Asyl für die Killer-Lady Ein neuer faszinierender Western von Glenn Mortimer scanned by: crazy2001 @ 01/04 corrected by...
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Asyl für die Killer-Lady Ein neuer faszinierender Western von Glenn Mortimer scanned by: crazy2001 @ 01/04 corrected by: mm
John Morgan saß auf der Veranda des Haupthauses, als ein Einspänner in den Hof der Skull einbog. Mit schriller Stimme schrie eine Frau auf das vor Erschöpfung taumelnde Pferd ein. Vor der Veranda warf die Unbekannte die Peitsche weg und sprang vom Kutschbock. Mit keuchendem Atem stolperte die Frau auf den Ranchboß zu. „Schnell!“ rief sie. „Schafft den Wagen weg, und versteckt mich im Haus! Die Kerle sind hinter mir her!“ In der Ferne dröhnten dumpfe Schüsse. Gewehrfeuer ...
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John Morgan war aufgesprungen. Das Klirren des Einspänners und die schrille Stimme der Frau hatten auch die übrigen Männer von der Skull alarmiert. Wer sich überhaupt auf der Ranch aufhielt, kam angerannt. Doc Smoky erschien mit seinem alten speckigen Lederhut auf dem Kopf. Er machte eine tiefe Verbeugung vor der Brünetten, die sich von der Bank des Einspänners heruntergeschwungen hatte. „Ma'am ...“ Der Ranchboß sah Brazos und Shorty über den Hof rennen. Beide trugen Gewehre. „Ich flehe euch an, versteckt mich!“ rief die Frau. Sie wußte nicht, an wen sie sich wenden sollte. Sie taumelte Brazos und Shorty entgegen. Die dunkle Stimme des Bosses klang bei der Veranda auf. „Shorty! Bring das Pferd weg! Stell es in den Stall zu den anderen. Und du, Brazos, schaff den Einspänner außer Sicht. Hinters Haus oder sonst wohin. Stark genug bist du ja dafür. Und legt eure Gewehre ab. Gebt sie mir, ich bringe die Waffen ins Haus!“ Die Brünette warf einen dankbaren Blick auf John Morgan. Dieser Mann verstand die Situation und handelte dementsprechend. Doc Smoky verzog sich hinter die Hausecke. Er war beleidigt. Der Boß schien ihn nicht gebrauchen zu können. Aber Smoky blieb in der Nähe. Die Gewehrschüsse klangen immer näher auf. „Kommen Sie“, rief Morgan der Frau zu und streckte die Hand aus. „Ins Haus mit Ihnen, Lady! Und verhalten Sie sich -2-
ruhig. Ich werde die Kerle schon von meinem Land jagen.“ „Mister, ich ... die Meute will mein Leben ...“ „Später, Ma'am! Erzählen können Sie immer noch.“ Er stieß mit dem Fuß die Verandatür auf, beförderte die Fremde nach drinnen und zog die Tür wieder zu. Dann setzte sich John Morgan wieder in seinen Schaukelstuhl und tat so, als wäre nichts vorgefallen. Shorty hatte schon den Braunen aus dem Geschirr genommen. Er verschwand mit dem Pferd im nahen Stall. Fluchend warf sich Brazos zwischen die Deichseln des Einspänners. „Bin ich ein Karrengaul, verdammt?“ Er warf einen wütenden Blick zu John Morgan, der diesen Blick grinsend zurückgab. Und Brazos zog den Einspänner vor der Veranda weg, karrte um das Haupthaus und steuerte die Wagenremise an, die gegenüber dem Küchenhaus lag. Die Gewehre von ihm und Shorty glänzten in der Sonne. John Morgan hatte sie auf den Stufen der Veranda liegen lassen. Auf der Ranch kehrte wieder Ruhe ein. Aber diese Ruhe war trügerisch. Zwar war inzwischen das Gewehrfeuer verstummt. Dafür aber näherte sich donnernder Hufschlag. Es mußte eine ganze Meute von Reitern sein. Sie kamen durch die Schlucht, den Trau entlang, der nach einem Tagesritt nach Golden City führte. John Morgan erwartete die Kerle. Mochte geschehen, was wollte. Auf dieser Ranch war er der Boß. Und der erste, der durch das Tor ritt - unter jenem Querbalken hindurch, den ein mächtiger Bullenschädel zierte - der erste -3-
Störenfried mußte sich schon einen verdammt guten Grund einfallen lassen, warum er in den Hof der Skull eingedrungen war. Und da kamen sie. Ein gutes Dutzend Männer auf galoppierenden Pferden. Der Hauptteil der Meute raste am Tor vorbei, wurde langsamer und hielt an. Nur zwei Mann bogen ab und preschten in unvermindertem Tempo bis vor die Veranda. Dort sprangen die beiden aus den Sätteln. Morgan brachte seinen Schaukelstuhl in gleichförmige Schwingbewegungen und verhielt sich ruhig. Sollten die beiden Eindringlinge doch das Gespräch eröffnen . .. *** „Mister! Wir suchen eine Frau! Sie muß hier vorbeigekommen sein. Mit einem Einspänner. Wir sind seit heute früh hinter ihr her .. .“ „Na und?“ brummte John Morgan. „Was geht mich das an?“ „Haben Sie die Frau gesehen? Wohin ist sie gefahren?“ „Das sind schon zwei Fragen, Gentlemen! Welche soll ich zuerst beantworten?“ Die beiden Fremden warfen sich sonderbare Blicke zu. „Wo ist sie?“ fragte der eine drohend. Er war ein breitschultriger, verwegen wirkender Mann mit rötlichem Vollbart. Dafür war sein Kopf fast kahl. Nur ein ebenfalls fuchsiger Haarkranz reichte ihm am Hinterkopf von Ohr zu Ohr. Er trug keinen Hut. Auf -4-
seiner verlängerten Stirn glänzten feine Schweißperlen. John Morgan schätzte den Kerl auf Mitte vierzig. Der andere war kleiner und jünger. Er war glattrasiert. Zumindest war er das am Vortag noch gewesen. Nun zeigte sich an der Wölbung seines harten Kinns ein bläulicher Schimmer. Er hatte harte Augen, die den Ranchboß mißtrauisch musterten. „Sagen Sie uns, wo Brenda Lee geblieben ist, Mister. Dann reiten wir weiter.“ „Brenda Lee? Wer ist das denn?“ „Stellen Sie sich nicht dumm, Mister! Sie ist hier vorbeigekommen. Wir wissen es.“ Er blickte sich um und verfolgte mit den Augen die schmalen Spuren des Einspänners im Sand. Sein Kumpan tippte sich an die Stirn. „Wir sind doch nicht blöd, Mister! Wir wissen verdammt gut, daß sie hier ist! Hier auf dieser Ranch!“ „Und wir werden uns nun ein wenig umsehen“, fügte der Jüngere hinzu. „Keiner wird sich hier umsehen!“ fuhr John Morgan hart dazwischen. „Verschwindet von meinem Grund und Boden! Haut ab, oder ich lasse den Hund frei!“ „Dann werden Sie bald einen toten Hund haben, Mister! Ich sagte, wir sehen uns um. Mein Riecher läßt sich nicht betrügen! Brenda ist hier auf dieser Ranch. Geben Sie die Frau raus, Mister! Sie können sich überflüssigen Ärger ersparen.“ Der Rotbärtige kicherte. „Verkauf uns nicht für dumm, Mister! Oder kannst du erklären, wie die Spuren auf deinen Hof kommen?“ Er deutete auf die Rillen im Sand, die die schmalen Räder der Kutsche hinterlassen hatten. „Du wartest doch auf uns, hab ich recht?“ fiel der -5-
Jüngere wieder ein. „Oder liegen bei dir immer die Schießeisen so rum?“ Ohne Zweifel meinte er die beiden Langwaffen am Rand der Veranda. Die Spencer Von Brazos und Shortys Winchester. John Morgan brachte den knarrenden Schaukelstuhl erneut in Schwung. Er tat so, als wären die beiden Eindringlinge gar nicht vorhanden. „So kommen wir nicht weiter, Mister. Darf ich Ihren Namen erfahren? Ich bin Chap Logan und komme aus Denver. Das da ist mein Freund Redman ...“ „Hätte ich mir denken können“, entgegnete Morgan grinsend. „Der Name spricht für sich. Wer einen roten Bart besitzt, wird wohl kaum Bluebird heißen.“ Irritiert blickte der Rotbart auf. „Kann es sein, daß du dich über mich lustig machst, Mister?“ „Yeah, kann sein“, gab Morgan zu. „Aber nun mal Spaß beiseite! Ihr kommt wie die wilde Jagd auf meine Ranch geritten und stellt mir unverschämte Fragen! Was wollt ihr eigentlich? Hier war keine Frau. Und ich kenne niemanden namens Brenda Lee!“ „Zum Kennenlernen war die Zeit wohl auch zu kurz, Mister. Da führen Wagenspuren hinter das Haus. Ich möchte wetten, sie waren vor fünf Minuten noch nicht da!“ John Morgan betrachtete den Mann, der sich als Chap Logan ausgegeben hatte. Er war wohl so etwas wie der Anführer der Meute. Und der rotbärtige Redman schien großen Respekt vor ihm zu haben. „Ein guter Rat an euch, Männer“, brummte Morgan. „Reitet weiter! Wenn ihr was ausrichten wollt - in Golden City findet ihr einen Marshal! Er heißt George Rockwell. Tragt ihm euer Anliegen vor. Wenn die Frau, -6-
die ihr sucht, in dieser Gegend ist, kann Rockwell euch helfen, sie zu finden. Was liegt denn gegen sie vor?“ „Wir kommen gerade aus Golden City, Mister. Und wir hörten dort, daß Brenda nach einem Mann gefragt hat, der Morgan heißt. John Morgan, genau gesagt.“ „Ich bin John Morgan!“ „Fein! Ich merke, wir kommen weiter. Sehr vernünftig von Ihnen, Morgan! Es sieht nun so aus, daß die Wagenspuren genau zu der Adresse des Mannes führen, nach dem Brenda sich erkundigt hat. Gibt das nicht zu denken, Mister Morgan?“ Der Ranchboß schwieg. Seine Gedanken kreisten um die Brünette. Selten schlug sich eine Frau allein durch die Wildnis. Die Unbekannte mußte diese Brenda Lee sein. Aber warum waren die Kerle hinter ihr her ...? Als hätte Logan seine Gedanken erraten, sagte er: „Geben Sie die Frau heraus, Mister Morgan! Sie ist die Schwester des Teufels! Kann gut sein, daß sie sich des nachts in Ihr Zimmer schleicht, um Ihnen die Gurgel durchzuschneiden. Hat sie in Denver schon gemacht bei einem Mann, der mir sehr nahe stand. Brenda hat nichts mehr zu verlieren! Nur ihr Leben. Wir sind hier, weil wir sie an den Galgen bringen wollen, Morgan.“ „Sag ihm doch, daß es dein Bruder war, den sie ermordet hat“, brummte Redman. „Wahrscheinlich hält uns Morgan für Banditen, Chap! Sag ihm, wer du bist! Sag ihm, welche Nummer du in Denver bist! Du bist doch Nummer eins in der Hauptstadt ...“ „Schnauze!“ knarrte Logan verärgert. Dann wandte er sich wieder an John Morgan. „Sie begehen einen großen Fehler, Mann! Wir schnappen uns Brenda auf jeden Fall, denn wir wissen nun, daß sie hier ist. Wir haben Zeit und können warten. Irgendwann wird sie sich mal sehen -7-
lassen!“ „Verzieht euch! Alle beide! Ich könnte die Mannschaft rufen! Aber dann fliegt heißes Blei! Reitet also und redet mit dem nächsten Marshal! Ich habe euch seinen Namen schon genannt. Wenn ich etwas hasse, dann ist es Vigilantentum und Lynchjustiz! Ich dulde so was nicht auf meinem Land!“ „Gut. Wir reiten. Aber wir kommen wieder, Morgan. Wenn Sie dann noch leben! Und wenn wir wiederkommen, krempeln wir Ihre verdammte Ranch um. Der Marshal wird dann bei uns sein! Sie wollten den Ärger, und Sie werden ihn bekommen. „ Chap Logan packte die Zügel seines Pferdes. Er winkte Redman mit dem Kinn zu sich. „Hör zu, Red! Du bleibst mit ein paar Männern hier und läßt keine Maus aus diesem Tal entkommen. Ich reite nach Golden City und hole den Marshal. Du haftest mir dafür, daß Brenda nicht ausrücken kann, verstanden?“ John Morgan hatte jedes Wort mitbekommen. Die Kerle meinten es ernst. Besonders dieser Logan. Was die Lady verbrochen hatte, konnte Morgan nicht ahnen. Und Logan hatte seine Anklage zu vage formuliert, um der Frau daraus einen Strick zu drehen. Was blieb, war eine Meute unangenehmer Typen, die über das Bluegrass Valley wie Wölfe hergefallen waren. Und John Morgan haßte Wölfe. „Wenn ihr reitet“, sagte er, „dann bleibt nur weit genug von meinem Land weg. Ich lasse auf jeden von euch schießen, wenn er den Boden betritt, der zur SkullRanch gehört! Und nun seht zu, daß ihr mir aus den Augen kommt!“ Wortlos schwangen sich die beiden Männer in die Sättel. -8-
Die Meute jenseits des Gatters hob die Köpfe. Und eine drohende Stille blieb zurück, als der Hufschlag der Pferde verklungen war. Sie waren geritten, wie John Morgan befohlen hatte. Aber der Ranchboß wurde den Verdacht nicht los, daß Logan seine Leute rings um das Tal postierte und Redman das Kommando übertrug. Wenn es so war, wie Logan angekündigt hatte, wenn er tatsächlich mit Marshal Rockwell zurückkehrte, dann schien einiges gegen die Lady vorzuliegen. Dem Ranchboß war Chap Logan wie ein geschniegelter Bandit vorgekommen. Und nur deshalb hatte er den Kerl verjagt. Die Sache mit der geflüchteten Brenda Lee stand auf einem anderen Blatt. John Morgan wäre der letzte gewesen, einen Schuldigen zu schützen, gleichgültig, ob Mann oder Frau. Und er schritt über die Veranda und stieß die Tür zum Haus auf. Das Gespräch mit der Frau würde gewiß aufschlußreich werden. *** Sie erwartete ihn in der dunklen Ecke des Wohnraumes, weit von den Fenstern entfernt. Shorty war bei ihr. Der magere kleine Cowboy zog ein verschmitztes Gesicht und blinzelte John Morgan zu. „Sir, ich habe manches von dem verstanden, was Logan draußen vorgebracht hat ...“ begann die Frau. Brazos stampfte in den Raum. „Sie sind weg, Boß! Soll ich ihnen nach?“ John Morgan überlegte kurz. -9-
„Hört mal her, ihr beide!“ Er winkte Brazos und Shorty zu sich heran. Seine Stimme sank zu einem Flüstern hinab. „Ich weiß nicht, wer unser schöner Gast in Wirklichkeit ist, Jungs! Aber ich werde es herausfinden. Reitet ihr indessen zu den Männern auf die Weiden und informiert sie über das Vorgefallene! Nehmt eure Gewehre mit. Aber nur Warnschüsse, das bitte ich mir aus! Keine Unüberlegtheiten, Brazos! Shorty! Ihr habt mich verstanden?“ Brazos grinste behäbig. „Wir sollen den Jungs draußen sagen, was mit der Langhaarigen da los ist? Wenn Sie mich fragen, Boß: Die Frau ist Gift! Jagen Sie sie zum Teufel!“ John Morgan behielt sein undurchdringliches Gesicht bei. „Die Lady ist Gast meines Hauses! Ich muß mir überlegen, wie es weitergeht! Kein Wort zu der Mannschaft, Brazos. Eure Aufgabe ist nur, die fremden Kerle von der Ranch fernzuhalten. Heute abend werden wir weitersehen!“ „Dann noch viel Spaß, Boß“, raunte Brazos anzüglich. Er packte Shorty am Arm. „Komm jetzt, alter Freund! Der Boß will allein sein. Nicht jeden Tag verirrt sich eine flotte Puppe in unsere Einöde!“ John Morgan lächelte. „Raus mit euch. Ihr wißt, was ihr zu tun habt. Heute abend sprechen wir uns wieder ...“ Brazos und Shorty zogen ab. „Ich muß Ihnen danken, Mister Morgan!“ Die Brünette streckte sich und brachte ihre verführerische Figur zur Geltung. Sie war kein Mädchen mehr, das sah John Morgan ihr an. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie konnte fünfundzwanzig Jahre alt sein, genauso gut aber auch Mitte der Dreißig. Sein Gesicht wurde abweisend. „Ich will keinen Dank, - 10 -
Lady! Sagen Sie mir lieber, wer Sie sind!“ „Ich bin Brenda Lee aus Denver, Mister Morgan. Und ich glaube, Sie haben mir das Leben gerettet. Wenn Chap Logan mich erwischt hätte, wäre es aus mit mir gewesen.“ Morgan spitzte die Lippen. „Den Namen nannte auch der Fremde. Brenda Lee! Und es war Chap Logan. Sein Begleiter hieß Redman.“ „Das stimmt nicht, Mister Morgan. Redman ist nur sein Kriegsname. Richtig heißt er Bill Whitman. Ich muß es wissen, denn ich war mal mit ihm verheiratet. Eigentlich bin ich es noch ...“ „Mrs. Whitman?“ „Ja. Ich heiße Brenda Whitman. Aber ich habe vergessen, daß ich einmal Whitmans Frau war. Lee ist mein Mädchenname, Mister Morgan. Wir wollen es dabei belassen.“ „Den Teufel wollen wir! Was hat Sie dazu getrieben, in Golden City nach mir zu fragen? Woher kennen Sie meinen Namen, Brenda?“ Sie lächelte. „Haben Sie alles vergessen, Morgan? Oder soll ich besser sagen: Stonewall-Morgan? Haben Sie Ihre Frau vergessen und Ihre kleine Tochter? Es muß ein weiter Weg gewesen sein, von der Baumwollplantage in Alabama bis nach Colorado! Der Krieg hat Sie hierher getrieben. Hab' ich recht?“ „Was wissen Sie davon!“ „Oh, eine ganze Menge. Als ich Sie das letzte Mal sah, da waren Sie noch fünfzehn Jahre jünger, Morgan. Und die kleine Mary-Lou war damals neun oder zehn Jahre alt ...“ „Was wollen Sie? Wollen Sie Geld? Ich lasse mich nicht erpressen!“ - 11 -
„Geld! Ich pfeife auf Dollar. Hab selber genug davon. Ich will Schutz und Sicherheit, Mister Morgan. Den Schutz und die Sicherheit, die Sie mir bieten werden, Morgan. Und sei es nur um unserer alten Bekanntschaft wegen.“ „Ich kenne Sie nicht, Mrs. Whitman!“ „Vergessen Sie doch diesen Namen. Ich bin Brenda Lee, Morgan! Denken Sie doch mal an Alabama zurück. Wer war denn dort ihr nächster Nachbar?“ „Wahrhaftig! Der gute alte Joshua Lee!“ „Mein Vater, Morgan! Ich habe Mary-Lou auf den Armen getragen, als sie noch klein war. Ich war so oft bei Ihrer Frau in der Küche, daß ich dachte, Sie müßten mich wieder erkennen! Aber vielleicht habe ich mich ebenso sehr verändert wie Sie! Damals waren Sie ein schneidiger junger Mann. Damals waren Sie für mich das Urbild des Mannes, den ich einmal heiraten wollte.“ „Sie? Sie waren das spindeldürre Mädchen der Nachbarsleute, das uns so oft besuchte wegen Mary-Lou? Allmächtiger - Sie haben recht, Brenda. Sie haben sich verändert! Aber wie haben Sie mich gefunden?“ „Als der Bürgerkrieg ausbrach, flüchteten meine Eltern und ich nach Montgomery. Vater starb dort, und Mutter und ich gingen nach New Orleans. Als die Yankees zwei Jahre später dort einrückten, fanden wir ein Boot nach Galveston, Texas. Ich lernte dort Whitman kennen. Er war Sheriff. Ich heiratete ihn.“ „Und wie sind Sie nach Denver gekommen, Mrs. Whitman?“ „Können Sie nicht auf die Formalitäten verzichten, Morgan? Sagen Sie doch einfach Brenda zu mir.“ „Wie fandest du mich, Brenda?“ „Wer wußte denn, daß ich in diesem versteckten Tal - 12 -
gelandet bin?“ „Oh, das ist eine lange Geschichte, John. Ich fürchte, du wirst sie nicht hören wollen. Denn es ist eine häßliche Geschichte!“ „Erzähle sie nur, Brenda. Wir haben Zeit genug.“ „Und Logan und Redman? Sie werden wiederkommen.“ „Du meinst, Whitman, dein Mann?“ „Ja. Sie werden keine Ruhe geben, John. Sie sind mir seit Denver auf der Spur. Denn ich besitze etwas, das sie haben wollen. Haben müssen, John Morgan. Es ist der Schlüssel zu dem fürchterlichen Geheimnis, dessentwegen ich geflüchtet bin. Ich schwebe in Lebensgefahr, John. Du mußt mir helfen. Schon wegen MaryLou!“ „Was hat meine Tochter damit zu tun? Mary-Lou ist mit General Carrington und Chet Quade nach Golden City gefahren. Sie haben den großen Wagen genommen. Ich erwarte sie alle heute abend zurück.“ „Entsetzlich! Das wußte ich nicht! Ich mußte doch denken, Mary-Lou wäre hier auf der Ranch!“ John Morgan knetete erregt seine Finger. „Sag alles, Brenda! Und laß nichts aus! Wenn ich dir helfen soll, mußt du dich mir rückhaltslos anvertrauen! „ „Ich will dir doch auch alles erzählen, John. Aber schau mich nicht so böse an! Ich kann doch nichts dafür. ...“ Und Brenda begann ihren Bericht. *** Sie wollte hereinplatzte.
