Abgesehen von der Frage, wie dies sachlich zu 3,21 passt, ist ein solcher Schluss m.E. logisch schwer nachvollziehbar. Lampe stellt zwar fest, dass sich beide Begriffsfelder nicht widersprechen, begründet aber seine Trennung damit, dass sonst beide Sätze nur »Halbwahrheiten« wären und Paulus nur »Vollwahrheiten« akzeptieren könne. Solche Formulierungen sind für die Ansprüche formaler Logik eher verwirrend.
162
III. Analyse paulinischer Texte
3,13–14: Der asyndetische Anschluss in V. 13, der Wechsel zur ersten PluralForm und der deutlich kerygmatische Sprachcharakter sind untrügliche Zeichen dafür, dass hier die Redeform von der argumentierenden in eine stärker bekennende Redeweise wechselt. Dementsprechend fehlen auch logisch relevante Verbindungspartikeln – mit Ausnahme des sehr einfach aufgebauten Schriftbeweises aus Dtn 27,26334: XeK CaX CaK
Jeder Gekreuzigte ist verflucht. (3,13c) Jesus ist ein Gekreuzigter. Jesus ist verflucht.
Abgesehen davon, weist nichts im Text darauf hin, dass die kerygmatische Aussage »Christus hat uns freigekauft vom Fluch des Gesetzes« in irgendeiner Weise logisch aus dem Satz »Jesus ist ein Verfluchter« abgeleitet werden kann335. Auch die beiden “ina-Sätze sind als Finalsätze nicht in Form eines Schlusses zu fassen336. 14b knüpft zudem an 3,1–5 an und führt den verheißenen Geist in die Argumentation ein. 14a sieht in der Heilstat Jesu die Vermittlung des Abrahamssegens an die Nichtjuden. Was also in 6–8 erschlossen wurde, wird hier nochmals kategorisch affirmiert. c) Gesamtgedankengang Trotz der Schwierigkeiten im Einzelnen wird ein doppelter Argumentationsgang deutlich: 6–9 (positiv) und 10–12 (negativ). Die rhetorische Bewegung des Textes ist die eines »progressiven Ausschlusses«: Legende: (n): (n*): (I-n): kursiv:
334 Ebenso
Satznummer Geschlossener Satz Implizierter Satz Schriftzitat
LAMPE, Reticentia, 34 und MORLAND, Curse, 215, der aufgrund der antichristlichen Polemik, zu der sich eine Aussage wie »Jesus ist verflucht«, so treffend eignet, schreibt: »The logic is clear, but very risky.« 335 LAMPE, Reticentia, 34 formuliert die folgenden drei Sätze: »[J] Jesus war (unverdientermaßen) verflucht. [A] Wir stehen (verdientermaßen) unter dem Fluch des Gesetzes. [K] Christus konnte stellvertretend den uns geltenden Fluch auf sich nehmen.« (Alle Klammern vom Autor) Aus [J] und [A] lässt sich jedoch Satz [K] unmöglich folgern. Die »Logik« des Austausches (»unschuldiges Leben sühnt schuldiges Leben«) ist nicht formalisierbar. 336 MORLAND , Curse, 219 versucht es mit dem folgenden Syllogismus: »General premise: Those that are redeemed from the curse will be blessed. Special premise: We were redeemed by Christ from the curse of the law (3.13). Conclusion: Therefore we will be blessed (3.14).« Das Problem ist wieder eines der Formalisierung: In V. 13 steht Hjmäß höchstwahrscheinlich für die Judenchristen, wohingegen V. 14 ausdrücklich von den Christen nichtjüdischer Provinienz (tà ‘eqnj) spricht.
163
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
6–7 (nach Barbara I) (1) (2) (1*)
AaD (3,6) PaA (3,7) PaD
P
A
D
Alle Glaubenden sind von Gott Gerechtfertigte.
Zwischenschritt: Übergang von 6f auf 8 (nach Barbara I) (1*) (I-1) (3)
PaD HaP HaD (3,8a)
H
P
A
D
»Heiden«christen sind von Gott Gerechtfertigte.
8 (nach Barbara I) (I-2) (4) (3)
SaD HaS (3,8b) HaD (3,8a)
H
S
D
P
D
S
»Heiden«christen sind von Gott Gerechtfertigte.
9 (nach Barbara I) (I-3) (1*) (5)
DaS PaD PaS (3,9)
Glaubende sind von Gott Gesegnete.
Aus I-2 und I-3 kann abgeleitet werden: D=S P
D=S
Ergebnis: Die Nichtjuden sind als Glaubende an Christus Empfänger des Abrahamssegens, der identisch mit der Rechtfertigung aus Glauben ist. V. 10 schafft mit dem Antonym »Fluch« einen »Gegenbereich«:
H
P
S =D
N
O
K
Während die Nichtjuden als Glaubende am Segen teilnehmen, sind die Nomosmenschen als Übertreter verflucht.
164
III. Analyse paulinischer Texte
V. 10 (nach Barbara I) [begründet aber kaum das zuvor Gesagte] (7) OaK (I-4) NaO (6) NaK
(3,10b) (3,10a)
V. 11f macht nochmals deutlich, dass der Bereich »unter dem Fluch« nichts mit dem Bereich des Abrahamssegens zu tun haben kann337: Die Konklusionen sind beide Male negativ: H
S=P=D
NeD NeP
11–12a (nach Camestres II) (9) DaP (10) NeP (8) NeD
(3,11b) (3,12a) (3,11a)
Die Funktion von 12b ist unklar (Anschluss mit hallá). Wird so geschlossen (nach Celarent I [auch gültig nach Camestres II])? TeP NaT NeP
(I-5) Kein Mensch des Tuns (des Gesetzes) ist ein Mensch des Glaubens. (11) Jeder Nomosmensch ist ein Mensch des Tuns. (3,12b) (8) Kein Nomosmensch ist ein Mensch des Glaubens. (3,12a)
V. 13f: Der »axiomatische« Rückgriff auf das Kerygma zeigt (ohne es logisch zu begründen), wie der Übergang vom Fluch zum Segen durch den Tod Jesu vermittelt wird. Dass dieser »Austausch« sprachlich an die FluchTerminologie anknüpfen kann, ist ein »eleganter« Abschluss. Logisch formalisierbar ist nur 13b.c: (14) XaK (3,13c) (I-6) CaX (13) CaK (3,13b)
d) Fazit Wenn Becker generell für den Stil des Paulus im Gal behauptet, »streng logisch aufgebaute Gedankenketten treten zurück«338, dann ist das bei Betonung der logischen »Strenge« durchaus richtig. Im konkreten Fall von Gal 3,6–12 lässt sich eine logische Argumentation nur mit unausgesprochenen
337 Wobei
durch die Prämisse DaP in V. 11b stillschweigend noch eine wichtige Gleichsetzung vorgenommen wird: D = P. 338 BECKER, 9.
C. Unvereinbarkeit von Abrahamssegen und Gesetzesfluch (Gal 3,6–14)
165
Hilfsprämissen rekonstruieren339. Besonders verwirrend sind die stillschweigenden Gleichsetzungen, die hinter der Argumentation immer wieder vorgenommen werden. Die Vertauschung von Subjekt und Objekt wäre zwar ein logischer Fehler, aber es ist ebenso möglich, ein wirkliches Überzeugungssystem (wenn auch ein recht eigensinniges) dahinter zu vermuten. Die logische Analyse muss durch die ihr gestellte Aufgabe der Prüfung von Schlüssen auf manche sprachliche Eigentümlichkeiten sehr präzise ihr Augenmerk richten. Dabei versucht sie, »implizite« Schritte zu rekonstruieren340. Dabei geht es nicht darum, dem Apostel auf alle Fälle »Logik« nachzuweisen, sondern sich um die inneren Prozesse der sprachlichen Argumentation zu bemühen. Gal 3,6–14 zeigt jedoch deutliche Grenzen solcher Konstruktionen. Zuweilen sind Prämissen anzunehmen, die sich nicht unbedingt allgemeiner Anerkennung erfreut haben dürften341: 1. Der Übergang von V. 6 zu V. 7 ist logisch dann äußerst brüchig, wenn ‘ara als Folgerungspartikel und V. 7 entsprechend als logische Konklusion aufgefasst werden. In diesem Fall wäre es um die Logik des Textes bereits recht früh sehr schlecht bestellt. Im Sinne des hier durchgeführten logischen »Experiments« ist die seltenere Bedeutung von ‘ara im Sinne einer rhetorischen Hervorhebung (ähnlich in 1Kor 15,15) als Grundlage der Analyse gewählt worden. Damit jedoch soll eine Entscheidung darüber, ob Paulus logisch argumentiere, nicht präjudiziert, sondern nur die Möglichkeit einer logisch kohärenteren Lektüre erwiesen werden. 2. V. 8f implizieren eine völlige Identität von Abrahamssegen und Rechtfertigung aus Glauben. Das entspricht sicherlich nicht den gängigen Deutungen der Genesis-Stelle. 3. Der Übergang von V. 9 zu V. 10 (mit dem irreführenden einleitenden gár in V. 10) ist nicht klar. Paulus will ganz klar die Nomosmenschen aus dem Kreis der Gesegneten = Gerechtfertigten herausdrängen. 339 Aussagen
zur »Logik« von Gal 3,6–14 bewegen sich meistens auf der Ebene eines eher mataphorischen Wortgebrauchs: LÜHRMANN, 59 etwa: »Die Logik der paulinischen Argumentation beruht also auf der christologischen Interpretation eines Kernstücks des Alten Testaments selber.« Oder BRUCE, 160: »Paul’s thinking is dominated by the logic of his conversion experience.« HAYS, Faith, 184ff spricht von »narrative logic«. Die Frage nach der Logik im eigentlichen Sinne wird durch solche Aussagen nicht berührt. 340 LAMPE, 27 passim spricht von »Brachylogia« und fragt zu Recht, ob »die aus reticentia und detractio resultierende Brachyologie … [nicht] den Lesern zuviel zumutet« (34). E. HAGENBICHLER, Art. Brachylogie, HWRh 2 (1994) 50–53 definiert Brachylogie als »knappen, gedrängten Stil, bei dem trotz aller Kürze des Ausdrucks Unklarheiten vermieden werden.« (50) Rhetorisch gehört sie zur detractio, also zu den Gedankenfiguren der Weglassung (51). 341 REINBOLD , Erfüllbarkeit, 95 meint, dass Paulus in V. 7 »kühn« folgert (ähnlich spricht bereits LIETZMANN, 19 von V. 7 als »verblüffend kühne Folgerung«). Eine logische Folgerung kann nie »kühn« sein, sie kann nur gültig oder ungültig sein. Als »kühn« würde ich jedoch die vorausgesetzten Prämissen bezeichnen!
166
III. Analyse paulinischer Texte
4. Die Prämisse in V. 10, dass kein Gesetzesmensch alle Gebote erfüllt, ist gerade im Rahmen allgemeiner jüdischer Vorstellungen über den Bund und den Segen der Vergebung kaum einsichtig. 5. Die strikte Trennung in V. 12 von Tun und Glauben wird nirgends begründet342. Nach meiner Wahrnehmung »rettet« das Kerygma die Argumentation dort, wo sie am schwächsten wird, bzw. wo sie nicht weiter begründet werden kann: Handeln und Glauben sind zwei unterschiedliche Prinzipien. Dass aber Prämissen rekonstruiert werden, die u.U. nicht auf allgemeine Akzeptanz hoffen durften, macht die Argumentation nicht unlogisch, sondern schwächt höchstens im konkreten Kommunikationskontext ihre persuasive Kraft. Ein kategorisches Urteil, das geradezu axiomatisch auf die gesamte Argumentation wirkt, findet sich in Gal 2,21343: »Denn wenn durch das Gesetz Gerechtigkeit (kommt), dann ist folglich Christus umsonst gestorben.« (e˙ gàr dià nómou dikaiosúnj, ‘ara Cristòß dwreàn hapéqanen.) Gal 3,6–14 wäre somit eine Art a-posteriori-Argumentation für die völlige Trennung von Gesetz und Gerechtigkeit344.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20) 1. Exegetische Vorfragen Der Abschnitt 1,18–3,20 lässt eine hohe argumentative Dichte erkennen. Neben einer Häufung von begründenden Partikeln345 weisen die verwendeten Stilelemente deutlich auf eine persuasive Sprechintention hin346. Eine eingehende Diskussion zur Gesamtgliederung und zur Frage nach dem Genus des Röm kann (und braucht) hier nicht geführt zu werden347. Es lässt sich 342 Sie
kann vielleicht als »Erfahrungsaxiom« des Paulus (1,11f) und der Galater (3,5) verstanden werden. (Hinweis von U. Luz) 343 Die ungewöhnliche Interpretation von Schriftzitaten führt RÄISÄNEN zu dem Urteil: »Paul is pushed to develop his argument into a preordained direction … He simply had to come to the conclusion that the law cannot be fulfilled.« (Paul and the Law, 108) 344 LUZ, 93: Paulus »denkt hier apriorisch in Alternativen« (vgl. Gal 2,21; 3,2). 345 U.a. gár (1,16a.b.17b.19a.b.26a), dióti (1,18.20b), dió (1,23), dià toüto (1,25), kausales kaq´wß (1,28) usw. Ob die Partikeln im Einzelnen wirklich begründenden Sinn haben, wird zu prüfen sein. 346 Vgl. die ausführliche Stilanalyse in SCHMELLER, Diatribe, 254–265. Nach SIEGERT, Argumentation sind in diesem Abschnitt folgende Stilelemente zu finden: Antithesen (durchwegs in 1,18ff; S. 182–185), Argumente ad personam (2,1.17; S. 229) und ad hominem (3,5; S. 228), Anapher und Epipher (2,21f; S. 234 [vgl. dazu LAUSBERG , Handbuch, §§629– 634), Topos von Gott als »Vorbild« (1,20; 2,4; 3,4.19; S. 212f). 347 Vgl. neben den Kommentaren die Diskussion in SIEGERT, Argumentation, 112–119 und U. LUZ, Zum Aufbau von Röm 1–8, ThZ 25 (1969) 161–181. Die vorsichtige Skepsis,
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
167
zwar von 1,18ff als probatio reden348, aber eine weitere Segmentierung mit den Mitteln antiker Rhetorik scheint mir wenig aussichtsreich. a) Argumentationsziel von 1,18–3,20 Dass sich ein Bogen von 1,18 bis 3,20 spannt, lässt sich anhand von zwei rückblickenden Meta-Aussagen ablesen: In 3,9b blickt Paulus auf den bisherigen Argumentationsgang zurück und gibt zugleich eine Zusammenfassung dessen, was (zumindest dem Anspruch nach) darin gezeigt worden ist. Nach einer langen Kette von Schriftzitaten fügt 3,19 einen weiteren Hinweis auf die Textpragmatik an. In 3,20 wird schließlich der negative Schluss aus dem gesamten Abschnitt gezogen, der als These das Fundament für die Entfaltung des Gedankengangs in 3,21ff bildet. Die rezeptionsleitende Funktion von 3,9 und 3,19 soll hier näher betrachtet werden: 3,9: »Denn wir haben sowohl Juden als auch Nichtjuden vorher angeklagt (pro∆tiasámeqa), dass alle unter der (Macht der) Sünde (pántaß Hufh Hamartían e~inai) stehen.« Das Verb a˙tiáomai, das mit rückverweisendem pro- nur hier im Neuen Testament belegt ist, bedeutet im negativen Gebrauch »jemanden beschuldigen, anklagen, gegen jemanden Anklage erheben«349. Dass das Genus der Anklage dominierend ist, hat sich im Argumentationsverlauf deutlich zu Erkennen gegeben: 1,20: »… damit sie ohne Entschuldigung (hanapolog´jtouß) sind«. 1,24.26.28b: Gott »überließ sie« (parédwken) ihren »Begierden«, ihrer »Leidenschaft«, ihrem »verwerflichen Verstand«. 1,27: Sie »empfangen den Lohn« (hantimisqían ... hapolambánonteß) für ihre Taten.
die ich bereits im Falle von 1Kor (s.o. S. 96ff) und Gal (s.o. S. 129ff) zum Ausdruck gebracht habe, brauche ich hier nicht zu wiederholen. Einen optimistischeren Gebrauch antiker rhetorischer Kategorien belegen u.a. W. WUELLNER, Paul’s Rhetoric of Argumentation in Romans, in: K.P. Donfried (ed.), The Romans Debate (Peabody / Edinburgh, 21991) 128–146; R. JEWETT, Following the Argument of Romans, in: Donfried, Romans Debate, 265–277 und D. HELLHOLM, Amplificatio in the Macro-Structure of Romans, in: Porter / Olbricht, Rhetoric and the New Testament, 123–151. Für eine manchmal allzu negativ wertende Kritik dieser rhetorischen Versuche vgl. ANDERSON, Rhetorical Theory, 169–183. 348 Darin stimmen WUELLNER, Argumentation, 142 (er benutzt allerdings den Begriff confirmatio); JEWETT, Argument, 272f und HELLHOLM, Amplificatio, 138 überein. Gegenüber der »klassischen« Gliederung – die in 1,16f die These oder Überschrift des Ganzen sieht, die anschließend thematisch entfaltet wird – ist das nichts Neues. 349 Vgl. Bauer / Aland, 50. In der LXX finden sich nur drei Belege: 4Makk 4,19 (Jakob beschuldigt seine Söhne und verflucht sie für ihre Gewalttat an den Sichemitern); Prov 19,3 (der unvernünftige Sinn des Menschen stellt Gott unter Anklage); Sir 29,5 (der zahlungsunfähige Schuldner gibt dem Zeitpunkt die Schuld). Das Verb kann auch positiv oder neutral benutzt werden im Sinne von »von jemandem sagen, dass er sei« oder »jemanden oder etwas als Grund für etwas angeben« (vgl. LSJ 44; F.R. ADRADOS [ed.], Diccionario GriegoEspañol [Madrid, 1989] I, 101).
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III. Analyse paulinischer Texte 1,32: Diejenigen, die »die Rechtssatzung Gottes« (tò dikaíwma toü qeoü) kennen, wissen, dass die Übeltäter »des Todes schuldig sind« (‘axioi qanátou e˙sín). 2,1a: »Du bist ohne Entschuldigung (hanapológjtoß) …«. 2,1b: »Der du andere richtest, verurteilst dich selbst (seautòn katakríneiß)«. 2,2f: Das »Urteil Gottes« (tò kríma toü qeoü) ist wahr und unausweichlich. 2,5f: Das »gerechte Gottesgericht« (dikaiokrisía toü qeoü) bedeutet, dass er »jedem gemäß seiner Taten vergilt« (hapod´wsei Hekást^w katà tà ‘erga ahutoü). 2,25: Auch der Jude ist ein »Gesetzesübertreter« (parabátjß nómou).
Auf der »Anklagebank« sitzen gemäß 3,9 »Juden« und »Griechen«. Liest man 1,19–32 von 3,9 her, dann dürfte wohl kein Zweifel daran bestehen, dass Paulus seine Anklage gegen die »Heiden« nicht nur im Sinne rhetorischer »Taktik« benutzt, sondern diese (trotz Übertreibungen) von der Sache her für berechtigt hält350. Das Gegensatzpaar »Jude-Grieche«351 ist von 1,16 als die Argumentation strukturierende Opposition vorgegeben und wird in 2,9f und 3,9 in Erinnerung gerufen (inhaltlich auch in 2,12)352. Damit erweist sich die »traditionelle« Sicht, dass in 1,18–3,8 zwei voneinander unterscheidbare Gruppen angeklagt werden, vom Text her als gut begründet. Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass die Argumentation in 1,18ff (strategisch beabsichtigt?) äußerst sparsam in der expliziten Nennung der jeweils unter Anklage stehenden Menschengruppe ist. Zwischen 1,18 und 2,8 finden sich keine eindeutigen Identifizierungen. Erst in 2,9f ist generell von »Juden« und »Griechen« die Rede. Die ‘eqnj, die am Anfang des Briefes Erwähnung finden (1,5.13), werden in 2,14 (und dann in 2,24) genannt. Eine klare Anrede des fiktiven Gesprächspartners als Jude erfolgt schließlich in 2,17 und wird ab dann regelmäßig wiederholt (2,28f; 3,1.9; ansonsten im Röm nur noch in 3,29; 9,24; 10,12).
Über die Identifizierung der »Beschuldigten« entscheiden zumindest bis 2,17 in erster Linie die verwendeten Topoi, die bei entsprechender intertextueller Kompetenz eine relativ klare Richtung aufzeigen. So lässt die Verwendung antipaganer Allgemeinplätze in 1,19–32 an die nichtjüdische Gesellschaft 350 Dies
scheint mir die These auszuschließen, Paulus baue in 1,19–32 nur eine rhetorische Figur auf, um sogleich in 2,1ff das bisher Gesagte in Frage zu stellen (so der Vorschlag von C.L. PORTER, Romans 1.18–32: Its Role in the Developing Argument, NTS 40 [1994] 210–228, bes. 221–228; ähnlich auch D.A. CAMPBELL, Natural Theology in Paul? Reading Romans 1.19–20, International Journal of Systematic Theology 1 [1999] 231–252). Ebenso unwahrscheinlich erscheint mir die interesante aber übermäßig subtile Lektüre von W. BINDEMANN, Theologie im Dialog: Ein traditionsgeschichtlicher Kommentar zu Römer 1–11 (Leipzig, 1992) 47–97, der in 1,18–3,20 ein ironisches Spiel mit vorgegebenen Topoi, die von Paulus schließlich aufgelöst werden, vermutet. 351 Der Begriff “ Elljn wird zwar umfassend im Sinne von »Nichtjude« benutzt, setzt aber einen stärkeren Akzent auf den kulturellen Unterschied. Deshalb kann Paulus in 1,13f die ‘eqnj in »(gebildete) Griechen« und »(ungebildete) Barbaren« aufteilen. Der Referenzbereich der Begriffspaare h Ioudaïoi - ‘eqnj und h Ioudaïoi - “ Elljneß kann demnach nicht unterschieden werden. Anders BINDEMANN, Theologie, 73, der aus den unterschiedlichen Formulierungen schließt: »Es geht also um Verhältnisse innerhalb der römischen Christenheit und nicht zwischen Juden und Heiden!« 352 Als Oppositionspaar auch Röm 10,12; 1Kor 1,22.24; 10,32; 12,13; Gal 3,28; Kol 3,11.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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denken353. Ähnliches lässt sich ab 2,1ff für jüdische Vorstellungen zeigen (s.u.). In seiner Generalanklage übernimmt Paulus zwar den (nicht unproblematischen) jüdischen Alteritätsdiskurs, der die Menschheit in Juden und »Heiden« einteilt354, er problematisiert aber die Grenzen, indem er in 2,12–29 die Bedeutung der »identity marker« (Gesetz, Beschneidung) »dekonstruiert«. 3,19: »Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz vorschreibt, denen gilt, die dem Gesetz (Ho nómoß) verpflichtet sind, damit (“ina) jeder Mund verschlossen werde (pän stóma frag¨∆) und die ganze Welt Gott gegenüber schuldig werde (Hupódikoß génjtai).« Insofern es nahe liegt, Ho nómoß auf die Schriftzitate in 3,10–18 zu beziehen, finden wir hier eine »hermeneutische« Anweisung, das zuvor Gesagte (auch) auf die Juden zu beziehen, und einen pragmatischen Hinweis: Aus der Zitatensammlung ergibt sich als Resultat355 eine argumentative Sackgasse: Alle Einwände, die gegen die These von 3,9 erhoben werden könnten, sind hinfällig und die ganze Welt soll sich Gott gegenüber als schuldig erweisen. b) Literarischer Kontext (Röm 1,1–17) Die Verse 1–15 enthalten nach dem ungewöhnlich stilisierten Briefeingang (1,1–8) die Danksagung (1,9–12) und die apostolische Selbstempfehlung (1,13–15), die v.a. dem persönlichen Wunsch des Paulus, die Gemeinde(n) in Rom zu besuchen, Ausdruck verleiht. Formal schließt V. 16 mit gár als Begründung an diesen Besuchswunsch an356; ein Wunsch, der in V. 15 ausdrücklich als ehuaggelísasqai bezeichnet wird. Dieser Wortgebrauch entspricht dem Verständnis seines gesamten apostolischen Dienstes als eine Ausdrucksform des »Evangelisierens« im Sinne einer Verpflichtung gegenüber dem Evangelium357.
353 So
die meisten modernen Kommentare. Anführungsstriche deuten eine gewisse Distanz gegenüber der Objektsprache des auszulegenden Textes an. Der pejorative Beigeschmack von »Differenz zum Volk Gottes« und »Gottlosigkeit« ist sowohl dem deutschen Begriff »Heide« als auch dem griech. ‘eqnj eigen. Desweiteren soll auch von Nichtjuden (ohne Anführungsstriche!) die Rede sein. Zur Begrifflichkeit allgemein vgl. N. WALTER, Art. ‘eqnoß, EWNT 1,924–929; U. HECKEL, Das Bild der Heiden und die Identität der Christen bei Paulus, in: R. Feldmeier / U. Heckel (Hrsg.), Die Heiden (WUNT 70; Tübingen, 1994) 269–296. 355 Zu “ina in diesem Sinne vgl. BDR §391.5. Die beiden davon abhängigen Sätze sind chiastisch strukturiert. 356 V. 16 knüpft mit gár an V. 15 an (WILCKENS I, 82, Anm. 95) und nicht an V. 14 (KÄSEMANN, 19). 357 DUNN, I, 34; gegen die sprachlich durchaus mögliche These von G. KLEIN, Der Abfassungszweck des Römerbriefes, in: Ders., Rekonstruktion und Interpretation (BEvTh 50; München, 1969) 129–144, Paulus plane eine »Re-Evangelisierung« der Christen und Christinnen in Rom (vgl. dazu auch DUNN, I, lv–lvi). Im Übrigen anerkennt Paulus 354 Die
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III. Analyse paulinischer Texte
Das Proömium des Röm ist besonders aussagekräftig, weil Paulus als berufener Apostel seine zwei »axiomatischen« Quellen, aus denen sein theologisches Denken seine Prämissen bezieht, ins Spiel bringt: das christliche Kerygma (vgl. das »Credo« in 1,3f) und die »Heiligen Schriften« Israels (1,2). Dass die Propheten Israels auf das Kernstück der Verkündigung, das Evangelium, vorverweisen (1,2), zeigt, wie wenig beide Autoritäten für Paulus in Spannung zueinander stehen. Besonders wichtig im Hinblick auf die Argumentation, die in 1,16 einsetzt, sind die Aussagen über das Evangelium in 1,1–15. Interessant ist zum einen die enge Verquickung der Person des Paulus mit dem Evangelium (nomen actionis für dieselbige Verkündigung), die durch die Beauftragung Gottes zustande gekommen ist (1,1.9), und zum anderen der zeitliche Vorbezug der Propheten Israels auf dieses Evangelium, das vom davidischen Messias zeugt, wie dieser durch die Kraft der Auferstehung sein designiertes Ziel als Sohn Gottes erreicht (1,2–4). Die paulinische Evangeliumsverkündigung hat das Ziel, unter den Nichtjuden den Glaubensgehorsam (1,5: e˙ß Hupako`jn pístewß) zu wecken.
Mit 1,16f stellt Paulus jene Hauptthese vor, die die Diskussion mindestens bis Kap. 11 wenn nicht sogar für den gesamten Brief dominiert. Paulus setzt in 1,16 mit dem persönlichen Bekenntnis358 zur Evangeliumsverkündigung359 ein. Dabei legt die negative Formulierung nahe, dass die Verkündigung des Evangeliums je nach Beurteilungsblickpunkt etwas ist, dessen man sich schämen könnte360. Die Kategorie der Schande ist deswegen (gár) nicht auf das Evangelium übertragbar, weil im Evangelium »göttliche Kraft« (dúnamiß qeoü) und damit Gott selbst zur Wirkung gelangt361. Ziel dieser Dynamik (e˙ß) ist die swtjría, also die Errettung im Gericht362. Die Verkündigung ist als heilsame Kraft Gottes nur für jene wirksam, die glauben (dat. commodi), Juden zuerst und auch Griechen. Für Paulus setzt die Verkündigung des Evangeliums Gottes Kraft zum Heil in Gang, weil (17: gár) sich darin etwas bisher Verhülltes zu erkennen gibt ausdrücklich ihren Status als von Gott »gerufene« Heilsgemeinde (1,6f) und ihren öffentlich wirksamen Glauben (1,8). 358 Die Aussage, dass er sich »nicht schämt« (ohu hepaiscúnomai), ist nicht psychologisch zu deuten. Vielmehr zeigt der Vergleich mit anderen NT-Texten (Mk 8,38; Lk 12,8; Joh 1,20; 2Tim 1,8.12.16; Heb 2,11; 11,16), dass Paulus hier vorgeprägte Bekenntnissprache aufnimmt (vgl. WILCKENS I, 82; FITZMYER, 255). 359 Die Ambivalenz des ehuaggélion-Begriffs zwischen Vollzug der Verkündigung und Inhalt derselben (WILCKENS I, 74f) sollte nicht je nach Kontext auf die eine oder die andere Seite hin aufgelöst werden. Beide Aspekte sind bei Paulus untrennbar miteinander verbunden. 360 WILCKENS I, 82 führt dies plastisch aus. Die Anwendung der kulturanthropologischen Binär-Kategorie Ehre/Schande auf die Evangeliumsverkündigung zeigt, dass diese unter dem Vorzeichen der Ambivalenz steht (ähnlich das »Wort vom Kreuz« in 1Kor 1,18). 361 Ausdrücke aus dem semantischen Feld von »Kraft/Macht« sind so eng mit Gott verbunden, dass Hj dúnamiß schlicht zur Umschreibung für Gott werden kann (vgl. etwa Mk 14,62: hek dexi¨wn kaq´jmenon t¨j ß dunámewß). Diese Nähe dokumentiert auch Paulus in 1,20: Ewige Kraft und Göttlichkeit gehören aufs Engste zusammen. Das Motiv von göttlicher Kraft in einer von Menschen ausgehenden Verkündigung erinnert an das Verständnis des prophetischen Wortes im Alten Israel. 362 Der Zusammenhang von Macht und Rettung gehört besonders zum Ausdruck des Vertrauens in Not in den Psalmen (vgl. Y 20,2; 32,17; 53,3; 117,15; 139,8).
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(hen ahut¨^w hapokalúptetai)363, nämlich die dikaiosúnj qeoü364. Die »Bedingung« des Glaubens, die in V. 16 bereits zur Sprache gekommen ist, findet in der Begründung erneut Erwähnung: nur »aus Glauben« (hek pístewß) gibt sich die im Evangelium wirksame Gerechtigkeit Gottes zu erkennen365. Die Verknüpfung zwischen »Evangelium«, »Glaube« und »Heil«, die Paulus über die Begriffe der Macht und der Gerechtigkeit Gottes herstellt, sieht er bereits in ähnlicher Weise in der Schrift (kaq`wß gégraptai), konkret in Hab 2,4, vorgebildet366. 2. Exegetische Anmerkungen a) Röm 1,18–32367 Obwohl der Gedankengang dieses Abschnitts nicht schwer nachzuvollziehen ist, drängt sich eine klare Strukturierung nicht von selbst auf368. Wenn man 363 Zum
Begriff T. HOLTZ, Art. hapokalúptw, ktl., EWNT 1,312–317: Pagan im Sinne von »etwas Verborgenes aufdecken« (etwa Lk 2,35: »damit die Überlegungen aus vielen Herzen offenbar werden«); Paulus gebraucht Verb und Nomen in Bezug auf sein Damaskuserlebnis (Gal 1,12.16; 1Kor 9,1; 15,8). Der Zusammenhang zwischen Röm 1,17 und 1,18 zeigt, dass das Evangelium von der Gottessohnschaft Jesu (1,1–4) die Gottesgerechtigkeit aus Glauben zu Glauben als eschatologisches Geschehen enthüllt. Vgl. zum Themenkomplex M.N.A. BOCKMUEHL, Revelation and Mystery in Ancient Judaism and Pauline Christianity (WUNT 2:36; Tübingen, 1990). 364 Der genaue Referenzbereich der syntaktischen Einheit ist bekanntermaßen nicht nur schwer determinierbar, sondern im paulinischen Sprachgebrauch auf eine Art und Weise erweitert worden, die nicht ohne weiteres an alttestamentlich-jüdische Sprachverwendungen anknüpft (s.u. S. 172f). 365 Die Bedeutungserweiterung von e˙ß pístin gegenüber hek pístewß ist nicht evident. Vielleicht will Paulus auf die Spannung aufmerksam machen, dass das Evangelium nicht nur aus Glauben in seiner dynamischen Dimension erkannt wird, sondern auch auf diesen Glauben (e˙ß) hinzielt. 366 Ho díkaioß // dikaiosúnj qeoü (17a); h ek pístewß // h ek pístewß e˙ß pístin (17a), pantì t¨^w pisteúonti (16b); z´jsetai // dúnamiß ... e˙ß swtjrían (16b). Dabei leitet kaq´wß im strengen Sinne keine Begründung ein, sondern eine Analogie, die sprachlich in einer erkennbaren, wenn auch lockeren Beziehung zu 1,16–17a steht. 367 Literatur: C. BASEVI , El hombre y la sociedad según Rom 1,18–32, in: V. Collado Bertomeu / V. Vilar Hueso (ed.), II Simposio Bíblico Español (Valencia, 1987) 305–319; R.H. BELL, No One Seeks for God: An Exegetical and Theological Study of Romans 1.18– 3.20 (WUNT 106; Tübingen, 1998) 21–131; G. BORNKAMM, Die Offenbarung des Zornes Gottes (Röm 1–3) (1935), in: Ders., Das Ende des Gesetzes: Paulusstudien (Ges. Aufs., 1; BEvTh 6; München, 31966) 9–33; CAMPBELL, Natural Theology; H.-J. ECKSTEIN, ›Denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbar werden‹: Exegetische Erwägungen zu Röm 1,18, ZNW 78 (1987) 74–89; E. K LOSTERMANN, Die adäquate Vergeltung in Röm 1,22–31, ZNW 32 (1933) 1–6; W. POPKES, Zum Aufbau und Charakter von Römer 1.18–32, NTS 28 (1982) 490–501; PORTER, Romans 1.18–32; SCHMELLER, Diatribe, 225–286 (zu Röm 1,18–2,11); S. SCHULZ, Die Anklage in Röm. 1,18–32, ThZ 14 (1958) 161–173. 368 Vgl. die Diskussion in POPKES, Aufbau.
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III. Analyse paulinischer Texte
sich an Wortwiederholungen orientiert, so ist sicherlich die dreifache Abfolge von (met)´jllaxan (23.25.26) und parédwken (24.26.28) das auffälligste Merkmal369. Allerdings reicht dies für eine durchgehende Strukturierung ebenso wenig aus wie andere Textmerkmale370. Inhaltlich lassen sich folgende Zäsuren erkennen: Themaangabe (1,18), Vergehen (1,19–23), Negative »Folgen« (1,24–32). 18
h Apokalúptetai gàr horg`j qeoü 371 haph ohuranoü hepì päsan hasébeian kaì hadikían hanqr´wpwn t¨wn t`j n hal´j qeian hen hadikíâ katecóntwn,
Denn der Zorn Gottes offenbart sich vom Himmel (her) gegen jegliche Form von Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit von Menschen, die die Wahrheit durch Unrecht aufhalten.
Der Anschluss von 1,18 an 1,16f wird in der exegetischen Literatur kontrovers diskutiert372. Dabei handelt es sich vornehmlich um eine Frage der Gewichtung von Form gegenüber Inhalt: Der Form nach schließt 1,18 nicht nur mit gár an 1,16f an, sondern bildet eine parallele Struktur zu 1,17373. Rein formal würde es also nahe liegen, V. 18 neben V. 17 als zweite Begründung von V. 16 zu deuten: Paulus schämt sich nicht der Evangeliumsverkündigung, weil sich darin Gottes Gerechtigkeit und sein Zorn offenbaren374. Der Inhalt jedoch widerstrebt dieser Lektüre aus zwei Gründen: Zum einen sind dikaiosúnj und horg´j von ihren theologischen Verwendungszusammenhängen her als Kontrastbegriffe aufzuffassen. Die semantischen Konnotationen von dikaiosúnj qeoü sind meist im Sinne von Gottes »bundesgemäßem Verhalten« positiv zu fassen 375. Daraus ergibt sich sachlich die Nähe von 369 Vgl.
KLOSTERMANN, Vergeltung. eingehende Analyse von SCHMELLER, Diatribe, 266–273 kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, »daß sich 1,18–32 tatsächlich nicht befriedigend gliedern läßt« (272). Anders SCHULZ, Anklage, 161: »Der Aufbau […] ist durchaus übersichtlich.« 371 Die syntaktische Einheit horg`j qeoü erscheint in den echten Paulinen nur hier (vgl. aber Eph 5,6; Kol 3,6). Die Streichung des Genitivs in den Minuskeln 47, 1908 und wahrscheinlich auch in der markionitischen Edition ist als lectio facilior kaum ursprünglich. 372 Vgl. die ausführliche Diskussion in BELL, No One Seeks, 12–17. 373 Dikaiosúnj gàr qeoü h en ahut¨^ w hapokalúptetai (1,17) steht parallel zu hapokalúptetai gàr horg`j qeoü haph ohuranoü (1,18). 374 Von den neueren exegetischen Kommentaren hat diese Sicht am konsequentesten CRANFIELD, I,106–110 zu begründen versucht (vgl. auch WILCKENS I,101f). CRANFIELD beruft sich dabei v.a. auf die formale Struktur und meint, dass es »apart from a theological presupposition that it is appropriate to contrast dikaiosúnj qeoü and horg´j qeoü« (106) keinen Grund gäbe, von einer bewussten Kontrastierung zu sprechen. Es geht aber nicht um die »presuppositions« heutiger Ausleger und Auslegernnen (die an sich auch immer zu bedenken sind!), sondern darum, ob die Kontrastierung von »Gerechtigkeit« und »Zorn« zum semantischen Vorwissen damaliger Rezipienten gehörte. 375 K. KERTELGE, Art. dikaiosúnj, EWNT 1,790. STUHLMACHER, 32: »die Heilswirksamkeit Gottes des Schöpfers und Richters, der für die Betroffenen Gerechtigkeit und Wohlordnung schafft«. Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund vgl. P. STUHLMACHER, 370 Die
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Gottes dikaiosúnj zu seiner swtjría (wie in 1,16) 376, was jedoch nach atl.-jüd. Verständnis keineswegs göttliches Richten ausschließt377. Wenn sich aber »Gerechtigkeit« und »Zorn« nur äußerst schwer auf einen gemeinsamen Fluchtpunkt göttlichen Handelns beziehen lassen 378, dann kann mit entsprechender Vorsicht geschlossen werden, dass die Kontrastierung von dikaiosúnj und horg´j379 zu den rezeptionshistorischen Prämissen gehört, die die Strategie des Textes voraussetzen kann. Das wird m.E. auch durch das innere Gefälle von 1,18ff gegenüber 1,16f deutlich, denn das Ziel der dikaiosúnj qeoü ist die swtjría (1,16), am Ende der Offenbarung von Gottes horg´j steht jedoch der Tod (1,32)380.
Zum anderen scheint die Wendung haph ohuranoü in 1,18 einen Kontrast zu hen ahut¨^w in 1,17 zu markieren381. Gerechtigkeit Gottes bei Paulus (FRLANT 87; Göttingen, 21966) 102–184; J. SCHRÖTER, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit: Das Gottesbild der Psalmen Salomos in seinem Verhältnis zu Qumran und Paulus, NTS 44 (1998) 557–577. 376 In der LXX z.B. Y 39,11; 50,16; 70,15; 97,2; 118,123; OdPs 11,19; Jes 45,21; 46,13; 51,5–8; 56,1; 59,17; 62,1; 63,1. 377 Vgl. LXX Y 9,9; 34,24; 35,7; Jes 5,16; 63,1; Tob 3,2 usw. 378 Die Begriffe dikaiosúnj und horg´j besetzen im Griechischen der LXX (und in der davon geprägten Literatur) bei theologischer Verwendung kein gemeinsames semantisches Feld. Das ergibt sich aus dem mageren Ergebnis (19 Treffer) eines TLG-Suchlaufs nach dikaio* in der Nähe von horg´j (im Abstand von 100 Zeichen) in LXX, Josephus, Philo, JosAs, ApkAd, grApkBar, ApkEl, ApkEsr, ApkSedr, ApkZeph, ApokrEz, EpArist, AssMos, TestXII, TestAbr, TestHiob, TestSal und dem NT. Dabei sind zunächst jene Texte auszuscheiden, die nicht von Gott reden (Y 57,11f; Prov 16,31f; 17,25f; Hiob 9,22f; SapSal 10,10; Josephus, Ant 6,212; 16,264; 17,191; 18,254f; Bell 2,135; Jak 1,20). Aus dem NT erscheint nur unsere Stelle, Röm 1,17f, und 3,5 (hier deutlich antithetisch). In Y 7,12 ist von Gott als krit`jß díkaioß die Rede, dessen Langmut im Gericht darin sichtbar wird, dass er Zorn nicht (anders MT) täglich über die Menschen bringt (m`j horg`j n hepágwn kaqh Hekástjn Hjméran). Bezeichnend ist das Gebet Daniels in Dan 9,16: »Herr gemäß deiner Gerechtigkeit (katà t`jn dikaiosúnjn) wende ab deinen Grimm und deinen Zorn (hapostraf´j tw Ho qumóß sou kaì Hj horg´j sou) von deiner Stadt Jerusalem...« Einige Texte bezeugen, dass der Gerechte vom göttlichen Zorn gerettet wird (Zeph 2,2f; Sir 44,17 von Noah). Am nächsten kommen sich die beiden Begriffsfelder wahrscheinlich in Josephus, Ant 7,328: David betet zu Gott, dass er sein Strafgericht gegen das Volk beende, weil es gerecht (díkaioß) sei, den Hirten zu strafen aber nicht die Herde. Deswegen soll Gottes Zorn auf ihn (t`jn horg`jn e˙ß ahu tón) und seine Nachkommen und nicht auf das Volk kommen. Die dikaiosúnj qeoü steht in einem positiven Verhältnis zu seinem qumóß in LXX Jes 63,1–3 (Strafgericht gegen das »heidnische« Edom zur Erlösung Israels). Jes 59,16–21 (LXX) umreißt ein ähnliches semantisches Feld wie das für Röm 1,16ff charakteristische: dikaiosúnj, swtjría, hekdíkjsiß, hantapodídwmi, horg´j, qumóß. 379 Vgl. (für viele andere) S TUHLMACHER, Gerechtigkeit Gottes, 98: »Gottes horg´j [ist] ein hinter seiner dikaiosúnj zurücktretender Modus des Gotteshandelns.« 380 M. KONRADT, Gericht und Gemeinde (BZNW 117; Berlin, 2003) 498 macht auf zwei weitere Kontraste aufmerksam: ‘axioi qanátou (1,32) und z´jsetai (1,17) stehen sich gegenüber. Zudem markiert der Neueinsatz mit nunì dé in 3,21 einen Kontrast zur Gedankenentwicklung in 1,18ff. 381 Mit FITZMYER, 277 u.a. Jedenfalls ist kaum davon auszugehen, dass in 1,18 »im Evangelium« hinzugedacht und haph ohuranoü zu horg´j gezogen werden muss (so H.-M. SCHENKE, Aporien im Römerbrief, ThLZ 92 [1967] 887f; CRANFIELD, I,111; WILCKENS
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III. Analyse paulinischer Texte
Es sind demnach inhaltliche (und nicht formale Gründe382), die für eine kontrastive Lektüre von 1,18ff gegenüber 1,16f sprechen383. Theologisch ist daraus zu schließen, dass die Offenbarung des göttlichen Zorns nicht zur Heilsoffenbarung des Evangeliums gehört384, sondern quasi als eigene »Unheilsgeschichte« deren Negativfolie bildet385. Ist die Wendung hapokalúptetai horg`j qeoü haph ohuranoü im engen Sinne auf das eschatologische Verurteilungsgericht zu beziehen oder hat die Offenbarung des göttlichen Zorns auch eine historisch immanente Dimension?386 Ob die Präsensform futurisch gebraucht wird387, hängt mit der Frage
I,102; W. PESCH, Art. horg´j, EWNT 2,1296). Dagegen ist einzuwenden, dass horg´j durch den Genitiv qeoü bereits als einer anderen Sphäre zugehörig qualifiziert ist. Eine weitere Bestimmung durch haph ohuranoü erscheint unnötig redundant. Dem Urteil KÄSEMANNS, dass beide Verse »bewußt antithetisch parallelisiert« sind (31), kann ich daher nur zustimmen. 382 Der Anschluss mit gár hat mehr exegetische Aufmerksamkeit auf sich gelenkt als nötig. Die Frage nach dem Verhältnis von »Gerechtigkeit Gottes« (1,17) zu »Zorn Gottes« (1,18) ist ein zu schweres Gewicht für eine so vieldeutige Konjunktion. Der Fächer der Möglichkeiten reicht von begründend bis locker anknüpfend (vgl. z.B. Bauer / Aland, 304f und BDR §452). S. ZEDDA, L’uso di gár in alcuni testi di San Paolo, Studiorum Paulinorum Congressus (AnBib 17–18; Rom, 1963) II, 445–451 unterscheidet zwischen beteuernder, erklärender, kausaler, entgegengesetzter und folgernder Bedeutung. Entsprechend werden gár in 1,18 die unterschiedlichsten Bedeutungen beigelegt, etwa als schlichte Übergangspartikel (LIETZMANN, 31; KUSS, 35; Bauer / Aland, 305), im umfassenden Sinne begründend (MICHEL, 111; KÄSEMANN, 31; CRANFIELD, I,110) oder als Ausdruck eines Gegensatzes (ZEDDA, Gár, 449; WILCKENS I,101; FITZMYER, 277). Begründend und zugleich antithetisch deutet DUNN I,54. M. ZERWICK / M. GROSVENOR, A Grammatical Analysis of the Greek New Testament (Rom, 31988) 459 (zu V. 18): »gár normally explanatory, here merely continues what goes before«. 383 Das ist zu Recht auch die heute mehrheitlich vertretene Meinung (vgl. u.a. STUHLMACHER, Gerechtigkeit, 80; K ERTELGE, Rechtfertigung, 88; BASEVI, Rom 1,18–32, 307f). Das Urteil, das SCHENKE, Aporien, 888 bereits 1967 aussprach (»Das klingt zwar schön – und man ist daran gewöhnt…«) sagt dennoch über den Wahrheitswert der hier vertretenen These nichts aus. 384 KÄSEMANN , 32: »Der Zorn ist nicht Inhalt des Evangeliums.« Ähnlich H. CONZELMANN, Art. Zorn Gottes, RGG3 6 (1962) 1931f: »[V]erkündet wird nicht Z[orn] und Gerechtigkeit, sondern die Gerechtigkeit als Rettung angesichts des Z[orn]es, der bereits waltet.« (kursiv original) KONRADT, Gericht, 498: »Das Evangelium gilt dem Menschen, der unter dem Zorngericht steht. Der Aufweis dieser Unheilssituation ist aber nicht selbst Teil des Evangeliums.« 385 DUNN, I,54: »The clear implication is that the two heavenly revelations are happening concurrently, as well as divine righteousness, so also divine wrath.« K. KERTELGE, Gottes Gerechtigkeit – das Evangelium des Paulus, in: Th. Söding (Hrsg.), Der lebendige Gott (FS W. Thüsing; NTA 31; Münster, 1996) 186 mahnt jedoch trotz aller Gegensätzlichkeit von Gerechtigkeit und Zorn, »keinen innergöttlichen Widerspruch« darin zu sehen, »sondern zwei Weisen des Handelns Gottes am Menschen, die einander bedingen und so dessen tiefere Einheit erweisen.« 386 Vgl. zur Auslegungsgeschichte ECKSTEIN , Gottes Zorn, 74–82.
