Auf ewig mein Traummann Linda Miles
Julia 1399
11 2/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL "Nein", sagte Barbara zum f...
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Auf ewig mein Traummann Linda Miles
Julia 1399
11 2/2000
scanned by suzi_kay
1. KAPITEL "Nein", sagte Barbara zum fünften Mal und vertiefte sich demonstrativ wieder in Rumänisch im Alltag, um die Seite ebenfalls zum fünften Mal zu lesen. Und auch diesmal achtete keiner der anderen beiden darauf. Sie hatte es sich im Wohnzimmer ihrer Eltern auf der Fensterbank gemütlich gemacht. Das Haus lag in Richmond, und vom Fenster aus hatte man einen herrlichen Ausblick auf den Garten mit den schönen Rosenbüschen. Im Wohnzimmer, das mit gemütlichen Polstermöbeln eingerichtet war, herrschte Chaos, denn überall lagen halb fertige Handarbeiten herum. Und inmitten dieses Chaos befanden sich ihre Mutter Ruth, eine Frau, die in allen Menschen nur das Gute sah, und Charles Mallory, in dem nur eine Frau wie sie das Gute sehen konnte. "Eine tolle Idee!" rief Ruth nun zum sechsten oder siebten Mal. "Ich finde es schön, dass Barbara so viele Interessen hat, aber manchmal habe ich das Gefühl, sie bringt nichts richtig zu Ende. Es wäre die Chance für sie, ihre Sprachkenntnisse anzuwenden. Das muss Schicksal sein!" Sie hielt einen Pullover in der Hand, den sie gerade angefangen hatte, und strahlte Charles an, der für sie immer wie ein Sohn gewesen war. Obwohl Barbara noch immer ins Buch schaute, sah sie aus den Augenwinkeln, dass er daraufhin jungenhaft lächelte. Es war das für ihn so typische Lächeln, das alle Mädchen in seiner Klasse hatte dahinschmelzen lassen, als ihre Eltern ihn vor
fünfzehn Jahren bei sieht auf genommen hatten. Sie war damals elf gewesen. Jetzt waren seine Züge härter - ein Eindruck, der durch seinen Kurzhaarschnitt noch verstärkt wurde -, und seine grünen Augen wirkten kalt. Doch wenn er lächelte, hellte sich seine Miene genauso auf wie damals, als er siebzehn gewesen war. "Ich habe sofort an sie gedacht", erklärte er. Er schob die Hände in die Hosentaschen und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. "Es ist das größte Projekt, das ich je angepackt habe. Wir müssen jetzt in den osteuropäischen Markt einsteigen. Ich brauche jemanden, der mich dabei unterstützt, und ich kann es mir nicht leisten, sechs Monate nach einem geeigneten Mitarbeiter zu suchen." "Nein, natürlich nicht", pflichtete Ruth ihm bei, die gerade eine Reihe beendete. "Und das Problem ist, dass ich nicht sagen kann, welche Qualifikation dieser Mitarbeiter haben muss. Es wird eine Achterbahnfahrt, und ich brauche jemanden, der damit fertig wird." "Barbara würde sich bestens dafür eignen." "Und ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann." Nun hörte Barbara auf, so zu tun, als wäre sie in das Buch vertieft. "Auf mich kannst du dich nicht verlassen", sagte sie. "Ich bin nicht daran interessiert. Ich will nicht für dich arbeiten." Daraufhin nahmen die beiden endlich Notiz von ihr. "Barbara!" rief ihre Mutter vorwurfsvoll. Charles blickte finster drein. "Warum nicht?" "Weil du ein egoistischer, arroganter Mistkerl bist", erwiderte Barbara. Trotzig hob sie das Kinn und funkelte ihn wütend an, den einzigen Mann, den sie je geliebt hatte. "Barbara!"
"Und das ist noch untertrieben", fügte Barbara hinzu. "Es ist kein Job für Mimosen ..." begann er. "Es ist kein Job für jeden, der Wert auf gute Umgangsformen legt." "Du hast doch erst einen Tag für mich gearbeitet..." "Das war ein Tag zu viel." "Es waren außergewöhnliche Umstände. Normalerweise ist es nicht so schlimm. Es macht bestimmt viel Spaß." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Die Jahre als Geschäftsmann, in denen er es ganz allein zum Millionär gebracht hatte, hatten ihre Spuren hinterlassen, doch sein Lächeln übte immer noch dieselbe Wirkung auf sie aus wie damals. Sie spürte, wie sie es unwillkürlich erwiderte und ihr Herzschlag sich beschleunigte, aber sie bemerkte auch den Ausdruck in seinen Augen, der besagte, dass Charles seine Ungeduld nur mühsam zügelte. "Tatsächlich?" meinte sie skeptisch. "Bedeutet das, du willst die Dreckarbeit selbst machen?" In seinen Augen blitzte es auf. "Das heißt?" "Das heißt, wenn du ein halbes Dutzend Freundinnen hast, die du nicht mehr sehen willst, solltest du ihnen sagen, dass es vorbei ist, und nicht deine Sekretärin bitten, ihnen auszurichten, dass du in einer Besprechung bist. Bedeutet außergewöhnliche Umstände', dass du normalerweise nur eine oder zwei loswerden willst oder dass du es jetzt selbst machst?" Vielleicht würde Ruth nun endlich merken, wie er wirklich war. Doch Charles zog lediglich eine Augenbraue hoch. "Das macht dir also zu schaffen? Ich weiß nicht, mit wem ich zu der Zeit zusammen war, aber ich glaube nicht, dass ich jemanden loswerden wollte. Ich sage den Frauen, dass sie mich nicht im Büro anrufen sollen. Falls du allerdings keine Notlügen magst, kannst du gern die Wahrheit sagen. Ich lasse es dich wissen, wenn es jemanden gibt, mit dem ich sprechen möchte,"
Eigentlich hätte sie, Barbara, erleichtert darüber sein müssen, dass es immer noch keine Frau gab, mit der es ihm ernst war. Soweit sie wusste, hatte es auch noch nie jemanden gegeben. Doch seine Gleichgültigkeit schockierte sie wie eh und je. Seine Eltern hatten ihn nach England geschickt, damit er seine letzten beiden Schuljahre dort verbrachte, und schon nach wenigen Tagen hatte das Telefon pausenlos geklingelt. Es hatte sie, Barbara, nicht überrascht, denn er war der attraktivste Junge, den sie je gesehen hatte. Doch wenn er die Gespräche entgegengenommen hatte, hatte er immer ausgesprochen gelangweilt gewirkt. Manchmal war sie auch ans Telefon gegangen. Charles hatte dann gefragt, wer am Apparat wäre, und ihr manchmal zu verstehen gegeben, dass er mit dem betreffenden Mädchen nicht sprechen wollte. Seine Gleichgültigkeit hatte sie schockiert, und es schien ihr nun, als hätte sie schon immer gewusst, dass sie ihm niemals zeigen durfte, was sie für ihn empfand. Sie hatte ihn geärgert, als wäre sie tatsächlich seine kleine Schwester, und ihm hatte es offenbar gefallen - vielleicht weil sie ihn nicht so anhimmelte wie die Mädchen in seinem Alter. Vielleicht hatte er sie sogar ein wenig gemocht, bevor alles schief gegangen war, "Es ist nicht das Einzige, was mich stören würde", erklärte Barbara. "Du weißt genau, dass ich es hasse, irgendwo länger als ein paar Wochen zu arbeiten - vor allem bei jemandem, für den ein zehnstündiger Arbeitstag nichts ist. Nenn mir einen guten Grund, warum ich mich von dir beschimpfen lassen sollte." "Geld", erwiderte Charles. "Ich weiß nicht, wie viel du bezahlen wirst, aber es ist nicht genug. Nächsten Monat fliege ich nach Sardinien. Ich schicke dir eine Postkarte." "Wie viel willst du?" "Das würdest du sowieso nicht zahlen."