gerade
erzählen,
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als
Doc
Smoky
„Soll die Lady bleiben, Boß? Dann schmeiß ich noch 'ne Handvoll Bohnen dazu! Bohnen haben wir reichlich!“ „Raus mit dir! Und zum Essen will ich Fleisch auf dem Tisch sehen, Smoky!“ „Das nächste Fleisch steht auf der Nordweide und grast, Boß. Ich könnte beim Teich auf Entenjagd gehen!“ „Ich mag keine bleihaltigen Enten, alter Freund.“ „Soll ich den Enten erzählen, wer zu Besuch ist? Damit die Viecher von selbst in Ohnmacht fallen?“ „Hinaus!“ Der Ranchboß wies zur Tür. „Dann muß eben der letzte Schinken dran glauben“, brummte der alte Koch. „Ich werde einen Kochschinken daraus zubereiten, daß allen die Augen übergehen!“ „Die Hauptsache ist, daß es uns schmeckt. Und nun ab mit dir. Ich habe mit der Lady zu reden.“ „Immer, wenn's spannend wird, muß ich raus“, beschwerte sich der Alte. „Ich bin doch kein Kind mehr!“ John Morgan verzog leicht die Lippen. „Sprich weiter, Brenda. Und laß dich von Doc Smoky nicht irritieren. Er ist eine gute Seele. Man darf nicht darauf achten, was er so von sich gibt. Er meint es nicht so.“ „Von wegen ...“ räsonierte Smoky. „Ich hab' da mal 'ne Frau gekannt, drüben in Tahlequah, Oklahoma. Sie ließ keinen an sich ran. Aber als sie von meinem Kochschinken gekostet hatte, wurde ich sie einfach nicht mehr los. Ich glaube, die Lady hieß . . .“ „Hinaus! Und trau dich nicht wieder herein, ohne daß ein anständiges Essen vorbereitet ist!“ „So ist das“, fauchte Smoky. Er verzog sich zur Tür. „Allen verdrehen die Weiber den Kopf. Sogar unserem Boß. Weiß der Teufel ...“ Die Tür klappte hinter dem Alten zu. John Morgan und Brenda Lee waren wieder allein. - 14 -
„Mach's kurz, Brenda. Du gingst also mit Whitman nach Abilene. Jetzt frage ich mich, was Mary-Lou mit der Geschichte zu tun hat.“ „Mary-Lou? Gar nichts. Noch nicht, John. Aber laß mich auf meine Art erzählen! Bill - ich meine, mein damaliger Mann - geriet auf die schiefe Bahn. Im letzten Kriegsjahr verkaufte er Beutewaffen an jede Partei, die sie haben wollte. Er machte sich die Yankees zum Feind, genauso wie die Graujacken. Es kam soweit, daß sie ein Kopfgeld auf ihn aussetzten.“ „Und du warst immer noch in Abilene, Brenda?“ „Nein. Ich lebte da schon in Denver. Bill hatte sich lange nicht sehen lassen. Ich mußte mir meinen Lebensunterhalt ganz allein verdienen,“ John Morgan ahnte schon, was kommen sollte. „Du hast dich in Geschäfte eingelassen, die dir über den Kopf wuchsen?“ „Woher weißt du das, John? Ja, du hast recht! Ich traf in Denver Freunde von Chap Logan. Anfangs waren sie alle sehr nett zu mir. Ich bekam einen guten Job in einer Bank. Wie ich später erfuhr, hatte mir Logan den Job besorgt. Aber er tat es nicht aus Mitleid. Es war reine Berechnung. Ich sollte für ihn den Tag ausspionieren, an dem die Bank das meiste Geld bekam.“ „Damit Logan einen lohnenden Überfall machen konnte?“ „Chap Logan hat sich nie die Finger schmutzig gemacht, John. Dafür hatte er immer seine Leute. Er ist in Denver die Nummer eins, mußt du wissen. Niemand kann ihm etwas anhaben. Er besitzt Saloons und Spielhöllen und noch üblere Häuser. Was er anpackt, macht er zu Geld.“ „Ich muß noch einmal fragen, was die Skull mit dem - 15 -
allen zu tun hat? Und besonders meine Tochter MaryLou?“ „Ich hörte von diesem Bluegrass Valley in Denver. Du hast vor kurzem Rinder verkauft, John, nicht wahr? Man sprach in der Hauptstadt davon, daß du eine prächtige Zucht aufgebaut hast. Es fiel auch dein Name.“ „Da bist du auf die Idee gekommen, mich zu besuchen?“ „Damals noch nicht. Warum sollte ich hierher reisen? Mir ging es gut, Bill ließ sich nicht sehen, und ich konnte mir von meinem eigenen Geld kaufen, was ich wollte.“ „Was geschah dann?“ „Ich war schon lange nicht mehr bei der Bank beschäftigt. Vor dem Überfall hatte ich gekündigt. Ich wollte nicht mit hineingezogen werden, John. Ich arbeitete nun für Chap Logan. Ich machte die Abrechnungen für ihn. Es war ein guter Job, und Chap zahlte weitaus besser als die Bank. Erst verstand ich nicht, warum er mir für so wenig Arbeit soviel Geld anbot, aber dann kam ich dahinter.“ „Du hattest Einblick in seine Geschäfte , Brenda?“ „Ich kannte bald jeden Trick, mit dem Chap die Leute ausnahm. Er ist ein übler Verbrecher. Sein Bruder war für keinen Cent besser. Und mit Kelly Logan begann mein Unglück. Er hatte wohl ein Auge auf mich geworfen. Zu allem Unglück tauchte zur gleichen Zeit mein Mann wieder auf, du weißt schon, Billy Whitman. Es gab Krach zwischen ihm und Kelly Logan.“ „So was kommt vor, Brenda.“ „Gewiß, John. Aber in meinem Fall war es anders, als du denkst. Chap Logan kam eines Tages zu mir und schenkte mir reinen Wein ein. Er sagte, ich steckte schon so tief drin, daß ich nicht aussteigen könnte. Ich müßte - 16 -
mich mit seinem Bruder arrangieren. Und Billy, mein Mann, sei mit allem einverstanden.“ „Dieser Lump!“ „Laß mich zu Ende kommen, John. Chap Logan deichselte es so, daß ich immer in einem seiner Hotels die Abrechnungen machte. Tausende von Dollars gingen jede Woche durch meine Hände. Ich weiß alles über seine verbrecherischen Machenschaften. Aber ich mußte doch leben! Von Billy hatte ich keinen Cent zu erwarten. Er hatte damit angefangen, für Chap Logan die Schmutzarbeit zu machen. Auch Kelly gehörte zu Chaps Bande.“ „Auf den Gedanken, mit dem Marshal zu sprechen, bist du wohl nicht gekommen?“ „Doch. Aber ich hätte dann Billy mit reingerissen. Und Billy war schließlich immer noch mein Mann! Ich konnte nichts sagen, und ich durfte auch nichts sagen. Dann kam die Nacht, als ich allein im Hotelzimmer saß, über den Büchern. Die Tür ging auf. Herein kam Kelly Logan. Er wollte es jetzt wissen.“ „Ich hätte es mir denken können“, meinte John Morgan halblaut. „Kelly war betrunken. Ich war ganz allein mit ihm. Er versuchte es bei mir mit roher Gewalt. Was sollte ich tun?“ „Was tatest du denn, Brenda?“ „Auf meinem Tisch lag ein Papiermesser. Ich brauchte es, um die Bogen durchzutrennen, auf die ich die Einnahmen und Ausgaben der Betriebe niederschrieb. Als Kelly Logan mir die Bluse vom Leibe riß, packte ich das schmale Messer und stach zu. Kelly blutete, aber er lebte noch. Ich schaffte ihn auf das Bett, das in dem Zimmer stand. Es war ja ein Hotelzimmer.“ - 17 -
„Und dann. . .?“ „Ich rannte hinunter, um Hilfe zu holen. Es war aber niemand da! Zumindest niemand hörte mein Rufen. Ich lief zur Straße, zum nächsten Doc. Er kam sofort mit mir.“ „Dann hat er Kelly also noch retten können?“ „Nein. Als ich mit dem Doc zurückkam, war Kelly tot. Jemand hatte ihm die Kehle durchschnitten.“ Brenda hielt inne. Das Grauen jener Nacht packte sie wieder. „Du müßt wissen, John“, sagte sie schließlich leise, „daß ich mit dem Papiermesser nicht die Kehle eines Mannes ... oh, es ist so furchtbar ...“ „Ich weiß, wie ein Papiermesser aussieht, Brenda. Es ist lang und schmal, hat keine eigentliche Klinge.“ „Richtig, John. Ich hätte Kelly vielleicht damit erstechen können, aber ich tat es nicht. Ich wollte ihn nur abwehren. Und als ich fort war, muß ein anderer gekommen sein, der Kelly ermordet hat.“ „Dein Mann vielleicht.“ „Billy Whitman? Nein! Der war an dem Tage gar nicht in der Stadt! Ich glaube, ich weiß, wer Kelly ermordete. Ich habe keine Beweise dafür, aber ich werde sie finden. Es war sein Bruder Chap!“ *** John Morgan dachte an Logans Worte. „Sie ist die Schwester des Teufels! Kann gut sein, daß sie sich des nachts in Ihr Zimmer schleicht, um Ihnen die Gurgel durchzuschneiden. Hat sie in Denver schon gemacht ...“ Wer log nun - und wer sagte die Wahrheit? - 18 -
Der Ranchboß wußte nicht, was und wem er glauben sollte. „Für mich gibt das alles keinen Sinn, Brenda. Warum hetzt dich Logan durch das Land und will dich an den Galgen bringen?“ „Hat er das gesagt? Hat er gesagt, er wollte mich hängen sehen?“ „Das waren seine Worte. Und nun ist er unterwegs zu Marshal Rockwell in Golden City. Ich fürchte, er will ihn herholen und damit erzwingen, daß ich dich herausgebe!“ „Das wagt er nicht! Es ist ein gemeiner Bluff von ihm, John! Du kennst noch nicht den Rest dieses Alptraums. Logans Bruder Kelly wurde nämlich lästig. Er lebte von Chaps Geld und tat nichts. Genau wie Chap machte er sich nicht die Finger schmutzig. Es hieß zwar, Kelly sei in ein paar üble Sachen verstrickt, aber das können auch nur Gerüchte sein. Ich weiß ...“ „Ich brauche keine Gerüchte, wenn ich dir glauben soll, Brenda! Ich brauche Tatsachen, unwiderlegliche Beweise!“ „Bist du mein Richter, John Stonewall-Morgan? Ich bin zu deiner Ranch geflüchtet, weil ich hier Schutz und Ruhe erhoffte. Wir waren doch mal Nachbarn, drüben in Alabama!“ „Sprich weiter, Brenda.“ „Gut. In den letzten Tagen, bevor Kelly ermordet wurde, war es besonders schlimm mit den Brüdern. Sie stritten sich von früh bis spät. Chap wollte Kelly wohl für seine Sache gewinnen, an der Kelly kein Interesse hatte. Ich glaube, Chap hat Kelly in jener Nacht zu mir geschickt, weil er wußte, daß ich kämpfen würde.“ „Chap Logan wußte, daß du nichts für Kelly übrig hattest?“ „Das wußte jeder! Jeder außer Kelly selbst. Er - 19 -
versuchte es immer wieder. Aber in jener Nacht traf er mich allein an. Chap kann ihm den Tip gegeben haben.“ „Lassen wir das mal beiseite. Chap Logan jagt dich seitdem? Zusammen mit Redman, oder Whitman, mit dem du immer noch verheiratet bist?“ „Wegen Billy sagte ich dir schon, daß ich vergessen habe, jemals mit ihm verheiratet gewesen zu sein. Er ist ein gewissenloser Schurke geworden. Nun zu Chap Logan! Die ersten Tage hat er mich in Ruhe gelassen. Der Tod seines Bruders wurde als Unfall hingestellt. Chap hatte die Stadt in der Hand, zumindest die wichtigen Leute wie den Marshal dort und ein paar Männer bei Gericht.“ „Kein Marshal ist korrupt, Brenda!“ „Sag ich auch nicht, John. Aber der Marshal erfuhr erst von Kellys Tod, als sie dabei waren, Kelly zu begraben. Chap hatte sich einen harmlosen Totenschein beschafft, bei Gericht. In Denver gibt es sogar einen Doc bei Gericht. Ach, Chap hat sie alle hereingelegt. Der Marshal konnte Kelly nach all dem doch nicht exhumieren lassen! Es hätte ihn seinen Posten gekostet!“ „Ich verstehe.“ „Nichts verstehst du, John Morgan! Du hast ja keine Ahnung, wie clever Chap Logan vorgeht! Für ihn konnte alles so weiterlaufen wie bis dahin. Er war einen lästigen Mann los. Seinen eigenen Bruder zwar, aber das änderte nichts an dem Sachverhalt, daß Chap sich freie Bahn geschaffen hatte.“ „Wie gerietet ihr nun aneinander, Brenda?“ „Ich wollte es dir gerade sagen. Ich wollte aufgeben. Kellys Tod hatte mir gezeigt, wo man landen kann, wenn man Chap zuviel wird. Ich wollte weg aus Denver, heraus aus Colorado. Überall war es besser als in Chap - 20 -
Logans Nähe.“ Brenda holte tief Luft. „Ich hatte meine Sachen schon gepackt, als Chap mich überraschte. Unten stand mein Einspänner bereit. Chap kam einfach in mein Zimmer und warnte mich abzureisen. Er sagte, er würde mich an den Galgen bringen. Wegen Mordes an seinem Bruder. Er sagte auch, er hätte Beweise, daß ich es war.“ „Warum denn nur? Warum wollte er dich nicht reisen lassen?“ „Ich wußte zuviel. So ist es jetzt noch. Ich kann Logans Organisation auffliegen lassen, John. Zwar werde ich dann selber vor Gericht gestellt, aber Chap kommt übler weg. Wahrscheinlich wird er hängen müssen. Er, und ein Dutzend andere auch.“ „Die Kerle, die bei ihm reiten?“ „Das sind Straßenräuber, Satteltramps, Desperados. Ich kenne sie kaum. Nein, ich spreche von dem harten Kern der Logan-Bande. Diese Männer werden hängen, wenn ich auspacke! Ich schätze, Billy auch!“ „Du hättest damals doch zum Marshal gehen sollen. In Denver.“ „Vielleicht hätte ich das wirklich tun sollen, John. Dafür ist es nun jedoch zu spät. Jetzt geht es nur noch um mein Leben. Und - tut mir leid, daß ich das sagen muß auch um dein Leben, John. Jeder, der mit mir in Berührung kommt, ist ein möglicher Verräter für Chap Logan. Mit Verrätern macht er kurzen Prozeß.“ *** „Ich sage nicht, daß du von meiner Ranch hättest fernbleiben sollen, Brenda. Die Skull-Ranch war seit - 21 -
jeher das Asyl der Heimatlosen. Aber sie müssen unschuldig sein. Für Halunkenpack, Mörder und Outlaws habe ich nichts übrig.“ „Ich wollte erst gar nicht zu dir, John! Ich wollte nur fort aus Denver. Ich floh bei Nacht und Nebel. Chap hatte mir Angst gemacht. Drei Tage später, in der Nähe von South Side am Fuße der Rockies, holte er mich mit seiner Meute schon ein.“ „South Side. Ist das nicht die kleine Stadt, bei der der Paß über das Gebirge beginnt?“ „Ja. Dort war es. Ich stieß auf einen Siedlertreck und schloß mich mit meinem Einspänner den Leuten an. Sie wollten zur Westküste. Chap Logan ließ aus allen Rohren feuern. Ich glaube, einige der Siedler sind zu Tode gekommen ...“ „Du glaubst es? Weißt du es nicht sicher?“ „Ich bin mit meinem Wagen los gerast. Es gab ein regelrechtes Feuergefecht. Logan ließ schießen, und die Siedler feuerten zurück. Es war schrecklich.“ „Und dann?“ „Wieder nach zwei Tagen erreichte ich Golden City. Ich nahm mir ein Zimmer in einem Hotel. Ich dachte, ich hätte Logan endlich abgehängt. Irrtum. Ich sah einen von seiner Bande in der Halle des Hotels mit dem Clerk reden. Der Bandit fragte nach mir.“ Sie stöhnte auf. „John, ich bin am Ende! Ich kann nicht mehr!“ „Hier bist du in Sicherheit“, sagte Morgan und legte seinen Arm um sie. „Logan kann dir nichts anhaben, solange ich hier der Boß bin. Meine Mannschaft wird dich bis zur letzten Kugel verteidigen - und das weiß Logan auch. Er wird nicht wagen ...“ „Doch! Das ist es ja gerade, John! Ich floh aus dem - 22 -
Hotel und kam erst spät in der Nacht zurück, weil ich mein Gepäck holen wollte. Ich nahm den Hintereingang; auf der Straße vor dem Hotel stand ein Mann aus Logans Bande und paßte auf. Meinen Wagen mit dem Pferd hatte ich schon aus dem Mietstall geholt, als ich am Mittag Logans Mann bei der Rezeption sah.“ „Und du hast dein Gepäck bekommen?“ „Ja. Meine Reisetasche stand unberührt in meinem Zimmer. Aber Logan wußte, daß ich kommen und die Tasche abholen würde.“ „Er wußte es? Zum Teufel, warum ...“ „Bitte, John.“ Brenda legte ihre schmale Hand auf Morgans Arm. „Ich fand einen Brief. Er war an mich gerichtet. Mein Name stand darauf. Der Brief kam von Chap Logan.“ Brenda griff in ihr Mieder und zog den Brief hervor. Sie reichte ihn John Morgan. Der Brief war noch warm von Brendas Haut. „Warte, John“, sagte sie. „Warte, ehe du ihn liest. Ich muß dir vorher noch erklären ...“ Mit schmalen Augen sah der Ranchboß die verängstigte Frau an. „John, es ist schwer, dir begreiflich zu machen ... ich wußte doch nicht, daß Mary-Lou ... ach, ich wünschte, ich wäre nicht hierher gekommen!“ *** Die Schrift des Briefes war steil und verriet Kraft und Stärke des Schreibers, gepaart mit Eigensinn. Die Zeilen verschwammen John Morgan vor den Augen, als er den einen Namen las. „Mary-Lou ...“ - 23 -
Doch dann zwang er sich dazu, den Brief ganz zu lesen. Er las ihn einige Male, bis er ihn fast auswendig konnte. „Brenda Whitman. Ich fasse Dich, Du feige Mörderin! Deine Flucht ist zu Ende, denn es gibt keinen Platz mehr für Dich in Colorado oder anderswo. Dein Trick mit den Siedlern war nicht schlecht. Doch ein zweites Mal falle ich nicht mehr darauf herein. Gib auf. Wir können wieder Freunde werden. Ich will alles vergessen, wenn Du nach Denver zurückkehrst. Aber Du mußt es freiwillig tun. Du hast zwei Tage Zeit. Vertrau nur nicht jenem Rancher, den Du aus Alabama kennst. Ich habe mich über ihn in der Stadt erkundigt. Er wird Dich zum Teufel jagen, denn er gilt als ehrlicher Mann. Solltest Du trotzdem bei ihm Unterschlupf finden, hole ich Dich dort heraus. Morgan hat eine Tochter. Wir schnappen uns die Kleine als Geisel. Sie wird sterben, wenn Du nicht vernünftig bist. Also laß es bleiben, zur Skull-Ranch zu fahren. Es kostet Dein Leben und das von Mary-Lou. Kann sein, daß noch ein paar andere ins Gras beißen müssen. CH.L.“ John Morgan ließ die Hand mit dem Brief sinken. Er blickte Brenda wortlos an. „Ich ... sagte dir doch schon ... daß ich es nicht erklären kann, John“, stotterte sie. „Logan hat mich mit seinem Brief erst darauf gebracht, hierher zu fahren. Konnte ich wissen, daß Mary-Lou in der Stadt war?“ „Genug jetzt“, winkte Morgan ab. Seine Stimme klang rauh. Er nahm den Brief erneut vor die Augen. Er las, und seine Miene verhärtete sich dabei. Dann blickte er Brenda lange an. „Hör zu, Brenda! - 24 -
Hast du Kelly Logan ermordet - oder sonst jemanden?“ „Nein, John.“ „Und du willst auch nicht mit Logan nach Denver zurückgehen?“ „Laß mich hier, John!“ „Gut. Du kannst bleiben. Aber wenn ich heraus finde, daß du gelogen hast, bringe ich dich eigenhändig nach Golden City ins Jail.“ „Ja, John.“ „Logan weiß also, daß du hier bist!“ „Ja, John.“ „Verdammt, Brenda! Hör endlich auf, ‚ja John’ oder ‚nein John’ zu sagen! Das macht mich wahnsinnig.“ Sie schwieg. Ihre Schultern zuckten in verhaltenem Schluchzen. „Diese Schüsse, Brenda! Galten sie dir?“ „Ich weiß nicht. Logan war noch zu weit hinter mir. Vielleicht wollte er mir nur Angst einjagen. Treffen konnten mich die Kugeln nicht.“ „Ist dir jemand entgegen gekommen?“ „Ich habe niemanden gesehen.“ „Bist du sicher, Brenda?“ „Ganz sicher, John.“ „Dann kann ich mir nur vorstellen, daß Logan dich unbedingt auf die Skull treiben wollte. In seinem Brief hat er dir diese Ranch ja regelrecht empfohlen. Wenn du die Wahrheit gesagt hast, steckt noch etwas ganz anderes hinter der Sache.“ „Was denn, John? Willst du es mir sagen?“ „Brenda, ich weiß es selber noch nicht. Hatte Logan auch mit Rindern zu tun?“ „Chap macht doch alles zu Geld. Er steckt auch im Rindergeschäft. Aber was soll ...“ - 25 -