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zusammen, ob die syntaktische Einheit horg`j qeoü so eindeutig und konsequent futurisch-eschatologischen Sinn hat, dass dieser semantische Eintrag quasi »automatisch« auch auf das Verb übertragen werden kann. Vieles spricht dafür, dass ein futurisches Verständnis von »Zorn« bei Paulus häufig aber nicht ausschließlich belegt ist388. Traditionsgeschichtlich gibt es im Hinblick auf den Topos vom »Zorn Gottes« keine einheitliche Verwendungsweise389. Es wäre demnach für Paulus durchaus denkbar, dass er neben dem eschatologisch-futurischen Gebrauch auch die Vorstellung vom gegenwärtig wirksamen Zorn Gottes zur Sprache bringt. Bes. zwei Stellen stehen – neben Röm 1,18 – zur Diskussion: In 1Thess 2,16 kann der Aorist ‘efqasen so verstanden werden, als ob Paulus von einem Strafgericht Gottes gegen »die Juden« als ein Ereignis in der Vergangenheit reden wollte390. Der Hinweis in Röm 13,4f auf die nicht näher qualifizierte horg´j, die im Strafhandeln der staatlichen Instanzen zum Ausdruck kommt, steht in einem zumindest indirekten Bezug zum göttlichen Zorn. Gemäß 12,19 soll der Wunsch nach privater Rache dadurch überwunden werden, dass er an die »höhere Instanz« von Gottes Zorn und Rache (unter Hinweis auf Dtn 32,35) delegiert wird. Es ist also durchaus möglich den Stichwortanschluss in 13,4f so zu verstehen, dass zumindest auf politischer Ebene der Staat, der immerhin von Paulus in seiner strafenden Funktion als diákonoß qeoü bezeichnet wird, diesen »Zorn« auf Erden durchsetzt. Ein völlig eindeutiger futurischer Gebrauch ist für Paulus nicht problemlos feststellbar 391.
Auch die Wendung haph ohuranoü lenkt den Sinn nicht ohne weiteres in das Vorstellungsfeld zukünftiger Eschatologie392: Die Wendung bezeichnet ganz allgemein einen göttlichen Eingriff in menschliches Geschehen 393, sowohl in heilvollem Zusammenhang 394 als auch im Zusammenhang des
387 So
dezidiert ECKSTEIN, Gottes Zorn, dem sich BELL, No One Seeks, 14–16; HAACKER, 48 und KONRADT, Gericht, 498 anschließen. 388 Von Gottes Zornhandeln (interessanterweise nie verbal mit horgízw ausgedrückt) ist im futurischen Sinn die Rede in Röm 2,5 (hen Hjmér^a horg¨jß); 2,8 (Konkretisierung von 2,5); 3,5 (Bezug zum Weltgericht in 3,6); 5,9 (Errettung vor dem Zorngericht); 9,22 (Zorn parallel mit der vorbestimmten hap´wleia); 1Thess 1,10 (Errettung vor dem »kommenden Zorn« [hek t¨jß horg¨jß t¨jß hercoménjß]); 5,9 (Christen sind nicht bestimmt zum Zorn). Relativ offen ist der Gebrauch in Röm 4,15 (»das Gesetz bewirkt Zorn«); 12,19; 13,4f (dazu s.u.); 1Thess 2,16 (dazu s.u.) und auch in den Deuteropaulinen: Eph 2,3 (vorchristliches Leben = »von Natur aus Kinder des Zorns«); 5,6 (der Zorn Gottes kommt [Präsens ‘ercetai] über die »Kinder des Ungehorsams« = Kol 3,8). 389 Vgl. den materialreichen Exkurs in KONRADT, Gericht, 57–65. Eschatologischfuturisch sind z.B. Jes 13,9.13; Zeph 1,15.18; 2,2f; 3,8; Dan 8,19; Jub 24,30. 390 Vgl. aber die Kritik an dieser Deutung in K ONRADT, Gericht, 84–87. 391 Nur ein solcher, völlig klarer semantischer Bezug für horg`j qeoü könnte erklären, warum Paulus es wohl aus stilistischen Gründen vorgezogen haben sollte, die Präsensform von V. 17 zu wiederholen (wo sie eindeutig auch präsentischen Sinn hat und mit nuní in 3,21 zusammenhängt), statt schlicht im Futur zu formulieren. 392 Anders ECKSTEIN, Gottes Zorn, 84–85, der m.E. den Befund etwas zu einseitig auswertet.
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III. Analyse paulinischer Texte
Gerichts gegen Nichtjuden und Ungerechte395. Der enge Nexus zwischen Unrecht und Strafgericht vom Himmel kommt in äthHen 91,7–9 eindeutig im Sinne eines endzeitlichen Strafgerichts zur Sprache.
Die exegetische Frage nach der zeitlichen Dimension eschatologischer Aussagen lässt sich angesichts der Vagheit von hapokalúptetai in 1,18 kaum beantworten396. Weder horg`j qeoü noch haph ohuranoü zwingen dem Präsens eine futurische Bedeutung auf397. Es ist also exegetisch mit der Möglichkeit zu rechnen, dass für Paulus der Zorn Gottes sich bereits jetzt als offenbar erweist398. Ob es sinnvoll ist, die Hinweise auf Gottes »Übergeben der Nichtjuden an ihre Leidenschaften« (parédwken: 24.26.28) und auf den bereits erfolgten »Empfang des Lohnes für ihre Verirrung« (27) mit der Offenbarung des göttlichen Zorns in Verbindung zu bringen, kann also von 1,18 aus nicht bereits negativ beantwortet werden399. Objekt des Zorns ist »jegliche Form von Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit« (päsan hasébeian kaì hadikían). Das Wortpaar ist möglichst vage und entsprechend umfassend zu verstehen400. Eine weitere semantische Ausdiffe393 In
diesem Sinne stellen die Pharisäer in Mk 8,11 Jesus auf die Probe und suchen von ihm »ein Zeichen vom Himmel«. Besonders in der Endzeit werden »vom Himmel« gewaltige Zeichen geschehen (Lk 21,11). 394 Das Manna als »Brot vom Himmel« (SapSal 16,20; vgl. Josephus, Ant 4,45) oder göttlicher Beistand »vom Himmel« bei einer Schlacht gegen eine feindliche Überzahl (2Makk 8,20; 11,10; 15,8). 395 Auf die Erzählung von der Vernichtung Sodoms (Gen 19; vgl. LXX 19,24: pür parà kuríou hek toü ohuranoü) geht das Bild vom »Feuer vom Himmel« zurück (Lk 9,54; 17,29; TestAbr (Rec A) 10; ganz anders konnotiert ist hingegen Philos »ätherisches Feuer«, das vom Himmel auf dem Altar liegt [VitMos II,158]). Vgl. auch Sir 46,17f (Gottes Stimme erbebt »vom Himmel« gegen die Philister). 396 Erwägenswert ist der Vorschlag von SCHMELLER, Diatribe, 236, die Spannung der Präsensform »aus einer Verbindung apokalyptischer und weisheitlicher Traditionen« zu erklären. 397 Der Hinweis, dass hapokalúptesqai zur typischen Begrifflichkeit eschatologischer Vorstellungen gehört (ECKSTEIN, Gottes Zorn, 83), wäre nur unter der Annahme, dass das »Futurische« zum Wesen des »Eschatologischen« gehörte, ein überzeugendes Argument gegen eine präsentische Dimension von 1,18. Dass hapokalúptesqai eschatologische und präsentische Bedeutung haben kann, lässt sich angesichts von 1,17 jedoch kaum in Zweifel ziehen. 398 So auch (mit unterschiedlichen Akzentsetzungen) DUNN, I,54; FITZMYER, 278; LOHSE, 86; PESCH, horg´j, 1295f u.a. 399 BORNKAMM, Offenbarung, 12; ECKSTEIN, Gottes Zorn, 78f u.a. weisen jedoch darauf hin, dass die Vorstellung vom jetzt wirksamen Zorn Gottes nicht zur Bestimmung der jetzigen Zeit als einer durch die Nachsicht Gottes (hanoc`j qeoü) geprägten (3,25f) passe. Aber im Zusammenhang von 1,18–32 versucht Paulus, in polemischer Überspitzung und unter Rückgriff auf bekannte antipagane Topoi, das Schicksal der Nichtjuden ohne Evangelium möglichst schwarz zu malen. 400 h Asébeia (bei Paulus sonst nur noch in 11,26; h aseb´jß in 4,5 und 5,6) gehört zum Wortfeld der Hamartía (1Tim 1,9; 1Petr 4,18; Jud 15). Im hellenistischen Kontext geht es bei
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
177
renzierung scheint angesichts der anklagenden Steigerung bis zum Lasterkatalog in 1,29–31 kaum ratsam401. Vom Zorn betroffen sind jene Menschen, die »die Wahrheit durch Unrecht aufhalten« (t¨wn t`jn hal´jqeian hen hadikíâ katecóntwn). Der Begriff der Wahrheit kann an dieser Stelle kaum semantisch eingegrenzt werden. Der mehrmalige Gebrauch im Makrokontext von Röm 1–3 vermag jedoch ein klareres Verständnis zu fördern: In 1,25 steht die »Lüge« (yeüdoß), die sich in der Praxis der Götzenverehrung ausdrückt, der »Wahrheit Gottes« (Hj hal´j qeia toü qeoü) kontradiktorisch gegenüber. Es liegt nahe, den zu bestimmenden Ausdruck auf die Erkenntnis Gottes in den Werken der Schöpfung (19–21a) zu beziehen und dies, einer Spur in 2,20 folgend, auch auf die Offenbarung in der Torah auszuweiten (das Gesetz ist »Verkörperung der Erkenntnis und Wahrheit« [Hj mórfwsiß t¨j ß gn´wsewß kaì t¨jß haljqeíaß]). »Wahrheit« umschreibt, wie 2,8 deutlich macht, nicht einfach einen rein intellektuellen Erkenntnisakt, sondern einen solchen, der ethische Konsequenzen impliziert. Daher stehen »Wahrheit« und »Ungerechtigkeit« (hadikía) in Antithese zueinander (s.a. Tob 4,5f; Y 118,29f).
Die Formulierung greift der Darstellung der verhängnisvollen Schuldspirale von Erkenntnis und Verkehrung in 1,19ff und 2,1ff voraus. V. 18 kann daher als These für den gesamten Abschnitt 1,18–3,20 gelesen werden402. Die Bedeutung der göttlichen Wahrheit erschöpft sich nicht in der rein rationalen Erkenntnis seines Wesens, sondern kommt erst in einem gerechten Leben zur vollen Geltung. Daher halten die Menschen durch (hen instrument.) ihr Unrecht diese praktische Dynamik der Wahrheit zurück (katécw). 19
dióti tò gnwstòn toü qeoü fanerón hestin hen ahutoïß≥ Ho qeòß gàr ahutoïß hefanérwsen.
Deshalb ist das, was von Gott erkennbar ist, unter ihnen offenkundig, weil Gott es ihnen offenbar gemacht hat.
Der Anschluss mit dióti ist am ehesten begründend (»deshalb«) zu verstehen, wobei das folgende gár zur Verstärkung dient403. Sachlich begründen jedoch VV. 19f nicht die Offenbarung des göttlichen Zorns (18a), sondern das schuldhafte »Zurückhalten« der Wahrheit (18b)404. Das Verbaladjektiv tò hasébeia um das fehlende Verhältnis zu den Göttern. Aufgrund des engen Bezugs von Theologie und Ethik wird der Begriff jedoch im hellenistischen bereits in einem weiteren ethischen Sinn benutzt (vgl. P. FIEDLER, Art. haseb´jß, ktl., EWNT 1,405f). An der Seite von hadikía begegnet das Wort auch in Y 72,6; Prov 11,5; Hiob 36,18; Hos 10,13; Mi 7,18; Philo Imm 112; SpecLeg I,214; Praem 105; Conf 152; grHen 13,2. 401 Die beiden Begriffe sind am ehesten als Hendiadyoin zu fassen, woran das beiden vorangestellte päsan denken lässt (DUNN, I,55f; FITZMYER, 278). Die Wiederholung von hadikía in 1,29; 2,8 und 3,5 macht zudem deutlich, dass es sich um einen vagen Sammelbegriff handelt. Einen Unterschied zwischen hasébeia und hadikía sehen MICHEL, 98f; SCHLATTER, 49 (dagegen FIEDLER, haseb´jß, 406); KONRADT, Gericht, 499 mit Anm. 110. 402 WILCKENS, I, 95; DUNN, I,56; KONRADT, Gericht, 497 u.a. Im Hinblick auf 1,18 kann jedoch von einer »Überschrift« im technischen Sinne (vgl. allgemein MAYORDOMO, Anfang, 206–208) nicht gesprochen werden. 403 Dióti gefolgt von gár begegnet bei Paulus noch in Röm 3,20 und 8,7. 404 BELL, No One Seeks, 35.
178
III. Analyse paulinischer Texte
gnwstón bezeichnet entweder das »Bekannte« (das, was man weiß)405 oder das »Erkennbare« (das, was man wissen kann)406. Letzteres ist wohl vorzuziehen, da sich dadurch die Redundanz der Aussage (im Sinne von »Das Bekannte ist ihnen bekannt«) vermeiden lässt407. Wichtig ist die Wiederholung der Wurzel faner-408, wodurch unterstrichen werden soll, dass das von Gott Erkennbare nicht unabhängig von Gottes eigenem Offenbarungshandeln den Menschen bekannt ist. Auch die »natürliche« Gotteserkenntnis gründet auf Offenbarung. Theologisch ist anhand dieses Textes (und 2,14f) immer wieder die Frage nach der Möglichkeit »natürlicher« Gotteserkenntnis gestellt worden 409. Oft werden dabei gewichtige systematische Fragen an den Text herangetragen, die ihn als Entscheidungsinstanz in einer zum Teil konfessionell gefärbten Diskussion schlicht überfordern. Es ist aber kaum zu leugnen, dass Paulus hier ganz im Sinne der hellenistisch-jüdischen Weisheitstheologie formuliert, bei der der Bezug zwischen göttlicher Verborgenheit und »natürlicher« Einsicht in der Schwebe zu bleiben scheint410. Eine Antithese zwischen göttlichem Offenbarungshandeln in 1,19 und menschlicher Vernunfterkenntnis in 1,20 scheint nicht zu bestehen 411. 20
tà gàr haórata ahutoü hapò ktísewß kósmou toïß poi´jmasin nooúmena kaqorätai, “j te haVidioß ahutoü dúnamiß kaì qeiótjß, e˙ß tò e~inai ahu toùß hanapolog´jtouß≥
405 LXX
Denn sein unsichtbares (Wesen) lässt sich seit der Schöpfung der Welt durch die vernünftige Wahrnehmung der Schöpfungswerke deutlich erkennen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, so dass (damit) sie ohne Entschuldigung sind.
Jes 19,21; Hes 36,32; Apg 1,19; 2,14; 15,18; 28,22; Joh 18,15. So versteht offenbar Vulgata quod notum est Dei. Vgl. R. BULTMANN, Art. gin´wskw ktl., ThWNT 1 (1933) 719: »Gott in seiner Erkennbarkeit« (analog tà haórata ahutoü in V. 20); BELL, No One Seeks, 36–38; DUNN, I,56: »[W]hat is common knowledge about God.« 406 LXX Gen 2,9; Sir 21,7; Philo, All I,60f. 407 CRANFIELD, I,113. 408 Das Verb fanerów bedeutet »bekannt, offenbar, sichtbar machen« (P.-G. MÜLLER , fanerów ktl., EWNT 3,988–991). Das Wort wird bei Paulus fast synonym zu hapokalúptw gebraucht (vgl. 1,17 mit 3,21). Einen anderen Akzent setzt jedoch M.N.A. BOCKMUEHL, Das Verb fanerów im NT, BZ 32 (1988) 87–99. 409 Vgl. K. KERTELGE, ›Natürliche Theologie‹ und Rechtfertigung aus dem Glauben bei Paulus, in: Ders., Grundthemen paulinischer Theologie (Freiburg i.Br., 1991) 148–160. 410 Die relevanten Quellen bezeugen ebenso die Verborgenheit Gottes (Ex 33,20; Dtn 4,12; Sir 43,31; Philo, Som I,65f.68f; Josephus, Bell 7,346; Ap 2,167) wie die Möglichkeit einer reduzierten Erkenntnismöglichkeit anhand der Schöpfung (SapSal 12–15; SibOr 3,8– 35). Letztere Vorstellung verdankt sich sicherlich dem Einfluss allgemein philosophischer Überzeugungen (vgl. Plato, Tim. 28a–30c; 32a–35a; Ps.-Aristoteles, De Mundo VI 397b– 398b; Cicero, Tusc. Disp. I 29,70). 411 Anders M.D. HOOKER, Adam in Romans I, NTS 6 (1959/60) 299, die den Begriff der »natürlichen Theologie« für diese Stelle mit der Begründung ablehnt, dass Paulus hier »of a definite divine revelation« rede und nicht »of a knowledge of God to which men have by their reasoning attained«. M.E. sagt Paulus beides!
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
179
Mit gár wird ausgeführt, wie sich das »Offenbarmachen« vollzieht. Seit der Schöpfung (hapò ktísewß kósmou)412 lassen sich einige unsichtbare Wesenszüge Gottes deutlich und dauerhaft (duratives Präsens) erkennen (kaqoráw)413. Diese Aussage wird vierfach qualifiziert: Die Wesenszüge des unsichtbaren Gottes werden epexegetisch erläutert als seine ewige Kraft (dúnamiß) und Gottheit (qeiótjß)414. Die Erkenntnis des unsichtbaren Gottes geschieht durch die geschaffenen Dinge (toïß poi´jmasin instrumentaler Dativ). Das Partizip nooúmena modifiziert die Hauptaussage und verweist auf die Bedeutung der vernünftigen Wahrnehmung. Schließlich mündet die Aussage darin, dass die Menschen »ohne Entschuldigung« sind (hanapológjtoß)415. In welchem Verhältnis aber stehen Erkenntnis und Schuld zueinander? Die Wendung e˙ß tò e~inai wird zwar nach grammatikalischer Regel am häufigsten final (»damit«) gebraucht, die meisten Ausleger deuten hier jedoch im konsekutiven Sinn (»so dass«)416. Obwohl V. 20 aufgrund der allgemeinen Abstraktheit und Vagheit der verwendeten Begriffe zu sehr unterschiedlichen Deutungen Anlass geben könnte, erlaubt die ideengeschichtliche Nähe zu verwandten Vorstellungsfeldern eine gewisse Einschränkung: Der unsichtbare Gott gewährt durch seine Schöpfungswerke der vernünftigen Wahrnehmung einen Einblick in seine Macht und Gottheit417. Daraus folgt als Konsequenz, dass die Nichtjuden, deren Ungerechtigkeit hier zunächst einfach vorausgesetzt wird, für schuldig erklärt werden können418. 412 Die
hapó-Wendung ist am ehesten zeitlich zu verstehen. Vgl. FITZMYER, 280 und PsSal 8,7: »Ich bedachte die Gerichte Gottes seit der Schöpfung von Himmel und Erde (hapò ktísewß ohuranoü kaì g¨jß), ich hielt Gott für gerecht in seinen Gerichten von Ewigkeit (haph a˙¨wnoß) her.« (Holm-Nielsen, JSHRZ) 413 Das Wortspiel mit zwei entgegengesetzten Begriffen aus der Wortfamilie Horáw (haórata und kaqorätai) ist kaum zufällig zustandegekommen und verdient die Bezeichnung »Oxymoron«. 414 Die Begrifflichkeit begegnet in SapSal 2,23 (haV idioß); 13,4 (dúnamiß) und 18,19 (qeiótjß). 415 Das seltene Adjektiv kann auch »ohne Verteidigung« bedeuten (vgl. LSJ 177). Der anklagende Charakter des Abschnitts legt (ebenso wie in 2,1) den Sinn auf »ohne Entschuldigung« fest. In diesem Sinne auch in Polybius XII 12,10: »So schwerwiegende Fehler lassen keine Entschuldigung zu.« (übers. Hans Drexler, BAW, 1963, II, 806) 416 CRANFIELD, I,116; FITZMYER, 281; KÄSEMANN, 38; LOHSE, 89 u.a. Die finale Deutung ist theologisch schwerer: Gott würde sich durch seine Schöpfung mit dem Ziel zu erkennen geben, dass die Menschen schuldig werden. 417 Paulus knüpft hier deutlich an philosophische Traditionen (besonders stoischer Natur) an: Ps.-Aristoteles, De Mundo VI 339b,14ff; Plutarch, Mor. 398A; 665A; weitere Texte in NW II/1, 17–22. Jüdisch rezipiert in SapSal 2,23; 7,26; 13,5; Philo, VitMos II,65; SpecLeg I,20; All III,97–99; Praem 41–46; Op 69–71 (Auszüge der letzten drei Texte in NW II/1, 14– 17); Josephus, Bell 7,346. 418 Eine in Motivik wie in Gedankenanordnung besonders nahe Parallele findet sich in der Synagogenpredigt Ps.-Philo, Jon 4–5 §10–19 (übers. Siegert, 10f; auszugsweise auch in NW
180 21
III. Analyse paulinischer Texte dióti gnónteß tòn qeòn ohuc Hwß qeòn hedóxasan ’j jhucarístjsan, hallh hematai´wqjsan hen toïß dialogismoïß ahut¨wn kaì heskotísqj Hj hasúnetoß ahu t¨wn kardía.
Denn obwohl sie Gott erkannt haben, verherrlichen sie ihn nicht und danken ihm nicht als Gott; sie verfallen vielmehr dem Nichtigen in ihren Gedanken und ihr unverständiger Sinn verfinstert sich.
Der Wechsel vom Präsens in VV. 18–20 zum Aorist in 21–23 ist vom Verbalaspekt419 und nicht von der Vorstellung eines bestimmten zeitlichen Abfolgeverhältnisses abhängig 420. Porter sieht in Röm 1,18ff ein besonders anschauliches Beispiel für den »zeitlosen« Gebrauch der Aorist-Form421. Fanning, der sich ausführlich mit dem Aorist Indikativ beschäftigt422, sieht als wichtigste Aspektart die einfache »konstatierende« Funktion423. Eine sachgerechte Übertragung ins Deutsche ist schwer, v.a. wenn der Eindruck eines konkreten Zeitbezuges vermieden werden soll424. Die folgende Arbeitsübersetzung schwankt daher zwischen Perfekt und Präsens.
Der Begründungssatz (dióti) erklärt, warum die Nichtjuden keine Entschuldigungen vorbringen können. Denn obwohl (konzessives Partizip) sie bis zu II/1, 12f): Die Niniviten haben in der Natur alle Wohltaten Gottes erfahren (10f), aber – wie sich Gott durch den Mund des Propheten wundern muss – sie verweigern ihm den Dank, den sie ihm schuldig waren (12a; vgl. auch 32 §124). Ihre Undankbarkeit hat sie blind gemacht, so dass sie nicht einmal mehr wissen, »wer ihr Wohltäter ist« (12b). Zur Strafe wird Gott ihnen seine Wohltaten entziehen (13), denn mit »Augen, die zur Erkenntnis des Baumeisters der Welt (gegeben sind), sehen sie nicht« (14; theologisch ausgeführt in 32–35 §125–135). Ihre Abkehr von Gott äußert sich in Bosheit gegeneinander (15–17). Deswegen soll der Prophet der Stadt »Untergang« und »qualvollen Tod« verkündigen (18f). Im Vergleich zu Röm 1,19ff fehlt lediglich der Topos vom Götzendienst. Viele Berührungspunkte verbinden Röm 1,18–32 auch mit SapSal 13,1–9. Vgl. weiterhin AssMos 1,12f. 419 Vgl. generell S.E. PORTER, Verbal Aspect in the Greek of the New Testament (Studies in Biblical Greek 1; New York, 1989); B.M. FANNING, Verbal Aspect in New Testament Greek (Oxford Theological Monographs; Oxford, 1990). Mit »Verbalaspekt« wird der besondere Blickpunkt (»point of view«) bezeichnet, unter dem ein Sprachbenutzer oder eine Sprachbenutzerin die Verbalhandlung betrachtet. 420 Die These, dass 21–23 gegenüber 18–20 als vorzeitig zu denken sei, ist im gegenwärtigen Kontext widersinnig. Kaum auszudenken, welche weitreichenden geschichtstheologischen Konzeptionen Paulus dadurch zugemutet werden könnten! 421 PORTER, Verbal Aspect, 236. Ähnlich spricht LOHSE, 88 von einem »gnomisch verstandenem Aorist«. 422 FANNING, Verbal Aspect, 86–98.255–282. Zusammenfassend zum Aorist: »According to this approach, the aorist is a viewpoint aspect […] in that it reflects the speaker’s or writer’s focus or perspective on the occurrence itself.« (97) 423 FANNING, Verbal Aspect, 255–261 (S. 259 zu Röm 1,21). Der Aorist bezieht sich nicht auf einmalige, sondern häufig auf mehrmalige Handlungen (»multiple occurrences«), worauf v.a. adverbiale Erweiterungen und andere kontextuelle Elemente hinweisen (S. 258). 424 Die Schwierigkeit, im Rahmen einer rein zeitlichen Auffassung der Aoristformen dem Text gerecht zu werden, spiegelt eine Aussage in A.J.M. WEDDERBURN, Adam in Paul’s Letter to the Romans, in: E.A. Livingstone (ed.), Studia Biblica 1978 (JSNT.S 3; Sheffield, 1980) III, 419 wider: »This story is not timeless – compare the aorists of vv. 21ff –, but it is not to be pinned down to any particular point in the OT story.«
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
181
einem gewissen Grad zur Erkenntnis Gottes vordringen (anders 1Kor 1,21)425, haben sie daraus nicht die korrekten »Konsequenzen« Gott gegenüber gezogen. Der für Paulus einzig angemessene Zusammenhang wäre einer, der von der Erkenntnis zur Anerkennung Gottes in Verherrlichung und Dank führt. Es ist unvorstellbar, dass man Gott erkennt, aber ihm die Dankbarkeit, die ihm als Gott gebührt426, versagt427. Es kommt statt dessen zu einem anderen, verhängnisvollen Verlauf der Geschichte, der besonders im Bereich der Gedanken (hen toïß dialogismoïß) und des Sinns (kardía) seinen Anfang nimmt428: Die Menschen »verfallen dem Nichtigen« (Pass. von mataiów) in ihren Gedanken (21b)429 und ihr unverständiger Sinn wird verfinstert (21c). M.E. sind die passiven Verben nicht theologisch zu deuten, so als ob die Vernebelung der Gedanken bereits eine Wirkung des göttlichen Zorns wäre430. Ein solcher Vorgriff auf den Gedankengang von V. 24 würde dem dort ausgedrückten Begründungszusammenhang die rhetorische Spitze nehmen431. Logisch muss gefragt werden, ob die beiden Reaktionsmöglichkeiten, Gottesanbetung oder Götzenverehrung, konträr zueinander stehen oder kontradiktorisch, sprich: ob nur die eine oder die andere gewählt werden kann (kontradiktorisch) oder ob es noch andere Alternativen zu beiden gibt (konträr). Letzteres würde die Frage implizieren, ob es möglich ist, Gotteserkenntnis nicht in Verherrlichung münden zu lassen und dabei aber zugleich nicht den Eitelkeiten paganer Götzenverehrung zu verfallen432. Diese Möglichkeit scheint 2,26f tatsächlich ins Auge zu fassen.
425 Es
geht hierbei nicht um eine bloße Möglichkeit der Gotteserkenntnis, sondern um ein tatsächliches Erkennen (P.J. GRÄBE, The Power of God in Paul’s Letters [WUNT 2:123; Tübingen, 2000] 188). 426 Die Wendung Hwß qeón impliziert einen Sachzusammenhang zwischen Erkenntnis Gottes und einen ihm gebührenden Verhalten. 427 Vgl. 4Esr 8,60 sagt von denen, die zugrunde gehen: sie »befleckten […] den Namen dessen, der sie gemacht hat. Sie waren undankbar gegen ihn, der ihnen doch das Leben bereitet hat.« (JSHRZ, Schreiner) 428 Eph 4,17–19 zählt die Schuld der Nichtjuden in ähnlicher Reihenfolge auf: »Nichtigkeit des Sinns«, »verfinsterter Verstand« und »Ausschweifung«. 429 Das Verb mataiów im Passiv ist eng verbunden mit der Vorstellung des Götzendienstes und verweist damit bereits auf V. 23. Vgl. zum Begriff 4Bas 17,15 (das abgefallene Volk handelt wie die »Heiden«, indem es nichtigen Götzen folgt und Nichtiges treibt [heporeúqjsan hopísw t¨wn mataíwn kaì hematai´wqjsan]) und Jer 2,5. Götzen, falsche Götter und Geister werden in der LXX als mataíoi bezeichnet (Lev 17,7; 3Bas 16,2.13.26; 2Chron 11,15). 430 So deutet FITZMYER, 283: »Paul regards this futility of thinking and misguided conduct as manifestations of the wrath of God, not provocations of it.« 431 Ähnlich POPKES, Aufbau, 496 zu 1,24: »Wiesen vorher die Passiva auf inhärente, im Tat-Ergehen-Zusammenhang angelegte Konsequenzen, so ist jetzt direkt von Gottes Verhalten die Rede.« 432 Immerhin müsste ja Paulus bekannt gewesen sein, dass nicht alle Nichtjuden im jüdischen Sinne »Götzenverehrer« waren!
182
III. Analyse paulinischer Texte
22
fáskonteß e~inai sofoì hemwránqjsan,
Obwohl sie behaupten, Weise zu sein, machen sie sich zu Narren,
23
kaì ‘jllaxan t`jn dóxan toü hafqártou qeoü hen Homoi´wmati e˙kónoß fqartoü hanqr´wpou kaì petein¨wn kaì tetrapódwn kaì Herpet¨wn.
und sie haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit der Gestalt eines Abbildes von einem vergänglichen Menschen, von Vögeln, Vierbeinern und Kriechtieren.
Diese »noetische« Verblendung wird in V. 22 nochmals beurteilt als ein Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Diejenigen, die sich für »Weise« halten, machen sich selbst zu »Narren«433. Daraus folgt in V. 23, für jüdische Ohren kaum unerwartet, der konkrete Vorwurf des Götzendienstes434. Die Zurückhaltung der Wahrheit durch Unrecht (1,18) vollzieht sich hier praktisch in Form einer »Vertauschung«435. Die in der Schöpfung erkannte Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes wird nun mit der Gestalt des Abbildes von vergänglichen Menschen oder Tieren (vgl. Dtn 4,15–18) vertauscht436. Gottes »beeindruckende Schwere«, sein »Ruhm und Glanz« (dóxa), steht zu den Götzenbildern in einem kontradiktorischen Gegensatz wie Unvergänglichkeit zu Vergänglichkeit. Dass Bildnisse von Tieren angebetet werden, galt nach jüdischer Überzeugung als eine besondere schillernde Form der Verirrung437. 24
Diò parédwken ahutoùß Ho qeòß hen taïß hepiqumíaiß t¨wn kardi¨wn ahu t¨wn e˙ß hakaqarsían toü hatimázesqai tà s´wmata ahu t¨wn hen ahu toïß,
433 Auch
Deshalb hat Gott sie den Begierden ihres Sinns in die Unreinheit übergeben, so dass ihre Körper durch sie selbst verunreinigt werden;
das ist ein weit verbreiteter polemischer Topos (vgl. Texte in NW II/1, 22–26). Zuspitzung auf den Götzendienst spricht m.E. gegen die These, die atl. AdamGeschichte bilde die Folie für Röm 1,18–32 (so HOOKER, Adam«; WEDDERBURN, Adam, 413–419; DUNN, I, 53.60f). Vgl. auch die Kritik in FITZMYER, 274f. 435 Das Verb hallássw bedeutet »verändern, vertauschen« (Apg 6,14 von der Veränderung der Gebräuche; 1Kor 15,51f von der Verwandlung des Körpers in der Auferstehung; Gal 4,20 vom Wechsel der Stimme; Hebr 1,12 vom Kleiderwechsel) und wird wie ein Cantus firmus mit metallássw in Röm 1,25 und 1,26 wieder aufgenommen. 436 Die Formulierung ist vielleicht von Ps 106,20 (Y 105,20) her inspiriert. Hier heißt es von der Anbetung des Goldenen Kalbs: »und sie verwandelten ihre Herrlichkeit (hjlláxanto t`jn dóxan ahut¨wn) in die Gestalt (hen Homoi´wmati) eines Gras fressenden Ochsen.« In Jer 2,11 wird dem Volk vorgeworfen, dass ihr Götzendienst gegenüber dem der »Heiden« ein schwereres Vergehen bedeutet, weil diese »ihre Götter wechseln (halláxonati ‘eqnj qeoùß ahut¨wn), die doch keine sind«, aber das Volk Gottes »hat seine Herrlichkeit eingetauscht (hjlláxato t`j n dóxan ahu toü) gegen das, was nichts nützt«. N. HYLDAHL, A Reminiscence of the Old Testament at Romans i.23, NTS 2 (1955/56) 285–288 reichert die intertextuellen Bezüge noch durch Dtn 4,15–18 und Gen 1,26f an, so dass sich am Ende Röm 1,23 als patchwork von vier Stellen lesen lässt. Vgl. auch 1QH 5,36. 437 SapSal 11,15f; 12,23–26; 13,10; s.a. Philo, Decal 76–79; LegGai 162f (beide in NW II/1, 29f). 434 Diese
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20) 25
o“itineß met´jllaxan t`j n hal´j qeian toü qeoü hen t¨^w yeúdei, kaì hesebásqjsan kaì helátreusan t¨∆ ktísei parà tòn ktísanta, “oß hestin ehulogjtòß e˙ß toùß a˙¨wnaß≥ ham´jn.
183
sie, die doch (insofern, weil sie) die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauschen und das Geschöpf verehren und ihm dienen anstelle des Schöpfers, der gelobt sei in Ewigkeit. Amen!
Nach 19b erscheint Gott wieder als Subjekt des Geschehens. Umstritten ist, in welchem Bezug dies zur Offenbarung seines Zorns (1,18) steht und wie seine Rolle zu deuten ist. Sprachlich ist dió als Angabe der direkten Folge der »Vertauschung« von Unvergänglichem mit Vergänglichem zu verstehen. Das Verb paradídwmi bedeutet im einfachsten Sinne »jdn. oder etwas übergeben, aushändigen«, wobei meist die Übergabe an eine höhere Instanz impliziert ist438. Das Verb kann auch die Bedeutung haben von »anvertrauen« im Sinne einer göttlichen Offenbarung/Beauftragung (vgl. Mt 11,27par; 25,14.20.22; Lk 4,6; Joh 19,11 passivum divinum) und damit auch für die mündlichen Rechtsüberlieferungen (Mk 7,13; Apg 6,14) und die christliche Überlieferung (Lk 1,2; Apg 16,4; 1Kor 11,23; 15,3; Jud 3) gebraucht werden. Im religiösen Sinne wird es auch für die Hingabe an Gott (Apg 14,26; 15,26.40; 1Kor 3,3; 1Petr 2,23) benutzt439. Theologisch für unseren Text interessant sind Aussagen, die »Gott« als Subjekt von paradídwmi aufführen: Das AT belegt sehr häufig die Vorstellung, dass Gott entweder die Heiden dem Volk Israel in die Hände gibt, damit diese den Sieg davontragen 440, oder umgekehrt, dass er als Strafe Israel »hingibt« 441. An drei Stellen steht diese Gotteshingabe in direktem Zusammenhang mit Gottes Zorn442. Diese strafende Übergabe Gottes ist häufig die Folge vorläufiger Verfehlungen, v.a. Folge von Götzendienst443.
438 Die
ausführlichste Wortuntersuchung findet sich in W. POPKES, Christus traditus (AThANT 49; Zürich, 1967) 11–129. Häufig bezeichnet das Verb die »Übergabe« eines Menschen an eine gerichtliche Instanz (Mt 5,25; 10,17.19par; 20,18f; 27,2.18par; Joh 18,35f; Apg 3,13; 21,11), ins Gefängnis oder zur Bewachung (Mt 4,12par; 18,34; Apg 8,3; 12,4; 22,4; 27,1; 28,17), zum Tod durch Hinrichtung (Mt 10,21; 24,9f; 26,2.45; 27,26; Mk 9,31; 2Kor 4,11) oder (als religiöser Rechtsakt) an den Satan (1Kor 5,5; 1Tim 1,20) oder das göttliche Gericht (2Petr 2,21). In diesem Sinne wird auch der Verrat des Judas als »Übergabe« verstanden (Mt 10,4par; 26,15f.21.23–25.46.48par; 27,3f; Joh 6,64.71; 12,4; 13,2.11.21; 18,2.5; 19,16). 439 Zur Deutung von Jesu Tod als Selbsthingabe vgl. Gal 2,20; Eph 5,2.25. 440 Vgl. POPKES, Christus traditus, 23. 441 Vgl. POPKES, Christus traditus, 23f. 442 Jes 34,2: Gottes Grimm (qumóß) und Zorn (horg´j) ist über alle Nationen, so dass er sie vernichtet (hapolésai) und sie der Schlachtung hingibt (paradoünai ahutoùß e˙ß sfag´j n). Hes 21,36: Gott will das Feuer seines Zorns (hen purì horg¨jß mou) über Israel aushauchen und sie übergeben in die Hände (kaì parad´wsw se e˙ß ceïraß) von ausländischen Menschen, die ihr Verderben schmieden. 2Chron 28,9: Der Prophet Oded spricht zum Heer Israels, das einen Sieg gegen Juda errungen hat: »Siehe, der Zorn des Herrn (horg`j kuríou), des Gottes unserer Väter (ist) über Juda und (deshalb) hat er sie in eure Hände gegeben (parédwken ahutoùß e˙ß tàß ceïraß).« 443 Vgl. z.B. 2Chron 28,1–5: Ahas war ein schlechter König, er machte Baalsbilder und opferte sogar seine Söhne nach den Sitten der Heiden und (als Folge davon) »übergab ihn der Herr sein Gott durch die Hand des Königs von Syrien« (5: kaì parédwken ahutòn kúrioß Ho
184
III. Analyse paulinischer Texte
Vom Begriff her und vom Zusammenhang zwischen Götzendienst und »Hingabe« liegt hier m.E. ein deutlicher Hinweis auf Gottes Gerichtshandeln vor, auch wenn dieses Handeln gegenüber der Extension von 1,18 als »vorläufig« bezeichnet werden muss444. Nachdem die intellektuelle Erkenntnis in ihr Gegenteil verkehrt worden ist, übergibt Gott die Menschen an jene Instanz, die immer schon als Gegenspielerin der Ratio galt, die Begierden des Sinnes (hen taïß hepiqumíaiß t¨wn kardi¨wn ahut¨wn)445. Dieses Schema wiederholt sich in V. 26 und 28 (parédwken). Die theologischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, sind entweder im Rahmen dieser rhetorisch hoch stilisierten Polemik nicht von Belang446 oder sie wurden als solches gar nicht empfunden447. Sie sollten jedenfalls nicht ohne weiteres für die Exegese qeòß dià ceiròß basiléwß Suríaß). Der gleiche Zusammenhang findet sich in Apg 7,40– 42: Die Anbetung des Goldenen Kalbs führt dazu, dass sich Gott von seinem Volk »abwandte und sie dahingab, dass sie dem Heer des Himmels dienten« (‘estreyen dè Ho qeòß kaì parédwken ahutoùß latreúein t¨∆ strati^ä toü ohuranoü). 444 Die meisten Exegeten und Exegetinnen sehen einen sachlichen Bezug zwischen 1,24.26.28 und 1,18. Das schließt jedoch keineswegs aus, dass 1,18 auch eine zukünftige Realisierung einschließt (DUNN, I,54f). U. LUZ, Neutestamentliche Lichtblicke auf die dunklen Seiten Gottes: Überlegungen zu den Gerichtsaussagen der Paulustradition, in: M.L. Frettlöh / H.P. Lichtenberger (Hrsg.), Gott wahr nehmen (FS Chr. Link; Neukirchen-Vluyn, 2003) 270, Anm. 38 »Dass die künftige horg´j Gottes sich schon in der Gegenwart auswirken kann […], zeigt nicht nur Röm 1,21–31, sondern auch Röm 7,14–23.« FITZMYER, 284: »Although God’s wrath will manifest itself definitively at the eschatological judgment, it is already revealing itself in human history.« Gegen eine Verbindung von paradídwmi und 1,18 sprechen sich KONRADT, Gericht, 499 und ZELLER, 58 aus (mit dem Hinweis, dass der Aorist parédwken in die Vergangenheit weise; doch vgl. zum Verbalaspekt oben S. 180). 445 Die Wendung hepiqumía kardíaß ist selten. Vgl. Sir 5,2: »Du sollst nicht deiner Seele und deiner Kraft folgen, um zu wandeln in den Begierden deines Sinns (hen hepiqumíaiß kardíaß).« Sie entspricht jedoch einer allgemeinen hellenistischen Vorstellung, dass der Verstand ihm eigene Bedürfnisse und Wünsche hat. Vgl. M. Frede, Introduction, in: M. Frede / G. Striker (eds.), Rationality in Greek Thought (Oxford, 1996) 5–9. 446 Eph 4,19 klingt geradezu wie eine Abwandlung der theologisch problematischen Aussage in Röm 1,24: Nachdem die Nichtjuden in Verblendung und Götzendienst leben, geben sie sich selbst (Heautoùß parédwkan) der Ausschweifung hin. Hier wird Gott (bewusst?) aus dem Spiel gelassen. 447 Ein analoges Problem stellt »die« rabbinische Soteriologie in ihrer Spannung von Erwählung und Vergeltung dar, wofür F. AVEMARIE den treffenden Begriff der »qualifizierten Optionalität« benutzt (Erwählung und Vergeltung: Zur optionalen Struktur rabbinischer Soteriologie, NTS 45 [1999] 108–126). Darunter ist zu verstehen, »daß gegenüber einem gegebenen Sachverhalt mehrere verschiedene Positionen eingenommen werden können oder bei einem gegebenen Problem unter mehreren verschiedenen Lösungsmöglichkeiten gewählt werden kann, wobei die Menge der Möglichkeiten nicht unbegrenzt ist. Das ist die Denkstruktur, die sowohl Aspektive als auch Kontroverse ermöglicht. Daß sich aus derart organisierten Denkgebäuden kein widerspruchsfreies theologisches System erheben läßt, liegt auf der Hand.« (114f) Die Ähnlichkeiten zu Sachproblemen paulinischer Exegese scheinen mir evident zu sein.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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leitend sein448. Dass nämlich Unrecht seine eigene Strafe mit sich bringt, bzw. dass es eine Entsprechung zwischen der Art des Unrechts und der Art der Strafe gibt, ist in vielen jüdischen Texten bezeugt449. Ziel des Irrwegs der Menschen ist die »Unreinheit« (hakaqarsía) mit der Konsequenz450, dass ihre Körper durch sich selbst verunreingt werden (hatimázesqai). Der Götzendienst wird als Quelle von allgemeiner Sittenlosigkeit angesehen. V. 25 nimmt Bezug auf V. 18 und stellt heraus, wer aus welchen Gründen unter Anklage steht451. Die sachliche Abfolge ist parallel: Gottes Zorn kommt über jene Menschen, die die wahre Einsicht durch Unrecht an ihrer Wirkung hindern (1,18). Entsprechend übergibt Gott jene Menschen in ihre Begierden, die die »Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauschen« (1,24f). Gemeint sind solche Menschen452, die die Einsicht, die ihnen durch die Erkenntnis in der Natur erschlossen worden ist, zur Lüge verkehren (metallássw; vgl. zu 1,23)453. Diese »Lüge« drückt sich in der Anbetung der Geschöpfe statt des Schöpfers aus. Die kurze eingefügte Doxologie (»der gelobt sei in Ewigkeit. Amen!«) inszeniert in gewisser Weise den Kontrast zwischen der nichtjüdischen Verweigerung und dem Gott gebührenden Lob.