"Barbara!" protestierte ihre Mutter, "Charles braucht deine Hilfe. Es ist sicher nicht zu viel verlangt, wenn du deine Reise verschiebst. Er gehört praktisch zur Familie. Du solltest dich freuen, wenn du ihm helfen kannst." "Ich dachte, ich wäre die Letzte, von der er Hilfe annehmen würde", platzte Barbara heraus. "Als ich das letzte Mal versucht habe, ihm zu helfen, hat es ihm nicht gerade zum Vorteil gereicht." Trotzig sah sie ihn an. Ihre Mutter sah verständnislos drein, während Charles ihr einen spöttischen Blick zuwarf. "Das würde ich nicht sagen", meinte er kühl. "Sonst wäre ich heute nicht da, wo ich bin." "Dann bin ich dir auch nichts schuldig." "Das würde ich auch nicht sagen. Ich finde, dass du mir immer noch etwas schuldest. Du nicht?" "Dann werde ich es auf andere Art wieder gutmachen", erwiderte sie. "Als Arbeitgeber bist du unmöglich, und ich möchte Sardinien sehen, bevor ich sterbe. Daher lautet die Antwort nein. Warum soll eigentlich ausgerechnet ich es machen?" "Weil du sehr gut in Steno und Maschineschreiben bist." "Das sind andere auch." "Und weil du seit deinem Schulabschluss noch nichts Vernünftiges getan hast. Ständig bist du auf Reisen und arbeitest dich durch die ganze 'Sprachen leicht gemacht'-Reihe, von Albanisch bis Zulu." "Gibt es überhaupt einen Band für Zulu?" erkundigte sich Barbara geistesabwesend. "Ich weiß nicht, aber wenn ja, kannst du ihn in den Mittagspausen lesen." "Bei dir darf man keine Mittagspause machen." "Und weil es bei diesem Projekt sehr viele logistische Probleme geben wird", fuhr Charles ungerührt fort. "Darum möchte ich mich nicht selbst kümmern, und ich habe noch nie erlebt, dass du mit einem Problem nicht fertig geworden bist."
Ungeduldig fuhr er sich durch das kurze schwarze Haar. "Ich könnte mich an eine Zeitarbeitsfirma wenden, aber selbst wenn man mir eine hoch qualifizierte Kraft vermitteln wurde, wäre die vielleicht hilflos, wenn irgendein Faxgerät in Wladiwostok ausfällt oder alle Hotels in Kiew im Winter geschlossen sind ..." Als er ihr plötzlich in die Augen sah, konnte sie sich kaum vorstellen, dass dieser Mann der attraktive, sorglose Junge von damals war. "Mir war gar nicht klar, dass du so ungern für mich arbeitest, aber es spielt keine Rolle, denn ich brauche dich, zumal es dir sicher nicht schwer fallen wird, auf Distanz zu bleiben. Überleg dir, wie viel ich dir zahlen muss, damit du meine Macken ertragen kannst." Bestürzt sah ihre Mutter ihn an. "Barbara hat sicher nichts gegen dich, Charles. Für uns gehörst du zur Familie. Ich habe mich auch immer mit meinem Bruder gestritten, aber das hat nicht bedeutet, dass wir uns nicht gemocht haben." "Na ja, ich habe offenbar gewisse Macken", räumte Charles ein, und sein Lächeln galt ausschließlich ihr. "Jedenfalls ist es mir lieber, wenn Barbara es zu ihren Bedingungen tut. Ich weiß, dass sie nicht gern langfristige Verpflichtungen eingeht." Barbara wurde bewusst, dass er seine Worte sorgfältig wählte, um sie nicht noch mehr gegen sich aufzubringen. Aus Rücksicht auf ihre Mutter hatte er ein Treffen in der Stadt vorgeschlagen, doch sie hatte mit der Begründung abgelehnt, sie wäre zu beschäftigt. Dass er ihre Mutter nicht verletzen wollte, sprach für ihn. Wenn sie allein gewesen wären, hätte er sich allerdings ganz anders verhalten. Die Nachmittagssonne, die durchs Fenster schien, tauchte die verschlissenen Polstermöbel, den alten Teppich und die halb fertigen Handarbeiten in goldenes Licht. Wie oft hatte sie, Barbara, das Wohnzimmer aus dieser Perspektive betrachtet! Schon als Kind hatte sie immer am liebsten auf der Fensterbank gesessen und gelesen.
