Terra Astra Band 606
Peter Terrid Die Abenteuer der Time Squad 19
Das Zeit - Asyl
Die Hauptpersonen des Romans: Dem...
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Terra Astra Band 606
Peter Terrid Die Abenteuer der Time Squad 19
Das Zeit - Asyl
Die Hauptpersonen des Romans: Demeter Carol Washington und Tovar Bistarc - die Time-Squad-
Chefin und ihr Mann in tödlicher Gefahr.
Charrlba, Inky, Imhotep und Joshua Slocum - die Zeitagenten
retten ihre Freunde.
Almansur - ein Fern.
Manhaar - ein Kaiser liegt im Sterben.
1. Shandrak bog den rechten Arm zurück, schnellte ihn kraftvoll nach vorn und ließ seine Harpune durch die Luft fliegen. Das Geschoß durchschlug die Wasseroberfläche und erreichte präzise sein Ziel. Als Shandrak die Waffe an dem aus Leder geflochtenen Riemen wieder einholte, zappelte ein Fisch an der Harpune. Der Mann grinste zufrieden. „Um das Abendessen brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen", sagte er heiter. Ich nickte schläfrig. Das eintönige Geräusch der Brandung wirkte sehr beruhigend auf mich, und die warme Sandfläche, auf der ich lag, tat ein übriges. Zum ersten Mal, seit ich zur Time-Squad gestoßen war, durfte ich allen Ernstes faulenzen, in der Sonne herumliegen und, wenn ich wollte, schlafen, bis das Bett durchgelegen war. Zu verdanken hatte ich dieses wohlige Leben der Verletzung, die ich mir bei unserem letzten Einsatz eingehandelt hatte; ohne diese Blessur hätte der Urlaub gänzlich anders ausgesehen - Demeter Carol Washington verstand darunter Training, Training und nochmals Training. Kampfsportarten, Gymnastik, Mne-moTechniken, Sprachschulung, Kurse in Geschichte, Malerei, Musik, Literatur. Zur Auflockerung Dechiffrierübungen oder Basteln von Brandsätzen und als Belohnung Fallschirmspringen oder Tauchen. Von einem aktiven Agenten der Time-Squad wurde erwartet, daß er fast alles, was ein Mensch zu leisten vermochte, wenigstens in den Grundzügen beherrschte, auf vielen Gebieten gut, auf etlichen hervorragend und in seiner Spezialbegabung der Beste seiner Art war. Dabei interessierte es D. C. wenig, ob der solcherart Geschundene nur ein Mitarbeiter war oder den Vorzug genoß, mit der Chefin der Time-Squad verheiratet zu sein. Shandrak speerte noch einen weiteren Fisch, weidete ihn aus und legte ihn zu den übrigen. Dann streckte er sich neben mir auf dem warmen Sand der Meeresküste aus. Auch bei dieser Gelegenheit trug
er die eng anliegende Montur aus weichem, schwärzen Leder, die ihm den Beinamen der Schwarze eingetragen hatte. „Fast zu schön, um wahr zu sein", murmelte er. Ich nickte und reckte und streckte mich. Lange würde das Wohlleben nicht mehr dauern. Nur ganz selten spürte ich noch einen feinen Schmerz, die Verletzung war weitgehend ausgeheilt - das hieß, daß es in ein paar Tagen wieder losgehen würde. Ich stieß einen Seufzer aus. Als Demeters Ehemann hatte ich noch weniger Aussichten als früher, mich vor diesen Einsätzen zu drücken, obwohl es dafür mehr als genug Gründe gab. Ich brauchte abends nur an den sternübersäten Himmel zu blicken, um zu wissen, was vor uns lag. Tausende dieser leuchtenden Punkte waren Sonnen mit Planeten, auf denen intelligente Wesen lebten. Tausende dieser Planeten waren in einen mörderischen Konflikt verwickelt, und einer dieser Planeten war unsere Erde. Die einzige Streitmacht der Menschheit, die noch vergleichsweise frei und unabhängig agieren konnte, war das armselige Häuflein der Time-Squad - ein paar Dutzend aktiver Agenten, einige Hundertschaften hochqualifizierter Wissenschaftler, dazu die Familienangehörigen. Mehr stand uns nicht zur Verfügung. Unsere Gegner hingegen konnten alles aufbieten, was nötig war wahrscheinlich Zehntausende von Raumschiffen, unbegrenzte materielle Möglichkeiten, dazu einen Vorrat an wissenschaftlich schwer erklärbaren Tricks, den man früher dem Bereich der schwarzen Magie zugeschrieben hätte. Einige Kostproben dieser Hilfsmittel hatten wir bereits vorgeführt bekommen, und wer das Pech hatte, von einem solchen Einsatz zu träumen, der wachte sehr bald schweißgebadet und zähneklappernd auf. Obwohl er nach allem, was wir wußten, längst tot war, wurde der Name des Zeitzauberers Valcarcel immer nur flüsternd ausgesprochen, und selbst dann verursachte er Gänsehaut und aufgestellte Nackenhaare. „Was, glaubst du, wird Demeter als nächstes unternehmen?" wollte Shandrak wissen. Ich zuckte mit den Schultern. Wir brauchten, bildlich gesprochen, nur den Fuß vor die Tür zu setzen, um mitten im Getümmel zu sein. Die Erde überzogen von einem grauenvollen Verschleißkrieg mit den Nokhtern; das BlausonnenFürstentum unseres Freundes Darcyr vom Gegner bereits übernommen; das Kaiserreich von Glyssaan, Heimat unseres
Gefährten Imhotep, entscheidend geschwächt - nirgendwo war Hilfe zu erwarten. Daß eine solche Hilfe bitter nötig war, wußten wir besser als wahrscheinlich jede andere Truppe im bekannten Universum - wir kannten nämlich das Endziel des Gegners. Es hieß vollständige und unumschränkte Herrschaft über alle bekannten Planeten und deren Völker, ohne jede Ausnahme. Der Gegner - seltsame Kristallwesen, wie es schien, mit zum Teil beängstigenden Fähigkeiten - hatte einen Weg gefunden, zwischen seinem Universum und dem unsrigen hin und her zu wandern. Er hatte außerdem herausgefunden, daß die Zeit-Vektoren dieser beiden Universen gegenläufig waren. In der Praxis bedeutete das, daß Demeter, würde sie jeweils ein Jahr bei uns und ein Jahr im Universum des Gegners verbringen, dabei nicht um einen Tag biologisch altern würde. Es lag auf der Hand, daß es für die Oberen, wie unsere Gegner gemeinhin genannt wurden, nur ein Mittel gab, diese Unsterblichkeit perfekt zu machen - sie mußten jede noch so geringe Bedrohung ihrer Doppelherrschaft aus dem Weg räumen. Das war die Gefahr, mit der wir es zu tun hatten. Sie betraf alle uns bekannten Völker, wahrscheinlich jedes lebende Wesen überhaupt. Das Ziel dieser Auseinandersetzung war bei den Oberen klar, fraglich war nur, welche Mittel sie anwenden würden und wie wir darauf reagieren konnten. Gnade, Rücksicht oder Einsicht durften wir bei der Natur dieses Kampfes nicht erwarten - dafür war der Einsatz bei den Oberen viel zu hoch. Das war die Ausgangslage, die jeder Mitarbeiter der Time-Squad kannte. Verglich man damit die Kärglichkeit der Mittel, die uns zur Verfügung standen, konnte man depressiv werden. In der Ferne wurde das Geräusch eines Gleitertriebwerks hörbar. Das Fahrzeug kam rasch näher. Ich sah auf die Uhr. Der offizielle Dienstbetrieb in der Festung war beendet, wahrscheinlich wollte uns jemand ein paar Stunden lang Gesellschaft leisten. Der Jemand, der in dem offenen Gleiter saß, hatte rote Haare und trug eine weite Baumwollbluse; der Stoff flatterte im Fahrtwind. Shandrak erlaubte sich ein Grinsen. Demeter landete den Gleiter in unserer Nähe und stieg aus. Sie zog sich die Bluse über den Kopf, darunter trug sie einen Badeanzug, der weitaus deutlicher als die Bluse nachwies, daß Demeters Figur ihrem
Gehirn in nichts nachstand, wenn es um Kurvenreichtum und
Perfektion ging.
„Ich hoffe, du erholst dich gut", sagte sie, als sie bei mir ankam. Ich
gab ihr einen Kuß und merkte, daß ich ein wenig verlegen wurde;
irgendwie brachte es Demeter fertig, daß ich mich in ihrer Nähe
immer ein wenig wie ein Trottel fühlte, ungeschickt und linkisch.
Demeter zog den Rest ihrer Oberkleidung aus und legte sich neben
mir auf den Sand. Der Blick, mit dem sie meinen Körper musterte,
hatte nichts Liebevoll-Zärtliches, wie man es bei einer Ehefrau
erwarten sollte; er erinnerte mich eher an die Prüfung durch einen
Trainer, der die Leistungsfähigkeit seines Schützlings feststellen
will.
„Du siehst aus, als könntest du bald wieder aktiv werden", sagte sie
lächelnd.
Ich grinste freudlos.
„Hast du einen Plan?" fragte ich. Demeter nickte.
„Wir werden einen Ausflug unternehmen", erklärte sie und legte,
sich auf den Rücken. „Wir wissen, daß Manhaar, Kaiser des
Imperiums von Glyssaan, verschleppt und durch eine perfekte
Robotkopie ersetzt worden ist. Wir kennen von dieser Kopie die
Koordinaten des fraglichen Planeten."
„Und du willst hinfliegen und den Kaiser zurückholen?" fragte ich.
„Das ist der Plan", antwortete Demeter.
„Und wann geht es los?" , „Morgen früh", antwortete D. C. „Uns
bleibt also noch ein wenig Zeit, um zu baden."
Ich richtete mich vorsichtig auf, die linke Hand gegen die Hüfte
gepreßt. Im Hintergrund sah ich Shandrak grinsen.
„Ich glaube kaum", begann ich, aber Demeter unterbrach mich
lachend.
.„Ich um so mehr", antwortete sie. „Los, steh auf, Faulpelz, und
bewege dich. Du hast lange genug herumgefaulenzt, es wird Zeit,
daß du dir dein Gehalt verdienst."
Ich stieß einen Seufzer aus.
Daß Demeter bereit war, alles einzusetzen, um die Versklavung der
Menscheit zu verhindern, war gewiß lobenswert. Daß sie dabei auch
ihr eigenes Leben und das ihres Gatten nicht aus Gefahren
heraushielt, fanden Außenstehende sicherlich ebenso löblich - nur
für den Ehemann war es alles andere als erquicklich.
* Unsere Techniker hatten einmal mehr bravourös gearbeitet. Es mußte sie viel Mühe und Schweiß gekostet haben, das Noktherschiff, das wir auf der Erde erbeutet hatten, so herzurichten, daß es einem Blausonnenschiff aufs Haar glich. Der schlanke Zylinder stand im Hangar der Festung und war einsatzklar. Auch das Team, das dieses Unternehmen durchführen sollte, stand bereit - Demeter wagte wieder einmal sehr viel. Fast alle Personen kannte ich. Daß Imhotep dabei sein würde, verstand sich von selbst - er war neben Darcyr und dessen Tochter Ghanee die einzige Person, die dieses Schiff fliegen konnte. Wir Erdmenschen waren technisch so weit hinter dem Stand von Glyssaan zurück, daß wir bei der Bedienung der Schalter und Hebel mehr Schaden als Nutzen verursacht hätten. Inky war zur Stelle, groß und schlank und mit zerzaust wirkendem Haar. Neben ihm stand Charriba White Cloud, der schweigsame Indianer - wer die Dialoge der beiden verfolgte, mußte annehmen, sie seien einander spinnefeind, das Gegenteil war richtig. Maipo Rueda, der hünenhafte Schwarze, war ebenso zur Stelle wie Joshua Slocum, dessen Anblick mir wie immer leise Schauer über den Rücken laufen ließ. Privat war er einer der sympathischsten Menschen, die ich kannte, aber sein Spezialgebiet war die Seefahrt, je primitiver das Boot, umso reizvoller für ihn. Und ich konnte mich nach wie vor nicht damit abfinden, auf irgendwelchen Meeren herumgeschaukelt zu werden. „Wir werden an Bord gehen", verkündete Demeter. Sie wollte den Einsatz persönlich leiten. Mir wäre es lieber gewesen, sie wäre zurückgeblieben, aber wenn Demeter einmal einen Entschluß gefaßt hatte, konnte man sie kaum mehr umstimmen. Nacheinander betraten wir das Schiff. Mit der Inneneinrichtung kamen wir Laien gerade noch zurecht. Wir wußten, was passierte, wenn man diesen oder jenen Schalter betätigte - wie die technischen Vorgänge im Hintergrund dann tatsächlich abliefen, war uns ein Rätsel. „Du setzt viel aufs Spiel", sagte ich leise, als ich mit Demeter durch den zentralen Schacht hinaufschwebte in die Zentrale des Schiffes. „Was?"
„Nicht nur deine besten Männer und Mitarbeiter, sondern auch das einzige funktionstüchtige Raumschiff, das wir haben", gab ich zu bedenken. „Die Wissenschaftler werden ärgerlich sein, daß sie in dem Ding nicht weiter herumforschen dürfen." „Sie sind ärgerlich", antwortete Demeter trocken. Wir nahmen die Startposition ein. In der Zentrale war immer noch der eigentümliche Geruch zu spüren, den die Nokhter absonderten wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hatte, war er keineswegs unangenehm und wirkte eher wie ein exotisches Parfüm. „Klar zum Start?" fragte Demeter. Sie hatte den Platz des Kopiloten eingenommen, und sie war die einzige von uns, die inzwischen genug gelernt hatte, um das Schiff wenigstens halbwegs fliegen zu können. Die Schleusen wurden geschlossen und verriegelt, die Decke des Hangars schob sich zur Seite. Draußen schien die Sonne, und nur ein paar Kilometer entfernt rauschte die Brandung gegen den Strand... Ich kam mir in der Zentrale ein wenig verloren vor, wie ein überflüssiges Mitbringsel Demeters. Die anderen hatten die Positionen eingenommen, die sie im Lauf der letzten Monate trainiert hatten. Charriba saß vor dem Bildschirm der Ortung, Inky bediente die Kontrollen der Waffensysteme. „Start!" Das Schiff ruckte an und stieg dann mit steigender Beschleunigung in den Himmel. Irgendwo, ein paar Dutzend Kilometer entfernt, mochten sich jetzt die Eingeborenen von Shyftan auf den Boden werfen bei diesem Anblick - sie hinkten um soviel Jahrhunderte hinter dem Niveau der Time-Squad her wie wir hinter der Technologie der Nokther, und die wiederum war kümmerlich entwickelt, verglichen mit dem Standard, den man im Imperium von Glyssaan erreicht hatte. Das Schiff ließ die Lufthülle Shyftans hinter sich und stieß in den Raum vor. Auf dem großen Kontrollschirm, der eine ganze Wand der riesigen Zentrale einnahm, waren jetzt noch mehr Sterne zu sehen, als sie normalerweise am Nachthimmel Shyftans zu erkennen waren - es mußten Zehntausende sein. Unsere Wissenschaftler hatten in diesem Sternengewimmel unsere heimatliche Sonne noch nicht finden können, wir wußten nur, daß sie einer dieser Sterne sein mußte. Zwei Stunden lang beschleunigte das Schiff. Ruhig und gelassen betätigte Imhotep die Schalter und Knöpfe auf dem
Instrumentenpaneel vor seinem Sitz. Offenkundig war er mit dieser Technik bestens vertraut. Ob je einer von uns in der Lage sein würde, dieses Schiff mit der gleichen Souveränität zu fliegen? Am ehesten wohl Demeter, die jeden Handgriff aufmerksam verfolgte und ihn sich einprägte - ohne jedoch die dahinter verborgene Technik wirklich begreifen zu können. Zum Fliegen des Raumschiffs war das auch nicht notwendig - wohl aber, wenn irgendwann einmal Komplikationen und technische Pannen auftraten. Ich hoffte, daß das nie geschehen würde. Dann drang das Schiff in das übergeordnete Kontinuum ein. Es war ein faszinierender Anblick. Vom Normaluniversum blieb der Anblick der Sterne erhalten allerdings schienen sie sich zu bewegen, und die nächstgelegenen Sonnen zogen wie Kometen an uns vorbei. Weiter entfernt stehende Gestirne bewegten sich langsam über den Bildschirm. Ansonsten waren nur die Energieströme des Hyperraums zu sehen, faserige Schleiergebilde, die auftauchten und wieder verwehten, buntschillernd und geheimnisvoll. Allein dieser Anblick wäre alle Mühe wert gewesen, die zum Bau eines solchen Raumschiffs notwendig war. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie auch die anderen Menschen in der Zentrale wie gebannt auf den großen Schirm starrten - ausgenommen Charriba, der mit stoischer Ruhe seinen Dienst versah. Auch Imhotep zeigte sich nicht beeindruckt - er kannte diesen Anblick seit langem, für ihn gehörte er zum Alltag eines Sternenfürsten. Zwei Stunden später kehrten wir in den Normalraum zurück. Unsere Position wurde ausgemessen, die Daten für den nächsten Teil des Fluges programmiert. Imhotep ließ sich und uns Zeit. Er erklärte jeden Handgriff, gab Anweisungen und Korrekturhilfen. Als Mitarbeiter der Time-Squad war er von unersetzlichem Wert. Es war erstaunlich, wie dieser Mann, der früher über ein Sternenreich mit Hunderten von besiedelten Planeten geboten hatte, sich einer Frau unterordnete, deren Macht sich darauf beschränkte, einen ziemlich hilflosen Haufen verrückter Abenteurer zu kommandieren. Allerdings war Imhotep einer der wenigen, die das größte Geheimnis der Time-Squad kannten - er wußte von der Existenz der sogenannten Schwarzen Kamarilla, wahrscheinlich das
Führungsgremium unserer Gegner. In einem der sieben Mitglieder dieses Führungsstabes hatten wir zu unserer aller Überraschung Demeter Carol Washington entdecken müssen. Was es zu bedeuten hatte, daß ihr Abbild in dieser Galerie des Grauens aufgetaucht war, wußten wir noch nicht - in jedem Fall flößte es uns und allen voran D. C. große Furcht ein. Der Gegner schien überall und jederzeit zuzuschlagen, er sickerte ein und übernahm, tarnte und verstellte sich. Zu keinem Zeitpunkt konnten wir völlig sicher sein, welche Identität unser jeweiliges Gegenüber hatte. Auch das machte unsere Arbeit keineswegs leichter. Imhotep leitete die nächste Flugetappe ein. Einen großen Teil der anfallenden Arbeit ließ er Demeter erledigen, die von ihm das Kompliment zu hören bekam, eine ausgezeichnete Pilotin zu sein. Sie nahm es kommentarlos zur Kenntnis. Seit dem Start waren acht Stunden vergangen, als wir das Zielsystem erreichten. Eine mittelgroße Sonne, die sehr hell strahlte, erheblich weißer als unsere heimatliche Sonne. Das System besaß acht Planeten, zwei davon so sonnennah, daß sie als Träger von Leben in unserer Form sofort ausschieden. Fünf weitere Planeten, darunter ein wahrer Riese und zwei kalte Gaszwerge, schieden aus anderen Gründen aus.
Ziel war der vierte Planet, der langsam näher kam.
Die Fernortung lief auf höchsten Touren. Wir wollten soviel wie
möglich wissen, bevor wir zum Landeanflug ansetzten.
Die Atmosphäre war der Erdluft vergleichbar, es gab ein wenig mehr
Helium, dafür weniger Kohlendioxyd. Die Schwerkraft lag um ein
Zehntel unter dem Erdwert, und die Fernmessung ergab außerdem,
daß es sich um eine Welt handelte, die ein wenig wärmer sein mußte
als die heimatliche Erde.
Nach Stunden langsamen und vorsichtigen Fluges war der Planet
klar auf den Bildschirmen zu sehen - eine noch kleine, aber intensiv
grün leuchtende Scheibe, überzogen von der weißen Aderung der
Wolken.
„Wie wollen wir ihn nennen?" fragte Imhotep. Er sah Demeter an.
„Der Grünton ist zwar nicht der gleiche - trotzdem schlage ich als
Namen Smaragd vor."
„Und die Sonne?"
Demeter sah das Gestirn an.
„Nennen wir es First Hope", sagte sie leise.
Ein Omen, dachte ich, hoffentlich hilft es uns. Zu diesem Zeitpunkt
wußten wir noch nicht, daß die Bezeichnung Last Despair wesentlich
treffender gewesen wäre.
2. Sehnsüchtig starrten wir auf Smaragd hinab. Unser Schiff zog einen stabilen Orbit um die Welt, und die Kameras lieferten uns verblüffend gute Bilder über die Oberfläche. Der Landstrich, über dem unser Schiff in diesem Augenblick im Raum hing, schien paradiesisch schön - eine riesige, smaragdgrün schimmernde Wasserfläche, durchsetzt von einer Unzahl kleinerer und größerer Inseln. Dank der hervorragenden Optiken konnten wir die Küstenlinien mit ihren weißen Sandstränden sehen, die Schaumkronen auf den Wellen, die gegen die Strande schlugen, und obwohl die Luft im Innern des Schiffes immer gleichmäßig temperiert wurde, hatten einige von uns das Gefühl, eine herrlich warme Urlaubssonne brenne auf sie herab. Demeter lächelte in sich hinein. „Tovar, Inky, Charriba - wir machen einen Gleiter klar und landen damit." In den Mienen der anderen spiegelte sich Enttäuschung. „Nicht das ganze Schiff?" fragte Joshua Slocum, der beim Anblick der Meeresfläche wahrscheinlich in Seglerträumen schwelgte. „Ich will es nicht aufs Spiel setzen", antwortete Demeter. Sie lächelte Slocum an. Er hatte sich von der schweren Verwundung, die er sieh in Ägypten zugezogen hatte, prächtig erholt. Sein Unternehmungsgeist war ungebrochen. „Ihre Stunde wird noch kommen, ich verspreche es." Slocum machte zwar noch immer ein enttäuschtes Gesicht, fügte sich aber. Währenddessen wurde ein vakuumfester Gleiter fertiggemacht, der zur Ausstattung des Schiffes gehörte. Er war speziell zur Planetenerkundung gedacht und erfüllte seine Aufgabe hervorragend. Langsam sank er auf Smaragd herab. Eine Zeitlang verloren wir die Übersicht, als wir durch dichte, weiße Wolkenkissen tauchten, aber
dann sahen wir unter uns wieder die Insellandschaft. Demeter hatte das Steuer übernommen und zielte auf die größte der Inseln. Die Infrarotmessung wies aus, daß es dort einige Flecken gab, deren Temperatur deutlich höher lag als üblich, aber nicht hoch genug, um auf heiße Quellen oder Vulkane hinzuweisen. Der Verdacht lag nahe, daß es sich dabei um Feuerstellen handelte. „Smaragd macht seinem Namen alle Ehre", stellte ich fest. „Ein wahres Schmuckstück unter den Planeten." Demeter lächelte und ließ den Gleiter noch tiefer sinken. Wir flogen jetzt knapp ein Dutzend Meter über den Wellen dahin, die sich langsam und breit auf die Küste zuzuwälzen schienen. „Wie geschaffen für Flitterwöchner", bemerkte Inky trocken und grinste mich an. Ich drohte ihm mit dem Finger. Die Küste wurde erreicht. Der Sandstrand, fleckenlos weiß und sehr feinkörnig, war fast hundert Meter breit und wirkte so sauber und einladend, als sei er von der irdischen Touristikindustrie zu Werbezwecken erstellt worden - fast zu schön, um real zu sein. Demeter landete in der Nähe einer Baumgruppe. Auf den ersten Blick fühlten wir uns an Palmen erinnert, aber dann sahen wir, daß die Blätter mehr denen von riesenhaften Farnen ähnelten. Vögel stoben auf, hühnergroß und buntschillernd wie Pfauen. Sie umschwirrten uns, stießen schrille Laute aus und flogen dann davon. Die Luft war unglaublich klar, roch ein wenig nach Meer, und es war so warm, daß wir unsere Jacken auszogen und im Gleiter zurückließen. Unsere Waffen allerdings nahmen wir mit. Im rechten Holster stak wie immer der Nadler, der Betäubungsgeschosse verschickte, auf der linken Seite steckten die Laser, die wir nur im äußersten Notfall einsetzen durften. Langsam drangen wir in den dichten Wald nahe der Küste ein. Prüfend zog ich die Luft durch die Nase. Es roch nach Blüten, unbekannten Früchten, aber kein bißchen Stickig oder modrig. Die Insekten, die wir aufscheuchten, ließen uns in Ruhe - Blutsauger schienen nicht darunter zu sein. Demeter hob die Hand. Wir blieben stehen. „Könnt ihr etwas hören?" Wir spitzten die Ohren. Charriba nickte, während ich nur das leise Rauschen der Blätter vernahm, die von der Brise sacht bewegt wurden, und das unablässige, gleichmäßige Rauschen der Wellen. „Dorthin", sagte Charriba. Er hatte von uns allen das beste Gehör und wurde nun unser Führer.