448 Aufgrund
des theologischen Sachproblems einer allzu engen Kausalität zwischen Gott und den »heidnischen« Lastern plädieren manche dafür, paradídwmi abzuschwächen; CRANFIELD, I,121 (»God’s permitting«); KONRADT, Gericht, 499 (Gott wandte sich von ihnen ab und überließ sie ihrem Tun). M.E. ist diese Wortbedeutung angesichts des sonstigen Wortgebrauchs (auch und gerade in nicht-theologischen Zusammenhängen) unwahrscheinlich. Treffender scheint mir die Formulierung von POPKES, Aufbau, 496: »Gott überstellt den Menschen einer anderen Macht; damit ist der Mensch schutzlos-ausgeliefert – und er muß es selber verantworten.« Dieser Aspekt passt zur Wendung Hufh Hamartían in 3,9. 449 Vgl. KLOSTERMANN, Vergeltung«; SCHMELLER, Diatribe, 240–242. Hes 23,28–30; TestGad 5,10; Jub 4,32. Ein anschauliches Beispiel für diese »Gesetzmäßigkeit« findet sich in SapSal 11,15–16: »Entsprechend ihren Gedanken ohne Verstand und voll Ungerechtigkeit, die sie verwirrten und vernunftlose Schlangen und armselige Biester anbeten ließen, schicktest du ihnen massenweise vernunftlose Tiere zur Strafe, damit sie erkennten, daß man mit den (Mitteln) gestraft wird, mit denen man sündigt (dih ˆwn tiß Hamartánei dià toútwn kolázetai).« (Georgi, JSHRZ) 450 Das Prädikat des AcI mit toü wird konsekutiv gebraucht (BDR §400.2). 451 Neben der wörtlichen Wiederholung von hal´jqeia in 1,18 und 1,25, nimmt parédwken ahutoùß Ho qeóß (V. 24) horg`j qeoü (V. 18) auf. 452 Der Anschluss mit o“ itineß ist qualitativ aber auch kausal gemeint (»sie die doch; insofern weil sie…«). 453 Götzendienst ist die »große Lüge« (vgl. Jes 44,19f). Juden charakterisieren sich im Gegensatz dazu als solche, die sich »mit keinem anderen Volk irgendwie vermischen, (sondern) rein an Leib und Seele bleiben und – befreit von den törichten Lehren – den einzigen und gewaltigen Gott überall in der ganzen Schöpfung verehren.« (EpArist 139 = Meisner, JSHRZ)
186
III. Analyse paulinischer Texte
26
dià toüto parédwken ahutoùß Ho qeòß e˙ß páqj hatimíaß≥ a“i te gàr q´jleiai ahu t¨wn met´jllaxan t`j n fusik`j n cr¨jsin e˙ß t`j n parà fúsin,
Darum hat Gott sie unehrenhaften Leidenschaften übergeben: denn ihre Frauen vertauschen den natürlichen Gebrauch mit dem (Gebrauch, der) gegen die Natur (ist).
27
Homoíwß te kaì oÓ ‘arseneß hafénteß t`jn fusik`jn cr¨jsin t¨jß qjleíaß hexekaúqjsan hen t¨∆ horéxei ahu t¨wn e˙ß hall´jlouß, ‘arseneß hen ‘arsesin t`j n hascjmosúnjn katergazómenoi kaì t`j n hantimisqían “jn ‘edei t¨jß plánjß ahut¨wn hen Heautoïß hapolambánonteß.
Ebenso auch die Männer: sie geben den natürlichen Gebrauch mit den Frauen auf und entbrennen in ihrem Verlangen zueinander, Männer mit Männer treiben Schamlosigkeit und empfangen an sich selbst den Lohn (zurück), den sie für ihre Verirrung (empfangen) mussten.
Der Abschnitt 26f knüpft begründend (dià toüto) an die Aussage in V. 24 an und konkretisiert anhand eines schillernden Beispiels, was unter den »Begierden des Sinns« und der »Unreinheit ihrer Körper« zu verstehen ist454. Ziel der strafenden »Hingabe« Gottes ist hier die »unehrenhafte Leidenschaft«455. Aus der »Vertauschung« der schöpfungsgemässen Erkenntnis Gottes durch Götzendienst folgt nun die »Vertauschung« des natürlichen sexuellen »Gebrauchs«456. Die Frauen vertauschen (wieder metallássw) den natürlichen »Gebrauch«457 mit dem »wider die Natur« (parà fúsin)458. Dass 454 Sowohl
die argumentative Funktion als auch das rhetorische Umfeld, das bewusst in tiefen schwarzen Farben malt, sollten angesichts der Bedeutung, die diese beiden Verse im Rahmen der aktuellen biblisch-ethischen Diskussion um »Homosexualität« erlangt haben, im Auge behalten werden. M.E. wird durch den Gebrauch des Abstraktbegriffs »Homosexualität« (ein relativ modernes Wort, das erstmals 1869 in anonym herausgegebenen Schriften des österreichisch-ungarischen Schriftstellers Karl Maria Kertbeny auftaucht) ein wirkliches Erfassen antiker homo-erotischer Praktiken verbaut. Im Folgenden muss jedoch auf die Frage nach ethischen Bezügen verzichtet werden. 455 Paulus knüpft hier an die Kategorien von Ehre und Schande an. Der Begriff páqoß schließt an hepiqumía in 1,24 an und bildet zusammen mit hekkaíw, ‘orexiß und plánj (alle 1,27) ein Begriffsfeld, das in der Antike eng mit der Psychologie des ‘erwß verbunden war. Vgl. dazu D.E. FREDRICKSON, Natural and Unnatural Use in Romans 1:24–27: Paul and the Philosophic Critique of Eros, in: D.L. Balch (ed.), Homosexuality, Science and the »Plain Sense« of Scripture (Grand Rapids, MI, 2000) 208–215. 456 Vgl. Philo, Abr 135; SpecLeg. II,50; III,37–39.42 (auszugsweise in NW II/1, 32f); TestJos 3,8. 457 Der Begriff der cr¨jsiß hat wenig Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Dabei handelt es sich nicht um einen simplen Euphemismus für »sexuellen Verkehr«, sondern um einen Hinweis auf ein bestimmtes Verständnis von Sexualität als Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses, das antike Sexualvorstellungen deutlich von heutigen unterscheidet. Erhellend dazu M. FOUCAULT, Der Gebrauch der Lüste (Sexualität und Wahrheit 2; Frankfurt a.M., 1986) 71–83 (»Chrêsis«). FREDRICKSON, Use, 199–207 knüpft daran an. 458 Dass hier pará im konträren Sinne zu verstehen ist, geht aus dem Zusammenhang klar hervor.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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hierbei an gleichgeschlechtliche Sexualpraktiken zu denken ist, wird erst durch das klarere Beispiel männlicher Homoerotik in V. 27, das mit Homoíwß anschließt, deutlich459. Paulus darf sich im Kontext jüdischer Moralauffassungen des Einverständnisses in Bezug auf die negative Bewertung solcher Praktiken gewiss sein. Der Topos des Lebens im »Einklang mit der Natur« ist zwar ein Grundmerkmal stoischer Ethik460, ist aber im paulinischen Argumentationskontext eingefärbt durch die Vorstellung von der Natur als Schöpfung Gottes, die etwas von Gottes unsichtbarem Wesen erschließt (1,19f). V. 27 bezeugt ebensolches (Homoíwß) für die Männer. Sie geben den natürlichen Gebrauch mit den Frauen auf und entbrennen in ihrem Verlangen (‘orexiß)461 zueinander. Dieses Entbrennen wird von zwei Umständen (parallele Partizipialkonstruktionen in 27b.c) begleitet: Männer treiben mit Männern Schamlosigkeit462. Sie empfangen damit an sich selbst den Lohn zurück, den sie für ihre Verirrung empfangen mussten. Hier wird wieder auf die Entsprechung zwischen Verirrung und Strafe appelliert. Die Hingabe an diese »irregeleiteten« Leidenschaften ist die zu erwartende Strafe für ihre Verirrung463. 28
kaì kaq`wß ohuk hedokímasan tòn qeòn ‘ecein hen hepign´wsei, parédwken ahutoùß Ho qeòß e˙ß hadókimon noün, poieïn tà m`j kaq´jkonta,
459 Das
Und da sie es nicht für gut befunden haben, Gott in der Erkenntnis festzuhalten (anzuerkennen), hat Gott sie einem unbrauchbaren Verstand hingegeben, um das Ungebührliche zu tun,
ist die Mehrheitsmeinung in der Fachexegese. Anders HAACKER, 53f (Bestialität); und im Anschluss an Bill. 3,68f P.J. TOMSON, Paul and the Jewish Law (CRI III,1; Assen; Minneapolis, 1990) 94, Anm. 157 (widernatürliche Sexualpraktiken zwischen Frauen und Männern). Zur allgemeinen Beurteilung von Homoerotik in der Antike vgl. die Texte in NW II/1, 32–50. Zur Bewertung weiblicher Homoerotik vgl. Lukian, Dialog. meret. 5,2 (= NW II/1, 39); Amores 28; Plutarch, Lycurgus 18; PsPhok 192; ApokPet 32 (griech. Text = NTApo II,573). 460 Vgl. M. FORSCHNER, Über das Handeln im Einklang mit der Natur (Darmstadt, 1998) 5–68. 461 Das seltene Substantiv gehört zum semantischen Feld der hepiqumía. Vgl. Sir 18,30: »Folge deinen Leidenschaften (t¨wn hepiqumi¨wn sou) nicht und wehre dein Verlangen (t¨w n horéxe´wn sou) ab.« SapSal 16,2 (in Bezug auf die Speise). 462 Die negative Bewertung aller Formen homoerotischer Akte dürfte sich auf jüdischem Boden in der Antike breiter Zustimmung erfreut haben. Maßgebend sind hier entsprechende Traditionen aus dem AT (Gen 19,1–28; Lev 18,22; 20,13; Dtn 23,17 usw.), die dann wieder aufgenommen werden: Vgl. EpArist 152: »Denn die meisten übrigen Menschen beflecken sich durch Geschlechtsverkehr, wobei sie großes Unrecht begehen, und ganze Länder und Städte rühmen sich dessen (noch). Sie verkehren nämlich nicht nur mit Männern, sondern beflecken auch Mütter und Töchter. Wir aber halten uns davon fern.« (Meisner, JSHRZ) Weiterhin: SibOr 3,594–600. 463 Plánj ist wohl auf den »ursprünglichen« Irrtum bezogen, das die Herrlichkeit Gottes durch Götzendienst ersetzte.
188
III. Analyse paulinischer Texte
29
pepljrwménouß pás∆ hadikíâ ponjríâ pleonexíâ kakíâ, mestoùß fqónou fónou ‘eridoß dólou kakojqeíaß, yiquristáß,
erfüllt von jeder Art von Unrecht: Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voller Neid, Totschlag, Streitsucht, Betrug, Verschlagenheit, übler Nachrede,
30
katalálouß, qeostugeïß, Hubristáß, Huperjfánouß, halazónaß, hefeuretàß kak¨wn, goneüsin hapeiqeïß,
Verleumder, Gotthasser, Gewalttäter, Hochmütige, Angeber, Erfinder böser Taten, den Eltern gegenüber ungehorsam,
31
hasunétouß, hasunqétouß, hastórgouß, hanele´jmonaß≥
unverständig, treulos, lieblos, unbarmherzig.
Der Anschluss mit kaq´wß ist kausal und leitet damit die dritte »Übergabe« (parédwken; vgl. 24.26) ein. Die Anklage der vorherigen Verse wird hier nochmals zusammengefasst: Die Menschen haben es nicht für gut befunden, Gott anzuerkennen. Deshalb hat er sie ihrem unbrauchbaren Verstand übergeben464. Jetzt wird deutlich, dass Götzendienst und homoerotische Sexualakte nur zwei Beispiele waren für all das Schlechte, was aus der verkehrten Sicht der Nichtjuden erwächst465. Vielmehr führt sie ihre Vernunft dazu, das zu tun, was sich nicht gehört (tà m`j kaq´jkonta)466. Der lange Lasterkatalog in VV. 29–31 soll die gesamte Schlechtigkeit der Nichtjuden vor Augen führen und braucht im Einzelnen hier nicht erläutert zu werden467. 32
o“itineß tò dikaíwma toü qeoü hepignónteß, “oti oÓ tà toiaüta prássonteß ‘axioi qanátou e˙sín, ohu mónon ahutà poioüsin hallà kaì suneudokoüsin toïß prássousin.
(Sie sind) solche die, obwohl sie die Rechtssatzung Gottes kennen – dass nämlich die, die derlei Dinge tun, des Todes schuldig sind –, nicht nur diese Dinge tun, sondern auch noch denen Beifall spenden, die es tun.
Die wissentliche »Vertauschung« der Gotteserkenntnis bringt es mit sich, dass sich die Nichtjuden der ethischen Verwerflichkeit all dieser Taten bewusst sind. Sie wissen sogar, dass sie mit solchen Taten eine Todesschuld auf sich laden468. Die Anklage kommt noch zu einem klimaktischen Abschluss: Sie 464 Vgl.
das Wortspiel mit »nicht für gut befinden« (ohuk dokimázw) und »unbrauchbar« (hadókimoß). 465 Philo, Decal 91: »Die Quelle aller ungerechten Taten ist Gottlosigkeit.« 466 Der Ausdruck, der in der LXX nur in 2Makk 6,3f belegt ist, hat deutlich stoischen Charakter. Vgl. zur stoischen Lehre des kaq¨jkon M. POHLENZ, Die Stoa (Göttingen, 71992) I, 129–131 und M. FORSCHNER, Die stoische Ethik (Darmstadt, 21995) 183–196. Allgemein zur argumentativen Funktion von abstrakten Werten SIEGERT, Argumentation, 203–206. 467 SCHMELLER, Diatribe, 245: »Die lange Reihe unverbunden nebeneinandergestellter Laster will offenkundig nur insgesamt, nicht im Detail wirken.« 468 Mit »Tod« ist wohl kaum die säkulare Rechtspraxis gemeint, sondern der Tod als Ausgang des göttlichen Gerichts (1,18; vgl. 6,23: »Der Tod ist der Sünde Lohn…«), das »ewige Verderben« (KONRADT, Gericht, 500).
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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tun nicht nur solches, sondern ermutigen alle, die solches tun. Die Nichtjuden sind also auf allen Ebenen schuldig469: Sie haben eine theologisch-ethische Erkenntnismöglichkeit, doch sie verkehren dies in Götzendienst und allen möglichen bösen Handlungen und ermuntern dazu andere, so zu handeln. b) Röm 2,1–16470 Auf der rhetorischen Klimax antipaganer Polemik nimmt die Argumentation eine Wende. Die direkte Anrede (~w ‘anqrwpe) und der Übergang zur zweite Singularform markieren einen erkennbaren Einschnitt471. Paulus greift hier deutlich auf den in der Antike bekannten Diatribe-Stil zurück472. Rezeptionsästhetisch lässt sich 1,18–32 als »reader entrapment« bezeichnen: Der in 2,1ff angesprochene (fiktive) Dialogpartner gerät durch sein Mitnicken mit der überspitzten Abrechnung im vorherigen Abschnitt in die Schlinge der Selbstanklage. Das Urteilen über andere, das in 2,1 vorausgesetzt wird, ist rhetorisch geschickt in 1,18–32 willentlich in Gang gesetzt worden. Auch in Kap. 2 wird die Identifizierung der angesprochenen Menschengruppe zunächst in der Schwebe gehalten. Erst in 2,17 wird explizit gemacht (vorbereitet durch den Hinweis auf das Gesetz in 2,12), dass hier jüdisches Privilegierungsbewusstsein der Kritik ausgesetzt wird473. 469 Es
ist interessant, dass Paulus Anklagepunkte, die in alttestamentlichen Zusammenhängen gegen Israel erhoben werden, auf Nichtjuden überträgt. 470 Literatur (Kap. 2): J.-N. A LETTI, Romains 2. Sa cohérence et sa fonction, Bib 77 (1996) 153–177; G.P. CARRAS, Romans 2,1–29: A Dialogue on Jewish Ideals, Bib 73 (1992) 183–207; K.R. SNODGRASS, Justification by Grace – to the Doers: an Analysis of the Place of Romans 2 in the Theology of Paul, NTS 32 (1986) 72–93 (dort ältere Literatur); N.T. WRIGHT, The Law in Romans 2, in: J.D.G. Dunn (ed.), Paul and the Mosaic Law (WUNT 89; Tübingen, 1996) 131–150. Zu 2,1–16: R.H. BELL, Extra ecclesiam nulla salus? Is there a salvation other than through faith in Christ according to Romans 2.12–16?, in: J. Ådna / S.J. Hafemann / O. Hofius (Hrsg.), Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS P. Stuhlmacher; Göttingen, 1997) 31–43; BELL, No One Seeks, 132–183; H.–J. ECKSTEIN, Der Begriff Syneidesis bei Paulus (WUNT 2:10; Tübingen, 1983) 137–179 (zu 2,14–16); S.J. GATHERCOLE, A Law unto Themselves: The Gentiles in Romans 2.14–15 revisited, JSNT 85 (2002) 27–49; P. MAERTENS, Une étude de Rm 2.12–16, NTS 46 (2000) 504–519; J.W. MARTENS, Romans 2.14–16: A Stoic Reading, NTS 40 (1994) 55–67; C.G. WHITSETT, Son of God, seed of David: Paul’s messianic exegesis in Romans 2:3–4, JBL 119 (2000) 661–681; K.L. Y INGER, Paul, Judaism, and Judgment According to Deeds (MSSNTS 105; Cambridge, 1999) 143–182 (zu 2,6–11). 471 Anders J.M. BASSLER, Divine Impartiality (SBLDS 59; Chico, CA, 1982) 121–170; BINDEMANN, Theologie, 72; SNODGRASS, Romans 2, 80, die 2,1–11 zu 1,18–32 ziehen. 472 SCHMELLER, Diatribe, 232–234 sieht diatribische Elemente ab 1,18. Vgl. auch STOWERS, Diatribe und zu jüdischen Analogien R. U LMER, The Advancement of Arguments in Exegetical Midrash Compared to that of the Greek DIATRIBJ, JSJ 28 (1997) 48–91. 473 Vgl. zur Begründung dieser »Mehrheitsmeinung« CARRAS, Rom 2.1–29, 191. Alternativvorschläge finden sich in BASSLER, Impartiality, 135f; BELL, No One Seeks, 137f; HAACKER, 59; STOWERS, Diatribe, 112.
190 2,1
III. Analyse paulinischer Texte Diò hanapológjtoß e~i, ~w ‘anqrwpe päß Ho krínwn≥ hen ˆ^w gàr kríneiß tòn “eteron, seautòn katakríneiß, tà gàr ahutà prásseiß Ho krínwn.
Deswegen bist du ohne Entschuldigung, oh Mensch, (und zwar) jeder, der (andere) richtet. Denn worin du den anderen richtest, verurteilst du dich selbst, denn du tust das Gleiche, was du richtest.
Wieder lässt der Anschluss (in diesem Fall mit dió) die Frage nach dem Bezug zum Vorherigen offen. Eine wirklich schlussfolgernde Funktion (»deshalb«) ist nicht leicht anhand des Textes einsichtig zu machen474. In jedem Fall wird man konzedieren müssen, dass sich die Begründung sachlich zum Teil auch aus dem anschließenden verstärkenden gár herleitet und nicht alleine aus 1,18–32 geschlossen werden kann (dazu s.u. S. 219f). Der anvisierte Diskussionspartner wird näher qualifiziert als Kollektiv all jener, die andere (insbesondere Nichtjuden) verurteilen (krínw)475 und dabei das Gleiche tun. Nachdem in 1,18–32 deutlich geworden ist, dass bestimmte Taten Gottes Zorn provozieren, liegt die Schuld in 2,1 nicht so sehr darin, dass ein Mensch über andere urteilt, sondern ebenso handelt. Das Adjektiv hanapológjtoß knüpft an 1,20 an und stellt die Richtenden unter das gleiche Verdikt. Dabei impliziert das Richten, dass für den hier Angesprochenen die »Rechtssatzung Gottes« (1,32 tò dikaíwma toü qeoü) bekannt ist. Damit stellen 1,32b und 2,1 zwei Meta-Aussagen über die »Laster« der Menschen einander gegenüber476: Die einen zollen ihnen Beifall, die anderen verurteilen ihr Tun. Aber beide stimmen in ihrem Fehlverhalten überein. 2
o‘idamen dè “oti tò kríma toü qeoü hestin katà hal´jqeian hepì toùß tà toiaüta prássontaß.
Wir wissen aber, dass das Urteil Gottes gemäß der Wahrheit ist gegen die, die derartiges tun.
Während in V. 1 im engen Sinne nur von der Selbstverurteilung die Rede ist477, wird hier an bereits vorhandenes Wissen appelliert478 und Gottes Gerichtsurteil (tò kríma toü qeoü) ins Spiel gebracht479. Dieses Urteil 474 Paulus
verwendet dió in der Regel folgernd (4,22; 13,5; 15,7.22; am Anfang eines Gedankengangs in 15,7; 2Kor 4,16; Phlm 8). Eine solche Deutung führt hier aber zu recht komplizierten Konstruktionen (vgl. etwa WILCKENS, I,123f; FITZMYER, 298f). Keine inferentielle Bedeutung sehen hingegen LIETZMANN, 39; LOHSE, 98; MICHEL, 73; SCHLIER, 68. R. BULTMANNS Hypothese einer Ausscheidung von 2,1 als Glosse (Glossen im Römerbrief [1947], in: Ders., Exegetica, hrsg. E. Dinkler [Tübingen, 1967] 281) wird zwar heute (trotz KÄSEMANN, 50) zu Recht nicht mehr vertreten (vgl. etwa WILCKENS, I,123; SCHMELLER, Diatribe, 234), sie ist aber deswegen interessant, weil sie sich als Ausweg aus der Verlegenheit versteht, das dió zu erklären. 475 Der Wechsel von krínw zu katakrínw macht deutlich, dass es um eine starke Abqualifizierung geht. 476 P. BOSMAN, Conscience in Philo and Paul (WUNT 2:166; Tübingen, 2003) 242, Anm. 206. 477 Die theologische Dimension schwingt implizit in ha napológjtoß mit. 478 Vgl. ähnliches Hinweise auf »gemeinsames« Wissen in 3,19; 7,14; 8,22.28. 479 Kríma im Sinne von »Urteil« auch in 3,8; 13,2; Gal 5,10.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
191
orientiert sich am Maßstab der von Gott geoffenbarten Wahrheit480. Gegenstand dieses Urteils sind (mit hepí) jene, die wie in V. 1 angeführt handeln; die also andere verurteilen und Gleiches tun. Der Bezug zu 1,18 ist offensichtlich481. Das Prinzip aus 1,18 wird hier weiter ausgefächert: Gottes Zorn kommt über jedes Unrecht, ganz gleich, wer es begeht. Es gibt demnach für das göttliche Urteil über bestimmte Handlungen keine gruppenspezifischen Privilegien. Gott beurteilt alle gleich (vgl. 2,11). 3
logíz∆ dè toüto, ~w ‘anqrwpe Ho krínwn toùß tà toiaüta prássontaß kaì poi¨wn ahutá, “oti sù hekfeúx∆ tò kríma toü qeoü;
Denkst du tatsächlich, oh Mensch, der du jene richtest, die derartiges tun, und es selbst tust, dass du dem Urteil Gottes entfliehen wirst?
4
’j toü ploútou t¨jß crjstótjtoß ahutoü kaì t¨jß hanoc¨jß kaì t¨jß makroqumíaß katafroneïß, hagno¨wn “oti tò crjstòn toü qeoü e˙ß metánoián se ‘agei;
Oder verachtest du etwa den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut, indem du (die Tatsache) ignorierst, dass die Güte Gottes dich zur Umkehr führen will?
Da die Aussage in V. 2 offenbar geteilt wird, ist die rhetorische Frage in V. 3 besonders eindeutig zu beantworten: Natürlich wird niemand, der andere für etwas richtet, das er selbst tut, dem Urteil Gottes (tò kríma toü qeoü = 2,2) entgehen können (hekfeúgw im Futur). Das Prinzip der VV. 1–2 wird durch die rhetorische Frage nochmals untermauert. Ohne es direkt anzusprechen, scheint Paulus hier gegen eine Position zu argumentieren, die von drei Annahmen ausgeht482: Von Gottes Vernichtungsgericht werden vornehmlich oder sogar ausschließlich die Ungerechten bzw. die »Heiden« getroffen483. Juden genießen als Angehörige des Gottesvolkes gegenüber den »Sündern« (vgl. Gal 2,15) bestimmte »Privilegien« in Bezug auf das göttliche Gericht484. Gott züchtigt sein Volk, bringt es aber nicht ins Verderben. 480 Möglich
wäre auch katà hal´j qeian adverbial (»zu Recht, wahrhaft«) zu übersetzen, aber nachdem bereits in 1,18.25 an exponierter Stelle von der »Wahrheit« im Zusammenhang mit der Erkenntnis Gottes die Rede war und diese als Maßstab für das Gericht gilt, empfiehlt es sich auch hier, dem Wort sein volles Gewicht zu geben (vgl. weiterhin 2,8.20 und 3,7). »Gericht« und »Wahrheit« stehen auch in 4Esr 7,34; syrBarApk 85,9; TestHiob 43,13; 1QS 4,20; CD 20,29f nebeneinander. 481 Wörtlich wiederholt werden hal´j qeia und h epí. Darüber hinaus entspricht tò kríma toü qeoü in 2,2 sachlich der Wendung horg`j qeoü in 1,18. 482 Vgl. zur Rekonstruktion des Hintergrunds SCHMELLER, Diatribe, 247f. 483 Vgl. z.B. PsSal 15,8: Die Gerechten werden die »Sünder verfolgen und einholen, und die, die Gesetzlosigkeit üben, werden nicht dem Gericht des Herrn entfliehen (ohuk hekfeúxontai oÓ poioünteß hanomían tò kríma kuríou)« (Holm-Nielsen, JSHRZ). 484 Aufschlussreich ist SapSal 15,1–3: »Du aber, unser Gott, bist gütig und wahrhaftig, langmütig (crjstòß kaì haljq´jß makróqumoß) und du verwaltest das Universum mit Erbarmen (heléei); 2 denn auch wenn wir sündigen (heàn Hamártwmen), gehören wir dir, weil
192
III. Analyse paulinischer Texte
Durch den Anschluss mit »oder« (‘j) stellt sich die zweite rhetorische Frage (V. 4) dar, als sollte hier die Aussage von V. 3 mit einer anderen Formulierung untermauert werden. Der inhaltliche Bezug zwischen beiden Aussagen ist aber nicht sogleich evident. Ein Nexus ist wahrscheinlich in der Vorstellung zu suchen, dass Gottes Aufschiebung seines Gerichts (eben seine Langmut und Güte) Raum zur Umkehr gewähren soll485, also keineswegs so zu verstehen ist, als ob er das Unrecht seines Volkes nicht mehr strafen würde486. Wer also durch den Rückzug auf bestimmte Privilegien meint, dem Urteil Gottes entfliehen zu können und dabei verkennt, dass Gottes »Strafaufschub« der Umkehr dienen soll, verachtet de facto Gottes Güte. 5
katà dè t`j n skljrótjtá sou kaì hametanójton kardían qjsaurízeiß seaut¨^w horg`jn hen Hjmérâ horg¨jß kaì hapokalúyewß dikaiokrisíaß toü qeoü,
Nach Maßgabe deiner Sturheit und (deines) unbussfertigen Sinns häufst du gegen dich selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes.
6
“oß hapod´wsei Hekást^w katà tà ‘erga ahutoü,
der jedem entsprechend seinen Taten gibt:
Ähnlich wie in 1,18–32 führt auch hier die Ätiologie menschlicher Schuldverstrickung in den Bereich des Denkens (3: logízw; 4: hagno´ew). Diese Fehleinschätzung ist Produkt eines sturen und »unbussfertigen«487 Sinns (kardía)488. Entsprechend (katá) häuft er gegen sich (seaut¨^w dat. incommodi) wir wissen, daß du die Macht besitzt. Wir werden aber nicht sündigen, weil wir wissen, daß wir dir zugerechnet sind. 3 Denn dich kennen (bedeutet) vollkommene Gerechtigkeit, und um deine Macht wissen, (bedeutet) die Wurzel der Unsterblichkeit.« (Georgi, JSHRZ) Vgl. weiterhin PsSal 13,7; 15,4–6.13. Gegen diese Sicht scheinen auch andere NT-Texte zu polemisieren. Vgl. Mt 3,9 (»Denkt bloß nicht, dass ihr unter euch sagen könntet: ›Als Vater haben wir Abraham.‹«); 23,33; Lk 3,7par; Joh 8,33. 485 Paulus gebraucht metánoia sehr selten (2Kor 7,9f; als Verb in 2Kor 12,21). Vgl. zu Gottes Langmut als Chance zur Umkehr SapSal 12,10 (s.a. 11,23; 12,2.20f); PsSal 13,8–10; syrApkBar 21,20; 59,6. Allgemein zur jüdischen Umkehrpredigt: Dtn 9,27; syrBarApk 85,12; 4Esr 8,33; äthHen 50,4. 486 Eine ähnliche Absicht bewegt Sir 5,4–7: »Nicht sollst du sprechen: ›Ich habe gesündigt und was geschah mir?‹ Denn Gott ist langmütig (kurióß hestin makróqumoß). Nicht sollst du sprechen: ›Gnädig ist der Herr und all meine Sündenschuld wird er wegwischen.‹ 5 Auf Vergebung hoffe nicht, wenn du häufst Schuld auf Schuld, 6 und indem du sprichst: ›Sein Erbarmen ist groß, entsprechend der Menge meiner Schuld wird er vergeben!‹ Denn Erbarmen, aber auch Zorn sind bei ihm (‘eleoß gàr kaì horg`j parh ahut¨^w), und auf den Frevlern ruht sein Grimm. 7 Nicht sollst du zögern, zu ihm umzukehren (hepistréyai), und nicht sollst du es hinausschieben von Tag zu Tag. Denn plötzlich bricht hervor sein Grimm (horg´j), und am Tag der Vergeltung (hen kair¨^w hekdik´jsewß) wirst du ein Ende nehmen.« (Sauer, JSHRZ) 487 Das Adjektiv hametanójtoß knüpft an metánoia an. 488 Die Formulierung ist bewusst bibelarchaisch und ruft einen beliebten Topos der Kritik an Israel auf: Dtn 9,27; 10,16; 29,3; 31,27; Ex 9,35; Jes 6,10; 29,10; Jer 4,4; Sir 16,10; 1QS 1,6; 5,4; CD 3,5.11; 8,8.19.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
193
Zorn an489. Diese strafende Seite Gottes wird sich erst vollends am »Tag des Zorns«490 zeigen, wenn das »gerechte Gericht« (dikaiokrisía)491 Gottes offenbart wird (vgl. 1,18). Was dieses Gericht zu einem »gerechten« (und eben nicht zu einem parteiischen) macht, ist, dass es durchaus einem bestimmten Gleichheitsprinzip entspricht: »Gott gibt492 jedem entsprechend seinen Taten.« (V. 6)493 Damit ruft Paulus eine im Judentum grundlegende Auffassung in Erinnerung, die er auch angesichts seiner Rechtfertigungslehre nicht revidiert494. 7
toïß mèn kaqh Hupomon`j n ‘ergou hagaqoü dóxan kaì tim`jn kaì hafqarsían zjtoüsin, zw`j n a˙´wnion≥
Denen, die beharrlich im Tun des Guten nach Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit trachten, ewiges Leben;
8
toïß dè hex heriqeíaß kaì hapeiqoüsi t¨∆ haljqeíâ peiqoménoiß dè t¨∆ hadikíâ, horg`j kaì qumóß -
denen aber, die aus Streitsucht (oder Eigennutz) und Ungehorsam gegenüber der Wahrheit dem Unrecht gehorchen, Zorn und Grimm.
9
qlïyiß kaì stenocwría hepì päsan yuc`jn hanqr´wpou toü katergazoménou tò kakón, h Ioudaíou te pr¨wton kaì “ Elljnoß≥
Trübsal und Not über jeden einzelnen Menschen, der das Böse tut, den Juden zuerst und Griechen;
489 Vgl.
zur atl.-jüd. Wortgeschichte von skljrokardía und skljróß K. BERGER, Hartherzigkeit und Gottes Gesetz: Die Vorgeschichte des antijüdischen Vorwurfs in Mc 10,5, ZNW 61 (1970) 2–22 und zur Identifizierung von »hartherzig« und »ungerecht« ebda., 22–27. 490 Vgl. Y 109,5 (= MT 110,5); Hiob 20,28; 21,30; Zeph 1,15.18; 2,3; Jes 13,9; 37,3; Klgl 1,12; 2,1.21f.24. 491 Vgl. WILCKENS, I,125f; KONRADT, Gericht, 502f, Anm. 127. Das Wort, das im Sinne einer iustitia distributiva zu verstehen ist, ist selten belegt. Vgl. TestLev 3,2: »Und er hat Feuer, Schnee und Eis, zubereitet für den Tag des Gerichts, an (dem) Gott (sein) gerechtes Gericht (ausübt) (hen t¨∆ dikaiokrisíâ tou qeoü).« TestLev 15,1f: »Darum wird der Tempel, den der Herr erwählen wird, durch Unreinigkeit öde werden, und ihr werdet als Gefangene in alle Völker (zerstreut) werden. 2 Und ihr werdet unter ihnen ein Abscheu sein und Schmähung und ewige Schande vom gerechten Gericht Gottes (parà t¨∆ß dikaiokrisíaß toü qeoü) empfangen. Und alle, die euch hassen, werden sich über euer Verderben freuen.« (Becker, JSHRZ) Vgl. weiterhin SibOr 3,704; sachlich nah ist auch 1QM 18,7f. 492 Das Verb hapodídwmi, das seines festen Ort in der Kauf- und Vertragssprache hat, ist in theologischen Kontexten nicht einfach zu übersetzen, v.a. weil die geläufige Übersetzung mit »vergelten« reichlich pejorativ klingt. Die Beispiele in VV. 7–10 zeigen, dass hapodídwmi neutral verwendet wird. In Y 61,13 ist hapodídwmi ganz selbstverständlich eine Wirkung göttlicher Barmherzigkeit. Vgl. zum Begriff SCHMELLER, Diatribe, 250. 493 Paulus kann hier Prov 24,12 (”oß hapodídwsin H ekást^ w katà tà ‘ erga ahutoü) oder Y 61,13 (sù hapod´wseiß Hekást^w katà tà ‘erga hautoü) im Sinn haben oder einfach eine ganz allgemein bekannte jüdische Maxime zitieren (so R. HEILIGENTHAL, Werke als Zeichen [WUNT 2:9; Tübingen, 1983] 174; YINGER, Judgment, 156f). 494 Vgl. dazu SNODGRASS, Romans 2, 77–79; N.M. WATSON, Justified by Faith; Judged by Works – an Antinomy?, NTS 29 (1983) 209–221. Ausführlich zum jüdischen Hintergrund HEILIGENTHAL, Werke als Zeichen, 143–164 und YINGER, Judgment, 19–141.
194 10
III. Analyse paulinischer Texte dóxa dè kaì tim`j kaì e˙r´jnj pantì t¨^w hergazomén^w tò hagaqón, h Ioudaí^w te pr¨wton kaì “ Elljni≥
Herrlichkeit, Ehre und Frieden allen, die das Gute tun, den Juden zuerst und den Griechen.
Die Entsprechung von Gericht und Taten wird in zwei chiastisch angeordneten Gängen ausgeführt495. Diese Anordnung bringt auch die Vorstellung zum Ausdruck, dass mit diesen beiden Ausgängen alle Optionen umrissen sind. Es gibt zwischen dem positiven und dem in Antithese dazu stehenden negativen Urteil keine dritte Alternative496. A) Positiv (V. 7): Belohnt werden nicht einfach einzelne gute Werke, sondern die Haltung, die darin zum Ausdruck kommt; nämlich die Beharrlichkeit (Hupomon´j in diesem Sinne auch in 2Kor 1,6) und die Ausrichtung auf »jenseitige« Werte: Herrlichkeit, Ehre und Unvergänglichkeit (dóxan kaì tim`jn kaì hafqarsían)497. Diesen Menschen »gibt« Gott das, was ihrem Trachten entspricht (vgl. 2,10): »ewiges Leben«498. B) Negativ (V. 8): Bestraft mit »Zorn und Grimm«499 hingegen werden jene, die es vorziehen, dem Unrecht zu folgen statt der Wahrheit (vgl. hadikía und haljqeía in 1,18)500. B') Negativ (V. 9): »Trübsal und Not«501 über alle Menschen (bibelarchaisch »jede menschliche Seele«), die das Böse tun. A') Positiv (V. 10): Herrlichkeit, Ehre und Frieden (dóxa dè kaì tim`j kaì e˙r´jnj) für alle, die das Gute tun. Die letzten beiden Gegensatzpaare weiten die ersten beiden noch durch den ausdrücklichen Hinweis auf Juden und Griechen aus, wodurch die Vorrangstellung der Juden aus 1,16 wiederholt wird. 11
ohu gár hestin proswpoljmyía parà t¨^w qe¨^w.
495 FITZMYER,
Denn es gibt kein Ansehen der Person bei Gott.
302f weitet den Chiasmus auf VV. 6–11 aus (s.a. YINGER, Judgment, 153). Die Positionen des indirekten und direkten Objekts wechseln von VV. 7f (indirektes – direktes) zu VV. 9f (direktes – indirektes). 496 Im Sinne der Logik sind die Gegensätze kontradiktorisch und nicht konträr. 497 Das Handeln der Nichtjuden, die die göttliche Doxa mit vergänglichen Bildern vertauscht haben (1,23), erscheint geradezu als Gegenbeispiel zu dem hier propagierten Ideal. 498 Die Vorstellung vom »ewigen Leben« ist traditionsgeschichtlich fest im jüdischem Schrifttum verankert (Dan 12,2; 2Makk 7,9; 4Makk 15,3; 1QS 4,7). Damit wird nicht einfach Quantität (unendlich lang währendes Leben), sondern vielmehr Qualität (Leben im Bereich des ewigen Gottes) ausgedrückt. 499 h Org`j kaì qumóß bilden ein beliebtes semantisches Zweiergespann (Jes 13,9; 30,30; Jer 7,20; 21,5; 51,6). 500 Die Motivationsangabe h ex h eriqeíaß ist nicht eindeutig bestimmbar, da das seltene heriqeía »Eigennutz« oder »Streitsucht« bedeuten kann. Letzteres liegt vom NT her näher (2Kor 12,20; Gal 5,20; Phil 1,17; 2,3; Jak 3,14.16). 501 In Dtn 28,53.55.57 gehören qlïyiß kaì stenocwría zum Fluch im Falle von Ungehorsam (vgl. auch Jes 8,22; 30,6; LXX-Esth 11,8).
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
195
Die Gleichbehandlung von Juden und Nichtjuden im Gericht wird begründet (gár) mit der Unparteilichkeit Gottes502. In der alttestamentlich-jüdischen Literatur gehört die Unparteilichkeit zu Gottes richterlichem Handeln, steht dort aber v.a. im Zusammenhang der Arm-Reich-Thematik503. (Die zentrale Bedeutung von V. 11 für den Argumentationsverlauf wird in der logischen Analyse behandelt.) 12
“osoi gàr hanómwß “jmarton, hanómwß kaì hapoloüntai≥ kaì “osoi hen nóm^w “jmarton, dià nómou kriq´jsontai≥
Denn diejenigen, die ohne Gesetz sündigen, werden auch ohne Gesetz zugrunde gehen. Und diejenigen, die unter dem Gesetz sündigen, werden durch das Gesetz gerichtet werden.
Die in VV. 9f propagierte Gleichbehandlung von Juden und Nichtjuden im Gericht wird hier nochmals im Hinblick auf das mosaische Gesetz expliziert (gár)504. Die Unparteilichkeit Gottes zieht es nach sich, dass das Gesetz im Gericht nichts ist, worauf man sich berufen kann. Alle werden nach dem gleichen Prinzip von Gott gerichtet505: Die Nichtjuden, die sündigen, gehen ebenso zugrunde (hapóllumi Pass.) wie die Juden, die sündigen; die einen ohne das Gesetz der Torah506, die anderen durch das Gesetz (vgl. 3,19). Die Reihenfolge entspricht auch der Reihenfolge von 1,18–43 und 2,1ff und zielt auf rhetorische Wirksamkeit, da die Sündhaftigkeit der Nichtjuden aus jüdischer Sicht ein fester Topos ist507. 13
ohu gàr oÓ hakroataì nómou díkaioi parà [t¨^w] qe¨^w, hallh oÓ poijtaì nómou dikaiwq´jsontai.
Denn nicht die Hörer des Gesetzes (sind) vor Gott Gerechte, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt.
Die Verurteilung der Nichtjuden bedarf keiner weiteren Erklärung. Warum aber die Juden, die doch Gottes Gesetz haben, mit gleicher Strenge beurteilt werden, erfährt in V. 13 eine Begründung bzw. einen Begründungsversuch (gár). Eine solche Gleichbehandlung gründet sich nämlich darin, dass das mosaische Gesetz nur dann von Wert ist, wenn seine Anweisungen in die Tat 502 Nach
J.M. BASSLER, Impartiality, passim (s.a. Divine Impartiality in Paul’s Letter to the Romans, NT 26 [1984] 43–58) liegt hier das Gravitationszentrum der Argumentation von Röm 1–2, aus dem sich sogar die paulinische Rechtfertigungslehre herleitet. Zur Kritik vgl. FITZMYER, 298. 503 Vgl. Lev 19,15; Dtn 10,17; 2Chron 19,7; Mal 1,8; Hiob 34,19; 42,8; Ps 82,2; SapSal 6,7; Sir 35,12f; PsSal 2,18; Jub 5,15; Gal 2,6; Kol 3,25; Eph 6,9; vgl. weiterhin M. KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief (SUNT 22; Göttingen, 1998) 135f. 504 Dass sich das Gegensatzpaar ha nómwß / h en nóm^w auf das mosaische Gesetz bezieht, darf im Zusammenhang der Juden-Nichtjuden-Thematik als gesichert gelten. 505 Die Passivform kriq´jsontai, die h apoloüntai aufnimmt, ist theologisch zu deuten. 506 S.K. STOWERS, A rereading of Romans (New Haven, 1994) 134–138 deutet ha nómwß im allgemeinen Sinne von »gesetzlos« = »gottlos«. Dagegen spricht aber 1Kor 9,21 ebenso wie der nachfolgende Kontext von Röm 2,13ff. 507 Gal 2,15; Jub 23,24.
196
III. Analyse paulinischer Texte
umgesetzt werden. Der gängige Topos von der Unterscheidung zwischen Wissen und Tun508 wird hier in den Kontext des Gerichts nach Werken gestellt. Wenn Gott als Richter völlig unparteiisch (2,11) nach dem Prinzip des Gerichts nach Werken verfährt (2,6), dann zählt das mosaische Gesetz nur, insofern es in die Tat umgesetzt wird. Nur die Täter werden im Gericht von Gott als Gerechte anerkannt werden509 (vgl. Lev 18,5 und Gal 3,12)510. Die VV. 12f haben drei zentrale Begriffe für den weiteren Verlauf der Argumentation erstmals eingeführt: nómoß, Hamartánw und dikaiów. Obgleich von der Sache her Vieles davon bereits zur Sprache gekommen ist, ist Paulus hier terminologisch »gelandet« und wird ab jetzt vorwiegend mit dieser Begrifflichkeit operieren. 14
“otan gàr ‘eqnj tà m`j nómon ‘econta fúsei tà toü nómou poi¨wsin, oˆutoi nómon m`j ‘econteß Heautoïß e˙sin nómoß≥
Denn wenn Nichtjuden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus (die Forderungen) des Gesetzes tun, dann sind sich jene, die das Gesetz nicht haben, selbst ein Gesetz.
Um die Feststellung zu unterstreichen (gár), dass nur die Taten und nicht das Gesetz an sich im Hinblick auf das Gericht von Belang sind, konstruiert Paulus einen interessanten Fall (“otan), dessen faktische Realisierung in der Schwebe gelassen wird511: Nichtjuden512, die das mosaische Gesetz nicht 508 Vgl.