„Überlaß das nur mir, Brenda. Wenn meine Vermutung zutreffen sollte, bin ich einer ungeheuerlichen Teufelei auf der Spur.“ *** John Morgan ging zur Tür. Brenda sprang auf. „Wohin willst du, John? Ach, verzeih mir. Ich bin ja nur dein Gast! Es steht mir nicht zu, dich zu fragen, was du vorhast.“ „Das ist kein Geheimnis, Brenda. Ich gehe zum Küchenhaus, um nachzusehen, ob Smoky endlich mit dem Essen soweit ist. Ich habe Hunger.“ Morgan sagte das mit ganz normaler Stimme, aber es fiel ihm schwer, sich zu verstellen. Deshalb ging er schnell hinaus und schloß die Tür hinter sich. Er trat hinaus in die Vorhalle, verließ das Haupthaus und wandte sich zum Küchenanbau. Doc Smoky war ganz vertieft in seine Arbeit. Der Ranchboß konnte ihm eine Weile zusehen, ehe der Koch ihn bemerkte. „He, Boß! Welche Ehre! Wir können gleich essen. In fünf Minuten trage ich auf. Die Lady wird zufrieden sein.“ John Morgan gab viel um das Urteil des alten eigenwilligen Mannes. Doc Smoky hatte schon viel von der Welt gesehen, ehe er sich bereit fand, auf der Skull die Küche zu übernehmen. „Sag mal“, meinte der Ranchboß, „du hast Brenda doch auch gesehen, Smoky. Welchen Eindruck hast du von der Frau?“ „Sie ist dein Gast, Boß. Wenn du sagst, ich soll für sie kochen, dann mach ich's. Wenn du sagst, ich soll mich - 26 -
für sie schießen, mach ich's auch. Wenn du aber von mir verlangst, ich soll mich für sie hängen lassen, dann kündige ich!“ „Mal im Ernst, Smoky. Was hältst du von ihr?“ „Ich hab keinen Spaß gemacht, Boß. Es wird Ärger geben mit ihr. Für so was hab ich einen untrüglichen Riecher. Ich wußte es schon, als sie bei uns auf den Ranchhof polterte.“ „Kannst du nicht etwas genauer werden?“ „Wie genau ist ein schaler Geschmack im Mund, Boß?“ „Du hast recht, Smoky. Trag das Essen auf und mach die Küche klar. Danach habe ich einen Auftrag für dich.“ Die Augen des Alten glänzten. Er war immer froh, wenn er aus der lausigen Küche fort konnte. Für die Arbeit mit den Rindern waren seine Knochen schon zu steif geworden; aber wenn es hieß, zu reiten und etwas Kniffliges für den Boß zu erledigen, da war Smoky immer dabei. „Worum dreht es sich denn?“ fragte er. „Später, nach dem Essen. Wenn ja du einen von den Jungs siehst, sag ihm, ich lasse die Posten wieder abziehen. Brazos und Shorty können zur Ranch zurückkommen.“ „Boß?“ „Yeah?“ „Was steckt dahinter? Ich habe doch mit eigenen Ohren gehört, wie dieser junge Blaubart versprochen hat, wieder zu kommen. Und du hast daraufhin die Jungs nach draußen geschickt.“ „Jetzt sollen sie eben kommen, Smoky. Ich bin hier der Boß, und mein Kommando gilt!“ John Morgan verließ die heiße Küche und schlenderte - 27 -
zum Pferdestall hinüber. Brendas Brauner stand in einer Box und fraß Hafer mit mahlenden Kiefern. Morgan betrachtete das Tier aufmerksam. Das war kein Wagenpferd. An seinem Bauch sah man deutliche Spuren des Sattelgurtes. Und das Gebiß zeigte eindeutig, daß der Braune eine harte Hand gewöhnt war, die Hand eines Reiters. Morgan grinste vor sich hin. Er hatte Brenda bei der ersten Lüge erwischt, und weitere würden folgen. Welch ein Unsinn, wenn sie sich in Denver für ihren kleinen Einspänner ausgerechnet ein teures Reitpferd kaufte ... Vielleicht war es gut, auch den Wagen anzusehen. Das Gepäck mußte noch drauf sein, die Reisetasche, die Brenda, wie sie sagte, extra noch aus dem Hotel in Golden City herausgeholt hatte. Denn als sie zur Veranda hochstolperte, hatte Morgan keine Reisetasche an ihr bemerkt. Er trat in den Schatten des Wagenschuppens. Da stand der Einspänner auf dem Platz, den sonst die Kutsche einnahm, mit der Mary-Lou, Carrington und Chet Quade zur Stadt gefahren waren. Aber eine Reisetasche konnte Morgan nirgends auf dem leichten Wagen entdecken. Da war gar nichts außer Staub und Sand im Fußkasten vor der Fahrerbank. Das Segeltuchverdeck war noch immer hochgeklappt. Morgan schwang sich auf das federnde Fahrzeug. Brendas Gepäck konnte ja auch im Kasten unter dem Sitz liegen. Natürlich - wo sonst hätte die Frau ihre Tasche untergebracht. Er klappte den lederbezogenen Sitz hoch. Im Kasten darunter lag eine Winchester. Von einer Tasche keine Spur. - 28 -
*** Nachdenklich schritt John Morgan über den staubigen Hof zurück zum Haus. Sein Verdacht nahm konkrete Formen an. Doc Smoky schlug mit einem eisernen Löffel gegen die Unterseite seiner größten Bratpfanne. Das war das Zeichen, daß das Essen aufgetragen war. Wenn Besuch im Hause war, konnte Smoky richtig repräsentieren. Und heute hatte er sogar seinen alten Lederhut abgelegt, zu Ehren der fremden Lady. Morgan nickte Brenda zu und setzte sich. Die Mahlzeit wurde wortlos eingenommen. Für eine Frau, die mit knapper Not den Schüssen einer Höllenmeute entkommen war, aß sie mit erstaunlich gutem Appetit. Morgan rührte von Smokys Kochschinken fast nichts an. Er beobachtete heimlich Brenda. Sie haute rein wie ein hungriger Vormann. Ihre Tränen waren getrocknet, und sie hatte wohl während Morgans Abwesenheit ihr Gesicht in Ordnung gebracht. Doc Smoky erschien bei der Tür und machte einen lächerlichen Kratzfuß. „Darf ich nachlegen, Ma'am?“ „Der Schinken ist wirklich köstlich. Was mußt du von mir denken, wenn ich noch eine Portion nehme, John?“ „Iß nur, Brenda. Wer weiß, wann es die nächste Mahlzeit gibt.“ „Was ist denn los?“ „Doc Smoky muß weg. Ich schicke ihn mit einem Auftrag nach Hotdog City. Vielleicht kommt er morgen erst zurück. Oder übermorgen.“ „Darf ich neugierig sein, John? Hängt es etwa mit Chap Logan zusammen - oder mit mir?“ - 29 -
„Nein“, sagte der Rancher wortkarg. Brenda hatte plötzlich keinen Appetit mehr. Sie ließ den saftigen, rosig schimmernden Schinken auf ihrem Teller liegen und warf ihr Besteck daneben. „Was willst du eigentlich gegen Logan unternehmen, John?“ „Ich? Gar nichts. Was sollte ich denn tun?“ „Wenn er seine Drohung wahrmacht und Mary-Lou überfällt ...?“ „Ich glaube nicht daran. Außerdem ist Carrington bei ihr und Quade.“ Brenda kniff kurz die Lippen zusammen. „Das sagtest du schon, John. Wer ist Carrington?“ „Oh, ein alter Freund von mir. Er war General bei der Union. Hat nun seinen Abschied genommen und lebt auf der Ranch. Er ist schon alt. Quade ist jünger. Ihn kann man überall einsetzen.“ Daß Carrington ein zäher Säbelfechter war, immer noch schnell mit dem Revolver und noch schneller mit seinen Entschlüssen, das verschwieg Morgan der Frau. Er sagte ihr auch nicht, wie es sich mit Chet Quade verhielt, der früher einmal ein bekannter Revolvermann gewesen war. In der Obhut dieser beiden Männer war Mary-Lou sicher wie in Abrahams Schoß. Deshalb machte sich der Rancher auch kaum Sorgen um seine Tochter. Sollte Chap Logan ruhig versuchen, Mary-Lou zu entführen. Er und seine Meute würden sich blutige Nasen dabei holen, wenn nicht Schlimmeres. Sorgen bereitete John Morgan eher Brenda Whitman. Sie konnte sich nennen, wie sie wollte. Wenn sie mit diesem Rotbart verheiratet war, mußte sie auch dessen - 30 -
Namen tragen. Und genau das konnte Morgan ihr nicht abnehmen. Weder Brenda noch Whitman trugen einen Ring. Und Brenda war nicht der Typ, einen Mann zurückzustoßen, der sie begehrte. Die Geschichte mit Kelly Logan war falsch. Schon als junges Mädchen, als Morgan sie nur als Tochter der Nachbarn kannte, hatte Brenda als ziemlich leichtlebig gegolten. Morgan erinnerte sich an einen Vormann, den der alte Lee hinausgeworfen hatte, weil er ihn mit Brenda in einer eindeutigen Situation erwischt hatte. Der Mann konnte von Glück sagen, daß Joshua Lee ihn nicht auspeitschte. Bullpeitschen gab es damals noch genug. Als die Sache mit Brenda passierte, war der alte Lee außer sich. „Woran denkst du, John?“ Morgan fuhr auf und starrte Brenda an. „Ah, nichts. Ich war in Gedanken in Alabama. Ich dachte an deinen Vater, Brenda. Mir fiel ein, wie er dich einmal für eine Woche in dein Zimmer gesperrt hat.“ Sie errötete. „Das weißt du noch?“ „Yeah. Wegen des Kerls, der dich verführt hatte ...“ „Bitte, sprich nicht mehr davon. Ich wußte nicht ...“ „... daß ich es wußte?“ Morgan erhob sich. „Bist du fertig mit essen?“ „Ja. Natürlich. Es hat mir köstlich geschmeckt.“ Auch Brenda schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Sie ging zum Fenster. John Morgan wußte nun wenigstens mit Sicherheit, daß die Frau diejenige war, für die sie sich ausgab. Kein Zweifel, die Erwähnung jenes Vormanns hatte sie aus der Ruhe gebracht. Sie war rot geworden. - 31 -
Also war sie wirklich Brenda Lee, die Tochter von Joshua Lee. Aber damit war Morgan nicht viel weiter gekommen. Denn er glaubte ihr nicht, daß sie vor Logan auf der Flucht war. Einmal wegen der Gewehrschüsse, die dem Rancher ziemlich theatralisch vorkamen. Wer feuerte auf die Distanz schon hinter einem Wagen her, in dem eine wehrlose Frau saß? Und dann war da noch der Brief. Er bestätigte manches von Brendas Bericht, aber objektiv besehen paßte alles viel zu gut ineinander. Da war ein Beweis geschaffen worden, ein fauler Beweis, der zum Himmel stank. Wenn sie den Brief zum Marshal nach Golden City gebracht hätte, säße Logan mit Sicherheit hinter Schloß und Riegel. Und seine Bande auch. Was steckte also hinter dem sonderbaren Besuch? John Morgan wußte es nicht. Aber er würde es bald erfahren. *** Wieder machte sich John Morgan zum Küchenhaus auf. Er fand Doc Smoky mit einem Wischlappen in der Hand, wie er den Arbeitstisch reinigte. „Ich mache schnell noch sauber, Boß. Keiner soll dem alten Smoky nachsagen, er hätte nicht auf Sauberkeit gehalten.“ Doc Smoky blickte mit seinem faltigen Gesicht zu dem Ranchboß auf. Er sah die ernste Miene Morgans. „He, was gibt es? War der Kochschinken nicht in Ordnung?“ „Die Mahlzeit war prima. Es ist ein anderer Grund, - 32 -
warum es mir nicht geschmeckt hat. Hör zu! Wenn du gleich nach Golden City reitest. . .“ „Nach Hotdog City, Boß. Das hast du eben noch im Haus gesagt!“ „Du reitest nach Golden City, Smoky! Vergiß, was ich eben sagte. Das war eine Finte, um Brenda hinters Licht zu führen.“ „Allmächtiger! Was ist denn los mit der Frau?“ „Das weiß ich nicht. Du sollst es herausfinden. Vor einer Stunde hattest du einen schalen Geschmack im Hals. Und ich habe jetzt einen Stein im Magen. Mit Brenda stimmt etwas nicht. Und mit diesem Logan, der sie angeblich verfolgt, ist auch etwas faul. Hier werden Lügen aufgetischt und eine ungeheuerliche Teufelei vorbereitet.“ „Was denn? Sag's doch, Boß!“ „Besser, wenn du nicht zuviel weißt, Smoky. Ich habe keine Beweise. Nur Vermutungen und Annahmen. Was ich mir zusammenreimen sieht verdammt nicht gut aus für die Skull.“ „Was soll ich denn in Golden City?“ John Morgan sagte nichts von seinen Feststellungen. Smoky brauchte nicht zu wissen, wie es sich mit Brendas Pferd verhielt und mit der fehlenden Reisetasche. Aber Chap Logan lauerte immer noch in der Nähe der Ranch. Soviel war sicher. Die Bande wollte den Wagen mit Mary-Lou abfangen. Smoky sollte sich vorsehen. . . „Erstmal mußt du dorthin“, ging Morgan auf die Frage des Alten ein. „Kann sein - ich sage, kann sein -, daß Logan etwas mit Mary-Lou vorhat. Er weiß ja nichts von Chet Quades Vergangenheit. Und Carrington wird auch noch ein Wörtchen mitreden, wenn die Schießeisen sprechen.“ Smoky wurde grau im Gesicht. „Du sagst das einfach - 33 -
so, Boß! Was ist, wenn sie Mary-Lou wirklich kapern? Es ist ein gutes Dutzend Männer, das mit Logan reitet. Und bei Mary-Lou sind nur zwei!“ „Keine Sorge, Smoky. Die anderen sind auch nur zwei. Zumindest zwei, die man ernst nehmen muß. Logan selbst und der Rotbart namens Redman. Der Rest der Bande ist nur Theaterausstattung. Heruntergekommene Tramps, Penner und Trunkenbolde, die gerade noch gut genug sind, Schüsse in die Luft abzufeuern. Ich wundere mich, daß keiner von denen aus dem Sattel gefallen ist.“ Doc Smoky verstand die Welt nicht mehr. „Boß, bist du sicher?“ „Logan will mich einschüchtern, Smoky. Hör zu, ich sage dir doch mehr als ich wollte. Paß unterwegs auf und halte deine Waffe bereit. Logan wird versuchen, MaryLou zu entführen.“ „Warum?“ „Um Geld von mir zu erpressen. Darauf läuft es hinaus.“ „Und die Frau im Haupthaus? Welche Rolle spielt die?“ „Brenda? Sie ist die Dritte im Bunde. Vielleicht hat sie sogar die Kerle angeheuert, mit denen Logan Eindruck schinden will. Brenda lügt. Ich konnte ihr in einigen Dingen schon auf die Schliche kommen. Sie wird nicht verfolgt, und sie ist auch nicht in Gefahr.“ „Warum ist sie dann hier?“ „Denk doch mal nach, Smoky! Wer wie Brenda und Logan vorgeht, hat sich erstmal umgehört. Wir alle von der Skull haben uns in kurzer Zeit einen Namen gemacht. Es heißt, wir sind nicht so leicht kleinzukriegen. Was würden wir also tun, wenn Mary-Lou entführt würde?“ - 34 -
„Wir nähmen unsere Pferde und holten sie raus, wo immer sie ist, Boß! Und wenn wir dafür in die Hölle und zurück müßten!“ „Yeah. Das traut man uns zu. Wir würden's genauso machen. Damit kommt Logan aber nicht an sein Geld. Und er weiß das. Er weiß auch, daß hier inzwischen etwas zu holen ist.“ Doc Smoky schüttelte den Kopf. „Da komm ich nicht mehr mit.“ „Ich habe es auch erst spät begriffen, Smoky. Die Sache ist abgefeimt angepackt worden. Für Mary-Lou würde ich nicht zahlen. Das stimmt. Die ganze Mannschaft würde reiten und sie herausschießen. Aber wie steht es bei Brenda? Da kann ich nichts unternehmen.“ „Versteh' ich nicht, Boß. Was geht dich diese Brenda an?“ „Sie war die Tochter meiner Nachbarn in Alabama. Sie hat von Anfang an darauf hingearbeitet, daß sie meine Hilfe braucht, aus alter Freundschaft sozusagen. Fauler Zauber, denn ich habe sie durchschaut. Alles gehört zu dem niederträchtigen Plan.“ „Klingt mächtig zusammengebastelt.“ „Mag sein. Je länger ich aber darüber nachdenke, desto cleverer scheint mir die Sache eingefädelt. Logan ist nicht dumm. Er wird noch etwas in der Hinterhand haben. Das sollst du für mich herausbringen, Smoky.“ „Mach ich. Geht klar, Boß. Was soll ich also tun?“ „Das erste ist, daß du unterwegs die Augen offen hältst. Mary-Lou dürfte inzwischen auf dem Rückweg sein. Wenn Logan merkt, daß er an Profis geraten ist, wird er aufgeben. Darauf ist er nicht gefaßt. Für alle Fälle bist du auch noch da. Achte also auf Schüsse, wenn du reitest. Bist du dann in der Stadt, geh zu Marshal - 35 -
Rockwell. Stell ihm drei Fragen, Smoky.“ „Welche?“ „Frag ihn nach Chap Logan. Der Name kann falsch sein. Beschreibe also den Mann. Du hast ihn doch gesehen.“ „Flüchtig.“ „Dann streng dich eben an. Kantiges Kinn, untersetzt, freches Mundwerk und so weiter. Rockwell soll nach Denver telegraphieren und wegen Logan anfragen.“ „Verstanden.. Was willst du noch wissen, Boß?“ „Alles über Brenda Lee. Frag Rockwell auch nach Brenda Whitman. Sie behauptet, sie wäre verheiratet. Mit dem Rotbart. Nach dem erkundige dich auch.“ „Rockwell ist nicht allwissend.“ „Er weiß aber, wo er die Auskünfte bekommen kann. Sag ihm, ich zahle alle Kosten. Und es muß schnell gehen. Ich kann mir denken, was passiert, wenn der Anschlag auf Mary-Lou fehlschlägt.“ „Was denn?“ „Dann war der eine Lauf ein Rohrkrepierer. Logan schießt in dem Fall aus dem zweiten Lauf. Er kommt auf Brenda zurück.“ „War's nicht einfacher, Boß, du würdest die Frau zum Teufel jagen? Damit wäre der ganze Spuk vorbei.“ „Daran habe ich auch gedacht. Nun erkennst du, wie abgefeimt Logans Plan ist. Brenda lügt, aber ich kann nicht riskieren, sie aus dem Haus zu werfen. Vielleicht ist sie doch die hilflose Frau, die sie vorgibt zu sein. Es ist ein verdammter Konflikt. Ich muß mehr wissen, und es muß bald sein, daß ich es weiß. Reite, Smoky, und vergiß dein Schießeisen nicht!“ *** - 36 -
Für Doc Smoky war der Fall sonnenklar. Als er ritt, murmelte er verächtlich vor sich hin. „Weiber ...“ Die Frau hatte dem Boß den Kopf verdreht. Er sah schon Gespenster am hellen Tag. Dabei war alles so einfach. Brenda hatte sich mit Logan in ein schmutziges Geschäft eingelassen, und nun jagte er sie, um abzurechnen. Wenn Logan mit dem Marshal drohte, mußte er gute Gründe dafür haben. Und ihn, Smoky, sollte es nicht wundern, den Mann bei Rockwell anzutreffen. John Morgan schützte eine Frau, die seine Hilfe nicht verdiente. Bei alledem hatte Logan sich noch korrekt verhalten. Er hatte seine Forderung gestellt, und als Morgan nicht darauf einging, war Logan wieder geritten mit der Bemerkung, er wollte wiederkommen. Nichts Verbrecherisches war dabei. Auch nicht, sich Hilfe in Golden City zusammen zu kaufen. Klar kamen ein paar von den Burschen aus der Stadt. Sie übernahmen gern solche Jobs, um sich ein paar Dollars zu verdienen. Auch das war nichts Verbrecherisches. Im Gegenteil. Wenn Logan wirklich Übles vorhatte, wäre er kaum mit einem Dutzend Zeugen geritten. John Morgan ließ nach. Vielleicht übernahm er sich mit der täglichen Arbeit für die Ranch. Wahrhaftig nicht leicht, so einen Betrieb aus dem Boden zu stampfen. Man mußte mal mit Mary-Lou reden, und mit Carrington. Der war ja der Freund vom Boß ... Smoky würde sich auf keinen Fall bei Rockwell lächerlich machen, indem er die Fragen stellte, die Morgan ihm aufgetragen hatte. Unsinn, das Ganze. - 37 -
Er würde gemütlich zur Stadt reiten und auf Morgans Kosten einen draufmachen. Das stand ihm zu für die Mühen des langen Ritts. Eigentlich gar nicht so schlecht, dieser Ausflug nach Golden City. Doc Smoky war guter Dinge und trällerte mißtönend ein Lied vor sich hin, daß sein Pferd die Ohren anlegte. Er kam gut voran. Meile um Meile schwand unter den trabenden Hufen des Schecken. Zwar war es heiß, aber bald würde es ein Gewitter geben. Schon vernahm Smoky fernes Donnergrollen. Ein wenig Regen machte ihm nichts aus. Verdammt sonderbarer Donner, dachte Smoky nach einer Weile. Kommt so vereinzelt wie fernes Gewehrfeuer. Gewehrfeuer! Er gab dem Schecken die Sporen. Das Tier galoppierte los, mit Smoky flach im Sattel. Der Klang der Schüsse kam ständig näher. Und das nicht nur, weil Smoky darauf zuritt. Von der anderen Seite rückten die Detonationen ebenfalls heran. Und dann sah Doc Smoky, was los war. In voller Fahrt raste die Kutsche der Skull-Ranch den Trau entlang. Chet Quade hielt die Leinen mit links. Mit der rechten Hand hatte er die Winchester gepackt und schoß auf die Kerle, die rechts und links neben dem Wagen zu Pferde herjagten. Sie hielten Abstand, aber in den Sekunden, die Smoky Augenzeuge war, sah er drei oder vier Pferde stürzen. Die Reiter überschlugen sich am Boden und blieben liegen. Da war Chet Quade auf dem Bock schon heran. Vom Rücksitz aus feuerte General Carrington mit seinem - 38 -