Allmählich wurden die Klänge lauter und eindeutiger.
„Musik", stellte Charriba fest. „Musik des weißen Mannes."
„Vielleicht die ergreifende Weise: Es will das Licht des Tages
scheiden?"
Inky sah bei diesen Worten wieder einmal Charriba an, und wie
üblich machte der ein Gesicht, das zwischen Entrüstung und
Nichtbegreifen schwankte. Wir hatten inzwischen herausgefunden,
daß Anastasius Im-mekeppel - so hieß Inky mit normalem Namen
in seiner Zeit ein begeisterter Leser von Indianergeschichten
gewesen war. Offenbar kannte Inky die Werke dieses unbekannten
Autors fast auswendig und zitierte immer wieder daraus, vor allem
dann, wenn er Charriba damit ärgern konnte.
„Nichts dergleichen", antwortete ich.
Mir kamen diese Klänge merkwürdig vertraut vor, obwohl ich sicher
war, sie nie gehört zu haben.
Der Wald, der dicht und massiv zwischen uns und der Schallquelle
lag, verzerrte die Klänge natürlich stark, und es war schwierig, sie
einzuordnen.
„Ich will nicht länger Tovar heißen ...", begann ich.
„... wenn das nicht ein Streichquartett ist."
Demeter sah mich verweisend an.
„Mach keine Spaße", sagte sie. Ich breitete die Arme aus.
„Sehen wir nach", schlug ich vor.
Ich hatte recht, das war einige Minuten später zweifelsfrei. Es war
ein Streichquartett, das da durch den Urwald eines uns völlig
fremden Planeten klang. Aber es kam noch schlimmer.
Es kann nicht sein, sagte mein Verstand. Es ist so, sagten mein
Gehör und meine Erinnerung.
Demeter sah mich an. Sie schien an meinem Gesicht ablesen zu
können, daß etwas in mir vorging.
„Rede", sagte sie knapp.
„Also gut", antwortete ich. „Auch wenn ihr mich für verrückt erklärt,
was da zu hören ist, ist ein Streichquartett von Franz Schubert."
Inky begann sofort zu lachen.
„Schubert ist seit 1828 tot", sagte er prustend.
„Das weiß ich selbst", gab ich gereizt zurück. Ich sah Demeter an.
Sie machte ein betroffenes Gesicht, und ich wußte sofort, warum.
Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zurück.
Ursprünglich einmal war die Time-Squad als Sonderabteilung der Polizei gegründet worden, geschaffen zu einem einzigen Zweck, unaufgeklärte Verbrechensfälle zu lösen. Zu diesem Zweck wurden geschulte Agenten mit der Zeitmaschine körperlos zum Tatort und zur Tatzeit zurückgeschickt - von da aus ließen sich die Spuren dann mit den gleichen Mitteln lückenlos verfolgen. Mochte der Täter auch noch so geschickt sein, Masken tragen oder Spuren verwischen - die Time-Squad-Agenten konnten ihn körperlos jederzeit und an jeden Ort verfolgen und seine Identität feststellen. In einem dieser Fälle war nach langen Haftjahren ein Unschuldiger rehabilitiert und freigelassen worden. Den wahren Mörder hatte die Polizei verhaftet. In seinem Besitz hatte sich etwas befunden, was es bei herkömmlicher Betrachtung der Dinge gar nicht geben konnte - die handschriftliche Partitur einer zehnten Symphonie von Ludwig van Beethoven. Das Papier dieser Notenschrift war eindeutig als modern entlarvt worden, aber alle Musikexperten hatten die Musik als unzweifelhaft beethovensch bezeichnet. Einer der Experten hatte sein Urteil so begründet: „Es ist für einen begabten Musiker und Komponisten leicht, ein Musikstück in ähnlicher Art wie Beethoven zu schreiben. Immerhin gab es zu Beethovens Zeit gewisse Regeln, nach denen komponiert wurde. Einem sehr hochbegabten Musiker wäre es wohl auch möglich, eine Symphonie zu schreiben, die man beispielsweise als seine siebte ausgeben könnte, wenn das Original niemals bekannt geworden wäre. Aus dem, was Beethoven vorher und nachher komponiert hat, hätte dieser Fälscher ein Zwischenglied konstruieren können. Aber es ist völlig ausgeschlossen, daß selbst ein musikalisches Genie aus den bekannten Werken ein darauf aufbauendes neues Werk hätte verfassen können. Er hätte etwas typisch Beethovensches komponieren können. Auch etwas Neues aber niemals etwas, das beide Züge in sich vereinigt. Dafür ist die Handschrift eines großen Künstlers zu einmalig. Und diese zehnte Symphonie ist beides - beethovensch und völlig neu. Ergo muß sie von ihm selbst stammen!" Diese und andere Expertisen, an deren Ernsthaftigkeit nicht zu zweifeln gewesen war, hatten der Time-Squad damals den ersten plausiblen Hinweis darauf gegeben, daß außer der Zeitschwadron noch jemand Zeitreisen unternahm. Und seither waren wir nicht mehr zur Ruhe gekommen ...
Demeter sah mich an, und ich nickte. „Genau wie damals", sagte ich. Die Musik, die in Fetzen zu uns herübergetragen wurde, war - soweit ich als Laie das beurteilen konnte - unverkennbar schubertsch, und sie war es zugleich nicht. In meiner Sammlung - ich hatte sie nach Shyftan retten können - waren alle Streichquartette enthalten. Das, was jetzt erklang, gehörte nicht dazu. „Gehen wir weiter", bestimmte Demeter. Immer klarer und deutlicher wurde die Musik. Dem Stil nach zu schließen und der technischen Perfektion, mußte es sich um ein spätes Streichquartett handeln - aber niemand, der Schuberts Spätwerk kannte, hätte es für möglich gehalten, daß es ein Quartett gab, das vor Lebensfreude gleichsam überschäumte. Dann erreichten wir die Lichtung. Ein Dorf war zu sehen. Zwölf sauber ausgeführte, wenn auch primitive Hütten aus leichten Materialien kunstvoll gefertigt. Hühnerähnliche Vögel liefen herum und scharrten auf dem Boden nach Würmern und Insekten. In einem Stall quiekte etwas, das sich stark nach Schwein anhörte und meine Musikbegeisterung sofort in bohrenden Hunger umschlagen ließ. Wir brauchten nur noch ein paar Schritte zu machen, dann konnten wir ihn sehen. Untersetzt, stämmig, wirre, ein wenig gelichtete Locken auf dem rundlichen Schädel, auf der Nase eine entsetzlich altmodisch wirkende Brille, saß er vor einem Tisch, auf dem eine klavierähnliche Tastatur stand. Von dort erklang die Musik, die wir hörten - offenbar eine elektronische Musikmaschine, die jeden beliebigen Instrumentenklang perfekt nachbilden konnte. Der Mann hörte unsere Schritte, hob den Kopf und sah uns über die Schulter hinweg an. Er lächelte freundlich. Ich spitzte die Lippen und begann zu pfeifen. „Holla", sagte der Mann. „Sie kennen mein d-Moll Quartett?" „Bis heute war es mein liebstes", antwortete ich. Er mußte über vierzig Jahre alt sein, wie sein Aussehen verriet. Der uns bekannte Franz Peter Schubert hatte von 1797 bis 1828 gelebt, also nur einunddreißig Jahre lang. Er spielte die Melodie, die ich ihm vorpfiff, auf seinem Instrument nach. Ich mußte lächeln - es klang anders, als ich es kannte, offenbar waren die Musiker nach ihm in ihrer Ausdeutung seiner Musik wohl
doch nicht so genau bei der Interpretation gelandet, die ihm beim
Komponieren vorgeschwebt haben mochte.
„Wo kommt ihr her?" fragte Schubert.
„Von der Erde", antwortete Demeter spontan.
Ich sah, wie Schubert erschrak.
„Jetzt, in diesem Augenblick?" fragte er leise. Demeter schüttelte
den Kopf.
„Wir haben seit einigen Jahren keinen Zuwachs mehr bekommen",
sagte Franz Schubert. Inky starrte ihn an, als sei er ein Gespenst,
während Schubert seinerseits sich bemühte, Demeter nicht allzu
offen anzublicken.
„Zuwachs?"
„Neuankömmlinge, größtenteils Künstler."
„Wer ist denn überhaupt hier anzutreffen?" fragte ich.
„Lauter berühmte Leute", bekam ich zu hören. „Ich weiß gar nicht,
wieso man auch mich hierhin entführt hat. Beethoven ist da, Mozart
und Rossini, Maler wie Raffael und van Gogh..."
„Lassen Sie mich weiterraten", warf ich ein. „Hier leben auch
Schriftsteller wie Edgar Allen Poe oder Franz Kafka ..."
„Richtig", bestätigte Schubert. „Woher wissen Sie das alles? Sind
Sie etwa dafür verantwortlich?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte etwas Mühe, mein Gegenüber zu
verstehen. Schubert sprach Deutsch, das ich bei der Time-Squad
gelernt hatte, aber er sprach es in einer sehr eigenartigen Färbung.
.Alles berühmte Künstler, die früh verstorben sind", murmelte
Demeter.
„Verstorben?" fragte Schubert entsetzt.
„Falls Sie die offiziellen Daten interessieren - Sie sind anno 1828
gestorben und wurden, Ihrem Wunsch entsprechend, in der Nähe von
Beethovens Grab auf dem Währinger Friedhof beigesetzt."
„Also ist es doch wahr", murmelte Schubert. „Ich habe es einfach
nicht glauben wollen."
Es war auch schwer zu glauben.
Aber die Beweise lagen auf der Hand. Irgendeine Macht hatte etliche
der größten Genies der Menschheit, die bereits relativ jung gestorben
waren, kurz vor ihrem Tod gegen Doubles ausgetauscht, die
Originale mit Hilfe moderner Medizin gerettet - in Schuberts Fall
vom Typhus - und auf Smaragd angesiedelt.
„Woran arbeiten Sie gerade?" fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
„An einem Quartett in a-Moll", antwortete Schubert, ohne
nachzudenken. „Mein dreißigstes Quartett."
Ich schluckte. Wenn sich Schubert kompositorisch weiterentwickelt
hatte, dann waren hier musikalische Schätze zu heben, von denen die
Menschheit bisher nichts geahnt hatte.
Ich versuchte mir vorzustellen, was in diesem Augenblick auf
anderen Inseln stattfinden mochte - Mozart an der Arbeit seiner
fünfzigsten Symphonie, van Gogh bei Porträtstudien, Edgar Allen
Poe damit beschäftigt, eine neue Gruselgeschichte zu schreiben.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten? Wein? Gebäck?"
„Grüner Veltliner?" fragte Inky hoffnungsvoll.
„Sie kennen ihn?"
„Ich war eine Zeitlang in Wien stationiert", erinnerte sich Inky.
„Aber das liegt lange zurück. Woher bekommen Sie den Wein?"
„Er wird mir, wie alles andere, von der Burg geliefert", antwortete
der Komponist. „Auch diese wundervolle Maschine stammt von
dort. Man
kann alles mit ihr machen, sogar große Orchesterwerke
komponieren."
„Wo können wir diese Burg finden?" fragte Demeter sofort.
Schubert zuckte mit den Schultern.
„Weiß ich nicht", antwortete er. „Ich kümmere mich nicht darum.
Ich arbeite, genieße das Leben, treffe mich mit neuen Freunden. Ich
brauche mir keine Sorgen zu machen, und den anderen geht es
ebenso."
Demeter und ich sahen uns an. Es war offenkundig, daß aus unserem
Gegenüber keine weiteren Informationen mehr über die Burg
herauszuholen waren. Der Mann war augenscheinlich glücklich mit
seinem Leben und kümmerte sich vorrangig um seine Musik.
Ich deutete auf die anderen Hütten.
„Wer lebt dort?" fragte ich.
„Meine Freunde", antwortete Schubert, während er die Weinflasche
entkorkte. Inky beugte sich vor und warf einen Blick auf das Etikett.
Er stieß einen leisen Pfiff aus.
„Kein schlechter Jahrgang",»sagte er anerkennend.
„Nicht wahr? Hier wird bestens für mich gesorgt, und als ich damals
hier aufwachte, habe ich zuerst geglaubt, im Paradies zu sein."
Das konnte ich ihm ohne Schwierigkeiten nachfühlen. Das Klima war herrlich, die Natur lieferte Nahrung in Überfülle, Begriffe wie Hektik und Streß waren hier wohl unbekannt. „Was passiert, wenn jemand krank wird?" fragte ich, einer plötzlichen Idee nachgebend. „Wir brauchen nur einen Notruf auszulösen, dann kommt jemand und holt den Kranken ab. Ein paar Tage später wird er wieder zurückgebracht." Demeter lächelte verhalten. Ich ahnte, was sie für einen Plan ausbrütete. „Ah, da kommen meine Freunde zurück", rief Schubert aus. Er stand auf, und wir wandten die Köpfe. Es war eine Gruppe von zwanzig Menschen, die offenbar gerade von der Küste kam. Die knielangen Wickeltücher waren noch ebenso naß wie die dunklen Haare. Sowohl die Männer als auch die Frauen waren prachtvoll gewachsen. Inky bekam prompt Stielaugen beim Anblick der Mädchen. Vermutlich war sein Zeitalter ein wenig prüde gewesen. Ich sah Demeter an. „Es fehlt nur die Sonnenbräune", sagte ich. „Wenn wir die Kranken spielen wollen, müssen wir vorher erst einmal ausgiebig sonnenbaden." Demeter lächelte. „Einverstanden", sagte sie.
3. „Nein", stieß ich hervor. „Das werde ich nicht tun."
„Stelle dich nicht so zimperlich an", beharrte Demeter und funkelte
mich an. Ich schüttelte den Kopf.
„Ob Chefin der Time-Squad oder Ehefrau - ich denke nicht daran,
einen großen Löffel feingeschabter Seife zu essen. Mir wird übel,
wenn ich nur daran denke."
Demeters Ansinnen war wirklich eine Zumutung, vor allem stand es
im Kontrast zu den letzten sieben Tagen.
Eine herrliche Woche lang hatten wir auf der Insel verbracht und
nichts getan, was uns nicht Spaß gemacht hätte. An Bord unseres
Schiffes war nur eine Stammbesatzung zurückgeblieben, der Rest
hatte sich auf die Inseln des Archipels verteilt, um sich dort auf den
Einsatz vorzubereiten. Dank entsprechender Mittel aus der Bordapotheke hatten wir rasch und gründlich Farbe tanken können wir sahen den Eingeborenen verblüffend ähnlich. Ssaranen nannten sich die Angehörigen dieses friedlichen Volkes, das seit undenklichen Zeiten auf .. Smaragd lebte. Die wundervolle natürliche Umgebung hatte den Lebensstil der Ssaranen geprägt von Technik hielten sie nicht sehr viel. Sie zogen es vor, in den Tag hinein zu leben, und es gab nichts, was sie davon hätte abbringen können. Fiel ein Haus zusammen, wurde in gemeinsamer Anstrengung ein neues gebaut, und das dauerte nur zwei bis drei Tage. Geschichtsschreibung gab es nicht, auch kein Rechtssystem Konflikte waren bei den Ssaranen zwar nicht unbekannt, aber außerordentlich selten. Außerdem hatten die Ssaranen erfrischend lockere Umgangsformen und Sitten - Demeter würde es schwer haben, ihre Mitarbeiter von hier wegzulocken. Inky hatte sich binnen zweier Stunden in eine schwarzlockige Schönheit vergafft, mit Erfolg. Marleen de Vries, unsere Spezialistin für alte Sprachen, war Mittelpunkt der Verehrung der eingeborenen jungen Männer, die noch nie eine Frau mit hellblonden Haaren gesehen hatten. Und nun feingeschabte Kernseife und andere Widerwärtigkeiten ohne mich. „Wenn du einen Kranken simulieren willst, dann glaubwürdig", beharrte Demeter auf ihrem Standpunkt. „Und dieses Mittel wird dir schnell und ungefährlich hohes Fieber verschaffen." Wer immer für die Gesundheitsvorsorge auf Smaragd verantwortlich war, er bekam eine Menge Arbeit geliefert. Demeter hatte eine ganze Reihe kleiner Tricks auf Lager, mit denen man Krankheiten vortäuschen konnte. Feingeschabte Kernseife, drei Teelöffel voll, sorgten für Kopfschmerzen und Fieber; eine Mischung aus Essig, Wasser und Zucker lieferte, intramuskulär injiziert, alle Anzeichen von Diabetes. Ein abscheuliches Gebräu von Ruß, Zucker und Essig ließ den Verdacht auf Gelbsucht auftreten - und so fort. Demeter hielt mir den Löffel hin. Ihr Blick sagte mir, daß sie keine Widerreden hören wollte, also fügte ich mich und würgte das gräßliche Zeug herunter. Der Zeitplan sah vor, daß auf den benachbarten Inseln in den nächsten Stunden einige unserer Kameraden ebenfalls erkranken würden - wir wollten mit einem kleinen Trupp in die Geheimnisse
von Smaragd eindringen, und dies schien uns das beste Verfahren zu sein. „Bist du sicher, daß damit nur eine schwere Erkrankung vorgetäuscht wird?" fragte ich Demeter, während mein Magen Purzelbäume zu schlagen schien. Mir war speiübel. Demeter löste unterdessen den automatischen Notruf aus. Nach den Erfahrungen der Ssaranen kamen die Helfer binnen einer halben Stunde. Natürlich hätten wir auch echte Krankheiten hervorrufen können, auch solche Maßnahmen gehörten zum Trickrepertoire der TimeSquad. Aber dazu hätten wir auf unsere speziellen Bakterienkulturen zurückgreifen müssen - auf die Gefahr hin, die Ssaranen möglicherweise zu infizieren. Dieses Risiko hatten wir vermeiden wollen. Die Übelkeit wurde immer schlimmer, und mein Kopf begann langsam von innen heraus zu glühen. Demeters Gesicht hatte inzwischen eine gelbe Färbung angenommen, vor allem die Augäpfel sahen grausig aus. Sie schüttelte sich, als sie in den Spiegel blickte. Währenddessen komponierte Schubert im Nachbarraum fröhliche Lieder. Inky hatte sich ein Buch geschnappt, einen heiteren Roman von Franz Kafka - auch dessen Stil hatte sich unter dem zauberischen Einfluß von Smaragd entscheidend geändert. Unsere Fachleute würden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn wir ihnen die Früchte dieser Expedition auf die Tische legten. Das Zusammentreffen so vieler genialer Künstler aus unterschiedlichen Epochen hatte Ergebnisse gezeitigt, die alle biographische und kunstwissenschaftliche Forschung auf den Kopf stellen konnten. So gab es beispielsweise ein Musical mit einem Text von Ambrose Bierce, der Musik von Beethoven, die von Glenn Miller arrangiert worden war, und einem Bühnenbild von Vincent van Gogh. „Puh!" stöhnte ich. Jetzt war mir wirklich nach ärztlicher Hilfe zumute. Mein Körper schien in Flammen zu stehen. Ich wußte, daß die Wirkung dieses Teufelstricks nicht lange anhielt - sollte das Schauspiel fortgesetzt werden, stand mir das Schlucken kleiner Seifenkügelchen bevor, und der Gedanke daran ließ mich noch kränker werden. „Ich wußte gar nicht, daß du zur Hypochondrie neigst", sagte Demeter schwach.
„Du und deine Einfälle", gab ich zurück. Wenn das so weiterging, stand uns der erste eheliche Zwist ins Haus, und das noch innerhalb der ersten vier Wochen. Mir graute davor - Demeter war unter dem Sternzeichen Widder geboren, ihr Aszendent war ebenfalls Widder, und einen Trotzkopf hatte sie schon immer gehabt. Wie hatte ich mich nur darauf einlassen können? „Achtung!" Wir brauchten nicht zu simulieren, es ging uns tatsächlich miserabel. Demeter hockte auf dem Boden und hielt die Arme um den Leib gepreßt, während vor meinen Augen die Umgebung zu verschwimmen begann. Bevor ich endgültig in Fieberdelirien fiel, kontrollierte ich noch einmal meine Waffe. Sie war in Einzelteilen in meine Kleidung eingenäht worden, das Magazin trug ich als Talisman versteckt um den Hals. Ein Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf, ein ausdrucksloses Männergesicht, das seltsam unfertig wirkte. „Sie brauchen Hilfe", erklang von weither Schuberts Stimme. Er klimperte auf seinem Instument herum, und was er da spielte, wollte mir überhaupt nicht gefallen - die ersten Takte seines Liedes „Der Tod und das Mädchen"! Etwas Kaltes berührte meinen Arm, wahrscheinlich ein medizinisches Instrument. „Hohes Fieber", sagte der Krankenpfleger oder Arzt. Auch seine Stimme klang farblos. „Wir nehmen ihn mit!" Teil eins des Planes ging auf. Kräftige Hände halfen mir auf die Beine, es waren Bewohner des kleinen Dorfes, die mich stützten. Auf dem freien Platz zwischen den Hütten stand ein Gleiter, dessen Anblick mich sofort in Panik versetzte - das Gefährt schien aus Holz gefertigt zu sein und war konstruiert wie ein Boot. Nur die Tatsache, daß es eine Handbreit über dem Boden schwebte, verriet den Gleiter. Ich war so durcheinander, daß ich nur ein paar unverständliche Laute lallen konnte. Man beförderte mich ins Innere des Schwebeboots, wenig später wurde Demeter neben mir abgelegt, und abermals eine Minute danach tauchte Inky auf. Der Gleiter nahm die Fahrt auf. Der Fahrtwind strich mir über den Körper, und er schien mir so kalt, daß ich eine Gänsehaut bekam. Ich sah Demeter an. Sie sah entsetzlich aus, aber sie zwinkerte mir zu. Angesichts von so viel Selbstbeherrschung und Tapferkeit unterdrückte ich meinen Wunsch, herumzulamentieren.Das
Rauschen unter uns bewies, daß der Gleiter nun über dem offenen Meer schwebte; der Fahrtwind ließ auf eine beachtliche Geschwindigkeit schließen. Ich sah nach vorn. Die Steuereinrichtungen waren im Bug des Gleiters angebracht. Der Fahrer kehrte uns den Rücken zu. Vorsichtig richtete ich mich ein wenig auf und spähte über die Bord-w.and. In beträchtlicher Entfernung erkannte ich zwei andere Gleiter, die auf demselben Kurs lagen; unser Plan ging offensichtlich auf. Die nächsten zwei Stunden verliefen ereignislos. Mein Fieber ließ allmählich nach, und nur mit grimmigen Blicken schaffte es Demeter, daß ich mir tatsächlich eines dieser widerlichen Seifenkügelchen einverleibte. Inky ächzte leise und sehr melodramatisch vor sich hin, während auf Demeters schöner Stirn feine Schweißperlen auftauchten. Oberflächlich betrachtet, bildeten wir die jämmerlichste Truppe, die jemals zu einem Einsatz aufgebrochen war. Zu allem Überfluß begann jetzt auch mein linkes Bein zu schmerzen, als hätte ich mir einen Muskelkrampf eingehandelt. Dann tauchte die Burg auf. Langsam schien sich die Insel näher zu schieben, zunächst nichts weiter als ein dunkler Strich auf der Oberfläche des Meeres, dann wurde die Rauchfahne sichtbar, und ein paar Minuten danach konnten wir den Vulkan deutlich sehen - ein grauer Kegel ohne Spitze, der mindestens zweitausend Meter in die klare Luft hinaufragte und offenkundig noch aktiv war. Ich sah Demeter an, sie zuck'te nur mit den Schultern. Die Burg stand auf halber Höhe des Berges, ein eindrucksvolles Gemäuer aus klobigen grauen Steinen, wuchtig und massig und so angelegt, daß sie von außen so leicht nicht erstürmt werden konnte. Ein Teil der Konstruktion schien in den Vulkanberg hineinzureichen, der an dieser Stelle steil zum Meer hin abfiel. Unser Gleiter ging tiefer, wenig später klang das gräßliche Geräusch, mit dem der Kiel das Wasser berührte, auf, und als ein paar Augenblicke danach der Gleiter zu schaukeln anfing, wußte ich, daß es mich wieder einmal erwischt hatte. Wenigstens konnte die Seefahrt nicht sehr lange dauern.