Jak 1,22f.25; 4,11; Mt 7,24–27; für weitere Belege vgl. KONRADT, Gericht, 504, Anm. 140. 509 Das Verb dikaiów im Pass., das zu sehr viel theologischen Wortbestimmungen Anlass gegeben hat, ist hier aufgrund seiner antonymen Stellung zu den Passiva in V. 12 hapóllumi (»vergehen«) und krínw (»gerichtet werden«) relativ klar semantisch als deren Gegenteil zu bestimmen: »von Gott als gerecht anerkannt werden«, »unbeschadet aus dem Gericht hervorgehen«. 510 Der Kontrast von 2,13 zu 3,20 wirft die Frage nach Widersprüchlichem im paulinischen Text auf! Das Problem wird meistens mittels rhetorischer Intention »gelöst«: »In this verse [2,13] Paul argues dato, non concesso, for the sake of his argument.« (FITZMYER, 308) Für RÄISÄNEN, Paul and the Law, 1–15 ist das eines der Hauptzeugen für paulinische Inkohärenz. 511 Das Fehlen des Artikels vor ‘eqnj deutet jedenfalls darauf hin, dass der hier dargestellte Fall nicht als die Regel betrachtet wird. Weiterhin macht V. 15 deutlich, dass Paulus diesen Fall als »Beweis« (hendeíknumi) für seine Position aufführt, er also zumindest mit der Möglichkeit einer Realisierung rechnen musste. MARTENS, Stoic Reading, bemüht zur Lösung dieses Problems stoische Vorstellungen des vollkommenen Weisen. Die antike Rhetorik unterschied zwischen faktischen, unmöglichen und erfundenen aber möglichen »Beweisen«. Vgl. zum Beweis a fictione oder kaqh Hupóqesin MARTIN, Antike Rhetorik, 115. 512 Die These, dass an dieser Stelle mit ‘ eqnj nicht allgemein die Nichtjuden, sondern spezifisch »Heiden«christen (wie in 11,13; 15,9) gemeint sind, wird zwar von einigen vertreten (CRANFIELD, I, 156f; A. ITO, Romans 2: A Deuteronomistic Reading, JSNT 59 [1995] 28–35), ist aber angesichts des Argumentationszusammenhangs sehr fragwürdig. Vgl. BELL, Extra ecclesiam, 37f; G. BORNKAMM, Gesetz und Natur, Röm 2,14–16, in: Ders., Studien zu Antike und Urchristentum: Gesammelte Aufsätze II (BEvTh 28; München, 1959) 93–118; F. KUHR, Römer 2,14f und die Verheißung bei Jeremia 31,31ff, ZNW 55 (1964) 252–261; O. KUSS, Die Heiden und die Werke des Gesetzes (nach Röm 2,14–16) (1954), in:
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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haben, handeln dennoch gemäß dem, was dort geboten ist, und zwar »von Natur aus« (fúsei; vgl. 1,26)513. Diese Aussage ruft nicht nur stoische Vorstellungen von einem in der Natur gegebenen Gesetz auf514, sondern sie knüpft auch an eine Tradition an, die besonders im hellenistischen Judentum an Raum gewann515: Das mosaische Gesetz steht nicht im Widerspruch zum Naturgesetz, sondern ist eben dessen älteste und vollkommenste Formulierung516. Die völlig negative Bewertung nichtjüdischer Schuldverstrickung in 1,19– 32 wird hier ausbalanciert: Die Erkenntnis Gottes aufgrund seiner Erschließung in seinen Schöpfungswerken muss nicht in der Katastrophe der »Vertauschung« enden, sondern kann (zumindest als Hypothese) sich auch darin Ders., Auslegung und Verkündigung (Regensburg, 1963) I, 213–245; LOHSE, 105. In jedem Fall müsste das an dieser Stelle sehr viel deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. 513 Das Umstandsattribut fúsei, das sich hier an das Folgende und nicht an das Vorherige anschließt (vgl. FITZMYER, 310; gegen CRANFIELD, I,156f), begegnet im NT noch in Gal 2,15 (Juden von Geburt); 4,8 (Götter, die in Wahrheit keine sind); Eph 2,3 (von Natur aus Kinder des Zorns); Jak 3,7 (die menschliche Natur); vgl. weiterhin 3Makk 3,29; SapSal 13,1. Eine sachliche Parallele findet sich in Philo, Abr 275f (Abraham erfüllte die Forderungen Gottes durch das in der Natur eingeschriebene Gesetz). 514 MARTENS, Stoic Reading, 56–59. Vgl. Chrysipp in Plutarch, De Stoicorum repugnantiis 9,1035C (= SVF III, 323); Cicero, De legibus I,6,18; Philo, Quod omnis probus liber sit 46; Abr 276; Jos 29; äthHen 2,1–5,4; weitere Texte in NW II/1, 77–85. Die wichtige Frage, wie bewusst Paulus hier an stoische Vorstellungen vom »Naturgesetz« anknüpft, wird nicht einheitlich beantwortet. Positiv äußern sich E. NORDEN, Agnostos Theos (Leipzig, 1913) 11, Anm. 2; M. POHLENZ, Paulus und die Stoa, in: Rengstorf, Paulusbild, 524–526 (allerdings sei Paulus nicht direkt von Stoa beeinflusst, sondern von der jüdischen Tradition); G. BORNKAMM, Gesetz und Natur; KUHR, Römer 2,14f; FORSCHNER, Handeln, 17f. Skeptisch zeigt sich B. REICKE, Syneidesis in Röm 2,15, ThZ 12 (1956) 161. 515 Für einen Überblick über den Topos des »Naturgesetzes« vom AT bis zu den Rabbinen vgl. M. BOCKMUEHL, Natural Law in Second Temple Judaism, VT 45 (1995) 17–44. Zum stoischen Einfluss speziell in dieser Frage im Hinblick auf Philo vgl. R.A. HORSLEY, The Law of Nature in Philo and Cicero, HThR 71 (1978) 35–59 und (mit einem weiteren Schwerpunkt auf SapSal) J.J. COLLINS, Natural Theology and Biblical Tradition: The Case of Hellenistic Judaism, CBQ 60 (1998) 1–15. Allgemein zum biblischen Kontext: J. BARR, Biblical Faith and Natural Theology (Oxford, 1993). 516 So konnte der jüdisch-hellenistische Philosoph Aristobul behaupten, Plato habe sein Wissen aus dem Gesetz des Mose (Fragment in Eusebius, Praepar. Evang. XIII,12,1 = Walter, JSHRZ). Für Philo, Op 3 herrscht zwischen Kosmos und Nomos komplette Harmonie (= Colson / Whitaker, 1.7). Vgl. auch SapSal 13,1–9. Durch diesen Topos wollten Apologeten die jüdische Religion an die philosophisch-ethischen Traditionen ihrer Zeit anschlussfähig machen. Eine Ausnahme bildet hier jedoch Contra Apionem, da Josephus hier, gegen seine sonstige Gewohnheit, das Gesetz nicht an hellenistisch-kulturelle Vorgaben anzuknüpfen sucht (vgl. dazu G. HAALAND, Jewish Laws for a Roman Audience: Toward an Understandig of Contra Apionem, in: J.U. Kalms / F. Siegert [Hrsg.], Internationales Josephus-Kolloquium Brüssel 1998 [Münsteraner Judaistische Studien 4; Münster, 1999] 282–304).
198
III. Analyse paulinischer Texte
äußern, dass Nichtjuden (wenn auch nur wenige) den moralischen Ansprüchen des mosaischen Gesetzes in ihrer gelebten Praxis voll und ganz entsprechen517. 15
o“itineß hendeíknuntai tò ‘ergon toü nómou graptòn hen taïß kardíaiß ahu t¨wn, summarturoúsjß ahut¨wn t¨jß suneid´jsewß kaì metaxù hall´jlwn t¨wn logism¨wn katjgoroúntwn ’j kaì hapologouménwn,
Solche zeigen auf, dass das Werk, welches das Gesetz verlangt, in ihren Sinn geschrieben ist, indem ihr Gewissen mit Zeugnis ablegt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch verteidigen
16
hen Hjmérâ “ote krínei Ho qeòß tà kruptà t¨wn hanqr´wpwn katà tò ehu aggélión mou dià Cristoü h Ijsoü.
am Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen richtet entsprechend meinem Evangelium durch Christus Jesus.
Solche Fälle – auch wenn es sich dabei für Paulus um Ausnahmen handeln mag – zeigen deutlich auf (hendeíknumi)518, dass es die Möglichkeit gibt, aufgrund des Gewissens das zu halten, was das Gesetz gebietet519. In Anspielung an Jer 33 (LXX-Jer 31; vgl. auch Jes 51,7) wird Nichtjuden bescheinigt, dass das göttliche Gesetz in ihren Sinn »eingeschrieben« ist520. Von diesem »eingeschriebenen« Gesetz gibt auch das Gewissen Zeugnis521, als eben jene Instanz, die ein moralisches Urteil erlaubt522. 517 Treffend
C.H. DODD, Natural Law in the New Testament, in: Ders., New Testament Studies (Manchester, 1953) 141: »[T]he argument does require that there is sufficient knowledge of God available to ensure man’s responsibility, and that there is sufficient practice of the Law of God among pagans to shame the bad Jew.« (Hervorhebung vom Autor) 518 Es ist von 2,15 her kaum anzunehmen, dass es sich für Paulus um einen komplett undenkbaren Fall handeln sollte. ZELLER, 69 denkt an Nichtjuden vor der Zeit der Gesetzgebung. Auch für diese reizvolle Hypothese fehlen Hinweise im Text. 519 Die syntaktische Einheit tò ‘ ergon toü nómou wird von Paulus gewöhnlich im Plural pejorativ benutzt (3,20.28; Gal 2,16; 3,2; 5,10). Der Singular bezieht sich auf die konkreten Werke, die vom Gesetz verlangt werden (vgl. KÄSEMANN, 59). 520 Interessant ist die Position des Origenes in C. Cels. I 4 (griech. ed. Marcovich, 9): Auf den Vorwurf »die christliche Sittenlehre (tòn hj qikòn tópon) sei dieselbe wie die der anderen Philosophen (koinòn e~inai kaì pròß toùß ‘allouß filosófouß) und durchaus keine besonders erhabene und neue Lehre (ohu semnón ti kaì kainòn máqjma)«, antwortet er keineswegs mit einer Gegenrede. Vielmehr führt er die Gemeinsamkeiten unter Berufung auf Röm 2,15 darauf zurück, dass diese »gemeinsamen Vorstellungen« (tàß koinàß hennoíaß [eine sehr stoisch angehauchte Wendung]) allen Menschen vom Schöpfer eingepflanzt worden sind, um allen im Gericht die gleiche Chance zu geben. 521 Es bleibt unklar, ob sún in summarturoúsjß impliziert, dass es noch andere Zeugen dieses Wissens gibt, oder ob es nur der Verstärkung dient. 522 Vgl. ECKSTEIN, Syneidesis und R. SCHNACKENBURG, Die sittliche Botschaft des Neuen Testaments (HThK.Supp 2; Freiburg i.Br., 1988) II, 48–58. Das AT kennt keinen Gewissensbegriff (suneídjsiß begegnet spät in Koh 10,20 und SapSal 17,10). Erst in der
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
199
Einen weiteren Hinweis auf das Vorhandensein eines dem mosaischen Gesetz entsprechenden moralischen Wissens unter Nichtjuden sieht Paulus darin, dass sich ihre Gedanken anklagen oder verteidigen. Die Formulierung ist recht änigmatisch und lässt offen, ob konkret an den inneren Dialog des Gewissens523, an gegenseitige Zurechtweisungen und Äußerungen von Kritik oder an den philosophisch-ethischen Diskurs zu denken ist. Etwas überraschend schwenkt der Gedankengang in V. 16 wieder zurück zum Gerichtstag524. Die Aussage lässt sich jedoch im Zusammenhang mit V. 15 deuten: Dass das Werk des Gesetzes in die Herzen mancher Nichtjuden eingeschrieben ist, erweisen diese am Tag des Gerichts, weil dann nämlich Gott das Verborgene der Menschen (tà kruptà t¨wn hanqr´wpwn)525 ans Tageslicht bringt. Paulus fügt hier aber einen neuen Gedanken ein: Das Gericht, das unparteiisch nach dem Prinzip der Werke urteilt, hat zum Maßstab (katá) das von Paulus verkündigte Evangelium und wird mittels (día) Christus Jesus vollzogen526. Dass Christus an diesem Gericht mitwirkt, ist Teil der »guten Botschaft« des Evangeliums527. Populärphilosophie ab dem 2. Jh. v.Chr. treten die Begriffe suneídjsiß, suneidóß und lat. conscientia in den Vordergrund, um das innere Bewusstsein von Schuld als Folge und Strafe von schlechten Taten auszudrücken: Diodorus Siculus IV,65,7: »Wegen des Bewußtseins (suneídjsin) seines Verbrechens geriet er [= der Muttermörder Alkmäon] in Wahnsinn.« Bei Seneca entspricht mala conscientia dem deutschen »schlechten Gewissen« (Ep I 12,9; V 43,4; XVII–XVIII 105,8; XIX–XX 122,14; De Ben III,1,4). Cicero, Tuscul. disput. IV 20,45 spricht vom »Gewissensbiss«. Man wird vom Gewissen wie von Furien gejagt und am Schlaf gehindert (Curtius Rufus, Hist VI,10,14), betroffen (Livius XXXIII,28,14), überführt (Cicero, Catil II,6,13), aufgeschreckt (Plinius d. Jüngere, Ep I,5,8), getrieben (Quintilian V,13,46). Für Seneca steht das schlechte Gewissen im direkten Zusammenhang mit Ehre und Schande: »Ein gutes Gewissen ruft die Menge zu Zeugen, ein schlechtes ist auch in der Einsamkeit angstvoll und unruhig. Wenn anständig ist, was du tust, mögen es alle wissen, wenn schimpflich, was nützt es, dass niemand es weiß, wenn du es weißt? O du Unglücklicher, wenn du diesen Zeugen verachtest!« (Ep V 43,5; übers. Rosenbach, 343) Philo denkt, dass der absichtlich sündigende Mensch »durch das eigene Gewissen im Innern überführt« wird (SpecLeg I,235). Bei ihm ist das Gewissen eine Stimme der göttlichen Vernunft im Menschen (vgl. Fug 118; Imm 135). Josephus spricht auch vom guten Gewissen, das »Zuversicht vor Gott und Menschen schenkt« (Ant 2,52). 523 CRANFIELD, I, 162; KÄSEMANN, 61; FITZMYER, 311. 524 Für BULTMANN, Glossen, 200f ein ausreichender Grund, diesen Vers zur Glosse zu erklären (siehe zu 2,1). FITZMYER, 312 sieht hier »a conclusion for the whole paragraph«. Doch leider fehlt eine Folgerungspartikel. 525 Vgl. dazu: 1Sam 16,7; 1Chron 29,9; Ps 139,1f.23; Jer 17,10; 1Kor 4,5. 526 Dass Gott sein Gericht auch an andere delegieren konnte, ist jüdisch belegt: äthHen 45,3–6; 11QMelch; TestAbr (Rec, A) 13,5. 527 Es ist nicht ganz eindeutig, ob dià Cristoü h Ijsoü meint, dass Christus Jesus Mittler des göttlichen Gerichts ist (so FITZMYER, 312 mit Hinweis auf 2Kor 5,10; 2Thess 1,7–10; 2Tim 4,1; Joh 5,27; Apk 22,12), oder dass Christus Jesus (analog dià nómou in 2,12) die kritischer Maßstab des göttlichen Gerichts ist. Im letzteren Falle würde jedoch katà tò ehuaggélión mou in der Luft hängen, denn der Gerichtsmaßstab wird gewöhnlich durch
200
III. Analyse paulinischer Texte
c) Röm 2,17–29528 17
E˙ dè sù h Ioudaïoß heponomáz∆ kaì hepanapaú∆ nóm^w kaì kaucäsai hen qe¨^w
Wenn du dich aber »Jude« nennst und dich auf das Gesetz verlässt und dich Gottes rühmst;
18
kaì gin´wskeiß tò qéljma kaì dokimázeiß tà diaféronta katjcoúmenoß hek toü nómou,
und du kennst den Willen (Gottes) und stellst (kritisch) fest, worauf es ankommt, weil du im Gesetz unterrichtet bist,
19
pépoiqáß te seautòn Hodjgòn e~inai tufl¨wn, f¨wß t¨wn hen skótei,
und dir selbst zutraust, ein Leiter der Blinden zu sein, ein Licht denen in Dunkelheit,
20
paideut`jn hafrónwn, didáskalon njpíwn, ‘econta t`j n mórfwsin t¨jß gn´wsewß kaì t¨jß haljqeíaß hen t¨^w nóm^w -
ein Erzieher der Unwissenden, ein Lehrer der Unmündigen, der die Verkörperung der Erkenntnis und der Wahrheit im Gesetz hat:
Die Anklage nimmt nun explizit »den« Juden ins Visier, der hier weiterhin im Diatribe-Stil direkt angesprochen wird als jemand, der sich selbst als Jude versteht. Paulus entwirft – frei von Ironie! – das Bild eines »Musterjuden«, dessen Selbstverständnis sich von einer privilegierten Position Gott und damit auch den Nichtjuden gegenüber definiert529. Gravitationszentrum jüdischer Identität ist nach diesem Verständnis das mosaische Gesetz530. Im Einzelnen: Das Gesetz ist nicht etwas, was den Juden belastet oder in Unruhe stürzt; vielmehr verlässt er sich darauf, ja er ruht förmlich darauf (17b)531. Zugleich rühmt er sich nicht seiner eigenen Leistungen, sondern Gottes (17c)532. Die systematische katechetische Unterweisung im göttlichen Gesetz (18c) versetzt »den« Juden in die Lage, Gottes Willen zu kennen krínw diá c. Acc. und nicht durch dià c. Gen. bezeichnet (vgl. Joh 7,24; 8,15; 18,31; Apg 23,3; 1Petr 1,17; Apk 20,12f). 528 J.M.G. BARCLAY , Paul and Philo on Circumcision: Romans 2.25–9 in Social and Cultural Context, NTS 44 (1998) 536–556; BELL, No One Seeks, 184–200; T.W. BERKLEY, From a Broken Covenant to Circumcision of the Heart: Pauline Intertextual Exegesis in Romans 2:17–29 (SBLDS 175; Atlanta, GA., 2000); L. GOPPELT, Der Missionar des Gesetzes. Zu Röm 2,21f. (1959), in: Ders., Christologie und Ethik (Göttingen, 1968) 137– 146; S. LYONNET, Le ›paien‹ au ›coeur circoncis‹ ou ›le chretien anonyme‹ selon Rom 2,29, in: Ders., Etudes sur l’epître aux Romains (Analecta Biblica 120; Rom, 1989) 71–88. 529 Vgl. etwa 4Esr 6,55f: »Das alles aber habe ich vor dir, Herr, ausgesprochen, weil du gesagt hast, daß du unseretwegen die erste Welt geschaffen hast. 56 Die übrigen Völker aber, die von Adam abstammen – von ihnen hast du gesagt, daß sie nichts seien –, sind dem Speichel gleich, du hast ihre übergroße Menge dem Träufeln vom Eimer gleichgestellt.« (Schreiner, JSHRZ) 530 Vgl. Sir 39,8; syrBarApk 48,22–24. 531 Das seltene Verb hepanapaoúmai bedeutet ihm wörtlichen Sinne »ruhen« (Lk 10,6). Vgl. in LXX Mi 3,11; Hes 29,7; 1Makk 8,11. 532 Paulus formuliert vielleicht in Anlehnung an Jer 9,23, das er in 1Kor 1,31 und 2Kor 10,17 zitiert (vgl. PsSal 17,1).
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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(18a)533 und richtig einschätzen zu können, worauf es moralisch ankommt; also: das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden zu können (18b; vgl. Phil 1,10). Weil das Gesetz bestimmt werden kann als »die Verkörperung von Erkenntnis und Wahrheit« (mórfwsiß t¨jß gn´wsewß kaì t¨jß haljqeíaß)534, traut sich »der« Jude zu, seine Position den Nichtjuden gegenüber im Gefälle von »sehend« zu »blind«, »licht« zu »dunkel«, »wissend« zu »unwissend«, »erwachsen« zu »unmündig« beschreiben zu können (19– 20a)535. Daraus erwächst seine Funktion als Leiter (Hodjgóß), Erzieher (paideut´jß) und Lehrer (didáskaloß). 21
Ho o~un didáskwn “eteron seautòn ohu didáskeiß; Ho kjrússwn m`j kléptein klépteiß;
Der du nun einen anderen lehrst, dich selbst lehrst du nicht? Der du verkündigst, nicht zu stehlen, du stiehlst?
22
Ho légwn m`j moiceúein moiceúeiß; Ho bdelussómenoß tà e’idwla Óerosuleïß;
Der du vorschreibst, nicht die Ehe zu brechen, du brichst die Ehe? Der du die Götzen verabscheust du begehst Tempelraub?
23
“oß hen nóm^w kaucäsai, Der du dich des Gesetzes rühmst, dià t¨jß parabásewß toü nómou du bereitest Gott Schande durch tòn qeòn hatimázeiß; die Übertretung des Gesetzes?
24
tò gàr ‘onoma toü qeoü dih Humäß blasfjmeïtai hen toïß ‘eqnesin, kaq`wß gégraptai.
Denn der Name Gottes wird euretwegen unter den Nationen gelästert – wie geschrieben steht.
Hier bricht die Beschreibung ab und Paulus geht unvermittelt dazu über, »den« Idealjuden im Sinne von 2,1–16 zu überführen536: Er richtet andere und tut das Gleiche. Die Fragen sind deutlich rhetorische Einkleidung für fünf konkrete Anklagen, die zudem mit dem Idealbild aus 2,17–20 kontrastieren537: 533 Zur
Bedeutung vom Willen Gottes in jüdischer Frömmigkeit vgl. Ps 40,9; 143,10; 2Makk 1,3f; Bar 4,4; 1QS 9,23. 534 Die syntaktische Einheit ist keineswegs traditionell formuliert, deutet aber einen deutlichen Kontrast an zu den Möglichkeiten wahrer Gotteserkenntnis außerhalb des Bundes mit Israel. Der Sachzusammenhang zwischen gn¨wsiß (bzw. gin´wskw) und hal´j qeia erschließt sich wohl am deutlichsten aus 1,18–32: Wahres über Gottes Wesen wird erkannt aus der Schöpfung, insofern sich Gott darin erschließt. Die sehr seltene Wortbildung mórfwsiß begegnet sonst nur noch in 2Tim 3,5 und bezieht sich dort auf die äußere Form der Frömmigkeit (mórfwsiß ehusebeíaß) im Gegensatz zur darin wirkenden Kraft (dúnamiß). Der Begriff, der im Zusammenhang von 2,20 sicherlich nicht abwertend gemeint ist, scheint dennoch einen Unterschied zu markieren zwischen äußerer Form und innerem »Geist«. Wird hier schon die Geist-Buchstabe-Dichotomie in 2,27–29 vorbereitet? 535 Vgl. SapSal 2,12–15; Sir 37,19; Mt 15,14; 23,16.24. Zur Lichtmetaphorik vgl. Jes 42,6f; 49,6. 536 Vgl. zur asyndetischen Satzstruktur BDR §454.3; 460.3. 537 Zur Kombination von Diebstahl, Ehebruch und Tempelraub vgl. Philo, Conf 163.
202
III. Analyse paulinischer Texte
Er (der Leiter, Erzieher und Lehrer) lehrt zwar andere, lehrt sich selbst aber nicht (2,21a). Er (der Gottes moralischen Willen kennt) verbietet Diebstahl, stiehlt jedoch selbst (2,21b). Er (der weiß, worauf es ankommt) verbietet Ehebruch und begeht ihn selbst (2,22a). Er (der im Gesetz bestens unterrichtet ist) verabscheut die Götzen 538, begeht aber selbst Tempelraub (2,22b)539. Zusammenfassend: Er (der sich Gottes rühmt [vgl. 2,17]) rühmt sich des Gesetzes und bereitet Gott nur Schande durch dessen Übertretung (2,23)540.
Mit einem direkten Zitat aus Jes 52,5 (LXX) wird in V. 24 die letzte Aussage untermauert541. 25
peritom`j mèn gàr hwfeleï heàn nómon práss∆ß≥ heàn dè parabátjß nómou ~∆ß, Hj peritom´j sou hakrobustía gégonen.
Denn Beschneidung ist zwar von Nutzen, wenn du das Gesetz befolgst; wenn du aber ein Gesetzesübertreter bist, dann ist deine Beschneidung Unbeschnittenheit geworden.
26
heàn o~un Hj hakrobustía tà dikai´wmata toü nómou fuláss∆, ohuc Hj hakrobustía ahutoü e˙ß peritom`j n logisq´jsetai;
Wenn nun der Unbeschnittene die Rechtsforderung des Gesetzes befolgt, wird nicht sein Unbeschnittensein als Beschneidung angerechnet werden?
Von 2,12 bis 2,23 spannt sich ein Bogen, unter dem zentral die Frage nach der Bedeutung des mosaischen Gesetzes im Hinblick auf das Gericht verhandelt wird. VV. 12–16 haben v.a. betont, dass das Gesetz nur von Nutzen ist, wenn es eingehalten wird. Demgegenüber heben VV. 17–24 darauf ab, dass in Bezug auf die genaue Einhaltung des Gesetzes eine Lücke zwischen Anspruch (17–20) und Wirklichkeit (21–24) klafft, so dass sich die noch recht allgemein formulierte Anklage von 2,1–11 am Ende anhand »des« Juden konkretisieren lässt: Sie richten andere für etwas, was sie selber tun. Nachdem also die Argumentation dem auf das Gesetz sich stützenden jüdischen Privilegierungsbewusstsein den Boden entzogen hat (zumindest ihrem 538 Vgl.
Ex 20,4–6; Dtn 5,8–10; 7,25f; Josephus, Ant 4,207. Verb Óerosuléw ist im Kontext schwer zu deuten: In 2Makk 4,39.42; 9,2; 13,6 und Apg 19,37 beziehen sich unterschiedliche Wortbildungen dieser Wortfamilie auf das Sakrileg des Tempelraubs. Dass Paulus hier nur im übertragenen Sinne die Sakralisierung des Gesetzes hinterfragen will (so D.B. GARLINGTON, H IEROSULEIN and the Idolatry of Israel (Romans 2,22), NTS 36 [1990] 142–151; FITZMYER, 318), ist angesichts des Kontextes, in dem es um sehr konkrete Vergehen geht, ganz und gar unwahrscheinlich. Vgl. auch TestLev 14,5. Der Vorschlag von J.D.M. DERRETT, ›You Abominate False Gods; But Do You Rob Shrines?‹ (Rom 2.22b), in: Ders., Studies in the New Testament, Vol. 6 (Leiden, 1995) 215– 228, dass Paulus Profit mit geweihten Gütern (res sacrae) kritisieren will, ist eine Verlegenheitslösung. 540 Ich verstehe alle fünf Sätze als rhetorische Fragen. Bei der vorgezeichneten Antwort macht es aber keine Unterschied, wenn V. 23 als Aussage gelesen wird (SANDAY / HEADLAM, 66; FITZMYER, 318). 541 Der LXX-Text ist im Zusammenhang eher so zu verstehen, dass die Nationen Gottes Namen lästern, aufgrund der Tatsache, dass sie das Volk Gottes besiegt und ins Exil geführt haben (vgl. auch Hes 36,20). 539 Das
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
203
Anspruch nach), steht noch ein zweiter zentraler Aspekt jüdischer Identität zur Diskussion542: die Beschneidung als das Zeichen des Bundes zwischen Gott und Israel543. Hier kommt Paulus zu den radikalsten Schlussfolgerungen des gesamten Abschnitts544. Kann die Beschneidung als Heilszeichen auch dann im Gericht von Nutzen sein, wenn das mosaische Gesetz nicht genau eingehalten worden ist? Die Beantwortung dieser Frage führt Paulus letztlich zu einer Neudefinition dessen, was es bedeutet, »Jude« zu sein. Paulus wendet das Prinzip des absoluten Vorrangs der Werke gegenüber allen Privilegien auch auf die Beschneidung an: Beschneidung ist nur dann (im Gericht) von Nutzen, wenn jemand das im Gesetz Gebotene hält (2,25a; vgl. auch Gal 5,3)545. Umgekehrt gilt: Wenn jemand das Gesetz übertritt, dann wird die Beschneidung faktisch zur Unbeschnittenheit (2,25b). Der beschnittene jüdische Gesetzesübertreter wird damit auf die gleiche Stufe mit einem Nichtjuden gestellt546. Paulus geht noch einen Schritt weiter: Wenn ein Unbeschnittener sich an die Rechtsforderung des Gesetzes hält (eine Möglichkeit, mit der nach 2,14f gerechnet werden kann), dann sollte ihm das als Beschneidung angerechnet werden547. Diese letzte Schlussfolgerung zieht Paulus nur indirekt als rhetorische Frage. 27
kaì krineï Hj hek fúsewß hakrobustía tòn nómon teloüsa sè tòn dià grámmatoß kaì peritom¨j ß parabátjn nómou.
542 Gár
Und der von Natur aus Unbeschnittene, der das Gesetz erfüllt, richtet dich, der du mit Buchstaben und Beschneidung ein Übertreter des Gesetzes bist.
am Anfang ist in diesem sehr allgemeinen Sinn anknüpfend, sicherlich nicht begründend nach hinten verbunden. 543 Gen 17,10ff; Jub 15,25–28; 1Makk 1,48.60f; 2,46; 2Makk 6,10; Josephus, Ant 20,34– 38. Alle relevanten Texte zur Beschneidungsthematik werden in A. BLASCHKE, Beschneidung (TANZ 28; Tübingen, 1998) analysiert (S. 108–322 zur jüdischen Umwelt und S. 323–360 zum Urteil griechischer und lateinischer Autoren). Beschneidung galt nicht immer als Bedingung der Proselytenaufnahme. Vgl. J.J. COLLINS, A Symbol of Otherness: Circumcision and Salvation in the First Century, in: Ders., Seers, Sybils and Sages in Hellenistic-Roman Judaism (JSJ.S 54; Leiden, 1997) 211–235; F.W. HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung im frühen Christentum, NTS 42 (1996) 492–494. 544 BARCLAY , Circumcision, 544. Generell M. HENGEL, Judentum und Hellenismus (WUNT 10; Tübingen, 31988) 561: »Der Kampf des Paulus gegen die Beschneidung und das Gesetz war nicht zuletzt auch wegen der ›ethnisch-politischen Konsequenzen‹ in den Augen seiner judaistischen Gegner ein ›Verrat am Judentum‹.« 545 Vgl. Lev 18,5; Dtn 30,16. Bill., III,119 führt rabbinische Texte auf, die der Beschneidung absolute Heilsbedeutung zuschreiben. Inwiefern diese Aussagen aber auch in die Zeit des Paulus rückdatierbar sind, wage ich nicht zu beurteilen. 546 Vgl. Gal 5,6; 1Kor 7,19. 547 Die Begriffe »Unbeschnittenheit« und »Beschneidung« werden metonym (Abstraktes für Konkretes; Unbeschnittenheit = Unbeschnittener) benutzt. J. MARCUS, The Circumcision and the Uncircumcision in Rome, NTS 35 (1989) 75f hat darauf hingewiesen, dass diese Terminologie im Judentum »highly unusual« ist.
204
III. Analyse paulinischer Texte
Die anklagende Rolle des Nichtjuden548 tritt dadurch zutage, dass er ohne Beschneidung gesetzeskonform lebt, während der Jude, der in der günstigen Lage ist549, den Buchstaben des Gesetzes (vgl. mórfwsiß in 2,20) und die Beschneidung zu haben, trotzdem ein Übertreter des Gesetzes geworden ist. 28
ohu gàr Ho hen t¨^w faner¨^w h Ioudaïóß hestin, ohudè Hj hen t¨^w faner¨^w hen sarkì peritom´j ≥
Denn ein Jude ist nicht der, der es es nach außen hin ist, und nicht (das) ist die (rechte) Beschneidung, die am Fleisch sichtbar (ist),
29
hallh Ho hen t¨^w krupt¨^w h Ioudaïoß, kaì peritom`j kardíaß hen pneúmati ohu grámmati, oˆu Ho ‘epainoß ohuk hex hanqr´wpwn hallh hek toü qeoü.
sondern der ist ein Jude, der es im Verborgenen (ist), und (die wahre) Beschneidung (ist die) des Herzens durch (den) Geist (wörtl. im Geist) nicht durch (die) Schrift, dessen Lob nicht vom Menschen kommt, sondern von Gott.
So gelangt der Text am Ende zu einer Neubestimmung jüdischer »Identitätsmerkmale«. Die Beschneidung als sichtbares äußeres Zeichen am Fleisch macht nicht das Judesein aus (2,28). Da es im Gericht um die Offenlegung des »Verborgenen der Menschen« geht (2,16: tà kruptà t¨wn hanqr´wpwn), definiert Paulus den Juden aus dieser Perspektive. Der Argumentationszusammenhang legt nahe, dass für Paulus die Taten im Wesentlichen die »wahre Qualität« des Menschen erweisen. Wahrhaft Jude kann sich nur der nennen, der es im Verborgenen ist. Dies wird qualifiziert durch den Hinweis auf den Topos der »Beschneidung des Herzens«550. Paulus möchte damit seine sehr weitreichende Neubestimmung des Judeseins mit einem biblischen Topos unterlegen. Motiviert wird eine solche innere Haltung nicht durch die Äußerlichkeit der Schrift (also des mosaischen Gesetzes)551, sondern durch den Geist (vgl. Jer 31,33; Hes 36,27)552. Im Geflecht binärer Oppositionen stehen sich auf der einen Seite »äußerlich« (hen t¨^w faner¨^w), »im Fleisch« (hen sarkí) und »im Buchstabe« (hen grámmati) und auf der anderen »im verborgenen« (hen t¨^w krupt¨^w), das »Herz« (kardía) und »im Geist« (hen pneúmati) gegenüber. Die letzte Relativbestimmung situiert das Geschehen wieder im göttlichen Gericht: Da es dem »wahren« Juden nicht um Äußerlichkeiten geht, ist sein Handeln nicht abhängig vom Lob der Menschen, sondern vom eschatologischen Lob Gottes.
548 Auch
hier ist nicht an Heidenchristen zu denken. mit Gen. ist als Umstandsbeschreibung zu lesen. 550 Lev 26,41; Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,24f; Hes 44,7.9; 1QpHab 11,13; Jub 1,23; Philo, Migr 92; SpecLeg I,305. Vgl. weiterhin zum Gebrauch in Qumran D.R. SEELY, The ›circumcised heart‹ in 4Q434 Barki Nafshi, RdQ 17 (1996) 527–535. 551 Der Singular grámma konnte als Abreviatur von tà Óerà grámmata für die Heilige Schrift benutzt werden (vgl. Philo, Migr 85.139; Congr 58). 552 Die Antithese von »Schrift« und »Geist« ist typisch paulinisch (Röm 7,6; 2Kor 3,6f). 549 Diá
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
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d) Röm 3,1–20553 Die Argumentation bleibt an dieser Stelle in gewisser Weise stehen, um in VV. 1–9 auf Einwände und Fragen einzugehen, die sich aus der Gleichsetzung von Juden und Nichtjuden in 1,18–2,29 ergeben554. Die Generalanklage wird in VV. 10–19 durch eine lange Reihe alttestamentlicher Texte rhetorisch eindrucksvoll untermauert555, um in V. 20 mit jener Aussage zu schließen, die den Gedankengang ab V. 21 dominieren soll: Kein Mensch wird aus Gesetzeswerken vor Gott gerechtfertigt. 3,1
Tí o~un tò perissòn toü h Ioudaíou, ’j tíß Hj hwféleia t¨jß peritom¨j ß;
Welches (ist) denn eigentlich der Vorteil des Juden oder der Nutzen der Beschneidung?
2
polù katà pánta trópon. pr¨wton mèn [gàr] “oti hepisteúqjsan tà lógia toü qeoü.
Viel in jeder Hinsicht. Zuallererst nämlich, dass ihnen die Worte Gottes anvertraut worden sind.
Nachdem im Hinblick auf das unparteiische Gericht Gottes nach den Werken dem Juden gegenüber dem Nichtjuden die beiden wichtigsten »marker of identity«, das Gesetz und die Beschneidung, als nutzlos dargestellt worden sind, stellt sich ganz selbstverständlich als Folge davon (tí o~un) die Frage: Welchen Vorteil hat der Jude als Jude556 und welchen Nutzen hat die Beschneidung als Zeichen des Heilsbundes zwischen Gott und seinem Volk? Die unmittelbare Antwort verspricht durch den prompten Hinweis auf die »vielen« Vorteile »in jeder Hinsicht« mehr, als sie dann einzulösen vermag, denn nach einem »ersten« Vorteil (pr¨wton) bleibt der Apostel weitere Hinweise schuldig, bzw. spart sie bis 9,4ff auf. 553
BELL, No One Seeks, 201–237; W.S. CAMPBELL, Romans iii as a Key to the Structure and Thought of the Letter, in: Ders., Paul’s Gospel in an Intercultural Context (SIGC 69; Frankfurt a.M., 1992) 25–42; C.H. COSGROVE, What if some have not believed? The Occasion and Thrust of Romans 3,1–8, ZNW 78 (1987) 90–105; A. FEUILLET, La situation privilégiée des Juifs d’après Rm 3,9. Comparaison avec Rm 1,16 et 3,1–2, NRT 105 (1983) 33–46; D.R. HALL, Romans 3.1–8 Reconsidered, NTS 29 (1983) 183–197; R.B. HAYS, Psalms 143 and the Logic of Romans 3, JBL 99 (1980) 107–115; O. HOFIUS, Der Psalter als Zeuge des Evangeliums: Die Verwendung der Septuaginta-Psalmen in den ersten beiden Hauptteilen des Römerbriefes, in: Ders., Paulusstudien II, 38–57; L.E. KECK, The Function of Romans 3:10– 18: Observations and Suggestions, in: J. Jervell / W.A. Meeks (eds.), God’s Christ and His People (FS N.A. Dahl; Oslo, 1977) 141–157; J.F. PIPER, The Rigtheousness of God in Romans 3,1–8, ThZ 36 (1980) 3–16; H. RÄISÄNEN, Zum Verständnis von Röm 3,1–8, in: Ders., The Torah and Christ (SESJ 45; Helsinki, 1986) 185–205; D. SÄNGER, Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel (WUNT 75; Tübingen, 1994) 135–155 (zu 3,1–8); S.K. STOWERS, Paul’s Dialogue with a Fellow Jew in Romans 3:1–9, CBQ 46 (1984) 707–722. 554 KÄSEMANN , 73 spricht von einem »Atemholen vor dem Abschluß«, LUZ, Aufbau, 169 von einem »Exkurs, der das Thema von Röm 9–11 vorwegnimmt« (s.a. 175). 555 Dieser Gliederungsvorschlag ist nicht allzu schematisch zu verstehen, da V. 9 Scharnierfunktion hat und sowohl nach hinten als auch nach vorne anschließt. 556 Zum kollektiven Gebrauch des Singular BDR §139.
206
III. Analyse paulinischer Texte
Was ihm aber offenbar als erstes in den Sinn kommt, sind die »Worte Gottes« (tà lógia toü qeoü), die Gott seinem Volk anvertraut hat (3,2). Insofern hier keine weiteren Einschränkungen explizit gemacht werden, ist dabei allgemein an die Heilige Schrift zu denken (vgl. Dtn 4,7f)557, die Israel »anvertraut« worden ist. 3
tí gàr e˙ hjpístjsán tineß; Was ist denn, wenn einige untreu waren? m`j Hj hapistía ahu t¨wn t`j n pístin Wird etwa ihre Untreue die Treue Gottes außer toü qeoü katarg´jsei; Kraft setzen?
4
m`j génoito≥ ginésqw dè Ho qeòß haljq´jß, päß dè ‘anqrwpoß yeústjß, kaq`wß gégraptai, “ Opwß ’an dikaiwq¨∆ß hen toïß lógoiß sou kaì nik´jseiß hen t¨^w krínesqaí se.
Auf keinen Fall! Vielmehr möge sich Gott als wahrhaftig und jeder Mensch als Lügner erweisen! Wie geschrieben steht: Damit du recht behältst in deinen Worten und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet.
Die Aufzählung der Vorteile wird durch einen weiteren kasuistischen Einwand abgebrochen558. Was gilt im Hinblick auf Gottes Treue für den Fall, dass »einige« (nicht alle!) Juden untreu waren559? Die biblische Geschichte kennt genug Beispiele von Israels Untreue560, die in Auseinandersetzung mit konkreten historischen Erfahrungen Anlass zur Reflexion über die Beziehung von menschlicher Untreue zu göttlicher Treue gaben561. Aus der Gleichbehandlung von Juden und Nichtjuden könnte man schließen, dass Paulus die Position einnimmt, Gott habe seinen Treuebund Israel gegenüber aufgegeben. Durch die Untreue »einiger« wäre dann Gottes Treue aufgehoben worden. Paulus entgegnet diesem Gedanken mit einem scharfen »Nein« (4: m`j génoito)562 und versucht damit sich des Verdachts zu entziehen, dass er ein
557 In
diesem Sinne auch Hebr 5,12; 1Petr 4,11; Philo, Praem 1; VitCont 25; Josephus, Bell 6,311–313. Der LXX-Gebrauch ist demgegenüber etwas enger auf die Worte der Propheten bezogen (Num 24,4.16; Y 106,11). 558 Zu tí gár vgl. BDR §299.3. 559 Das Wortspiel mit drei Begriffen aus der pist-Wortfamilie lässt sich im Deutschen besser mit »(un)treu« als mit »(un)gläubig« wiedergeben. Ob die ursprünglichen Rezipienten und Rezipientinnen ihrem natürlichen Sprachempfinden nach einen Unterschied zwischen »Treue« und »Glauben« den Begriffen beigelegt haben, mag dahingestellt sein! 560 Ex 15,22–16,36; Num 14; 1Kön 18,21; Hos 4,1f. Auch Josephus verschweigt die Gesetzesübertretungen des Volkes (trotz Ant 3,223) nicht: Ant 3,218; 5,144–147; 18,81; 20,218. 561 Dass dies eine echte Frage war, wird aus nachexilischen Zeugnissen deutlich (vgl. Jer 2,2–13). Im NT ist dies v.a. in Apg von Bedeutung. Vgl. J. JERVELL, Gottes Treue zum untreuen Volk, in: C. Bussmann / W. Radl (Hrsg.), Der Treue Gottes trauen (FS G. Schneider; Freiburg i.Br., 1991) 15–27. 562 Zur Wendung vgl. BDR §384. In der LXX Gen 44,7.17; Jos 22,29; 24,16; 1Makk 9,10 als Einleitung zu einer längeren Rede. Im Sinne einer dezidierten Verneinung innerhalb eines Dialogs wird der Begriff noch bei Epiktetus benutzt und gilt daher als typisch für den
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
207
wichtiges alttestamentlich-jüdisches Theologoumenon, nämlich das der Treue Gottes563, aufgegeben habe (vgl. 3,26)564. Im Gegenteil soll sich Gott als »wahrhaftig« (haljq´jß)565 und jeder Mensch – in Abgrenzung gegenüber tineß in V. 3 – als Lügner erweisen. Paulus will damit nicht von der Vorstellung abrücken, dass die Juden dem göttlichen Gericht ausgesetzt werden; nur möchte er betonen, dass Gott dabei seine Treue nicht aufgibt566. Paulus untermauert diesen Gedankengang mit einem Schriftzitat aus Y 50,6567. Die Passivformen von dikaiów und krínw wirken im paulinischen Verwendungszusammenhang überraschend, weil es Gott ist, der sich im Rechtsstreit der Menschen gegen ihn als gerecht erweist. Die faktische Untreue von Juden kann Gottes zugesagte Treue nicht aufheben, weil er sich sonst als unwahrhaftig und unzuverlässig in seinen Urteilen erweisen würde. Den Rechtsstreit zwischen Gott und Mensch kann nach diesem Wort nur Gott gewinnen, aber nicht durch Erweis seines Zorns, sondern durch seine Treue (pístiß), die auf keinen Fall aufgehoben werden kann. 5
e˙ dè Hj hadikía Hjm¨wn qeoü dikaiosúnjn sunístjsin, tí heroümen; m`j ‘adikoß Ho qeòß Ho hepiférwn t`jn horg´j n; katà ‘anqrwpon légw.
Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was sollen wir sagen? Ist Gott etwa ungerecht, wenn er das Zorngericht auferlegt? – Ich rede nach menschlicher Weise!
6
m`j génoito≥ hepeì p¨wß krineï Ho qeòß tòn kósmon;
Auf keinen Fall! Wie sonst könnte Gott die Welt richten?