langläufigen Colt. Sogar Mary-Lou beteiligte sich an der Schießerei. Sie legte ihren Zweiunddreißiger auf und zielte sorgfältig, bevor sie abdrückte. Endlich wurde Doc Smoky wach. Er riß sein Eisen aus dem Holster und nahm den Glatzköpfigen aufs Korn. Seine Kugel verfehlte den Mann, aber ein Erfolg war es trotzdem. Die Kerle, die noch reiten konnten, sahen Smoky und drehten um. Mit vier Schießeisen hatten sie nicht gerechnet. Doc Smoky meinte sogar, Logan erkannt zu haben. Wenn es der Bursche war, der als erster kehrtgemacht hatte ... Chet Quade brachte den Wagen zum Stehen und drehte sich auf der Fahrerbank nach den Flüchtenden um. Den Reitern folgten einige Männer zu Fuß. Sie humpelten und torkelten schreiend der Meute nach. „Kommt gut heim!“ rief Quade. „Und vergeßt nicht, das Pferdefleisch abholen zu lassen!“ *** Das Gespann vor der offenen Skull-Kutsche stand mit hängenden Köpfen da. Chet Quade schwang sich vom Bock, Mary-Lou und General Carrington stiegen aus. Auch Doc Smoky saß ab. Nun war er doch nachdenklich geworden. Sollte der Boß am Ende recht behalten? Der Ranchkoch machte eine Verbeugung vor MaryLou. „Ich wußte gar nicht, daß du so gut schießen kannst, Mädchen. Hast vor meinen Augen einen der Kerle aus dem Sattel geholt.“ „Und ich wußte nicht, daß du auf zehn Fuß nicht mal - 39 -
ein Scheunentor triffst, Smoky“, gab Chet Quade grinsend zurück. General Carrington machte ein ernstes Gesicht. „Es hätte leicht Tote geben können! Auf beiden Seiten. Was wollten die Banditen nur von uns?“ „Das kann ich Ihnen sagen, General“, entgegnete Quade. „Die Kerle haben's mal versucht. Vergessen Sie nicht, daß die Bande erst eine Meile weit neben dem Wagen hergeritten ist, ehe es losging. Sie haben uns abtaxiert. Und weil wir anfangs nichts gegen sie unternahmen, ging der Zauber los.“ „Aber wir hatten doch nichts Lohnenswertes dabei, Quade! Die paar Einkäufe sind doch keinen Überfall wert!“ Mary-Lou biß sich auf die Lippe. Sie musterte Smoky mit einem eigentümlichen Blick. „Ach, sag doch mal, Smoky: du bist doch nicht zufällig hier? Hat mein Vater dich geschickt? Solltest du uns entgegenreiten?“ Carrington wirbelte herum. „Raus mit der Sprache, Smoky! Du weißt doch mehr über den Überfall!“ „Ich weiß gar nichts“, druckste der Alte herum. „Der Boß hat mich mit einem Auftrag nach Golden City geschickt. Er sagte, ich sollte unterwegs die Augen offenhalten. Am Morgen waren die Kerle auch auf der Ranch. Zwei von ihnen. Der Glatzköpfige und der Schwarzgekleidete. . .“ „Dann wußten die Kerle auch, daß wir kommen würden“, meinte Chet Quade. „Aber ich werde das blöde Gefühl nicht los, daß mehr dahinter steckt als nur der Versuch eines Überfalls.“ „Versuch ...?“ staunte Carrington. „Ich danke für einen Versuch. Die haben es ernst gemeint und gefeuert - 40 -
wie im Krieg.“ Chet grinste. „Ich finde das verdammt nicht spaßig, Mister Quade!“ „Ich auch nicht, General. Nur, die Kerle haben dauernd in die Luft geschossen. Haben Sie das nicht bemerkt? Sehen Sie sich doch unsere Pferde und den Wagen an! Kein Einschuß, keine Verletzung. Dabei war die Bande nahe genug. Wenn wir ihnen die Gäule unterm Sattel abschießen konnten, hätten die anderen uns auch einen aufbrennen können. Das haben sie aber nicht getan!“ „Doc Smoky!“ sagte Mary-Lou bestimmt. „Ich will jetzt alles wissen! Sag schon, was hier los ist! Es kommt mir langsam wie ein übler Scherz vor, wie ein makabrer Scherz. Da sind Männer verletzt worden - und eine Handvoll Pferde sind tot!“ Smoky kratzte sich am Kopf. Sollte er damit herauskommen, was er vertraulich vom Boß erfahren hatte? Nein. Wenn Morgan es für richtig hielt, konnte er seine Vermutung selbst vortragen. Mary-Lou, der General und Chet Quade hatten es ja nicht mehr weit bis zur Ranch ... „Ich muß weiter“, brummte Smoky. „Sprecht mit dem Boß! Ich schätze, Mister Morgan kann euch sagen, was hinter dem Überfall steckt.“ Und Smoky zog sich hastig in den Sattel seines Pferdes. „Der will wahrhaftig reiten“, platzte Mary-Lou heraus. Chet Quade tippte sich an die Stirn. Carrington beobachtete mit schmalen Lippen, wie Smoky sein Pferd in östliche Richtung lenkte, weg von dem Trau nach Golden City. „Wenn ich nicht wüßte, daß der Mann absolut zuverlässig ist, würde ich sagen, Doc - 41 -
Smoky steckt in dieser Teufelei mit drin. Bis zum Hals!“ „Und ich würde sagen, Doc Smoky nimmt einen anderen Weg zur Stadt. Weil er nicht scharf darauf ist, allein mit den Kerlen aneinander zu geraten, General.“ Carrington sah die letzten Banditen hinter einer Hügelkuppe verschwinden. Das waren die ‚Fußgänger’. Einige schienen wirklich verletzt zu sein, denn sie stützten sich gegenseitig. Die anderen, die sich im Sattel ihrer Pferde retten konnten, waren längst außer Sicht. Und Smoky ritt gebeugt nach Osten. Er drehte sich nicht mehr um. Chet Quade schwieg zu alledem. Aber er machte sich seine eigenen Gedanken. Und er wußte auch schon, was er den Boß zuerst fragen würde, sobald sie auf der Skull eintrafen. Er winkte Mary-Lou und dem General, wieder die Plätze einzunehmen. Dann kletterte er auf die Fahrerbank und gab dem Gespann die Leinen frei. Langsam ging es weiter zum Bluegrass Valley. Und die Winchester lag neben Quade schußbereit. Unterwegs sprach niemand mehr. Alle waren mit ihren Gedanken beschäftigt. Und alle zogen ein sorgenvolles Gesicht. *** Es war schon Abend, als sie auf den Ranchhof rollten. John Morgan erwartete sie. Er ging der offenen Kutsche entgegen, das Gesicht eine einzige Frage. General Carrington sprang vom noch rollenden Wagen. „John! Was geht hier vor? Wir sind überfallen worden! Und nach allem, was ich denke, komme ich nicht umhin, daß du von dem Überfall wußtest!“ - 42 -
„Kommt rein“, sagte der Ranchboß knapp. „Du auch, Chet! Ich habe mit euch zu reden!“ Im Mannschaftshaus brannte schon Licht. Shorty kam heraus und lief auf den Wagen zu, um die Pferde zu übernehmen. Mary-Lou und der General folgten Morgan auf die Veranda, während Chet Quade auf dem Bock sitzenblieb. John Morgan wandte sich stumm zu ihm um und winkte mit der Hand. Quade nickte und stieg von der Kutsche. Morgan ließ ihn zum Wohnraum durch und schloß nachdrücklich die Tür. „Ich bin froh, euch gesund wiederzusehen. Während der letzten Stunden habe ich mir doch Sorgen gemacht.“ „Nun mal raus mit der Wahrheit, John! Was geht hier vor?“ Der Ranchboß blickte Carrington nachdenklich an. Dann wanderte sein Blick weiter zu Mary-Lou. „Vater ...!“ begehrte sie auf. „Sag endlich, was dahintersteckt! Du weißt es doch!“ Chet Quade blieb stumm. Der Ranchboß seufzte auf. „Ich wünschte, ich könnte euch Tatsachen melden. Aber ich kann es nicht. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so im Ungewissen wie heute. Wir alle schweben in großer Gefahr.“ „Hängt das mit dem Überfall auf uns zusammen?“ fragte der General. „Wußtest du davon, John?“ Morgan nickte. „Ich ahnte es, und ich habe es nicht ernst genommen. Der Überfall ist nur ein Ablenkungsmanöver, schätze ich.“ „Aber zu welchem Zweck? Wovon sollen wir abgelenkt werden, John?“ - 43 -
„Ich kann es nicht sagen, Norman. Eine ungeheuerliche Teufelei bahnt sich an. Zuerst dachte ich an Entführung und Erpressung. Es hat sich herumgesprochen, daß die Ranch erste Anfangserfolge zu verzeichnen hat. Es gibt immer Neider und verbrecherische Dollarhaie, die sich der Skull bemächtigen wollen. Wir haben es doch schon erlebt! Denkt nur an Sabarro oder Orlando, den Coyoten aus Texas!“ Chet Quade räusperte sich. Er hielt es für an der Zeit, die Frage zu stellen, die ihm so lange auf der Seele brannte. „Es war kein Überfall, Boß. Die Kerle haben nur in die Luft geschossen. Und ich frage dich nun warum?“ „Vielleicht geht es nicht um euer Leben“, sagte John Morgan leise. „Sondern. . .?“ hakte der General ein. „Sondern um meines, Norman!“ Sekundenlang war es ganz still in dem großen, dämmrigen Wohnraum. Dann sprang Mary-Lou auf. „Vater! Was können wir tun, um dich zu schützen? Gibt es einen dunklen Punkt in deinem Leben, an dem verbrecherische Elemente ansetzen können?“ Sie wandte sich zu Quade um. „Chet, du stehst doch mit allen Männern hinter Vater? Oder weißt du etwa, was sich hier abspielt? Du warst so gefaßt und ruhig bei dem Überfall!“ „Es war kein Überfall, Mary-Lou! Ich muß das noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen. Dein Vater hat schon recht, wenn er annimmt, es sei ein Ablenkungsmanöver. Was war los hier auf der Ranch, als wir in der Stadt waren?“ „Wir hatten Besuch“, sagte John Morgan. Und er - 44 -
berichtete von der dunkelhaarigen Frau und von den Reitern, die Brenda angeblich verfolgten. Er sprach von seinen Vermutungen und seinen Zweifeln, verhehlte auch nicht die Lügen, bei denen er Brenda Lee ertappt hatte. „Du hast sie doch hoffentlich hinausgeworfen, Vater?“ sagte Mary-Lou mit weiblicher Logik. „Diese Frau scheint mir die Ursache allen Übels.“ „Sie ist noch hier“, entgegnete John Morgan. „Ich kann Brenda erst weglassen, wenn sie alles gesagt hat. Ich habe auf euch gewartet. Ihr müßt mir helfen, denn ich weiß allein nicht weiter.“ „Holen wir sie! Wo steckt sie denn?“ „Ich habe sie in deinem Zimmer eingeschlossen, Mary-Lou.“ Chet Quade durchquerte schon den großen Raum und steuerte die Tür zur Vorhalle an. „Warte noch, Chet!“ John Morgan strich sich über das Kinn. „Ich habe mich am Nachmittag lange mit ihr unterhalten, und ich weiß nun mit absoluter Sicherheit, daß sie wirklich Joshuas Lees Tochter ist. Sie wußte von Dingen, die kein anderer ahnen konnte. Mary-Lou! Dich hat Brenda oft auf dem Arm getragen, als du noch ein Baby warst. Also denke nicht allzu schlecht von ihr, weil sie nun in Not ist. Denn ich meine immer noch, daß Logan sie unter Druck gesetzt hat. Sie lügt nicht aus eigenem Antrieb. Wir wollen Brenda im Guten dazu bringen, die volle Wahrheit zu sagen.“ Mary-Lou lächelte. Sie kannte ihren Vater. Er konnte sich gegen alles zur Wehr setzen, gegen Revolver, Gewehre und Kanonen - aber gegen die Waffen einer Frau war er machtlos. Brenda schien ihn ganz schön eingewickelt zu haben. Und Mary-Lou war gespannt auf die Frau. Sie folgte - 45 -
Chet zur Tür. *** In dem Zimmer, das Mary-Lou bewohnte, war es still. Chet drehte den Schlüssel im Schloß und öffnete. Niemand war drinnen. Dafür aber stand das Schiebefenster offen. Es ging zur Rückseite des Ranchhauses hinaus. Mary-Lou und Chet sahen sich wortlos an. Dann zuckte Chet mit den Schultern und ging zum großen Wohnraum zurück, um dem Boß Bescheid zu sagen. Das Mädchen trat ins Zimmer ein. Alles war wie vorher - fast alles. Der Stuhl an dem kleinen Schreibpult war verschoben worden. Auf der schrägen Platte des Pultes lag ein Bogen beschriebenes Papier. Die Schreibfeder steckte noch im Tintenfaß. Mary-Lou beugte sich über den Brief. Er war an ihren Vater gerichtet. Und was sie las, nahm ihr fast den Atem. Sie ahnte nun, was am Nachmittag vorgefallen war. Brenda hatte ihren Vater nicht nur eingewickelt, sondern regelrecht verführt. Zumindest konnte man das aus dem Brief entnehmen. Während Logan auf die offene Kutsche wartete, hatte sich Brenda mit dem Rancher der Skull einen schönen Nachmittag gemacht. Mary-Lou spürte etwas wie Enttäuschung in sich aufsteigen. Ihr Vater war frei, zugegeben, seit Mutter tot war. Aber außer einer harmlosen Freundschaft mit der Gräfin Potemkin hatte er keine Beziehungen zu Frauen. Und nun das! Was mochte er Brenda nur versprochen haben? Es war - 46 -
ekelhaft und gemein von ihm, daß er nicht offen sagte, was war. Er brauchte es ja nicht vor den Leuten zu tun, vor Chet und Carrington! Aber wenigstens seine eigene Tochter hätte er ins Vertrauen ziehen können, gleich nach der Rückkehr. Mary-Lou war versucht, den Brief einfach zu zerreißen. Aber dann faltete sie den Bogen und schob ihn zwischen zwei Bücher in das kleine Regalbrett. Sie warf sich auf ihr Bett und weinte hemmungslos. So fanden sie die Männer, die nach Chets Meldung in ihr Zimmer stürmten. John Morgan sah Mary-Lou schluchzend auf dem Bett liegen und trat zu ihr. „So tragisch ist es nun auch wieder nicht, Kleines! Es wird sich alles aufklären . . .“ „Laß mich!“ schrie sie auf. „Faß mich nicht an! Geh doch zu dieser Frau, diesem Flittchen.. .!“ John Morgan fuhr zurück. „Was ist denn los?“ „Geh! Geht alle aus meinem Zimmer! Ich will allein sein!“ Betreten verzogen sich die Männer. Carrington schüttelte den Kopf. „Was hat sie denn auf einmal? Verstehst du das, John?“ Morgan zog die Tür ins Schloß. „Ich will verdammt sein, wenn ich das durchschaue! Aber eins sage ich dir, Norman: sollte Brenda sich hier noch einmal sehen lassen, geht der Teufelstanz los!“ „Verlaß dich nicht zu sehr darauf, daß sie weg ist, John. Ihr Wagen steht noch im Schuppen!“ „Schauen wir, was mit dem Gaul ist. Sie wird geritten sein, als keiner auf dem Hof war. Die Mannschaft ist erst seit einer Stunde zurück.“ „Du hast nichts gehört?“ - 47 -
„Ich konnte doch nicht damit rechnen, daß Brenda flüchtete. Wo doch Logan auf sie wartet!“ „Eine Lüge mehr, John. Sei froh, daß die Frau weg ist. Was auch immer geschehen wird, wir werden die Ranch gegen jeden Angriff verteidigen. Du hast doch Männer genug, die schießen können.“ Chet Quade, der zum Stall gegangen war, meldete wie erwartet, daß kein fremdes Pferd mehr dort war. Chet Quade zuckte mit den Schultern. „Ich sage den Männern Bescheid und stelle Wachen auf. Wer zur Ranch kommt, wird mit heißem Blei begrüßt.“ „Yeah“, stimmte der Ranchboß zu. „Sollen sie nur kommen. Ein Kampf ist mir lieber als die verdammte Ungewißheit!“ *** Die Nacht sank herab, die samtige laue Nacht der Berge in Colorado. Eine schmale Mondsichel zeigte sich im Süden, aber das Licht der Myriaden von Sternen war fast heller. Chet Quade hatte rings um die Ranchgebäude Wachen aufgestellt, und berittene Posten patrouillierten bei den Herden. Eine fühlbare Spannung lag in der Luft. John Morgan hatte sich in einen tiefen Sessel zurückgezogen und starrte blicklos auf die Wand des Wohnraums. Chet Quade und General Carrington saßen beim Fenster und sagten kein Wort. Jeder hing seinen Gedanken nach und kombinierte, was die unerklärlichen Vorfälle des Tages zu bedeuten hatten. Und jeder kam zu einem anderen Ergebnis. - 48 -
John Morgan sah seine Ranch in Gefahr. Er nahm das Ganze als neuerlichen Versuch, ihn auf teuflische Weise um den Erfolg harter Arbeit zu bringen. Erpressung war neu. Neu, seitdem bekannt war, daß die Skull erste Gewinne abgeworfen hatte. Komme was wolle - er würde keinen lausigen Cent rausrücken. Mary-Lou war in Sicherheit, und was Brenda betraf: die Frau sollte sich zum Teufel scheren! Es war gut, daß sie sich davongemacht hatte. Er konnte und wollte ihr nicht mehr helfen ... Und falls die Kerle angriffen, würden die Waffen sprechen. Drinnen im Haus lagen Gewehre bereit, um sofort zurück zu feuern, wenn der Tanz beginnen sollte. General Carrington warf einen verstohlenen Blick auf seinen Gastgeber. Ihm schien es, daß John etwas verheimlichte. Die Ereignisse ergaben für den altgedienten Soldaten keinen Sinn. Es mußte so etwas wie einen Schlüssel geben, eine entscheidende Tatsache, die John für sich behielt. Sein Freund hatte sich in den zwei Tagen, die sie fortgewesen waren, sehr verändert. Ob die geheimnisvolle Frau dahinter steckte? Brenda Lee? Bohrende Gedanken quälten den General. Er hätte John so gerne geholfen, aber zuerst einmal mußte John sich auch helfen lassen. Carrington kannte den einstigen Südstaatenoffizier gut genug, um zu wissen, daß Morgan die Sache allein durchstehen wollte. Was immer es sein mochte - es gab Dinge im Leben eines Mannes, die er nicht anderen überlassen konnte. Vielleicht hatte Mary-Lou recht gehabt, als sie nach dunklen Punkten in der Vergangenheit ihres Vaters fragte. Und John hatte dem Mädchen keine Antwort gegeben ... Aber wie paßte dann der Scheinüberfall in dieses - 49 -
Bild? Carrington seufzte und schwieg. Chet Quade sah die Sache vom Standpunkt eines Revolvermannes. Da versuchten ein paar Kerle einen neuen Dreh. Sie arbeiteten mit der Angst. Ihr Fehler war, daß sie die Männer der Skull-Ranch falsch einschätzten. Der Feuerzauber am Nachmittag war geradezu lächerlich gewesen, und die Kerle hatten ihre Quittung dafür einstecken müssen. Sollten sie doch in der Nacht kommen! Dann würde nicht mehr nur auf die Pferde geschossen! Dann würde ernst gemacht! Chet lauschte in die stille Nacht hinaus. Drinnen wurde ihm die Zeit lang. Er stand auf und schlenderte zur Verandatür. „Ich gehe raus und überprüfe die Wachen, Boß!“ John Morgan gab keine Antwort. Chet bohrte sich im Ohr. Carrington hob den Kopf und verzog die Lippen. „Ah, was ich noch sagen wollte“, meinte Chet. „Wir sollten die Lampe besser herunterdrehen. Von außen sitzt man im hellen Wohnraum wie am beleuchteten Ende eines Schießstands. Man kann nie wissen. Vielleicht lauert einer von den Kerlen mit einer Weitschußwaffe in den Hügeln drüben.“ Der General nickte. „Verdammt, ja! Ich hätte selbst draufkommen müssen.“ Er ging zur Lampe und ließ die Kerosinflamme ersterben. Chet Quade schlich leise hinaus. Und John Morgan saß grübelnd da, das Kinn auf eine Hand gestützt, und starrte immer noch die Wand an, die nun schwarz war wie ein dunkles Tuch. ***