Ein Jahr lang hatte sie jeden Abend dort gesessen, während Charles vor dem Fernseher saß und seine Hausaufgaben machte. Letzteres war jedoch selten der Fall gewesen, denn er war zwar sehr intelligent, aber ausgesprochen faul und daher auch ein schlechter Schüler gewesen. Sie war sehr fleißig gewesen, aber trotz ihrer Intelligenz keine gute Schülerin, da sie einer Sache schnell überdrüssig geworden war. Und da sie ihrer Klasse immer voraus war, hatte sie keine Lust, Hausaufgaben zu machen oder für die Prüfungen zu lernen. Ständig bedrängte sie Charles, ihr zu erzählen, was er machte, und wenn nichts Gutes im Fernsehen lief, beantwortete er ihre Fragen auch. Manchmal sagte er ihr, sie solle den Mund halten, und wenn sie nicht lockerließ, reichte er ihr mit einem boshaften Lächeln das Buch, in dem er gerade las. Allerdings las sie gern in seinen Büchern, weil sie ihm gehörten und weil sie die schwierigeren Texte verstand. Wenn es etwas Gutes im Fernsehen gab, saß sie da, blickte zu seinen Büchern oder betrachtete ihn, wie er auf dem Sofa lag. Damals hatte sie sich an ihm nicht satt sehen und nicht genug über ihn erfahren können, doch er hatte sie überhaupt nicht beachtet, wie sie geglaubt hatte. Lächerlicherweise verspürte sie ein intensives Hochgefühl bei der Vorstellung, dass er doch von ihr Notiz genommen, ja, sich sogar Gedanken über sie gemacht hatte. Diese Erkenntnis weckte eine Sehnsucht in ihr, den Wunsch, dass Charles sich genauso viel Gedanken über sie machen würde wie sie sich über ihn, dass er sie genauso ansehen würde wie sie ihn. Er stand jetzt direkt im Sonnenlicht und wartete darauf, dass sie ihm einen Betrag nannte. Wie immer, wenn er im Raum war, wurde ihr Blick magisch von ihm angezogen, und sie musste sich zwingen, ihn abzuwenden. Als Arbeitgeber war Charles unmöglich. Außerdem hasste sie langfristige Verpflichtungen und hatte etwas getan, das er ihr
niemals verzeihen würde. Er hätte sich nie an sie gewandt, wenn er sich nicht dazu gezwungen gesehen hätte. Es würde die reinste Folter sein, jeden Tag mit ihm zusammen zu sein, und die Versuchung war groß. "Tut mir Leid, Charles", erklärte Barbara unvermittelt. "Es geht nicht ums Geld - ich kann es nun mal nicht tun." Ihre Mutter wirkte enttäuscht. "Natürlich will Charles dich zu nichts zwingen, Schatz", sagte sie, ohne seinen ungeduldigen Blick zu bemerken. "Ich finde, es wäre eine tolle Chance für dich, aber wenn du dir so sicher bist, werden wir nicht mehr darüber reden. Du bleibst doch zum Abendessen, Charles?" "Gern", erwiderte er. "Natürlich werde ich Barbara nicht bedrängen, aber ich hoffe, dass sie ihre Meinung noch ändert." "Darauf würde ich nicht wetten." Barbara vertiefte sich erneut in ihr Buch. "Ich auch nicht." So leise, dass nur sie es hören könnte, fügte er hinzu: "Ich wette nie, wenn ich mir einer Sache sicher bin."
2. KAPITEL Charles Mallory nahm die Unterschriftenmappe aus seinem Eingangskorb, schlug sie auf und nahm den ersten Brief heraus. Prompt verfinsterte sich seine Miene. Wo haben sie die bloß aufgetrieben? dachte er und drückte ungeduldig auf den Knopf der Sprechanlage. "Teresa", sagte er. "Ja, Mr. Mallory", antwortete jemand so leise, dass es kaum zu hören war. "Haben Sie je daran gedacht, die Rechtschreibprüfung durchlaufen zu lassen, bevor Sie ein Dokument ausdrucken?" "Gibt es einen Rechtschreibfehler?" fragte Teresa im Flüsterton. Charles betrachtete die restlichen Briefe, in denen es vor Fehlern nur so wimmelte. "Es ist außerdem ganz hilfreich, ein Dokument Korrektur zu lesen, bevor man es zur Unterschrift vorlegt", erklärte er trügerisch sanft. "Ich habe das unterschrieben, das als Einziges in Ordnung ist." Während er das sagte, setzte er seine Unterschrift darunter. "Die anderen müssen alle noch mal geschrieben werden. Ich bringe sie Ihnen." Er klappte die Mappe zu, stand auf und ging zur Tür. Als er sie öffnete, sah er gerade noch, wie die neue Aushilfe schnell durch die Tür verschwand, auf der stand: "Notausgang. Bei Öffnen der Tür wird Alarm ausgelöst".
Sofort ertönte das ohrenbetäubende Heulen der Sirene. Wo haben sie die bloß aufgetrieben? überlegte er bitter, während er auf die entsprechenden Knöpfe drückte, um den Alarm wieder abzustellen. Dann kehrte er zu seinem Schreibtisch zurück und wählte die Nummer der Personalabteilung. "Guten Morgen, Mr. Mallory", meldete sich die Personalleiterin resigniert. "Ich habe den Alarm gehört. Ich war mir sicher, dass sie wenigstens bis zur Mittagspause bleiben würde, aber da habe ich mich wohl getäuscht." Charles trommelte auf den Schreibtisch. "Ich weiß nicht, was das Problem war", erklärte er. "Ich habe sie lediglich daran erinnert, dass es eine Rechtschreibprüfung gibt, und vorgeschlagen, dass sie ihre Briefe Korrektur liest. Darauf hätte sie eigentlich selbst kommen müssen. Und wenn sie es nicht weiß, sollte sie wenigstens etwas konstruktive Kritik vertragen können." Die Personalleiterin seufzte. "Tut mir Leid, Mr. Mallory, aber sie war die einzige Kraft, die uns die Zeitarbeitsfirma schicken konnte. Alle anderen sind bereits hier gewesen und wollen nicht wiederkommen." "Dann versuchen Sie es bei einer anderen Firma, das kann doch nicht so schwer sein." "Keine der anderen Firmen hatte eine Mitarbeiterin, die noch nicht hier gewesen ist." "Ich suche keine Superfrau, sondern lediglich eine erfahrene Sekretärin, die über die üblichen Fähigkeiten verfügt und auch unter Druck arbeiten kann." "Ja, Mr. Mallory", erwiderte sie skeptisch. "Es ist nur ..." "Was?" unterbrach er sie unwirsch. "Die wirklich erfahrenen, hoch qualifizierten Kräfte können sich ihre Jobs aussuchen. Wir bieten natürlich gute Konditionen, aber sie bekommen woanders dasselbe Geld, und sie lassen sich nicht gern anschreien."
"Anschreien!" rief Charles entrüstet. "Ich schreie nie. Aber wenn etwas noch einmal gemacht werden muss, weil jemand die Intelligenz eines Kleinkinds an den Tag legt, werde ich vielleicht ein bisschen ungeduldig..." "Offenbar schlagen Sie einen Tonfall an, der von manchen Mitarbeitern als Schreien empfunden wird", warf die Personalleiterin diplomatisch ein. "Das ist doch lächerlich", meinte er geringschätzig. Warum konnte die Personalabteilung niemanden wie Barbara auftreiben? Jemanden, der nicht sofort zu weinen anfing, wenn er eine einfache Frage stellte. Jemanden, der seine Fehler in einem Bericht entdeckte, statt fünfzig andere Fehler zu machen? Vor einigen Jahren hatte die Firma, für die Barbara arbeitete, sie für einen Tag an ihn vermittelt, und weder vorher noch danach hatte er eine so perfekte Sekretärin wie sie gehabt. Wenn er auf dem osteuropäischen Markt Fuß fassen wollte, dann brauchte er eine gute Sekretärin in Dauerstellung. Seine Absicht war es gewesen, Barbara in ihrer Wohnung aufzusuchen und sie zu überreden. Wenn Ruth nicht dabei war, würde es leicht sein. Allerdings hatte er es nicht geschafft, und wenn er noch länger wartete, würde Barbara womöglich schon auf dem Weg nach Sardinien sein. Vielleicht wäre es doch besser, sie erst einmal als Aushilfe einzustellen und abzuwarten, wie die Dinge sich entwickelten. Zumindest würde er sich so zur Abwechslung mal auf seine Arbeit konzentrieren können und müßte nicht immer wieder die Fehler seiner Sekretärin ausbügeln. "Ich habe wirklich keine Zeit, mich mit hypersensiblen Mädchen abzugeben, die nicht einmal buchstabieren können", erklärte Charles. "Versuchen Sie, Barbara Woodward über eine dieser Firmen zu bekommen, ja? Und machen Sie ein großzügiges Angebot. Wir müssen sie unbedingt haben."