Der fiktive Gesprächspartner formuliert den Einwand aus V. 3 in zugespitzter Weise neu, um Paulus damit auf das Terrain des theologisch für beide Inakzeptablen zu führen. Wenn die Untreue Israels am Ende einen Sieg für Gottes Treue bedeutet (V. 4), dann wird dadurch Gottes heilschaffende Gerechtigkeit erwiesen (sunístjmi). Was aber ist daraus zu folgern (tí heroümen)? Vielleicht, dass Gott ungerecht ist, wenn er diejenigen mit seinem Diatribe-Stil. Vgl. A.J. MALHERBE, M`j génoito in the Diatribe and Paul, in: Ders., Paul and the Popular Philosophers (Minneapolis, 1989) 25–33. 563 Vgl. zum, Ausdruck pístiß qeoü 1Sam 21,3 (anders MT); Y 32,4; PsSal 8,28; weiterhin Ex 34,6f; Num 23,19; Dtn 7,9; Jes 49,7; Hos 2,19–23; 1QS 11,9–14; 2Tim 2,13. 564 Im Hinblick auf die Israel-Problematik führt Paulus diesen Gedanken in 11,25–27 weiter aus. Vgl. W. K ELLER, Gottes Treue – Israels Heil: Röm 11,25–27, die These vom »Sonderweg« in der Diskussion (SBB 40; Stuttgart, 1998). 565 »Wahrheit« im Sinne von Bundestreue in Y 89,2.6.9.15.25.34. 566 3,3 wäre somit als Vorgriff auf Röm 9–11 formuliert. 567 Y 50,6: soì món^w “jmarton kaì tò ponjròn hen´ wpión sou hepoíjsa, o “ pwß ’an dikaiwq¨∆ß hen toïß lógoiß sou kaì nik´js∆ß hen t¨^w krínesqaí se. (»Alleine gegen dich habe ich gesündigt und das Böse vor dir getan, so dass du dich in deinen Reden als gerecht erweist und den Sieg davonträgst, wenn man mit dir rechtet.«) Paulus übernimmt den genauen Wortlaut bis auf die Änderung des Aorists nik´js∆ß in den Futur nik´jseiß (vgl. dazu HOFIUS, Psalter, 44, Anm. 28). Die Angleichung an den LXX-Wortlaut in B, G, L, Y, 365, 1175, 1739 und 1881 ist sicherlich sekundär.
208
III. Analyse paulinischer Texte
Zorn straft, die doch seine Heilstreue ins Licht gestellt haben568. Die konstruierte Dialogsituation entbindet Paulus dennoch nicht, seiner Scheu darüber Ausdruck zu geben, dass er einen solchen Gedanken überhaupt formuliert. Er qualifiziert daher: »Ich rede nach menschlicher Weise.«569 Selbstverständlich kann Paulus einen Schluss, der in Gottes Ungerechtigkeit mündet, nur nach Kräften bestreiten (V. 6 wieder mit m`j génoito). Er versucht diese Aussage mit einer ähnlichen Strategie zu entkräften, nämlich indem er zeigt, dass daraus auch nur eine falsche Schlussfolgerung gezogen werden könnte. Wenn Gott nämlich ungerecht ist, dann könnte er sicherlich nicht die Welt richten. Da aber an Letzterem kein Zweifel besteht570, ist es gewiss falsch, Gott Ungerechtigkeit zu unterstellen571. 7
e˙ dè Hj hal´j qeia toü qeoü hen t¨^w hem¨^w yeúsmati heperísseusen e˙ß t`j n dóxan ahutoü, tí ‘eti khag`w Hwß Hamartwlòß krínomai;
Wenn aber Gottes Wahrhaftigkeit sich wegen meiner Lüge als übergroß erweist zu seiner Herrlichkeit, warum werde ich dann noch als Sünder gerichtet?
8
kaì m`j kaq`wß blasfjmoúmeqa kaì kaq´wß fasín tineß Hjmäß légein “oti Poi´jswmen tà kakà “ina ‘elq∆ tà hagaqá; ˆwn tò kríma ‘endikón hestin.
Und sollen wir etwa [so handeln] – wie man uns übel verleumdet und wie einige behaupten, dass wir sagen: Lasst uns das Schlechte tun, damit das Gute komme? Deren Verdammung ist gerecht!
V. 7 bietet eine neue Variante des gleichen Einwands wie in V. 5: Wenn Gottes Wahrheit (im Gericht) sich durch die menschliche Lüge auszeichnet, aus welchem Grund wird der Mensch als Sünder gerichtet? Dieser Vorwurf scheint Paulus – wie seine Aufregung in V. 8 deutlich macht – persönlich getroffen zu haben, denn hier wird bis in den Bereich der Ethik »gefolgert«572: Um das Gute zu erweisen, lasst uns Schlechtes tun! Mit einer 568 PIPER,
Righteousness, 15 möchte hier dikaiosúnj als Hinweis auf Gottes »gracious faithfulness to his promises and his punitive judgment upon sin« verstehen. Nichts deutet aber darauf hin, den Begriff in diesem Sinne auszuweiten. Im Gegenteil: Die Aporie zwischen dikaiosúnj und horg´j, die in dem Einwand zur Sprache kommt, zeigt, dass sich beide Begriffe keineswegs auf einem gemeinsamen Horizont deuten lassen. 569 Diese Wendung, die sich in ähnlicher Weise auch an anderen Stellen findet (Röm 6,19; 1Kor 9,8; 15,32; Gal 3,15) – und die eine schöne Umschreibung dessen ist, was Theologie in ihrem Kern ist –, macht auch klar, dass Paulus die Einwände selbst formuliert und nicht etwa aus einer realen Diskussion übernimmt. 570 Dies ist ja in Röm 1,18–32 vorausgesetzt worden. Vgl. Jes 66,16; Joel 3,12; Ps 94,2; 96,13. 571 Für BULTMANN , Diatribe, 103 ist 3,6 ein anschauliches Beispiel für die Art und Weise, wie Paulus mangels Argumenten vorgeht: »Wenn kein anderes Argument vorhanden ist, so schlägt Paulus wie Epiktet den Gegner nieder mit dem Satze: Gott wäre nicht mehr Gott, wenn der Gegner recht hätte (Röm 3,6).« 572 3,8 (und wahrscheinlich der ganze Abschnitt 3,1–9a) setzt voraus, dass von frühchristlichen Theologen, die eine andere Position als Paulus einnahmen, nach argumentativen
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
209
Gerichtsinvektive verlässt Paulus den Bereich des Argumentativen und setzt einen ungeduldigen Schlusspunkt: Ihre Verdammung (kríma)573 ist gerecht! 9
Tí o~un; proecómeqa; ohu pántwß, pro∆tiasámeqa gàr h Ioudaíouß te kaì “ Elljnaß pántaß Hufh Hamartían e~inai,
Was folgt daraus? Werden wir (von anderen) übertroffen? Ganz und gar nicht! Denn wir haben sowohl Juden als auch Nichtjuden vorher angeklagt, dass alle unter der (Macht der) Sünde stehen,
Mit tí o~un schließt die Argumentation nicht nur formal, sondern auch inhaltlich wieder an V. 1 an. Dabei deutet die Formel »eine Verlegenheit, ein noch nicht ganz bewältigtes Missverständnis« an574. Leider lässt die Mehrdeutigkeit von proecómeqa nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob die Frage aus V. 1 wiederholt oder gerade ihr Gegenteil ausgesagt wird 575. Deutet man die Passiv-Mediumform aktivisch 576, dann würde die Frage lauten: »Sind wir (Juden anderen gegenüber) im Vorteil?« 577 Wenn aber der Passivbedeutung Rechnung getragen wird, wäre der Sinn: »Werden wir (Juden von anderen) übertroffen?«578 Die vehemente Verneinung der Frage mit ohu pántwß579 würde aber gerade bei aktiver Deutung nicht so recht zur eindeutigen Bejahung jüdischer Vorteile in VV. 1f passen. Ich ziehe daher die passive Deutung vor.
Im Hinblick auf das Gericht kann keine Gruppe die andere ausstechen. Als Grund (gár) verweist Paulus auf seine bisherige Argumentation. Er gibt dabei jedoch nicht vor, gezeigt zu haben, dass alle Menschen, Juden ebenso wie Griechen, der Macht der Sünde ergeben sind580. Er hat lediglich alle dessen beschuldigt. Die Anklage lautet, dass alle Sünder sind581. Wenn Paulus der Meinung wäre, dass er diese Anklage vollumfänglich erwiesen hätte, dann wären die folgenden Zitate für die Argumentation überflüssig. Jetzt aber führt er zum Beweis seiner Anklage die »Worte Gottes« (3,2) an.
»Lücken« im paulinischen »System« gesucht wurde. Die Tatsache einer antipaulinischen Apologetik, die auf theologischer Ebene argumentiert, ist ein Indiz dafür, dass es theologische »Kernaussagen« des Paulus gab, die bekannt waren! Paradoxerweise setzen Einwände ein gewisses Maß an systematischer Qualität voraus. Haben am Ende vielleicht seine Gegner Paulus zum »Theologen« gemacht? 573 Wie in 2,2f wird hier kríma im Sinne von katákrima benutzt. 574 SIEGERT, Argumentation, 165 (ähnlich auch Röm 6,15; 11,7). 575 Die Überstezung »Ausflüchte machen« wird von J. JEREMIAS, Zur Gedankenführung in den paulinischen Briefen, in: Ders., Abba, 269 vorgeschlagen. Sie macht im gegenwärtigen Kontext aber wenig Sinn. 576 Was grundsätzlich möglich ist (vgl. BDR §316.1). 577 So die Mehrheit der Ausleger. 578 Vgl. FITZMYER, 331. 579 Vgl. dazu LUZ, Aufbau, 168, Anm. 26. 580 Vgl. LOHSE, 121f zu Hamartía im Röm. 581 Der Ausdruck Hufh Hamartían impliziert ein Verständnis von Sünde als einer schicksalshaften Macht. Erst in 7,14 wird diese Aussage mit dem anthropologischen Hinweis auf die »sarkische« Existenz des Menschen in Verbindung gebracht. Vgl. auch Gal 3,22.
210
III. Analyse paulinischer Texte
10a
kaq`wß gégraptai “o ti
wie geschrieben steht:
10b
Ohuk ‘estin díkaioß ohu dè eˆiß,582
Es gibt keinen Gerechten, nicht einmal einen.
11
ohuk ‘estin Ho suníwn, ohuk ‘estin Ho hekzjt¨wn tòn qeón.583
Es gibt keinen Verständigen, es gibt keinen, der Gott sucht.
12
pánteß hexéklinan, “ama hjcre´wqjsan≥ ohuk ‘estin Ho poi¨wn crjstótjta, [ohuk ‘estin] “ewß Henóß.584
Alle haben sich abgewendet, sie sind gemeinsam unbrauchbar geworden. Es gibt niemanden, der rechtschaffen handelt, [es gibt] nicht einmal einen.
13
táfoß hane^wgménoß Ho lárugx ahut¨wn, taïß gl´wssaiß ahut¨wn hedolioüsan, ˙òß haspídwn Hupò tà ceílj ahut¨wn,585
Ihre Kehle (ist) ein offenes Grab, mit ihren Zungen betrügen sie, Otterngift (verbirgt sich) unter ihren Lippen.
14
ˆwn tò stóma haräß kaì pikríaß gémei≥586
Ihr Mund ist voll von Fluch und Bitterkeit.
15
hoxeïß oÓ pódeß ahut¨wn hekcéai aˆima,587
Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergiessen.
16
súntrimma kaì talaipwría hen taïß Hodoïß ahut¨wn,588
Vernichtung und Not (ist) auf ihren Wegen
17
kaì Hodòn e˙r´j njß ohuk ‘egnwsan.589
und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt.
18
ohuk ‘estin fóboß qeoü hapénanti Gottesfurcht ist nicht vor ihren Augen. t¨wn hofqalm¨wn ahu t¨wn.590
Mit dieser Zusammenstellung von Zitaten rundet Paulus die Argumentation rhetorisch wirkungsvoll ab591. Ohne eine genaue Kenntnis der unterschiedlichen Intertexte wirkt dieses Zeugnis in sich geschlossen und keineswegs
582 Qoh
7,20a: “oti ‘anqrwpoß ohuk ‘estin díkaioß hen t¨∆ g¨∆; Y 13,1d: ohuk ‘estin poi¨wn crjstótjta, ohuk ‘estin “ewß Henóß. 583 Y 13,2: ku/rioß e˙ k touv ouj ranouv die÷ kuyen e˙pi» tou\ß ui˚ou\ß tw◊n aÓnqrw¿p wn touv i˙dei√n ei˙ e¶s tin suni÷wn h· e˙kzhtw◊n to\n qeo/n. 584 Y 13,3a: pa¿ nteß e˙ xe÷ klinan a‚m a hjc rew¿qhsan ouj k e¶ stin poiw◊ n crhsto/thta oujk e¶s tin eºwß e˚no/ß. 585 Y 5,10b: táfoß ha ne^ wgménoß Ho lárugx ahut¨ wn, taïß gl´ wssaiß ahu t¨wn h edolioüsan. Y 139,4b: ˙òß haspídwn Hupò tà ceílj ahut¨wn. 586 Y 9,28a: oˆu haräß tò stóma ahutoü gémei kaì pikríaß kaì dólou. 587 Jes 59,7a: oÓ dè pódeß ahut¨ wn h epì ponjrían trécousin tacinoì h ekcéai aˆima. 588 Jes 59,7c: súntrimma kaì talaipwría h en taïß Hodoïß ahu t¨wn. (vgl. auch Prov 1,16) 589 Jes 59,8a: kaì Hodòn e˙r´j njß ohuk o‘idasin. 590 Y 35,2b: ohuk ‘estin fóboß qeoü hapénanti t¨wn ho fqalm¨ wn ahutoü. 591 Kompositionsgeschichtliche und quellenkritische Fragen sollen hier nicht weiter interessieren. Vgl. dazu HOFIUS, Psalter, 47–50; KOCH, Schrift als Zeuge, 179–184; FITZMYER, 334–336. Eine hilfreiche Gegenüberstellung der in Frage kommenden Texte findet sich in H. HÜBNER, Vetus Testamentum in Novo (Göttingen, 1997) II, 52–55.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
211
zufällig zusammengefügt592. Im Zusammenhang der bisherigen Argumentation scheint diese kategorische Gesamtanklage, das Fenster einer Möglichkeit der Rechtfertigung durch Werke a posteriori zu schließen, denn es gibt keinen Gerechten, keinen Verständigen, keinen der Gott sucht (3,11; vgl. 2,7), rechtschaffen lebt (3,12c; vgl. 2,10) und den Weg des Friedens erkannt hat (3,17; vgl. 2,10). 19
O‘idamen dè “oti “osa Ho nómoß légei toïß hen t¨^w nóm^w laleï,
“ina pän stóma frag¨∆ kaì Hupódikoß génjtai päß Ho kósmoß t¨^w qe¨^w≥
Wir wissen aber, dass alles, was das Gesetz vorschreibt, denen gilt, die dem Gesetz verpflichtet sind (wörtlich: dass alles, was das Gesetz sagt, es zu denen im Gesetz sagt), damit jeder Mund verschlossen werde und die ganze Welt Gott gegenüber schuldig werde.
Dem Einwand, dass die Schrift in all diesen Fällen von Nichtjuden rede, wird in V. 19 mit einem Hinweis auf gemeinsam geteiltes Wissen der Boden entzogen: Das Gesetz, das soeben zitiert worden ist593, spricht nämlich zu den Juden594. Aus der Zitatensammlung ergibt sich nun ein zweifaches Resultat (s.o. S. 169): Zum einen möchte Paulus denen »den Mund stopfen«, die noch nach Ausflüchten suchen595. Er möchte eine wirkliche Argumentationskrise herbeiführen, allen möglichen Einwänden im Vorfeld jegliche Grundlage entziehen. Zum anderen soll sich die ganze Welt Gott gegenüber als schuldig (Hupódikoß) erweisen. 20
dióti hex ‘ergwn nómou ohu dikaiwq´jsetai päsa sàrx hen´wpion ahutoü, dià gàr nómou hepígnwsiß Hamartíaß.
Deswegen wird aus Gesetzeswerken kein Mensch (wörtl. alles Fleisch) vor ihm gerechtfertigt, denn durch das Gesetz (kommt nur) Erkenntnis der Sünde.
Aus der kategorischen und umfassenden Schuldzuweisung, die in den ATTexten zum Ausdruck kommt, geht eines hervor (dióti): Kein Mensch (bibelarchaisch formuliert als päsa sárx) kann vor Gott als Gerechter
592 Dass
dies früh so empfunden wurde, lässt sich an der interessanten rezeptionsgeschichtlichen Tatsache ablesen, dass viele Handschriften der LXX im Anschluss an Ps 13,3 den gesamten Zitatenblock aus Röm 3 übernommen haben. Über Origenes gelangte diese christliche Ausweitung des AT-Textes auch in die Vulgata. Vgl. dazu A. RAHLFS, Psalmi cum Odis (Göttinger Septuaginta 10; Göttingen, 1931) 30f. 593 Auch wenn kein Zitat aus der Torah in 3,10–18 zu finden ist, wird nómoß (wie in 1Kor 14,21) als Pars pro toto für die gesamten Heiligen Schriften verwendet. 594 Diese hermeneutisch nicht über jeden Zweifel erhabene »Maxime« stimmt allerdings auch sachlich mit der Strategie von 1,18–32 gegenüber 2,1ff überein, denn dort hat Paulus die Anklage gegen die Nichtjuden auch auf die Juden übertragen. 595 Vgl. Ps 63,12; 107,42; Hiob 5,16; 1Makk 9,55.
212
III. Analyse paulinischer Texte
bestehen (vgl. Gal 2,16)596. Neu an dieser Schlussfolgerung ist der Begriff der ‘erga nómou597. Diese Erweiterung ist allerdings für den weiteren Verlauf der Argumentation unerlässlich, weil damit angedeutet ist, dass es neben dem bisherigen Weg der »Rechtfertigung durch Taten« einen anderen, gleich darzulegenden Weg gibt. Die Begründung in 20b ist durch die bisherige Argumentation nur ungenügend vorbereitet: »durch Gesetz Erkenntnis der Sünde«. 3. Logische Analyse Die logische Analyse eines relativ langen Argumentationsganges steht zunächst vor der Aufgabe, den semantischen Reichtum des Textes auf jenes verantwortbare Maß zu reduzieren, welches eine Verknüpfung der tragenden Aussagen in logischer Hinsicht erlaubt. Ob sich im Falle von Röm 1,18–3,20 ein logisches architektonisches Gerüst freilegen lässt, das zum Verstehen des Textes als Ganzes hilft, ist hier zu prüfen. Dabei darf die Rolle von 1,18–32 für die Frage nach der argumentativen Geschlossenheit des gesamten Röm nicht unterschätzt werden598. a) Basale semantische Felder in Röm 1,18–3,20 Eine erste Schwierigkeit begegnet auf der Ebene der Semantik. Der Reichtum an Begriffen, die zum Teil ganz unterschiedliche Enzyklopädien aufrufen (von den Heiligen Schriften bis zu stoischer Ethik)599, erschwert eine angemessene Formalisierung. Ohne eine relativ generöse Vereinheitlichung in basale semantische Aussagefelder ist eine Formalisierung unmöglich. Unter Absehung der semantischen Nuancen, die einem Text auf der Ebene der konkreten Rezeption seinen besonderen Reichtum verleihen, geht es hier darum, jene Wörter aus dem Text zusammenzuziehen, die immer wieder in ähnlichen Konstellationen auftauchen600. Daraus ergeben sich die folgenden »Felder«:
596 Der
Wortlaut erinnert deutlich an Y 142,2: kaì m`j e˙sélq∆ß e˙ß krísin metà toü doúlou sou “oti ohu dikaiwq´jsetai hen´wpión sou päß z¨wn (»und geh nicht ins Gericht mit deinem Knecht; denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht«). Um ein Zitat handelt es sich dennoch nicht (anders WILCKENS, I, 173). 597 Vgl. zum Begriff o. S. 141f. 598 POPKES, Aufbau, 490: »Die logische Struktur von 1,18–32 ist von größter Wichtigkeit für das Gelingen des ganzen Diskurses.« 599 SCHULZ, Anklage hat anhand unterschiedlicher religionsgeschichtlicher Bezugspunkte gezeigt, dass »von einer religionsgeschichtlichen Einheit der in Röm. 1,18ff vorliegenden ›Anklage‹ keine Rede sein kann.« 600 Auch dieser Schritt kann nicht rein formal durchgeführt werden, sondern muss auf die Gewichtungen, die sich in der Exegese ergeben, achten.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
213
1. Fehlverhalten. Basissatz: Menschen sündigen / Menschen handeln unrecht. Diese Aussage ist am häufigsten belegt601: hasébeian (1,18), hadikía (1,18 [2x]; 1,29; 3,5), katécw hal´jqeian (1,18), ohuk hedóxasan (1,21), ohuk jhucaristjsan (1,21), ‘jllaxan t`jn dóxan hafqártou qeoü hen ... fqartoü hanqr´wpou... (1,23), met´jllaxan t`j n hal´j qeian toü qeoü hen t^w yeúdei (1,25), hakaqarsía (1,24), hesebásqjsan kaì helátreusan t¨∆ ktísei parà tòn ktísanta (1,25), met´jllaxan t`jn fusik`jn cr¨jsin e˙ß t`jn parà fúsin (1,26), hafénteß t`j n fusik`jn cr¨jsin (1,27), hascjmosúnjn katergazómenoi (1,27), ohuk hedokímasan tòn qeòn ‘ecein hen hepign´wsei (1,28), poeïn tà m`j kaq´jkonta (1,28), ponjríâ pleonexíâ kakíâ, mestoùß fqónou fónou ‘eridoß dólou kakojqeíaß, yiquristáß, katalálouß, qeostugeïß, Hubristáß, Huperjfánouß, halazónaß, hefeuretàß kak¨wn, goneüsin hapeiqeïß, hasunétouß, hasunqétouß, hastórgouß, hanele´jmonaß (1,29–31), ahutà poioüsin ... kaì suneudokoüsin toïß prássousin (1,32), ahutà prasseiß (2,1), poi¨wn ahutá (2,3), toùß tà toiaüta prássontaß (2,2f), toïß dè hex heriqeíaß kaì hapeiqoüsi t¨∆ haljqeíâ peiqoménoiß dè t¨∆ hadikíâ (2,8), katergazoménou tò kakón (2,9), hanómwß / hen nóm^w “jmarton (2,12), Ho kjrússwn m`j kléptein klépteiß; Ho légwn m`j moiceúein moiceúeiß; Ho bdelussómenoß tà e‘idwla Óerosuleïß (2,21f), dià t¨j ß parabásewß toü nómou tòn qeòn hatimázeiß (2,23), parabátjß nómou (2,25.27), hjpístjsán tineß / hapistía (3,3).
2. Zornesstrafe. Basissatz: Gottes Zorn kommt als Strafe über Menschen602. horg´j (1,18; 3,5), horg`j n hen Hjmérâ horg¨jß kaì hapokalúyewß dikaiokrisíaß toü qeoü (2,5), horg`j kaì qumóß (2,8), parédwken ... hen taïß hepiqumíaiß (1,24), parédwken ... e˙ß páqj hatimíaß (1,26), hantimisqía (1,27), parédwken ... e˙ß hadókimon noün (1,28), tò dikaíwma toü qeoü ... “oti oÓ tà toiaüta prássonteß ‘axioi qanátou e˙sín (1,32), tò kríma toü qeoü (2,2f), qlïyiß kaì stenocwría (2,9), hapoloüntai (2,12) – kriq´jsontai (2,12), Hwß Hamartwlòß krínomai (3,7), tò kríma ‘endikón hestin (3,8).
3. Erkenntnis. Basissatz: Menschen erkennen die Wahrheit. hal´jqeia (1,18; 2,2), tò gnwstòn toü qeoü (1,19), nooúmena kaqorätai (1,20), gnónteß tòn qeón (1,21), tò dikaíwma toü qeoü hepignónteß (1,32), o‘idamen (2,2; 3,19), fúsei (2,14), tò ‘ergon toü nómou graptòn hen taïß kardíaiß ahut¨wn (2,15), t¨j ß suneid´j sewß (2,15), gin´wskeiß tò qéljma kaì dokimázeiß tà diaféronta katjcoúmenoß hek toü nómou (2,18), ‘econta t`j n mórfwsin t¨j ß gn´wsewß kaì t¨jß haljqeíaß hen t¨^w nóm^w (2,20), Hj hal´jqeia toü qeoü (3,7), dià gàr nómou hepígnwsiß Hamartíaß (3,20).
4. Irrtum. Basissatz: Menschen belügen sich selbst / sind verblendet. hematai´wqjsan hen toïß dialogismoïß (1,21), heskotísqj Hj hasúnetoß ahu t¨wn kardía (1,21), fáskonteß e~inai sofoì hemwránqjsan (1,22), plánj (1,27), logíz∆ ... hagno¨wn (2,3f), skljrótjtá kaì hametanójton kardían (2,5), tufl¨wn, t¨wn hen skótei, hafrónwn, njpíwn (2,19f), yeúsmati (3,7).
601 Auffällig
für dieses Aussagefeld ist die Häufung von Begriffen mit a-privativum und Negationen. Dies ist für die antithetische Struktur der gesamten Argumentation von Bedeutung. 602 »Jenseitige« und »diesseitige« Aspekte der Zornesstrafe werden hier nicht voneinander abgehoben. Für die Logik des Textes ist eine Differenzierung der Zeitebenen nicht weiter relevant.
214
III. Analyse paulinischer Texte
5. Schuldanklage. Basissatz: Menschen sind als Angeklagte vor Gott schuldig. hanapológjtoß (1,20; 2,1), seautòn katakríneiß (2,1), e˙ß metánoían se ‘agei (2,4), qjsaurízeiß seaut¨w horg´jn (2,5), pro∆tiasámeqa (3,9), Hufh Hamartían (3,9), Ohuk ‘estin díkaioß ohudè eˆiß, ohuk ‘estin Ho suníwn, ohuk ‘estin Ho hekzjt¨wn tòn qeón. pánteß hexéklinan, “ama hjcre´wqjsan≥ ohuk ‘estin Ho poi¨wn crjstótjta, [ohuk ‘estin] “ewß Henóß. táfoß hane^wgménoß Ho lárugx ahut¨wn, taïß gl´wssaiß ahu t¨wn hedolioüsan, ˙òß haspídwn Hupò tà ceílj ahu t¨wn, ˆwn tò stóma haräß kaì pikríaß gémei≥ hoxeïß oÓ pódeß ahut¨wn hekcéai aˆima, súntrimma kaì talaipwría hen taïß Ho doïß ahut¨wn, kaì Ho dòn e˙r´j njß ohuk ‘egnwsan. ohuk ‘estin fóboß qeoü hapénanti t¨wn hofqalm¨wn ahut¨wn (3,10–18), Ho nómoß légei toïß hen t¨^w nóm^w laleï, “ina pän stóma frag¨∆ kaì Hupódikoß génjtai päß Ho kósmoß t¨^w qe¨^w (3,19); dióti hex ‘ergwn nómou ohu dikaiwq´j setai päsa sàrx hen´wpion ahutoü (3,20).
6. Gleichheitsprinzip. Basissatz: Gott richtet alle Menschen nach dem gleichen Prinzip. (qeòß) hapod´wsei Hekást^w katá tà ‘erga ahutoü (2,6), h Ioudaíou te pr¨wton kaì “ Elljnoß (2,9f; 3,9), ohu gár hestin proswpoljmyía parà t¨^w qe¨^w (2,11), krineï Ho qeòß tòn kósmon (3,6).
7. Gerechtes Verhalten. Basissatz: Menschen verhalten sich gut nach dem Gesetz. kaqh Hupomon`j n ‘ergoü hagaqoü dóxan kaì tim`j n kaì hafqarsían zjtoüsin (2,7), t¨^w hergazomén^w tò hagaqón (2,10), oÓ poijtaì nómou (2,13), tà toü nómou poi¨wsin (2,14), tò ‘ergon toü nómou (2,15), heàn nómon práss∆ß (2,25), tà dikai´wmata toü nómou fuláss∆ (2,26), tòn nómon teloüsa (2,27), Ho hen t^w krupt¨w h Ioudaïoß (2,29), peritom`j kardíaß hen pneúmati ohu grámmati (2,29).
8. Heil. Basissatz: Gott anerkennt Menschen im Gericht als gerecht. zw`j n a˙´wnion (2,7), dóxa dè kaì tim`j kaì e˙r´j nj (2,10), díkaioi parà [t¨^w] qe¨^w dikaiwq´jsontai (2,13), e˙ß peritom`jn logisq´j setai (2,26), Ho ‘epainoß ohuk hex hanqr´wpwn hallh hek toü qeoü (2,29).
Diese acht Felder betreffen die Hauptaussagen des Textes. Daneben spielen noch zwei Antithesen eine Rolle, die sich nicht als Aussagen deuten lassen: der Gegensatz »Juden/Nichtjuden« und der Gegensatz »innen/außen«. Die fehlende Verbindung der einzelnen Sätze zueinander durch »Mittelterme« zeigt, dass eine Formalisierung mit den Mitteln aristotelischer Termlogik wenig Aussicht auf Erfolg hat603. 603 MOORES,
Rationality, 46–60 versucht, einzelne Verse zu enthymematischen Schlüssen zu vervollständigen. Leider bietet er für seine Syllogismen keine Formalisierungen an. Wahrscheinlich wäre durch eine formallogische Darstellung deutlich geworden, dass viele der Satzbildungen, mit denen MOORES operiert (vgl. z.B. S. 46: »Once God is recognised he requires worship and gratitude«), zu komplex für einen aristotelischen Schluss sind und zudem satzlogisch wesentlich besser erfasst werden könnten. Die Sätze in Röm 1–3 sind kaum in die Form »A ist B« zu bringen. Sicherlich würden sich Sätze der Form »Alle Menschen sind X« finden. Aber wenn sich der Mittelterm »Menschen« in der Subjektstellung
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
215
b) Formalisierung und Analyse Die folgende Form der Basissätze wird im Folgenden der Analyse zugrunde gelegt: A D E G O P S U
Menschen sündigen / Menschen handeln unrecht. Gott anerkennt Menschen im Gericht als gerecht. Menschen verhalten sich gut nach dem Gesetz. Menschen erkennen die Wahrheit. Gottes Zorn kommt als Strafe über Menschen. Gott richtet alle Menschen nach dem gleichen Prinzip. Menschen belügen sich selbst / sind verblendet. Menschen sind als Angeklagte vor Gott schuldig.
(A von Hamartía / hadikía) (D von dikaiów) (E von hergazómai) (G von gin´wskw) (O von horg´j) (P von proswpoljmyía) (S von skotízw) (U von Hupódikoß)
Wie die Exegese gezeigt hat, lassen die Verbindungspartikeln, die einen Hinweis auf die logischen Beziehungen innerhalb des Textes geben könnten, oft sehr unterschiedliche Deutungen zu. Die Formalisierung muss diese Deutungsvielfalt im Auge behalten. Die Hauptaussage des Textes erscheint gleich in 1,18. Sie stellt die beiden prominentesten Aussagefelder, »Zorn« (O) und »Fehlverhalten« (A), in einen Zusammenhang der sich gut als einfache Implikation darstellen lässt: [1]
A→O
Wenn Menschen unrecht handeln, kommt Gottes Zorn als Strafe über sie.
Damit ist aber der Inhalt von 1,18 nicht ganz erfasst. Der Hinweis auf die hal´jqeia, die nach den oben getroffenenen exegetischen Entscheidungen zum Feld der »Erkenntnis« gehört, sollte in der Implikation eine Rolle spielen. Nur dadurch wird die Bedeutung von 1,19–21 für die Argumentation gebührend berücksichtigt. Die Formalisierung verlangt aber eine weitere Entscheidung: Offenbart sich Gottes Zorn, wenn Menschen die Wahrheit erkennen und Unrecht handeln, oder wenn es der Fall ist, dass wenn Menschen die Wahrheit erkennen, sie dann Unrecht handeln? Also: (G∧A)→O oder (G→A)→O. Eine Entscheidung ist weder nach logischen noch nach exegetischen Gesichtspunkten einfach zu fällen604. Es gilt zu prüfen, in welchen Fällen beide logische Aussagen wahr sind. Zur besseren Darstellung möchte ich hier auf aussagenlogische Wahrheitstafeln zurückgreifen (s.o. S. 83):
befindet (Figur III) lassen sich bei allgemein-affirmativen Sätzen nur partikuläre Schlüsse ziehen. Z.B. aus den Sätzen »Alle Menschen sind Gott-Erkennende«, und »Alle Menschen sind Sünder«, lässt sich (nach Darapti) nur die »schwache« Aussage schlussfolgern: »Einige Sünder sind Gott-Erkennende.« Partikuläre Aussagen sind jedoch gewiss nicht das Argumentationsziel dieses Abschnitts. 604 An dieser Stelle möchte ich meinen logischen Gesprächspartnern, Michael Groneberg und Theodor G. Bucher danken, dass sie mich vor einer logisch falschen Formalisierung bewahrt haben. Damit sei auch eine Änderung gegenüber der eingereichten Habilitationsschrift angezeigt.
216
III. Analyse paulinischer Texte G
A
O
w w w w f f f f
w w f f w w f f
w f w f w f w f
(G → A) → O (w) (w) (f) (f) (w) (w) (w) (w)
w f w w w f w f
(w) (f) (w) (f) (w) (f) (w) (f)
(G ∧ A) → O (w) (f) (f) (f) (f) (f) (f) (f)
w f w w w w w f
(w) (f) (w) (f) (w) (f) (w) (f)
Die Tabelle gibt Auskunft darüber, wie sich der Wahrheitswert der Gesamtaussage verändert je nach dem Wahrheitswert der einzelnen Aussagen. Sie ist so zu lesen, dass in den drei linken Spalten alle acht möglichen Kombinationen aufgezählt werden. Die beiden rechten Spalten notieren jeweils außen in Klammern die daraus resultierenden Wahrheitswerte für die darüber liegenden Aussagen und in Fettdruck in der Mitte den Wahrheitswert der Gesamtaussage. Was im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung interessiert, sind jene Fälle, bei denen die Aussagen (G→A) und O, bzw. (G∧A) und O wahr sind und die Gesamtaussage wahr ist605. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen beiden Formalisierungsvorschlägen: G
A
O
w f
w w
w w
(G → A) → O (w) (w)
w (w) w (w)
(G ∧ A) → O (w)
w (w)
(G→A)→O kennt zwei und (G∧A)→O nur einen Fall, auf den die gestellte Bedingung zutrifft. Die Unterschiede sind exegetisch nicht ohne Belang: Die Formalisierung (G→A)→O wäre auch dann wahr, wenn die Menschen Gott nicht erkennen (Wahrheitswert f für G), sie sündigen und Gottes Zorn sie trifft. Die Erkenntnis Gottes durch die Torah oder durch die Natur jedoch bildet in Röm 1f (und nur um diesen Text geht es hier) einen so grundlegenden Ausgangspunkt der paulinischen Befindlichkeitsanalyse (1,19f), dass der Argumentation schwerlich entnommen werden kann, die Gottesstrafe träffe sündige Menschen auch dann, wenn sie Gott nicht erkannt hätten. Der Text lässt dem Menschen keine Möglichkeit, der Erkenntnis Gottes zu »entgehen«. Daher ist eine Formalisierung vorzuziehen, die ausschließlich den Wahrheitswert »wahr« für G kennt, also: (G∧A)→O606. [2]
(G ∧ A) → O
605 Diese
Wenn Menschen die Wahrheit erkennen und sie unrecht handeln, dann kommt Gottes Zorn als Strafe über sie.
Einschränkung »unterstellt«, dass Paulus von der Wahrheit seiner Aussagen ausgeht. Daher interessieren jene Fälle nicht, die das Falschsein einzelner oder zusammengesetzter Aussagen postulieren. 606 Mit der Exportationsregel, eine logische Äquivalenzregel der modernen Aussagenlogik (vgl. BUCHER, Angewandte Logik, 118), ließe sich (G∧A)→O umwandeln in G→(A→O). Für weitergehende Analyse könnte das von Interesse sein.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
217
Dass die Struktur dieses Satzes die logische Hauptader des Textes darstellt, wird dadurch sehr wahrscheinlich, dass sich eine ähnliche Struktur auch anderen Stellen zugrunde legen lässt: G (Wahrheitserkenntnis)
A (Sünde)
O (Strafe)
1,32
Menschen erkennen (etwas von) Gottes Wahrheit im Sinne eines moralischen Urteils (o“itineß hepignónteß).
Menschen handeln unrecht (oÓ tà toiaüta prássonteß) und erfreuen sich am Unrecht anderer .
Die Rechtssatzung Gottes fordert den Tod (tò dikaíwma toü qeoü “oti ... ‘axioi qanátou e˙sín).
2,2
Dass der Maßstab im Gericht die »erkannte Wahrheit« (katà hal´jqeian) ist, setzt eine solche Erkenntnis voraus.
Menschen handeln dadurch unrecht, dass sie das von ihnen inkriminierte Fehlverhalten anderer selbst praktizieren (toùß tà toiaüta prássontaß).
Das Gerichtsurteil Gottes (tò kríma toü qeoü) kommt über (hepí wie in 1,18) diese Menschen.
2,8
Es gibt eine »Wahrheit« (hal´jqeia), die soweit erkannt worden ist, dass man sich ihr gegenüber als ungehorsam erweisen kann.
Menschen handeln unrecht, indem sie lieber der Ungerechtigkeit (hadikía; wie in 1,18) gehorchen (peíqw) als der Wahrheit.
Nach dem Prinzip der Vergeltung erhalten diese Menschen von Gott horg`j kaì qumóß.
Menschen sündigen (“jmarton).
Menschen werden von Gott gerichtet (kriq´jsontai parallel zu hapoloüntai in 12a).
2,12b Versteht man von 2,20 her die Torah als »Verkörperung von Erkenntnis und Wahrheit«, dann haben die Menschen, die der Torah gegenüber verpflichtet sind (“osoi hen nóm^w), eine klare Erkenntnis.
Es geht hier nicht um einfache Wortwiederholungen oder um eine Wiederaufnahme bestimmter Motive, sondern um eine für die logische Argumentationsstruktur des Textes grundlegende Form der Korrelation von Aussagen. Die gewählte Formalisierung [2] stellt damit im Rahmen der Beschränkungen, die komplexe Aussagen durch solche Formalisierungen erfahren, m.E. eine angemessene Form dar. Betrachtet man nun die gesamte Argumentation von ihrem (vermeintlichen) Ziel in 3,9 her, dann wäre das einfachste logische Gerüst für den ganzen Text eines, das als zweite Prämisse die Aussage der Protasis von Satz [2] postuliert. Für alle Menschengruppen, für die gezeigt werden kann, dass G∧A zutrifft, kann auf Satz O geschlossen werden. Leider ist der Argumentationsverlauf etwas verwirrender. Die VV. 19–23 lassen sich zunächst als modus ponens zum Basissatz [2] lesen: Die Menschen haben Gott durch seinen in der Natur wahrnehmbaren
218
III. Analyse paulinischer Texte
Offenbarungswillen erkannt (19f) und gesündigt (21–23). Das entspricht der Form G∧A. In den VV. 21f spielt aber eine etwas anders gelagerte Aussage eine Rolle: der Verstand der Menschen vernebelt sich. Sie verfallen der Vorstellung, weise zu sein, und machen sich dadurch zu Narren. Damit wird das Begriffsfeld des menschlichen Irrens berührt (Aussage S). Hier lässt der Text in der Tat eine Form von Theo-logik erkennen. Die Konjunktion G∧A kann nicht wahr sein, wenn G oder A falsch ist. Das bedeutet: Sie ist falsch, wenn Menschen Gott erkennen und nicht sündigen – und umgekehrt. Damit ist ein schwerwiegendes theologisches Problem berührt und es wäre reizvoll anzunehmen, dass die Einschaltung der Aussage S in gewisser Weise der logischen Problematik einer impliziten Theodizee-Frage (Wie kann die Offenbarung Gottes derart »versagen«?) vorbeugen wollte. Wenn diese Option durchgespielt wird, ergibt sich eine Neuqualifizierung des Basissatzes [2]: Statt (G∧A)→O (G∧S∧A)→O. Also: »Wenn es der Fall ist, dass Menschen Gott erkennen, der Verblendung anheimfallen und sündigen, dann trifft sie Gottes Zorn.« Zwei Aspekte sprechen dagegen, die Aussage S in dieser Art in den Basissatz [2] zu integrieren: 1. Das Aussagefeld »Irrtum« spielt keine besonders große Rolle. In den beiden Wiederaufnahmen der Grundstruktur von 1,18 (in 1,32 und 2,8) ist es nicht zu finden. Auch wenn die obige Auflistung von Aussagefeldern ein anderes Verständnis nahe legen könnte, stellt sich die Frage, ob es sich dabei um eine eigenständige Aussage handelt. 2. Auf sachlicher Ebene wäre zu fragen: Ist der Irrtum etwas, das akzidentiell zur Erkenntnis hinzukommt und diese in Sünde verkehrt oder liegt der Irrtum in der Natur der Menschen, so dass es sich nicht vermeiden lässt, trotz besserer Einsicht sich ungerecht zu verhalten. Nimmt man die finale Bestimmung in 1,20 ernst (e˙ß tò e~inai ahutoùß hanapolog´jtouß), dann zielt die Gotteserkenntnis darauf, dass die Menschen keine Entschuldigung vorbringen können. Die überraschende Schlussfolgerung in 3,20, dass durch das Gesetz nur Erkenntnis der Sünde (dià nómou hepígnwsiß Hamartíaß) kommt, würde selbst für die Torah als »Offenbarungsträger« nur den Nexus von Erkenntnis und Sünde zulassen. Dass Paulus tatsächlich von einer solchen Annahme ausgeht, zeigen m.E. die Ausführungen in Röm 7,7– 23 und 8,3f: Die Neigung zu Unrecht ist eine anthropologische Grundkonstante, die für Paulus derart stark ist, dass sich die Offenbarung in der Natur oder im Gesetz nicht dagegen durchzusetzen vermag. Die Verblendung, die in VV. 21f zum Ausdruck kommt, ist also keine bloße Potentialität, kein menschliches Akzidenz, sondern – paulinisch verstanden – unumgänglich607.
Wenn die VV. 19–23 als Einsetzung der Protasis von Satz [2] gelesen werden können, dann darf die erste par´edwken-Aussage in V. 24 als conclusio aufgefasst werden:
607 Vielleicht –
um die Logik weiter in das Gebiet der Theologie eindringen zu lassen – ist die Aussage S aus einem anderen Grund nötig: 1,21a scheint vorauszusetzen, dass »wenn Erkenntnis Gottes, dann Anbetung Gottes«. Das hieße aber nach modus tollens, dass wenn Menschen Gott nicht anbeten (was nachweislich für viele Nichtjuden aus jüdischer Sicht der Fall ist), das zur Folge hat, dass sie ihn nicht erkannt haben (was Paulus aber nach 1,19f als eine falsche Aussage ansehen musste).
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20) VV. 18 VV. 19–23 V. 24
(G∧A)→O G∧A (G∧A)→O
219
Prämisse 1 Prämisse 2 (nach modus ponens)
Ist erstmal diese Grundstruktur erkannt, lässt sich der weitere Verlauf leicht diesem Argumentationsschema zuordnen: V. 25 lässt sich auf die Form G∧A zurückführen (met´jllaxan t`jn hal´jqeian toü qeoü hen t¨^w yeúdei, kaì hesebásqjsan kaì helátreusan t¨∆ ktísei parà tòn ktísanta). V. 26f zieht mit der zweiten par´edwken-Aussage den aus 1,18 zulässigen Schluss608. V. 28 bringt nochmals beide Aussagen, die Erkenntnis und die Sünde (ohuk hedokímasan tòn qeòn ‘ecein hen hepign´wsei), in kurzen Worten zum Ausdruck. Durch kaq´wß wird dies als hinreichende Begründung für die dritte par´edwken-Aussage eingeführt (28b). Auf der Grundlage von 1,18 ist dieser Schluss logisch gültig. Die VV. 29–31 bieten eine lange Reihe von Beispielen für die Aussage A (»Menschen sündigen«). V. 32 lässt sich, wie oben vorgeschlagen, als Neuformulierung des Basissatzes von 1,18 verstehen. Die Analyse von Kap. 2 sieht sich gleich in 2,1 vor ein Dilemma logischer Natur gestellt, denn mit diò hanapológjtoß schließt die Aussage als Schlussfolgerung an 1,18–32 an. Mit dem Instrumentarium aristotelischer Termlogik ist ein solcher Zusammenhang kaum erkennbar. Stoische Aussagenlogik kann den Sachbezug deutlicher herausstellen. Die Aussage von 2,1 hat folgende logische Grundstruktur: (p∧q)→r
Wenn es der Fall ist, dass (wenn jemand andere für etwas verurteilt und er/sie es dann selbst tut), dann verurteilt er/sie sich selbst.