Die Bugwelle rauschte und schäumte, als das Boot vorwärtsschoß, genau auf die Felswand des Vulkans zu. Ich zog mich an der Bordwand in die Höhe. Genau voraus war eine Öffnung zu erkennen, eine schmale Einfahrt ins Innere des Berges, gerade groß genug, um den Gleiter durchzulassen, und auch das nur, wenn ein Teil des Fahrzeugs ins Wasser getaucht war. Ich wandte den Kopf. Hinter uns tauchten gerade die anderen Gleiter ein. Unser Team war beisammen - hoffentlich fühlten sich die anderen nicht so schwach und kraftlos wie ich in diesem Augenblick. Über uns wurde es dunkel. Der Gleiter war in die Höhle eingedrungen. Ab und zu ertönten Schleifgeräusche, wenn die Bordwand über den Fels schrammte. Nach einigen Minuten wurde es wieder hell. Kunstlicht, stellte ich fest und kniff ein wenig geblendet die Augen zu. Der Gleiter legte an einem Steg an und wurde vertäut. Ein Schreck durchfuhr mich, als ich sah, wer sich über uns beugte, um uns abzutransportieren. Roboter versahen hier den Dienst, und wir hatten nur unsere Nadler mitgenommen. Ich ließ meinen Blick über die Metallgestalt fliegen annähernd menschenähnlich und nicht erkennbar bewaffnet. Wenigstens etwas. „Transportbedürftig", sagte der Fahrer unseres Gleiters. Weitere Roboter tauchten auf, um auch die Insassen der anderen Gleiter in Empfang zu nehmen. Ich hatte den vagen Verdacht, als handele es sich bei dem Fahrer um eine Art lebenden Robot, einen Androiden. Ob bei solchen Geschöpfen unsere Betäubungsnadeln wirkten? Wir wurden aufgehoben und auf fahrbare Betten verfrachtet. Die Robots gingen sehr sanft mit uns um, stellte ich fest und hielt es für ein gutes Zeichen. Metallfüße klapperten über den Boden, als die Betten davongefahren wurden. Viel konnte ich nicht sehen, da man mich auf dem Bett festgeschnallt hatte. Nach kurzer Zeit wich das nackte Felsgestein in der Decke einem bunten Plastikmaterial, das Schrittgeräusch erklang leiser und sanfter. Außerdem spürte ich bald die typische Atmosphäre einer Klinik - steril, sauber und langweilig. Ich war gespannt, wer uns untersuchen würde. Ein Mensch? Ein Robot, ein Außerirdischer?
Es war ein Mensch, eine freundlich dreinblickende ältere Frau, die mich untersuchte. Ich tat so, als sei ich fieberwirr, und es gelang mir offenkundig, sie zu täuschen. „Vier Grad über dem Normalwert", stellte sie fest. Ich rechnete kurz nach und erschrak - das Fieber, ob künstlich oder echt, war lebensgefährlich hoch, soweit ich wußte. Was hatte ich mir da nur eingebrockt. „Du brauchst dich nicht zu beunruhigen, Junge", sagte die Ärztin und tätschelte mir den Kopf. „Ich werde dir ein Mittel einspritzen, und in ein paar Stunden bist du dein Fieber los und kannst wieder malen, musizieren oder dichten." Ich hörte ihre Worte kaum. Ich sah in diesem Augenblick nur eines ihre Hand. Lange, schlanke Finger, sehr gepflegt wirkend, vor allem die Nägel und die waren pechschwarz. Schwarze Fingernägel - das war eines der körperlichen Merkmale, die die Bewohner des Blausonnenfürstentums von Menschen und anderen Glyssaanern unterschieden. Die Ärztin kam von den Blauen Sonnen - und dieses Gebiet war längst von unserem Gegner unterwandert worden. Der Schock ließ mich mit einem Schlag wieder klar werden. Etwas berührte meinen Oberschenkel, dann spürte ich ein feines Prickeln und wußte, daß man mir mit hohem Druck ein Medikament durch die Haut in den Blutkreislauf gepreßt hatte. Die Wirkung konnte nicht lange auf sich warten lassen - und dann kam ich ernsthaft in Schwierigkeiten. Die Seifenkügelchen hatten nur eine begrenzte Wirkungsdauer, das Gegenmittel vermutlich nicht. Ich ärgerte mich, daß ich nicht mehr Seife mitgenommen hatte. „Schafft ihn in sein Zimmer", ordnete die Ärztin an. „Er braucht Ruhe!" Mein Bett wurde davongerollt, und einige Minuten später lag ich in einem Krankenbett- dem ersten in meinem Leben, das nicht blütenweiß bezogen war. Die Bettwäsche hatte ein lustiges Blumenmuster auf braunem Untergrund; wer darin lag, hatte bestimmt wenig Lust, aufzustehen. Auch die Einrichtung des Zimmers unterschied sich von dem, was ich erwartet hatte. Ein Fenster gab den Blick frei auf das Meer, das knapp zehn Meter darunter gegen die Felsen schäumte. In einem Winkel des Zimmers stand eine Blattpflanze, die Möbel waren aus Holz gefertigt und
wirkten gemütlich - hier konnte man es aushalten. Ich war gespannt, wie die Küche sein würde - die sieben Tage auf der Insel hatten mich die Naturschätze Smaragds'schätzen gelehrt. Sobald der Robot aus äem Zimmer verschwunden war, stand ich auf. Meine Glieder waren ein wenig steif, und mein Schädel brummte heftig. Ich zögerte nicht lange und zerlegte meine Kleidung. Ich brauchte fünf Minuten, bis ich den Nadler zusammengebastelt hatte - unter der Wirkung des künstlichen Fiebers zitterten meine Hände ein wenig, und wie üblich kollerten die wichtigsten Kleinteile beim Herabfallen in die unzugänglichste Ecke des Zimmers. Als ich die Waffe endlich schußfertig hatte, schnaufte ich erleichtert. Auch der Rest des Materials stand mir zur Verfügung. Ich verstaute ihn in den Taschen. Kleine Sprengladungen, Aufputschmittel und verschiedene andere Sachen aus der Trickkiste der Time-Squad, beispielsweise eine haarfeine Metallsäge, mit der man binnen weniger Minuten fingerdicke Gitter durchschneiden konnte. Ich legte das Ohr an die Tür. Draußen war es ruhig. Ich öffnete und trat auf den Flur. Auch er sah mehr nach Hotel als nach Klinik aus. So viel Rücksichtnahme auf die Patienten kam mir langsam verdächtig vor. Ich öffnete die Tür zum Nachbarraum. Auf dem Bett saß Inky und machte Zielübungen mit seiner Waffe. Wieder ein Zimmer weiter war Demeter untergebracht worden. „Geht zurück", forderte sie uns auf. „Wir bleiben auf den Zimmern, bis es Nacht geworden ist." „Hast du dir die Hände der Ärztin angesehen?" „Ich wurde von einem Mann untersucht", antwortete Demeter. „Und ich habe die Fingernägel gesehen." Sie sah hinaus auf das Meer. „In fünf Stunden brechen wir auf -bis dahin spielt eure Rolle weiter." Gehorsam kehrte ich in mein Zimmer zurück. In einem Schrank entdeckte ich Lektüre für die Patienten - ausnahmslos Werke, die auf Smaragd entstanden waren. Ich entschied mich für einen Band Satiren von Heinrich von Kleist und schmökerte darin herum. Als ich Schritte auf dem Gang hörte, huschte ich ins Bett zurück. Ein Robot trat ein und brachte mir das Essen. Als er wieder gegangen war, bestaunte ich die Pracht. Es gab eine vorzügliche Fischsuppe, danach eine aufregend gewürzte Pastete aus dem Fleisch einheimischer Hühnervögel. Hauptgang bildete ein Braten, der von einem Tier stammen mußte, das irgendwo zwischen
Lamm und Kaninchen anzusiedeln war. Zum Abschluß gab es Fruchtsalat, der die ganze Reichhaltigkeit der Flora Smaragds offenbarte. Wenn es danach ging, hätte mein Klinikaufenthalt noch ein paar Wochen dauern können. Einmal abgesehen von der Seifenknabberei glich dieser Einsatz eher einem abwechslungsreichen Urlaub in den Tropen als einem lebensgefährlichen Erkundungsvorstoß. Wahrscheinlich würde es aber dabei nicht bleiben - die Anwesenheit der Blausonnenleute machte das wenig wahrscheinlich. Obwohl ich mir ausrechnen konnte, daß ich zu keinem Ergebnis kommen würde, versuchte ich, mir die Zusammenhänge klarzumachen. Es gab offenkundig eine Macht, die sich in irdischer Kultur auskannte und frühverstorbene Genies aus allen Bereichen nach Smaragd geschafft hatte, wo sie ihre Arbeiten fortsetzen konnten. Dabei war diese Macht ebenso vorurteilslos wie großzügig verfahren. Wir hatten herausbekommen, daß zu den Tausenden von Genies auch afrikanische, asiatische und sogar zwei Künstler der Eskimokultur zählten, von deren Existenz im abendländischen Kulturbetrieb kaum jemand etwas wußte. Das Leben, das die solcherart Entführten auf Smaragd erwartete, war für die meisten Betroffenen wahrscheinlich der Himmel auf Erden ich hatte reichlich davon gekostet und wäre am liebsten auf Smaragd geblieben. Das war die eine Seite des Bildes. Die andere bestand in der Tatsache, daß nach unseren Informationen Manhaar, Kaiser von Gyssaan, hierher verschleppt worden war, und er mußte sich in der Hand unserer Feinde befinden. Darauf deutete auch die Anwesenheit der Blausonnenleute hin. Diese beiden Bilder wollten nicht zusammenpassen, sie schlössen sich beinahe gegenseitig aus. Nun, vielleicht würden wir in den nächsten Stunden eine Lösung des Rätsels finden.
4. „Seid leise", ermahnte uns Deme-ter. Es war sehr still in der Klinik. Mit sanften Schritten bewegten wir uns durch die Gänge, auf der Suche nach einem Weg, der uns hinaufführen konnte zur Burg.
Da wir keinen Plan der Klinik hatten, glich unsere Vorgehensweise einem Herumstochern im Nebel, wobei man nie wissen konnte, worauf man stieß. Immerhin, keinem von uns waren Bewaffnete aufgefallen. Nach einer Viertelstunde fanden wir einen Antigravschacht. Er führte sowohl nach oben als auch nach unten. Demeter blieb es vorbehalten, die Richtung zu bestimmen. Sie deutete nach oben. Nacheinander bestiegen wir den Schacht. Maipo Rueda hielt sich an meiner Seite. Er grinste breit, ihm schien das Abenteuer Spaß zu machen. Mir weniger - ich hatte zuviel gegessen und spürte einen unangenehmen Druck im Bauch. Langsam stiegen wir in die Höhe. Die beiden ersten Etagen, die wir passierten, gehörten offenkundig noch zum Klinikbetrieb, dann kam eine lange Strecke massiven Gesteins, in dem es keine Lücke gab. Ab und zu war ein leises, aus großer Ferne erklingendes Grollen zu hören. Es zerrte an den Nerven, in der Nähe eines aktiven Vulkans herumzukrabbeln. Schließlich konnte niemand ermessen, wann der nächste Ausbruch bevorstand. Vulkane waren launisch wie Katzen man mußte immer auf der Hut sein. Auf diese Weise legten wir einige hundert Meter zurück, dann tauchte die nächste Ausstiegsmöglichkeit auf. Demeter bedeutete uns, den Schacht zu verlassen. Wir versammelten uns und durchkämmten schnell die Räume in unmittelbarer Nähe des Schachtes. Weder Roboter noch Menschen waren zu sehen. „Ich erkunde den Schacht", erklärte Demeter. Noch bevor ich ihr widersprechen konnte, war sie verschwunden. Ich murmelte eine Verwünschung. Demeter blieb eine Viertelstunde lang verschwunden, mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Dann tauchte sie wieder auf. „Acht Decks", informierte sie uns knapp. „Suchen wir hier weiter." Langsam schoben wir uns vorwärts. Die Leuchtkörper verbreiteten ein gedämpftes Licht. Draußen war es jetzt Nacht, die Bewohner dieser Anlage hielten sich offenkundig an den Tag-Nacht-Zyklus des Planeten. Wir konnten damit rechnen, daß die Mehrzahl der lebenden Bewohner schlief. Wach hingegen mußten die Robots sein, vor denen wir uns besonders in acht zu nehmen hatten. Kampf maschinen waren ungeheuer schnell, wenn sie entsprechend rücksichtslos programmiert worden waren. Demeter führte uns ohne Ziel und Plan. Wir mußten weiter aufs Geratewohl herumsuchen.
Ich öffnete vorsichtig eine der Türen. Dahinter war ein Wohnraum sichtbar, der im Dunkeln lag. Auf der anderen Seite schimmerte das Glas eines Fensters im Licht der Gangbeleuchtung. Ich ging in das Zimmer hinein, hinüber zum Fenster. Es gab keinen Zweifel - wir waren in der Burg. Aus dem Fenster konnte ich einen Teil der Anlage sehen. Wenn die Mauern überall so dick waren wie am Fenster, war dieser Festung wohl nur mit den Energiegeschützen unseres Schiffes beizukommen. Demeter trat zu mir und blickte hinaus. Sie nickte zufrieden. „Suchen wir weiter - irgendwo muß Manhaar stecken." Ich versuchte mir vorzustellen, welches Wesen für die Inneneinrichtung der Burg zuständig gewesen sein mochte. Nahezu jede Stilrichtung, die ich kannte, war anzutreffen. Es gab Räume mit gotischem Mobiliar, eine Halle mit einer prunkvoll geschnitzten Deckentäfelung, wie sie im Barock denkbar war. Eine weitere Reihe von Zimmern war in jenem aseptischen Klinikstil eingerichtet, den man im zwanzigsten Jahrhundert für modern gehalten hatte - viel Plastik, viel Stahl, vorwiegend in keimfreiem Weiß gehalten. Die Burg wirkte auf mich wie ein Luxushotel, das auf Besuche aus allen Jahrhunderten vorbereitet war. Und immer neugieriger wurde ich auf die Frage nach dem Herrn der Burg - nach dem, was wir zu sehen bekamen, mußte er ein Geselle mit Geschmack sein. Aber das besagte nichts - auch Verbrecher zeigten Wohnkultur, daß wußte ich aus der Geschichte der Time-Squad. Dann stellte sich uns ein Hindernis in den Weg - eine massive Tür aus Stahl. „Was nun?" fragte ich Demeter. Bisher hatte uns niemand aufgehalten oder belästigt, geschweige denn angegriffen. Die Tür konnten wir nur überwinden, wenn wir sie aufsprengten - und das würde man uns mit Sicherheit übelnehmen. „Öffnen!" bestimmte Demeter. Maipo Rueda machte sich an die Arbeit. Er hatte Sprengstoff in seiner Kleidung verborgen, den er jetzt sorgfältig in jede Ritze drückte. Wenn das Schott nicht allzu dick war, bekamen wir es so vielleicht auf. Vorsichtshalber zogen wir uns zurück, als Maipo die Sprengung einleitete. Es krachte heftig, eine Staubwolke schoß durch den Gang. Als wir uns wieder hervorwagten, stand das Tor offen - eine fünf
Zentimeter dik-ke Panzerplatte hing verbeult und schief in den Angeln. Mit vereinten Kräften stemmten wir sie zur Seite. Da ich nicht zulassen wollte, daß Demeter sich wieder als erste in Gefahr begab, schlüpfte ich durch die Öffnung, sobald sie groß genug war. Der Lichtschalter befand sich wie üblich rechts neben der Tür. Ich betätigte ihn, und eine Reihe von Leuchtkörpern riß den Raum aus der Dunkelheit. Drei Dinge sprangen mir sofort ins Auge. Zum einen der Fußboden. Er bestand aus einem glasartigen Material, in das ein Gewirr golden schimmernder Fäden eingelassen war. Ich kannte diesen Boden - den gleichen hatten wir in der Königsburg von Atlantis gefunden. Ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, daß ich blaß geworden war. Unwillkürlich tauchte die Erinnerung auf — Valcarcel, der Zeit-Zauberer. Obwohl ich wußte, daß er tot war, tot sein mußte, sah ich mich scheu um. Meine Freunde betraten nacheinander den Raum, auch ihre Gesichter verfärbten sich. Das zweite war der Thronsessel. Er bestand aus dem schwarz-weißgold-geäderten Marmor, den wir von Glyssaan kannten, ebenso von anderen Gelegenheiten her. Auch dies keine sehr freundliche Erinnerung. Das dritte waren die Ausgänge. Rechteckige Portale aus dickem, schwarzem Marmor, der sich kraß abhob vom glänzenden Weiß der Wände. Es waren sieben Öffnungen, und sofort dachte ich an die Schwarze Sieben, die auch die Schwarze Kamarilla genannt wurde, das Führungsgremium des Gegners. Ich sah nach oben. Über uns gab es eine Kuppel, die in einem diffusen Blau leuchtete und nicht erkennen ließ, aus welchem Material sie bestand. „Beeindruckend", murmelte Demeter. Ich sah, daß sie den Thronsessel mit ein wenig Furcht musterte. Ich war sicher - keiner von uns würde es wagen, sich darauf zu setzen. Langsam schritten wir auf den Thron zu, an ihm vorbei auf die schwarzumrandeten Öffnungen zu. Im Näherkommen erkannten wir Gänge, die von einem matten, roten Licht erfüllt waren, das sehr bedrohlich wirkte. „Wir bleiben zusammen", bestimmte Demeter. Diesmal ging sie wieder voran.
Wir folgten ihr, die Nadler schußbereit in unseren Händen. Ich spürte, wie mein Herz sehr schnell und hart schlug, außerdem wurden meine Handflächen feucht. Die Angst hatte mich wieder einmal im Griff, und wieder einmal ärgerte ich mich darüber, nicht zuletzt, weil Demeter keinerlei Anzeichen von Furcht erkennen ließ. Wir folgten dem Gang. In engen Windungen führte er hinauf in die oberen Bereiche der Burg. Ich erinnerte mich, vom Wasser aus einige Türme und Zinnen gesehen zu haben. Wie viele? Sieben vielleicht? Wieder erreichten wir ein Schott. Man brauchte nur einen Hebel umzulegen, um es zu öffnen. Demeter betätigte den Hebel, das Licht ging an und enthüllte eine Art Schleusenkammer. Sie war gerade groß genug für drei Personen. „Inky, Charriba, ihr kommt mit!" „He", rief ich, aber Demeter ignorierte den Einwand. Sie schloß die uns zugewandte Tür der Schleuse. Erst jetzt sah ich, daß es in der Tür ein Panzerglasfenster gab. Ich spähte ins Innere. Demeter war damit beschäftigt, den Hebel für die innere Schleuse zu betätigen. Dann sah ich, wie sich ihre Augen schreckerfüllt weiteten. Ich sah, wie sie die Lippen bewegte. Chlor! Ich packte sofort zu, aber der Hebel an der Schleusentür ließ sich nicht bewegen. Demeter steckte in einer Todesfalle - erst wenn die Schleuse komplett geflutet war, ließ sich eines der Tore öffnen. Dann aber war es zu spät - bis dahin mußte das Chlorgas die drei im Inneren längst getötet haben. „Sprengstoff her!" schrie ich. Maipo stürzte nach vorn und machte sich an die Arbeit. Seine Vorräte waren knapp, viel zu knapp, wie mir schien. Ich spähte ins Innere. De-meters Augen waren geschlossen. Sie hielt die Luft an und versuchte, mit geschlossenen Augen die Technik der Schleuse "zu bedienen. Ich griff zur Waffe. Der Kolben hämmerte gegen den Panzerstahl. Wenn es jemanden gab, der jetzt noch Geistesgegenwart genug hatte, in dem Klopfen nicht wildes Hämmern, sondern Morsezeichen zu erkennen, dann war es Demeter. „Innere Tür geschlossen halten!" gab ich durch. Ich sah, wie Demeter schwankte.
„Verschwindet!" schrie Maipo. „Die Lunte brennt in drei Sekunden herunter." Funken sprühten auf, und wir rannten los. Mir liefen Tränen über das Gesicht. Sollte das der letzte Blick auf Demeter gewesen sein? Die Explosion riß die Schleusentür heraus und schleuderte sie in den Gang. Gelbliche Wolken walzten sich auf uns zu. Ich zögerte keinen Augenblick und rannte los. Ich stieß mit dem Fuß gegen einen Körper, beugte mich nach unten und faßte zu. Ich berührte Charribas Stirnband. Weiter. Der Haarbusch beim nächsten Zugreifen mußte Inky gehören, und dann fand ich Demeter. Sie lag auf dem Boden und krümmte sich. Das Gas brannte und ätzte, und ich spürte, wie sich mein Brustkorb zusammenzupressen schien. Ich packte Demeter und zerrte sie aus der Schleuse heraus. Nach zwei Schritten stieß ich mit jemand zusammen. Hätte ich Luft gehabt, ich hätte einen Seufzer der Erleichterung ausgestoßen. Weiter, so schnell die Beine nur konnten. Als ich es nicht mehr aushielt und den Mund öffnete, schlug mir frische Luft entgegen, aber noch stark nach Chlor riechend. Ich zerrte Demeter weiter, ihr Körper war schlaff geworden, sie hatte das Bewußtsein verloren. Ich machte noch zwei Dutzend Schritte, dann blieb ich keuchend stehen. Mit der rechten Hand faßte ich nach Demeters Hals. Die Halsschlagader pochte unter meinem Finger. Ich drehte Demeter auf den Rücken und unterstützte ihre Atmung. Sie hustete und würgte. Ein paar Augenblicke später erschien Joshua Slocum und legte Inky auf den Boden. Ihm auf dem Fuß folgte Maipo, der Charriba aus der Schleuse geholt hatte. „Noch ein paar Meter weiter!" stieß Maipo hervor. „Das Gas breitet sich aus." Shandrak erschien. Er war fahl und hustete stark. „Es strömt kein Chlorgas nach", stieß er ächzend hervor. Zum Aufatmen blieb keine Zeit. Mit vereinten Kräften schafften wir die Bewußtlosen weiter. Wir trugen sie in den Saal mit dem Thronsessel zurück. Dort war die Luft frei von Chlorbeimengungen. Demeter kam langsam wieder zu sich. Ich hatte ihren Kopf in meinen Schoß gelegt und sah sie an. Sie lächelte.
„Du hast Glück gehabt", sagte sie leise, immer wieder hustend. „Sonst wärst du schon Witwer." „Der Gram bekäme mir wahrscheinlich besser als die Aufregung", antwortete ich. Es war ein idiotischer Dialog, und wir merkten es. Da wir unter Freunden waren, hielten wir uns nicht länger zurück, und keiner von ihnen lächelte über unsere Tränen. Charriba erwachte als nächster und zeigte kaum Emotionen, wie es seiner Erziehung entsprach. Inky machte, als er zu sich kam, einen Satz und warf sich zur Seite; erst als er begriff, wo er war, richtete er sich langsam auf. „Entschuldigung", murmelte er. „Aber das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen; nur nicht in Gefangenschaft geraten." „Was, zum Teufel, ist eigentlich passiert?" wollte Maipo wissen. „Woher kam das Gas?" Demeters Gesicht hatte wieder Farbe bekommen. Sie setzte sich auf. „Ich vermute, daß sich hinter der Schleuse der Wohnraum für einen Außerirdischen verbirgt, für ein Wesen, das in einer Chlorwasserstoffat-mosphäre zu Hause ist. Als wir die innere Tür zu öffnen versuchten, wurde die Schleuse mit dieser Atmosphäre geflutet, und es gab keine Möglichkeit, das aufzuhalten. Eure Sprengung hat einen Sicherheitsmechanismus in Gang gesetzt, der ein weiteres Entweichen des Chlorwasserstoffs verhindern soll, falls es in der Schleuse zu einem Leck kommt. Wir sind gerade noch einmal davongekommen." „Und was für ein Wesen mag das sein?" fragte Joshua Slocum und rieb sich den prächtigen Bart. Demeter zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht", sagte sie und stand auf. „Wir nehmen uns den nächsten Gang vor, aber ein bißchen behutsamer und vorsichtiger." „Du willst weitermachen?" fragte ich fassungslos und deutete auf ihre Kleidung. Die Farben ihrer buntkarierten Baumwollbluse waren teilweise verschwunden, vom Chlor weggebleicht. „Reicht dir das nicht?" „Wir haben nicht viel Zeit", gab Demeter ruhig zurück. „Bald wird man unser Verschwinden entdecken, und dann wird man uns jagen. Also vorwärts!" Wir machten uns an die Arbeit. Der nächste Gang, den wir untersuchten, führte zu einem anderen Turm der Burg. Hier mußte ein Wesen wohnen, das auf einer Welt mit mehr als doppelter
Erdgravitation zu Hause war. Wir verzichteten darauf, diese Möglichkeit weiter zu erkun den. Der dritte Gang. Er mündete in dunkle, feuchte Räumlichkeiten, einer düsterrot leuchtenden Grotte vergleichbar. Kleine Tiere huschten über den Boden und fiepten laut. Auch diese Wohnung mußte einem sehr exotischen Geschöpf zugerechnet werden. Nummer vier. Normale Verhältnisse, sowohl was die Atmosphäre als auch die Schwerkraft anging. Die Beleuchtung entsprach dem, was wir gewohnt waren. Die Temperatur lag bei zwanzig Grad. Demeter öffnete schweigend die Tür zum Zimmer hinter der Schleuse. Ich sah, daß sie ein wenig blaß wurde. „Das kann nicht sein", murmelte sie. Ich folgte ihr. Unwillkürlich runzelte ich die Stirn. Wenn diese Unterkunft nicht einem Menschen gehörte, wollte ich nicht länger Tovar Bistarc heißen. Und die Einrichtung verriet, daß dieser Mensch eine Frau war. Langsam durchschritt Demeter die Räume. Es waren sieben, jeder vollständig eingerichtet. Sie trat in den Bibliotheksraum. Die Regale quollen vor Büchern fast über, auch ein Lesespulengerät war zu sehen. Demeter prüfte die Buchrücken, ich folgte ihrem Beispiel. Mit dem weitaus größten Teil der Titel konnte ich nichts anfangen, es waren historische Werke, Literatur aus allen Ländern der Erde, sehr viel psychologische Fachliteratur, eine Reihe von Romanen einer gewissen Evelyn Benda, dann ein laufender Meter kriminologische Fachliteratur, ein Handbuch der Waffenkunde... Ich hörte auf zu lesen und sah Demeter an. Ihre Nasenflügel zitterten. Sie nickte. „Deine Wohnung?" fragte ich. „Das nicht", antwortete Demeter. „Aber so ähnlich würde ich meine Wohnung in diesem Gebäude wahrscheinlich einrichten. Und ich glaube nicht, daß sich in irgendeiner anderen Bücherei außerhalb der Erde ein Buch wie dieses finden wird - Klaus' kleine Kamine-Kunde, schon gar nicht mit einem türkisfarbenen Schutzumschlag." Ich schluckte. Seit wir es mit Valcarcel und seinen Spießgesellen zu tun hatten, war uns mehr als einmal das Grausen angekommen. An Ereignissen, die einem buchstäblich die Haare sträuben konnten, waren wir gewöhnt.