3. KAPITEL Barbara wollte noch einen Job annehmen, bevor sie nach Sardinien flog. Sie hatte zwar Geld für die Reise gespart, jedoch einen Teil davon für einen Bengalikurs wieder ausgegeben. Als sie am Montag bei "Jobs for the Girls" anrief, wo sie unter Vertrag stand, bot man ihr sofort eine Tätigkeit bei der Mallory Corporation an. "Es ist ein fantastischer Job", erklärte Sue, ihre Betreuerin, begeistert. "Chefsekretariat, unbefristet, sehr gute Bezahlung. Sie haben ausdrücklich dich verlangt." "Ich möchte ihn lieber nicht annehmen", erwiderte Barbara und wünschte, sie hätte Charles außerdem gesagt, dass sie ihn für hinterhältig und skrupellos hielt. "Hm", meinte Sue. "Momentan habe ich nichts anderes, aber ich halte dich natürlich auf dem Laufenden. Sag mir Bescheid, falls du deine Meinung änderst." Barbara legte auf und rief anschließend bei "Girl Monday-toFriday" an. "Ich habe genau das Richtige für dich, Barbara", verkündete Cathy fröhlich. "Bei der Mallory Corporation in der Innenstadt von London. Chefsekretariat, sehr gute Bezahlung, unbefristet..." "Tut mir Leid", sagte Barbara, "aber ich suche einen befristeten Job für ein paar Wochen."
"Du kannst doch erst einmal anfangen und sehen, wie es läuft..." "Ich suche mir lieber etwas anderes." "Hm", meinte Cathy. "Im Moment habe ich nicht viel im Angebot - jedenfalls nichts, was deinen Qualifikationen entspricht. Aber ich sage dir Bescheid, wenn ich etwas bekomme." Nachdem Barbara aufgelegt hatte, betrachtete sie wütend das Telefon. Anschließend rief sie bei vier weiteren Zeitarbeitsfirmen an, doch die Auskunft war immer die gleiche. Dieser verdammte Mistkerl! dachte sie. Wenn sie es ihrer Mutter erzählte, würde diese Charles anrufen und ihm sagen, er solle sein Stellenangebot zurücknehmen. Doch er wusste, dass sie es ihrer Mutter zuliebe nicht tun würde. Eigentlich hätte sie sich geschmeichelt fühlen müssen, denn er hatte bei jeder Firma angerufen, für die sie je gearbeitet hatte. Offenbar hatte er ihre Mutter nach den Namen gefragt. Sie konnte sich natürlich bei einer anderen Firma bewerben, aber womöglich hatte er dort bereits auch angefragt, und das Problem war, dass kein Arbeitgeber die Interessen einer Mitarbeiterin über die der Mallory Corporation stellte. Vielleicht hatte er jeder Firma in Aussicht gestellt, sie bei erfolgreicher Vermittlung in Zukunft zuerst zu berücksichtigen, wenn er eine Stelle zu besetzen hatte. Also was sollte sie jetzt tun? Sie biss die Zähne zusammen, griff wieder zum Hörer und wählte. "Guten Morgen, hier Mr. Mallorys Büro", meldete sich eine leise Stimme. "Guten Morgen. Ich würde gern mit Mr. Mallory sprechen", erklärte Barbara forsch. "Mr. Mallory ist leider in einer Besprechung." "Das ist er immer", bemerkte Barbara trocken. "Könnten Sie mich trotzdem durchstellen? Es ist dringend."
"Er möchte nicht gestört werden. Wollen Sie eine Nachricht hinterlassen?" Barbara dachte einen Moment nach. "Ja", erwiderte sie schließlich. "Die Nachricht lautet: .Auch in einer Million Jahren nicht'. Er weiß dann Bescheid." Dann knallte sie den Hörer auf die Gabel. Ihr erster Gedanke war, bei einer der Firmen anzurufen, in denen sie im Lauf der Jahre gearbeitet hatte. Eigentlich durften die Mitarbeiterinnen der Zeitarbeitsfirmen sich nirgends in Eigeninitiative bewerben, doch es war auch nicht in Ordnung, dass man sie dort links liegen ließ, weil sie den Job bei Charles abgelehnt hatte. Vielleicht würde sie etwas finden, doch es würde eine Weile dauern, und vorerst konnte sie an nichts anderes denken als daran, dass sie wütend war. Schließlich entschied sie, zu Charles zu gehen, um ihrer Wut freien Lauf zu lassen, und sich danach einen Job zu suchen. Eine halbe Stunde später betrat Barbara das große marmorne Foyer der Mallory Corporation und fuhr mit dem Aufzug in den zwölften Stock. Nachdem sie sich erfolgreich mit der Empfangsdame geschlagen hatte, ging sie den Flur entlang zu Charles' Büro, das sich hinten in der Ecke befand. Im Vorzimmer saß eine junge Frau am Computer, die weinte. Barbara ging zur Tür und öffnete sie schwungvoll. Leider war Charles nicht in seinem Büro. "Wo ist er?" fragte sie. "Er ist in einer Besprechung", erwiderte die junge Frau unter Tränen. "Und wo findet dieses kleine Tete-ä-Tete statt?" "Wie bitte?" Seufzend nahm Barbara eine Packung Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche und reichte sie der jungen Frau. "Die Besprechung. Wo findet sie statt?"