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In ihrem Zimmer setzte sich Mary-Lou auf die Bettkante und stöhnte auf. Was half ihr Weinen? Ihr Vater war alt genug und mußte wissen, was er tat. Es war nicht die Gewißheit, daß diese Frau ihn umgarnt hatte, die dem Mädchen weh tat. Es war die Verstocktheit des Vaters, seine Heimlichkeit, die MaryLou bekümmerte. Banditen waren am Werk und hatten einen Überfall riskiert. Und was sagte ihr Vater dazu? Wahrhaftig, er hatte sich Sorgen gemacht. Aber gewiß keine allzu großen. Was interessierte ihn auch noch seine Tochter, da er mit dieser Frau offenbar ein neues Leben beginnen wollte? Mary-Lou wollte ihm dabei nicht zur Last fallen. Sie beschloß, gleich am nächsten Morgen ihre Sachen zu packen und die Skull-Ranch für immer zu verlassen. Fast hatte sie Verständnis für den Mann, der ihr Vater war. Er hatte mit ungeheurer Energie etwas aufgebaut und hatte keine Partnerin, mit der er seinen Erfolg teilen konnte. Mary-Lou konnte ihrem Vater keine Vorschriften machen. Sie nahm ihm nur übel, daß er nicht wenigstens ihr die Wahrheit gesagt hatte. Sie hätte ihren Vater schon verstanden. War es denn ungewöhnlich, daß ein Mann im zweiten Frühling einen zweiten Partner fand? Man hörte doch öfter davon, daß Männer im Alter ihres Vaters sich zum Narren machten nur wegen der schönen Augen einer skrupellosen Frau. Diese Brenda versuchte es auf ihre Art, und sie hatte Erfolg gehabt. In so kurzer Zeit! Kaum war die Tochter aus dem Haus, zur nächsten Stadt gefahren, da erschien diese berechnende Person und riß alles an sich! Wütend stampfte Mary-Lou mit dem Fuß auf. - 51 -
Weggehen? Nein. Zum Teufel, nein!!! Sie wollte nicht gehen, nicht kampflos das Feld räumen. Sie hatte die älteren Rechte! Zumindest wollte sie ihren Vater zur Rede stellen. Er sollte sagen müssen, welcher Teufel ihn geritten hatte, als er dieser hergelaufenen Schlampe alles überschrieb. Er kannte sie noch aus Alabama ... Lachhaft! Brenda hätte sie auf dem Arm getragen, als Mary-Lou noch ein kleines Kind war ... Dummes Zeug! Gab das dieser Frau etwa das Recht, die Stelle der Mutter einzunehmen? Ihr Vater mußte vor dieser Unüberlegtheit bewahrt werden. Es war ihre Pflicht, ein hartes Wort mit ihm zu reden. Jetzt gleich, falls es noch nicht zu spät dafür war. Vielleicht ließ sich alles noch rückgängig machen. Schließlich bestimmte ihr Vater allein über sein Eigentum. Zornig riß Mary-Lou den Brief wieder zwischen den Büchern hervor. Sie entzündete die kleine Lampe auf ihrem Schreibpult und las den Brief noch einmal in aller Ruhe. „Geliebter John. Es kommt mir wie ein Wunder vor, daß uns das Schicksal noch einmal zusammenführte. Ich fühle wie du, und ich verstehe, daß du mich versorgt wissen willst. Was wird Mary-Lou dazu sagen, daß du mir die Ranch überschrieben hast? Das war wirklich voreilig von dir. Du hättest dein Testament auch nach unserer Hochzeit noch ändern können, das wäre früh genug gewesen. Aber ich beuge mich deinem Willen. Verzeih mir, daß ich - 52 -
heimlich weggeritten bin, aber ich muß allein sein. Außerdem kann ich dir nicht zumuten, eine Frau zu heiraten, die ihre Vergangenheit noch nicht in Ordnung gebracht hat. Ich werde Chap Logan suchen und mich mit ihm arrangieren. Ich kann ihm doch Geld anbieten, damit er dich und mich in Ruhe läßt? Dank deiner Großzügigkeit bin ich jetzt eine reiche Frau. Wenn ich zurückkomme, wird in Golden City schon unser Aufgebot bestellt sein. Und dein Testament wird sicher bei einem Notar liegen. Mach dir keine Sorgen, John. Ich bin wieder bei dir, wenn ich hinter mich gebracht habe, was ich tun mußte. Tausend Küsse, Brenda.“ Die sauberen, kleingeschriebenen Buchstaben tanzten Mary-Lou vor den Augen. Gewiß, ihr Vater konnte sein Testament jederzeit widerrufen, aber durfte sie das von ihm verlangen? Es sah doch dann so aus, als ginge es Mary-Lou nur um den Besitz! Und gerade ihr Erbteil war ihr gleichgültig. Sie dachte nur an ihren Vater, der einer skrupellosen Dollarhyäne zum Opfer gefallen war. Er sollte wirklich sein Testament abändern. Dann würde er selbst erfahren, wie groß Brendas Liebe war. Diese verhängnisvolle Frau liebte nur Geld und Besitz! Man konnte die Probe darauf machen. Mary-Lou wollte genau dies ihrem Vater vorschlagen. Aber ehe sie zu ihm ging, mußte sie erst noch zur Ruhe kommen. - Mit Hysterie war niemandem geholfen. Mary-Lou lehnte sich im Stuhl zurück und ließ den Brief zu Boden flattern. ***
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Doc Smoky erreichte Golden City mit dem Anbruch der Nacht. Sein Umweg nach Osten hatte ihn viel Zeit gekostet, aber dafür war er keinem der Höllenhunde begegnet. So hatte Smoky sich alles noch einmal in Ruhe überlegen können. Der Überfall war eingetroffen, wie der Boß es prophezeit hatte. Das bedeutete, daß diese fremde Lady ihre Finger im Spiel hatte. Nur von ihr konnte Morgan etwas von dem geplanten Überfall erfahren haben. Und weiter hieß das, daß er nun zum Marshal mußte. Smoky tat es ungern, denn er wollte sich nicht zum Narren machen. Wenn der Marshal durch ihn von dem Überfall erfuhr, würde er mehr Fragen stellen. Doc Smoky machte seinen Schecken am Holm vor dem Office fest und trat polternd ein. George Rockwell blickte von seinen Papieren auf. „Ah, Smoky! Das kann doch kein Zufall sein, daß du gerade heute bei mir hereinplatzt! Aber du kommst mir wie gerufen!“ „Marshal?“ „Setz dich. Und sag mir, was dich herführt. Es gab doch keinen Ärger bei euch im Bluegrass Valley?“ „Bis jetzt noch nicht. Vielleicht aber doch schon, inzwischen.“ Marshal Rockwell schüttelte den Kopf. „Hast du sehr viel getrunken, Smoky?“ „Keinen verdammten Tropfen, Marshal. Ich soll Sie was fragen!“ „Dann raus damit.“ „Also ...“ Smoky nahm den Daumen seiner linken Hand zwischen die Finger der Rechten. „Erstens: mein - 54 -
Boß will alles über einen gewissen Chap Logan wissen. Der Name kann auch falsch sein, meint Morgan. Logan ist ziemlich klein, dunkel gekleidet und hat ein kantiges Kinn. Ah, und er redet ziemlich blöd daher!“ „Die Beschreibung könnte auch auf dich passen, Smoky. Wo soll dieser Logan denn herstammen?“ „Denver.“ „Wie stellt sich John Morgan das denn vor? Soll ich für ihn nach Denver reiten und mich umhören?“ „Der Boß dachte eigentlich mehr an Telegraphieren. Er sagte so was in der Art, daß er sich an den Kosten beteiligen will“, formulierte Smoky vorsichtig. „Wie nett von ihm.“ „Yeah. Er will auch alles über eine Frau wissen. Brenda Lee heißt sie. Kann auch sein, daß sie anders heißt, Marshal. Redman oder Whitman. . .“ „Sonst will er nichts wissen?“ „Doch. Alles über Redman oder Whitman. Er hat 'ne Glatze und 'nen schäbigen, verlausten roten Bart.“ „Bin ich allwissend?“ „Sehen Sie, Marshal! Genau das hab ich dem Boß auch gesagt! Aber Morgan verläßt sich darauf, daß Sie ihm weiterhelfen. Er sagte, Sie wüßten schon, wie Sie ihm die Auskünfte besorgten!“ „Vertrauen ehrt, Smoky. Wie stellt Morgan sich das vor? Kommen die beiden anderen auch aus Denver? Dieses Redman-Whitman-Gesindel?“ Doc Smoky schüttelte den Kopf. „Da bin ich überfragt, Marshal. Ehrlich!“ „Ich glaube dir ja, Smoky! Nun gut, ich werde deinem Boß den Gefallen tun und zum Telegraphen-Office gehen. Aber es wird nicht billig! Und obendrein muß Morgan mir auch einen Gefallen erweisen.“ - 55 -
„Schätze, das wird er machen, Marshal. Worum dreht es sich denn?“ Nun war die Reihe an Rockwell, verlegen zu werden. „Aufgepaßt, Smoky! Ich sag's dir ganz vertraulich! Behalt es für dich! Ich hab' in der vergangenen Nacht keinen Cent eingenommen!“ „Sie bekommen Ihr Geld des nachts, Marshal?“ staunte der Alte. „Doch nicht mein Geld, Mann! Ich rede von den zwei Dollar pro Nase, die ich kassieren kann, wenn ich Trunkenbolde einbuchte. Im Hotel müßten sie glatt vier oder fünf Bucks pro Nacht bezahlen. Die zwei Dollar sind üblich für eine Nacht im Jail. Weißt du doch, Smoky. Du hast doch auch schon bezahlt!“ „Ich entsinne mich schwach, Marshal. Was ist nun? Seien Sie doch froh, daß eine Nacht mal Ruhe war in der Stadt!“ „Ich wäre ruhig, wenn ich heute früh nicht erfahren hätte, daß sämtliche Säufer, Tagediebe, Falschspieler und Tramps einen Job gefunden hätten. Ein Salooner erzählte mir, da wäre ein Stadtmensch bei ihm reinmarschiert und hätte den ganzen Tresen leergekauft. Er soll jedem der Penner ein paar Dollar in die Hand gedrückt haben. Und dann, so hieß es, hätte er die Kerle gleich mitgenommen. Der Fremde hat ein Dutzend Pferde gemietet - drüben bei Harvey's Livery Stable - und ist vor Hellwerden schon mit den Trunkenbolden abgeritten. Harvey sagt, er hätte Geld für drei Tage bekommen. Im voraus!“ „Das ist wirklich verdächtig, Marshal. Wer zahlt schon bar und Vorkasse, he?“ Doc Smoky kicherte. „Ich finde das nicht zum Lachen, Smoky! Zufällig hörte ich nämlich auch von einem Burschen, der verdammt genau auf die Beschreibung paßt, die du mir von - 56 -
diesem Whitman gegeben hast.“ „Ah, Sie reden von dem Rothaarigen. Komisch, daß der Whitman heißt.“ Rockwell ging nicht darauf ein. „Ich hörte, der Kerl wäre mit dem anderen geritten, dem Stadtmenschen.“ „Stimmt auffallend, Marshal. Ich bin der ganzen Meute begegnet, als ich auf dem Trail war zur Stadt. Sie beschossen gerade den Wagen, in dem Mary-Lou und Carrington saßen. Chet Quade lenkte. Mann, die Kerle haben vielleicht was auf den Pelz bekommen! Chet hat ihnen die Gäule unterm Hintern weggeschossen. Die ganze Bande ist gerannt wie eine Schar Hühnerdiebe!“ „Das sagst du jetzt erst?“ entsetzte sich Rockwell. „Ich wollte deinen Boß bitten, die Augen offenzuhalten. Im Ernstfall hätte ich auf die Mannschaft der Skull zurückgreifen müssen. Nur der Teufel weiß, was die Kerle vorhaben!“ „Ich weiß es auch, Marshal. Eine Teufelei führen die im Schilde. Wollen Sie nicht endlich telegraphieren, Rockwell?“ „Kennst du etwa auch die Frau, Smoky?“ „Klar. Die wohnt zur Zeit auf unserer Ranch, Marshal. Deswegen will der Boß ja auch alles über sie wissen. Im Vertrauen, kurz nachdem die Frau ankam, klapperten auch Redman und Logan auf den Hof. Sie hatten was gegen die Lady. Wollten sie hängen, glaube ich. Wie auch immer. Sie wollten nach Golden City und mit Ihnen reden, Marshal. Wegen des Galgens. Das hat sich jetzt wohl erledigt, nehme ich an, da Sie die Kerle wegen des Überfalls einlochen werden!“ George Rockwell starrte Smoky sprachlos an. Der alte Koch der Skull leckte sich die Lippen. „Seit die Yankees ihren verdammten Krieg gewonnen haben, - 57 -
mußte ich nicht mehr solange reden, schätze ich. Oh, Mann! Ich habe Durst. Sie verwahren nicht zufällig 'nen guten Schluck in Ihrem Schreibtisch, Marshal?“ „Wenn du mir einen Bären aufbinden willst, Smoky! Nur damit dein Boß nicht für die Kosten des Telegramms aufkommen muß. . .“ „Bei meiner Ehre“, sagte Smoky und hielt die Hand wie zum Schwur erhoben. „Jedes Wort ist wahr, was ich sagte. Wollen wir wetten? Um eine Flasche Whisky?“ Rockwell beugte sich hinunter und zog eine angebrochene Flasche aus dem Fach. „Da! Als Anzahlung! Und rühr dich nicht von der Stelle! Ich geh nur schnell rüber zum Telegraphen-Office ...“ „Lassen Sie sich Zeit, Marshal!“ Doc Smoky zog den Flaschenpfropfen mit den Zähnen heraus. „Solange mein Freund hier mir Gesellschaft leistet ...“ Er tippte mit dem Fingernagel gegen das Glas. „Solche Freunde werden immer weniger“, sagte der Marshal orakelhaft und ging nach draußen. *** Kaum eine Viertelstunde war Rockwell weggewesen. Er konnte die Dauer seiner Abwesenheit leicht am Pegel der Flasche ablesen, die vor Doc Smoky auf dem Tisch stand. „Alles erledigt, Marshal?“ krächzte der Alte. „Ging aber verdammt schnell!“ „Damit du auf deine alten Tage noch etwas lernst, Smoky. Hier habe ich die Durchschrift meiner telegraphischen Anfrage nach Denver. Lesen kannst du doch, oder?“ „Pah ...“ Smoky schnappte sich das gelbe Blatt und - 58 -
vertiefte sich in die wenigen Zeilen. *** AN DEN MARSHAL VON DENVER - EILT FRAGE IST DORT CHAP LOGAN BEKANNT - WEITERHIN WHITMAN ODER RED-MAN - WEITERHIN BRENDA WHITMAN ODER REDMAN - EILANTWORT AN ROCKWELL MARSHAL VON GOLDEN CITY COLORADO*** „Sieht richtig amtlich aus, Marshal. Wenn unsereins so'n Ding aufsetzt, kräht kein Hahn danach!“ Rockwell zuckte mit den Schultern. „Ich kann nur etwas herausbringen, wenn der Marshal in Denver zufällig Bescheid weiß. Kann gut sein, daß wir auf dem Holzweg sind. Woher will Morgan überhaupt wissen, daß die Bande aus Denver kommt, he?“ „Die Lady hat's ihm gesagt, schätze ich.“ „Ah, die Lady? Das ist wohl Brenda, wie? Ich will dir was sagen, Smoky: die Sache sieht nicht gut aus für euch! Das weiß ich jetzt schon. Erst der Überfall auf euren Wagen, und dann die Lady, die sich auf der Ranch eingenistet hat. Hat Morgan eigentlich noch seine Sinne beisammen, daß er fremde Frauen beherbergt?“ „Umgekehrt, Marshal. Erst war die Lady da, und dann passierte die Sache mit dem Überfall!“ „Werd' nicht spitzfindig, Smoky! Du weißt sehr gut, was ich sagen wollte.“ „Was das betrifft, Marshal, da sprechen Sie mir aus der Seele, ich war auch nicht begeistert, daß Morgan die - 59 -
Frau aufgenommen hat. Die hat nur Ärger mitgebracht, glauben Sie mir!“ „Wir warten die Antwort aus Denver ab. Und dann reiten wir, Smoky. Mir ist gleichgültig, was ich über die Bande erfahre, wenn überhaupt etwas dabei herauskommt. Mir scheint, Morgan kann die Hilfe des Gesetzes gut brauchen!“ „Das ist ein Wort, Marshal! Das Beste, was Sie heute von sich gegeben haben. Kassieren Sie die Kerle nur ein! Und fangen Sie nur nicht davon an, daß der Überfall außerhalb Ihres Machtbereichs passiert ist. Verbrechen ist Verbrechen, Marshal!“ „Willst du mich über meine Pflichten belehren, Smoky? Das paßt nicht zu dir. Trink lieber noch einen Schluck vom Gästewhisky. Aber laß mir einen Rest in der Flasche. Ich mache noch eine Runde durch die Stadt.“ Pfeifend verließ Rockwell sein Office. *** Doc Smoky war mit dem Kopf auf Rockwells Schreibtisch eingeschlafen, als der Mann aus dem Telegraphen-Office hereinkam. Er blinzelte unter seinem Augenschirm in die Runde. „Niemand da?“ Smoky wachte mit einem Schnarcher auf. „Häh ...?“ „Niemand da, Oldtimer?“ „Bin ich etwa niemand? Mann, du stehst vor dem Stellvertreter des Marshals!“ Der Telegraphenmann kicherte. „Das Auge des Gesetzes wacht, wie?“ „Keine Anzüglichkeiten! Gib die Antwort aus Denver - 60 -
heraus! Deshalb bist du doch gekommen, oder?“ Der Mann stutzte. Der Alte schien Bescheid zu wissen. „Damit du's weißt, Oldtimer: die Nachricht ist vertraulich und für den Marshal allein bestimmt. Ich lege sie auf Rockwells Schreibtisch, und du wirst deine schmutzigen Pfoten hübsch davon lassen!“ Der Mann mit dem Augenschirm gab sich ungeheuer wichtig. „Ich muß zurück an den Draht! Kann sein, daß noch mehr aus Denver kommt! Rockwell soll bei mir auf jeden Fall noch vorbeisehen, ehe er reitet.“ „Woher willst du wissen, daß der Marshal reitet, he?“ „Dienstgeheimnis, alter Mann! Und noch mal: Finger weg von amtlichen Auskünften!“ Die Tür hatte sich hinter dem Telegraphenbeamten noch nicht richtig geschlossen, als Smoky schon nach dem Formular griff. Es waren zwei dichtbeschriebene Seiten. Smoky las noch daran, als Rockwell zurückkam. Der Marshal riß ihm die Papiere aus der Hand. Smoky war beleidigt. „Ich mach' Sie aufmerksam auf den größten Fall in Ihrer Laufbahn, und Sie wollen mich nicht mal in Ruhe zu Ende lesen lassen, Marshal!“ Rockwell winkte ungeduldig ab. Seine Augen glitten die Zeilen entlang, und was er erfuhr, trieb ihm das Blut in den Kopf. *** AN GEORGE ROCKWELL TOWN MARSHAL IN GOLDEN CITY - GEORGE - HIER IST CLINTON DEINE ANFRAGE - LOGAN WHITMAN UND BRENDA SOFORT FESTNEHMEN - ALLE DREI GESUCHTE KILLER - ARBEITEN STETS NACH - 61 -
DEMSELBEN MUSTER - BESCHREIBUNG SUCHEN SICH VERMÖGENDE WITWER AUS BRENDA LEE SPIELT LOCKVOGEL - BRINGT ZIELPERSON DAZU TESTAMENT ZUGUNSTEN BRENDA UMZUAENDERN - ZIELPERSON WIRD DANACH ERMORDET - TAETER LOGAN ODER WHITMAN - LOGAN TRITT ALS MAKLER AUF LOGAN UND WHITMAN SIND GEFAEHRLICH SCHIESSEN SOFORT WENN IN DIE ENGE GETRIEBEN - ERWARTE DEINE ANTWORT CLINTON *** Smoky starrte den Marshal an. „Was ist nun? Reiten wir? Oder wollen Sie abwarten, bis die Bande meinen Boß hingemacht hat?“ „Ruhig, Smoky! Morgan wäre der Letzte, der Brenda auf den Leim geht. Diesmal hat sich die Bande geschnitten. Eure Leute werden schon verhindern, daß dem Boß etwas zustößt. Und er ist ja auch mißtrauisch geworden. Sonst hätte er dich nicht zu mir geschickt.“ „Da sind mir verdammt zu viele ‚wäre’ und ‚hätte’ dabei, Marshal. Woher wollen Sie wissen, daß die Kerle nicht schon zugeschlagen haben? Der Überfall auf MaryLou ist ja auch prompt eingetreten. Genau, wie die Lady es gesagt hat.“ „Sie hat es angekündigt? Brenda? Vorher?“ „Yeah! Vorher! Brenda! Hat sie!“ „Zum Teufel! Warum hast du das nicht gleich gesagt? Seid ihr alle Narren auf der Skull?“ Smoky zog unbehaglich den Kopf ein. „Hoch mit dir, du Trunkenbold! Wir reiten! Ich - 62 -
fürchte, bei Morgan geht die Bande von ihrem Arbeitsschema ab! Der Überfall auf euren Wagen sollte Morgan unter Druck setzen. Anders kriegen sie ihn nicht herum, die Ranch und alles Brenda zu vermachen!“ „Meinen Sie, Marshal?“ „Ich meine, daß wir uns beeilen müssen, Smoky!“ *** General Carrington trat im dunklen Wohnraum zu seinem Freund Morgan. „Ich habe nachgedacht, John. Die Sache ergibt keinen Sinn. Wir sind unter uns, John. Sag mir, was du bisher verschwiegen hast. Du kannst mir vertrauen.“ Der Ranchboß erhob sich ganz langsam von seinem Sessel. Carringtons Gesicht war nur als fahler Fleck in der Dunkelheit auszumachen. Keiner konnte das Mienenspiel des anderen erkennen. „Norman?“ „Yeah?“ „Ich weiß doch auch nicht, was ich davon halten soll. Es ist müßig, weiter darüber nachzudenken. Chet hat Wachen aufgestellt - und das ist alles, was wir im Augenblick tun können.“ „Wirklich alles, John?“ fragte Carrington leise. „Ach, geh doch zum Teufel, wenn du mir nicht glauben willst!“ Und aufgebracht marschierte der Ranchboß los; um die Wachen zu inspizieren.