Die Kleinbuchstaben lassen offen, welche der Basissätze hier zum Ausdruck gebracht werden. Die Ähnlichkeit zum Basissatz [2] ist so offensichtlich609, gefragt werden muss, ob sich 2,1 den Aussagefeldern (G, A, O), die in 1,18 vorkommen, zuordnen lässt. Am deutlichsten ist das Aussagefeld A (»Menschen sündigen«) zu erkennen: Die Richtenden handeln verkehrt nach ihren eigenen Maßstäben und – wie 2,2 hervorhebt – auch nach göttlichen Kriterien. Der Aspekt der Erkenntnis (Satz G) ist im Akt des Richtens (krínw) impliziert. Auf die gemeinsame Erkenntnis wird in 2,2 mit o‘idamen explizit Bezug genommen. Im Verlauf der Argumentation wird zudem der Erkenntnisvorsprung, den die Torah als Offenbarungmittel den Juden verschafft, ausdrücklich erwähnt (2,17–20; 3,1) 610. 608 Ich
rechne beide Verse zur Aussage der »Zornesstrafe«, weil sich zum anfänglichen parédwken ahu toùß Ho qeóß eine sachliche Entsprechung am Ende von V. 27 in dem Hinweis auf den »Lohnempfang für ihre Verirrung« (t`jn hantimisqían ”jn ‘edei t¨j ß plánjß ahut¨wn hen Heautoïß hapolambánonteß) findet. 609 Auch in diesem Fall habe ich für die Protasis eine Implikation und keine einfache Konjunktion gewählt, weil es m.E. sachlich begründet erscheint, dass die Reihenfolge eine Rolle spielt. Es könnte schließlich jemand etwas tun und andere dafür verurteilen, nachdem er oder sie zur Einsicht gelangt ist, dass es falsch ist. 610 Das krínei tòn “eteron in 2,1 hat eine sachliche Entsprechung in Ho didáskwn “eteron in 2,21 und wird in 2,27 auf den Kopf gestellt.
220
III. Analyse paulinischer Texte
Von Gottes strafendem Zorn (Satz O) ist in 2,1 nicht die Rede, jedoch von der Schuld (Satz U: hanapológjtoß).
Die Aussage lässt sich also in diesem Sinne formalisieren: [3]
(G∧A)→U
Wenn jemand die Wahrheit erkennt und Unrecht tut (indem er/sie Menschen verurteilt für das, was er/sie selbst tut), ist er/sie schuldig.
Interessant ist, dass die Aussage in 2,1 durch die Wiederaufnahme des Basissatzes von 1,18 in 2,2 (s.o. S. 217) eine Begründung erfährt. Das Zorngericht Gottes (Satz O) und die Schuld der Menschen (Satz U) sind für Paulus auf der Sachebene so eng miteinander verwoben, dass er ohne weiteres von Satz [2] auf Satz [3] »schließen« kann. Die Aussage, die hier als implizite Prämisse vermutet werden kann, lautet »Wenn Gottes Verurteilungsgericht Menschen trifft, dann weil sie schuldig sind.« Vielleicht ist es sogar präziser, die Aussagen im Sinne eines Bikonditional aufeinander zu beziehen: »Dann und nur dann, wenn Gottes Verurteilungsgericht Menschen trifft, sind sie schuldig.« Dieser besondere Konditionalsatz ist der einzige, der eine Umkehrung erlaubt: »Dann und nur dann, wenn Menschen schuldig sind, trifft sie Gottes Verurteilungsgericht.« Dass dies ganz selbstverständlich zum paulinischen Gottes- und Menschenbild gehört, zeigt seine aufgeregte Diatribe in 3,1–8. Es gehört nicht nur zum paulinischen, sondern zum allgemein jüdischen Überzeugungssystem, dass Gott auf gar keinen Fall ungerecht sein kann, wenn er richtet.
Wie ist nun das logische Verhältnis von 2,1ff zu 1,18–32 zu verstehen? Nach der hier vorgeschlagenen Formalisierung stellt 2,1a die conclusio (U: Menschen sind schuldig) voran und begründet (gár) die Aussage über die zweite Prämisse (1b) des Basissatzes [2]. Die für den Schluss notwendige erste Prämisse ist in 1,18 formuliert worden (daher der Anschluss mit dió) und wird zudem in 2,2 mit sehr ökonomischen sprachlichen Mitteln wiederholt611. Aufgrund einer theologischen Prämisse, die nicht explizit erwähnt wird, sind die Sätze U und O für Paulus austauschbar. Der Abschnit 2,3–5 ist aufgrund der rhetorischen Frageform logisch nicht formalisierbar und auch für den Argumentationsverlauf aus logischer Perspektive vernachlässigbar. Inhaltlich wird hier v.a. deutlich gemacht, dass es aus dem Wahrheitszusammenhang der Sätze [2] und [3] keine argumentative Fluchtmöglichkeit gibt (2,3). Auch die Güte Gottes (2,4) ist keine »Hintertür«, denn sie führt nicht am Gericht vorbei, sondern zur Buße! So bleibt in 2,5 nur die prophetische Ankündigung des göttlichen Zorns (mit
611 Abaelard,
der mittelalterliche Logikmeister, versteht 2,1 als afortiori-Schluss aus 1,18–32: »Da diese, denen das geschriebene Gesetz nicht gegeben worden ist, sich ja nicht mit ihrer Unkenntnis Gottes für die Sünde entschuldigen können, das heißt für die Mißachtung des Schöpfers, kann es folglich überhaupt keiner. Und dies bedeutet: ›Darum bist du unentschuldbar, oh Mensch, ein jeder, der du richtest‹.« (Exp. in Epist. ad Rom., übers. R. Peppermüller, FC I/26:1, 170f) Leider ist dieses Argumentationsmuster logisch nicht formalisierbar.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
221
einem deutlichen Rückbezug auf 1,18), die sicherlich eher pathetischen als logischen Zielen dient612. 2,6–11 bringt eine neue Aussage in den Gedankengang ein: Gott ist unparteiisch (11) und richtet daher alle Menschen nach dem gleichen Prinzip (6). Die Begründungspartikel gár in 2,11 macht deutlich, dass sich aus diesem Axiom über Gott das Prinzip der Gleichbehandlung im Gericht (V. 6) folgern lässt, welches wiederum zwei Aussagekonstellationen zur Folge hat: Wenn Menschen Gott erkennen und sündigen, erwartet sie das Vernichtungsurteil (VV. 8f). Wenn Menschen Gutes tun, erwartet sie das ewige Leben (VV. 7.10). Damit greifen die Aussagen in VV. 6 und 11 hinter die Argumentationskette von 1,18 zurück613. Nur dadurch kann in die Argumentation eine Aussage eingebracht werden, die im inhaltlicher Spannung zum Basissatz in 1,18 steht: E→D (»Wenn Menschen Gutes tun, dann erkennt Gott sie im Gericht als gerecht an«). Die logische »Architektur« geht von 2,11 aus: Gott ist unparteiisch (2,11).
Gott richtet alle Menschen nach dem gleichen Prinzip der Werke (2,6)
(G∧A)→U
E→D
Der Schluss von 2,11 zu 2,6 bedarf kaum einer logischen Formalisierung, um plausibel zu erscheinen, weil Unparteilichkeit definiert werden kann als das Prinzip, dass alle Menschen gleich behandelt werden. V. 6 ist daher weniger ein Schluss als vielmehr die Wesensbeschreibung von V. 11. Dennoch bedarf es einer unausgesprochenen Prämisse, um von 2,11 auf 2,6 zu gelangen: das Prinzip der Gleichbehandelung richtet sich nach dem Kriterium der »Werke«. Generell wären auch andere Kriterien denkbar, aber auf dem theologischen 612 Wenn
das Motiv der »Sturheit« in 2,5 als Verkürzung für das Aussageverhältnis G∧A (Wenn Erkenntnis dann Sünde) verstanden werden kann, dann hätten wir in 2,5 eine Wiederaufnahme der logischen Grundstruktur von 1,18. 613 Dass sich aus dem »Axiom« der Unparteilichkeit Gottes die Rechtfertigungslehre folgern ließe, ist eine etwas überzogene Einseitigkeit in den Publikationen von BASSLER (»Divine Impartiality« und Divine Impartiality), für die sie zu Recht kritisiert worden ist. Die hier vorgelegte logische Analyse kann jedoch bestätigen, dass zumindest für 1,18–3,20 die Aussagen in 2,6.11 das argumentative Epizentrum bilden und dass 2,11 zu Recht ein »Axiom« genannt werden muss.
222
III. Analyse paulinischer Texte
Boden, auf dem Paulus argumentiert, denkt und lebt, ist diese Annahme im aristotelischen Sinne zu den Endoxa (»allgemein geteilten Meinungen«) zu zählen614. Auch der »Schluss« von 2,6 auf 2,7–10 bedarf der Zusatzprämisse, dass es nur zwei Arten von Werken gibt (gute oder schlechte) und entsprechend nur zwei Gerichtsausgänge (Heil oder Vernichtung). Diese Antithesen, die im Hintergrund leitend auf die Argumentation wirken615, sind als kontradiktorische Gegensätze aufzufassen: Die Negation von beiden kann nicht wahr sein. Dadurch werden aber einige Elemente der Aussagefelder als gegenseitige Negationen aufeinander bezogen: A ›–‹ E O ›–‹ D
Entweder Menschen handeln unrecht oder Menschen verhalten sich gut. Entweder Gottes Zorn kommt als Strafe über die Menschen oder Gott anerkennt Menschen im Gericht als gerecht.
Nach dem vierten und fünften Axiom der stoischen Logik lässt sich aus der Negation eines Gliedsatzes der andere schließen: Aus ¬A folgt E und aus ¬E folgt A; entsprechend folgt aus ¬O D und aus ¬D folgt O. Der wichtigste Beitrag der VV. 6–11 für den weiteren Argumentationsverlauf ist jedoch der neue Basissatz aus VV. 8.10: [4]
E→D
Wenn Menschen Gutes tun, dann erkennt Gott sie im Gericht als gerecht an.616
2,12 kann logisch nicht als Begründung (gár) von V. 11 aufgefasst werden. Vielmehr stellt V. 12 eine erläuternde Konsequenz von 11 dar: Weil Gott alle gleich beurteilt, hebt der Besitz der Torah die Unumgänglichkeit von Satz [4] nicht auf. V. 12 kann wie folgt formalisiert werden: 12a
(¬T∧A)→O
12b
(T∧A)→O
Wenn Menschen die Torah nicht haben und sie Unrecht tun, dann kommt Gottes Zorn als Strafe über sie. Wenn Menschen die Torah haben und sie Unrecht tun, dann kommt Gottes Zorn als Strafe über sie.«
Wenn also Gott Juden wie Nicht-Juden nach dem gleichen Prinzip richtet und wenn der Zusammenhang von 1,18 nicht aufgelöst werden kann, dann spielt 614 Als
aristotelischer Barbara-Schluss: 1. Ein unparteiischer Richter ist ein NachWerken-Richtender. (RaW) 2. Gott ist ein unparteiischer Richter. (GaR) Concl. Gott ist ein Nach-Werken-Richtender. (GaW) 615 SCHMELLER, Diatribe, 262: »Antithetische Ausdrucksweise ist offenbar ein Konstitutivum unseres Textes.« Ganz allgemein urteilt SIEGERT, Argumentation, 183: »Nahezu alle bei Paulus wichtigen Begriffe sind in Antithesen definiert.« 616 Satz G (»Menschen erkennen die Wahrheit«) wird im Argumentationsverlauf selten ausdrücklich in Bezug auf Satz E gebracht, weswegen ich hier von einer zu Satz [2] analogen Formalisierung (A∧E) → D absehe. Natürlich setzt sachlich Paulus voraus, dass das gute Handeln nicht ohne Einsicht in ethische Zusammenhänge geschieht, aber es liegt wohl an der anklagenden Intention dieses Abschnitts, dass »Erkenntnis« und »Wahrheit« meist im Zusammenhang mit einem negativen Gerichtsurteil stehen.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
223
es keine Rolle, ob sich die Erkenntnis der Wahrheit aus der Torah herleitet oder nicht617. Deswegen ist die Aussage in 12b nur eine Variante des Leitsatzes in 1,18 (s.o. S. 217) und braucht nicht als eine eigene Basisaussage der Argumentation betrachtet zu werden. 2,13–16 ist nicht nur inhaltlich, sondern auch argumentativ-logisch schwer zu verstehen. V. 13 kann aufgrund des Umkehrungsverhältnisses, in dem die Aussagen A/E und O/D zueinander stehen, als logische Begründung (gár) von V. 12 aufgefasst werden. Die Aussage, dass »die Täter des Gesetzes von Gott im Gericht als gerecht anerkannt werden«, lässt sich auf den Basissatz [4] zurückführen. V. 14 scheint ein Beispiel für E→D zu sein. Für eine Formalisierung in diesem Sinne wäre jedoch der folgende Wortlaut zu erwarten: »Wenn Nichtjuden von Natur aus die Forderungen des Gesetzes in die Tat umsetzen, dann werden sie von Gott als gerecht anerkannt.« Statt dessen formuliert die Apodosis: »… jene, die das Gesetz nicht haben, sind sich selbst ein Gesetz (oˆutoi nómon m`j ‘econteß Heautoïß e˙sin nómoß).« V. 15 macht inhaltlich deutlich, dass die Nichtjuden ein inneres moralisches Kriterium haben, das dem der Torah analog ist618. Das wäre eine Aussage, die zum Feld »Erkenntnis der Wahrheit« (G) gehört. Jedoch ist das Verhältnis zwischen den Aussagen E (»Menschen, in diesem Fall Nichtjuden, handeln im Sinne der Torah gerecht«) und G nicht deutlich619. V. 16 fällt sprachlich aus dem Rahmen und setzt inhaltlich neue Akzente: Das Gericht des Verborgenen (tà kruptá) findet nach dem Evangelium statt (katà tò ehuaggélion)620. Der prophetisch-proklamatorische Stil und die zukünftige Zeitebene machen eine logische Analyse unmöglich. Auf rhetorischer Ebene betreibt 2,14–16 ganz ähnlich wie 2,25–29 eine »Dekonstruktion« der zwei zentralen »identity marker« jüdischen Selbstverständnisses: Diejenigen, die kein Gesetz (im Sinne von Torah) haben, sind sich selbst Gesetz; ebenso wird den »Unbeschnittenen« ihr 617 Das
Adjektiv hanómwß bedeutet zwar in diesem Kontext »ohne Torah«, impliziert aber nicht »ohne Erkenntnis«. Eine Erkenntnis aus der Schöpfung ist ja in 1,19–21 von Paulus für Nichtjuden postuliert worden. 618 MELANCHTHON deutet 2,14f als einen »außerordentlich geschickten und scharfsinnigen [enthymematischen] Beweisschluß (eleganti et arguto enthymemate)«: »Die Heiden haben ein Gewissen […]; daher gibt es (in ihnen) ein Gesetz. Denn was ist das Gewissen anderes als ein Urteil über unsere Tat, das von einem Gesetz oder einer für alle gültigen Regel gefordert wird?« (Loci communes 3,7f, hrsg. Pöhlmann, 100f). Aristotelisch: Wenn das Gewissen ein Gesetz ist und wenn die »Heiden« ein Gewissen haben, dann haben die »Heiden« ein Gesetz. 619 Die Formalisierung E→D wäre näher an der Formulierung des Textes, scheint aber kaum sinnvoll. Die Formalisierung D→E passt eher in den Zusammenhang, verlangt aber ein unnatürliches Verständnis des Satzes im Sinne von: »Wenn Nichtjuden das Gesetz halten, dann zeigt sich darin, dass sie sich selbst Gesetz sind.« 620 Richtet Gott die Menschen »nach den Werken« (2,6: katà tà ‘erga) oder »nach dem Evangelium« (2,16)? Oder besteht darin kein Widerspruch?
224
III. Analyse paulinischer Texte
Handeln als »Beschneidung« von Gott angerechnet. M.E. ist das ein rhetorisch effektvoller Angriff gegen eine Haltung, die Paulus als falsche religiöse kaúcjsiß (2,17.23) auffasst. Für den logischen Verlauf des Textes sind diese beiden Abschnitte dadurch wichtig, dass sie die Bedeutung der Werke im Hinblick auf das göttliche Gericht durch das Beispiel »torahkonformer« Nichtjuden untermauern. Auf eine logische Formalisierung in allen Einzelheiten kann demnach verzichtet werden.
In den VV. 17–20 findet sich die lange Protasis eines abgebrochenen Konditionalsatzes. Rhetorisch effektvoll soll dadurch der Widerspruch zwischen Anspruch und Tat, der bereits in 2,1–3 affirmiert wurde, zur Sprache gebracht werden. Für die logische Funktion des schweren nómoß-Begriffs ist die Aussage in 1,20 von größter Wichtigkeit: Die »Torah« ist Verkörperung von Erkenntnis und Wahrheit. 2,21–24 greift deutlich 2,1–3 wieder auf und bietet ein Beispiel für die dort geäußerte Protasis: »Jemand erkennt die Wahrheit (in diesem Fall eindeutig durch die Torah) und übertritt die Torah« (G∧A). Der Schluss, dass sie schuldig sind, braucht nicht mehr explizit gezogen werden. In gewisser Weise bilden die VV. 17–24 ein argumentatives Pendant zu 1,19–32. Hier wie dort wird für den Basissatz anhand einer Anklage der in der Protasis genannte Fall als zweite Prämisse gesetzt. Der Schluss ist in beiden Fällen evident: Sie sind schuldig, bzw. Gottes Zornesstrafe kommt über sie. Die Argumentation wechselt in 2,25–29 vom Topos des Gesetzes zum Topos der Beschneidung. Die Funktion ist der von 2,14–16 analog (s.o.). Der geringe logische Wert für den gesamten Gedankengang kann anhand eines Formalisierungsversuchs für die VV. 25–27 deutlich gemacht werden: Der Text operiert mit den Sätzen »Menschen sind beschnitten« (B), »Menschen sind unbeschnitten« (¬B), »Menschen verhalten sich gut nach dem Gesetz« (E) und »Menschen übertreten das Gesetz« (¬E; sachlich identisch mit A). Der Text spielt jedoch mit einer metonymischen Bedeutung von »Beschnittenheit, bzw. Unbeschnittenheit« im Sinne von »Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit zum Heilsbund«. Im Sinne einer Begrenzung auf eine möglichst reduzierte Anzahl von Basissätzen soll im Folgenden mit D (»Beschnittenheit« im Sinne von Zugehörigkeit zum eschatologischen Heil) und ¬D (»Unbeschnittenheit« im Sinne von Nichtzugehörigkeit zum Heilsbund; sachlich identisch mit Satz O) operiert werden 621. Das führt zu folgender Formalisierung: 2,25a (B∧E)→D
Wenn »Beschneidung« und »Gesetzesgehorsam« dann »Heil«.
2,25b (B∧¬E)→¬D
Wenn »Beschneidung« und »kein Gesetzesgehorsam« dann »kein Heil« (also: »Zornesstrafe«; ähnlich in 2,27).
2,26
Wenn »keine Beschneidung« und »Gesetzesgehorsam« dann »Heil«.
(¬B∧E)→D
Da sich der Wert von D immer nach dem Wert von E richtet, zeigt die Formalisierung sehr schön, dass der Wert von B für die Implikation keine Rolle spielt. Die einzelnen Sätze sind
621 Die
Nähe zur Rechtfertigungssprache ist in 2,26 (Hj hakrobustía ahu toü e˙ß peritom`jn logisq´j setai) auffällig (vgl. Röm 4,3.9).
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
225
logisch nicht voneinander ableitbar, stehen aber auch in keinem logischen Widerspruch zueinander 622.
Rückblickend sind für den Verlauf der Argumentation beide »Dekonstruktionen«, 2,14–16 und 2,25–29, deswegen wichtig, weil sie belegen, dass der Basissatz [4] die grundlegende Beziehung E → D in keinem Fall ändert, auch wenn das Gesetz oder die Beschneidung in der Protasis in Erscheinung treten. Ähnlich wie schon V. 16 sind die VV. 28–29 sprachlich neu und kaum aus den Basissätzen herzuleiten – logisch formal nicht zu erfassen. Das exegetisch nicht leicht zu durchschauende »Gespräch« in 3,1–9 ist mit seinen rhetorischen Fragen wohl stärker auf der Ebene des Pathos und des Ethos (V. 8) wirksam. Eine genaue Rekonstruktion eines logischen Verlaufs von Rede und Gegenrede in 3,1–9 scheint kaum möglich623. Es muss bei einem etwas spekulativen Versuch bleiben: 3,1f: Die Frage nach dem »Nutzen« (3,1 hwféleia knüpft an 2,25 an) ergibt sich sachlich aus 2,14–16 und 2,25–29: Wenn die Basisimplikation E→D durch keines der jüdischen Privilegien relativiert oder erweitert werden kann, was nützt es, Jude zu sein. Die »Antwort« in 3,2 lenkt die Aufmerksamkeit von der Ebene des göttlichen Gerichts weg und berührt dadurch die Implikation nicht. 3,3f: Der folgende Einwand auf (G∧A)→O wäre denkbar: »Zornesstrafe Gottes« (O) ist im Kontext des Heilsbundes mit Israel nicht vereinbar mit seiner »Treueverpflichtung«. Die conclusio wäre daher für Israel falsch, denn sie würde die Treue Gottes außer Kraft setzen. Paulus reagiert also auf eine mögliche reductio ad impossibile des tragenden Pfeilers seiner gesamten Argumentation. Die Antwort ist jedoch wieder weniger argumentativ als vielmehr »proklamierend«: »Gott wird recht behalten!«624 3,5–8 sind als logische Einwände aus dem bisherigen Text kaum herzuleiten 625. Der »Sprung« von der menschlichen Ungerechtigkeit als Begründung für die »Gerechtigkeit Gottes« (im paulinischen Sinne) scheint den Inhalt von 3,21ff bereits vorauszusetzen. Beugt Paulus hier schon möglichen Einwänden, die der Übergang von 3,20 zu 3,21ff hervorrufen 622 Ein
Beispiel aus der Alltagssprache kann das vielleicht verdeutlichen: (1) »Wenn es hell ist und regnet, dann kommen die Schnecken hervor.« (2) »Wenn es hell ist und es nicht regnet, dann kommen die Schnecken nicht hervor.« (3) »Wenn es nicht hell ist und es regnet, dann kommen die Schnecken hervor.« Es bedarf keiner großen Überlegung, um festzustellen, dass die einzige wesentliche Beziehung in diesen Konditionalsätzen die zwischen »Regen« und »Schnecken« ist. 623 Möglicherweise wäre hier die antike Topik-Lehre nützlicher. Interessanterweise spiegelt Röm 3,1ff eine Situation wider, bei der jemand mit zentralen Inhalten paulinischer Theologie das Gleiche unternimmt wie Paulus mit der korinthischen These in 1Kor 15,12–19: eine reductio ad impossibile. 624 Rhetorisch kann eine solche abschließende Allgemeinaussage als argumentum ad lapidem bezeichnet werden. 625 Der von Paulus formulierte Einwand setzt ein recht pragmatisches Sündenverständnis voraus: Wenn eine Tat etwas Gutes hervorbringt, ist es keine Sünde. Wenn also die Folgen sog. »sündiger« Taten am Ende das Wirken von Gottes Wahrheit und Recht hervorbringen, können es keine »sündigen« Taten sein. Die ganze paulinische Konstruktion wäre ad absurdum geführt: »Sünde« wäre keine »Sünde«!
226
III. Analyse paulinischer Texte
könnte, vor? Dass er auch hier weniger sachlich begründend auf die Einwände reagiert, zeigt das Verdammungsurteil am Ende von V. 8.
3,9b begründet die negative Antwort auf die Frage, ob es am Ende nicht sogar nachteilig sein könnte Jude zu sein. Dies ist nicht der Fall, weil der Text insgesamt alle unter Anklage gestellt hat: Juden und Nichtjuden. Damit wird aber ein Fazit gezogen, dass sich logisch nicht aus dem bisherigen Verlauf folgern lässt. Der Text ist bisher im Wesentlichen von zwei Basisimplikationen ausgegangen: [2]
(G∧A)→O
»Wenn es der Fall ist, dass (wenn Menschen die Wahrheit erkennen und sie dann unrecht handeln), dann kommt Gottes Zorn als Strafe über sie.«
[4]
E→D
»Wenn Menschen Gutes tun, dann erkennt Gott sie im Gericht als gerecht an.«
Für alle diese Implikationen hat die Argumentation im Sinne eines einfachen modus ponens eine zweite Prämisse formuliert, die dem Satz der Protasis entspricht. Dabei wird die Protasis von Satz [2] sowohl für Nichtjuden (1,19– 32) wie für Juden (2,1ff) belegt. Die Protasis für Satz [4] wird zwar an zwei Stellen für Nichtjuden belegt (2,14–16.26–29), aber 2,10 formuliert diesen Grundsatz ganz allgemein für Nichtjuden und Juden. Es ist gezeigt worden, dass Juden und Nichtjuden unter der Macht der Sünde stehen. Es ist aber nicht gezeigt worden, dass alle unter der Macht der Sünde stehen626. Dass dieses pántaß logisch nicht deduzierbar ist, macht ein Detail im Einwand in 3,3 deutlich: Dort ist – durchaus im Sinne der bisherigen Argumentation – nur von der Untreue der tineß die Rede. Hat Paulus eine Partikuläraussage stillschweigend in eine Allgemeinaussage verwandelt?
Als ob Paulus gemerkt hätte, dass eine solche Allgemeinaussage als Fazit von 1,19–3,8 nicht gezogen werden kann, schickt er eine Reihe von Schriftworten nach, die voller Allgemeinaussagen sind627. Damit wird zwar die Allaussage in 3,9b durch Schriftzitate a posteriori begründet628, aber es entsteht zugleich eine deutliche Spannung zur Einsetzung der Protasis des Basissatzes [4]. Es gibt eine Menge derer, die durch Werke gerecht werden, nur scheint diese Menge leer zu sein. Die diskursive »Leerung« vollzieht sich in 3,9b–18. Dieses Problem wird durch die letzte Aussage in 3,20 nicht aufgehoben, sondern verschärft. Hier wird der Schluss gezogen (dióti), dass durch das 626 In
Fragen der empirischen Induktion ist Paulus vielen modernen Theologen darin ein »Vorläufer«, dass er sich um die konkrete Empirie wenig kümmert. 627 Ohuk ‘estin (10b.11a.b.12b), pánteß (12a), ohudè eˆ iß (10b) und [ohuk ‘estin] “ ewß Henóß (12c). Ein eigenständiger argumentativer Wert ist für 3,13–18 zumindest aus logischer Sicht nicht erkennbar. 628 Im Sinne einer gewissen argumentativen Ökonomie stellt sich die Frage, warum die Argumentation nicht sogleich ihren Gang von diesen Schriftzitaten genommen hat.
D. Die Folgen der Schuld (Röm 1,18–3,20)
227
torah-gemäße Handeln kein Mensch von Gott als gerecht anerkannt wird. Der Widerspruch zwischen 3,20 und 2,13b ist unübersehbar: 2,13b: oÓ poijtaì nómou dikaiwq´jsontai
3,20: hex ‘ergwn nómou ohu dikaiwq´jsetai päsa sàrx hen´wpion ahutoü
Eine rein rhetorische Betrachtung könnte 2,13 als strategischen »Zwischenstopp« betrachten, dessen Wahrheitswert in 3,20 relativiert wird. Auf theologischer Ebene könnte man von einem Paradoxon sprechen, das einer logischen Befragung gegenüber immun ist629. Bevor aber das Scheitern der Logik an dieser Stelle konstatiert wird, sollten ihre begrenzten Möglichkeiten zur Anwendung gelangen. Ich sehe hier im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: 1. Die beiden Aussagen sind als aristotelische Allaussagen folgendermaßen zu formalisieren630: (1) NaD Alle Nomostäter sind Gerechtgesprochene. (2) NeD Kein Nomostäter ist Gerechtgesprochener.
In diesem Fall stehen beide Sätze in einem konträren Gegensatz zueinander und können nicht gleichzeitig wahr sein. Zur Aufhebung dieses Gegensatzes könnte sich die Logik noch mit einem Rückgriff auf die aristotelische Moduslehre behelfen (s.o. S. 40f). Versteht man 3,20 als apodiktische Aussage und 2,13b als problematische, ergäbe das die folgende kohärente Aussage: Es ist zwar möglich, dass ein Täter des Gesetzes von Gott als gerecht anerkannt wird, faktisch kommt dies aber nicht vor. 2. Die beiden Sätze haben kein gemeinsames Subjekt (D), das von der einen Aussage bejaht und von der anderen negiert wird. Dies wäre vor allem dann denkbar, wenn Dunn mit seiner Bestimmung des Begriffs ‘erga nómou recht hätte (s.o. S. 141f)631. 2,13b spricht von denen, die die Torah angemessen in die Tat umsetzen, während 3,20 von jenen spricht, die das Halten der Torah nur auf die äußeren »identity marker« reduziert haben. Bevor ein Fazit gezogen werden kann, soll noch die letzte Begründung in 20b logisch analysiert werden: Die Unmöglichkeit der Rechtfertigung durch die ‘erga nómou wird damit begründet, dass es durch die Torah nur zur Erkenntnis der Sünde kommt (dià gàr nómou hepígnwsiß Hamartíaß). Dieser letzte Satz entspricht der Protasis des Basissatzes [2]: G∧A632. Daraus kann 629 In
diesem Falle würde das Prinzip des »ausgeschlossenen Dritten« für eine zentrale theologische Aussage nicht gelten. 630 Ich verwende hier die termlogischen Konstanten aus der Analyse von Gal 3,6–14. 631 Der vorliegende Gedankengang ist dem des Origenes in Philoc 9,3 (ed. M. Harl, 358f) ähnlich: Origenes stellt fest, dass sich die Aussagen zu nómoß in einer Art und Weise logisch widersprechen, die nur dadurch aufgelöst werden kann, dass Paulus den Begriff mit unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht. 632 Die Implikation G→E (»Wenn Menschen im Gesetz Gottes Wahrheit erkennen, dann handeln sie gerecht«) kommt in 1,18–32 nicht vor. Ihre Unmöglichkeit gehört wohl zum Überzeugungssystem des Paulus.
228
III. Analyse paulinischer Texte
mit 1,18 geschlossen werden, dass alle unter dem Verdammungsurteil Gottes stehen (Satz O), was mit der Negation von Satz E (»Gott anerkennt Menschen im Gericht als gerecht«) identisch ist. Wenn man mit 3,9b–18 nun im modus ponens die Protasis von 1,18 auf die gesamte Menschheit anwendet, dann ergibt sich daraus, dass niemand von Gott als gerecht anerkannt werden kann. c) Fazit Unter dem Vorbehalt, dass die Reduzierung auf bestimmte semantische Felder und dass die hier vorgeschlagene Formalisierung den Aussagen des Textes entsprechen, kann die Argumentation von Röm 1,18–3,20 über weite Strecken als logisch stringent erwiesen werden. Von 1,18 ausgehend lassen sich viele Abschnitte als ein modus ponens verstehen: 1,18 1,19–23 1,24
(G∧A)→O G∧A (G∧A)→O
Prämisse 1 Prämisse 2 Konklusion (nach modus ponens)
1,25 1,26f
G∧A (G∧A)→O
1,28a 1,28b
G∧A (G∧A)→O
1,29–31 1,32 2,1f 2,3–5 2,6–11 2,12 2,13–3,9 3,10–18 3,19 3,20
A (G∧A)→O (G∧A)→U (wobei U und O für Paulus austauschbar sind) nicht formalisierbar Axiomatik in 2,6.11, aus der sich sowohl (G∧A)→U als auch E→D herleiten. Logische Irrelevanz der Torah für A→U nicht formalisierbar A logisch nicht relevant (G∧A)→O
Die schwerste Frage, der sich die logische Analyse zu stellen hat, ist die nach dem Verhältnis von 2,13b und 3,20. Sie muss m.E. offen bleiben: Die Bestimmung Dunns zum Begriff ‘erga nómou ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Sich an dieser Stelle eindeutig für diese These zu entscheiden, wäre zwar die eleganteste, aber auch die bequemste Lösung. Rein methodisch sollte die Frage nach paulinischer Logik nicht von vornherein jene Auslegungsoptionen favorisieren, die zu einer positiven Antwort führen. Die modale Lösung ist möglich, aber anhand des Textes nicht verifizierbar. Es kann also auch nicht ausgeschlossen werden, dass hier ein konträrer Widerspruch vorliegt633.
633 Eine
theologischen Folgen dieses Problems werden u. S. 240 bedacht.
IV. Schlussbetrachtung A. Argumentiert Paulus logisch? Hinter dieser scheinbar harmlosen Frage verbergen sich sowohl Probleme in der Methodik als auch Aporien in der praktischen Durchführung. Die paulinische Sprache erweist sich zuweilen als erstaunlich resistent gegenüber der Abstraktionsintention formaler Logik. Andererseits – und das ist ein Grunddilemma der logischen Analyse – ist die Gültigkeit eines sprachlichen Schlusses anders als mit formalen Mitteln nicht zu beurteilen. Die hier vorgelegten Analysen decken zwar keine sehr umfangreiche Textbasis ab, doch gewähren sie einen Einblick in die logische Folgerichtigkeit wichtiger paulinischer Argumentationsgänge. Die Schwierigkeiten, denen sich jeder Antwortversuch gegenübergestellt sieht, sollten in ihren Konturen hinreichend erkennbar geworden sein. 1. Argumentiert Paulus logisch? Präzisierung der Frage: a) Für paulinische Argumentation gilt, was aus logischer Perspektive ganz allgemein für alltagssprachliche Äußerungen gilt: Sie ist vage und unpräzise. Die Überführung in eine logische Form bringt eine Reihe von Entscheidungen mit sich, die nicht aus dem Rahmen des exegetisch Verantwortbaren fallen sollten. Der hermeneutische Spielraum wird durch die logische Analyse keineswegs verengt, sondern viel eher in Richtungen erweitert, die selten in der Exegese bedacht werden1. Die Frage, ob Paulus logisch argumentiert, ist als eine Abkürzung zu betrachten für die komplexere Frage: Lassen sich paulinische Argumentationen zu logisch überprüfbaren Schlüssen formalisieren? b) Es gehört zu den Vorzügen der natürlichen Sprache, notwendige Prämissen ungenannt lassen zu können. Dadurch wird die tätige Mitarbeit der Rezipienten aktiviert2. Die Traditions- und Motivgeschichte hat zu prüfen, aufgrund welcher Plausibilitätsstrukturen die Argumentation Prämissen voraussetzen kann. Manchmal zeigt sich, dass die fehlenden Prämissen klar in den Bereich der gemeinsamen »Enzyklopädie« gehören (wie im Falle der antipaganen Topoi in Röm 1,19–32), manchmal aber werden auch Brüche 1
Die Vortäuschung falscher interpretatorischer Sicherheiten wäre in diesem Falle unverantwortbar. Daher ist auch die Befürchtung, logische Analysen könnten einem wie auch immer gearteten »Positivismus« das Wort reden, unbegründet. 2 Das hebt LAMPE hervor und spricht in Bezug auf Gal 3,10–12 von einem »Enthymemen›Knäuel‹« (Reticentia, 37).
230
IV. Schlussbetrachtung
hinsichtlich der Motivgeschichte deutlich (wie im Falle der Abrahamstraditionen in Gal 3,6–14). Die Auslassung von Prämissen erfolgt nicht nur im Sinne der rhetorischen brevitas, sondern kann auch der taktischen Verschleierung dienen. Die logische Analyse kann aber in keinem Fall auf die Rekonstruktion fehlender Prämissen verzichten. Dadurch erhöht sich der exegetischhermeneutische Beitrag an der logischen Analyse beträchtlich. Die Ausgangsfrage ist demnach weiter zu modifizieren: Lassen sich paulinische Argumentationen in ihren Grundstrukturen so rekonstruieren, dass sie zu logisch überprüfbaren Schlüssen formalisiert werden können? Erst in dieser präziseren Fassung ist die Leitfrage sinnvoll beantwortbar. 2. Argumentiert Paulus logisch? Die Evidenz: Die Antwort kann kaum eindeutig positiv oder negativ ausfallen, denn die drei gewählten Beispiele haben ein recht uneinheitliches Bild ergeben. Es ist außerdem zu vermuten, dass eine Erweiterung der Textbasis dieses Ergebnis noch komplexer machen würde. Auf der Grundlage der vorgelegten Analysen und unter Berücksichtigung der exegetischen wie formalen Entscheidungen stellt sich die Evidenz so dar: Während sich 1Kor 15,12–19(20) mit den Mitteln stoischer Logik elegant und ohne größere Probleme formal als schlüssig erweisen lässt, gerät die logische Analyse im Falle von Gal 3,6–14 mit den Mitteln aristotelischer Syllogistik ins Stocken. Das Problem liegt nicht so sehr darin, dass Prämissen als Zusatzannahmen rekonstruiert werden müssen, sondern darin, dass Annahmen nötig sind, die sich nicht ohne weiteres als enzyklopädische Basiseinträge verstehen lassen, die ein Autor mit seinen realen Rezipienten und Rezipientinnen ganz natürlich teilt3. In Röm 1,18–3,20 »funktioniert« die logische Analyse nur streckenweise und auf der Grundlage einer generösen semantischen Vereinheitlichung. Der Widerspruch zwischen 2,13b und 3,20 ist je nach Auslegung nicht aufzulösen. Andererseits setzt die Diskussion um die Auferstehung Jesu in 1Kor 15 voraus, dass für Paulus die Sätze »Es gibt eine Auferstehung von Toten«, und »Es gibt keine Auferstehung von Toten«, nicht gleichzeitig wahr sein können. Die Argumentation setzt also das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten voraus. 3. Argumentiert Paulus logisch? Antwortversuch: Die Evidenz deutet in zwei Richtungen: a) Manche Argumentationen (1Kor 15,12–19 und Teile der behandelten Abschnitte in Röm 1–3 und Gal 3) formulieren ihre Schlussfolgerungen derart, dass sie den Ansprüchen formaler Logik genügen. Auf autorialer Ebene ist es daher nicht unvorstellbar, dass Paulus mit einigen logischen Verfahrensweisen vertraut war. Die Tatsache, dass die logische Analyse im Falle von 1Kor 15 den sichersten Fuß auf den Boden stoischer Aussagenlogik 3
Ich würde mich aber von ECKSTEIN, Verheißung, 131 abgrenzen: Paulus gehe es nicht um den »logisch-argumentativen Nachweis«, sondern »lediglich um den Schriftbeweis«. Für LAMPE, Reticentia, 28 zu Recht eine »traurige Alternative«.
A. Argumentiert Paulus logisch?
231
setzt, deckt sich mit der historischen Evidenz hinsichtlich der Popularität stoischer Logik zur Zeit des Paulus. b) Die Schlüssigkeit mancher Argumentationen (v.a. der Übergang von Gal 3,6–9 zu 10–12; 3,13f und Teile von Röm 1–3) ist selbst bei genauer Rekonstruktion impliziter Prämissen logisch nicht evident. Das könnte bedeuten, dass für Paulus die anderen rhetorischen Überzeugungsmittel, »Ethos« und »Pathos«, wichtiger waren. Nicht-syllogistische Argumentationsformen wie Analogien oder Beispiele, die von der formalen Logik nicht erfasst werden, bewegen sich aber keineswegs außerhalb dessen, was für Aristoteles und die antike Rhetorik den Logos einer Argumentation ausmacht. Eine genaue Bestimmung des Verhältnisses affektiver, charakterlicher und logisch-argumentativer Überzeugungsmittel zueinander ist hier also nicht möglich. Ein niedriger »Anteil« an strikt logisch formalisierbaren Schlussformen würde aber weder implizieren, dass Paulus rhetorisch unsachgemäß vorgeht, noch dass seine Schlussfolgerungen – auch wenn es ihnen zuweilen an logischer Stringenz mangelt – als sachlich falsch anzusehen sind. Zwei Probleme können hier nur ganz am Rande gestreift werden: 1. Zeitebenen: Logische Analysen beziehen sich in aller Regel auf Sätze im Präsens4. Es scheint mir aber, dass sich bei Paulus die Zeitebenen von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft im christologischen Heilsgeschehen auf eine so merkwürdige Art und Weise verschränken, dass dies von der Logik kaum gebührend registriert werden kann5. 2. Modus: Es ist auffällig, wie wenig Fragen der Modalität von Aussagen (s.o. S. 40) sich als bedeutsam erweisen. Schon Nock bemerkte, dass Paulus »nie ›wahrscheinlich‹ oder ›möglicherweise‹« sagt6. Die Sprache des Paulus bewegt sich zumeist auf einer schwer abgrenzbaren Linie zwischen assertorisch und apodiktisch, also zwischen der Feststellung, dass etwas ist, und der Behauptung, dass etwas notwendigerweise so sein muss. Sicherlich würde er für die Wahrheit seiner »Axiome« die gleiche Gewissheit beanspruchen wie Aristoteles für die ersten, selbstevidenten Sätze in der wissenschaftlichen Argumentation7.
Summa summarum kann die Frage generell weder eindeutig positiv noch eindeutig negativ beantwortet werden. Die Analysen zeigen auf der Textebene, dass sich manche paulinische Argumentationen auf logisch gültige Schemata zurückführen lassen. Auf der autorbezogenen Ebene lässt sich m.E.
4
Der Wahrheitswert von Aussagen zu zukünftigen Ereignissen gehört seit der Antike zu einem der meist diskutierten logischen Grundlagenproblemen (die sog. »contingentia futuri«). Aussagen über die Vergangenheit sind nicht in der Vergangenheit wahr, sondern – so bereits die stoische Sprachphilosophie – in der Gegenwart. 5 Die seltsame Verschränkung der Ebenen kommt z.B. in Gal 3,8a schön zum Ausdruck. Treffend LUZ, Geschichtsverständnis, 41ff unter dem Titel: »Die gegenwärtige Vergangenheit: Das Gotteswort des Alten Testaments.« 6 NOCK, Paulus, 191. 7 Obwohl aus der Sicht des aristotelischen Wissenschaftsbegriffs die paulinischen Prämissen wohl eher als »Endoxa« (vgl. dazu S. 48) zu werten wären.
232
IV. Schlussbetrachtung
sagen, dass Paulus in der Lage war, logisch zu argumentieren8. Warum diese Dimension in seinen Argumentationen nicht häufiger zu erkennen ist, bzw. warum sein Sprachstil die logischen Strukturen z.T. äußerst schwer durchschaubar macht, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Dass aber Paulus logisch argumentiert, ist eine Tatsache, die innerhalb einer Gesamtwürdigung seiner Argumentation angemessen berücksichtigt werden sollte9.
B. Exegetisch-methodischer Ertrag In seinem Beitrag zur Sprache und Logik der Theologie äußert J. Macquarrie vorsichtig die Hoffnung, die logische Analyse könne auf dem Gebiet der Bibelwissenschaft »einen nützlichen Beitrag leisten«10: »Eine ausgewogene Erklärung hätte auf die Logik der Bibelsprache zu achten und immer daran zu denken, daß die Grammatik der Logik oft nur ausgesprochen irreführende Anhaltspunkte liefert. […] Dadurch würde auch die Bibeltheologie noch mehr in die systematische Theologie integriert, was für beide ein Gewinn wäre.« 11
Auch D. Ritschl fragt danach, wie aus »komplexen Aussagesystemen, z.B. den paulinischen Briefen, die dort wirksamen impliziten Axiome gewonnen werden« können12. Anders A. Nygren, der sich gegenüber der analytischen Philosophie wesentlich reservierter zeigt und warnt: »Die symbolische Sprache des Logizismus ist, richtig auf ein passendes Material angewendet, ein ausgezeichnetes Instrument zur Erlangung größtmöglicher Genauigkeit und Präzision. Die scheinbare Klärung kann sich aber leicht in ihr diametrales Gegenteil verwandeln. Allzu oft 8
Dem Apostel kann man m.E. weder aus moderner noch aus antiker Sicht ein gewisses Maß an »theologischer Rationalität« absprechen. Theologisch gesehen, besteht bei Paulus durchaus ein Nexus zwischen Glauben und Verstehen, Pneuma und Logos (vgl. die Schlussüberlegungen in SIEGERT, Argumentation, 252–254). Wenn der dünne Faden zwischen Pneuma und Logos zerreißt, löst sich Theologie als Glaubensreflexion entweder auf oder sie wird zur Theorie ihrer eigenen Unmöglichkeit. 9 In seiner knappen zusammenfassenden Betrachtung der »Argumentationsweise des Paulus« übergeht BULTMANN, Diatribe, 102 die »Abschnitte rabbinischer Beweisführung wie Röm 4; Gal 3,6ff; 4,21ff«, und kommt zum Ergebnis: Paulus »ist nicht wählerisch mit seinen Gründen und nicht vorsichtig in seiner Beweisführung. Er rückt dem Gegner mit Fragen und Ausrufungen zu Leibe und schlägt ihn nötigenfalls einfach nieder.« Als eine differenzierte Gesamtaussage zur paulinischen Argumentation kann ein solches Urteil nicht gelten. 10 MACQUARRIE, Gott-Rede, 109. 11 MACQUARRIE, Gott-Rede, 109f. Ähnlich SCHRÖER, Denkform, 19: »Eine theologische Logik hat als konkrete Aufgaben, die theologische Begriffs- und Urteilsbildung sowie die theologische Beweisführung auf ihre logische Struktur zu untersuchen. In ihren Bereich gehört weiter eine theologische Axiomatik und eine theologische Kategorienlehre. Grundbegriffe wie Relation, Modalität, Möglichkeit und Wirklichkeit sowie Einheit und Notwendigkeit wären von ihr zu interpretieren.« 12 RITSCHL, Logik der Theologie, 117.