Aber das, was sich seit einiger Zeit immer deutlicher abzeichnete, war mehr, als wir verkraften konnten. Immer zahlreicher wurden die Hinweise, daß unsere Chefin Demeter Carol Washington zugleich Leiterin der Time-Squad und eines der Führungsmitglieder des Gegners war. In einer Mondstation, weit in der Zukunft, hatten wir ein biologisches Duplikat von Demeter gefunden, das bei ihrem Anblick gestorben war. Valcarcel war bei ihrem Erscheinen wahnsinnig geworden und daran gestorben. Bei den Terranern des achtzigsten Jahrtausends gab es einen verbotenen Kult der Göttin der Gerechtigkeit - auch dafür hatte offenkundig Demeter Modell gestanden. Das geheime Archiv in Glyssaan hatte uns Demeter als Mitglied der Schwarzen Kamarilla vorgeführt — und nun das. „Ich begreife es nicht", murmelte Demeter schwach. Ich wußte, daß sie nichts härter treffen konnte als diese geheimnisvolle Intrige. Schon einmal hatte sie uns deswegen ihren Rücktritt angeboten, und wir hatten abgelehnt. Wenn sich dieses Rätsel nicht sehr bald lösen ließ, würden wir Demeter nicht mehr umstimmen können -nach ihrem Ausscheiden war die Time-Squad nur noch halb soviel wert wie vorher. „Laß den Kopf nicht hängen", sagte ich. Die anderen standen ebenfalls in der Bücherei und hatten zugehört. Ihre Mienen drückten Betroffenheit aus. Schweigen legte sich über uns -und in dieses Schweigen hinein erklang das Geräusch, auf das wir gewartet hatten. Alarm.
5. „Weg von hier", bestimmte Demeter. Der Alarm hatte noch keine Sekunde gedauert, da hatte sie zu ihrer alten Entschlußkraft und Schnelligkeit zurückgefunden. Wir verließen die Wohnung und sammelten uns wieder im Thronsaal. Demeter sah den Marmorthron, zögerte einen Augenblick und setzte sich dann darauf. , Im gleichen Augenblick erlosch das Licht. Von oben her kam ein hellblauer Schein und fiel genau auf Demeter. Sie hatte die Hände
auf die breiten Lehnen des Thrones gelegt, ihre Fingerspitzen trommelten einen harten Rhythmus auf das Gestein. Ein Teil der Oberfläche schob sich nach hinten zurück, Eine Leiste von Schaltknöpfen wurde sichtbar. Demeter zögerte wieder, dann drückte sie einen dieser Knöpfe. Der Boden vibrierte leicht, dann begann er allmählich in die Tiefe zu gleiten. Die Bewegung ging so langsam vonstatten, daß wir keine Mühe hatten, Halt zu bewahren. Nach fünf Metern Fahrt in die Tiefe änderte sich das Bild. Das blaue Licht erlosch, andere Leuchtkörper flammten auf. Was wir rings um uns zu sehen bekamen, glich der Zentrale unseres Raumschiffs, ins Riesenhafte vergrößert. Panoramabildschirme flammten auf, während die Plattform immer tiefer sank. Als sie zum Stillstand kam, standen wir dreißig Meter unter dem seltsamen Saal, umgeben von einer hochentwickelten Technologie, mit der wir nicht viel anfangen konnten. „Imhotep - kennst du etwas von dieser Technik?" fragte Demeter. Der Glyssaaner machte ein paar Schritte. Er verließ die Platte mit dem gläsernen, golddurchwirkten Boden. Eine Reihe von hochlehnigen Sesseln war vor den Bildschirmen zu sehen. Es sah aus wie die Zentrale eines Riesenschiffs mit dem Thronsessel als Mittelpunkt. Unwillkürlich stellte ich mir diese Zentrale voll bemannt vor, mit Demeter auf dem Thronsessel - es war ein Bild ungeheurer Macht einer einzelnen Person, so wirkte es auf mich. Imhotep nahm auf einem der Sessel Platz. Er schüttelte den Kopf. „Viel kann ich damit nicht anfangen", sagte er. „Seht nur, dort drüben!" rief Inky. Er rannte zu einem der kleineren Monitoren. Wir wandten die Köpfe und erkannten auf der hellen Fläche das Schiff, mit dem wir Smaragd angeflogen hatten. Daneben eine andere Darstellung - das ganze System der Sonne First Hope. „Von hier aus muß man unseren Anflug beobachtet haben", stieß Inky hervor, „Sie haben von Anfang an gewußt, daß wir kommen, und wir haben es nicht bemerkt." ' Imhotep verließ seinen Platz und ging zu Inky hinüber. „Damit kann ich etwas anfangen", sagte er nach einem Blick auf das In-strumentenpaneel vor dem Schirm, „Von hier aus werden schwere Waffen kontrolliert. Wenn ich wollte, könnte ich unser Schiff mit einer Fingerbewegung zerstören." „Und was hat das zu bedeuten?" fragte Demcter, Sie hatte ihren Platz verlassen und stand nun vor dem größten der Bildschirme,
Die Abbildung darauf war uns unverständlich - sie sah aus wie ein
modernes, bewegliches Gemälde. Eine Art Strudel aus Farben, rot
und grün vor allem, der sich unaufhörlich bewegte,
„Keine Ahnung", gestand Imhotep. „Ich habe nie so etwas gesehen."
„Das glaube ich!" sagte eine dunkle Stimme hinter uns.
Wir fuhren herum.
Die Unterschiede lagen nur in der Reaktionsschnelligkeit - die
Bewegung war in jedem Fall die gleiche.
Ich riß meine Waffe hoch und betätigte den Abzug. Der Nadler war
auf Dauerfeuer gestellt, und das war mir gerade recht. Ohne
nachzudenken jagte ich eine Nadel nach der anderen in den Körper,
der vor uns stand, und meine Gefährten taten das gleiche.
Er mußte Dutzende von Betäubungsgeschossen zugleich
abbekommen haben, aber wie wir es von Wesen seiner Art gewöhnt
waren, reagierte er nicht so wie jedes andere bekannte Geschöpf. Er
fiel nicht bewußtlos um, er blieb stehen.
.Aufhören, ihr Narren!" schrie er.
Er schwankte, sein Gesicht verzerrte sich. Hinter ihm tauchten
Roboter auf - Kampf maschinen.
Ich rannte los, um Deckung zu suchen. Inky, der mir in die Quere
geriet, wurde von mir zur Seite gestoßen, torkelte zurück, griff mit
den Händen um sich, um Halt zu finden, und landete mit dem
Oberkörper auf dem Instrumentenpult unter dem Hauptbildschirm.
Etwas rastete mit einem Klicken ein, ich nahm es nur undeutlich
wahr. Hinter einem Sessel kauernd, nahm ich die verhaßte Gestalt
weiter unter Feuer.
Der Beschuß zeigte Wirkung. Die Gestalt wankte, brach in die Knie.
Gelbliche Augen, die an ein Raubtier erinnerten, funkelten uns an,
haßerfüllt. Langsam wandte er den Kopf, öffnete den Mund.
In rasender Eile lud ich den Nadler nach. Es war ein Wettlauf um
Sekundenbruchteile, Er durfte den Robots keinen Befehl mehr
geben, unter keinen Umständen.
Meine Waffe zuckte wieder hoch, wieder betätigte ich den Abzug.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Charriba seinen
Tomahawk aus dem Gürtel zog. Charriba war ungemein geschickt
im Umgang mit der Waffe - das Kampfbeil würde dem Feind den
Schädel einschlagen.
„Nicht schießen...", kam es langsam über die Lippen des
Zusammenbrechenden. „Nur fest...nehmen!"
Dann kippte er vornüber und blieb liegen. Die Waffen der Kampfrpbots klappten hoch. Die Mündungen zeigten auf uns. Jetzt war es vorbei. Gegen die Maschinen mit ihren Hochenergiewaffen hatten wir nicht die geringste Chance. Ich riß den Kopf zur Seite, sah nach Demeter, Das tödliche Feuer, auf das ich wartete, blieb aus. Die Robots blieben stehen und bedrohten uns, mehr taten sie nicht. „Weg mit den Waffen!" sagte Demeter. Ich sah, daß sie hastig atmete. Langsam stand sie auf. Ihr Gesicht war gerötet. „Ich fürchte, wir haben einen Fehler gemacht", sagte sie. Unsere Waffen polterten auf den Boden, als wir sie fallenließen. De meter machte einen Schritt auf die reglose Gestalt zu, dann blieb sie stehen. Langsam drehte sie sich um. Ihr Gesicht wurde jäh bleich. Ich bewegte den Kopf. Der Strudel hatte sich in Bewegung gesetzt - die tosende, brodelnde Öffnung des Farbwirbels wurde immer größer. Ein Blick zur Seite auf dem Schirm, der das ganze System zeigte, war auch eine Abbildung dieses Gebildes zu sehen, ein riesiger Trichter, der sich immer schneller voranschob und das ganze System verschlucken wollte. Er lag auf dem Boden, eingehüllt in ein fußlanges, nachtblaues Gewand. Als wir ihn umdrehten, sah ich als erstes die Sieben auf der Brust des Umhangs, aus Goldfäden gestickt. Er war groß und schlank, fast hager. Das Gesicht wirkte entsetzlich mager, die Augen lagen tief in den Höhlen, die Haut wirkte fleckig wie altes Pergament. Der Schädel war fast kahl. Er war es - und er war es nicht. Alle Anzeichen deuteten auf Valcarcel, den wir zu fürchten gelernt hatten. Nur eines paßte nicht dazu, das etwas wehmütige Lächeln des Betäubten. Demeter tastete nach seinem Hals. „Er lebt", sagte sie leise. Versuche hatten gezeigt, daß das Betäubungsmittel, das wir mit den Narko-Nadlern verschossen, selbst in großer Überdosierung keine Schäden hervorrief. Aber niemals hatten die Forscher der TimeSquad, auch nur versuchsweise, in einen lebenden Körper ein paar Hundert dieser Geschosse hineingejagt - der Betäubte aber war von uns allen in blindwütiger Angst und ungezügeltem Haß mit Dauerfeuer belegt worden. Wir alle waren, selbst unter extremen
Bedingungen, hervorragende Schützen - wahrscheinlich trug der reglose Körper an die tausend kleiner Gelatinenadeln im Leib. Ich sah wieder auf. Der Energiewirbel kam näher und näher; in seinem Zentrum erschien eine schwarze Fläche, die sich rasch vergrößerte. Niemals zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen, ein so intensives, alles verschluckendes Schwarz. Ich blickte Demeter an. Ihre Lippen zuckten ein wenig. Ich ging hinüber zu dem Schaltpult, auf das Inky gestürzt war. Einer der Hebel stand auf EIN. Was immer damit bewirkt wurde, ich versuchte, ihn in seine Ausgangsstellung zurückzuschieben, aber das gelang nicht. Er saß unverrückbar fest. „Was hat das zu bedeuten?" fragte Maipo leise. „Wir werden es bald erleben", ant-' wertete Demeter. Die Robots verhielten sich nach wie vor ruhig, aber ihre Waffen waren auf uns gerichtet - jedesmal, wenn einer von uns sich bewegte, folgte die Mündung einer Waffe dieser Bewegung. Selbst wenn wir unsere Laser mitgeführt hätten, gegen diese Kampfmaschinen hatten wir keine Chance, zumal sie ihre Waffen bereits im Anschlag hatten. Wir konnten nichts mehr tun - außer warten. Ein feines Prickeln jagte durch meinen Körper. Der Energiewirbel hatte uns erreicht. Auf der Projektion war zu sehen, wie er sich an Smaragd heranschob und den Planeten zu verschlingen begann. Der Vorgang war ungeheuer erregend - und doch bemerkte ich plötzlich, daß ich müde wurde. Im gleichen Augenblick begriff ich, was passierte. Diese Müdigkeit kannte jeder von uns - es war das gleiche anfallartige Einschlafen, das mit einer Zeitreise unvermeidlich verbunden war. Dieser Schlaf dauerte nur ein paar Augenblicke, wenn man erwachte, war man am Ziel. Dieses Mal war es ähnlich, nur langsamer und viel intensiver. Ich ahnte, daß ich in ein paar Augenblik-ken völlig die Besinnung verlieren würde. Wenn ich dann noch stand, konnte ich mir beim Hinfallen leicht etwas stauchen oder brechen. Unter Aufbietung auf Willenskraft ging ich in die Knie und streckte mich auf dem Boden aus. Das letzte, was ich noch spürte, bevor die Dunkelheit des Schlafes über mir zusammenstürzte, war der harte, kalte Boden, der leise vibrierte.
Als erstes ein Blick auf die Uhr. Ich war eine knappe Minute bewußtlos gewesen, ein Zeichen dafür, daß eine Zeitreise oder ein ähnlicher Transportvorgang von ungeheurer Intensität an uns vorgenommen worden war. Ich hatte den vagen Verdacht, daß dieser Energiewirbel das ganze First-Hope-System durch die Zeit versetzt hatte - eine technische Leistung, die wir nur furchtsam bestaunen konnten. Demeter raffte sich gerade auf, auch Charriba kam schnell wieder zu sich. Es w'ar einer der Vorteile dieses seltsamen Schlafes, daß er erfrischender wirkte als eine mehrstündige Nachtruhe. Er ersetzte fast ein Aufputschmittel. Auch in den Zeit-Zauberer kehrte das Leben zurück. Was mußte dieses Wesen für einen Metabolismus haben, daß es solche Mengen Betäubungsmittel in so kurzer Zeit verkraften konnte. Ein Mensch hätte wochenlang geschlafen, wenn ihn die Dosis nicht sogar getötet hätte - dieses Geschöpf aber wachte nach ein paar Minuten bereits wieder auf. Er hob den Kopf und sah uns an. Es war ein Greisengesicht, wie es auch Valcarcel gehabt hatte. Aber dieses Gesicht strahlte nicht jene erbarmungslose Bösartigkeit aus, die jeden Anblick Valcarcels zum Alptraum werden ließ. Eine Art abgeklärter Ruhe und Freundlichkeit lag über diesen Zügen. „Nennt mich Almansur", sagte er mit ruhiger Stimme. Sie klang tief und feierlich. „Ich habe auf euch gewartet." Demeter sah ihn zweifelnd an. „Das sollen wir glauben?" „Ihr werdet es glauben", antwortete Almansur. Er machte eine herrische Handbewegung, die Robots zogen ab. „Ihr Terraner seid ein flinkes Völkchen", sagte Almansur; es klang nach einem Tadel. „Manchmal zu flink. Seht, was ihr angerichtet habt!" Er deutete auf den großen Bildschirm. Dort war der Energiewirbel zu erkennen, der sich langsam von uns entfernte; er hatte die Farbe gewechselt und präsentierte sich in Grün und Gelb. „Fällt euch etwas auf?" fragte Al-mansur. Daß- ein paar von uns ihre Waffen wieder an sich genommen hatten, schien er nicht bemerken
zu wollen. Auch ich griff nach meinem Nadler und steckte ihn in den
Gürtel.
„Die Sternkonstellationen sind anders", sagte Demeter. „Wir
scheinen einen beachtlichen Zeitsprung gemacht zu haben."
Almansur sah sie an, sein Blick wirkte betrübt.
„Kein Zeitsprung", sagte er leise. „Seht dorthin!"
Er deutete auf den Monitor, auf dem das First-Hope-System grafisch
dargestellt wurde. Am Rand des Systems war ein Schwärm
leuchtender Punkte aufgetaucht.
„Raumschiffe", sagte Almansur. „Sie haben auf euch gewartet, und
ihr seid ihnen in die Falle gegangen."
„Wer sind SIE?" fragte Demeter.
Almansur lächelte.
„Ihr nennt sie die Oberen", sagte er leise. Ich spürte, wie sich meine
Nak-kenhaare aufstellten.
TDemeter schluckte. Sie wandte
sich an Imhotep. «
„Können wir mit unserem Schiff fliehen?" fragte sie. Imhotep wiegte
den Kopf und sah auf die Projektion.
„Wenn wir sofort an Bord gehen und alle Energie einsetzen, die das
Schiff verträgt, könnten wir die Einsprunggeschwindigkeit für einen
Hyperraumflug erreicht haben, bevor deren Kanonen uns erwischen
können."
Demeter warf noch einen Blick auf den Schirm. Sie wog die
Chancen ab.„Rückzug", ordnete sie an. „Wir verschwinden - aber
wir kommen wieder, eines Tages."
Almansur lächelte traurig.
„Wohin wollt ihr fliehen?" fragte er.
„Nach...", Demeter brach ab. Es
war nicht nötig, daß Almansur den Namen unseres Verstecks erfuhr.
„Ihr werdet euer Ziel nicht erreichen", sagte Almansur. „Es gibt
keinen Ort, den ihr kennt, den ihr erreichen könntet."
Ich sah, wie Demeters Augen sich weiteten. Ihr Kopf fuhr herum. Sie
starrte auf den Panoramaschirm, auf das Spiel der Farben.
Dann sah sie Almansur an.
„Wir sind nicht mehr in unserem Universum", stieß sie herovr.
„So ist es", bestätigte Almansur. „Dieses System ist die
Verbindungsstelle zwischen den beiden Universen, der
Energiewirbel das meßbare Abbild .dieser Verbindungsstelle."
Ich sah, daß Demeter die Lippen aufeinanderpreßte. Dann blickte sie
sich langsam in der Runde um.
Ich kannte Demeter viel zu gut, um nicht zu ahnen, was in ihr
vorging. Ihr Gesichtsausdruck verriet mir, daß sie etwas
Selbstmörderisches plante - und dieses Wort war nicht als
Übertreibung zu verstehen. Der Blick, mit dem sie einen nach dem
anderen musterte, drückte ihre Frage aus, wen von uns sie bei diesem
Unternehmen mitnehmen wollte.
„Dieser Energiewirbel kann gesteuert werden?" fragte sie dann
Almansur.
„Ihr habt es gesehen", antwortete Almansur. „Aber nicht von hier
aus. Dies ist nur eine Nebenstelle - sie arbeitet nur, wenn die
Hauptschaltstation es zuläßt. Der Weg in euer Kon-tinuum zurück ist
daher unmöglich."
„Daran habe ich nicht gedacht", murmelte Demeter. „Wo ist diese
Hauptschaltstation?"
„Auf dem äußersten Planeten des Systems", erklärte Almansur. Er
betrachtete Demeter forschend.
„Gibt es hier eine Zeitmaschine, ein großes Modell?"
Almansur nickte.
„Und was wird passieren, wenn die Hauptschaltstation zerstört
wird?"
„Die Verbindung der beiden Universen wird zusammenbrechen.
Wenn es überhaupt möglich ist, wird es sehr lange dauern, bis eine
neue Nahtstelle gefunden und stabilisiert ist."
Ich sah, wie für einen kurzen Augenblick ein triumphierendes
Lächeln über Demeters Gesicht huschte.
„Noch eine Frage - wie lange besteht diese Verbindung schon?"
„Mehr als vierhundert Jahre eurer Zeitrechnung. Was habt ihr vor?"
Demeter gab ihm keine Antwort.
„Imhotep, ich brauche das Funkgerät!"
Eine halbe Minute später war die Verbindung zu unserem Schiff
hergestellt.
„Ich brauche den größten raumtauglichen Gleiter, der sich an Bord
finden läßt. Beladet ihn mit atomaren Sprengkörpern und
Hochenergiewaffen, dann schickt ihn zu uns herunter. Und beeilt
euch - unsere Zeit ist entsetzlich knapp."
Demeter blickte mich an. Ich sah, wie sich ihre Augen mit Tränen
füllten. Sie kam auf mich zu und schloß mich in die Arme.
„Ich hatte mir das anders vorgestellt", flüsterte sie. „Ganz anders.
Aber ich kann mich nur so entscheiden."
Ich schob sie sanft von mir.
„Wovon redest du?" fragte ich. Ihre Stimme hatte mir entsetzliche
Angst eingeflößt.
Demeter biß sich auf die Lippen.
„Wir werden die Hauptschaltstation in die Luft jagen", sagte sie.
„Dann können die Oberen unser Kontinuum nicht länger infiltrieren.
Wahrscheinlich gewinnen wir..."
Sie unterbrach sich. „... gewinnen unsere Freunde nur Zeit. Aber
vielleicht genügt das für sie, um einen neuerlichen Angriff aus
diesem Kontinuum abzuschlagen, wenn er begonnen wird."
„Schaltstation sprengen?" fragte ich entgeistert. „Wie stellst du dir
das vor? Die Feindschiffe haben die Umlaufbahn des äußersten
Planeten längst passiert!"
„Ich weiß", sagte Demeter leise. „Darin liegt unsere Chance, die
einzige, die wir haben."
„Ich begreife immer noch nichts. Du sprichst für mich in Rätseln."
„Du wirst es erleben", sagte Demeter. „Noch eins: Ich will dein
Versprechen, daß du meine Entscheidung akzeptieren wirst, wie
immer sie ausfällt?"
Ich gab ihr die Hand.
6.
Ein paar Tage nur verheiratet, und schon mitten im schönsten
Ehekrach. Und was für einem.
Demeters Gesicht war weiß vor Zorn.
„Du hast mir dein Wort gegeben", fauchte sie. Wenn sie wütend
wurde, konnte einem angst und bange werden. Noch nie hatte ich sie
so erlebt.
„Ich breche es", sagte ich kalt. Mein Nadler zielte auf ihren Körper.
Ich hatte den Finger am Abzug.
„Du wirst hierbleiben", tobte Demeter. „Du hast es mir
versprochen!"
„Entweder beide oder keiner", antwortete ich. „Du weißt, daß du
keine Chance hast. Bevor du auch nur die Finger am Kolben hast,
habe ich abgedrückt."
„Lump", zischte Demeter.
„Wir verlieren Zeit mit diesem
Streit", erinnerte ich sie. Ihre Augen verengten «ich zu Schlitzen.
„Darüber reden wir später", stieß sie zornig hervor. • Ich lächelte
schwach.
„Wenn wir auch nur die geringste Aussicht auf ein Später hätten,
Engelchen, brauchten wir uns jetzt nicht zu zanken."
„Also gut, brechen wir auf."
Der raumfeste Gleiter stand einsatzbereit auf dem Boden einer
großen Halle. Demeter übernahm den Sitz des Piloten, ich plazierte
mich auf dem Sessel daneben. Hinter uns lagen die Teufelseier aus
den Beständen unseres Schiffes.