Diese deutete auf ein Konferenzzimmer. Vielleicht war Charles tatsächlich in einer Besprechung. Umso besser, dachte Barbara. Sie ging zu der Tür und öffnete sie schwungvoll. Etwa zwanzig Männer in dunklen Anzügen wandten sich ihr zu. Sie waren unterschiedlichen Alters und unterschiedlich attraktiv, doch keiner von ihnen war einen zweiten Blick wert, denn gegen Charles, der am Kopfende des Tisches saß, verblassten sie alle. Wider Erwarten wirkte er nicht verärgert, sondern zog lediglich eine Augenbraue hoch. "Ich bin froh, dass du kommen konntest, Barbara", sagte er gewandt. Barbara stand auf der Türschwelle, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihre blauen Augen sprühten Funken, und ihr rotes Haar schien förmlich zu knistern. Schon besser, dachte Charles zufrieden und beschloss, seiner Personalleiterin eventuell einen Blumenstrauß zukommen zu lassen. In etwas gestelztem Deutsch erklärte er den Anwesenden, dass Miss Woodward seine Assistentin sei. "Nein, das bin ich nicht", sagte Barbara. Daraufhin erhob sich irritiertes Gemurmel. Sie hörte Tschechisch, Polnisch und etwas, das wie Arabisch klang. Charles blickte sie herausfordernd an. "Ich möchte etwas mit dir besprechen", fuhr sie fort. "Wollen wir nach nebenan gehen oder es hier tun?" Er zuckte die Schultern und stand auf. "Würden Sie mich bitte entschuldigen, meine Herren? Es dauert nicht lange." Dann folgte er ihr in sein Büro. "Ich weiß zwar nicht, was das soll, aber konnte es nicht warten?" "Nein, das konnte es nicht!" rief sie wütend. "Wie konntest du es wagen, mich bei allen Agenturen zu verlangen und sie anzuweisen, mir keine anderen Jobs zu vermitteln?" "Hast du mich deswegen hergebracht?" Wütend funkelte er sie an. "Es ist ganz normal, eine bestimmte Mitarbeiterin zu verlangen. Da ich unbedingt jemanden brauche, habe ich die
Personalleiterin beauftragt, bei allen Zeitarbeitsfirmen anzurufen, für die du gearbeitet hast. Natürlich haben wir ihnen nicht gesagt, dir andere Tätigkeiten zu verweigern. Aber nun, da du schon mal hier bist, kannst du dich genauso gut nützlich machen." "Nützlich!" wiederholte sie außer sich vor Wut. "Wir haben einige Probleme mit dem Protokoll", erklärte er kühl. "Die junge Frau, die bei uns gearbeitet hat, hat ihre sprachlichen Fähigkeiten leider überschätzt." "Wirklich schade", bemerkte sie. Charles musterte sie finster. "Du hast gesagt, dass du Arbeit suchst." "Aber keine Sklavenarbeit." "Wir hatten vor, dich zu bezahlen", meinte er sarkastisch. "Ich zahle dir das, was die Zeitarbeitsfirma bekommen hätte hundert Pfund, wenn du heute bleibst, fünfhundert, wenn du die ganze Woche bleibst," "Abgemacht", erwiderte sie und folgte ihm zurück ins Konferenzzimmer. Die Männer dort waren wegen der Sprachprobleme in keiner guten Stimmung und betrachteten Barbara gereizt und anerkennend zugleich. Das dunkelblaue Shiftkleid, das sie trug, betonte ihre schlanke Figur. Charles spürte, wie sich die Stimmung schlagartig besserte. Als er auf Barbara hinunterblickte, sah er sie plötzlich mit anderen Augen. Sie war auffallend hübsch. Sie würden sie nicht so ansehen, wenn sie wüssten, was für ein kleines Biest sie ist, überlegte er gereizt. Barbara schloss die Tür hinter sich und folgte ihm ans Kopfende des Tisches. Nachdem sie neben ihm Platz genommen hatte, nahm sie Schreibblock und Stift zur Hand. Sofort begannen fünf Männer, gleichzeitig zu reden, und sie versuchte, die unterschiedlichen Sprachen zu verstehen. Allerdings fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren, da sie sich Charles' Gegenwart überdeutlich bewusst war.
Wenn sie auf ihren Block sah, fiel ihr Blick auf seinen muskulösen Schenkel, wenn sie einen der Männer anschaute, sah sie aus den Augenwinkeln Charles' markantes Profil. Umso erleichterter war sie, wenn er das Wort ergriff und sie sich ihm zuwenden konnte. Der Ausdruck in seinen grünen Augen war jedoch so kühl, dass sie sich zusammenreißen musste, um etwas Gescheites zu Papier zu bringen. Trotz der Konzentrationsschwierigkeiten stellte sie allerdings bald fest, dass ernsthafte Probleme auftauchten. Fast alle der Anwesenden konnten Deutsch, aber zwei sprachen Englisch, zwei Französisch und einer Italienisch, so dass oft ins oder aus dem Deutschen übersetzt werden musste. Nach einer Weile fiel ihr ebenfalls auf, dass der Mann, der dem Italienisch sprechenden Tschechen behilflich war, oft ungenau oder falsch übersetzte - ob absichtlich oder nicht, konnte sie nicht sagen. Nach einer halben Stunde machte sie eine Notiz, die sie Charles zeigte. Er nickte und schrieb: "Wir machen jetzt eine Kaffeepause". Obwohl es die ideale Gelegenheit war, ihm ihre Meinung zu sagen, hielt irgendetwas Barbara davon ab. Vielleicht war es der Tscheche, der ihrer Meinung nach von dem Polen, der für ihn dolmetschte, übervorteilt wurde. Daher holte sie Kaffee, und als es nach der Pause weiterging, nahm sie neben ihm Platz und dolmetschte für ihn. Schon bald zeigte sich, dass seine Meinung großes Gewicht hatte. Einige Punkte, auf die man sich zuvor geeinigt hatte, wurden geändert, sehr zum Missfallen der Anwesenden. Schließlich verkündete Charles, dass sie die Verhandlungen am nächsten Tag weiterführen würden. Während die Männer heftig diskutierend den Raum verließen, begann Barbara, ihre Notizen zu sichten. "Charles!" rief sie plötzlich. "Ich bin vielleicht blöd! Ich habe die ganze Zeit vom Italienischen ins Deutsche übersetzt, aber
ich hätte doch aus dem Tschechischen übersetzen können. Es ist zwar ein paar Jahre her, dass ich Tschechisch im Alltag gelesen habe, aber ich wäre bestimmt irgendwie zurechtgekommen." "Ich bin froh, dass du es nicht getan hast." Er streckte sich, dann wandte er sich ihr zu und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Dir ist es vielleicht nicht recht, aber du hilfst mir wahrscheinlich mehr, wenn die Leute nicht wissen, wie viel du verstehst. Vermutlich sind sie dann untereinander offener." Sie wollte gerade Einwände erheben, als ihr klar wurde, was los war. "Es spielt keine Rolle, ob ich damit einverstanden bin oder nicht", erklärte sie, "denn ich werde nicht für dich arbeiten. Hast du mich verstanden?" "Und ob. Ich hätte die Frau erwürgen können, weil sie dich nicht durchgestellt hat. Du hättest eine halbe Stunde früher hier sein können." "Wenn sie mich durchgestellt hätte, wäre ich nicht hergekommen. Was hast du bloß zu der Armen gesagt?" "Das weiß ich nicht mehr. Ich habe vermutlich irgendwelche Kraftausdrücke benutzt." Charles spielte mit seinem Stift. "Nun mach nicht so ein Gesicht, verdammt! Hast du eine Ahnung, wie viel Zeit und Geld es mich gekostet hat, diese Besprechung anzuberaumen? Sie sagte, sie könne Französisch und Deutsch, und dann hat sie sich als völlig inkompetent erwiesen. Also was erwartest du von mir?" "Ich erwarte, dass du ungehobelt bist", erwiderte sie. "Schließlich warst du das schon immer." "Oh, ich kann auch nett sein, wenn ich will." "Ja, wenn du eine Frau verführen willst", bemerkte sie scharf. "Dann sollte ich dir gegenüber wohl sehr unhöflich sein, damit du nicht auf falsche Gedanken kommst." Er tat seine Unterlagen in seine Aktentasche und machte diese zu. "Auf die Idee würde ich bestimmt nicht kommen. Das ist wirklich lächerlich!"