B. Exegetisch-methodischer Ertrag
233
muß man […] miterleben, wie der Versuch, logisch die Bedeutung eines Satzes zu präzisieren, stattdessen dazu beiträgt, seinen eigentlichen Sinn total zu verdecken.« 13
Ich möchte an diesen letzten Einwand anknüpfen, weil hier Richtiges und Falsches nebeneinander stehen. Es ist zutreffend, dass die Formalisierung von Aussagen nur einen reduzierten Ausschnitt ihrer Sinnmöglichkeiten beleuchtet. Als dramatisch wäre eine solche Reduktion jedoch nur dann zu bezeichnen, wenn es das Ziel logischer Formalisierung wäre, den Sinn eines Textes erschöpfend zur Geltung zu bringen. Dass dies nicht der Fall ist, sollte an dieser Stelle kaum einer Begründung bedürfen. Für die Exegese ist Logik vor allem angewandte Logik, die im Sinne einer ars iudicandi die Gültigkeit einer sprachlichen Schlussfolgerung überprüft. Jede sprachliche Äußerung, die den Anspruch erhebt zu argumentieren, kann einer solchen Überprüfung unterzogen werden. Der paulinischen Sprache eine solche Überprüfung zu verweigern, wäre m.E. kein Akt des Respekts, sondern ein subtile Art, Paulus in der Sache nicht ernst genug zu nehmen. Die Frage ist daher nicht, ob es der Sache nach angemessen ist, paulinische Argumentation logisch zu analysieren (ganz gleich ob mit antiker oder mit moderner Logik), sondern ob ein Erkenntniswert sichtbar ist, der den Aufwand der Analyse rechtfertigt14. Es besteht m.E. kein Grund, die Logik in marktschreierischem Ton als Heilmittel gegen paulinische obscuritas anzupreisen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Beschäftigung mit Logik das Maß an obscuritas in der exegetischen Sprache reduzieren könnte – die ironischerweise die Begriffe »Logik« und »logisch« häufig semantisch höchst unscharf verwendet. In der Praxis zwingt die logische Analyse zu einer sehr präzisen Wahrnehmung und Beschreibung der schlussfolgernden Operationen eines Textes. Indem die grammatikalische, rhetorische und semantische Betrachtung ihr Augenmerk auf Begründungen und Folgerungen richtet, vermag sie die Vagheit zentraler Begriffe und die Reichweite möglicher Äquivokationen genauer einzuschätzen15. Logische Analyse kann jedoch die Vielfalt exegetischer Optionen nur sehr bedingt einschränken. Denn: die »mit einer Formalisierung verbundene Präzisierung zwingt dazu, sich auf eine bestimmte
13 A.
NYGREN, Sinn und Methode (Göttingen, 1979) 178; vgl. S. 168–183 zu seiner Auseinandersetzung mit dem logischen Positivismus. 14 Ähnlich fragen F. NEUHAUS / U. SCHEFFLER / Y. SHRAMKO, Tautologien und Trivialitäten? Logische Methoden in der Philosophie, ZPhF 57 (2003) 413, »ob der zum Teil erhebliche Aufwand, der für die logische Bearbeitung eines Themas getrieben werden muß, in einem vernünftigen Verhältnis zu den erzielten philosophischen Ergebnissen steht«. 15 NEUHAUS / SCHEFFLER / S HRAMKO, Tautologien, 421: »Aufgrund ihrer Präzision sind formale Sprachen besonders dazu geeignet, um verdeckte Mehrdeutigkeiten von Argumenten aufzudecken und die verschiedenen möglichen Auslegungen zu diskutieren. Solche Diskussionen tragen zu einem vertieften Verständnis der untersuchten Fragen bei.«
234
IV. Schlussbetrachtung
Auslegung der verwendeten Termini festzulegen.«16 Die Auslegung der Termini selbst kann nur exegetisch und nicht »logisch« begründet werden und unterliegt damit der Ungewissheit allen exegetischen Forschens. Durch die ebenso einseitige wie notwendige Konzentration auf die rationalen Faktoren der persuasiven Rede des Apostels erfüllt die logische Analyse indirekt auch eine hermeneutische Funktion: Gelingt die Rückführung auf logisch gültige Schlussformen, kann ein rationales Verstehen des Textes beträchtlich erleichtert werden. Umgekehrt macht das »Scheitern« der logischen Analyse Probleme in der hermeneutischen Interaktion zwischen Text und auslegendem Subjekt in besonderer Weise deutlich und ruft dadurch andere Verstehensstrategien auf den Plan17. Wenn jedoch der Anspruch auf rationale Begründung in einem Text vermutet werden kann, dann hat die logische Überprüfung der argumentativen Stringenz insofern eine sach-, autoritäts- und ideologiekritische Spitze, dass sie danach fragt, ob die im Text vorgebrachten Argumente die darin aufgestellte These auf vernünftig nachvollziehbare Weise stützen oder nicht. Interessant ist die logische Analyse auch dort, wo sie nicht durchführbar ist. Es muss dabei unterschieden werden zwischen dem »Scheitern« der Logik angesichts von Texten, die so strukturiert sind (z.B. als eine Kette von schlussfolgernden wahrheitsdefiniten Aussagesätzen), dass sie einer logischen Analyse unterzogen werden können, ihr de facto aber nicht standhalten, und dem grundsätzlichen Rückzug der Logik angesichts argumentativer Texte, die nicht formalisiert werden können. Hier vermag die logische Analyse einen Unterschied zu markieren zwischen axiomatischen und gefolgerten Sätzen. Das textuelle Umfeld aller drei hier untersuchten Textabschnitte zeigt, dass die Worte aus der Schrift, die Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses und unterschiedliche Traditionen weisheitlicher und apokalyptischer Natur nicht begründet zu werden brauchen18. Sie dienen vielmehr als Ausgangspunkt für die Argumentation. Dazu zählen auch die »impliziten Prämissen«, die einen Einblick in das Überzeugungssystem des Paulus (nicht zwangsläufig in das seiner Leser und Leserinnen!) gewähren. In der Idealwelt der Logik würde eine komplette logisch-formale Analyse der paulinischen Briefliteratur 16 NEUHAUS
/ SCHEFFLER / SHRAMKO, Tautologien, 419. (Hervorhebungen von mir) wäre z.B. möglich, auf kompliziertere, moderne Analyseverfahren auszuweichen, oder aber die Bedeutung von »Pathos« und »Ethos« in den betreffenden Texten zu untersuchen. 18 Das literarische Umfeld von 1Kor 15,12–19 ist diesbezüglich ein instruktives Beispiel für das Nebeneinander von axiomatischer, logischer, analoger und prophetischer Argumentation: Mit dem Glaubensbekenntnis in 15,1–11 wird die Grundlage (vgl. 15,1f) gelegt. Nach der logischen Argumentation folgt in 15,20ff ein Analogie-Argument, das von der apokalyptischen Vorstellung der Auferstehung Jesu als eschatologischem »Eröffnungsakt« auf die Auferstehung von Christen und Christinnen schließt. Ab 15,35 redet der Apostel prophetisch, ohne argumentative Begründung, apodiktisch. 17 Es
C. Weiterführender Ausblick
235
ein System erkennbar machen, bei dem sich zwei Mengen von Sätzen derart gegenüberstehen, dass alle Sätze der einen Menge aus denen der anderen Menge deduziert werden können19. Ob solche Fragestellungen die Exegese auch für die Systematische Theologie interessanter machen (wie Macquarrie sich erhofft), müssen andere beurteilen. Die Interessen der Exegese und der Systematischen Theologie sind jedoch unterschiedlich: Für die Exegese kann Logik im besten Falle als Analyseinstrument nützlich sein, die Systematische Theologie hat v.a. die »Rede von Gott« angesichts der Grundlagenkritik durch den logischen Empirismus und den Herausforderungen der Analytischen Philosophie zu bedenken20.
C. Weiterführender Ausblick 1. Paulus und rabbinische Logik Der hier dargestellte Befund könnte die Frage aufkommen lassen, ob paulinische Argumentationen nicht sehr viel präziser auf dem Hintergrund »rabbinischer Logik« erklärt werden können. Je nachdem, wie dieser Begriff verstanden wird, möchte ich diesen Einwurf in aller Vorläufigkeit negativ und positiv beantworten. 1. Zunächst zur negativen Antwort: Was wäre unter einer spezifisch rabbinischen Logik zu verstehen, wenn das Wort »Logik« dabei nicht seine technische Bedeutung im Sinne einer formalen Schlusslehre einbüßen soll? Sofern das Interesse der logischen Struktur gelten soll, kann an die typisch rabbinischen Formen des Folgerns und Begründens kein anderer Maßstab angelegt werden als der der formalen Logik. Eine solche philosophischhistorische Untersuchung, die sich mit »logischen« Aspekten früher rabbinischer Argumentationen auseinandersetzt, liegt m.W. nicht vor21. Eine 19 Dies
ist, nebenbei bemerkt, die »Höchstforderung«, die H. SCHOLZ an eine evangelische Theologie als Wissenschaft stellt (Evangelische Theologie, 236.239–242). 20 NEUHAUS / SCHEFFLER / S HRAMKO, Tautologien, 420–425 diskutieren ähnlich zwei für die Philosophie nützliche Verwendungsweisen der Logik: bei der Analyse von Argumenten und als formale Beschreibungssprache. M.E. ist für die Exegese Logik eher ein »Mittel zur Evaluierung von Argumenten« und für die Systematik eher ein »Medium zum Philosophieren« (beide Wendungen ebd., 429). 21 Der interessanten Arbeit von A. SION, Judaic Logic: A Formal Analysis of Biblical, Talmudic and Rabbinic Logic (Geneva, 1997) fehlt leider eine historische Differenzierung der untersuchten Quellen. Zudem schlägt er Formalisierungen vor, die mir in der Literatur zur modernen Logik nicht begegnet sind, weshalb ich mich eines sachlichen Urteils enthalten muss. Die frühe Arbeit von A. SCHWARZ, Der hermeneutische Syllogismus in der talmudischen Litteratur (Wien, 1901) ist leider hinsichtlich logischer Fragestellungen hoffnungslos veraltet. Zur logischen Analyse eines rabbinischen Textes vgl. R.E. COHEN, The Relationship
236
IV. Schlussbetrachtung
»rabbinische Logik« kann den aristotelischen und stoischen Modellen schon alleine aus dem Grund nicht gegenübergestellt werden, weil es dazu aus dem uns interessierenden Zeitraum keine explizite »Theorie« gibt. Die erste logische Abhandlung, die uns von jüdischer Hand erhalten geblieben ist, verdanken wir dem herausragenden Philosophen, Arzt und Torahgelehrten Moses Maimonides (1135– 1204)22. Der in hebräischen Buchstaben verfasste arabische Text führt in die wichtigsten Begriffe der Logik ein und steht ganz im Banne der Entdeckung des Aristoteles durch arabische Gelehrte (bes. durch al-Farabi). Die Übersetzungen und Kommentierungen dieses Einleitungswerkes sind ein deutliches Zeichen für seinen großen wirkungsgeschichtlichen Einfluss. Das Fehlen von mittelalterlichen Übersetzungen des Organons ins Hebräische bei gleichzeitiger Übersetzung und Kommentierung der Aristoteles-Kommentare von al-Farabi und Averroes könnte darauf hinweisen, dass den jüdischen Gelehrten dieser Zeit die aristotelische Logik vornehmlich durch arabische Philosophen vermittelt wurde.
Es stellt sich die Frage, inwieweit diese ersten Leistungen auf dem Gebiet logischer Theorie von jüdischer Seite an Entwicklungen des rabbinischen Judentums früherer Jahrhunderte anknüpfen bzw. inwiefern darin eine besondere Affinität zwischen rabbinischen Argumentationsweisen und aristotelischen Konzeptualisierungen zum Ausdruck kommt23. Der knappe Logik-Artikel in der Encyclopaedia Judaica stellt dazu fest:
Between Topic, Rhetoric, Logic: Analysis of a Syllogistic Passage in the Yerushalmi, in: J. Neusner / E.S. Frerich (eds.), Judaic and Christian Interpretation of Texts (New Perspectives on Ancient Judaism 3; Lanham, 1987) 87–125. Analog zur »juristischen Logik« (vgl. E. SCHNEIDER, Logik für Juristen [München, 41995]) beschäftigen sich Arbeiten zu »jüdischer Logik« vornehmlich mit Fragen talmudischer Rechtsanwendung: vgl. z.B. M. ABITBOL, Logique du droit talmudique (Paris, 1993) und das einflussreiche Werk von L. JACOBS, Studies in Talmudic Logic and Methodology (London, 1961). Leider lässt sich daraus für den Zeitraum des Paulus kaum etwas entnehmen. 22 Traité de logique, ed. R. Brague (Paris, 1996); vgl. weiterhin: J.L. KRAEMER, Maimonides on the Philosophic Sciences in his Treatise on the Art of Logic, in: J.L. Kraemer (ed.), Perspectives on Maimonides (The Littman Library of Jewish Civilization; Oxford, 1991) 77– 104. Vor Maimonides scheinen Isaac Israeli und Joseph ibn Zaddik logische Abhandlungen abgefasst zu haben. Vgl. J. HABERMANN, Art. Logic, EJ 11 (1972) 459. 23 Vgl. J. NEUSNER, Jerusalem and Athens: The Congruity of Talmudic and Classical Philosophy (JSJ.S 52; Leiden, 1997), der nicht nur im Bereich der Logik und Dialektik, sondern auch in dem der Naturphilosophie und Ethik eine Übereinstimmung zwischen den rabbinischen Lehrern, die die Gemara hervorgebracht haben, und den Lehrern des abendländischen Denkens, Sokrates, Platon und Aristoteles, konstatiert. Da diese Übereinstimmung nicht auf Kenntnisse griechischer Philosophie seitens der Rabbinen zurückgeführt werden kann, erweist sich darin für NEUSNER die weltgeschichtliche Bedeutung und Eigenständigkeit des Talmuds als »Klassiker« des abendländischen Denkens. Im Bereich der griechischen Philosophie malt N EUSNER jedoch mit allzu grobem Pinsel, indem er z.B. Platon und Aristoteles philosophisch nicht voneinander unterscheidet und die Stoa völlig außer Acht lässt.
C. Weiterführender Ausblick
237
»Although some of the methods of biblical exegesis and legal interpretation (middot) employed by the rabbis of the talmudic period rest upon the rules of logic […], it is doubtful that the rabbis had a formal knowledge of the subject.« 24
2. Mit dem Hinweis auf die rabbinischen Interpretationsregeln eröffnet sich ein positiver Zugang zum Problemkreis »Paulus und rabbinische Logik«. Wenn nämlich darunter die besondere Struktur rabbinischer Schlussfolgerungen verstanden wird, ergibt sich eine Perspektive, die für manche paulinischen Argumentationen erhellend ist. Von besonderem Interesse dürfte hierbei die erste hermeneutische Regel Hillels und Jischmaels sein, der Schluss vom »Leichteren auf das Schwerere« (kal wahomer), der innerhalb antik-rhetorischer Argumentationstopoi zu den afortiori-Schlüssen25 zu zählen ist (vgl. z.B. Röm 5,10.17; 11,15.24)26. In der tannaitischen Tradition finden wir außerdem die ältesten Belege für Erklärungsmodelle, die enthymematisch vorgehen27. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass diese rabbinischen Schlussformen aus der Warte antiker Logik im Wesentlichen zu den »nicht-syllogistischen« Argumenten zu rechnen sind. Solche Formen galten nicht als falsch oder unzulässig, sondern schlicht als logisch nicht formalisierbar und daher als unbrauchbar für den streng wissenschaftlichen Beweis. Es wäre Gegenstand einer weiterführenden Untersuchung, die Rolle von Analogien und nicht-syllogistischen Schlüssen in der hellenistischen Logik und Rhetorik in der rabbinischen Argumentation und in den Paulusbriefen miteinander zu vergleichen.
24 HABERMANN ,
Logic, 459. die wichtige theoretische Erörterung zu dieser Schlussform in Quintilian V,10 (= Rahn 87ff). 26 Vgl. SCHWARZ, Hermeneutische Syllogismus, 14–38 (mit zum Teil verwirrenden syllogismus-ähnlichen Formalisierungen); L. JACOBS, The Aristotelean Syllogism and the Qal wa-homer, JJS 4 (1953) 154–157 (der v.a. gegenüber SCHWARZ zeigt, dass ein kal wahomer-Schluss nicht auf einen aristotelischen Syllogismus zurückgeführt werden kann; s.a. Studies in Talmudic Logic, 3–8); D. INSTONE BREWER, Techniques and Assumptions in Jewish Exegesis before 70 CE (TSAJ 30; Tübingen, 1992); A. SION, Judaic Logic, 30–85; D. BÖRNER-KLEIN, Der Midrasch Sifre zu Numeri (RT II/3; Stuttgart, 1997) 438–471; A. SAMELY, Rabbinic Interpretation of Scripture in the Mishnah (Oxford, 2002) 174–193. Zum Gebrauch bei Paulus vgl. H. MÜLLER, Der rabbinische Qal-Wachomer-Schluß in paulinischer Typologie: Zur Adam-Christus-Typologie in Röm 5, ZNW 58 (1967) 73–92. H. MACCOBY, The Mythmaker: Paul and the Invention of Christianity (San Francisco, 1986) 64–67 möchte hingegen die paulinischen afortiori-Schlüsse streng vom rabbinischen kal wahomer Schluss trennen (ähnlich SIEGERT, Argumentation, 190f). 27 Vgl. L. MOSCOVITZ, Talmudic Reasoning (TSAJ 89; Tübingen, 2002) 218–223 (»Enthymematic Explanation«). 25 Vgl.
238
IV. Schlussbetrachtung
2. Logik und paulinische Rhetorik Als 1897 Johannes Weiß in einer forschungsgeschichtlich wichtigen Studie die Bitte »an die theologischen Genossen« richtete, »ein wenig mehr als bisher geschehen, die Form der Paulinischen Briefe zu beachten«, und »die weitere Erörterung dieser Frage […] solchen Kennern des Paulus, die auch die zeitgenössische Rhetorik beherrschen«, ans Herz legte28, hätte er sich wohl kaum vorzustellen gewagt, in welchen Ausmaßen die aktuelle PaulusExegese dieser Bitte zwar mit Verspätung aber dafür mit einer umso größeren literarischen Produktion nachkommen sollte29. Nach meiner Wahrnehmung gibt sich aber die aktuelle Praxis der rhetorischen Paulus-Analyse allzu schnell damit zufrieden, durch die Klassifizierung sprachlicher Formen der persuasiven intentio auctoris nahe zu kommen30. Auf diesem Gebiet sind zweifelsohne Fortschritte erzielt worden, aber auf Dauer wird eine solche tropologische Verengung das Interesse an rhetorischen Analyseverfahren verebben lassen. Ricœurs Diagnose zum Niedergang der Rhetorik im 19. Jh sollte Exegeten und Exegetinnen als Warnung dienen: »Die Geschichte der Rhetorik ist die eines schrumpfenden Chagrinleders. Hier liegt einer der Gründe für den Tod der Rhetorik: indem sie sich auf einen ihrer Teile reduzierte, verlor sie zugleich den Nexus, der sie über die Dialektik mit der Philosophie verband. Infolge dieses Verlustes wurde die Rhetorik zu einer abgesprengten, gehaltlosen Disziplin. Sie starb, als die Manie der Figurenklassifizierung ganz und gar an die Stelle des philosophischen Sinnes getreten war, der dem weitläufigen rhetorischen Reich Leben verlieh, die Teile zusammenhielt und das Ganze mit dem Organon und der prima philosophia zusammenhielt.« 31
Die Beleuchtung paulinischer Argumentationen auf dem Hintergrund antiker Logik ist somit nicht nur eine Übung in formaler Schlüssigkeit, sondern zugleich auch ein Beitrag zur rhetorischen inventio des Paulus. Der in der Antike wichtige Bezug der Rhetorik zu ihrer »nächsten Verwandten«, der Dialektik, wird dadurch gewahrt (s.o. S. 63ff). Ebenso wird damit der 28 Beiträge
zur paulinischen Rhetorik, in: Theologische Studien (FS B. Weiss; Göttingen, 1897) 166.247. 29 Der neutestamentliche Teil der Bibliographie von D.F. WATSON, A.J. HAUSER, Rhetorical Criticism of the Bible: A Comprehensive Bibliography with Notes on History and Method (Biblical Interpretation Series 4; Leiden, 1994) 126–206 ist veraltet und leider nicht fortgesetzt worden. Das Internet erweist sich als aktuelleres Medium. Vgl. die OnlineBibliographien unter http://rhetjournal.net/Bibliographies.html (15.08.2005 aufgerufen), die Teil der von James D. H ESTER herausgegebenen Internet-Zeitschrift »The Journal for the Study of Rhetorical Criticism of the New Testament« (http://rhetjournal.net/) sind. 30 So definiert das bereits zum Klassiker avancierte Werk von G.A. KENNEDY, New Testament Interpretation through Rhetorical Criticism (Studies in religion; Chapel Hill, NC, 1984) 12: »The ultimate goal of rhetorical analysis, briefly put, is the discovery of the author’s intent and of how that is transmitted through a text to an audience.« 31 RICŒUR, Lebendige Metapher, 13f. Die Begriffe »Dialektik«, »Organon« und »prima philosophia« weisen alle auf das Gebiet der Logik hin.
C. Weiterführender Ausblick
239
Tatsache Rechnung getragen, dass in der aristotelischen rhetorischen Tradition die drei sprachlichen »Überzeugungsmittel« (~jqoß, páqoß und lógoß) nicht in Konkurrenz zueinander stehen, sondern im Idealfall ein organisches Ganzes bilden. Natürlich soll hier keinem »Panlogismus« das Wort geredet werden. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die rhetorische Persuasion mit unterschiedlichen sprachlichen Mitteln operiert und daher immer umfangreicher ist als die rein logische Formulierung gültiger Schlüsse32. Doch Logik und rhetorische Argumentation können aus antiker Sicht nicht sprachlich voneinander abgelöst werden. Die gegenwärtig so reich florierende »rhetorische Textanalyse« kann daher ihre Arbeit nicht mit der Klassifizierung rhetorischer Tropen für beendet erklären (was sie leider häufig tut!), sondern muss u.a. auch nach der Logik fragen, die bestimmten Schlussfolgerungen zugrunde liegt. Der exegetische Seitenblick auf die rhetorischen Fragestellungen heutiger Paulusauslegung hat für die konkrete logische Analyse recht magere Ergebnisse erbracht. Positiv kann vermerkt werden, dass die Textabschnitte, bei denen die logische Frage überhaupt lohnenswert erscheint, in jenen Zusammenhängen zu finden sind, die von der Rhetorik als probatio, argumentatio oder refutatio bestimmt werden. Die Frage nach übergreifenden Genusbestimmungen hat sich für die Logik als irrelevant erwiesen. Weiterhin hat das Beispiel von 1Kor 15,12–19 gezeigt, dass die rhetorische Bestimmung der Argumentationsform als reductio ad impossibile eine logische Analyse keineswegs obsolet macht. In der gegenwärtigen Forschungslage fragt Rhetorik vorwiegend nach dem Wie eines Arguments und weniger nach seiner logischen Gültigkeit. Die Logik hat aber ihren genuinen Platz innerhalb der Rhetorik dort, wo es um das Finden von Argumenten geht (inventio), und nicht dort, wo es um die konkrete Formulierung (elocutio) geht. Der Logik geht es letztlich um res, bzw. um die dahinter operierenden Gesetzmäßigkeiten, und weniger um verba33.
Der weitere Bereich der Logik wäre idealiter ein Drittel dessen, was eine Argumentation ausmacht34. Wie es im Falle des Paulus tatsächlich um das »Mischungsverhältnis« dieser drei Überzeugungsmittel steht, müsste durch weitere Untersuchungen geklärt werden35. 3. Logik und paulinische Theologie Die in der aktuellen Paulusforschung kontrovers diskutierte Frage nach der Kohärenz, Stringenz oder Mitte paulinischer Theologie wird von der logi32 Darin
ist dem Urteil von D.L. STAMPS, Rhetorical Criticism of the New Testament: Ancient and Modern Evaluations of Argumentation, in: S.E. Porter / D. Tombs (eds.), Approaches to New Testament Study (JSNT.S 120; Sheffield, 1995) 168 beizupflichten: »The persuasive nature of the New Testament is not limited to its logic or reason or the convincing nature of its theological propositions.« 33 Vgl. zur Unterscheidung LAUSBERG, Handbuch, §454. 34 Eine Rhetorik ohne Logik ist entweder lächerlich oder geradewegs gefährlich. 35 Vgl. zu »Pathos« OLBRICHT / SUMNEY , Paul and »Pathos«; allzu knapp zu »Ethos« und »Pathos« ist SIEGERT, Argumentation, 230f.
240
IV. Schlussbetrachtung
schen Frage indirekt berührt, denn logische Folgerichtigkeit darf als notwendige Bedingung für Kohärenz betrachtet werden. Logische Analysen von einzelnen zentralen Argumenten können wichtige Bausteine für den Entwurf einer paulinischen Theologie liefern. So ist die logische Beziehung zwischen Röm 2,13b und 3,20 zweifelsohne auch theologisch von Gewicht. Wenn die Möglichkeit eines logischen Widerspruchs ins Auge gefasst wird36, dann ist immer noch nicht deutlich, welche Folgen dies für die Bewertung der paulinischen »Theologie« haben könnte. Die Folgerung, dass Paulus zu einer widerspruchsfreien Argumentation selbst innerhalb eines geschlossenen Gedankengangs nicht in der Lage sei, wäre aber m.E. verfrüht. Es ist ebenso gut möglich, dass wir bei der Gesetzesthematik auf eine genuine Aporie innerhalb der paulinischen Theologie stoßen37. Hier erweist sich die logische Analyse als eine Art »Feuermelder« für die theologische Kohärenzbildung38. Eine gewisse Konstanz ist in der Wahl der »axiomatischen« Sätze zu beobachten39: Paulus argumentiert von den Schriften Israels her aus der Perspektive des frühchristlichen Bekenntnisses zu Jesus als Messias. Auch wenn es kein sachlich-theologisches Zentrum gäbe, auf das hin sich alle theologischen Einsichten des Paulus systematisch anordnen ließen, gibt es einen axiomatischen Fluchtpunkt, von dem aus Paulus immer wieder argumentiert40. Die Frage, ob es bei manchen paulinischen Themen nicht in der »Natur der Sache« selbst liegen könnte, dass die logische Analyse versagt, vermag ich deswegen nicht zu beantworten, weil ich mir nicht vorstellen kann, welche Bedingungen erfüllt sein müssten, damit von einer Sache notwendigerweise nicht stringent gesprochen werden könnte. Natürlich sind paulinische Kreuzestheologie, die Vorstellung von einem »sühnenden« Austausch im Tod Jesu oder auch Aussagen über Gott nicht logisch »deduzierbar«, aber sie 36 Der
Begriff des »Widerspruchs«, der in der Exegese ebenso häufig wie unbedacht gebraucht wird, bräuchte gerade angesichts der antiken Diskussion (s.o. S. 42ff) eine terminologische Präzisierung. 37 Jedes »System« hat solche Reibungspunkte, nur gelingt es manchen besser als anderen, diese zu verheimlichen. 38 Es wäre reizvoll, die Tatsache, dass sich gerade beim Thema nach der Funktion des Gesetzes das größte logische »schwarze Loch« auftut, mit der Biographie des Paulus in Verbindung zu bringen. Damit aber hätten wir das Gebiet der Logik weit hinter uns gelassen. 39 RITSCHL, Logik, 21 definiert »regulative Sätze« als: »die impliziten Axiome, mit denen ein Mensch oder eine Gruppe (mit gemeinsamer Story) ausgestattet ist. Sie sorgen für überprüfbares Denken und Sprechen und für geordnetes Handeln. Sie sind nicht unbedingt und immer sprachlich ausformuliert.« Bereits LOHMEYER, Grundlagen, 7 weist dem Satz »Niemand wird aus Gesetzeswerken gerecht« (Röm 3,20; Gal 2,16; vgl. Röm 3,28; Gal 3,11) den »logischen Charakter eines Fundamentalsatzes« zu. 40 Ich spreche bewusst von »einem«, weil für Paulus die Schriften und das Bekenntnis nicht zwei unterschiedliche Linien sind, sondern einen gemeinsamen Horizont abstecken (vgl. den Bezug auf die Schrift im Bekenntnis von 1Kor 15,3–5).
C. Weiterführender Ausblick
241
stehen als Ausgangspunkt für Schlussfolgerungen nicht nur theologischer, sondern auch ethischer Natur in logisch analysierbaren Zusammenhängen. Die axiomatische Stellung von Röm 2,11 zeigt zudem paradigmatisch, dass Paulus nicht auf Gott schließt, sondern von Gott her argumentiert. Aus der Sicht der aristotelischen Logik gilt es zu bedenken, dass im kategorischen Syllogismus nur Begriffe »mittlerer Allgemeinheit« Verwendung finden (s.o. S. 51). Der rhetorische Syllogismus kann zudem noch mit Individualtermen operieren, aber Syllogismen mit Kategorien oder allumfassenden Termen sind im aristotelischen System nicht vorgesehen. Ein Beispiel mag die Gründe verdeutlichen: Wie könnte man auf einen Satz schließen der Art »Der Gott Israels ist gnädig«? Ein aristotelischer Syllogismus müsste in etwa so aussehen: »Götter sind gnädig. Der Gott Israels ist ein Gott. Also: Der Gott Israels ist gnädig.« Um auf einen solchen Satz schließen zu können, müsste es eine Kategorie geben, zu der »Gott« gehört. Nur von etwas Umfassenderem als »Gott« könnte auf »Gott« geschlossen werden. Dies ist im Rahmen eines monotheistischen Denksystems unmöglich. Daraus wird deutlich, dass Axiome über Gott nur induktiv aufgrund von Erfahrung gewonnen oder als autoritative Überlieferungsstücke innerhalb einer religiösen Gemeinschaft übernommen werden können. Die theologischen Aussagen der paulinischen Briefliteratur stellen m.E. eine fruchtbare Grundlage für solche Überlegungen dar.
Man kann hier von einer theologischen Axiomatik reden41. Die Gotteslehre wäre demnach nicht das Ergebnis logisch analysierbarer Schlussformen, sondern deren Ausgangspunkt42.
41 Der
Axiom-Begriff wird hier in jenem allgemeinen Sinne verwendet, wie er etwa auch von Aristoteles (An. post. I 2,71b20ff) verwendet wird, als Bezeichnung für jene notwendig wahren Sätze, die als »erste Sätze« unvermittelt einsichtig sind und als Grundlage für Beweise dienen, ohne selbst bewiesen werden zu können (vgl. L. OEING-HANHOFF, Art. Axiom, HWP 1 (1971) 737–748. In der modernen Wissenschaftstheorie sind Axiome Konstituentene eines geschlossenen Systems, das vollständig und widerspruchsfrei ist (vgl. B. BULDT, Art. System, axiomatisches, EPhW 4 (1996) 185–188). 42 J.D.G. DUNN , The Theology of Paul the Apostle (Edinburgh, 1998) 27–50 hat die Axiomatik der paulinischen Gottesrede auf breiterer Basis, als dies hier möglich ist, dargestellt. »God is the fundamental presupposition of Paul’s theology, the starting point of his theologizing, the primary subtext of all his writing. […] The problem for us, however, is that Paul’s convictions about God are all too axiomatic. Because they were axioms, Paul never made much effort to expound them. They belong to the foundations of his theology and so are largely hidden from view.« (28) Vgl. auch SCHNELLE, Paulus, 441: »Gott ist das unhinterfragbare und zugleich alles bestimmende Axiom paulinischer Theologie, ihr weltanschaulicher Ausgangspunkt.« (Hervorhebungen vom Autor) Logisch betrachtet müssen diese Aussagen jedoch dahingehend präzisiert werden, dass Gott kein Axiom sein kann, sondern nur wahrheitsdefinite Aussagen über Gott.
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Register A. Quellen 1. Altes Testament / Septuaginta (mit hebräischer Vorlage) Genesis 1,9 1,26f 2,9 12,3 12,7 15,6 17,1 17,10ff 18,1 18,18 19,1–28 19,24 22,14 22,18 26,2 26,4 26,24 28,14 35,9 44,7.17 48,3
100 182 178 138, 156 100 135f 100 203 100 138, 156 176, 187 176 100 138 100 138 100 138 100 206 100
Exodus 3,2 9,35 15,22–16,36 16,10 18,20 20,4–6 20,16 33,20 34,6f
100 192 206 100 141 202 107 178 207
Leviticus 9,23
100
17,7 18,5 18,22 19,15 20,13 26,41
181 140, 146, 152, 161, 196, 203 187 195 187 204
Numeri 14 14,10 16,19 17,7 20,6 23,19 24,4.16 25,4
206 100 100 100 100 207 206 147
Deuteronomium 4,7f 4,12 4,15–18 5,8–10 5,20 7,9 7,25f 9,27 10,16 10,17 21,22f 21,23 23,17 27,26 28,53.55.57 28,58f 28,58
206 178 182 202 107 207 202 192, 192 192, 204 195 147f 140 187 140, 142–144 194 142 142
276 29,3 29,9 30,6 30,10 30,12 30,16 31,27 32,35 32,43
Register 192 142 204 142 146 203 192 175 139
Josua 10,26f 22,29 24,16
147 206 206
100 100
1. Samuel (= LXX 1Bas) 16,7
199
2. Samuel (= LXX 2Bas) 21,6–9 22,50
147 139
1. Könige (= LXX 3 Bas) 3,5 9,2 16,2.13.26 18,21
100 100 181 206
2. Könige (= LXX 4 Bas) 17,15
181
1. Chronika 29,9
199
2. Chronika 1,7 3,1 7,12 11,15 19,7 28,1–5 28,9
11,8 (LXX)
194
Hiob 5,16 9,22f 20,18 20,28 21,30 34,19 36,18 42,8
211 173 107 193 193 195 177 195
Psalmen (zitiert nach LXX: Y 10–146 = MT 11–147)
Richter 6,12 13,3
Esther
100 100 100 181 195 183f 183
5,10 7,12 9,9 9,28 13,1–3 13,3 18,49 20,2 30,7 32,4 32,17 34,24 35,2 35,7 39,11 40,9 50,6 50,16 53,3 57,11f 61,13 63,12 70,15 71,17 72,6 78,38 82,2 89,2.6.9.15.25.34 94,2 96,13 97,2 105,20 106,11
210 173 173 210 210 211 139 170 107 207 170 173 210 173 173 201 207 173 170 173 193, 193 211 173 138 177 142 195 207 208 208 173 182 206
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A. Quellen 107,42 109,5 117,1 117,15 118,29f 118,123 139,1f 139,4 139,8 139,23 142,2 143,10
211 193 139 170 177 173 199 210 170 199 212 201
Proverbia (Sprüche) 1,16 6,19 11,5 14,5.25 16,31f 17,25f 19,3 19,5.9 21,28 24,12 24,28 25,18
210 107 177 107 173 173 167 107 107 193 107 107
Canticum (Hoheslied) 2,12
100
Kohelet (Prediger) 7,20 10,20
210 198
42,6f 44,19f 45,21 46,13 49,6 49,7 51,5–8 51,7 52,5 56,1 59,4 59,7f 59,16–21 59,17 62,1 63,1–3 63,1 66,16
201 185 173 173 201 207 173 198 202 173 107 210 173 173 173 173 173, 173 208
Jeremia 2,2–13 2,5 2,11 4,4 7,20 9,23 9,24f 17,10 21,5 31 (MT: 33) 31,33 (MT: 33,33) 38,3 (MT: 31,3) 51,6
206 181 182 192, 204 194 200 204 199 194 198 204 100 194
Threni (Klagelieder) Jesaja 5,16 6,10 11,10 13,9 13,13 19,21 26,14 26,19 29,10 30,7 30,30 34,2 37,3
173 192 139 175, 193, 194 175 178 105 104, 105 192 107 194 183 193
1,12 2,1 2,21f.24
193 193 193
Hesekiel 21,36 23,28–30 29,7 36,20 36,27 36,32 44,7.9
183 185 200 202 204 178 204
278
Register
Daniel 8,19 9 9,16 12,2
Micha 175 143 173 194
1,14 3,11 7,18
107 200 177
Habakuk Hosea 2,19–23 4,1f 10,13 12,1f 12,2
2,4 207 206 177 119 107
Joel 3,12
208
140, 145f, 171
Zephanja 1,15.18 2,2f 2,3 3,8
175, 193 173, 175 193 175
Maleachi 1,8
195
2. Zusätzliche Schriften der Septuaginta Baruch 3,22.38 4,4
100 201
1. Makkabäer 1,48.60f 2,46 2,52 4,6 4,19 8,11 9,10 9,27 9,55
105 105 202 176
3. Makkabäer 203 203 140 100 100 200 206 100 211
2. Makkabäer 1,3f 3,25 4,39.42 6,3 6,10 7,9 7,14b 8,20 9,2 11,10
12,43 12,44 13,6 15,8
201 100 202 188 203 194 105 176 202 176
3,29
197
4. Makkabäer 4,19 9,21 15,3
167 137 194
Sapientia Salomonis 2,12–15 2,23 6,7 7,26 10,10 11,15f 11,23 12–15 12,2 12,10 12,20f 12,23–26
201 179, 179 195 179 173 182, 185 192 178 192 192 192 182
279
A. Quellen 13,1–9 13,1 13,4 13,5 13,10 15,1–3 16,2 16,20 17,10 18,19
180, 197 197 179 179 182 191f 187 176 198 179
29,5 34,1 35,12f 37,19 39,8 43,31 44,17 44,19–21 44,20 44,21 46,17f
167 119 195 201 200 178 173 133 140 138 176
Sirach 5,2 5,4–7 16,10 18,30 21,7
184 192 192 187 178
Tobit 3,2 4,5f 12,22
173 177 100
3. Neues Testament Matthäusevangelium 3,9 4,12 (par) 5,25 7,24–27 10,4 (par) 10,17.19 (par) 10,21 11,27 (par) 12,28 15,14 18,1 18,34 20,18f 22,32 (par) 23,16.24 23,33 24,9f 25,14.20.22 26,2 26,15f 26,21 26,23–25 26,24 26,45 26,46.48 27,2 (par) 27,3f
133, 192 183 183 196 183 183 183 183 153 201 153 183 183 102 201 192 183 183 183 183 183 183 135 183 183 183 183
27,18 (par) 27,26
183 183
Markusevangelium 1,2 7,13 8,11 8,38 9,4 (par) 9,13 9,31 14,21 14,62
135 183 176 170 100 135 183 135 170
Lukasevangelium 1,2 1,11 2,23 2,35 3,7 (par) 3,8 4,6 4,21 9,54 10,6 11,30 12,8
183 100 135 171 192 133 183 138 176 199 135 170