***
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Mary-Lou bückte sich in ihrem Zimmer nach dem Brief am Boden. Sie war in den vergangenen Minuten viel ruhiger geworden. Nun traute sie sich zu, vor ihren Vater hinzutreten und sachlich mit ihm über alles zu reden. Es mußte eine Lösung gefunden werden. Vielleicht konnte Brenda für einige Zeit auf der Ranch bleiben, damit der Vater einsah, was sie liebte. Ihn oder seinen Besitz, seine mühsam erarbeiteten Dollars ... Bei allem spürte Mary-Lou eine Ungewisse Angst, ihrem Vater gegenüberzutreten. Schließlich hatte sie einen Brief gelesen, der nicht für sie bestimmt war. Das war kaum zu entschuldigen. Sie wollte Brendas Brief besser in einen Umschlag stecken und dann erst das Schreiben zu ihrem Vater bringen. Vielleicht war das überhaupt angebrachter. So konnte sie sein Mienenspiel verfolgen, ohne daß er wußte, daß sie über alles orientiert war. Mary-Lou nahm einen Umschlag aus dem Schreibfach und setzte in Druckbuchstaben den Namen John Morgan darauf. Sie stutzte. Die Tinte war schwarz. Der Brief Brendas aber war mit blauer Tinte geschrieben. Und nicht mit dieser Feder, die schon ziemlich abgeschrieben war. Die zierliche Schrift konnte gar nicht mit der groben Feder zustande gekommen sein! Dann war der Brief also nicht hier geschrieben worden... Wo aber ...? Mary-Lou ließ ihren Oberkörper im Stuhl zurück- 64 -
sinken. Sie dachte nach. Konnte es sein, daß die Frau den Brief mit hergebracht hatte? Woher wußte sie dann, daß ihr die Ranch überschrieben werden sollte? Oder war das alles eine weitere Lüge, die unverschämteste von allen? Wollte Brenda den Vater bloßstellen? Ihn zum Narren machen? Mary-Lou sprang auf. Sie riß den offenen Brief an sich und rannte zur Tür. Das wollte sie in ein paar Sekunden geklärt haben! Und wenn sie ihrem Vater Unrecht getan hatte - was sie nun für möglich hielt - Hauptsache, es wurde Klarheit geschaffen. Sie stürmte in den dunklen Wohnraum. Norman Carrington trat ihr entgegen und streckte seine Hand aus. „Was ist denn hier los? Warum brennt kein Licht? Wo ist Vater, Mister Carrington? „Nicht so ungestüm, Kleines. Dein Vater ist nach draußen gegangen. Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit. Und das Licht haben wir sicherheitshalber gelöscht. In diesem Raum sitzt man wie auf einem Präsentierteller!“ „Ich verstehe nicht. Was soll denn passieren?“ „Es soll eben nichts passieren, Mary-Lou. Deshalb ist die Lampe aus. Wir alle saßen hier und dachten darüber nach, welchen Sinn die sonderbaren Ereignisse dieses Tages ergeben mögen. Und es ist nicht unwahrscheinlich, daß deinem Vater Gefahr droht.“ „Gar nicht unwahrscheinlich, nein. Ich habe hier einen Brief, der alles erklärt. Er ist an Vater gerichtet. Ich gebe zu, daß ich ihn gelesen habe, schon vor Stunden. Und erst jetzt ist mir klargeworden. ..“ - 65 -
Das Krachen eines Schusses draußen ließ Mary-Lou innehalten. Das Echo rollte von den Bergen zurück. Und in das Echo mischte sich ein gurgelnder Schrei, nicht weit vom Haupthaus entfernt.. Mary-Lou stürmte los, riß die Verandatür auf und nahm die Treppenstufen nach unten mit einem Sprung. „Bleib hier, Mädchen!“ hörte sie den General noch rufen. Aber sie hastete weiter. Dann traf sie Chet Quade, der von der Seite dazukam. „Was war das, Chet? Wem hat der Schuß gegolten?“ Quade rannte wortlos weiter, näher auf das Stöhnen zu. Etwas Längliches, Dunkles lag am Boden. Der Vormann war als erster zur Stelle. Im vagen Licht der schmalen Mondsichel erkannte er ein vertrautes Gesicht. Und er wehrte Mary-Lou ab, die weiterwollte. „Nicht, Mädchen! Bleib wo du bist! Es ist dein Vater!“ „Er ist tot ...?“ Und Mary-Lous Klage klang wie eine Feststellung. Nicht wie eine Frage. *** Von allen Seiten rannten die Wachtposten herbei. Licht wurde hinausgebracht. Im Bunkhouse war der Teufel los. Alle hatten den Schrei vernommen und auch das, was Mary-Lou gerufen hatte. „Was ist?“ schrie Shorty schreckensbleich. Er war der Mann mit dem Licht. „Schau es dir selber an, Shorty“, sagte Chet fast flüsternd. „Es ist der Boß. Und ich fürchte ...“ Mary-Lou bedrängte Chet wie eine Wildkatze. „Laß - 66 -
mich los, Mann! Ich will zu meinem Vater!“ General Carrington brachte mit Kommandostimme Ordnung in den wilden Haufen. „Alles zurücktreten! Ich kümmere mich selbst um John Morgan! Weg da, Mann!“ Shorty machte einen Satz zur Seite. „Du doch nicht“, fauchte der General. „Her mit dem Licht!“ Chet Quade hatte seine Last mit Mary-Lou. Das Mädchen biß und kratzte, wollte unbedingt zu seinem Vater. Carrington kniete sich neben John Morgan in den Sand. Mit der Lampe leuchtete er den am Boden liegenden Mann ab. Morgans Gesicht war blutverschmiert. Carrington streckte die Hand ins Dunkel aus. „Ein Tuch.“ Niemand rührte sich. „Ich will ein Tuch, zum Teufel!“ Mary-Lou nestelte im Ärmel ihrer Bluse. Chet ließ es geschehen, denn die Wildkatze hatte sich etwas beruhigt. Sie zog ein kleines weißes Spitzentaschentuch hervor. Es wurde zu Carrington weiter gereicht. Der General schnaufte verächtlich. „Das ist kein Tuch, das ist eine Zumutung!“ Aber er nahm es und wischte Morgan das Blut damit ab. Er stand ächzend auf und ließ die Lampe am Boden in das Gesicht des Ranchers scheinen. „Ein Kratzer, Leute!“ Carrington trat zu Mary-Lou. „Dein Vater ist ohne Bewußtsein, Kind. Die äußere Verletzung ist nicht der Rede wert. Viel Blut zwar, aber nichts Lebenswichtiges getroffen. Schätze, John hat eine schwere Gehirnerschütterung von dem Fall!“ „Ist das auch ... wahr?“ flüsterte Mary-Lou. - 67 -
„Carrington, Sie machen mir doch nichts vor? Ich werde schon irgendwie damit fertig, wenn Vater tot ist!“ „Unsinn! In ein paar Tagen ist er wieder in Ordnung. Aber bis dahin braucht er absolute Ruhe. Er muß flach liegen, auf einer harten Unterläge. Keinesfalls auf einem Kissen! Bringt ihn ins Haus!“ Der Baß von Brazos war zu hören. „Wenn's mit Morgan nicht so schlimm steht, sollten ein paar von uns die Gegend absuchen. Vielleicht spüren wir den feigen Schießer noch auf!“ „Den findet ihr nicht“, rief der General. „Wenn er euch schon durch die Postenkette schlüpfen konnte, ist er jetzt über alle Berge.“ „Was sollen wir denn machen?“ „Geht wieder dorthin, wofür Quade euch eingeteilt hat, Männer. Die Nacht ist noch lang. Und der Kampf hat noch gar nicht begonnen. Das war erst der Auftakt!“ Das sollte sich zwar als Irrtum erweisen, denn die Nacht blieb ruhig, aber der General konnte das nicht ahnen. So blieben die Wachen und Posten rund um die SkullRanch bestehen. Und im großen Wohnraum saßen die wichtigsten Leute der Ranch zusammen und sprachen nur über das eine: den Brief, den Mary-Lou im Licht der schwach schimmernden Lampe vorgelesen hatte. *** „Ich wiederhole noch einmal, dieser Brief ist eine verdammte Fälschung!“ rief Carrington und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Mary-Lou nickte eifrig. „Jedenfalls kann er nicht hier - 68 -
geschrieben worden sein. Ich besitze keine blaue Tinte.“ Chet Quade drehte sich bedächtig eine Zigarette und schwieg zu allem. Er wollte sich erst eine Meinung bilden, ehe er sich an der Diskussion beteiligte. „Sag doch auch was, Chet“, bat das Mädchen. Quade hob den Lampenzylinder an und entzündete am glimmenden Docht seine Zigarette. „Ach was!“ meinte der General. „John Morgan ist auf niederträchtigste Art hereingelegt worden. Hier sollte das gemeinste Verbrechen stattfinden, das mir jemals untergekommen ist.“ Es entstand eine Pause. Mary-Lou saß da mit gesenktem Kopf. Und Chet überdachte noch einmal seine Annahme vom Nachmittag, bei der er immer noch bleiben wollte. Die Bande arbeitete mit der Angst. Der Boß hatte recht behalten, denn nun war erwiesen, daß der angebliche Überfall nur zur Einschüchterung diente. Damit waren die Weichen gestellt für das wirkliche Verbrechen, das erst später stattfinden sollte. Und auch stattgefunden hatte - wenn auch mit einem anderen Ausgang, als die Bande erwarten mochte. Noch eine Reihe unschöner Gedanken gingen Quade durch den Kopf. Dann drückte er die Zigarette aus und suchte die Blicke von Mary-Lou und Carrington. „Ich habe lange nachgedacht“, begann er. „Und ich glaube, ich habe das ganze Ausmaß der Teufelei ausgelotet. Wenn der Boß am Leben bleiben soll, müssen wir sofort die Parole durchgeben, daß er tot ist!“ „Ich höre wohl nicht richtig“, näselte der General. „Was soll denn das?“ „Ich will's gern erklären, Carrington. Und dir auch, Mary-Lou. Unterbrecht mich, wenn ich etwas übersehen - 69 -
habe. Vor Jahren hörte ich von einer ähnlichen Sache. Es war oben in Cheyenne, Wyoming, und der Krieg war noch nicht zu Ende.“ „Hör auf, Geschichten zu erzählen, Chet Quade! Dafür haben wir jetzt keine Nerven.“ Chet ließ sich durch den General nicht stören. Ungerührt fuhr er fort: „Auch damals waren drei Leute beteiligt. Zwei Männer und eine Frau. Das Opfer war ein wohlhabender Storekeeper in Cheyenne. Es hieß, die Killer-Lady hätte ihn eingewickelt, bis der Mann zu ihren Gunsten sein Testament änderte. Er war Witwer, genau wie der Boß.“ „Hier liegt der Fall doch ganz anders“, räsonierte Carrington. „John Morgan wäre nie auf diese Frau hereingefallen. Ich sage zum letzten Mal: dieser Brief ist eine Fälschung!“ „Sprich doch weiter, Chet“, sagte Mary-Lou leise. „Meiner Meinung nach ist der Brief echt, Carrington“, widersprach Chet Quade. „Diese Frau, Brenda Lee, hat ihn geschrieben. Und ich gebe Mary-Lou recht, daß sie den Brief schon in der Tasche hatte, als sie auf die Ranch kam. Heute früh, wie der Boß sagte. Ich behaupte weiter, daß Brenda die Komplizin ist von den beiden Männern, die ebenfalls heute früh bis zum Haus geritten sind. Schließlich will ich dem General nicht widersprechen, wenn er sagt, das sei das niederträchtigste Verbrechen, das ihm je untergekommen ist.“ „Bist du etwa im stillen ein Pinkertonmann, Quade? Du redest fast so wie ein Detektiv.“ „Ich habe schwere Jahre damit verbracht, mit dem Colt in der Faust am Leben zu bleiben, Carrington. Und ich war nicht nur schnell, sondern ich habe dabei auch denken gelernt. Denken ist keine Begabung, die man bei - 70 -
einem Halbblut wie mir erwartet, wie?“ „Chet ...“ mahnte das Mädchen. „Wie auch immer. Mir fiel die Sache in Cheyenne wieder ein, und es ist nicht ausgeschlossen, daß hier das gleiche Trio wieder am Werk ist.“ „Brenda, die Killer-Lady?“ meinte der General zweiflerisch. „Jedenfalls wieder eine Frau und zwei Männer. Der Storebesitzer damals wurde ermordet, kaum daß er sein Testament geändert hatte. Seine lachende Erbin verkaufte den Laden und verschwand spurlos. Zuletzt sah man sie mit zwei Männern in die Kutsche nach Freels steigen, und dort verlor sich die Spur. Ich weiß das noch so genau, weil man damals auf jeden des Trios ein Kopfgeld von fünfhundert Dollar aussetzte. Aber keiner wurde je gefaßt. Und ihre Namen habe ich auch nie erfahren.“ „Ich sage dir, Quade, um die Sache abzukürzen: John hätte den Brief zerrissen und die Frau zum Teufel gejagt, wenn sie sich je wieder hier hätte blicken lassen.“ „Ich bin sicher, daß sie kommen wird. Aber eins nach dem anderen. Nehmen wir an, nicht Mary-Lou hätte den Brief gefunden, sondern John Morgan selbst. Er wäre damit zu uns gekommen und hätte ihn uns zu lesen gegeben. Und damit wäre auch der Zweck des Briefes erfüllt gewesen.“ „Wieso?“ „Sein Zweck besteht nur darin, vorhanden zu sein. Auch wenn jeder von uns weiß, daß nur blanke Lügen aneinander gereiht sind, fällt es schwer, dies zu beweisen, wenn ...“ „Wenn...?“ „Wenn John Morgan tot ist.“ „Nein, Chet!“ Mary-Lou sprang von ihrem Platz hoch. - 71 -
„Doch, Kleines. Wir haben's erlebt. Die Kugel sollte deinen Vater töten!“ „Aber es gibt dieses verdammte Testament doch gar nicht!“ empörte sich Norman Carrington. „John hat zwar seinen letzten Willen aufgesetzt und niedergeschrieben, aber darin steht nur, daß Mary-Lou alles erben soll. Oder sie und ihr Mann, falls sie bis dahin verheiratet ist. Beide dann zu gleichen Teilen, John hat mir das Papier einmal gezeigt.“ Mary-Lou war rot geworden. Sie vermied es, Chet anzusehen. Ihr Vater hatte also schon gemerkt, daß etwas war zwischen ihr und Chet ... „Und ich wette, daß genau so ein Testament in Golden City beim Notar liegt, wie Brenda es in dem Brief behauptet. Dieses Testament, zusammen mit dem Brief, sichert Brenda das Anrecht auf das Erbe Morgans.“ Chet sagte das ganz ruhig. „Dann ist das Testament eine Fälschung“, stellte Carrington fest. „Richtig. Das ist dann eine Fälschung. Es gibt Menschen, die jede Handschrift fälschen können, auch die von John Morgan. Und er wäre dann tot und könnte nicht als Zeuge hinzugezogen werden. Wenn wir also bekannt werden lassen, daß John Morgan tot ist, getroffen von einer hinterhältigen Kugel, wird bei uns bald eine trauernde Brenda auftauchen und nach geziemender Zeit ihr ‚Erbe’ beanspruchen. Ich schätze, sie wird etwa eine Stunde nach ihrer Ankunft hier zur Sache kommen.“ „Dann werde ich die Frau festnehmen lassen!“ erklärte der General. „Aus welchem Grund?“ „Weil sie auf John geschossen hat. Sie wird ihn für tot - 72 -
halten.“ „Sie hat gewiß nicht geschossen. So dumm ist sie nicht. Ich möchte wetten, daß sie genau zur Zeit des Schusses auf John Morgan mit einem ehrbaren Bürger von Golden City zusammen war. Vielleicht mit dem Notar. Und der Notar wird bezeugen, daß Brenda nicht geschossen haben kann!“ „Wer war es dann?“ „Ich schätze, Logan oder Whitman. Wir werden es herausfinden, General.“ „Du bist ein Teufelskerl, Chet Quade! Wahrhaftig, so wie du es siehst, kann es gewesen sein. Mir ist nur noch nicht klar, warum die Bande sich die Meute auf den Hals geladen hat, die Kerle, die uns beschossen haben.“ „Ja, das Trio braucht sie doch gar nicht“, meinte Mary-Lou. „Brenda hat ein Alibi. Das sagte ich schon. Aber auch Logan und Whitman werden wissen, wie sie sich gegenseitig schützen können. Anzunehmen, daß sie für jede Zeit Leute haben, die bezeugen können, daß sie sich von ihrem Lagerplatz nicht entfernt haben. Man würde nie herausfinden, wer den hinterhältigen Schuß auf den Boß abgegeben hat. Und ein Dutzend Männer kann man nicht für eine Kugel an den Galgen bringen.“ „Vor einer Minute hast du noch gesagt, wir könnten es herausbringen, wer auf John feuerte, Quade.“ „Yeah. Wir! Weil wir wissen, daß nur Logan oder Whitman dafür in Frage kommen. Aber ein Marshal, der den Fall untersucht, der muß jeden der Meute in Betracht ziehen.“ „Das klingt einleuchtend. Wie willst du es nun anstellen, den wirklichen Mordschützen zu entlarven? Wie du sagtest, soll John doch als tot gelten.“ - 73 -
„Ja, damit locken wir Brenda hierher. Und sie wird uns den Namen des Mannes nennen, der auf John Morgan schoß.“ „Wie denn ...?“ „Ich denke, wir werden den Boß dann wieder auferstehen lassen. Ich freue mich jetzt schon auf das Gesicht der Frau, wenn sie das Opfer lebend vor sich sieht. Und kein Mensch ist so abgebrüht, daß er dann nicht redet.“ „Bleibt immer noch der Überfall, Chet“, sagte MaryLou. „Das ist doch ein Verbrechen, für das Logan und die anderen vor Gericht kommen müssen.“ „Irrtum, Kleines. Wer ist denn überfallen worden? Wir doch nicht! Im Gegenteil. Die anderen könnten uns verklagen! Wir haben auf sie und ihre Pferde geschossen, während sie nur in die Luft gefeuert haben. Es wirkte wie ein Überfall - aber es war keiner!“ „Welch ausgekochter Plan! Im Kriege wäre das Trio unschlagbar gewesen.“ „Aber der Krieg ist vorbei, General. Auch für uns, zum Glück. Die Bande und ihre Absichten sind durchschaut. Wir werden sie in die Falle rennen lassen und sie dann dem Gesetz übergeben, zusammen mit allen Beweisen, damit sie an den Galgen kommen.“ General Carrington holte tief Luft. Er warf einen freundlichen Blick auf das Mädchen, das sich kaum am Gespräch beteiligt hatte. „Woran denkst du, Mary-Lou?“ Sie fuhr auf. „Oh, ich mußte daran denken, wie sehr ich Vater Unrecht getan habe. Zwar nur in Gedanken, aber das ist schlimm genug. Ich habe leider geglaubt, was Brenda in dem Brief geschrieben hat.“ Carrington strich sich über die hohe Stirn. „Ja, es ist seltsam, mein Kind. Wir glauben gern, was wir - 74 -
geschrieben vor uns sehen. Ein Brief hat mehr Gewicht als das Wort. Ich habe auch einen Fehler gemacht und muß John um Verzeihung bitten. Ich glaubte nicht seinem Wort. Immer schien es mir, als verheimlichte er uns etwas. Und wie wir nun sehen, sagte er die reine Wahrheit ...“ Chet Quade unterbrach ihn: „Ich gehe hinaus und sage den Leuten, daß der Boß tot ist.“ Und Chet Quade verließ den großen Wohnraum. Von Osten her wurde der Himmel schon grau. Die Sterne verblaßten. Ein neuer Tag zog herauf, und ringsum war es still. Nicht einmal ein einsamer Vogel regte sich. Es war die Stunde zwischen Nacht und Morgen, als Chet Quade zum Bunkhouse ging, um der restlichen Mannschaft den Tod des Ranchbosses zu melden. Die Wachen und Posten würden auch bald davon erfahren ... *** Doc Smoky und der Marshal von Golden City näherten sich dem Bluegrass Valley. Es wurde Tag. Sie waren schnell vorangekommen auf dem Trau von der Stadt zur Ranch. Und sie hatten niemanden unterwegs getroffen. Rockwell spürte leise Zweifel in sich aufsteigen, ob es mit dem angeblichen Überfall auf den Wagen der Skull überhaupt seine Richtigkeit hatte. Als Vertreter des Gesetzes durfte er sich nicht allein auf die Aussage eines einzelnen Mannes verlassen, auch wenn dieser Mann Doc Smoky war. Der Marshal hielt es für erwiesen, daß ein - 75 -