Nun trat eine kleine Pause ein. "Was ist daran lächerlich?" Er betrachtete sie mit unergründlicher Miene. "Du bist sehr schön. Dir ist doch sicher nicht entgangen, wie die Männer dich angesehen haben." Barbara atmete plötzlich schneller. "Ich dachte, du wolltest dich nicht mit deiner Sekretärin einlassen." "Und ich dachte, du würdest nicht für mich arbeiten. Sieht so aus, als könnte ich dich doch verführen." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Nein, das kannst du nicht. Du kannst bei der Firma anrufen und sagen, dass du mich nicht mehr brauchst, damit sie mir eine andere Stelle vermitteln." "Ich brauche dich aber." Nun blickte er wieder finster drein. "Wenn du das Protokoll nicht schreibst, wird niemand es tun. Bleib wenigstens noch diese Woche hier." Barbara schwieg. "Was ist so schlimm daran?" fuhr er ungeduldig fort. "Du wirst nicht die ganze Zeit in London sein. Wir werden nach Prag und Warschau reisen, und du wirst interessante Leute kennen lernen; Du wirst deine Arbeit hervorragend machen und zusätzliche Qualifikationen erwerben. Ich habe keine Ahnung, warum du so verdammt misstrauisch bist. Alles, was du jetzt hast, sind ein schlechtes Abschlusszeugnis und Berufserfahrung als Aushilfe, und das wird dir nicht gerade den Weg in die höheren Ränge der Geschäftswelt ebnen." "Ich will gar nicht in die höheren Ränge der Geschäftswelt vordringen", sagte sie. "Ich langweile mich sehr schnell." "Dieser Job wird dich bestimmt nicht langweilen. Und du eignest dich hervorragend dafür. Also zier dich nicht so." "Ich ziere mich nicht", entgegnete sie scharf. "Aber wenn es dir so viel bedeutet, von mir aus. Wie viel versprichst du dir von diesem Projekt?" "Wenn es gut läuft, einige Hundert Millionen ..." "Also gut", meinte sie. "Ich möchte 25 000 Pfund."
"Abgemacht." "Plus Überstunden." "Abgemacht." "Plus fünf Prozent der Aktien." "Wie bitte?" "Du hast mich ganz richtig verstanden." "Hast du den Verstand verloren?" "Nein, das habe ich nicht. Du könntest 100.000 Pfund zahlen, um eine hoch qualifizierte Kraft zu bekommen und würdest am Ende immer noch gut dastehen. Wenn du so viel Geld zur Verfügung hast, brauchst du mich nicht. Ich komme morgen wieder und tippe das Protokoll, aber nächsten Monat werde ich nach Sardinien fliegen, und du wirst mich nicht davon abhalten." Charles blickte seiner Pseudoschwester in die funkelnden blauen Augen und fragte sich, ob eine richtige Schwester ihn auch nur halbwegs so wütend gemacht hätte. Wollte er sich das wirklich ein Jahr lang zumuten? Er wollte Barbara gerade sagen, sie solle doch nach Sardinien fliegen, als ihm in den Sinn kam, was seine Personalleiterin zu ihm gesagt hatte: "Die wirklich erfahrenen, hoch qualifizierten Kräfte können sich ihre Jobs aussuchen. Wir bieten natürlich gute Konditionen, aber sie bekommen woanders dasselbe Geld, und sie lassen sich nicht gern anschreien." Es gibt solche Konditionen und solche, dachte er grimmig. Ruhig sah er Barbara an. "Du weißt genau, dass du das nicht bekommst", erklärte er schließlich. "Du willst also einen Bonus. Also mach mir ein neues Angebot." Starr erwiderte sie seinen Blick. Das Problem war, dass sie keinen Bonus wollte, sondern den Job nicht wollte. Aber wenn er wirklich bereit war, ihr viel zu zahlen, brauchte sie in absehbarer Zeit keine Aushilfsjobs mehr anzunehmen ... "Für dieses Projekt werden neue Aktien ausgegeben, stimmt's?" fragte sie.
"Ja", erwiderte er kurz angebunden. "Ich möchte fünf Prozent davon." Seine Augen wirkten hart. "Versuch's weiter." Sie betrachtete ihn nachdenklich und überlegte' dabei, wie weit er gehen würde oder was ihn am meisten ärgern würde. Und plötzlich wusste sie, was sie sagen musste. Einige Jahre zuvor hatte Charles eine kleine Firma gegründet, um diverse Erfindungen, die nicht in das Programm der Mallory Corporation passten, zu lancieren. Verglichen mit dieser, war sie völlig unbedeutend, doch sie, Barbara, hatte das Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie Rekordumsätze machen würde. Auf dem Papier war die Firma allerdings kaum etwas wert, und der Aktienpreis war dementsprechend niedrig. Es gab also keinen Grund, warum Charles ihr nicht einige Aktien geben sollte. "Fünf Prozent von Mallorin", sagte sie daher. "Und das ist mein letztes Angebot." Charles schob die Hände in die Hosentaschen und schwieg. Nachdem er eine Weile zu Boden geblickt hatte, sah er sie mit unverhohlener Abneigung an. "Also gut", sagte er schließlich. "Bis zum Ende der Woche wirst du den Vertrag bekommen. Aber die fünf Prozent bekommst du nur, wenn du ein Jahr bleibst." Er reichte ihr die Kassette mit den Aufzeichnungen. "Und bei der Bezahlung erwarte ich, dass das Protokoll bis morgen fertig ist und du um Punkt sieben im Büro bist." Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er das Konferenzzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
4. KAPITEL Barbara blieb bis Mitternacht im Büro, um das Protokoll fertig zu stellen. Da Charles sie wegen ihrer Sprachkenntnisse engagiert hatte, verfasste sie es in Englisch, Französisch und Deutsch, vervielfältigte es und legte den Stapel auf ihren Schreibtisch. Am nächsten Morgen wachte sie um sechs auf, als ihr Wecker klingelte. Sie stellte ihn aus und kuschelte sieh wieder in die Kissen. Als ihr jedoch einfiel, warum sie ihn gestellt hatte, setzte sie sich auf und blickte aus dem Fenster. Es war ein herrlicher Tag ideal, um nach Sardinien zu fliegen. Doch stattdessen hatte sie sich bereit erklärt, für lediglich fünf Prozent der Mallorin-Aktien ein Jahr lang Sklavenarbeit zu leisten. Um Viertel nach sieben betrat sie den Aufzug im MalloryGebäude, ein Papptablett mit drei Bechern Kaffee und verschiedenen Gebäcksorten in Händen. Einen Becher konnte Charles haben. Sie würde mindestens zwei brauchen, um die Augen offen halten zu können. Um siebzehn Minuten nach sieben verließ sie den Aufzug. Die Tür zu Charles' Büro stand offen. "Du kommst zu spät", ließ Charles sich von drinnen vernehmen.