280 16,24 17,26.28 17,29 21,11 22,43 24,34 24,45–47
Register 133 135 176 176 100 100 99
Johannesevangelium 1,20 1,23 3,14 5,27 6,31 6,64.71 7,24 8,15 8,33f 8,33 12,4 12,14 13,2.11.21 18,2.5 18,15 18,31 18,35f 19,11 19,16 19,36f
170 135 135 199 135 183 200 200 133 192 183 135 183 183 178 200 183 183 183 138
Apostelgeschichte 1,19 2,14 3,13 6,14 7,2 7,26 7,30 7,40–42 7,42 7,48 8,3 8,35 10,45 11,2 12,4 13,28–31 13,31 14,26
15,15 15,18 15,26.40 16,4 16,9 19,37 21,11 22,4 23,3 27,1 28,17 28,22 Römerbrief 1,1–15 1,1–4 1,3f 1,4 1,5 1,6f 1,8 1,13f 1,13 1,16f 1,16 1,17f 1,17 1,18–3,20 1,18–32
178 178 183 182, 183 100 100 100 184 135 135 183 138 137 137 183 99 100 183
135 178 183 183 100 202 183 183 200 183 183 178
1,18–20 1,18
1,19–32 1,19–23 1,19–21 1,19f 1,19 1,20 1,21–23
169f 171 95 104 168 169 169 168 168 167, 170f, 172, 173 166, 168, 169, 194 173 135, 145, 166, 173, 175, 176, 178 91, 166–228, 212– 214, 230f 166, 168, 171–189, 176, 182, 189f, 192, 195, 201, 208, 211, 212, 219, 220, 227 180 166, 168, 172–177, 182, 183, 184, 185, 188, 189, 191, 193, 215f, 219, 220, 221, 222f, 228 168f, 172, 177, 180, 197, 224, 226, 229 218 177, 215, 223 187, 216, 218 166, 177f, 183 166, 166, 167, 170, 178f, 190, 218, 224 180
A. Quellen 1,21f 1,21 1,22f 1,23 1,24f 1,24 1,25 1,26f 1,26 1,27 1,28–31 1,28 1,29–31 1,29 1,32 2,1ff 2,1–16 2,1–11 2,1–3 2,1 2,2 2,2f 2,3–5 2,3f 2,3 2,4 2,5f 2,5 2,6–11 2,6 2,7–10 2,7 2,8 2,9f 2,10 2,11 2,12–29 2,12–24 2,12 2,13–16 2,13f
218 180, 218 182 166, 172, 181, 194 182–185 167, 172, 176, 181, 184, 186, 188, 218f 166, 172, 177, 182, 191, 219 186, 219 166, 167, 172, 176, 182, 184, 188, 197 167, 176 187f 166, 167, 172, 176, 184 177, 188, 219 177 168, 173, 188f, 190, 217, 218, 219 168, 169, 177, 189, 195, 211, 220, 226 189–199, 201 189, 202 224 166, 168, 179, 189, 190, 219, 220 190f, 217, 219, 220 168, 209 220 191, 192 135 166 168, 192f 175, 221 194, 221f 196, 223 193f 211 137, 168, 175, 177, 191, 217, 218 168, 195 211, 226 191, 196, 241 169 202 168, 189, 195, 199, 217, 222f 223f 145
2,13 2,14–16 2,14f 2,14 2,15f 2,15 2,16 2,17–24 2,17–20 2,17 2,20 2,21 2,21–24 2,21f 2,23 2,24 2,25–29 2,25–27 2,25f 2,25 2,26–29 2,26 2,27 2,27–29 2,28f 3,1–20 3,1–9 3,1–8 3,1f 3,1 3,3f 3,3 3,4 3,5f 3,5 3,6 3,7f 3,7 3,8 3,9–18 3,9 3,10–18 3,10 3,13 3,19
281 146, 195f, 227f, 230, 240 224, 225, 226 168, 178, 203, 223 196–198 198f 196 204, 223, 225 224 200f, 219, 224 166, 168, 189, 224 177, 191, 201, 204 219 201f 166 224 135, 168 223f, 225 224 202f 168, 225 226 135, 181, 224 203f, 219, 224 201 133, 168, 204, 225 205–212 208, 225f 220 205f, 209 168, 209, 219 206f 226 135, 166 207f 166, 173, 175, 177, 208 208 208f 191 190 226, 228 167f, 169, 209, 217, 226 169, 210f, 226 135 147 166, 167, 169, 190, 195, 211
282 3,20
3,21ff 3,21 3,25 3,26 3,28 3,29 4,1 4,2 4,3f 4,3 4,4–6 4,5 4,8 4,9 4,10f 4,12 4,13–25 4,13 4,14 4,15 4,16 4,17 4,18 4,22f 4,22 4,24 5,6 5,9 5,10 5,17 6,11 6,15 6,19 6,23 7,6 7,7–23 7,12 7,14 8,1 8,3f 8,7 8,11 8,22.28 8,36 9–11 9,4ff 9,6
Register 167, 177, 196, 198, 211f, 218, 225, 226– 228, 230, 240 167, 225f 173, 175, 178, 205 176 137 135, 198, 240 168 137 126 135 138, 224 135 176 135 135, 224 135 137 135 137 137 175 137 135 137 135 190 135 176 175 237 237 135 209 208 188 204 144, 218 2 2, 190, 209 153 218 177 114 190 135 207 205 133, 137
9,7f 9,7 9,13–16 9,13 9,17 9,22 9,24 9,29 9,33 10,5f 10,5 10,11 10,12 10,15–17 10,15 11,1 11,2 11,7 11,8 11,13 11,15 11,24 11,25–27 11,25 11,26 11,33 12,19 13,2 13,4f 13,5 15,3 15,7 15,9–12 15,9 15,21 15,22 16,10 16,11
137 137 136 135 138 175 168 135, 137 135 146 146 138 168, 168 136 135 137 138 209 135 196 237 237 207 151 135, 176 6 175 190 175 190 135 190 139 135, 196 135 190 137 137
1. Korintherbrief 1,18 1,21 1,22 1,23 1,24 1,31 2,9 2,8 3,3
170 181 168 148 168 135, 200 135 126 183
283
A. Quellen 4,5 4,8 5,5 6,14 7,1 7,19 7,25 8–10 8,1 8,6.11b 9,1 9,8 9,21 10,16 10,32 11,23–25 11,23 12–14 12,1 12,3 12,13 13,1 13,10 14,13–19 14,21 15 15,1–11 15,2 15,3–5 15,3 15,5–8 15,8 15,10 15,12–20 15,12–19 15,12 15,13–15 15,13 15,14 15,15 15,16–19 15,16 15,17 15,18 15,19 15,20–58 15,20–28
199 103 183 114 100 203 100 2 100 100 171 208 195 100 168 100 183 103 100 100 100, 168 103 137 6 211 12, 95, 96–99, 101, 103, 104 95, 99f, 101, 102, 114, 115, 234 106 100, 119, 240 107, 108, 183 100 171 106 14, 108–110, 123 91, 95–127, 225, 230f, 234, 239 101–105, 115f 105–107, 113 114, 118 118f 119f, 154, 165 107f 114, 118, 120 112, 120 102, 120 120 99, 122, 234 103
15,20 15,27 15,29 15,30–34 15,32 15,35–58 15,51f 16,1.12 16,22
12, 99, 105, 114f 145 102 102 114, 208 102f, 104 182 100 100
2. Korintherbrief 1,6 3,6f 4,11 4,14 4,16 5,1ff 5,10 5,21 6,11 6,16 7,9f 8,9 8,15 9,9 10,17 11,22 11,24 12,20 12,21
194 204 183 114 190 103 199 148 131 135 192 136 135 135 200 137 142 194 192
Galaterbrief 1,1–6,18 1,6–9 1,6 1,8f 1,11 1,12 1,16 2,2 2,6 2,8f 2,12 2,13 2,14f 2,15–21 2,15 2,16
129f 133 139 140, 142 131, 166 171 171 139 195 139 137, 139 156 139 139, 161 147, 149, 191, 195, 197 131, 145, 149, 198, 212, 240
284 2,20 2,21 3,1–5 3,1 3,2 3,5 3,6–14 3,6–13 3,6–9 3,6–8 3,6f 3,6 3,7 3,8f 3,8 3,9 3,10–14 3,10–12 3,10 3,11f 3,11 3,12 3,13f 3,13 3,14 3,15ff 3,15 3,16 3,18 3,19–25 3,19 3,21 3,22 3,23–26 3,23 3,24 3,25 3,26 3,28 3,29 3,21 3,26 4,2 4,3 4,4f 4,5
Register 183 126, 166 131–133, 148, 162 2, 130, 131 145, 166, 198 134, 145, 166 91, 128–166, 227, 230f 148 142, 144 162 148–150, 153–155, 158 134–136 136f, 165 138–140, 150f, 155f, 165 231 137, 156–158, 160 129 129, 140, 146, 229 2, 137, 140–145, 147, 151, 158–160, 166 143, 152, 161 140, 145f, 240 140, 142, 146, 166, 196 152, 162 6, 140, 143, 144 139, 148 148 208 137 126 146 137 161 138, 142, 209 147 142 139, 156, 157 142 138 168 137 126 137 142 142 142 147
4,6f 4,7 4,8 4,10 4,16 4,20 4,21 4,22–31 4,23 4,28 5,3 5,6 5,10 5,11 5,18 5,20 6,12f
137 139, 156, 157 197 133 156 182 142 137 137 137 145, 203 203 190, 198 148 142 194 133
Epheserbrief 2,3 4,17–19 4,19 5,2 5,6 5,25 6,9
175, 197 181 184 183 172, 175 183 195
Philipperbrief 1,10 1,16f 1,17 2,3 2,22 3,6 4,15 4,22
201 137 194 194 136 145 131 137
Kolosserbrief 3,6 3,8 3,11 3,25 4,12
172 175 168 195 137
1. Thessalonicherbrief 1,10 2,16 5,9
175 175 175
285
A. Quellen 2. Thessalonicherbrief
Jakobusbrief
1,7–10
1,20 1,22f.25 2,20–26 2,23 3,7 3,14.16 4,11
199
1. Timotheusbrief 1,9 1,20 6,7
176 183 145
2. Timotheusbrief 1,8.12.16 2,13 2,17f 3,5 4,1
1. Johannesbrief 170 207 103 201 199
3,12
1,17 2,23 4,11 4,18
137
2,21 3,15f
190
Hebräerbrief 1,12 2,11 3,7; 4,3.7; 5,6 5,12 10,38 11,16
200 183 206 176
2. Petrusbrief
Philemonbrief 8
135
1. Petrusbrief
Titusbrief 1,10
173 196 135 135 197 194 196
183 3
Judasbrief 182 170 135 206 145 170
3 15
183 176
Johannes-Apokalypse 11,19; 12,1.3 20,12f 22,12
100 200 199
4. Jüdische Schriften Aristeas-»Brief« (EpArist)
(syrische) Baruch-Apokalypse
139 152
21,13 21,20 48,22–24 59,6 85,9 85,12
185 187
Aristobul (in: Eusebius, Praepar. Evang.) XIII,12,1
197
Assumptio Mosis 1,12f
108 192 200 192 191 192
Esra-Apokalypse (4. Esra) 180
6,55f 7,34 8,33
200 191 192
286 8,60
Register 181
(äthiopischer) Henoch 2,1–5,4 45,3–6 50,4 91,7–9
197 199 192 176
(griechischer) Henoch 13,2
177
Josephus Antiquitates 2,52 3,223 3,218 4,45 4,207 5,144–147 6,212 7,328 7,346 16,264 17,191 18,81 18,254f 20,34–38 20,45 20,218
199 206 206 176 202 206 173 173 178 173 173 206 173 203 144 206
Bellum Iudaicum 2,135 2,163 6,311–313 7,346
173 103 206 179
Contra Apionem 2,167 2,210
178 142
Jubiläenbuch 1,23 4,32 5,15 15,25–28 23,24 24,30
204 185 195 203 195 175
Mischna Mak 3,10–14
142
Oden Salomos 11,19
173
Philo von Alexandria De Abrahamo (Abr) 135 186 275f 197 276 197 Legum allegoriae (All) I,60f 178 III,97–99 179 De confusione linguarum (Conf) 152 177 163 201 De congressu eruditionis (Congr) 18 25 58 204 De decalogo (Decal) 76–79 182 91 188 De fuga et inventione (Fug) 118 199 Quod Deus sit immutabilis (Imm) 112 177 135 199 De Josepho (Jos) 29
197
Legatio ad Gaium (LegGai) 162f 182 De migratione Abrahami (Migr) 85 204 92 204 139 204 De mutatione nominum (Mut) 158 138 De opificio mundi (Op) 3 197 34 138 69–71 179
287
A. Quellen Quod omnis probus 46 197
1QM 18,7f
193
De posteritate Caini (Post) 173 140
1QpHab 8,1–3 11,13
146 204
1QS 1,6 4,7 4,20 5,4 5,8 8,22f 9,23 11,9–14
192 194 191 192 144 144 201 207
4Q398 14 II,2f 14 II,7f
141 142
4QpNah 3–4 I 6–8
148
11Q19 64,6–13
147f
11QMelch
199
CD 3,5.11 8,8.19 16,4–6 20,29f
192 192 133 191
De praemiis et poenis (Praem) 1 206 41–46 179 105 177 De somniis (Som) I,65f.68f 178 De specialibus legibus (SpecLeg) I,20 179 I,214 177 I,235 199 I,305 204 II,50 186 III,37–39.42 186 De vita contemplativa (VitCont) 25 206 De vita Mosis II,65 II,158
179 176
Psalmen Salomos 2,18 8,7 8,28 13,7 13,8–10 15,4–6 15,8 15,13 17,1
195 179 207 192 192 192 191 192 200
179f 180 180
Ps.-Phokylides 192
10 13,5
178 187 193
187
182
176 199
Testament Hiobs 43,13
Qumranschriften 1QH 5,36
3,8–35 3,594–600 3,704
Testament Abrahams (Rec. A)
Ps.-Philo, De Jona 4–5 §10–19 32 §124 32–35 §125–135
Sibyllinische Orakel
191
Testamente der Zwölf Patriarchen Test. Gad 5,10 Test, Jos 3,8 Test. Lev 3,2
185 186 193
288 Test. Lev 14,5
Register 202
Test. Lev 15,1f
193
5. Aristoteles An. post. I 1,71a1f I 1,71a5–11 I 2,71b17f I 2,71b20ff I 18,81a38–81b2 I 22,82b35–84b2 I 22,84a7–11 I 24,86a22 I 32,88a19–30 II 8,93a1–10,94a19 II 8,93a15 II 19,100b3–5
47 55 47 47, 241 55 31 33 31 31f 60 32 56
An. pr. I 1,24a16–17 I 1,24a17 I 1,24a20–22 I 1,24a24f I 1,24a24 I 1,24a30f I 1,24b12 I 1,24b14 I 1,24b16–18 I 1,24b18–20 I 1,24b20–22 I 2,24b27–30 I 2,24b27 I 2,25a1f I 2,25a6.9 I 4,25b30–26a2 I 4,25b37ff I 4,26a2 I 4,26a9 I 4,26a25.36f I 4,26b3 I 4,26b6 I 5,27a14f I 6,28b21 I 7,29b6 I 10,30b32–40 I 23,41a22–26 I 23,41b1–3 I 25,42a3f
36, 41 44 41 48 48 47 48 78 36f 46 46 52 51 40f, 51 51 52f 51 51 52 51 51 51 111 111 111 46f 110f 53 55
I 27,43a22–24 I 27,43a25–43 I 27,43b4 I 27,43b12f I 30,46a9f I 30,46a28–30 I 33,47b15ff I 38,49a19 I 44,50a39–b2 I 44,50b1–2 II 1,52b38–53b3 II 16,64b28–65a37 II 16,65a36f II 23,68b9ff II 23,68b13f II 23,68b15ff II 23,68b28f II 23,68b9–13 II 23,68b32–37 II 24 II 24,68b38–69a19 II 24,69a2f II 27,70a3–6 II 27,70a7–9 II 27,70a10 II 27,70a11–38 II 27,70a16ff II 27,70a21.26f II 27,70b1–6
52 51 51 51 32 79 51 52 73 80 54 46 32 32 55 56 56 64 55 70 70 70 69 71 68, 69 71 51 51 71
Cael. I 7,275b12
32
Cat. 1,1a1–6 44 7,6a36f 42 9,11b8–15 78 10,11b16–11,14a23 42 10,11b16–22 42 10,11b23–30 42 10,11b31–12a25 42 10,12a26–b5 42 10,12b5–25 42, 45 10,12b14–13a35 42
289
A. Quellen 10,13a36–b35 10,13b10–12 10,13b12–35
42, 45 43 43
De An. I 1,402a–403a
78
EE I 6,1217a17 II 6,1222b38 II 10,1227a10
80 80 80
78 78 78 56 78 78 80 56 78
Int. 1,16a3–18 2,16a19–3,b25 3,16b20f 4,16a27 4,16b33–17a6 5,17a20–22 6,17a26–7,18a12 6,17a31–35 6,17a35–37 7,17a36 7,17a38–18a12 8,18a11f 9,18a27–19b4 10,19b6f 10,19b31 11,20b26 12,21b4 14,23a32f
34–36 37 36 36 36 36, 40 44 44 44 41 44 45 20 41 80 78, 79 45 36
Met. I 1–2 II III 3,1005b19f
78 78 19f
20 20 59 36 42 78 80 42 42 42
MM II 6,1201b25
EN I1 I2 I7 I 7,1098b3–5 II 2 VI 1–7 VI 3,1139b26.32 VI 3,1139b29–32 VII 1,1145b2–7
III 3,1005b23f III 6,1011b13f IV 2,1004b26 IV 29,1024b17–25 V 10,1018a20ff VI 1 VI 12,1037b8 X 3,1054a23ff X 4,1055a38ff X 7,1057a33f
80
Part. an. I1
78
Phys. I1
78
Rhet. I 1,1354a1–1355b25 66f I 1,1354a1–7 20 I 1,1354a14–18 66 I 1,1354a14–16 68 I 1,1354a14 67 I 1,1354a15 67 I 1,1354a21–24 67 I 1,1354b16–22 68 I 1,1354b21f 66 I 1,1355a3–15 66 I 1,1355a7f 67 I2 67 I 2,1355b35–39 65 I 2,1356a1–28 64f I 2,1356b5–7 70 I 2,1356b9 64, 80 I 2,1356b13–17 67f, 70 I 2,1356b16f 66 I 2,1357a3–4.10–11 70 I 2,1357a10–24 70 I 2,1357a13–15.22–36 68 I 2,1357a16–21 69 I 2,1357a22–27 70 I 2,1357a30–34 69 I 2,1357a30 64 I 2,1357a32f 68, 69 I 2,1357a34–b1 69
290
Register
I 2,1357b3–10 71 I 2,1357b10–21 71 I 2,1357b10–13 71 I 2,1357b14–16 71 I 2,1357b15 69 I 2,1357b24f 80 I 2,1357b25–36 70, 70 I 2,1357b25 64 I 2,1357b26–30 70 I 2,1358a12–14 57 I 3,1358a35–1359a29 96 I 3,1359a7–10 68 I 4,1359b9–11 65 I 8,1365b27 36 I 9,1368a29–33 70 II 1,1377b20ff 65 II 2–14 67 II 18,1392a1–4 70 II 20,1393a23f 70 II 20,1393a25ff 70 II 20,1393a27f 70 II 20,1393a29f 70 II 20,1393b3–8 70 II 20,1394a3f 70 II 21,1394a26–28 70 II 21,1394a29–34 69 II 21,1394b8–16 70 II 22,1395b20–24,1402a29 64 II 22,1395b25–27 69, 70 II 22,1396b30 57 II 22,1397a7 57 II 24,1401b10–13.20–22 69 II 25,1402b13f 69 II 25,1402b14–16 69 II 25,1402b15f 68 II 25,1402b16–18 70, 70 II 25,1402b34f 70 II 25,1403a5.12 64, 80 II 26,1403a17f 57 III 17,1418a1–2 70 Soph. el. 1,164a20 1,165a1f 1,165a7 2,165a38–b11 2,165b9 5,167a23–27 10,170b12–14
80 46 35 47 80 44 39
10,171a1–2 11,171b3–172b8 12,172b5 12,172b27 34,183b17–184b8
39 59 80 80 38f
Top. I 1,100a18–21 59 I 1,100a22 32 I 1,100a25–b23 68 I 1,100a25–27 46, 49 I 1,100a27–101a23 47 I 1,100a27–29 47 I 1,100a29f 32, 48 I 1,100a30–100b21 48 I 1,100b21–23 48 I 1,100b23–26 49, 59 I 1,101a3f 49 I 2,101a26–28 59 I 2,101b4 32 I 4,101b24f 60 I 4,101b26–36 58 I 4,101b30f 60 I 4,101b32f 58 I 5,101b38–102a17 61 I 5,101b38 60 I 5,102a18–30 61 I 5,102a18f 60 I 5,102a31–102b3 61 I 5,102a31f 61 I 5,102a34 61 I 5,102b4–26 61 I 5,102b4–7 61 I 5,102b20–26 61 I 10,104a3–11,105a9 58 I 10,104a8–11 48 I 10,104a9f 48 I 11,104b7f 58 I 12,105a13f 55 I 12,105a14–16 55 I 12,105a16–19 56 I 13–18 62f I 13,105a20–25 62 I 14,105a34–105b3 48 I 14,105b16 62 I 14,105b20f 62, 78 I 14,105b30f 62 I 17,108a7–18,108b31 55 I 18,108a23 58, 77
291
A. Quellen II 2,109b13–29 124 II 2,109b18f 42 II 3,110a23–110b7 125 II 4,111b17–23 124f II 5 80, 125 II 8,113b15–114a25 42 II 8,113b15 42 V 1,128b34–129a5 61 VI 6,143b3–10 62 VII 60 VII 3,153a24f 79
VII 5,155a36f 57 VIII 58 VIII 1,155b5f 59 VIII 1,155b10f 59 VIII 5,159a25–b35 47 VIII 11,162a11 80 VIII 13,162b31–163a13 VIII 13,162b32 80 VIII 14,163b3f 59 VIII 14,163b9 77
6. Weitere antike pagane Autoren Alexander von Aphrodisias
V,12
74
In An. Pr. Comm. 1,3–6,14 69,26–70,21 124,8–13 326,22–25 389,31–390,9
Orator 32,113f 32,114f
65 87
Part. Orat. 13,46
66
Top. 1,3 2,7 13,55 12,53–14,57
72 57 67 86
Tuscul. disput. I 29,70 IV 14,33 IV 20,45
178 31 199
31 73 73 73 73
Boethius Cic. Top. 355–358 86 In Cat. Arist. IV 42, 72 Cicero Acad. 2,119 2,143
74 81, 83
Catil II,6,13
199
De legibus I,6,18
197
De Orat. II,121 II,115 II,128 II,152 II,160 II,310
66 66 66 76 76 66
Fin. I,22 III,10 IV,9
Curtius Rufus Hist VI,10,14 Dio Chrysostomus orat. 33–34
31 76 87
199
24
Diodorus Siculus IV,65,7
199
Diogenes Laertios V1 V 22–27 V 42–50 VI 65 VII
27 74, 77 29 82 29
46
292 VII 41.43 VII 45 VII 57 VII 65 VII 71 VII 75 VII 79 VII 80f VII 180 VII 187 VII 189–202 IX 13
Register 32 84 38 83 82 84 85 85 88 49 87 3
Dionysius Halic. Lys. 19,1–4
66
Epiktet Diss. I,4,6–9 I,4,11f I,7 I,7,5–12 I,7,32 I,8,1–3 I,17,22–24 I,26,9 II,13,21 II,19,8–10 II,20,2f II,23,41 II,25 III,2,1–4 III,2,6 III,2,7 III,6,1-3 IV,1,61
90 90 89f 25 89 90 90 90 25 90 90 90 90 90 90 90 25 90
Ench 52
90
217 225 252 476 696 874 878 914 915 952 1036 1037 1119 1131 1138 1140 1152 1153 1212 1244–1246
86 81 87 38 83 82 38 81, 82 81 81 85 84 86 85 86 86 86 86 82 49
Fronto, De eloq. (A: van den Hout; B: Haines) 2,13 (A) = 1,14 (B) 2,14f (A) = 1,15f (B) 2,17 (A) = 1,18b (B) 4,5 (A) = 3,4 (B) 5,4f (A) = 4,3f (B) Galen Inst. Log. 3,3–5 5,3f 6,7 15,1–11
73 86 86 86
De libri propriis 11
81
Heraklit Fragmente zur Dialektik der Stoiker (FDS) 1–26 15 33–43 33 38 67 154 194
32 32 33 32 65, 87 37f 88 87
88 88 88 88 88
Ep. 1,1
3
Julian, C. Gal 100A 106B 319E
3 3 2
293
A. Quellen Livius XXXIII,28,14
Ps.-Plutarch 199
De plac. philos. 874E (= FDS 15)
32
Lukian Amores 28 Dialog. meret. 5,2
187 187
Marc Aurel I,17,22 VII,67,3 VIII,1,5
Porphyrius Vit. Plot. 24
77
Rhetorica ad Herennium 88 88 88
1,2 2,1
96 96
Quintilian, Inst. Minukianos Epich. 1
66
Platon Apologie 27d.e Soph. 253b.c Tim. 28a–30c Tim. 32a–35a Theaithetos 164a.b
111 58 178 178 111
Plinius, d. Jüngere Ep I,5,8
199
Plutarch De Stoic. repugn. 9,1035C 24,1045F–1046A
197 86
Lycurgus 18
187
Mor. 398A 665A
179 179
Polybius XII 12,10
179
Ps.-Aristoteles, De Mundo VI 339b,14ff VI 397b–398b
179 178
I,10 III,4,3f III,5,2 V, pr. 1; 8,3 V,10 V,10,1 V,10,20 V,11,6 V,13,46 VIII, pr. 7 VIII,5,9 IX,2,4; 4,4 X,1,119; 2,27 XI,1,6 XII,2,11; 10,43.59
24 97 66 66 237 67 57 70 199 66 67 66 66 66 66
Seneca Ep. I 12,9 V 43,4 V 43,5 V 45 V 45,8 V 45,10 V 45,13 V 48,6f V 49,5 V 49,6 V 49,7 IX 87,11–41 X 82,8f.19 XVII–XVIII 105,8 XIX–XX 113,25f XIX–XX 122,14
199 199 199 88 89 89, 89 88 89, 89, 89 89 78 88 89 89 199 89 199
294 De Ben. III,1,4
Register Pyrrhoniae Institutiones II 29 II,104 38
199
Sextus Empiricus Advers. Math. VIII VIII,11f VIII,224–227
Strabo 29 37f 85
Geogr. XIV,5,13
24
7. Antike christliche Autoren Abaelard Exp. in Epist. ad Rom 2,1 220
In Ep. Gal. Com. 3,1
130f
Laud. 5
5
Apokalypse Petri 32
Justin
187
Dialog mit Tryphon 80,4 102 94,5–95,1 142
Augustin Contra litteras Petiliani III, 46(55)–47(57) 113
Makarius Magnes
De Doctrina Christiana II 31(49),119–32(50),121 113 II,31(49),119f 106 II,32(50),121 8 Epistulae Senecae ad Paulum Ep. 9 Ep. 13
4 4
Ignatius Eph 6,1
145
Apokritikos (Ps.-Porphyrius) III, 33 2 III, 35 1 Origenes Comm. in Ep. ad Rom. I praefatio 3f C. Cels I4
198
Philoc. 9,3
4, 227
Johannes Chrysostomus Hom in 2 Cor. 21,4
Photios 5
Quaestiones ad Amphiliochium 92 6
B. Autoren und Autorinnen Abitbol, M. 236 Achtemeier, P.J. 3 Ackrill, J.L. 39, 79
Adrados, F.R. 167 Albrecht, C. 10 Aletti, J.-N. 95, 98, 189
B. Autoren und Autorinnen Allo, E.-B. 108 Anderson, R.D. 96, 97, 98, 129, 130, 167 Arnauld, A. 16 Asher, J.R. 102, 122 Aune, D.E. 14 Avemarie, F. 135, 184 Ax, W. 34, 36, 87 Ayers, R.H. 8 Baasland, E. 6 Bachmann, M. 14, 19, 95, 99, 104, 105, 108, 109, 110, 112, 113, 117, 122, 123, 141 Bachmann, Ph. 107, 108 Baldassarri, M. 29 Barclay, J.M.G. 133, 200, 203 Barnes, J. 27, 33, 34, 38, 41, 47, 72, 73, 74, 80, 81, 83, 84, 85, 87, 88, 89, 90 Barr, J. 197 Barrett, C.K. 107, 108, 134, 135, 140 Barth, K. 10, 11, 95, 125 Basevi, C. 171, 174 Bassler, J.M. 189, 195, 221 Bauer, C.L. 12, 134, 154, 161 Bayer, K. 7, 16 Becker, A. 38 Becker, J. 134, 140, 143, 164 Bell, R.H. 171, 172, 175, 177, 178, 189, 196, 200, 205 Berger, K. 110, 133, 147, 193 Berka, K. 15 Berkley, T.W. 200 Betz, H.D. 128, 129, 130, 131, 134, 135, 136, 137, 139, 140, 143, 144, 145, 146, 147, 151, 157, 158, 160, 161 Bindemann, W. 168, 189 Binder, H. 95 Black, D.L. 28, 64 Blaschke, A. 203 Blau, U. 20 Bobzien, S. 27, 33, 34, 38, 72, 80, 81, 83, 84, 85 Bochenski, J.M. 11, 27, 29, 31, 39, 42, 72, 73, 81, 83 Bockmuehl, M.N.A. 171, 178, 197 Boer, M.C. de 104 Bonitz, H. 32 Bonnard, P.E. 134, 140, 144 Bonneau, N. 128, 129, 130, 140, 141, 143, 144
295
Börner-Klein, D. 237 Bornkamm, G. 171, 176, 196, 197 Bosman, P. 190 Bouillard, H. 11 Boyarin, D. 128, 129, 143, 144 Brandis, C.A. 78 Braun, H. 107, 112, 113 Brinsmead, B.H. 130 Brondos, D. 147 Bruce, F.F. 134, 137, 138, 143, 144, 165 Brun, G. 92 Brunschwig, J. 67 Bryant, R.A. 129 Bucher, T.G. 8, 11, 14, 15, 16, 19, 22, 40, 67, 90, 95, 108, 109, 110, 112, 113, 114, 115, 117, 121, 122, 123, 216 Buddensiek, F. 28, 39 Bühler, A. 16 Buldt, B. 241 Bultmann, R. 6, 178, 190, 199, 208, 232 Bünker, M. 96, 97, 99, 112 Burnyeat, M.F. 47, 63, 67, 68, 69 Burton, E.D.W. 133, 134, 143 Byrne, B. 143 Campbell, D.A. 168, 171 Campbell, W.S. 205 Carras, G.P. 189 Chance, J.B. 154 Christes, J. 24 Classen, C.J. 96, 130 Cohen, R.E. 235 Colish, M.L. 90 Collins, J.J. 197, 203 Conzelmann, H. 95, 105, 107, 108, 112, 114, 126, 174 Cooper, J.M. 66, 67 Cosgrove, C.H. 205 Cranfield, C.E.B. 141, 172, 173, 174, 178, 179, 185, 196, 197, 199 Cranford, M. 128, 141, 143, 144, 145, 159, 160 Cribiore, R. 24 Dahl, N.A. 147 Dalferth, I.U. 10 Dassmann, E. 3 Debanné, M.J. 14 Denniston, J.D. 153 DePalma Digeser, E. 2
296
Register
Derrett, J.D.M. 202 Dieter, T. 9 Dodd, C.H. 198 Donaldson, T.L. 128, 147 Donelson, L.R. 14 Döring, K. 80, 81 Dörrie, H. 72 du Toit, A.B. 24 Dunn, J.D.G. 128, 134, 141, 143, 144, 145, 160, 169, 174, 176, 177, 178, 182, 184, 227, 228, 241 Düring, I. 27, 28, 34, 37, 39, 46, 55, 57, 58, 60, 77, 78, 79
Gabriel, G. 63 Gale, H.M. 6 Garlington, D.B. 128, 202 Gathercole, S.J. 189 Gerth, B. 153 Gigon, O. 72 Goppelt, L. 200 Gräbe, P.J. 181 Graeser, A. 29, 38, 73, 81 Greive, H. 72 Grimaldi, W.M.A. 63, 65, 66 Groneberg, M. 20 Grosvenor, M. 174
Ebbinghaus, K. 38 Ebeling, G. 131, 139 Ebert, Th. 29, 39, 80, 81 Eckstein, H.-J. 128, 134, 136, 137, 138, 139, 143, 160, 171, 174, 175, 176, 189, 198, 230 Egli, U. 80 Engberg-Pedersen, T. 26, 90 Englebretsen, G. 36, 41 Eriksson, A. 96, 98, 100, 106 Espy, J.M. 145
Haacker, K. 23, 175, 187, 189 Haaland, G. 197 Habermann, J. 236, 237 Hagenbichler, E. 165 Hager, F.-P. 38 Hall, D.R. 205 Hall, R.G. 130 Hamerton-Kelly, R.G. 160 Hanse, H. 145 Hansen, G.W. 128, 133, 134, 143, 154 Harl, M. 4 Harnack, A. (von) 1, 134, 246 Hasler, V. 110 Hays, R.B. 128, 134, 137, 146, 165, 205 Headlam, A.C. 202 Heckel, U. 169 Heffening, W. 72 Heiligenthal, R. 141, 193 Heine, R.E. 8, 90 Heinrici, C.F.G. 98, 99 Hellholm, D. 14, 167 Hengel, M. 23, 24, 203 Héring, J. 110 Hester, J.D. 130, 238 Hock, R.F. 24, 25 Höffe, O. 27, 40, 48, 50, 52, 57, 77, 78 Hoffmann, F. 9 Hoffmann, P. 104 Hofius, O. 104, 205, 207, 210 Holleman, J. 95, 110 Holloway, P.A. 14 Holtz, T. 171 Hong, I.-G. 128, 134, 143, 144, 147 Hooker, M.D. 178, 182 Horn, F.W. 203 Horsley, R.A. 197
Fanning, B.M. 180 Fee, G.D. 100, 101, 107, 108, 122 Fenske, W. 1, 6, 12, 14, 88 Feuillet, A. 205 Fiedler, P. 177 Fisher, A. 16 Fitzmyer, J.A. 134, 147, 170, 173, 174, 176, 177, 179, 181, 182, 184, 190, 194, 195, 196, 197, 199, 202, 209, 210 Flashar, H. 27, 49, 57, 58, 59, 60, 77, 78 Fohrer, G. 137 Føllesdal, D. 7, 66 Forschner, M. 187, 188, 197 Fortenbaugh, W.W. 29, 73 Foucault, M. 186 Frank, G. 9 Frede, M. 80, 81, 82, 83, 87, 89, 184 Fredrickson, D.E. 186 Frege, G. 12, 15, 16, 51, 52, 72 Fried, J. 64 Friedrich, G. 138 Fritz, K.v. 55 Fung, R.Y.K. 139, 143
B. Autoren und Autorinnen Hotze, G. 13 Hoyningen-Huene, P. 15, 17, 19, 22 Hübner, H. 143, 210 Huby, P.M. 78 Hughes, F.W. 96 Hülser, K. 29, 80, 81 Hyldahl, N. 182 Ierodiakonou, K. 27, 80 Instone Brewer, D. 237 Ito, A. 196 Jacobs, L. 236, 237 Jaeger, W.W. 78 Jeffner, A. 11 Jegher-Bucher, V. 129 Jeremias, J. 105, 209 Jervell, J. 206 Jewett 167 Jones, H.O. 11 Kampen, J. 141 Kant, I. 18, 40, 53 Kapp, E. 27, 32, 34, 48, 59 Käsemann, E. 169, 174, 190, 198, 199, 205 Keck, L.E. 205 Keller, W. 207 Kennedy, G.A. 25, 238 Kertelge, K. 136, 139, 146, 172, 174, 178 Khoury, A.-T. 72 Klauck, H.-J. 96, 98, 130 Klein, G. 169 Klein, W. 7 Kloppenborg, J.S. 99 Klostermann, E. 171, 172, 185 Kluxen, W. 72 Kneale, W. & M. 9, 27, 39, 83, 111, 113 Koch, D.-A. 134, 135, 210 Konradt, M. 128, 133, 134, 173, 174, 175, 177, 184, 185, 188, 193, 195, 196 Kraemer, J.L. 236 Kraus, M. 63, 67, 68, 69 Kreiser, L. 15 Kremendahl, D. 24, 96, 129, 130 Kropac, U. 10 Kühner, R. 153 Kuhr, F. 196, 197 Kuropka, N. 9
297
Kuss, O. 174, 196 Lambrecht, J. 128, 139, 143, 161 Lampe, P. 14, 128, 129, 144, 146, 159, 160, 161, 162, 165, 229, 230 Lang, F.G 115 Lang, F.G. 103 Lausberg, H. 7, 166, 239 Lear, J. 38, 50, 51 Lee, T.-S. 29 Lehmann, K. 99 Leisegang, H. 12 Lewandowski, Th. 118 Lewis, S.M. 106 Lichtenberg, H.-G. 16 Lietzmann, H. 4, 134, 143, 165, 174, 190 Lightfoot, J.B. 134, 136 Lindemann, A. 3, 101, 102, 105, 106, 107, 108, 110 Lindgren, U. 24 Litfin, D. 96 Lohse, E. 137, 176, 179, 180, 190, 197, 209 Longenecker, R.N. 130, 131, 133, 134, 136, 139, 142, 143, 147, 148, 154 Lorenz, K. 20, 27, 84 Löwy, M. 144 Lührmann, D. 165 Lukasiewicz, J. 19, 38, 40, 50, 53, 86 Luz, U. 114, 131, 139, 143, 144, 166, 184, 205, 209, 231 Lyonnet, S. 200 Lyons, G. 103, 133 Maccoby, H. 237 Mack, B.L. 97, 108 Macquarrie, J. 10, 232, 235 Maertens, P. 189 Maier, H. 38 Malherbe, A.J. 24, 206 Man, P. de 63 Marcus, J. 203 Martens, J.W. 189, 196, 197 Martin, J. 7, 65, 66, 70, 111, 196 Martyn, J.L. 134, 135, 136, 137, 139, 140, 151, 155 Matuschek, S. 111 Mau, J. 30 Maurer, C. 6
298 Mayordomo Marín, M. 6, 22, 23, 26, 78, 177 Menne, A. 38, 39, 40, 41 Merklein, H. 6 Metzger, B.M. 134 Michel, O. 103, 174, 177, 190 Mignucci, M. 27, 33, 34, 38, 72, 81, 83, 84, 85 Mitchell, M.M. 5, 96, 97 Molendijk, A.L. 10 Moore, G.F. 129, 144 Moores, J.D. 13, 214 Moraux, P. 72, 74, 75, 76, 77, 88 Morgan, T. 24 Morland, K.A. 128, 129, 134, 142, 150, 157, 159, 161, 162 Moscovitz, L. 237 Mueller, I. 87 Mühling-Schlapkohl, M. 8, 11, 14 Müller, H. 237 Müller, P.-G. 178 Mussner, F. 129, 131, 132, 143, 144, 145, 150 Nagel, T. 20 Neuhaus, F. 233, 234, 235 Neusner, J. 236 Neyrey, J.H. 24 Nietzsche, F. 26 Nock, A.D. 4, 231 Nolting, T. 23 Norden, E. 1, 4, 98, 197 Noth, M. 143 Nutton, V. 30 Nygren, A. 232, 233 O’Neil, E. 25 Oeing-Hanhoff, L. 241 Oepke, A. 107, 143 Öffenberger, N. 39, 40 Olbricht, T.H. 239 Opelt, I. 132 Osborn, E. 8 Pannenberg, W. 11 Patterson, R. 39 Patzig, G. 16, 38, 40, 46, 50, 52, 53, 111 Paul, G. 20 Pelser, G.M.M. 128, 134, 136, 144, 154 Perelman, C. 7
Register Pesch, W. 174, 176 Petrus, K. 57 Piper, J.F. 205, 208 Plummer, A. 99, 102, 105, 107, 108, 110, 115 Pogoloff, S.M. 96 Pohlenz, M. 188, 197 Popkes, W. 171, 181, 183, 185, 212 Porter, C.L. 168, 171 Porter, S.E. 96, 180 Prantl, C. 27, 53, 73, 86 Primavesi, O. 39, 46, 47, 48, 57, 58, 59, 60 Probst, H. 96 Radl, W. 134 Rahlfs, A. 211 Räisänen, H. 143, 166, 196, 205 Raymond, J.C. 70 Read, S. 16, 19, 156 Rechenauer, G. 24 Reicke, B. 197 Reinbold, W. 128, 136, 142, 144, 154, 158, 160, 165 Renshaw, J. 14 Rescher, N. 111 Ricœur, P. 63, 238 Risse, W. 31, 32 Ritschl, D. 11, 232, 240 Robertson, A. 99, 102, 105, 107, 108, 110, 115 Rohde, J. 139, 143 Ross, W.D. 53, 55, 56 Runia, D.T. 72 Sabugal, S. 104 Sainsbury, R.M. 92 Salmon, W.C. 16, 111 Samely, A. 237 Sanday, W. 202 Sandbach, F.H. 87 Sanders, E.P. 128, 129, 143, 144 Sänger, D. 147, 205 Saw, I. 96 Schäfer, R. 72 Schärtl, T. 10 Scheffler, U. 233, 234, 235 Schenke, H.-M. 173, 174 Scherb, J.L. 92 Schlatter, A. 110, 177
B. Autoren und Autorinnen Schleiermacher, F.D.E. 10 Schlier, H. 131, 134, 139, 140, 144, 190 Schmeller, T. 6, 24, 26, 166, 171, 172, 176, 185, 188, 189, 190, 191, 193, 222 Schmithals, W. 101 Schnackenburg, R. 198 Schneider, E. 236 Schneider, N. 6 Schnelle, U. 24, 241 Schoeps, H.-J. 128, 129, 143 Scholz, H. 10, 11, 235 Schoon-Janssen, J. 130 Schrage, W. 95, 98, 99, 101, 102, 105, 106, 107, 108, 110, 112, 113, 115 Schreiner, T.R. 141, 159 Schröder, B.-J. 132 Schroeder, P. 20 Schröer, H. 11, 232 Schröter, J. 173 Schulz, S. 171, 172, 212 Schüssler Fiorenza, E. 96 Schwarz, A. 235, 237 Schweinfurth-Walla, S. 63, 70 Schweizer, E. 137 Scott, J.M. 128, 142, 143 Seely, D.R. 204 Seifrid, M.A. 136 Sellin, G. 95, 101, 102, 103, 104, 114 Sharples, R.W. 29 Shramko, Y. 233, 234, 235 Sieffert, F. 136, 139, 140, 143, 160 Siegert, F. 1, 6, 7, 21, 110, 166, 188, 209, 222, 232, 237, 239 Sion, A. 235, 237 Slomkowski, P. 58, 59 Smit, J. 129, 130 Smith, R. 38, 49, 57, 59, 60, 61 Snodgrass, K.R. 189, 193 Solmsen, F. 38, 67, 78 Sorabji, R. 29 Spanje, T.E. van 14 Speca, A. 80 Spörlein, B. 95, 103, 110, 112 Sprute, J. 63, 65, 67, 69, 71 Stamps, D.L. 239 Stanley, C.D. 128, 131, 136, 142, 143, 144, 161 Stanton, G. 143 Starnitzke, D. 14 Steinmetz, P. 25, 37, 81, 82
299
Stendahl, K. 145 Stenger, W. 110 Stich, S.P. 17 Stock, E. 10, 14 Stowers, S.K. 6, 24, 189, 195, 205 Strecker, G. 23 Stuhlmacher, P. 138, 172, 173, 174 Sumney, J.L. 239 Thiel, C. 45, 111 Thiselton, A.C. 95, 98, 102, 103, 105, 107, 108, 115, 123 Thom, P. 39 Tomson, P.J. 187 Tuckett, C.M. 95, 102, 103 Tugendhat, E. 16, 34, 45 Ulmer, R. 189 Ulrich, H.G. 11 Ulrichsen, J.H. 103 van Unnik, W.C. 24 Vegge, T. 24, 25, 26 Verburg, W. 107 Vollenweider, S. 114 Volp, U. 1, 2 Vos, J.S. 6, 95, 102, 108, 113 Vouga, F. 130, 133, 134, 161 Walter, N. 169 Wanamaker, C.A. 96 Waszink, J.H. 72 Watson, D.F. 97, 238 Watson, N.M. 193 Wedderburn, A.J.M. 102, 103, 180, 182 Weidemann, H. 28 Weil, E. 79 Weiß, J. 108, 110, 112, 238 Whitsett, C.G. 189 Widmann, P. 10 Wieser, F.E. 133 Wilckens, U. 169, 170, 172, 173, 174, 177, 190, 193, 212 Wilcox, M. 147 Williams, S.K. 134, 142, 160 Wisdom, J.R. 135, 142 Wisse, J. 66 Witherington, B. 95, 98, 99, 102, 103, 125 Wolf, U. 16, 34, 45
300
Register
Wolff, C. 101, 107, 108, 115 Wonneberger, R. 6 Wörner, M.H. 63 Wright, N.T. 128, 143, 189 Wuellner, W. 23, 167 Wyss, B. 6
Zedda, S. 174 Zekl, H.G. 28, 31, 58, 61, 72, 124, 125 Zeller, D. 184, 198 Zerwick, M. 174 Ziegler, K. 5 Zimmer, Chr. 95, 108, 109, 122 Zimmermann, M. 30
Yinger, K.L. 189, 193, 194 Young, N.H. 128
C. Griechische Begriffe a˙tiáomai 167 halássw 182435 analutikóß 3121, 33 haph ohuranoü 175f hapófasiß (hapófansiß) 3637 ‘ara 136, 153f dialektik´j 32f dikaiosúnj qeoü 172f, 208568 dikaiów 196509 dialektik´j 32f dió 190474 ‘eqnj 169354 ‘endoxa 48, 62, 69192 hepagwg´j 55 ‘erga nómou 141 Óerosuléw 202539 kaq´wß 134f
logik´j, logikóß 31f lógoß 64170 méqodoß 59 ‘onoma 36f ‘orexiß 187 “oroß 3638, 4674 páqjma 3632 paradídwmi 183f, 185448 Hr¨jma 36f sullogismóß 46f tíqjmi / keïmai 4673 tópoß 57 Hupò katáran 142f cr¨jsiß 186457 “wste 156 ‘wfqj 10039
D. Sachen und Namen Abaelard 833 afortiori-Schluss 237 Akzidenz 61 Alexander von Aphrodisias 29 Analytik 50–56 Andronikos von Rhodos 76f Apuleius von Madaura 30, 45 Argumentation 7 (s.a. Logik und Argumentation) Aristoteles 15f, 27f, (s.a. Logik, aristotelische) Aristoteles-Kommentare 2911 Aristotetelismus 72, 74–77
Auferstehung Jesu / der Toten 95ff Augustin 8 Aussage 17, 36–38, 82–84 – disjunktive Aussage 82f – implikative Aussage 82f – konjunktive Aussage 82f – universale / partikuläre Aussage 41 Axiom 241 Barth, K. 10 Bauer, C.L. 12 Bildung, antike 24–26 Bochenski, J.M. 11
D. Sachen und Namen Boethius 833, 45, 72 Bucher-Bachmann-Kontroverse 14, 108– 110 Clemens Alexandrinus 832 Chrysipp 29f, 81, 86–88 Cicero 76 contingentia futuri 2019 Definition 60f Dialektik 48, 57–59 Duns Scotus 833 Enthymem 13f, 48, 63–71, 154, 223618 Enzyklopädie 619 Epiktet 89f Ethos 100 (s.a. Überzeugungsmittel) exemplum, s. Pardeigma Frege, G. 1255, 15f, 51101 Galen 30 Gattung 61 Gegensatz, konträr und kontradiktorisch 42–45, 140, 158f, 181f, 194 (s.a. Quadrat, logisches) Gesetz, s. Torah Gott, Gotteserkenntnis 51100, 178–181, 197f, 241 Historische Fragestellung 21f homonym 4467 Homosexualität 186454, 187 Horn-Paradox 4987 Hotze, G. 13 Implikation, logische 82f, 113f, 121f Individualaussage, s. Singuläraussage Indiz 71 Induktion 55f kal wahomer, s. afortiori-Schluss Leisegang, H. 12 Logik – Alltagsgebrauch 13, 17f, 113 – antike Logik 22f, 24–26, 26ff – aristotelische Logik 25113, 33–37–80 – Aussagen- oder Satzlogik 34 (s.a. stoische Logik)
301
– Autarkie der Logik 26 – Bedeutung 30–33 – deontische Logik 1780 – Formalisierung 18f, 91–94, 233f – indische Logik 272 – Klassische Logik 15–20 – Logik und Argumentation 16, 1883, 21, 49, 58, 84–86 – Logik und Paulusexegese 12–15, 1987, 20–26, 123, 164–166, 228–232 – Logik und Rhetorik 2093, 24f, 47, 63– 71, 238f – Logik und Sprache 15f, 93f, 229f – Logik und Theologie 8–15, 51100, 218607, 232–235 – logische Gültigkeit 16, 22, 94, 233 – mehrwertige Logik 2019 – Modallogik 1780, 40f, 83f, 227, 231 – rabbinische Logik 235–237 – stoische Logik 25f, 34, 37f, 80–90 – Term- oder Prädikatenlogik 33f – Universalität der Logik 2093 Luther, Martin 9 Macquarrie, J. 232 Maimonides, M. 236 Marc Aurel 88 Makarius Magnes 1f Mehrdeutigkeit 62 (s.a. homonym) Melanchthon 9 modus ponens 85, 218, 226, 228 modus tollens 85, 108f, 122f, 126f Moores, J.D. 13 Natur 178, 187, 196f Negation 4363, 44 Nietzsche, F. 26118 Nygren, A. 232f Notwendigkeit, logische 4676 Objekt- und Metasprache 118f Ockham, Wilhelm von 833, 934 Organon 28, 77–80 Origenes 832 Paradeigma 70, 135, 137 Pathos, s. Überzeugungsmittel Paulus – antipaulinische Polemik 1–3 – Argumentation 6f, 208571, 222, 2329
302 – biographische Frage 23–26 – Stil 11, 166 – Theologie 7, 239–241 – Wirkungsgeschichte 1–7 Peripatos, s. Aristotelismus Persuasion, s. Überzeugungsmittel petitio principii 46, 149 Petrus Ramus 9 Porphyrius 25, 72 Prämisse 62 Proprium 60f, 124 Quadrat, logisches 45 Ritschl, D. 1149, 232 reader entrapment 189 reductio ad absurdum 54115, 110–112 reductio ad impossibile 110–112 Rhetorik, rhetorische Analyse 13f, 63159, 96–99, 129–131, 238f (s.a. Logik und Rhetorik) Satz vom ausgeschlossenen Dritten 19, 116134, 227629 Schleiermacher, F.D.E. 10 Schluss(folgerung) 16f, 46–52 Scholz, H. 10f Schriftzitate 138f, 145f, 147f, 149, 170, 207, 210f Selbstreferentialität 302 Seneca 88f Singuläraussage 51, 68, 117
Register Sprachtheorien, antike 34–38, 81–84 Syllogismus 46–52, 69186 – hypothetischer Syllogismus 73 synkategorematisch 1677 Tarsus 25f Term(e) 52f Tertullian 832 Theophrast(us) 29, 72–74 Thomas von Aquin 833, 72 Topik 57–63, 124–126 (s.a. Dialektik) Torah 411, 140f, 143–145, 159f, 200– 202, 223f Traditionen als Prämissen 100, 170 Überzeugungsmittel (Logos, Pathos, Ethos) 64–67, 98f, 112, 120, 225 Übungsgespräche, s. Dialektik Verbalaspekt 180 Wahrheit, wahrheitsdefinit 17, 19, 23, 51, 59, 82f, 106, 177, 216 Wahrheitstafel 83, 216 Weiß, Johannes 110 Widerspruch (Satz vom W.) 19f, 56124, 227f, 240f Zeitebene 231 Zorn Gottes 173–176 Zweiwertigkeit 19, 2019