Die Türen wurden geschlossen, die Sicherungen rasteten ein. Der
Druckkörper war jetzt abgeriegelt.
Demeter griff nach dem Schalter, der die Sprechverbindung nach
draußen herstellte. Sie hielt inne und sah mich an.
„Weißt du, daß ich dich liebe?" sagte sie leise.
„Sonst wäre ich nicht hier", antwortete ich. Wir sahen uns kurz an,
das mußte genügen. Wir hatt«n keine Zeit für Gefühlsausbrüche,
obwohl uns augenscheinlich danach war, und für markiges
Selbstaufopferungsgeschwätz fehlte uns die Lust. Es gab nicht mehr
viel zu sagen.
Der Schalter rastete ein. Jetzt konnte man uns draußen hören.
„Ziel eingestellt?" fragte Demeter.
„So präzise wie möglich", antwortete die Stimme von Imhotep. „Viel
Glück."
Das Zeitfeld wurde aufgebaut und begann den Gleiter einzuhüllen.
Ich sah das Leuchten und wußte, daß ich nicht mehr sehr viel zu
sehen bekommen würde. Seltsamerweise spürte ich keine Angst, ich
war nur ein wenig aufgeregt.
Das Zeitfeld wurde stärker, und
dann überfiel uns die sattsam bekannte Müdigkeit.
Ein Brocken, der höchstwahrscheinlich nur aus gefrorenen Gasen
bestand, das war der äußerste Planet des First-Hope-Systems. Er lag
unter uns, der Gleiter war knapp drei Kilometer über dem Boden
herausgekommen. Die Freunde auf Smaragd hatten gute Arbeit
geleistet.
Demeter und ich trugen raumfeste Anzüge, dennoch fühlte ich mich
mehr als unbehaglich beim Anblick des Planeten. Von der Sonne
war hier draußen nicht mehr viel zu sehen - ein Stern, der ein wenig
heller schien als die anderen Gestirne. Wir waren Lichtstunden vom
Zentralgestirn entfernt, wahrscheinlich das einsamste Pärchen, das es je gegeben hatte, schoß es mir durch den Kopf. Demeter drückte den Gleiter tiefer herab. Das Triebwerk arbeitete einwandfrei, der Metalldetektor lief auf höchsten Touren - wir hatten nicht viel Zeit, um die Station zu finden. Demeter ließ den Gleiter mit höchster Fahrt über die Oberfläche des namenlosen Planeten rasen. Wir wußten beide, daß eine ungeheure Portion Glück dazu gehörte, die Station zu finden, die wir suchten. Auf dem Papier mochte sich das hübsch ausnehmen - in Wirklichkeit war es ein Hasardspiel mit denkbar geringen Gewinnchancen. Die Station mochte ein paar Quadratkilometer groß sein - ein winziges Fleckchen, verglichen mit den Millionen von Quadratkilometern, die wir abzusuchen hatten. „Woran denkst du?" fragte Demeter leise. Ich hörte ihre Stimme über den kleinen Helmlautsprecher. Sie klang stark verzerrt. „An die Station. Wie sollen wir sie finden?" „Mit Glück", antwortete Demeter. „Wir müssen sie finden." Ich murmelte sehr leise eine Verwünschung. Bis wir die Station gefunden hatten, blieb mir Zeit zum Nachdenken, und wie fast immer in solchen Situationen, verlor ich mich in katastrophischen Erwartungen - aber ausnahmsweise waren die Spekulationen überaus real. Im günstigsten Fall fanden wir die Station und «zerstörten sie, ohne selbst etwas abzubekommen. Theoretisch konnten wir dann nach Smaragd zurückfliegen. Zwischen uns und dem Planeten stürmte die Raumflotte der Oberen auf Smaragd zu, aber davor brauchten wir uns nicht zu fürchten. So schnell der Gleiter im freien Raum auch war - für diese Distanzen war er nicht geschaffen worden. Wir würden Monate brauchen, bis wir in die Nähe von Smaragd kamen - und unsere Vorräte an Atemluft reichten bestenfalls für ein paar Tage. An dieser Stelle hörte ich auf zu denken. Ich weigerte mich innerlich, mir diese letzten Stunden auszumalen. Eine Stunde verstrich, ohne daß sich etwas tat. Es war entsetzlich langweilig, über die Planetenoberfläche zu rasen und nach der Station zu suchen, und diese Langeweile wurde immer unerträglicher, weil sie uns Zeit gab, uns zu ängstigen. Ich begann zu begreifen, daß in den Zivilisationen, die die Todesstrafe kannten, die eigentliche Strafe nicht in der Exekution
bestand, sondern im,Warten darauf. Unsere Lage war die von
Todeskandidaten, nur, daß wir vorher noch eine Aufgabe zu erfüllen
hatten.
„Demeter!"
Ich stieß sie an.
Der Detektor hatte ausgeschlagen. Die Station?
„Mehr nach rechts!"
Eine fiebrige Erregung hatte mich erfaßt. Ich starrte auf den
Detektor, als hinge vom Zittern der Nadel mein Leben ab.
„Weiter so!"
Der Ausschlag wurde stärker. Eine gewaltige Metallmasse lag genau
in Flugrichtung. Es konnte nur die Hauptschaltstation sein.
Demeter ließ den Gleiter tiefer sinken. Atmosphärische Reibung
brauchten wir nicht zu befürchten -hier draußen gefror alles Gas zu
Kristallen.
Die Detektornadel schlug an der Meßgrenze an. Die Station mußte
unmittelbar vor uns liegen. Demeter betätigte die Bremsdüsen, die
Fahrt verlangsamte sich. Ein paar Minuten später setzte der Gleiter
auf dem Boden des Planeten auf.
Die Schwerkraft war maßlos gering - nur knapp ein Zehntel des
Wertes, den wir gewohnt waren. Vorsichtig löste ich die Gurte, die
mich an den Sitz gefesselt hatten.
„Ich steige aus", verkündete ich.
Ich sah, wie Demeter den Kopf nik-kend bewegte. Dann drehte sie
sich ein wenig herum. Durch die Helmscheibe konnte ich ihr Gesicht
sehen. Niemals zuvor hatte ich mehr Verlangen gespürt, sie zu
küssen, als in diesem Augenblick - und niemals zuvor war es so
unmöglich gewesen.
„Tovar!"
„Ja?"
Ich sah, daß sie lächelte. Lächeln? Jetzt?
„Ich habe den anderen keine falschen Hoffnungen machen wollen",
sagte Demeter. „Aber ich glaube, daß
sie eine Chance haben. Ich werde es dir später erklären."
„Darum wolltest du mich nicht mitnehmen?"
Sie nickte wieder.
Bevor ich rührselig werden konnte, stieg ich aus. Ein Teil unserer kostbaren Atemluft verströmte und schlug sich draußen als Kristallnebel nieder. Demeter reichte mir die Ladungen. Bei nur einem Zehntel Erdschwere wogen sie erstaunlich leicht. „Gib auf dich acht, ich möchte dich noch einmal wiedersehen", sagte Demeter. Ich machte mich auf den Weg. An Marschieren unter diesen Umständen war ich nicht gewöhnt, und prompt schlug ich nach kurzer Zeit der Länge nach hin und verlor die beiden Ladungen. Ich hatte das Mikrophon abgestellt, so daß Demeter mein lästerliches Fluchen nicht hören konnte. Ich sammelte die Sprengkörper • wieder auf und hüpfte weiter über das Gaseis. Es mußte für einen außenstehenden Beobachter ungeheuer lächerlich wirken; jeder Filmregisseur hätte es abgelehnt, eine solche Szene zu drehen. In einem Filmskript hätte ich mit dieser heroischen Tat natürlich die Menschheit, mich und meine Liebste gerettet - da paßte ein fluchender Tolpatsch, der sich der Länge nach auf die Nase legte, nicht ins Bild. Mit solchen Gedanken vertrieb ich mir die Panik, die in mir brodelte. Ich konnte jetzt die Station sehen. Eine riesige Metallkuppe, aus der ein paar seltsam verdreht wirkende Stabantennen herausragten, Zwei Ladungen mußten eigentlich genügen, das elende Ding in Atome zu zerblagen. Ich nahm nicht an, daß die Station bewohnt war; wahrscheinlich gab es dort nur Roboter. Hoffentlich entdeckten sie mich erst, wenn ich wenigstens eine der atomaren Ladungen losgeworden war. Ich hatte beide Hände voll und konnte mich nicht wehren. Ich brauchte noch ein halbes Dutzend weite Sätze, dann hatte ich die Station erreicht. Das Licht der fernen Sonne war viel zu schwach, um Einzelheiten erkennen zu lassen - die seltsame Beleuchtung stammte in der Hauptsache von dem Energiewirbel, den ich hinter der Station am Sternenhorizont sehen konnte. Ich bemühte mich, die Ladung möglichst behutsam abzusetzen, dann lehnte ich sie gegen die Wand der Station, Mit den klobigen Handschuhen des Raumanzugs den Zeitzünder einzustellen, war unglaublich schwierig - eine Zeitlang sah es so aus, als würde unser
Unternehmen an dieser lächerlichen Kleinigkeit scheitern, aber dann gelang es mir doch. Die Uhr tickte. Mir blieb genau eine halbe Stunde, um die zweite Ladung anzubringen, zu verschwinden und mit Demeter zusammen zu starten. Ich hastete weiter, einmal um die Riesenkuppel herum, die schweigend und drohend auf dem Planeten stand. Ich hatte niemals vorher ein so scheußliches Gebäude gesehen. Sieben Minuten zeigte meine Uhr, als ich auf der anderen Seite ankam. Auch bei der zweiten Ladung lief bereits die Uhr - »ie war mit der ersten auf den Sekundenbruchteil genau synchronisiert worden. Ich setzte den Sprengkörper ab. Insgesamt dreihundert Kilotonnen Sprengkraft entwickelten diese beiden Fusionsbomben, dag sollte eigentlich genügen. Ich schaltete das Helmmikro wieder ein. „Eier im Nest!" gab ich durch. „Hase auf dem Rückweg in den Bau." Ich hörte Demeter leise lachen. Der Rückmarsch lief glatter ab, ich bekam langsam Übung in diesem Gehopse, außerdem hatte ich es eilig. Der Gleiter stand höchstens drei Kilometer von der Station entfernt -für eine atomare Detonation dieser Größenordnung kein ausreichender Abstand. Die Tür des Gleiters stand offen, als ich ankam. Rasch schlüpfte ich hinein, verriegelte die Tür und flutete das Innere des Gleiters mit Atemluft. Sobald der Druck ausreichend hoch war - Demeter ließ unterdessen das Triebwerk anlaufen -, öffnete ich den Anzug und streifte den Helm ab. Ein widerlicher Geruch nach Ammoniak stieg mir in die Nase. Wahrscheinlich hatte ich ein paar Kristalle gefrorenen Ammoniaks mit meinen Schuhen in den Gleiter geschleppt. Demeter jagte das Gefährt mit Höchstgeschwindigkeit in den Raum zurück. Es war gleichgültig, wohin wir flogen, ob ins System hinein oder hinaus in den Raum zwischen den Sternen. Die Entfernungen waren in beiden Fällen zu groß, als daß wir das Ende der Reise hätten erleben können. „Nimm den Helm ab", sagte ich. Ich griff nach der Beintasche. Der Nadler war schußklar. „Wozu?" fragte Demeter. Der Gleiter entfernte sich von dem Planeten, der rasch unter uns wegsackte.
„Ich will dich küssen", antwortete ich.
„Jetzt?"
„Der Augenblick ist so gut wie irgendeiner."
Der Dialog kostete mich ungeheu
re Kraft. Ich hatte Mühe, mich zu beherrschen, aber das, was ich
vorhatte, mußte getan werden und zwar rasch.
Demeter lachte.
„Meinetwegen", sagte sie. Der Gleiter flog sich selbst. Sie klappte
den Helm zurück, ihre roten Haare fluteten über den Metallkragen.
Sie sah mich an.
„Genügt das?" fragte sie. Für einen Augenblick hatte sie den
sicheren Tod vergessen, der uns erwartete.
„Vorläufig", antwortete ich und beugte mich vor. Unsere Lippen
berührten sich.
Demeter war ungeheuer reaktionsschnell, aber nicht schnell genug.
Ich setzte den Nadler an ihre Schläfe und drückte ab. Sie schaffte es
noch, zurückzuprallen und mich mit einem fassungslosen Ausdruck
anzusehen, dann brach sie bewußtlos zusammen.
Ich holte tief Luft und schluckte.
Ein Blick auf die Uhr. Noch acht Minuten bis zur Detonation, Ich
mußte mich beeilen.
In einer der zahlreichen Taschen meines Anzugs steckte das
Präparat, das ich mir aus der Bordapotheke unseres Schiffes hatte
besorgen lassen - hinter Demeters Rücken.
Ein Scheintotmittel. Es setzte alle Lebensfunktionen in starkem
Maße herab, natürlich auch den Verbrauch an Sauerstoff.
Ich hatte zwei Stunden gebraucht, um alle Werte auszurechnen. Es
konnte gerade gutgehen - wenn alle Umstände günstig waren.
Es war eine Verzweiflungstat; ich wußte das.
Für einen von uns konnte die Luft reichen, wenn dieser Eine die
monatelange Reise nach Smaragd als Scheintoter zurücklegte. Es
konnte dabei um Stunden gehen.
Ich sah Demeter an.
Seltsam, in diesem Augenblick dachte ich nicht an mein eigenes
Leben, sondern mehr an den Schock und den Schmerz, den Demeter
auszuhalten hatte, falls sie jemals wieder aufwachte. Voraussetzung
war, daß sie rechtzeitig aufgefunden und mit einem Gegenmittel
wieder aufgeweckt wurde - reichte die Zeit nicht, würde sie tatsächlich sterben, ohne wieder zu Bewußtsein gekommen zu sein. Noch sechs Minuten bis zur Detonation. Das wollte ich noch erleben - mehr nicht. Ich wollte sehen, wie die Station in die Luft flog und der Energiewirbel zusammenbrach. Auch wenn ich dabei Demeter ein paar kostbare Minuten Atemluft wegnahm - diesen Triumpf wollte ich noch auskosten. Es waren sehr lange Minuten. Ich brachte den Gleiter auf einen Kurs, der ihn nach Smaragd führen mußte, aber das Manöver kostete nur eine •Minute. Danach ging das nervenzerreibende Warten weiter. , Ich schaltete die Beleuchtung ab, weil ich Demeters Anblick nicht länger ertragen kannte. Noch drei Minuten. Langsam nestelte ich die Ampulle mit dem Gift aus der dafür vorgesehenen Tasche meines Anzugs. Sie war für den Fall bestimmt, daß jemand im Weltraum verlorenging und keine Aussicht auf Rettung hatte. An Gift zu sterben war dann angenehmer und schmerzloser, als auf den Erstickungstod zu warten. Die Sekunden tickten zäh dahin. Ich bemerkte es kaum. Ich hatte erwartet, daß sich meine Gedanken überschlagen würden in dieser Situation, daß mein Leben vor meinem geistigen Auge wie ein rascher Film ablaufen würde. Nichts dergleichen geschah. Ich war seltsam gedankenlos. Als hätte ich nichts Besseres zu tun, prüfte ich meinen Puls - er war befremdlich ruhig und gleichmäßig. Die letzten Sekunden. Nach meiner Uhr gingen die Ladungen eine Sekunde zu früh hoch. Gleißendes Licht schoß über die Oberfläche des Planeten, eine gewaltige Feuerkugel überstrahlte alles. Einen Pilz, wie ich ihn erwartet hatte, gab es nicht, dafür war wohl eine Atmosphäre nötig. Ich schloß für eine Sekunde geblendet die Augen. Als ich sie vorsichtig wieder öffnete, war nur ein riesiger Fleck roter Glut dort zu sehen, wo die Station gestanden hatte. Ich sah nach dem Energiewirbel. Er begann sich wieder zu drehen und zu meiner Verblüffung kroch das entsetzliche Gebilde auf uns zu. Ein zweites Mal schickte sich der Zeitschlauch an, das FirstHope-Sy-stem einzusaugen. Was hatte das zu bedeuten? Ich war davon ausgegangen, daß nach der Zerstörung der Hauptschaltstation der Energieschlund restlos verschwinden würde.
Das bedeutete zwar, daß sämtliche Mitarbeiter der Time-Squad im First-Ho-pe-System für immer von der Rückkehr nach Shyf tan oder zur Erde abgeschnitten waren, wahrscheinlich in die Hände der Oberen fielen - aber es hätte den Milliarden von Menschen der Erde und im Imperium von Glyssaan Erleichterung verschafft. Ohne die Verbindung der beiden Universen waren die Oberen wieder zur Sterblichkeit verdammt - wie sie diesen Rückschlag verdauen würden, war schwer vorherzusagen. In jedem Fall würde er zu einer Schwächung dieses unheimlichen Gegners führen. Aber ganz offenkundig bestand der Energiewirbel noch. Er bewegte sich auf uns zu, mit noch größerer Geschwindigkeit als beim ersten Mal. Ich wandte den Kopf zur Seite. Das Licht des Energiewirbels bestrahlte Demeters Gesicht. Ich mußte mich entscheiden. Wenn ich mich selbst nicht sehr bald als Verbraucher von Atemluft ausschaltete, blieb zuwenig für Demeter übrig, selbst unter den günstigsten Voraussetzungen. Ich griff zu der Ampulle mit dem Scheintotpräparat. Ich löste das Mittel in einer Trinkwasserflasche auf, dann öffnete ich Demeters Mund. Langsam flößte ich ihr das Medikament ein. Sie hustete und würgte, aber ich schaffte es, keinen Tropfen zu vergießen. Der Energiewirbel jagte heran. Er hatte den äußersten Planeten bereits erreicht, von dessen Existenz für meine Augen nur der glutrote Fleck auf seiner Oberfläche zeugte, der Rest war nicht mehr zu erkennen. Demeters Atemzüge wurden langsamer. Das Mittel begann zu wirken. Ich beugte mich über sie, gab ihr einen letzten Kuß, dann griff ich nach dem Gift. Ich bekam den Arm nicht mehr hoch. Die Energiefront war heran, hatte den Gleiter gepackt. Die lähmende Müdigkeit überfiel mich. Ich kämpfte mit aller Macht dagegen an, aber meine Willenskraft reichte nicht aus. Klirrend zersprang die Ampulle auf dem Metallboden des Gleiters, als meine Finger sie nicht mehr halten konnten. Es war das letzte, was ich noch hörte.
7.
Die Sterne! '
Ich hatte nur selten auf Smaragd
in den Nachthimmel hinausgeblickt, aber diese Konstellation hatte
ich mir dennoch gemerkt. Klar und deutlich war sie nun zu sehen.
Wir waren wieder in unserem heimatlichen Universum. Ich stieß
einen lauten Seufzer aus. Vielleicht hatten die Freunde jetzt noch
eine Chance.
Ich drehte den Kopf hin und her.
Nichts zu sehen von der Nabelstelle zweier Universen. Die
Verbindung war verschwunden, die Oberen waren wieder in ihrem
Kontinuum eingesperrt. Mochten sie für ewig darin schmoren,
dachte ich.
Ich schaltete das Licht ein und sah nach Demeter. Ihr Gesicht war
bleich, die Haut sehr kühl. Als ich meine Fingerspitzen auf ihre
Halsschlagader legte, konnte ich in sehr langen Abständen das Herz
schlagen hören.
Währenddessen jagte der Gleiter auf Smaragd zu, mit höchster Fahrt,
die aber unter keinen Umständen ausreichen konnte.
Ich überlegte, ob ich das Funkgerät einschalten sollte. Es gehörte zur
Technologie der Nokther und arbeitete überlichtschnell. Damit
konnte ich ohne Schwierigkeiten unser Schiff erreichen.
Allerdings machte ich dabei auch die Schiffe der Oberen auf uns
aufmerksam, die uns leicht anpeilen, aufspüren und gefangennehmen
konnten. Das wollte ich unter allen Umständen verhindern - dann
schon lieber sterben.
Ich schaltete das Gerät ein, drehte aber den Lautstärkeknopf für den
Sendeteil auf Null. Jetzt konnte ich hören, ohne selbst gehört zu
werden.
„Imhotep an D. C.!" klang es aus dem Lautsprecher. „Meldet euch.
Wir haben wichtige Informationen."
Ich bemerkte, daß meine Unterlippe heftig zu zittern begann.
Imhoteps
Stimme gab mir einen Funken Hoffnung. Wenn ich dem Verlangen
nachgab, mit ihm zu reden, war mein Plan zum Scheitern verurteilt
dann sah ich auf den Boden und erinnerte mich der zerstörten
Ampulle. Der Plan war ohnehin nicht mehr durchführbar.
Entweder wurden wir nun beide gerettet, oder wir mußten beide
sterben. Unsere Chancen waren winzig -aber es gab sie. Es gab
immer Auswege.
„Tovar an Imhotep. Ich höre euch klar und deutlich!"
„Hör zu, wir haben einen Plan für euch. Wir werden euren Gleiter
anpeilen und euch dann ein Transportfeld in den Weg legen - es wird
euch sofort zu uns bringen."
„Geht das technisch überhaupt?"
„Es geht, glaube mir. Habt ihr noch Treibstoff?"
Blitzartig wurde mir die Bedeutung dieser Frage bewußt. Das Ziel
für diesen Transport konnte nach •Lage der Dinge nur die große
Halle in der Burg sein - und wir behielten unsere Geschwindigkeit
bei, wenn wir dort ankamen.
Mit einem Handgriff schaltete ich das Triebwerk aus, das noch
immer lief. Ein Blick auf die Tankfüllungsanzeige. Ich stieß einen
Fluch aus.
„Es reicht nicht für ein Bremsmanöver!" gab ich durch.
„Verzögere mit allem, was du hast", bestimmte Imhotep. Seine
Stimme klang ruhig und geschäftsmäßig, und die Stimmung übertrug
sich auf mich.
„Werde ich tun!" antwortete ich.
Ich leitete den Schub so, daß er unseren Flug verzögerte. Vielleicht
reichte es gerade - wenn der Gleiter und die Wand der Halle den
Aufprall aushielten. Ich hatte da starke Zweifel.
Der Gleiter verzögerte, die Fahrt verminderte sich.
„Wir haben euch angepeilt", ließ sich Imhotep vernehmen.
„Was machen die angreifenden Schiffe?" fragte ich.
„Steuern noch immer Smaragd an. In einer Stunde sind sie bei uns.
Ein Pulk hat sich abgesetzt und den Kurs geändert. Sollte mich nicht
wundern, wenn sie euch auffischen wollen."
„Lebend bekommen sie uns nicht", sagte ich impulsiv.
„Was ist mit der Chefin?"
„Später", wehrte ich ab. „Sie ist gesund. Wir verzögern weiter, aber
es wird nicht reichen, der Treibstoff ist zu knapp."
„Macht weiter, bis die Triebwerke von sich aus ausgehen", hörte ich
Imhotep sagen. „Ich kenne da noch ein paar Tricks."
„Das wird auch nötig sein", antwortete ich.
„Verlaßt euch auf uns. Wir haben die Zeit genutzt, und uns ist etwas
eingefallen. Euer Feuerwerk haben wir hier gut orten können."
„Prächtig", gab ich zurück.
Ein paar Augenblicke später begannen die Triebwerke zu stottern
und verlöschten schließlich ganz. Antriebslos schoß der Gleiter
durch den Raum.
Der Trägheitstachometer, der jeden Triebwerksimpuls berechnete
und so auch im freien Flug die Geschwindigkeit genau anzeigte,
wies auf einen Wert, der viel zu hoch für unsere Zwecke war - mehr
als dreißig Kilometer in der Sekunde. Wenn wir mit dieser Fahrt in
der Halle ankamen, blieb nichts mehr von der Burg übrig.
Ich atmete aus. Eine Hoffnung weniger.
„Verzögerung beendet", sagte ich
niedergeschlagen. „Restfahrt bei dreißig Kilometern pro Stunde."
„Könnte reichen", erklärte Imho-tep.
„Was, zum Teufel, hatten die sich da unten einf allen lassen? Ich
konnte mir keine Lösung des Problems vorstellen.
„ „Paß genau auf, Tovar. Es wird verdammt knapp werden, aber das
kann euch in eurer Lage ziemlich gleichgültig sein. Ich nehme an, ihr
tragt noch die Raumanzüge?"
„Richtig getippt."
„Der Ablauf der Ereignisse, wie wir ihn uns vorstellen, sieht so aus.