Vorsichtig ging Barbara auf den Raum zu. Da er nach Osten hin lag, fiel helles Sonnenlicht in den Flur. Sie kniff die Augen zusammen, als sie ihn betrat, und zuckte dann zusammen. "Ich habe dir doch gesagt, dass du um Punkt sieben hier sein sollst." Charles ging auf und ab, ein Diktiergerät in der Hand. Er war frisch rasiert, wie immer tadellos gekleidet und wirkte geradezu unerträglich ausgeschlafen und energiegeladen. "Ich habe Frühstück mitgebracht", erklärte sie. "Ich esse nichts." "Natürlich. Du bist viel zu beschäftigt. Ich verstehe. Du machst weiter, und ich soll auch sofort anfangen." Charles machte ein finsteres Gesicht. "Es ist absolute Zeitverschwendung. Wenn du morgens Probleme hast, wach zu werden, dann solltest du vielleicht gleich nach dem Aufstehen eine Runde joggen." Barbara erschauerte. "Machst du das morgens auch?" "Ich war eine Stunde im Fitnessstudio." Sie sank auf seinen Schreibtischsessel, nahm einen Becher Milchkaffee, der extra stark war, und hob ihn an die Lippen. Charles ging vor seinem Schreibtisch auf und ab. "Kümmer dich nicht um mich", sagte sie freundlich, etwas belebt durch den Kaffee. Dann nahm sie ein Croissant vom Tablett und biss hinein. So konnte sie vielleicht am Leben bleiben. "Ich hoffe, du beabsichtigst nicht, deine Überstunden auf der Grundlage zu berechnen, dass du um sieben anfängst", erklärte er scharf. "Glaubst du wirklich, du bist fünf Prozent einer Firma wert?" Barbara gähnte. "Eher zehn Prozent, aber du hast ein gutes Geschäft gemacht." Wütend funkelte er sie an. Er sieht wirklich fantastisch aus, dachte sie schläfrig. Und es musste fantastisch sein, morgens neben ihm aufzuwachen. Nur würde sie nie Gelegenheit dazu
haben, weil er bereits mitten in der Nacht ins Fitnessstudio verschwand. "Von wegen!" "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du sehr attraktiv bist, wenn du wütend bist?" erkundigte sie sich verträumt. "Müssen wir das jetzt etwa jeden Morgen durchmachen?" "Jeden Morgen!" Entsetzt sah sie ihn an. "Du fängst doch nicht immer so früh an, oder?" "Und ob", erwiderte er gereizt. "Und das wirst du auch." "Nein, das werde ich nicht." Sie stellte den Becher auf den Schreibtisch und stand auf. "Das werde ich nicht ein Jahr lang mitmachen. Ich habe das Protokoll auf Englisch, Französisch und Deutsch verfasst. Die Kopien liegen auf meinem Schreibtisch. Es musste gut verständlich sein. Ich fliege nach Sardinien." Charles ging ins Vorzimmer und kehrte mit den Kopien in der Hand zurück, die er dann durchblätterte. "Das ist gut", sagte er schließlich. "Das freut mich", erwiderte sie, bevor sie in ein zweites Croissant biss. Wieder begann er, auf und ab zu gehen, wobei er weiter in den Kopien blätterte. "Also gut", meinte er dann. "Du kannst um acht anfangen." "Ich würde lieber nach Sardinien fliegen, aber ich habe nun mal zugesagt. Ich wäre bereit, um neun anzufangen." Er wollte offenbar gerade etwas sagen, als sein Blick auf die deutsche Version des Protokolls fiel, die nun oben lag. "Dein Blutzuckerspiegel ist zu niedrig", bemerkte sie. "Deswegen solltest du ausgiebig frühstücken, sonst bist du womöglich gereizt und ungeduldig..." "Ich bin nicht gereizt..." begann er. "Iss ein Croissant", drängte sie. "Oder ein Stück Gebäck. Dann geht es dir gleich besser."
Charles warf die Protokolle auf einen Stuhl. "Ich muss völlig übergeschnappt sein." "Nein, dein Blutzuckerspiegel ist nur zu niedrig", versicherte sie. Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie zu weit gegangen war, denn sie vergaß ständig, dass sie es nicht mehr mit dem lockeren, selbstironischen Siebzehnjährigen von damals zu tun hatte, sondern mit dem ehrgeizigen Unternehmer. Doch wenn sie sich erst einmal vor ihm fürchtete ... "Iss etwas, dann geht es mir besser", fuhr Barbara daher herausfordernd fort. "Ich habe dir extra etwas mitgebracht. Wenn eine Mitarbeiterin sich so viel Mühe gibt, solltest du ihr auch zeigen, dass du es zu schätzen weißt. Es hebt die Arbeitsmoral." In diesem Moment fiel ihr auf, dass sie plötzlich hellwach war. Mit Charles zu streiten wirkte offenbar Wunder. "Ich werde etwas essen, wenn es dazu beiträgt, dass du schneller fertig wirst und mit der Arbeit anfängst." Er legte einige Croissants auf einen Teller und nahm einen Becher Kaffee vom Tablett. Daraufhin begann sie, sich auf dem Schreibtischsessel zu drehen. "Ein toller Stuhl", bemerkte sie nach der vierten Umdrehung. "Machst du das auch manchmal?" "Nein." "Zu beschäftigt." Wieder drehte sie sich. "Du musst ein Vorbild für deine Mitarbeiter sein." Schließlich hielt sie an und blickte aus dem Fenster. Auf den Straßen war noch nicht viel los, da es erst halb acht war, doch die meisten Frühaufsteher betraten das Mallory-Gebäude, und zwar mit einer Aktentasche in der einen und einer Sporttasche in der anderen Hand - zweifellos eine Folge davon, dass Mr. Mallory mit gutem Beispiel voranging. Es hatte etwas Deprimierendes.