Unbekannter in Golden City durch die Saloons gezogen war und das heimatlose Gesindel an den Bartresen angeworben hatte. Wer dieser Mann aber war, das galt es noch festzustellen. Und auch, welche Gründe ihn bewogen haben mochten, mit der Meute wegzureiten. Und warum hatten sie einen Überfall vorgetäuscht? Und das war nicht die einzige Frage, die Rockwell durch den Kopf ging. Was mochte in John Morgan gefahren sein, daß er die fremde Frau bei sich aufgenommen hatte? George Rockwell preßte die Lippen fest zusammen und ritt stumm den Trail. Auch Smoky hatte längst schon aufgehört, ihn mit Fragen zu belästigen. Beide Männer konzentrierten sich darauf, die Pferde auf dem richtigen Weg zu halten. Doc Smokys Schecke stolperte bisweilen. Jedesmal fuhr Smoky dann im Sattel auf. Er war nicht weniger müde als sein Pferd. Zweimal die Strecke zwischen der Ranch und der Stadt an einem Tag - das war reichlich viel für Pferd und Reiter. Die letzten Meilen bis zur Skull zogen sich quälend in die Länge. Smoky hatte nur noch Gedanken übrig für sein Bett. Sollte doch Rockwell mit dem Boß reden. . . Sie ritten durch die Schlucht und sahen etwas tiefer die Gebäude der Ranch im Tal unter sich liegen. Im Frühdunst des neuen Tages kam es Smoky fast so vor, als ständen Männer mit Gewehren im Hof. Er rieb sich die Augen. Das war die verdammte Übermüdung ... Seine Phantasie spiegelte ihm schon Traumbilder vor. Aber als er die Augen wieder öffnete, waren die - 76 -
Männer immer noch da. Und der Marshal hatte sie auch gesehen. Rockwell spornte sein Pferd zum Galopp an. Nach einer Minute waren beide nahe genug heran, um die schweigende Mannschaft einzeln ausmachen zu können. Dem Haupthaus am nächsten stand Brazos, seine Spencer mit dem Kolben auf den Boden gestützt. Shorty rannte von einem zum anderen, warf die Arme hoch und gestikulierte wild. Die angekommenen Reiter schwangen sich beide aus dem Sattel. Brazos wandte sich um. Sein Gesicht war eine leere, ausdruckslose Fläche. „Der Boß ist tot, Smoky. Eine Kugel hat ihn in der Nacht erwischt. Erst dachten wir alle, es wäre nicht so schlimm. Carrington meinte, Morgan hätte nur eine Gehirnerschütterung. Aber dann kam Chet vor wenigen Minuten zu uns und brachte die schlechte Nachricht.“ „Was soll diese Versammlung hier bedeuten?“ mischte sich Rockwell ein. Shorty kam rüber und gab Antwort. „Wir suchen jetzt die ganze Gegend ab, Marshal. Wir werden Morgans Mörder finden! Und dann hängen wir ihn!“ „Lynchen!...? Das werdet ihr bleiben lassen, Männer!“ Auf der Veranda ging die Tür zum Haus auf. Chet Quade ließ sich sehen. „Marshal? Sie kommen wie gerufen! Bitte ...“ Er zeigte nach drinnen. „He, Smoky! Geh in die Küche und mach den Leuten eine Kanne heißen Kaffee! Schätze, sie werden einen Schluck verdammt nötig haben nach dieser Nacht! Uns kannst du auch eine Tasse bringen. Und dann fang schon mit dem Frühstück an! Kann ein langer Tag werden, heute!“ - 77 -
„Leuteschinder“, murrte der Ranchkoch. „Ich trete in die Gewerkschaft ein.“ Doch dann sah er die Mienen der Männer. Angesichts des Todes von John Morgan hatten sie kein Verständnis mehr für Smokys makabre Witze. Und flink wieselte Smoky um das Haus herum in seinen Küchenanbau. Seinen Schecken ließ er im Hof stehen, neben dem Pferd des Marshals. Erst in der dämmrigen Küche kam Doc Smoky voll zum Bewußtsein, was Brazos da gesagt hatte. John Morgan - der Boß - war tot ... Beim Allmächtigen, das würde Folgen haben. Kein Mann in Colorado würde mehr seine Ruhe finden, bis der Mörder des Ranchbosses gestellt und überführt wäre ... Smoky bückte sich zu dem Geheimversteck seines Whiskyvorrats und setzte eine Flasche an die Lippen. Er ließ es lange gluckern. Der Boß - tot! Und Smoky brauchte noch einen mächtigen Schluck, um mit diesem Schicksalsschlag fertig zu werden. Dann heizte er das Feuer im Herd an und setzte Wasser für Kaffee auf. *** Drinnen im Wohnraum des Haupthauses mußte Marshal Rockwell staunen, wie gefaßt Mary-Lou doch war, angesichts des schweren Schicksalsschlages, der sie getroffen hatte. Das Mädchen lächelte ihm entgegen. „Nehmen Sie doch Platz, Marshal“, forderte ihn General Carrington auf. „Wir haben mit Ihnen zu reden.“ Rockwell setzte sich. Er verstand nicht die - 78 -
Umständlichkeit dieser Leute. Es war schon in Ordnung, wenn die Mannschaft ein Aufgebot bildete und die Gegend absuchte. Allerdings sollte der Mörder - falls er entdeckt wurde - nicht aufgehängt, sondern zur Stadt gebracht werden. „Um es kurz zu machen, Marshal“, begann Carrington, und riß so die Gesprächsführung an sich, „John Morgan ist keinesfalls tot!“ Rockwell sprang auf, als hätte ein Skorpion unter ihm gelegen. „Ruhig, Marshal! Nun setzen Sie sich wieder hin. Wir sind nicht verrückt geworden! Warten Sie ab, bis Sie alles wissen ...“ Und der General berichtete ausführlich von den Ereignissen auf der Skull, sprach von dem hinterhältigen Schuß auf den Ranchboß und verbreitete sich lange über Chet Quades Theorie. Nach minutenlangem Überlegen stellte er seine erste Frage. „Wie geht es John Morgan?“ „Oh ...“ Mary-Lou trat näher. „Ich war vor kurzem bei ihm. Er ist schon wieder bei Bewußtsein. Aber er weiß nichts von dem Schuß auf ihn. Ich habe ihn auch nicht nach Brenda befragt, Marshal. Mir scheint, Vater hat einen Gedächtnisverlust, was den vergangenen Tag betrifft.“ „Das gibt es oft bei dieser Art Verletzung“, meinte Carrington. „Kommen wir weiter“, meinte Rockwell. „John Morgan lebt also. Das ist die Hauptsache. Von mir aus einverstanden, daß wir ihm die Lady gegenüberstellen werden. Wenn sie wirklich kommen sollte.“ „Das wird sich zeigen“, brummte Quade und sagte zum erstenmal etwas, seit er den Marshal nach drinnen - 79 -
gebeten hatte. „Bei der Gelegenheit, Quade: du sagst, du hättest schon von einem ähnlichen Fall gehört? In Cheyenne? Das deckt sich mit den Auskünften, die ich telegraphisch in Denver eingeholt habe.“ Auf die erstaunten Blicke der Anwesenden fügte der Marshal hinzu: „Ja, wußte denn keiner, mit welchem Auftrag Morgan den alten Smoky zu mir geschickt hat?“ Carrington schüttelte den Kopf. „John sagte mir nur, Smoky sollte für ihn etwas herausfinden. Ich konnte nicht ahnen, daß John schon mißtrauisch geworden war, was die Identität der Frau und ihrer Helfershelfer betraf.“ „Das ist nun geklärt, General. Ich weiß, was Brenda vorhat. Und ich bewundere die Kombinationsgabe von Chet Quade, der ganz allein darauf gekommen ist.“ „Ich wußte von der Sache in Cheyenne, Marshal. Und ich habe nur zwei und zwei zusammengezählt.“ „Er würde einen guten Marshal abgeben. Wie damals, als er mich aus dem Jail geholt und den richtigen Mörder gefunden hat“, erinnerte Carrington. Doc Smoky trat ein und trug ein Tablett mit Frühstück und Kaffee vor sich her. „Essen müßt ihr was, Leute“, rief er leicht beschwipst. „Wir alle legen mal den Löffel aus der Hand. Der eine früher - der andere später ...“ „Hinaus mit dir“, kommandierte Carrington. „Scher dich in deine Küche, Smoky. Zum Mittag wollen die Männer ein Stück Fleisch auf dem Teller haben.“ Doc Smoky nickte zustimmend. „Das ist so üblich, wenn ein großer Mann unter die Erde kommt. Wann wollen wir den Boß denn begraben?“ „Du wirst es früh genug erfahren“, zog sich Chet Quade aus der Affäre. „Geh jetzt, Smoky!“ - 80 -
Als sich die Tür hinter dem Ranchkoch geschlossen hatte, rückten die Leute im Wohnraum dicht um das Frühstückstablett zusammen und langten kräftig zu. Wer sie sah, mußte annehmen, daß sie keine Spur von Trauer oder Mitgefühl im Leibe hatten. „Da muß uns bald was einfallen“, sagte Rockwell kauend. „Auf die Dauer können wir John Morgan nicht für tot ausgeben!“ „Ich rechne damit, daß Brenda keine Zeit verliert. Sie kann gegen Mittag hier sein, wenn sie ihrem Plan folgt. Die Halunken werden ihr schon ausrichten, daß sie ihr ‚Erbe’ antreten kann. Weiß der Teufel, vielleicht hat sie schon einen Käufer für das Bluegrass Valley gefunden.“ Carrington legte Quade eine Hand auf den Arm. „Die Jungs werden durchdrehen.“ „Vielleicht besser, ihr haltet die Mannschaft zurück“, äußerte sich der Marshal. „Wenn die Jungs losziehen und nach dem angeblichen Mörder eures Bosses suchen, fließt nur unnötig Blut.“ „Das sehe ich anders, Marshal“, sagte Chet. „Die Männer müssen raus, damit alles echt wirkt. Was würden wir tun, wenn Morgan wirklich tot wäre?“ „Ich verstehe. Dann schick die Mannschaft auf den Weg, Chet. Aber mach allen klar, daß ich keine Lynchjustiz dulde!“ „Die Jungs werden keinen von der Bande finden, Marshal. Dazu haben sich Logan und Whitman gewiß zu gut versteckt. Aber sie sollen sehen, daß unsere Männer nach ihnen suchen.“ Chet stand auf. „Also dann ...“ Quade ging hinaus und teilte die Mannschaft ein. Die Männer waren froh, daß sie endlich reiten - 81 -
konnten. Ihre aufgestaute Wut fand so ein willkommenes Ventil. Chet Quade haßte es, die eigenen Freunde hinters Licht zu führen, aber er beugte sich dem Zwang der Verhältnisse. Und schließlich konnte auch einer unter der Mannschaft sein, der von Logan gekauft war. Schon allein wegen dieses Mannes mußte es sein, daß zur Jagd auf die Verbrecher geblasen wurde. Sonst konnte das Mörder-Trio Verdacht schöpfen. Und Brenda würde nicht kommen. *** Die Leute im Wohnraum besprachen anschließend jede Einzelheit. Es wurde Mittag, ohne daß es einer merkte. Mary-Lou erhob sich, um das Frühstückstablett zum Küchenanbau zurückzutragen. Aus der Küche vernahm sie einen panischen Schrei ... *** Doc Smoky hatte sich auf einen Schemel zurückgezogen und lehnte mit dem Rücken an der Wand. Der Flasche hatte er schon reichlich zugesprochen, und langsam glitt sein whisky-umnebeltes Hirn in eine Scheinwelt, die für ihn noch völlig in Ordnung war. Der alte Mann konnte sich mit, dem plötzlichen Tod John Morgans einfach nicht abfinden. Es war zu unglaublich für ihn. Er vernahm ein Kratzen an der Tür und sah, wie sie sich langsam öffnete. Smoky starrte die Tür an. Wer mochte da zu ihm - 82 -
kommen? Die Männer waren abgeritten, und die Gesellschaft im Wohnraum des Haupthauses hatte schon lange nichts mehr von sich hören lassen. Im Türspalt erschien eine Gestalt in einem langen, weißen Gewand. Es war John Morgan, der zu sich gekommen war und nicht einsehen wollte, daß er den Tag im Bett verbringen sollte. Er fühlte sich ganz passabel, abgesehen von quälenden Kopfschmerzen. Und nun stand ihm der Sinn nach einem Becher heißem Kaffee. Mary-Lou hatte sich nicht weiter um ihn gekümmert. Da mußte er eben selber losziehen und sich den Kaffee bei Smoky in der Küche holen. Er brauchte Ruhe, das leuchtete ihm ein. Aber deshalb konnte wohl jemand nach ihm sehen und ihn nach seinen Wünschen fragen. Eine sonderbare Wirtschaft war das auf der Ranch, wenn er einmal ausfiel. Alles ging drunter und drüber. . . Doc Smoky sah den Boß barfuß in die Küche eintreten. Er sah das bleiche, angegriffene Gesicht des Mannes und das lange weiße Hemd. Auch der blutdurchtränkte Kopfverband war nicht zu übersehen. Und Smoky schrie gellend auf. Der Geist des toten John Morgan suchte ihn heim! Mit zitternden Händen griff Smoky nach der Flasche, um sich mit einem letzten Schluck für die lange Reise zu stärken. Er hörte nicht eher auf, bis die Flasche leer war. Dann wuchtete er sich hoch und torkelte dem ‚Geist’ entgegen. „Ich komme, John Morgan! Ich weiß, daß die Ewigkeit nach mir ruft. Eigentlich verdammt nett von dir, mich zu holen. Dann bin ich nicht so allein ...“ „Du bist betrunken, Smoky“, sagte der ‚Geist’. „Teufel noch mal, was fällt dir ein, dich am hellichten - 83 -
Tag zu betrinken? Gib mir einen Becher Kaffee, wenn du dazu noch in der Lage bist! Und dann geh zum Brunnen und steck deinen Kopf in einen Eimer kaltes Wasser, du Trunkenbold!“ Mit runden Augen und offenem Mund vernahm Doc Smoky die herbe Kritik an seinem Zustand. Das war der Augenblick, als Mary-Lou mit entsetzter Miene dazu kam. „Vater!“ rief sie und setzte das Tablett auf dem Tisch ab. „Vater! Du darfst doch nicht aufstehen!“ „Du bist doch tot ...“ fügte Doc Smoky dumpf hinzu. „Unsinn“, sagte das Mädchen. „Komm wieder mit mir ins Haus, Pa.“ Sie faßte John Morgan am Arm. „Ich bringe dich zu deinem Zimmer.“ Dann warf sie einen abschätzigen Blick auf den fassungslosen Smoky. „Sieh zu, daß du wieder nüchtern wirst. Ich rieche deinen Whiskyatem gegen den Wind. Und dann komm in den Wohnraum. Sag aber niemandem, daß du Vater gesehen hast, verstanden?“ Smoky ließ seine alten Knochen schlottern. „Ich tue alles, was du von mir verlangst, Mary-Lou. Schaff mir nur das Gespenst aus den Augen ...“ Das Mädchen brachte John Morgan hinaus. Der Ranchboß kam sich albern vor, als er im wallenden Nachthemd über den Hof schritt. Mary-Lou führte ihn in sein Zimmer und half ihm beim Hinlegen. „Vater, ich muß dir etwas sagen. Dann wirst du auch verstehen, warum Smoky so außer sich war, unabhängig davon, daß er voll war bis zum Kragen. . .“ Sie berichtete kurz, was sich zugetragen hatte, und daß man den Boß für tot hielt. Morgan nickte schließlich. „Ein geschickter Schach- 84 -
zug von Chet. Donnerwetter, ich habe den Jungen bisher unterschätzt. Warte nur, bis ich wieder auferstehe, Tochter. Sag mir, wenn sich Brenda sehen läßt. Und bring mir vorher diesen Brief! Ich will ihn lesen!“ „Du brauchst Ruhe, Vater. Carrington kennt sich aus mit Gehirnerschütterungen.“ „Stell dir vor, Mary-Lou - ich war auch mal im Krieg! Sogar als Major.“ Sie atmete aus. Glücklich stellte sie fest, daß ihr Vater sein Gedächtnis wieder erhalten hatte. „Carrington hat Chet und mir gesagt, daß ihm der Streit leid tut, Vater. Erspare ihm doch die Entschuldigung bei dir. Leg dich jetzt ruhig hin. Ich bringe dir alles, was du möchtest.“ „Dann bring mir endlich meinen Kaffee. Vielleicht hilft das gegen die verdammten Kopfschmerzen. Und vergiß nicht den Brief!“ Mary-Lou ging. Draußen traf sie Doc Smoky, der bleich und übermüdet zum Wohnraum schlich. „Komm mit rein, Smoky“, sagte sie. Carrington, Chet und der Marshal blickten auf, als sie Smoky eintreten sahen. „Er hat Vater gesehen“, erklärte Mary-Lou. „Wir müssen ihm jetzt alles sagen.“ „Wird auch Zeit“, meinte Smoky, der sich wieder gefaßt hatte. „Einem alten Mann solch einen Schrecken einzujagen! Beim Henker, das ist kein Spaß mehr!“ „Wir haben nie Spaß gemacht, Smoky“, ergriff Chet Quade das Wort. „Aber hör mir zu, da du nun schon dahintergekommen bist ...“
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*** Der Trupp, den Brazos anführte, kam am frühen Nachmittag zurück. Chet hatte die Männer für den Südostabschnitt eingeteilt, und sie kamen nicht allein. Zwischen den Männern sahen die Leute auf der Veranda des Haupthauses eine dunkelhaarige Frau, die ein ungesatteltes Pferd ritt. „Das ist sie“, brummte Doc Smoky. „Das ist Brenda Lee!“ Marshal George Rockwell blickte die anderen an. Sie waren vollzählig versammelt. Mary-Lou, General Carrington und Chet Quade. Sie starrten dem Aufgebot entgegen, das die Frau bis in den Hof begleitete. Chet trat an die Kante der Veranda. „Es ist gut, Brazos! Laß die Lady in Ruhe!“ Brenda Lee ließ sich vom Pferd gleiten. Über dem Kopf trug sie einen dünnen, schwarzen Schleier, der ihr langes Haar kaum verbarg. Mit graziösen Bewegungen kam sie die Stufen hoch und betrachtete das Empfangskomitee stumm. Mary-Lou hätte sie allein dafür hassen können. Die Frau war eiskalt. Smoky drängte sich vor. „Sie ... was wollen Sie hier noch? Der Boß ist tot!“ Das war so abgesprochen, und Smoky spielte seine Rolle überzeugend. Brenda seufzte nicht minder theatralisch. „Ich erfuhr es, leider! Früh am Morgen trafen Reiter in Golden City ein, die die Unglücksnachricht mitbrachten. Es waren Leute, die Chap Logan angeheuert hatte, um mich zu - 86 -
stellen. Ich weiß nicht, ob John euch davon erzählt hat ...“ „John Morgan hat dies und das erzählt, Ma'am“, sagte der Marshal und schob sich vor. „Deswegen bin ich hier. Smoky hat mich verständigt.“ „Sie sind der Marshal von Hotdog City, Sie?“ „Hotdog City? Nein, Ma'am. Ich habe mein Office in Golden City. Wieso fragen Sie?“ Brenda hatte sich schnell wieder gefangen. „Oh, ich dachte nur ...“ „Weil mich der Boß nach Hotdog City geschickt hat, Ma'am?“ fragte Smoky. „Ich bin aber nicht dorthin geritten. Stört Sie das?“ „Ich bin froh, daß ein Mann des Gesetzes hier ist, der die Mörder meines Verlobten ausfindig machen wird.“ Dem General drehte sich der Magen um bei Brendas Worten, aber er nahm sich zusammen und ließ sich nichts anmerken. „Kommen Sie doch mit hinein, Miß Lee. John war ein guter Freund von mir.“ Carrington zögerte. „Oder soll ich sagen, Mrs. Whitman?“ „Das wissen Sie?“ „John sagte es mir. Bitte ...“ Der General ließ Brenda den Vortritt in den großen Wohnraum. Die anderen folgten. Mary-Lou weinte heimlich. Das war nicht abgesprochen und gehörte auch nicht zu ihrer Rolle. Sie stellte sich nur vor, was wäre, wenn die hinterhältige Kugel ihren Vater wirklich getötet hätte. Und es waren Tränen des Zorns ... Brenda sah sich im Wohnraum um. Es war alles noch wie am Vortag. Aber nun gehörte alles ihr. Die anderen Menschen im Raum waren nur noch geduldet, bis sie sie hinauswarf. - 87 -
„Marshal“, sagte sie zuckersüß, „ich bin eine hilflose Frau. Nun, da John tot ist, bin ich auf Ihren Schutz angewiesen. Es gibt zwei Männer, die hinter mir her waren. Sie wollten meinen Tod. Deshalb bin ich zu John geflüchtet. Leider muß ich sagen, daß einer dieser Männer Whitman war, mein Mann ...“ „War ...?“ krächzte Rockwell. „Was ist denn mit Whitman?“ „Er ist tot, Marshal. Er lauerte mir vor dem Hause des Notars in Golden City auf. Heute, am frühen Morgen. Ich rief um Hilfe, als ich ihn plötzlich vor mir sah. Und einer von den Kerlen, die Logan angeworben hatte, zog seinen Colt und schoß. Whitman war sofort tot.“ „Ich muß zurück zur Stadt“, sagte Rockwell gehetzt. „Sollte mich nicht wundern, wenn dort der Teufel los ist!" „Einen Augenblick, Marshal“, unterbrach ihn General Carrington. „Ich würde gerne von der Lady hören, was sie am frühen Morgen beim Notar zu suchen hatte!“ „Es war wegen des Testaments. Wegen Johns Testament. Ich habe es beurkunden und ablegen lassen.“ „Am frühen Morgen, Mrs. Whitman? Das ist sonderbar“, schaltete sich nun auch der Marshal ein. „Hatte Pendroke denn offen? Pendroke ist der Advokat und Notar der Stadt“, wandte sich Rockwell an die anderen. „Marshal, ich war schon am späten Abend bei ihm. Wir haben alles durchgesprochen.“ „Bis zum frühen Morgen, Ma'am?“ „Nun, ich glaube, das ist wohl meine Privatangelegenheit, Marshal.“ Rockwell konnte ein Grinsen nicht verbergen. Er zwinkerte Carrington vertraulich zu. Und der General - 88 -