Erstens: Ihr schließt die Anzüge und verlaßt den Gleiter. Zweitens:
Ihr verwendet die Rückstoßaggregate eurer Tornister dazu, eure
Fahrt weiter zu vermindern. Es ist klar, daß wir dann keinen
Funkkontakt mehr halten können; das Manöver muß also ohne
Generalprobe beim ersten Mal klappen. Wir werden euch ein großes
Zeitfeld hinaufschicken - groß deswegen, damit wir euch sicher
einfangen können. Damit müssen wir aber warten, bis ihr genügend
Distanz zu eurem Gleiter habt. Andernfalls kracht uns das Ding in
die Halle, und danach brauchen sich die Oberen nicht mehr um uns
zu kümmern.
Ich schluckte. Dieser Plan mußte von einem Wahnsinnigen
ausgedacht worden sein. Wer ging bei klarem Verstand solche
Risiken ein.
„Und was ist, wenn ihr uns verfehlt?" fragte ich.
Imhotep ließ sich mit der Antwort Zeit.
„Brauchst du darauf wirklich eine Antwort?" fragte er leise.
„Vergiß es. An was für Zeitabstände hast du gedacht?"
„Gib uns ein letztes Zeichen. Danach rechnen wir drei Minuten für
das Verlassen des Gleiters, zehn Minuten brennen eure
Rückentornister bei Dauerbetrieb, dann werden wir weitere zehn
Minuten warten - und dann fangen wir euch ein."
„Puh." Ich stieß die Luft aus. Atemluft für diese Zeit war in unseren
Tanks vorhanden, aber ob mein Nervenkostüm dieser Probe
gewachsen war? Nun, eine andere Chance hatte ich nicht.
„Einverstanden", gab ich durch. „Ich gebe euch ein Zeichen."
Als erstes schloß ich Demeters Raumanzug und stellte die
anzuginterne Sauerstoffversorgung an. Es würde knifflig werden, das
Rückstoßaggregat der scheintoten Demeter zu bedienen, noch dazu
möglichst synchron mit meinem Gerät. Da Imhotep uns bei der
Lösung dieses Problems ohnehin nicht helfen konnte, unterließ ich
es, ihn darüber zu informieren.
Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Wenn ich die
Türen öffnete, war der Funkverkehr beendet - danach waren wir
völlig abgeschnitten.
„Imhotep?"
„Ich höre."
„Die Zeit läuft!"
Zwei Handgriffe, die Türen öffneten sich. Schlagartig entwich die
Atemluft und verwehte.
Ich drückte mich langsam vom Stiz ab, packte Demeter und zerrte
sie ebenfalls in die Höhe. Meter um Meter entfernten wir uns von
dem Gleiter, der parallel zu uns durch den Raum schwebte.
Ich hielt Demeter fest umschlungen und feuerte sehr kurz mit dem
Anzugstriebwerk. Der Schub trieb mich, wie geplant, hinter den
Gleiter. Die Entfernung wuchs langsam.
Ich klemmte mir Demeters rechtes Bein zwischen die Knie, griff mit
der
Linken auf jhren Rücken und tastete nach dem Tornistertriebwerk.
Mit der Rechten fingerte ich am eigenen Rückstoßaggregat herum.
Dann bewegte ich beide Hände gleichzeitig.
Ich stieß einen lauten Fluch aus.
Mein Triebwerk zündete einen Bruchteil früher als das von Deme
ter, das sofort wieder erlosch. Ich Narr - ich hatte mich auf die
Kniepresse verlassen und nicht daran gedacht, daß wir
Karabinerhaken am Gürtel hatten, mit denen ich uns hätte
zusammenkoppeln können.
Demeter entglitt meinem Griff und entfernte sich.
Jetzt galt es, sich in der richtigen Reihenfolge zu bewegen. Hand nach oben, Helmscheinwerfer ein. Im Weltraumdunkel konnte man nichts erkennen, schon gar nicht den vergleichweise winzigen Körper eines Menschen. Der helle Stoff von Demeters Anzug leuchtete im Licht. Steuerkor rekturen, hinüber zu Demeter. Ich war Agent der Time-Squad, kein Raumfahrer, der für» solche Spielereien monatelang trainiert wurde. Ich schaffte es dennoch, erreichte Demeter und packte sie. Mein Triebwerk feuerte weiter und trieb mich immer weiter vom Kurs ab. Hand an den Gürtel, Karabinerhaken eingehakt. Jetzt blieben wir wenigstens beisammen. Ich stellte das Rückstoßaggregat ab, bewegte mich langsam und versuchte, den Gleiter in den Scheinwerferstrahl zu bringen. Die Zeit wurde immer kostbarer. Aussichtslos. Der Gleiter war bereits Kilometer entfernt, ich konnte ihn nicht mehr sehen. Jetzt hing alles von meinem Gefühl ab, von meiner Einschätzung, wie lange und in welche Richtung wir abgedriftet waren. Jeder Fehler konnte tödlich werden. Nach Gefühl steuerte ich auf unseren alten Kurs zurück. Dann versuchte ich ein zweites Mal, beide Aggregate zum Laufen zu bringen. Es klappte, aber als erstes fingen wir an, wie ein Feuerrad umeinander herumzudrehen. Erst nach verzweifeltem Gezappel gelang es mir, den Kurs einigermaßen zu stabilisieren. Wieviel Zeit war vergangen? Ich wußte es nicht. Die Triebwerke unserer Anzüge arbeiteten jetzt gleichmäßig. Eng umschlungen trieben wir durch die Dunkelheit und Leere. So würden wir beieinander bleiben, bis man uns fand oder in meinem Anzug die Luft ausging. Der Anzug besaß ein Luftregenerationssystem, das vor allem die Kohlenoxyde aus der ausgeatmeten Luft absorbierte. War die Absorptionskapazität erreicht, würde der COj-Gehalt der Atemluft immer mehr zunehmen, bis ich erstickte. Die Zeit schien unendlich lang zu werden. Vom First-Hope-System war nichts zu erkennen - die Planeten sahen mit bloßen Augen wie Sterne aus, unerreichbar weit, Lichtfunken unter Tausenden von ähnlichen Lichtfunken. Dann erlosch mein Triebwerk, ein paar Augenblicke später auch das von Demeter. Das einzige Geräusch außer dem meiner Atemzüge verstummte.
Es begann die Zeit der Einsamkeit, wie ich sie noch nie so intensiv erlebt hatte. Es gab nichts zu tun, nichts zu sehen, nichts zu hören, Bewegungen durfte ich nur sehr langsam und zögernd machen, wenn überhaupt. Jede Bewegung konnte uns noch weiter vom berechneten Kurs abbringen - und ich wußte nicht einmal, ob wir überhaupt noch auf Kurs waren. Wir konnten uns kilometerweit davon entfernt haben. Wie lange dauern zehn Minuten? Ewigkeiten, stellte ich fest. Ich versuchte, meine Herzschläge zu zählen, um wenigstens einen Anhaltspunkt zu haben. Natürlich verzählte ich mich, außerdem schien mein Herz zu rasen. Ich fing von vorn an, verhedderte mich erneut. Es war zum Verrücktwerden. Ich hielt Demeter in ihrem Raumanzug fest umklammert. Diese Umarmung war das einzig Angenehme in dieser Lage, und auch dieses Vergnügen war zweischneidig. Ich spürte, wie schlaff Demeters Körper war, mehr konnte ich nicht wahrnehmen. Als ich den Helmscheinwerfer auf sie richtete, wurde das Licht im Visier ihres Raumanzugs zurückgeworfen. Alles, was ich sah, war der Widerschein meines eigenen Helmes, und das wirkte so scheußlich, daß ich den Scheinwerfer wieder abschaltete. Noch einmal probierte ich es mit dem Pulszählen. Diesmal schien es zu funktionieren. Ich kam bis sechshundertfünfzig, und nichts geschah. Von den Freunden gab es keine Spur. Ich bemerkte, daß ich mit den Zähnen zu klappern begann. Die Angst hatte mich fest im Griff. Die einzige Möglichkeit, die ich hatte, dem schrecklichen Erstik kungstod zu entgehen, war die, den Helm zu öffnen - aber ob die explosive Dekompression angenehmer sein würde, war zweifelhaft. „Leute, beeilt euch, bevor ich verrückt werde", sagte ich. Meine Stimme klang scheußlich, ich schüttelte mich. Dann riß ich die Augen auf. Ein Jubelschrei kam über meine Lippen. Vor uns, weit entfernt, gerade noch sichtbar - ein fahles rotes Leuchten. Das Zeitfeld! „Puh!" stieß ich hervor. Am liebsten hätte ich mir den Schweiß von der Stirn gewischt. Langsam drifteten wir auf das leuchtende Gebilde zu. Der Schein war sehr schwach, das Feld außerordentlich groß. Ich ahnte, was die
Freunde im Sinn hatten - sobald wir in das Feld hineingerieten, würden sie es unten anmessen können. Danach brauchten sie das Feld nur noch zu fokussieren, und ein paar Augenblicke später landeten wir sicher und wohlbehalten auf Smaragd. Sicher und wohlbehalten? Siedendheiß fiel mir ein, daß ich keinerlei Kontrolle darüber hatte, wie schnell wir immer noch waren. Gleichgültig, daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern. Das Zeitfeld kam langsam näher. . Ich spürte, daß meine Aufregung immer größer wurde. Da es keine anderen Gegenstände gab, die ich zu Vergleichszwecken hätte benutzen können, war es mir unmöglich, festzustellen, ob das Feld genau auf uns zukam oder an uns vorbeigehen würde. Auf solche Probleme war meine Wahrnehmung nicht vorbereitet. Immerhin wurde das Feld allmählich größer, und das beruhigte mich ein wenig. Hoffentlich hatten die Freunde auf Smaragd gut gezielt, unser Leben hing davon ab. Näher und näher, das Feld füllte einen immer größeren Teil meines Gesichtsfeldes aus. Auch der Farbton war stärker geworden. Je näher wir dem rettenden Feld kamen, um so deutlicher wurde, daß meine Befürchtungen zutrafen - das Feld drohte an uns vorbeizugehen. Ich stieß einen Fluch aus. Es war der gräßlichste Augenblick meines Lebens, als das Feld plötzlich von der Seite zu sehen war - ein riesiges Diskusgebilde aus rötlich schimmernder Energie - und dann von hinten. Verzweiflung packte mich. Ich knirschte mit den Zähnen in ohnmächtiger Wut. War dies wirklich das Ende für mich und Demeter? Für mich eher als für Demeter. Die Scheintote verbrauchte von ihrem Sauerstoffvorrat... Sauerstoffvorrat? In rasender Eile griff ich nach De-meters Tank. Eine Bewegung genügte, die Zufuhr zu ihrem Anzug zu stoppen. Die Luft darin reichte bei ihrem geringen Verbrauch für Stunden. Ich riß den Schlauch entzwei, und prompt begann der Sauerstoff aus Demeters Flasche ins All zu verströmen. Langsam begannen wir uns zu bewegen - nach den Gesetzen der Natur verlieh uns das ausströmende * Gas einen Bewegungsimpuls, wie bei einem Raketentriebwerk, nur ungleich schwächer und wirkungsärmer.
Immerhin - wir bewegten uns. Der Abstand zwischen uns und dem Zeitfeld wurde zwar immer noch größer, aber das geschah nun erheblich langsamer. Ich preßte die Zähne aufeinander. Reichte die Dosis? Die Bewegung schien zum Stillstand zu kommen. Wir hatten jetzt die gleiche relative Geschwindigkeit wie das Zeitfeld - aber es lag ein geraumes Stück Weges von uns entfernt. Und in diesem Augenblick zischte das letzte Gas aus Demeters Tank ins All. Wir wurden nicht weiter beschleunigt. Es war unmöglich, die Entfernung in Zahlen anzugeben. Es gab keinen Vergleichsmaßstab. Gleichgültig ich hatte keine andere Wahl. Ich drehte mir selbst den Sauerstoff ab. Erfahrungsgemäß konnte ich mit dem Rest der Atemluft dank des Regenerationssystems zehn Minuten auskommen. Mehr Zeit blieb nicht. Ich öffnete den Verschluß. Auch meine Atemluft verströmte ins All. Sofort begannen wir uns wieder schneller zu bewegen. Es geschah zeitlupenhaft langsam, aber es geschah - wir kamen dem Zeitfeld näher. Das Warten war nervenzerfetzend. Nichts konnte ich mehr tun. Ein paar Minuten würden über Leben und Tod entscheiden. Wenn wir Pech hatten, fingen die Freunde nur noch meine Leiche und Demeters scheintoten Körper ein. Wenigstens Demeter hatte noch gute Chancen. Meine Hoffnung sackte auf den Nullpunkt, als das letzte Gas aus meinem Tank verbraucht war. Ruhig werden, das war jetzt meine vordringliche Aufgabe. Aufgeregte Menschen verbrauchten mehr Luft. Es war aberwitzig, im Angesicht des Todes Entspannungsübungen zu machen - aber es war die einzige Möglichkeit, die ich hatte, um ein paar kostbare ^Sekunden herauszuschinden. Ich ließ die Arme und Beine schlaff werden, bemühte mich, ruhig und langsam zu atmen. Nur nicht an die Katastrophe denken. Der Körper kannte keine Panik, wenn ihn das Gehirn nicht durch entsprechende Gedanken dahin brachte. Mein Herzschlag wurde ruhiger, mein Atem flacher. Kostbarer Sauerstoff wurde so eingespart. Ich öffnete die Augen.
Das Zeitfeld schien zum Greifen nah. Ich wußte, daß wir es schaffen würden, und wenn ich als Ohnmäch tiger hineintreiben würde. Ein paar Minuten lang konnte ich es noch aus-halten. Das Atmen wurde schwerer. Ich bekam die ersten Anzeichen des Sauerstoffmangels zu spüren, und jetzt war von Selbstbeherrschung keine Rede mehr. Verzweifelt schnappte ich nach Luft und starrte wie hypnotisiert auf das rötliche Feld, das so nah und gleichzeitig so fern war. Kontakt. Ich merkte es, als ich die Hand ausstreckte. Ein Prickeln kroch über die Handfläche. Wir hatten es geschafft. Es war nur noch eine Frage von ein paar Augenblicken. Meine Lungen schienen bersten zu wollen, vor meinen Augen wallten farbige Schleier, und dann überfiel mich schlagartig eine entsetzliche Müdigkeit, die mich sofort die Besinnung verlieren ließ. 8.
Frische, klare Luft. Ich zog sie in gierigen Zügen ein. Mein Körper
schmerzte, als habe jemand damit Fußball gespielt, aber ich nahm es
dankbar hin.
Ich lebte noch, alles andere war nebensächlich. Imhotep hatte sich
über mich gebeugt.
„Das war knapp, Freund", murmelte er. „Du warst ohnmächtig, als
du hier ankamst."
Ich nickte müde.
„Ich habe Demeter mit einem Scheintotpräparat eingeschläfert",
stieß ich hervor. „Besorgt rasch das Gegenmittel. Und für mich eine
große Dosis irgendeines Aufputschmittels."
„Tovar, du bist völlig zerschlagen", protestierte Imhotep. „Du
brauchst Ruhe!"
„Sag das den Oberen!" fauchte ich. „Los, beeile dich. Wir haben keine Zeit zum Faulenzen!" Ich richtete mich langsam auf. Jeder Muskel schmerzte. Ich hockte auf einem Berg von Kissen und Matratzen, den unsere Freunde aufgetürmt hatten, um unsere Landung abzufangen. Es fehlte nicht viel, und ich wäre von dem Berg heruntergepurzelt. Ich war völlig ausgepumpt, jede Faser meines Körpers schrie nach Schlaf und Ruhe.
„Du sollst deinen Willen haben", sagte Imhotep, als er zurückkehrte.
Er spritzte mir das Mittel ins Blut, die Wirkung trat nach wenigen
Sekunden ein.
Ich rappelte mich hoch.
„Wie sieht es aus?" fragte ich. Imhotep und Inky kümmerten sich um
Demeter. Bis sie wieder bei Kräften war, würden ein paar Stunden
vergehen.
„Wie sieht es aus?" wollte ich wissen.
Wortlos deutete Joshua Slocum auf den Bildschirm, der das First-
Hope-System zeigte.
„Sie greifen nicht weiter an", erklärte Maipo Rueda. „Vor einer
Minute haben wir etwas angemessen, wahrscheinlich die Zerstörung
eures Raumgleiters. Der Pulk kehrt jedenfalls zur Hauptflotte zurück.
Die anderen haben sich versammelt. Wahrscheinlich halten sie
Kriegsrat ab."
Ich nickte.
Das Aufputschmittel begann immer stärker zu wirken. Die
Schmerzen in meinen Gliedern hörten auf, das Kopfweh
verschwand.
„Wir werden das gleich tun,", sagte ich. Ich suchte Almansur. Er
stand ruhig im Hintergrund. „Und als erstes möchte ich von dir
einiges wissen - deine Rolle in diesem Spiel ist mir äußerst unklar."
Almansur lächelte sanft.
„Frage, ich werde antworten", sagte er.
„Zu welchem Volk gehörst du?" begann ich.
„Zum gleichen Volk wie die Oberen. Wir nennen uns Fern."
Das war die erste Überraschung. Ein Fern hatte uns einmal geholfen
und gewarnt, außerdem wußten wir von unserem Freund Divorsion,
daß die Oberen die Fern bekämpften.
„Du hilfst uns - gegen dein eigenes Volk?"
Almansur schüttelte den Kopf.
„Wir Fern haben vor langer Zeit das Geheimnis der Zeitreise in
unserem Universum ergründet. Wenige Jahre nach der Entdeckung
dieser Technik hat sich unser Volk gespalten. Es gab eine Gruppe,
sehr klein, aber auch sehr aktiv, die diese Technik zur Erweiterung
ihrer persönlichen Macht gebrauchen wollte. Durch Manipulationen
an der Ge-. schichte vieler Völker wollten sie ein universelles Reich
errichten, in dem sie allein zu bestimmen hatten. Dem haben wir
anderen uns widersetzt."
Das konnte ich verstehen. Aus den gleichen Gründen war die Existenz der Time-Squad das bestgehütete Geheimnis auf der Erde gewesen. Die Versuchung, die in dieser Technologie verborgen war, konnte stärker sein als alle Bedenken. „Dann entdeckten die Oberen -bleiben wir bei dem Namen, denn er spiegelt das Selbstverständnis dieser Fern wieder - daß es einen Übergang in euer Kontinuum gab. Sie fanden auch heraus, daß in eurem Universum die Zeit rückwärts läuft und daß man durch beständiges Pendeln zwischen beiden Kontinua jeden Alte-, rungsprozeß aufhalten kann. Seither hat sich die Machtgier der Oberen zum Aberwitz gesteigert." Das, was wir lange Zeit vermutet hatten, wurde nun bestätigt. Unsere Thesen über die Motive der Oberen waren also richtig gewesen. „Weiter!" drängte ich. „Durch Erkundungsvorstöße in der Zeit haben die Oberen herausgefunden, daß ihr Erdmenschen bei ihren Plänen besonders hilfreich sein würdet - vorausgesetzt, daß ihr den Oberen dienstbar seid. Eine Alternativzukunft hat ihnen nämlich gezeigt, daß ihr es sein werdet, die den Untergang der Oberen herbeiführen. Zur Zeit ist noch nicht entschieden, welche dieser Alternativen einmal Tatsache werden wird - und aus diesem Grund ist das System dieser Sonne als Falle geplant worden. Es liegt auf der Hand, daß eine Machtgruppe, die die Menschheit vor der Versklavung retten will, auch bemüht sein wird, das kulturelle Erbe der Menschheit zu schützen. Aus diesem Grund wurden soviele Genies der Menschheit hierhergebracht. Eines Tages mußtet ihr hier erscheinen, und dann wollte man euch ins andere Universum entführen." „Das habe ich begriffen. Und welche Rolle spielst du in dieser Inszenierung?" Almansur lächelte. „Ich bin der Saboteur. Die wenigen Fern, die es noch gibt, haben mich ausgewählt und lange Zeit für diesen Augenblick geschult. Ich bin in die Reihen der Oberen eingesickert, mit dem einzigen Ziel, der Kontrolleur über dieses Projekt zu werden. Im entscheidenden Augenblick sollte ich dann das Vorhaben der Oberen vereiteln." Ich rümpfte die Nase. „Das klingt ziemlich unwahr» scheinlich", sagte ich. „Es hätte andere Möglichkeiten gegeben, zum gleichen Ziel zu kommen."
Almansur zuckte mit den Schultern.
„So lautete mein Auftrag", antwortete er. „Ihr werdet sicherlich
enttäuscht sein, daß ich euch keine weiteren Informationen geben
kann. Auch das ist Teil meiner Aufgabe -ich kenne die Hintergründe
selbst nicht, ich weiß nicht, was die Fern insgesamt planen, warum
sie was wann tun."
Ich warf einen Blick auf den Bildschirm. Bei den Oberen dauerte die
Konferenz an.
„Was, glaubst du, werden die Oberen tun?" fragte ich.
„Sie sind in einer verzweifelten Lage", antwortete der Fern. „Sie
wissen, daß sie nicht in ihr Universum zurückkehren können
jedenfalls nicht sofort. Sie wissen auch, daß sie in diesem Universum
immer jünger werden müssen. Sie haben also nur noch eine
begrenzte Frist, in der sie leben und handeln können."
„Das heißt, wenn der Energie-schlund für längere Zeit geschlossen
bleibt, werden sie ganz einfach aus unserem Universum
verschwinden?"
„So ist es - wahrscheinlich. Ver-geßt aber nicht, daß sie Mittel und
Wege kennen, die Ereignisse zu manipulieren."
Ich nickte langsam.
Die Oberen konnten sich Zeit lassen, wenigstens für den Augenblick.
Ihre Ortung mußte ihnen zeigen, daß wir in der Falle saßen und
keine Möglichkeit hatten, aus dieser Falle herauszukommen. Das gab
uns einen zeitlichen Handlungsspielraum - es fragte sich nur, wie wir
ihn nutzen konnten.
Plötzlich schoß eine Idee durch meinen Kopf.
„Wo ist Manhaar?" fragte ich den Fern. „Seine Spur haben wir
hierhin
verfolgt, also müßte er ebenfalls auf Smaragd leben."
Almansur nickte.
„Willst du ihn sehen?" fragte er.
„So schnell wie möglich. Imhotep wird mich begleiten. Der Kaiser
wird ihn kennen."
Almansur führte uns durch die Burg. Er suchte einen abgelegenen
Trakt der Klinik auf. Als er die erste Tür öffnete, wußten wir, das
Manhaar hier leben mußte - die Einrichtung war exakt die gleiche,
die wir im Marmorpalast gesehen hatten.
Almansur ging voran. Er öffnete die Tür zu Manhaars Schlafzimmer.
Auf den ersten Blick war zu sehen, daß wir von ihm so schnell keine Hilfe erwarten konnten. Manhaar schien im Sterben zu liegen. Ein Zeitfeld hüllte seinen Körper ein. „Der Plan der Oberen sah vor, daß er als Köder auf Smaragd bleiben soll, bis ihr in die Falle gelaufen seid. Danach sollte er viele Jahre im Paralleluniversum verbringen und dort immer jünger werden. Mit diesem Geschenk wollten die Oberen ihn ködern." Ich preßte die Lippen aufeinander. Es war genau das eingetreten, was wir befruchtet hatten - die Oberen unterwanderten die Führungsgremien ihrer Gegner, indem sie bedeutenden Persönlichkeiten, die relative Unsterblichkeit versprachen, die nur die Oberen gewähren konnten. Für den sterbenden Kaiser mußte die Versuchung unwiderstehlich groß gewesen sein. Das Zeitfeld, in das Manhaar eingebettet war, hielt den Alterungsprozeß an; auf Shyftan praktizierten wir das gleiche Verfahren mit Diversion, der ebenfalls dem Ende seines Lebens entgegenging, allerdings in umgekehrter Richtung. „Wie kräftig ist er noch?" fragte Imhotep. Almansur zuckte mit den mageren Schultern. „Anders gefragt, kann man ihn für kurze Zeit aufwecken?" wollte Imhotep wissen. „Das kann geschehen", antwortete Almansur. Er schaltete das Zeitfeld ab. Langsam tauchte Manhaar aus der Tiefe seines Schlafes auf. Er seufzte laut. Imhotep ging zu ihm hinüber, entbot ihm den zeremoniellen Gruß und küßte den stählernen Ring, das Symbol der kaiserlichen Macht. „Imhotep, alter Freund", murmelte Manhaar. Er hatte die Augen halb geschlossen. „Ich will es kurz machen", sagte Imhotep. „Die Zeit drängt. Eine große feindliche Flotte bedroht uns. Unser aller Leben hängt davon ab, daß wir Hilfe von Glyssaan bekommen." „Was soll ich tun?" fragte Manhaar. „Was kann ich tun?" • „Alarmiere unsere Einheiten", bat Imhotep. „Wir können eine Funkverbindung nach Glyssaan herstellen. Fühlst du dich kräftig genug dafür?" Manhaar nickte schwach. „Beeilt euch", sagte er matt. „Ich spüre, daß mein Leben zu Ende geht. Wo ist dein Vater?"
„Verbannt", antwortete Imhotep. Er sah Almansur an. „Wir brauchen
eine Hyperverbindung ins Hauptquartier von Glyssaan."
„Glaubst du, daß man ihm gehorchen wird? Über eine Funkleitung?"
Imhotep hob sacht die rechte Hand des Kaisers an.
„Dieser Ring wird ihn in jedem Fall legitimieren", sagte er. Er schob
Manhaar ein paar weiche Kissen in den Rücken. Die
halbgeschlossenen Augen des Kaisers waren auf mich gerichtet.
„Wer ist dieser Mann?" fragte der Kaiser.
„Ein Freund", antwortete Imhotep. „Er hat viel für Glyssaan getan,
zusammen mit seinen Gefährten."
„Er ist kein Glyssaaner", sagte Manhaar.
„Nein", erwiderte ich. „Ich stamme von einem Planeten, der Erde
genannt wird."
„Mir unbekannt", murmelte Manhaar. „Ich muß noch einen
Nachfolger bestimmen, Imhotep, eine schwere Aufgabe für einen
alten Mann, der im Sterben liegt."
„Auf Glyssaan werden wir Zeit dazu haben", antwortete Imhotep.
„Der Hohe Rat wird euren Vorschlag sicherlich billigen."
Manhaars eingefallenes Gesicht zeigte ein dünnes Lächeln.
„Glaubst du wirklich an die Entscheidungsbefugnis des Hohen
Rates?" fragte er mit leisem Spott. „Armer Narr."
„Wer sonst bestimmt die Nachfolge des Kaisers?" fragte Imhotep mit
deutlicher Verwunderung.
Manhaar hob die Hand.
„Der Ring ist es", antwortete er. „Ich sage es dir, weil die normale
Prozedur jetzt nicht vollzogen werden kann. Ich werde Glyssaan
nicht mehr lebend erreichen und kann den Ring nicht selbst
übergeben. Höre also das Geheimnis des Ringes."
Manhaar warf einen Seitenblick auf mich, dann sah er Imhotep an.
„Dieser Ring hat einen gewaltigen Vorteil", sagte Manhaar. Seine
Stimme bekam für kurze Zeit wieder Festigkeit. „Er macht seinen
Träger immun gegen alle Erpressungsversuche. Nur der kann ihn
tragen, der nach dem freien Willen des letzten Trägers Nachfolger
werden soll - jeder andere wird von dem Ring getötet werden, wenn
er versucht, ihn über
zustreifen. Seit Jahrtausenden wird auf diese Weise der neue Kaiser
bestimmt, und das System hat sich bewährt. Aber heute sehe ich eine
Katastrophe kommen."
Manhaar schloß für einige Sekunden die Augen.
„Ich weiß nicht, wen ich als meinen 'Nachfolger sehen möchte. Ich
kann spüren, daß ich bei allen Kandidaten innere Vorbehalte habe.
Die Entscheidung wird daher im Augenblick meines Todes fallen
der Ring wird in diesem Augenblick wissen, wen ich nach freiem
Willen zum neuen Kaiser von Glyssaan erwählt habe."
„Heiliges Sternenlicht", ächzte Im-hotep.
Auch ich war erschrocken. Ohne offiziellen Träger der kaiserlichen
Macht würde das Imperium binnen weniger Jahre völlig
auseinanderbrechen und zur leichten Beute äußerer Feinde oder
innerer Rebellen werden. Wer aber versuchte, den Ring auf Verdacht
überzustreifen, riskierte sein Leben.
Almansur kehrte in den Raum zurück.
„Die Verbindung steht", sagte er knapp. Ein Knopfdruck ließ einen
Teil der Wand verschwinden und enthüllte einen großen Bildschirm.
Eine Gruppe von Uniformierten wurde sichtbar. Für meinen
Geschmack waren die Männer und Frauen ein wenig zu
Operettenhaft ausstaffiert.
Manhaar hob langsam die rechte Hand. Ich starrte wie gebannt auf
den Ring. Er verfärbte sich und begann zu strahlen. Wenige
Augenblik-ke nur war das irisierende Blau zu erkennen, dann erlosch
es wieder, und zurück blieb ein dünner Reif aus blankpoliertem
Stahl.
„Identifiziert", sagte der Offizier, der durch seine gewaltigen
Schulter
stücke auffiel, wahrscheinlich der Oberkommandierende.
„Der Planet, auf dem ich mich befinde, wird von einer starken
Flotte... wie stark, Imhotep..."
„Fast neunhundert Schiffe", antwortete Imhotep sofort. Ich sah, daß
ihn die Offiziere musterten, die Gesichter verrieten Verwunderung
und Widerstand. Imhotep galt offiziell ebenso als Hochverräter wie
sein deportierter Vater.
„... wir werden angegriffen", fuhr Manhaar fort. „Ich ordne an, daß
eine ausreichend starke Flotte eingesetzt wird."
Ich sah, wie der Uniformierte eine Handbewegung machte.
Wahrscheinlich gab er Startalarm für eine Reihe von Einheiten.
Der Offzier zögerte einen Augenblick.
„Wir wissen nicht, ob euer Entschluß frei und unbeeinflußt ist",
sagte er dann. „Wir sehen einen Staatsverbrecher an eurer Seite."
„Ich ordne es an", sagte Manhaar und hob wieder die rechte Hand.
Ein zweites Mal leuchtete der Ring auf.
„Die dritte und die siebte Flotte sind in Marsch gesetzt", erklärte der
Offizier sofort. „Die Koordinaten eures Standortes sind bekannt, die
Flotten werden in drei Stunden dort eintreffen."
„Ich danke euch", sagte Manhaar. Er machte eine Handbewegung,
und Almansur ließ die Verbindung zusammenbrechen.
„Diese beiden kennen das Geheimnis des Ringes", erklärte Manhaar.
„Du wirst dafür sorgen müssen, daß sie es nicht ausplaudern
können."
Imhotep lächelte. Er deutete auf mich.
„Das Wort dieses Mannes bietet mir genug Sicherheit", sagte er.
Ich grinste freudlos. Das Kompli
ment war Zweifelsfrei ernst gemeint, aber Imhotep hatte natürlich
keine Ahnung, wie sicher sein Geheimnis bei mir aufgehoben war.
Daß ich es nicht freiwillig ausplaudern würde, stand für mich fest;
anders sah die Sache aus, wenn ich unter Druck gesetzt würde. Wenn
es in der Time-Squad jemanden gab, der nicht für die Heldenrolle
taugte, dann war ich es.
„Drei Stunden", murmelte Alman-sur. „Das ist viel Zeit."
„Wir haben in den letzten Tagen so viel Glück gehabt, es wird uns
auch jetzt nicht im Stich lassen", sagte ich ziemlich lahm. Wie lange
brauchten neunhundert Schiffe, um einen Planeten so zu verwüsten,
daß es keine Überlebenden gab? Länger als drei Stunden?
Ein Geräusch erklang von der Tür. Ich drehte mich um.
Demeter stand auf der Schwelle. Sie sah aus wie ihr eigenes
Gespenst, kreideweiß das Gesicht, die Haare schweißverklebt. Ihr
Mund zuckte, ihr Blick flackerte. Sie mußte sich am Rahmen
festhalten, um nicht zu stürzen.
Mein Kopf flog herum.
Zufällig stand Almansur genau zwischen Demeter und Manhaar. Der
Kaiser konnte die Chefin nicht sehen - er durfte sie auch nicht sehen.
Es gab unter dem kaiserlichen Palast auf Glyssaan ein Gewölbe, in
dessen Wandung die wichtigsten Geheimnisse Glyssaans
eingearbeitet waren. Nur die jeweiligen Kaiser hatten dort
ungehindert Zutritt.
Wir hatten diese Informationen erbeutet. Und eines der Dokumente
war der fatale Nachweis gewesen, daß Demeter Carol Washington
zur Schwarzen Kamarilla gehörte - wie immer das zugehen mochte.
Wenn Manhaar, der diese Informationen kennen mußte, Demeter zu
Gesicht bekam, noch dazu in dieser Lage, gab es eine Katastrophe.
Ich rannte zu Demeter hinüber, Almansur hörte das Geräusch meiner
Schritte. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich sehen, wie er sich
bewegte. Demeter richtete sich auf.
Von Manhaars Bett erklang ein Ächzen.
Zu spät. Er hatte sie gesehen. Ich fuhr herum.
Manhaars Augen waren geweitet. Ich sah, daß tödliche Angst in
diesem Blick flackerte. Demeter kam auf schwankenden Beinen
langsam näher. Ihre Augen wirkten fiebrig.
Manhaar schob sich in seine Kissen zurück, die Lippen zu.einem
Strich zusammengepreßt.
Demeter erreichte das Bett. Sie mußte sich an der Kante festhalten,
um nicht zu fallen.
Die Blicke der beiden bohrten sich förmlich ineinander. Ich sah, daß
Manhaar am ganzen Leib zitterte.
Einen ungünstigeren Augenblick hätte sich Demeter nicht aussuchen
können. Manhaar war todkrank, die geringste Erschütterung konnte
ihn endgültig töten. Und Demeter sah erbarmungswürdig aus.
„Wer ist diese Frau?" fragte Manhaar schließlich mit brüchiger
Stimme.
Imhotep klärte ihn knapp auf -und er verschwieg auch nicht, was wir
auf Glyssaan erfahren hatten. Demeter sagte kein Wort. Sie hielt sich
am Bett des Kaisers fest und atmete schwer.
In diesem Augenblick erklang der Ton, auf den wir gewartet und vor
dem wir uns gefürchtet hatten.
Alarm - die Flotte der Oberen setzte zum Angriff an.
9. Ich sah auf die Uhr. Die Wirkung des Aufputschmittels, mit dem ich mich wieder einsatzfähig hatte machen lassen, mußte in vier bis fünf Stunden abklingen. Danach würde ich für zwei bis „drei Tage tief schlafen, um die Energiereserven des Körpers wiederherzustellen. Das einzige Mittel, diesen Erschöpfungsschlaf zu verhindern, war eine neue Dosis des Medikaments - danach würde ich dann allerdings nicht mehr erwachen. Solchen Belastungen war kein menschlicher Körper gewachsen.
Ich sah zu Demeter hinüber. Sie wirkte nur, knapp eine halbe Stunde
nach dem Alarm, frisch und ausgeruht. Ich wußte aber, daß auch dies
auf ein Aufputschmittel zurückzuführen war. In Demeters Blut
kämpften drei Medikamente miteinander - das Scheintodpräparat,
das Gegenmittel und das Aufputschmittel. Wie Demeter diesen
Kampf gesundheitlich überstehen würde, ließ sich jetzt noch nicht
abschätzen.
Die Flotte der Oberen kam näher. In zwanzig Minuten würden die
ersten Einheiten Smaragd unter Feuer nehmen können.
Sie ließen sich Zeit, sie brauchten sich nicht zu beeilen - wir konnten
ihnen nicht entkommen, und das wußten sie sehr genau.
Neunhundert Schiffe - eine ungeheure Streitmacht.
„Es sieht so aus, als hätten wir das Spiel verloren", murmelte Inky
pessimistisch.
„Abwarten", empfahl Demeter.
Sie trommelte mit den Fingerspitzen einen schnellen Rhythmus auf
die Lehne ihres Sessels.
„Imhotep, welche Minimalge
schwindigkeit braucht unser Schiff, um in den Hyperraum vorstoßen
zu können?"
„Mindestens drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit, wenn die
Besatzung die Sache lebend überstehen soll."
„Und ohne Mannschaft?"
„Erheblich weniger. Es geht praktisch aus dem Stand, allerdings
bleibt dabei vom Schiff nicht mehr viel übrig."
Demeter griff zum Mikrophon. Die Verbindung zu unserem Schiff
stand.
„An alle - geht in die Beiboote und kommt zu uns herunter. Und
bereitet ein Hyperraummanöver vor."
Ich folgte Demeters Blick. Er galt dem Monitor, auf dem sich die
Phalanx der angreifenden Schiffe zeigte.
„Wo wird das Flaggschiff sein, Al-mansur? Du kennst doch die
Oberen."
„Hinter der Frontlinie", antwortete der Fern ohne Zögern. „Sie haben
mehr Angst um ihr Leben, als irgendein anderes Lebewesen, und
jetzt ganz besonders. Sie werden sich nicht in Gefahr bringen wollen,
nicht unter diesen Umständen."
„Und wer tut auf den anderen Schiffen Dienst?"
„Besatzungen aus verschiedenen Völkern. Nur die Offiziere sind jeweils von den Oberen übernommen. Sie geben ihre Befehle aus doppelt und dreifach gesicherten Zentralen." In rascher Folge gab Demeter ihre Befehle. Sie schien wie immer sehr genau zu wissen, was sie tat, und es sah ganz danach aus, als habe sie bereits einen Plan ausgebrütet. „Ist es möglich, mit der Zeitma-schine als Transportmittel die Schirmfelder dieser Schiffe zu durch dringen, ihnen Sprengladungen an Bord einzuschmuggeln?" Imhotep schüttelte den Kopf. „Als unüberwindliche Waffe taugt die Zeitmaschine also nicht. Vielleicht tröstlich", sagte Demeter leise. Auf den Monitoren war zu sehen, daß sich die Mannschaft unseres Schiffes abzusetzen begann. Raumfeste Gleiter stießen auf Smaragd herab. Das Schiff selbst begann sich rechnergesteuert in Bewegung zu setzen. Ich wandte den Kopf. Auf dem Thronsessel in der Zentrale der Burg saß Manhaar, in zwei Lagen Decken gewickelt. Er hatte die Augen geschlossen und schien vor sich hinzudämmern. Auf eigenen Wunsch hatten wir ihn hertransportiert. Eine seltsame Ruhe lag über uns. Niemand sprach laut. Demeters An weisungen erklangen in normaler Lautstärke, die Antworten kamen ruhig und gelassen. Wahrscheinlich gab es in der Runde wieder einmal nur einen, dessen Herz schneller schlug - mich. • Demeter drehte sich mitsamt ihrem Sessel herum. Nachdenklich sah sie uns an. „Wir müssen zu einer Entscheidung kommen", sagte sie leise. „Ich für meinen Teil habe mich bereits entschieden, aber ich werde mich der Mehrheit beugen. Es steht fest, daß wir den Planeten nicht verteidigen können, dazu reichen unsere Mittel nicht aus. Wenn wir von hier aus Widerstand leisten, wird es zu Kämpfen kommen, bei denen nicht nur wir getötet werden, sondern auch viele Bewohner von Smaragd." Sie warf einen Seitenblick auf die Bildschirme. Die ersten Rettungsgleiter von unserem Schiff setzten
zur Landung in der Nähe der Burg an. „Demnach wäre bedingungslose Kapitulation das einzige Mittel, einen solchen Kampf zu vermeiden. Ich für meinen Teil habe keine Lust, mich von den Oberen gefangennehmen zu lassen." Die Roboter, die Almansurs Kommando unterstanden, waren damit beschäftigt, das Klinikpersonal und die wenigen Patienten auszufliegen. In wenigen Minuten würden wir in der Burg allein sein. „Mein Plan sieht so aus: Wir warten ab, bis unser Schiff einen Hyper-raumsprung gemacht hat, der es in die Nähe des feindlichen Flaggschiffs führt. Die Oberen kennen unsere Technologie genau sie werden wissen, daß die Besatzung dieses Verzweiflungsmanöver nicht überstehen kann. Ich hoffe daher, daß sie das Wrack in Ruhe lassen werden." Langsam dämmerte mir, was Demeter sich hatte einf allen lassen. Es war ein Plan, der wirklich nur auf dem Boden der Verzweiflung wachsen konnte. „Sobald das Schiff rematerialisiert ist, werden wir mit der Zeitmaschine der Burg dorthin vorstoßen. Ich weiß, daß dieses Unternehmen selbstmörderisch ist, wir werden im Innern des Schiffes herauskommen, selbstverständlich in unseren Raumanzügen. Aber wie es dort aussieht, kann niemand vorhersagen." „Es ist möglich, daß das Schiff kurz nach dem Wiedereintritt in den Normalraum explodiert", sagte Imhotep. „Außerdem werden wir dafür sorgen, daß nach unserem Verschwinden diese Burg von einer atomaren Explosion völlig zerstört wird. Ich hoffe, daß die Oberen daraus die Schlußfolgerung ziehen werden, daß wir uns selbst in die Luft gesprengt haben." „Sehr viele Unwägbarkeiten", gab Joshua Slocum zu bedenken. Er kaute auf dem Mundstück seiner Pfeife herum und blies blaue Wolken in den Raum. „Ich weiß", sagte Demeter. „Ich kann in diesem Fall für euch keine Entscheidung treffen - das muß jeder für sich allein tun. Mein Plan kann allerdings nur dann durchgeführt werden, wenn unsere Entscheidung einstimmig ist." Ich sah in die Runde.
Die Entscheidung fiel schwer. Bisher war es immer so gewesen, daß selbst bei Himmelfahrtskommandos ein Teil der Kollegen in Sicherheit gewesen war und von dort aus Hilfestellung geben konnte. Bei diesem Unternehmen gab es keinerlei Rük-kendeckung mehr. „Ich stimme zu", sagte Joshua slo-cum und hob die Hand. Langsam gingen auch andere Hände in die Höhe. Demeter lächelte nicht, sie zählte nur schweigend die Hände. Die Abstimmung war eindeutig. Es blieb Manhaar, der sich nicht rührte. Er sah Demeter an, der Blick wurde ausdruckslos. Lange Zeit blieb er schweigend sitzen, dann nickte er. Ein Roboter bediente die Schaltungen der Zeitmaschine. Ich hatte solchen Blechkerlen noch nie recht getraut, und auch jetzt empfand ich Unbehagen bei dem Gedanken, daß unser Leben von einer solchen Maschine abhing. Wir standen eng nebeneinander am Rande des Transportraums. In Zweiergruppen wollten wir vorstoßen - es stand zu befürchten, daß es bei unserer Ankunft keine intakte Zentrale mehr gab, in der wir herauskommen würden. Wenn wir als kompakter Block erschienen, liefen einige Gefahr, mitten in irgendwelchen Trümmern zu rematerialisieren. „Los!" bestimmte Demeter. Ich stand neben Imhotep. Wir beide bildeten das erste Paar. Sekundenlang verloren wir die Besinnung, und als wir wieder zu uns kamen, hatten wir das Schiff erreicht. Es war ein Wrack. Die Zentrale stellte einen einzigen Trümmerhaufen dar, die Streben waren verbogen und zerknickt, Teile der Wandung geborsten. Auf dem Boden lagen Splitter und zerfetzte Kabelstränge. Wir änderten sofort den Standort. Wenig später erschienen die nächsten zwei - Inky und Charriba. Es gab noch Sauerstoff in dem Noktherschiff. Das bedeutete, daß Teile der Druckzelle den Remate-rialisierungsschock überstanden hatten - es bedeutete aber auch, daß die überall knisternden Brände noch die Luft fanden, die sie brauchten, um immer größere Teile des Schiffes zu verheeren. Von der Technik des Schiffes funktionierte kaum noch etwas. Wir waren blind und taub. Einer der Zweiertrupps sollte ein Funkgerät mitbringen, damit wollten wir später Verbindung zur Flotte von Glyssaan aufnehmen.
Der erste Teil des Planes klappte besser als erwartet. Wir erreichten das Schiff ohne Komplikationen. Danach wurde es schwieriger, Es war nicht einfach, in dem völlig zerstörten Schiff genug Platz für all die Menschen zu finden. Immer wieder ließen Erschütterungen den Rumpf erbeben; wahrscheinlich flogen einzelne Teile der Technik in die Luft. Ein Raum, den wir als Quartier für ein paar Stunden ausersehen hatten, wurde von einer solchen Explosion zerstört, kurz nachdem wir ihn gefunden hatten. Dann gab es einen neuerlichen Ruck, begleitet von einem häßlichen Knirschen. Eine Sekunde später setzte die künstliche Schwerkraft ein. Inky, der gerade noch unter der Decke gehangen hatte, stürzte zwei Meter tief ab und schlitzte sich dabei den Raumanzug auf. Charriba machte sich sofort daran, das Leck zu verkleben. „Das ist nicht unsere Schwerkraft", sagte Demeter leise. Um miteinander reden zu können, mußten wir die Helme öffnen. Den Funk zu benutzen, hatte uns Demeter aus verständlichen Gründen untersagt - auch wenn die Oberen uns vielleicht nicht verstanden, waren sie doch in der Lage, abzumessen, ob im Innern des Wracks gefunkt wurde. „Wir sind angedockt worden", sagte Imhotep. „Bald wird jemand hier auftauchen." Ich sah auf die Uhr. • Es würde noch länger als eine Stunde dauern, bis die Flotte von Glyssaan auftauchte. „Versteckt euch, so gut ihr könnt", bestimmte Demeter. „Und versucht, euch totzustellen. Wir gewinnen ein paar Sekunden dadurch." Wir schlössen wieder die Helme. Danach war eine Verständigung nur durch Handzeichen möglich. Drei Minuten später mußten wir uns mit aller Kraft festkrallen. Die Oberen hatten ein Loch in den Druckkörper gesprengt, die Luft entwich explosionsartig ins Freie. Wenigstens erloschen dadurch die Brände. Ich lag flach auf dem Boden, den Helm gegen das Metall gepreßt. Ich glaubte, Schrittgeräuche hören zu können. Wie viele mochten es sein?
Bei dieser Art der Schalleitung ließ sich darüber nichts sagen, auch konnte ich die Entfernung nicht einschätzen. Wir mußten abwarten. Ich rührte mich nicht. Licht gab es nicht mehr. Die explosive Dekompression hatte die letzten Leuchtkörper bersten lassen. Um so erschreckender wirkte auf mich der Lichtschein, der plötzlich in die Zentrale drang. Der Strahl selbst war nicht zu sehen - es gab keinen Staub, der einen Teil des Lichts hätte zerstören können. Scharfrandig wanderte der Lichtkreis über die verwüstete Einrichtung der Zentrale. Dann fiel der Lichtschein auf mich. Ich hielt den Atem an, versuchte, die Augen offenzuhalten und nicht mit der Wimper zu zucken - wer oder was auch immer den Lichtstrahl auf mich richtete, hielt wahrscheinlich in der anderen Hand eine Waffe schußbereit. Es war ein scheußliches Gefühl, einem Unbekannten wehrlos ausgeliefert zu sein, und die Spanne Zeit, die er sich nahm, mich zu betrachten, schien mir ewig lang zu sein. Dann wanderte der Strahl weiter. Ganz leise ließ ich die Luft aus den Lungen. Einen Augenblick lang überfiel mich die panische Furcht, er könnte womöglich das Strömen des Sauerstoffs in den Leitungen meines Anzugs hören, aber dann fiel mir ein, daß Vakuum im Schiff herrschte. Die Schrittgeräusche wurden leiser. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. War das wirklich alles gewesen? Der Obere kam hier hereinspaziert, sah sich um, fand uns am Boden liegend - und marschierte dann einfach davon? Es wurde still im Innern des Wracks. Als ein paar Minuten später das künstliche Schwerefeld mit einem Schlag wieder verschwand, wußten wir, daß unser Plan funktioniert hatte. Nach all den Aufregungen der letzten Tage erschien mir dieses Ende ausgesprochen schäbig und undramatisch. Auf der anderen Seite konnte ich nur heilfroh sein, daß es zu keinem Drama gekommen war, denn das hätte mit Sicherheit Tote gekostet. Wieder wurde es in der Zentrale hell. Jemand kam zu mir herüber. Mühsam erkannte ich Demeter. Sie winkte mir zu. Gemeinsam krochen wir durch die zerstörten Gänge des Schiffes, der Hülle entgegen. Je weiter wir vorstießen, um so größer waren die Zerstörungen, die das Schiff davongetragen hatte. In der Außenwand klafften riesige Löcher.
Wir klammerten uns an einer Strebe fest und verankerten die
Karabinerhaken. Demeter gab mir mit Zeichensprache zu verstehen,
daß ich meinen Helmfunk einschalten sollte. Außerdem deutete sie
an, daß ich kein Wort sagen durfte.
Wir stöpselten unseren Helmfunk mit dem großen Gerät zusammen,
das Demeter mitgeschleppt hatte.
So saßen wir lange Zeit schweigend da, besahen uns die Hülle des
Raumschiffwracks und hingen unseren Gedanken nach. Und dann,
nach einer schier endlos langen Zeit, erreichte uns der Funkspruch
der glyssaanischen Flotte.