verstand. Er griff das Thema wieder auf. „Sie haben also Johns Testament zur Stadt gebracht. Und ich nehme an, daß es Ihnen eilig damit war.“ „Natürlich. Hat John Ihnen denn nicht meinen Brief gezeigt? Ich hatte ihm doch eine Nachricht hinterlassen!“ Brenda zuckte nervös mit den Augenlidern. „Ah, den Brief! Ja, den haben wir alle gelesen, Ma'am. Ich muß sagen, es hat uns tief getroffen. John stritt nämlich ab, daß er Ihnen die Ranch überschrieben hat. Er hat das angebliche Testament als gemeine Fälschung hingestellt, und er sagte auch, Sie seien eine verdammte Lügnerin und Betrügerin, Brenda!“ Sie hielt sich erstaunlich ruhig. „Das kann ich mir denken, Gentlemen. Ich kenne doch meinen John. Er wollte gewiß nicht zugeben, daß wir uns so schnell einig geworden sind. Aber er hätte bestimmt noch die Wahrheit gesagt, wenn ihn nicht die gemeine Kugel getötet hätte! Wir wollten uns diese Woche noch offiziell verloben ...“ Sie brachte tatsächlich ein paar falsche Tränen zustande. „Sie haben das Testament gefälscht, Ma'am“, sagte Carrington leise, aber mit harter Stimme. „Geben Sie es zu und reden Sie nicht schlecht über John Morgan!“ Sie zuckte zusammen. „Marshal! Ich verlange Ihren Schutz gegenüber diesem Mann! Er verleumdet mich und unterstellt mir ein übles Verbrechen! Er gönnt mir nicht, was John mir vermacht hat. Und John hat mir alles vermacht! Ich könnte verlangen, daß Sie auf der Stelle das Haus verlassen! Es gehört mir! Alles ist mit Johns Tod mein Eigentum geworden! „ „Mit Johns Tod“, wiederholte Mary-Lou tonlos. Sie holte tief Luft. Ihre Augen blitzten in verhaltenem Zorn. - 89 -
„Wo waren Sie denn, als mein Vater starb?“ „Ich war beim Notar, fast einen Tagesritt von hier entfernt! Fragt doch Pendroke! Marshal, werfen Sie die Kleine hinaus. Ich dulde sie nicht länger in meinem Haus!“ Tiefe Stille entstand. Mary-Lou biß sich auf die Lippe. Chet Quade dachte daran, daß Brenda nicht einmal die eine Stunde abgewartet hatte, bis sie ihre Ansprüche stellte. Und von Trauer war ihr nichts anzumerken. Aber Chet verhielt sich ruhig. Carrington blickte zu Boden. Er zwang sich, Brenda nicht anzublicken. Sonst hätte er seinen Zorn nicht beherrschen können. Doc Smoky schluckte geräuschvoll. Was er da gehört hatte, ging ihm über die Hutschnur. Aber er durfte ja nichts sagen. Man hatte ihm verboten, sich einzumischen. Marshal Rockwell grinste. Er wußte schon, was kommen würde. Er hatte es selber mit John Morgan besprochen. Unauffällig schob er sich zur Verandatür, um Brenda den Weg nach draußen abzuschneiden. Im Hof standen die Männer um Brazos herum und lauschten zum Haus hin. Rockwell hatte die Außentür erreicht. Die andere Tür brauchte nicht bewacht zu werden, denn dort gab es keinen Fluchtweg mehr für Brenda Lee-Whitman. Was die anderen nicht wahrnehmen konnten - John Morgan hatte leise diese Tür geöffnet und wartete. Er trug seinen alten Hausmantel über dem langen Nachthemd. Sein Gesicht war bleich. Am Hals pulste eine Zornesader. Mit provozierendem Ton durchbrach Rockwells Stimme die Stille. „Ihr Haus, Ma'am? Ich schätze, Ihr - 90 -
Haus wird das Jail sein, bis Sie am Galgen enden!“ Brenda fuhr herum. Sie starrte den Marshal wütend an. Und sie merkte, daß Rockwell nicht sie anblickte, sondern jemanden hinter ihr. Brenda drehte sich um. Da sah sie den Mann, den sie tot glaubte. Ihre Hand fuhr zum Hals, als hätte sie plötzlich Luftnot bekommen. Und sie keuchte: „Betrug ...! Das ist nicht John Morgan! Morgan ist doch tot ... erschossen ... Chap hat mir gesagt, schon seine erste Kugel hätte ...“ Sie schlug sich auf den Mund. „Was hat Chap dir gesagt, Brenda?“ drang die Stimme des Mannes unter der Tür in den Raum. „Hat er dir gesagt, er hätte mich mit einer einzigen Kugel ermordet? Irrtum, wie du siehst! Ich sterbe nicht so leicht! Und ich bin auch kein Geist, Brenda! Komm her und faß mich an ...“ Sie schrie grell auf, Panik schrillte in ihrer Stimme mit, Brenda wurde weiß wie ein Laken. Langsam näherte sich John Morgan. Unerbittlich. „Nein!“ schrie sie. „Bleib mir vom Leibe!“ Sie schlug mit einer hastigen Bewegung ihren Rock hoch und hielt plötzlich eine kleine, doppelläufige Schußwaffe in der Hand. Es war ein brünierter Derringer. Brenda schlug die Pistole auf Morgan an. „Bleib stehen! Keinen Schritt weiter! Du bist nicht tot, aber du wirst es bald sein! Du hinterhältiger Bastard! Du hast mich hereingelegt!“
*** Brenda ruckte mit dem Kopf herum. Sie blickte in vier - 91 -
dunkle Revolvermündungen. Um sie herum hatten alle Männer gelogen. Der Marshal bei der Veranda hielt seinen schwerkalibrigen peacemaker in der Faust. Carrington hatte seinen Army-Colt, und Chet legte mit dem Sechsschüsser auf sie an. Doc Smoky kam sich mit seinem Schießeisen fast überflüssig vor. Um seine faltigen Mundwinkel zuckte es. „Laß fallen, Lady! Du überlebst es nicht!“ Sie ließ den Derringer sinken. Mit ein paar schnellen Schritten war Mary-Lou bei ihr und riß ihr die kleine Waffe aus den Fingern. John Morgan ging mit schleppenden Schritten zu seinem Lieblingssessel. Er ließ sich in die Polster fallen. Mary-Lou warf den Derringer weit von sich und rannte zu ihrem Vater. „Du mußt dich wieder hinlegen, Pa! Es wird zuviel für dich!“ „Laß mich, mein Kind. Erst will ich wissen, warum Brenda das getan hat. Wir waren einmal Nachbarn, drüben in Alabama ...“ Brenda Lee verfiel von einer Sekunde zur anderen. Plötzlich wirkte sie wie eine alte Frau. Ihre Wangenknochen traten hervor, und Schatten überzogen das ehemals schöne Gesicht. Sie tastete hinter sich, bis sie einen Stuhl fand. Da setzte sie sich nieder. Sie stöhnte auf. Die Männer in dem großen Wohnraum wagten kaum zu atmen. Nur der Marshal ließ sich von der allgemeinen Erregung nicht anstecken. Er ging bedächtig zu dem Derringer, den Mary-Lou von sich geschleudert hatte und hob ihn auf. - 92 -
„Ein Lauf ist abgeschossen“, murmelte er. „Sollte mich nicht wundern, wenn sich erweist, daß Whitman an einer 22er Kugel starb ...“ „Ja. Ich habe ihn mit dieser Pistole erschossen“, bekannte Brenda. „Er war mein Mann, aber erst er hat mich zur Verbrecherin gemacht. Er zwang mich auch, John Morgan zu betrügen. Wir haben dieses Geschäft schon oft durchgezogen, und dies sollte das letzte Mal sein. Aber als ich ihn vor Pendrokes Haus in Golden City sah, waren seine ersten Worte, daß er wieder ein Opfer gefunden hätte. Einen Saloonbesitzer in Abiquin. Da habe ich abgedrückt und so getan, als hätte ein anderer geschossen. Es standen genug Leute auf der Straße ...“ General Carrington schob seinen Army-Colt wieder ins Holster. Auch Chet Quade ließ seinen Fünfundvierziger verschwinden. Er wandte sich zur Außentür, um mit Brazos' Leuten zu reden. Die Männer sollten endlich wissen, daß der Spuk vorbei war, und daß der Boß noch lebte. John Morgan ließ seinen Vormann gehen. „Yeah ...“ meinte Doc Smoky gedehnt, „wenn ich nicht mehr gebraucht werde, verziehe ich mich in meine Küche. Kann sein, daß es Ärger gibt, falls das Essen nicht pünktlich fertig ist.“ Der Boß wartete ab, bis Smoky verschwunden war. Nur Mary-Lou, der General und Marshal Rockwell waren noch im Raum. Morgan sprach mit leiser Stimme. „Warum hast du dich nicht besonnen, Brenda? Ich hatte dir meine Hilfe gegen Chap Logan und deinen Mann angeboten. Ich hätte dir auf meiner Ranch Asyl gewährt.“ „Das Asyl der Killer-Lady“, murmelte Norman - 93 -
Carrington. Der Ranchboß schüttelte unwillig den Kopf. Dann griff er sich an die Stirn. Die Bewegung hatte die rasenden Kopfschmerzen wieder hervorgebracht, die ihn quälten, seit er das Bewußtsein wiedererlangt hatte. „Brenda“, sagte er nun flüsternd, „war alles Lüge, was du mir gesagt hast?“ Sie weinte. Diesmal waren ihre Tränen echt. „Nein, John. Ich habe dir mehr gesagt, als ich durfte. Chap hat den Plan ausgearbeitet. Er suchte eine Möglichkeit, mich auf deiner Ranch unterzubringen. Ich kannte dich doch, noch aus Alabama. Und ich wußte, daß du nie so sein würdest, wie die anderen, die wir ...“ Sie schluchzte auf. „Ich habe dein Testament gefälscht, John. Chap hat mir den Text diktiert - genauso wie für den Brief, der angeblich von Chap stammte. Den mußte ich auch schreiben. Ich beherrsche viele Schriften, John. Auch deine! Chap Logan bekam den Liefervertrag für die Rinder in die Hände, und so lernte ich deine Schrift. Ich wollte es nicht tun, glaub mir ...“ „Du hast es aber getan, Brenda. Und ich will wissen, warum!“ „Als ich zu dir kam, John Morgan, gestern früh, und als ich dich nach so langer Zeit wiedersah, da beschloß ich, mit allem Schluß zu machen. Ich hoffte, du könntest mich vor Chap Logan und meinem Mann beschützen. Ich habe Chaps Bruder nicht getötet, John. Kelly starb, weil Chap ihm selber die Kehle durchschnitt. Und in dem Papier, das ich dir zeigte, stand nur deshalb davon etwas drin, weil Chap annahm, du würdest Nachforschungen anstellen. Er wollte dich in Sicherheit wiegen! Du solltest denken, ich sei wirklich in Gefahr.“ „Das dachte ich auch, anfangs. Aber dann erkannte ich - 94 -
deine Lügen, Brenda! Dein Wagen wurde von einem Reitpferd gezogen, und die Tasche, von der du sprachst, diese Tasche gab es nicht.“ „Das hat dich mißtrauisch gemacht, John? Ich wußte, daß du mir nicht trautest, aber ich wußte nicht warum. Nun, dein Mißtrauen war es, das mich dazu brachte, den Plan doch wie vorgesehen zu Ende zu führen. Ich war in dein Haus gelangt - aber ich konnte nicht mehr auf deine Hilfe hoffen.“ Sie wischte sich durch die Augen. „Du besaßest alles, was ich mir mein Leben lang gewünscht habe. Du hattest deine Familie, Mary-Lou, meine ich, du hattest deine Arbeit und ein ehrlich erworbenes Vermögen. Ich mußte damals aus Alabama weg, weil die Kriegswirren meine Eltern und mich vertrieben. Vater starb, wie ich dir sagte. Ich traf Whitman und heiratete ihn. Ich habe dir keine Lügen aufgetischt, John. Es war die Wahrheit, aber ich merkte schon, daß es für die Wahrheit zu spät war. Ich wäre so gerne bei dir geblieben und hätte dich nicht betrogen.“ Brenda hielt inne und sah zu John Morgan herüber. Der Ranchboß hielt den Kopf gesenkt. „Ich habe mein Leben lang immer Pech gehabt, John. Nun war es mir gleichgültig, auch wenn es diesmal dich treffen sollte, einen alten Bekannten. Nur einmal noch sollte das Geschäft durchgezogen werden, und dann wollte ich mit Chap Logan fortgehen. Vielleicht nach Mexiko ...“ „Geschäft?“ unterbrach Rockwell. „Sie treiben ein Geschäft mit dem Tod, Lady!“ Brenda schüttelte den Kopf. „Whitman war der erste, der durch meine Hand starb, Marshal. Und er hat es verdient. Er bekam nie genug. Logan und er hatten durch - 95 -
mich Geld genug gemacht, aber Whitman war es, der immer mehr wollte.“ „Nun ist er tot. Und Sie werden ihm folgen, Lady. Am Galgen!“ „Für mich hat der Tod keine Schrecken mehr, Marshal. Nur der Galgen. Ich möchte nicht, daß der Pöbel zusieht, wie ich sterben muß. Lieber gehe ich freiwillig aus diesem Leben.“ „Ich fürchte, das wird sich nicht machen lassen, Ma'am“, erwiderte Rockwell. „Die Gerechtigkeit nimmt ihren Lauf. Und wir schnappen uns auch noch Chap Logan. Er hat doch auf Morgan geschossen, oder?“ „Ja, Chap war es. Er sagte mir, daß er John getötet hätte.“ „Ermordet, wollen Sie doch sagen, Ma'am!“ „Ich lebe ja noch“, meinte Morgan. „Marshal, läßt es sich machen, daß ich eine Minute mit Brenda unter vier Augen reden kann?“ Rockwell verzog das Gesicht. „Wenn's sein muß, Morgan. Sollen wir rausgehen?“ „Nein. Bleiben Sie nur. Brenda geht mit mir. Ich lasse sie schon nicht entkommen.“ Der Boß erhob sich und winkte Brenda zu. Sie blickte ihn ungläubig an. „Was ist denn, John?“ „Ich will dir etwas zeigen, Brenda. Komm ...“ Beide verließen den großen Wohnraum. John Morgan stützte sich leicht auf Brendas Arm. Dann schlug die Tür hinter ihnen zu.
*** Nach und nach trafen draußen die restlichen Männer - 96 -
der Skull ein, die letzte Gruppe unter der Führung von Shorty. Sie hatten nichts erreicht - niemanden im Umland entdeckt. Ein großes Getuschel und Geraune ging durch den Ranchhof, als auch die letzten erfuhren, daß der Boß noch am Leben war. Wie Doc Smoky es vorhergesagt hatte, riefen die Männer nach ihrem Essen. Unmittelbar nach dem Wohlergehen des Bosses lag ihnen ihre pünktliche Mahlzeit am meisten am Herzen. Grinsend sah der Marshal zu, wie sich Smoky mit einem riesigen Suppentopf abmühte, den er zur Mannschaftsunterkunft hinüberschleppte. „Sag nicht, daß das schon wieder Bohnen sind, Smoky“, rief Brazos drohend. „Die kannst du dir in die Ohren stopfen.“ „Warte nur, Brazos! Du kriegst gleich einen mit der Suppenkelle!“ tat Doc Smoky empört. Aber dann mußte er doch lachen. Marshal Rockwell trat vom offenen Fenster zurück. Er fand, daß John Morgan verdammt lange ausblieb. Hoffentlich hatte diese Frau ihn nicht schon wieder eingewickelt. Brenda Lee hielt der Marshal für mit allen Wassern gewaschen. Und John Morgan war ein viel zu ehrlicher Mann, sich mit ihr einzulassen. Der General flüsterte mit Mary-Lou. Das Mädchen blickte auf und lachte. Ihr Kummer schien verflogen. Sie winkte Carrington noch einmal zu sich herunter. „Das war ein schlauer Schachzug, Carrington. Das mit Pas Testament. Jetzt sieht sich Chet Quade vor die Wahl gestellt. Entweder, er nimmt sich ein Herz und bittet - 97 -
mich um meine Hand, oder er bleibt sein Leben lang nur Vormann.“ Unauffällig schlenderte Marshal Rockwell zu den beiden hinüber. „Mary-Lou“, sagte Carrington, „die stärksten Männer haben die größte Angst vor Frauen. Chet macht da keine Ausnahme. Du mußt schon etwas nachhelfen.“ „Noch ist Vater der Boß, Norman. Und ich wünsche mir, daß er das noch lange bleibt. Aber er hat auch schon einmal durchblicken lassen, daß er gegen eine Schar Enkel nichts einzuwenden hat.“ „Wenn ihr meine Meinung hören wollt“, mischte sich Rockwell ein, „sorgt erst mal für Nachkommen! So eine Ranch bekommt man nicht so leicht!“ Mary-Lou lächelte. „Was verstehen Sie denn davon, Marshal? Sie sind doch gar nicht verheiratet.“ „Ich wäre es ein paarmal fast gewesen, Mädchen. Und eines mußt du dir merken: heiraten ist das eine - und Kinderkriegen ist das andere!“ „Genau in dieser Reihenfolge“, fügte der General hinzu. „Ihr macht mich verlegen“, sagte Mary-Lou. „Ihr Männer denkt doch immer nur an das eine!“ Rockwell kratzte sich ratlos am Kinn und grinste schief. „Oh, ihr Männer!“ schimpfte Mary-Lou. „Ihr seid doch alle gleich!“ „Irrtum! Zum Glück sind wir es nicht. Es gibt solche und solche.“ Carrington schmunzelte. „Der Marshal zählt sich wohl zu den solchen!“ Rockwell wurde plötzlich ernst. „Ich mache mir Sorgen um deinen Vater, Mary-Lou. Wo bleibt er nur so - 98 -
lange?“ *** John Morgan betrat den Raum. Er zog die Tür fest hinter sich ins Schloß. „Wo hast du denn gesteckt, John?“ erkundigte sich Carrington. „Und wo bleibt Brenda Lee?“ fragte der Marshal. „Ich werde sie in die Stadt mitnehmen. Die Frau tut mir irgendwie leid, Mister Morgan. Aber ich kann's nicht ändern. Das Gesetz ist für jeden gleich. Und Brenda hat schwere Verbrechen auf sich geladen.“ Morgans Gesichtsausdruck war sonderbar. Den anderen kam es vor, als ob er auf irgend etwas lauschte, ein bestimmtes Geräusch erwartete. Mary-Lou sah ihren Vater aufmerksam an. In einem der hinteren Zimmer des Hauses donnerte ein Schuß auf. Rockwell und Carrington fuhren gleichzeitig zusammen. Nur Mary-Lou blieb ruhig, als ob sie nichts anderes erwartet hätte. „Was war das?“ schrie der Marshal und stürmte zur Tür. „Bleiben Sie, Rockwell“, sagte das Mädchen halblaut. „Das war Brenda Lee. Sie hat sich erschossen. Hab' ich recht, Vater?“ „Ja. Wir sprachen noch über ein paar Dinge, die ich für sie erledigen soll, und dann ging ich. Mein Revolver, den ich im Krieg trug, blieb bei ihr. Gott sei ihrer armen Seele gnädig.“ Der Marshal ballte die Hand zur Faust. „Morgan! Das war nicht richtig von Ihnen. Ich werde einen Bericht - 99 -
schreiben müssen! Der Marshal von Denver wartet darauf. Es kann Folgen für Sie haben, daß Brenda Lee auf diese Art und Weise davon gekommen ist! Sie werden Ärger bekommen!“ „Halten Sie keine Reden, Rockwell! Nehmen Sie Ihr Pferd und jagen Sie Chap Logan! Das ist Ihr Job! Und wenn Sie ihn gestellt haben, geben Sie mir Bescheid. Ich will dabei sein, wenn Logan zum Tode verurteilt und gehenkt wird. Das war Brendas letzter Wunsch.“ „Sie sind ein sonderbarer Mann, John Morgan. Lassen Sie mich Ihnen ein Wort als Privatmann sagen, nicht als Marshal von Golden City. Als Mensch bewundere ich Sie und Ihren Mut. Als Marshal muß ich Ihre Handlungsweise verurteilen!“ „Scheren Sie sich zum Teufel, Rockwell! Ich sage das zu Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Marshal. Und zu Ihnen als Mensch sage ich: bleiben Sie noch auf einen Drink. Chap Logan kann Ihnen nicht entkommen. Ich bin sogar bereit, Ihnen ein paar Männer mitzugeben, wenn Sie wollen.“ „Beides mit Dank angenommen. Den Drink als Privatmann, die Unterstützung als Marshal.“ Carrington blickte verwundert von einem zum anderen. Aber auch der General hatte nichts gegen einen guten Schluck einzuwenden. So lehnte er nicht ab, als Mary-Lou ein Glas vor ihn hinstellte und es mit bernsteingelbem Whisky füllte. „Worauf trinken wir?“ fragte John Morgan. Er blickte dabei von Mary-Lou über Rockwell zu General Carrington. Und jeder der drei dachte an etwas anderes. „Trinken wir auf das Leben“, schlug Morgan vor. - 100 -
Und mit diesem Toast traf er vieles von dem, an das die drei anderen dachten. E NDE
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