# 10.
Die komfortable Unterbringung änderte nichts daran, daß wir
Gefangene waren. Man hatte uns ge
räumige Kabinen zugewiesen, lak-kierte Roboter standen bereit, um
uns unsere Wünsche zu erfüllen -aber die Blicke der glyssaanischen
Offziziere und Mannschaften bewiesen, daß sie uns als
unwillkommene Gäste betrachteten.
Das galt auch für Imhotep, der ebenfalls unter Arrest gestellt worden
war. Manhaar hatte man sofort in die Klinik des Flaggschiffs bringen
lassen.
Zu Kämpfen war es nicht gekommen - beim Anblick der viereinhalb
tausend glyssaanischen Raumer, die mit einem Schlag aus dem
Hyper-raum gefallen waren, hatte die Flotte der Oberen sofort
Reißaus genommen. Auf Smaragd war programmgemäß die Burg
zerstört worden, dabei war allerdings auch der Vulkan ausgebrochen,
den wir in unserem Eifer völlig übersehen hatten. Manhaar hatte aber
immerhin noch den Befehl geben können, etwas für die Bewohner
des Planeten zu tun. Im Augenblick war ein Dutzend Spezial-schiffe
damit beschäftigt, den radioaktiv verseuchten Vulkanstaub aus der
Atmosphäre zu filtern.
Ich ließ den Eiswürfel in meinem Glas klingeln. Der Alkohol, der
auf Glyssaan hergestellt wurde, schmeckte zwar anders als die
Schnäpse, die wir kannten, aber deswegen mundete er uns nicht
weniger.
„Zwei Fragen habe ich, Chefin", eröffnete Imhotep das Gespräch.
„Ich bin dafür, sie jetzt zu klären. Ihr beide werdet in spätestens einer
Stunde umfallen und erst einmal eine lange Zeit schlafen. In der
Zwischenzeit will ich versuchen, mit Manhaar zu reden, wenn man
mich läßt."
„Einverstanden", sagte Demeter. „Fragen Sie." „Ich hätte gern gewußt, was Sie sich dabei gedacht haben, die Schaltstation zu sprengen." Demeter lächelte. „Die Eingeborenen von Smaragd, zweifelsfrei Menschenabkömmlinge, leben dort seit Jahrtausenden. Die Machenschaften der Oberen - Entführung von irdischen Genies laufen seit vier Jahrhunderten. Folglich muß das Smaragd-System zu unse-rerri. Kontinuum gehören. Daß es ins andere Universum hinüberglitt, ist auf Machenschaften der Oberen zurückzuführen. Ich war mir sicher, daß bei der Zerstörung der Station das ganze System von sich aus in unser Universum zurückschnellen würde - und das hat es auch getan." Imhotep nickte langsam. „Das kann ich noch begreifen", sagte er. „Was mir aber nicht in den Sinn will, ist dieses: Die Oberen haben Smaragd als Falle für uns gedacht, von Anfang an. Sie haben in der Vergangenheit zahlreiche Spuren ausgestreut, die alle zu diesem Planeten hinführen. Außerdem wissen wir, daß die Oberen die,Techno-logie der Zeitmaschine kennen und anwenden. Durch Beobachtungen hätten sie also ohne große Mühe feststellen können, daß ihr Plan nicht funktionieren würde." „Ich bin sicher, daß sie das getan haben", meinte Demeter. Sie war ernst geworden. „Mit dieser Fragestellung sind wir mitten im Problem der Zeit überhaupt. Sind Sie bereit, sich eine längere und etwas komplizierte Überlegung anzuhören?" Ich nickte. Imhotep und Almansur nickten ebenfalls, desgleichen Inky und Charriba. Die anderen hatten sich bereits schlafen gelegt. „Fangen wir an mit etwas, das seit Jahrhunderten bekannt ist und auf den Namen Newcombs Paradoxie hört. Diese Paradoxie hat viel mit unserem Problem zu tun. Zunächst sieht es wie eine Art von Gesellschaftsspiel aus." Demeter sah sich im Raum um, ging dann zu einem Regal hinüber und nahm zwei kleine Kästchen heraus, die dort zufällig standen. Eines der Kästchen war rot, das andere schwarz lackiert. Sie stellte sie auf den Tisch, der zwischen uns stand.
„Nun stellen Sie sich vor, daß in jedem Fall in dem schwarzen Kasten ein Geldschein von sagen wir tausend Soldor zu finden ist. Im roten Kasten liegt entweder eine Million oder nichts." „Was ist das Kriterium?" fragte ich. „Wann liegt das Geld darin, wann nicht?" „Langsam", fuhr Demeter fort. „Wer spielt mit? Tovar? Gut, du hast jetzt zwei Alternativen. Entweder du öffnest beide Kästen und nimmst das Geld, oder du beschränkst dich auf den roten Kasten. Nun komme ich ins Spiel. Ich werde - theoretisch in diesem Augenblick - in die Zukunft reisen und mir ansehen, wie du dich entscheidest. Und je nachdem, wie deine Entscheidung ausfällt, werde ich in die Vergangenheit reisen und folgendes tun: Wenn ich gesehen habe, daß du beide Kästen öffnest, werde ich den roten Kasten leer lassen. Es liegt also nichts darin. Entscheidest du dich aber nur für den roten Kasten, so werde ich die Million hineintun." Sie machte eine kurze Pause, und ich bemühte mich, das Spiel zu begreifen. „Der korrekte Ablauf dieses Experimentes sieht so aus: Zunächst schaue ich mir deine Entscheidung an, dann lege ich stillschweigend die Million in den roten Kasten oder nicht, je nach deiner Entscheidung, dann teile ich dir die Spielregeln mit - und dann triffst du deine Wahl. Was wirst du tun?" „Demeter, was soll der Unfug? Selbstverständlich wähle ich nur den roten Kasten. Würde ich mich anders entscheiden, würdest du das wissen, und dann wäre im roten Kasten nichts drin. Es ist vollkommen logisch, daß ich nur den roten Kasten öffne und mir die Million nehme. Auf den Tausender kann ich dann verzichten." „Klingt logisch", meinte aus Inky. „Ich sehe nicht, wo da ein Problem, geschweige denn eine Paradoxie sein soll." Imhotep hob die Hand. „Freunde", sagte er nachdenklich. „Ich fürchte, mit eurer Logik stimmt etwas nicht. Darf ich jetzt mitspielen, Chefin?" „Nur zu", ermunterte ihn Demeter. „Wir sind in der Gegenwart. Sie, Chefin, haben sich meine Entscheidung angesehen und danach gehandelt. Das bedeutet, daß in jedem Fall im schwarzen Kasten ein Tausender liegt."
„Völlig "richtig", stimmte ich ihm zu. „Des weiteren steht aber in diesem Augenblick auch schon fest, ob der rote Kasten die Million enthält oder nicht. Nach den Regeln dieses Spiels ist das Kästchen gefüllt oder nicht gefüllt, bevor ich meine Entscheidung treffe und danach handele. Wenn ich jetzt in diesem Augenblick in das Spiel einsteige, ist das Geld entweder da oder nicht. Ist es da, und ich öffne beide Kästen, habe ich die Million und den Tausender." „Unsinn", entgegnete Inky erregt. Demeter lehnte sich zurück und lächelte still. „Die Chefin hat ja in der Zukunft gesehen, daß du dich so ent scheiden würdest - also ist der rote Kasten leer." „Also gut", meinte Imhotep. „In diesem Fall ist der rote Kasten leer und zwar bevor ich mich entschieden habe. Dann würde ich, selbst wenn ich mich nur für den roten Kasten entscheide, nichts finden." Inkys Augen weiteten sich. „Ich werde verrückt", stöhnte er auf. „Für mich ist es völlig logisch, daß ich nur den roten Kasten öffne. Nach den Regeln des Spiels muß die Chefin das in der Zukunft gesehen und die Million hineingetan haben. Aber Imhotep hat irgendwie auch recht. In dem Augenblicken dem ich wähle, ist das Geld entweder da oder nicht." „Das Probelm ist", mischte sich nun wieder Demeter ein, „daß bei dieser Spielordnung deine Entscheidung mein Handeln beeinflußt. Die Frage ist nun, ob mein Wissen über deine Entscheidung deine Entscheidung beeinflussen kann." Ich sank in meinen Sessel zurück. Diese logischen Kniffeleien waren zu kompliziert für mich. „Langsam komme ich hinter das Problem", murmelte Imhotep. Er war ein wenig blaß geworden. „Es geht darum, ob ich im Augenblick meiner Entscheidung wirklich frei bin - oder ob diese Entscheidung wegen irgendwelcher Umstände aus Vergangenheit oder Zukunft bereits festliegt, auch wenn ich es nicht weiß." Demeter nickte. „Eines der großen ungelösten Probleme der Wissenschaften und der Philosophie. Was wir hier erleben, ist die Gegenwart, die einzige, die wir kennen und uns vorstellen können. Aus der Sicht der Vergangenheit leben wir in der Zukunft - und zwar ebenfalls der einzigen, die es gibt.
Wenn es aber nur eine einzige Zukunft gibt, dann ist das Universum mit einem Uhrwerk zu vergleichen, das einmal in Gang gesetzt wird und von da an in alle Ewigkeit weitertickt - ohne daß irgend etwas oder irgend jemand seinen Lauf verändern könnte." „Lassen Sie das keinen Theologen hören", warf Inky ein. „Der dreht Ihnen glatt den Hals um." „Drehen wir den Spieß um", fuhr Demeter fort. „Stellen wir uns vor, daß es allein für die nächsten fünf Minuten die unterschiedlichsten Zu-künfte gibt - eine Zukunft, in der ich den rechten Arm hebe, eine Zukunft für den linken Arm und so fort, dann muß es angesichts der unendlichen Fülle von Möglichkeiten unendlich viele Formen der Zukunft geben." „Wenn man einmal davon absieht, daß wir bei unseren Vorstößen in die Zukunft immer nur eine Realität als zukünftig erlebt haben, dann wäre das die Lösung des Problems." Demeter sah mich an und schüttelte den Kopf. „Das, was wir uns überlegen, gilt natürlich auch für jemanden, der hundert Jahre vor uns gelebt hat. Auch für ihn gab es unendlich viele Formen der Zukunft - wenn wir diesen Gedanken weiterverfolgen, dann können wir zurückgehen bis zum Anbeginn der Zeit. Damals schon muß es eine unendliche Zahl von möglichen Zukunftsformen gegeben haben - einschließlich unserer Gegenwart." „Aber diese Gegenwart ist doch real", rief ich verwirrt. „Wir können sie sehen, fühlen, hören und schmek-ken." „Nach meiner Auffassung ist das richtig. Nur das Hier und Jetzt ist wirklich real, es ist der einzige Ausschnitt des Universums, den wir er fassen - und 'beeinflussen können. Durch unsere Entscheidungen und das darauf folgende Handeln können wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beeinflussen. Wir können ändern, was gewesen ist, wir können ändern, was sein wird. Das New-comb-Paradoxon zeigt uns, daß die Entscheidungsfreiheit des Menschen kausalitätsfrei ist, und da jede Kausalbeziehung auch einen Zeitfaktor einschließt - Ursache und Wirkung können nicht zeitgleich sein -, ist die Entscheidungsfreiheit des Menschen auch zeitlos." Imhotep lächelte plötzlich.
„In einem völlig determinierten Kosmos, in dem es nur eine Vergangenheit, nur eine Gegenwart und nur eine Zukunft gibt, ist eine Zeitreise nicht denkbar." Demeter nickte. „Da wir Zeitreisen unternehmen, folgt daraus, daß unser Kosmos kein universelles Uhrwerk ist." „So sehe ich es", antwortete Demeter. „Ich glaube, daß das, was wir Leben nennen, hauptsächlich darin besteht, daß Lebewesen mehr oder minder fähig sind, Entscheidungen zu treffen und danach zu handeln. Diese Qualität des Lebens ist zeitlos und den Gesetzen des Kausalität nicht unterworfen." „Hört sich an wie der sprichwörtliche göttliche Funke", warf Inky ein. „Lassen wir die Religion aus dem Spiel", bat Demeter. „Das Gebiet ist mir zu heikel." „Ich begreife nicht ganz, was diese Überlegungen im't der Falle der Oberen zu tun haben", mischte sich Al-mansur ein. „Sie sind in dieZukunf t gereist, haben dort gesehen, wie wir in die Falle tappen, und haben dementsprechend die Falle aufgebaut. Sie denken wahrscheinlich so kausal, wie wir normalerweise auch. In der Realität aber waren wir frei, zu entscheiden, und haben danach gehandelt - wir haben die Falle gesprengt. Wir haben entgegen ihrer Voraussage beide Kästchen geöffnet und uns die Million und den Tausender geholt." „Aber das hätten die Oberen doch merken müssen!" rief ich aus. „Und noch eines - wir haben doch einen Vorstoß in das Jahr 80 000 unternommen. Aus dem, was wir da gesehen haben, haben wir unsere Schlüsse gezogen, und seither sind wir dabei ..." „... diese Zukunft zu ändern", sagte Demeter lächelnd. „Da haben wir das gleiche Problem. Wir arbeiten daran, diese Zukunft unmöglich zu machen. Das ist grundsätzlich möglich, wir haben es ja erlebt. Vergeßt aber dabei eines nicht - ob ich in der nächsten Minute den rechten oder den linken Arm bewege, verändert zwar die Zukunft, aber diese Veränderung ist bezogen auf die Gesamtheit ungeheuer winzig. Um eine Zukunft, wie wir sie gesehen haben und fürchten, aus den Angeln zu heben, bedarf es größter Anstrengungen. Es wird nicht jedesmal so einschneidend sein, wie wir es gerade erst im FirstHope-System erlebt haben."
Ich gab es auf. Mit der Zeitlogik kam ich einfach nicht zurecht. Ich hatte den Verdacht, daß alle Überlegungen zu diesem Thema auf einer Abstraktionsebene durchgeführt werden mußten, die mir nicht zugänglich war. „Eine Sache werde ich jedenfalls nicht mehr frei entscheiden können", sagte sie. „Jedenfalls jetzt nicht mehr - ich werde bald tief und fest schlafen, und dann werde ich mich für Zeitexperimente nicht mehr interessieren." Demeter nickte. Auch sie war sehr müde geworden. Der Raubbau, den wir an unseren Kräften und Reserven getrieben hatten, machte sich nun bemerkbar. • Es wurde Zeit, daß wir zur Ruhe kamen. Sie ließen uns ausschlafen, und als wir erwachten, wartete bereits ein Frühstück auf uns. Ich verspürte einen Bärenhunger und langte kräftig zu. Die Tatsache, daß wir separat abgefüttert wurden, machte es mir leicht, eine zweite Ration zu bestellen, die promt geliefert und ebenso prompt von mir vertilgt wurde. Danach fühlte ich mich entschieden wohler in meiner Haut. Im Spiegel waren die Folgen der Strapazen allerdings noch deutlich zu sehen. Meine Wangen wirkten eingefallen, die Waage zeigte, daß ich erfreulicherweise abgenommen hatte - wenigstens ein tröstlicher Nebenaspekt dieser Abenteuer, obwohl ich mir angenehmere Diätverfahren vorstellen konnte. Eine Zeitlang betrachtete ich mir das Stoppelkinn und überlegte, ob ich mir einen Bart wachsen lassen sollte, aber dann entschloß ich mich, die Zukunft glattrasiert zu bestreiten. Unter der Dusche pfiff ich laut und ziemlich falsch Themen aus einem Schubert-Streichquartett, dann zog ich mich an. Daß wir ungeachtet des Komforts Gefangene waren, wurde offenkundig, als ich auf den Gang trat. Zwei Roboter und eine mürrisch dreinblickende glyssaanische Wache taten vor meiner Kabine Dienst. „Ihr werdet erwartet", sagte der Glyssaaner. Ganz offensichtlich ärgerte er sich, daß er mich so geschraubt anreden mußte und mich • nicht duzen durfte, wonach ihm wohl eher zumute war. „Nur zu", ermunterte ich ihn. Eine halbe Stunde später saß die Time-Squad vollständig versammelt in einem Konferenzraum des Glys-saanischen Flaggschiffs. Die
Flotte hing im Raum von Glyssaan; auf dem Planeten gelandet war nur ein Gleiter mit dem Kaiser an Bord. „Manhaar lebt noch", flüsterte mir Imhotep zu. „Das kann uns retten." „Retten wovor?" fragte ich. Imotep machte eine Handbewegung, die wohl jeder Mensch zu jeder Zeit verstanden hätte - einmal mit der flachen Hand quer über die Gurgel. „Und warum das?" „Ich gelte als Hochverräter, und ihr seid meine Kumpane. Wir sind in das geheime Informationsarsenal Glys-saans eingedrungen, und das kostet uns nach geltender Rechtsprechung den Kopf." Das durfte nicht wahr sein. Was eine Flotte der Oberen nicht geschafft hatte, sollte-dem Henker von Glyssaan gelingen? Ich sah zu Demeter hinüber. Sie wirkte ein wenig blaß, machte aber einen zuversichtlichen Eindruck. Sie erwiderte mein Lächeln. „Und wie kommen wir im günstigsten Fall davon?" wollte ich von Imhotep wissen. Der zuckte mit den Schultern. „Das wird von Manhaar abhängen", sagte er leise. Ein Of f zizier betrat den Raum. Das Schellengeklirr seiner Ordenspracht und die Tatsache, daß er weder anklopfte noch den Summer betätigte, bewies, daß es sich um einen ranghohen Militär handeln mußte. Es gab sicher auch andere Offiziere, aber dieser war von der üblen Sorte, voller Verachtung gegenüber Zivilisten, die von der Sache nichts verstanden. Außerdem hatte ich den Verdacht, daß seine Gedanken im Ernstfall weit eher beim wütenden Gesicht seines feindlichen Gegenübers als bei den Leiden seiner Truppen waren. Er grüßte mit herablassender Freundlichkeit. Der Blick, mit dem er Imhotep musterte, hätte einem ausgehungerten Hai ins Gesicht gepaßt. „Ich habe eine Botschaft zu übermitteln", erklärte er und zog aus der Innentasche seiner Lamettauniform ein Dokument, das er umständlich und mit deutlichem Mißbehagen entfaltete. „In Anbetracht der außerordentlichen und gefahrvollen Dienste, die die nachstehend aufgeführten Personen ..." - bei diesen Worten sah er uns über den Rand des Dokuments an, als betrachte er eine Viehherde -„... geleistet haben, verzichtet das Oberste Iniperiale
Gericht auf Anordnung seiner Kaiserlichen Majestät auf eine Anklageerhebung. Die nachstehend aufgeführten Personen sind amnestiert" - jetzt wurde der Tonfall giftig - „auch für alle früher eventuell begangenen Straftaten." Es folgte eine weitschweifige Rechtsmittelbelehrung, die keinen interessierte. Dann legte der Admi-ral - so hatte ich ihn für mich eingestuft - das Dokument mit feierlicher Gebärde zur Seite und grinste uns an. Was jetzt kam, konnte unmöglich erfreulich sein. „Ihr seid frei", verkündete er. „Gleichzeitig habe ich bekanntzugeben, daß alle Nichtglyssaaner binnen vierzundzwanzig Stunden das Hoheitsgebiet des Imerpiums zu verlassen haben." „Zu Fuß?" fragte Inky zurück. Er hatte sich so flegelhaft hingesetzt, wie es ihm nur möglich war. Ganz offenkundig genoß er es, einen hohen Militär gründlich zu ärgern - in sei ner Zeit hatte er sich dergleichen wohl nicht erlauben dürfen. Der Admiral fletschte die Zähne. Er wollte wohl gefährlich aussehen, aber mit Valcarcel konnte er nicht mithalten. „Wie ihr unser Herrschaftsgebiet verlaßt, ist eure Sache", zischte der Ordentransporteur. Er wandte sich an Imhotep. „Diese - unverdiente - Amnestie gilt nur für Personen, die an der Aktion unmittelbar beteiligt gewesen sind. Sie gilt nicht für andere Personen, auch wenn sie zur Familie eines Amnestierten gehören. Der Kontakt mit solchen Personen ist nach wie vor strafbar, auch wenn sich die Gesuchten nicht auf dem Territorium Glyssaans aufhalten. Ich wünsche angenehme Reise." Sprach's und verließ den Raum mit der stolzen Haltung eines Mannes, der es seinen Feinden gezeigt hat. In-«ky prustete ihm nach. Imhotep machte ein finsteres Gesicht. „Das heißt, daß mein Vater nach wie vor verbannt bleibt", stieß er hervor. „Mehr noch", sagte Demeter leise. „Es gilt auch für Darcyr und Gha nee und damit für die ganze Time-Squad. Ich bin sicher, daß sie sich auf unsere Fahrten setzen werden, um Shyftan zu finden. Und haben sie uns erst gefunden, ist es mit der Freiheit vorbei." „Wie sagt ihr? Eine Hand wäscht die andere? Ich helfe euch, Glyssaan zu verlassen..." „Wie willst du das anstellen? Wahrscheinlich bekommen wir von diesen Burschen keinen trockenen Kanten Brot mehr, geschweige denn ein Schiff."
„Ich habe ein Privatvermögen", erklärte Imhotep. „Nach meiner Am
nestierung kann ich darüber wieder frei verfügen. Ein Schiff zu
besorgen ist dann leicht."
„Können wir die glyssaanischen Schnüffler jibhängen?" fragte
Joshua Slocum.
Imhotep nickte.
„Was wird unser Teil des Handels sein?" f ragteDemeter. „Deinen
Vater suchen, finden und befreien?"
Imhotep nickte.
„Es wird sehr schwer werden", sagte er leise. „Wir haben Glyssaan
gerettet, der Kaiser ist wieder in Amt und Würden. Und gerade das
wird uns behindern - jetzt wird der bürokratische Apparat wieder
voll funktionieren. Und Manhaar wird vor allem eines tun wollen
eine Wiederholung dieses Anschlags auf Glyssaan unmöglich zu
machen. Ich fürchte, daß wir zum ersten Mal in der Geschichte des
Imperiums ein System von Polizeispitzeln und alle anderen
Widerwärtigkeiten eines Polizeistaats erleben werden. Alle
Behörden werden außerordentlich mißtrauisch sein."
Demeter nickte.
„Wir werden es trotzdem schaffen", sagte sie und lächelte.
„Schließlich haben wir erstklassige Leute."
Ich hob abwehrend die Hände.
„Keine Komplimente", warnte ich. „Mein Bedarf an Abenteuern ist
mehr als gedeckt. Alles, was ich mir wünsche, ist ein gemütliches
Heim mit Garten, ein liebes Frauchen, das mir leckere Mahlzeiten
kocht, ein Haufen herziger Kinder und ein strubbeliger Hund zum
Spazierengehen."
Demeter sah mich an, als habe sie einen Schlag vor den Kopf
bekommen.
„Ist das dein Ernst?" sagte sie. „Läufst du tatsächlich mit solchen
Tagträumen im Kopf herum?"
„Diese 'Tagträume sind immer noch besser als gewisse
Wirklichkeiten", gab ich zurück. „Ich weiß nämlich ziemlich genau,
wie deine Tagträume aussehen, Demeter."
„Berichte, das würde ich gern wissen", sagte sie, ein wenig
Kratzbürstigkeit in der Stimme.
„Wenn es nach dir geht, werde ich heute abend noch einen längeren
Bericht über den Abschluß unserer Abenteuer schreiben müssen
mindestens fünf Seiten lang. Und dann wäre es dir am liebsten, wenn ich morgen in aller Früh aus dem Bett hechte und mich sofort in die nächste Arbeit stürze - am besten ein Abenteuer, daß dieses an haarsträubenden Gefahren noch übertrifft." Demeter schüttelte den Kopf. „Du schätzt mich völlig falsch ein", behauptete sie. „Wenn dir nach Faulenzen zumute ist, dann tue es doch." „Das ist genau das, was ich hören wollte", gab ich zurück. „Warte es ab - beim nächsten Abenteuer bin ich nicht dabei. Ich werde mich auf Shyf tan in der Sonne aalen, mit den Fingern im Sand herumkraulen, roten Wein trinken und an wilden Früchten naschen und mich vom Rauschen des Meeres in den Schlaf singen lassen. Und im Schlaf werde ich von einer sorgenfreien Zukunft träumen." Demeter sah mich an und begann zu lachen. „Das möchte ich erleben", sagte sie kichernd. „Ich auch", antwortete ich und begann ebenfalls zu lachen. Die anderen fielen in das Geläthter ein. Einer der Posten vor der Tür steckte den Kopf in den Raum und sah uns ziemlich fassungslos an. Wahrscheinlich wußte er schon, in welchen Schwierigkeiten wir steckten, und konnte sich nicht vorstellen, daß jemand dann noch lachen konnte. Nun - er gehörte eben nicht zur Zeit-Schwadron.