"Und nun zum Diktat", verkündete Barbara forsch, bevor sie sich mit dem Fuß von der Wand abstieß. Der Stuhl bewegte sich jedoch nur ein kleines Stück und blieb dann unvermittelt stehen. Als sie aufblickte, sah sie sich dem leuchtenden Vorbild der Belegschaft gegenüber, der sie mit grimmiger Miene musterte. Sie wollte gerade protestieren, als der Große Motivator ihre Arme umfasste und sie unsanft hochzog. "Findest du nicht, dass du endlich erwachsen werden solltest?" brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Offenbar hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Gut zu wissen, dachte sie. "Ich bin erwachsen", erwiderte sie, "Ich betrachte es nicht unbedingt als Maßstab für Reife, wenn man sich nicht auf Stühlen herumdreht." "Ich auch nicht", bestätigte er trocken. "Ich hatte an einige andere Dinge gedacht, wie zum Beispiel die Tatsache, dass du dein Talent vergeudest, solange ich dich kenne. Du solltest etwas auf die Beine stellen, Du solltest eine eigene Firma gründen, verdammt! Du könntest tun, was du willst..." "Ich habe getan, was ich wollte, bevor du dich eingemischt hast", sagte sie atemlose Charles hielt noch immer ihre Arme umfasst und funkelte sie an. Ihr ging durch den Kopf, dass er sie vielleicht genauso gehalten hätte, wenn er sie hätte küssen wollen. Das war etwas, was sie sich bei vorsichtigen Schätzung bereits ungefähr fünftausend Mal vorgestellt hatte, und weiter würde sie niemals kommen. Er zog spöttisch die Augenbrauen hoch. "Dein Ehrgeiz macht mich sprachlos." Ihr Blick fiel auf seinen sinnlichen Mund, den Charles nun verächtlich verzogen hatte. Was, wenn sie ihn küssen würde? Wenigstens würde sie dann erfahren, wie es war ...
"Ich weiß nicht, warum du dich beschwerst." Sie zwang sich, ihm wieder in die Augen zu sehen. "Ich dachte, du brauchtest eine mehrsprachige Sekretärin. Was würdest du ohne mich tun?" "Wahrscheinlich würde ich es schon irgendwie schaffen." Er schüttelte sie ungeduldig. "Was erwartest du denn von mir, wenn ich sehe, dass jemand, der genauso clever ist wie ich, alberne Witze reißt und sich wie eine Idiotin auf meinem Schreibtischstuhl dreht? Du solltest dich schämen." Wie schön seine Augen sind, dachte Barbara. Sie waren von dichten dunklen Wimpern gesäumt, und die Brauen waren sanft geschwungen. "Findest du mich wirklich hübsch?" erkundigte sie sich unvermittelt. Charles presste verächtlich die Lippen zusammen und ließ die Arme sinken. "Ich muss jetzt arbeiten. Vergiss, was ich gesagt habe. Mach mit deinem Leben, was du willst, solange du nur deine Arbeit tust." "Gestern hast du gesagt, ich sei hübsch", erinnerte sie ihn. "Hast du das ernst gemeint?" Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu. "Ja. Können wir jetzt weitermachen?" "Aber..." begann sie. "Aber was?" "Nichts." Wenn sie jetzt etwas sagte, dann war es bestimmt etwas so Dummes, dass er sein schmeichelhaftes Urteil über ihre Intelligenz sofort revidieren würde. Fast hörte sie sich fragen: "Wenn ich eine eigene Firma gründe, wirst du mich dann küssen?" Keine gute Idee. "Angenommen, ich würde den Nobelpreis bekommen, würdest du dann nur für eine Nacht...?" Nein. Nein. Nein. Dass sie so früh aufgestanden war, hatte sie offenbar völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Vielleicht erschien ihr deshalb alles wie im Traum. Sie träumte manchmal von Charles, und in
ihren Träumen war er immer viel netter als in Wirklichkeit. Wenn er sie küsste, versuchte sie immer, nicht aufzuwachen. Er nahm das Band aus dem Diktiergerät und reichte es ihr. "Fang damit an. Ich habe die Namen und das Wesentliche raufgesprochen. Du kannst die Briefe verfassen, und ich unterschreibe sie anschließend." Erst in diesem Moment wurde Barbara bewusst, wie untypisch dieser heftige Gefühlsausbruch für Charles gewesen war. Statt die Kassette entgegenzunehmen, blickte sie ihn starr an. Seit wann interessierte er sich für irgendjemanden außer sich selbst? Mit siebzehn war er egoistisch und faul gewesen, jetzt war er egoistisch und ehrgeizig. Und seit wann verhielt er sich so widersprüchlich? Noch vor kurzem war sie für ihn nur ein Rädchen im Getriebe gewesen, und nun, da er sie eingestellt hatte, hielt er ihr vor Augen, dass sie ihr Leben mit einer Tätigkeit als solches vergeudete. Was war bloß mit ihm los? Einmal hatte sie geträumt, dass er schon immer in sie verliebt gewesen war. Leider war es seitdem nicht wieder vorgekommen, und es sah nicht so aus, als würde der Traum wahr werden, denn Charles, der ausgesprochen selbstbewusst war, würde seine Gefühle vermutlich nicht für sich behalten. "Glaubst du wirklich, ich sollte eine Firma gründen?" fragte sie. Seine Miene war undurchdringlich. "Tu, was du willst." "Glaubst du, ich könnte es?" "In Anbetracht deiner Aussage, dass du dich schnell langweilst, wohl kaum." Obwohl sie das Gefühl hatte, dass sie nicht weiterkam, wusste Barbara nicht, was sie noch fragen sollte. Sie nahm die Kassette entgegen, und als sie ihn dabei flüchtig berührte, verspürte sie ein heftiges Prickeln. Schnell zog sie die Hand zurück und betrachtete ihn verstohlen, um herauszufinden, ob er
etwas bemerkt hatte - oder genauso empfunden hatte. Doch er war bereits dabei, eine neue Kassette einzulegen. Sie nahm das Tablett mit ins Vorzimmer und schaltete den Computer ein. Keine der anderen Sekretärinnen, die in diesem Stockwerk arbeiteten, war bisher erschienen, doch es betraten immer mehr Leute mit Akten- und Sporttaschen das Gebäude, wie Barbara mit einem Blick aus dem Fenster feststellte. Einige von ihnen schienen gut in Form zu sein, aber keiner wirkte so energiegeladen wie Charles. Manch einer sah sogar ziemlich abgespannt aus. Charles verlangte seinen Mitarbeitern viel ab, wie sie aus Erfahrung wusste, und sie wusste ebenfalls, dass es sie oft zu Höchstleistungen anspornte. Aber mussten sie alle so müde aussehen? Barbara krauste die Stirn. Doch als sie sich daranmachte, die Briefe zu schreiben, dachte sie nicht mehr darüber nach.
5. KAPITEL Zwanzig osteuropäische Geschäftsmänner saßen an dem großen Konferenztisch und machten sich Notizen. Manchmal sagte einer von ihnen etwas auf Deutsch, und ein anderer, der die Sprache nicht verstand, schenkte Miss Woodward ein gewinnendes Lächeln und bat sie zu übersetzen. "Es ist besser, wenn Sie neben mir sitzen", hieß es dann, und die neunzehn anderen folgten der attraktiven Rothaarigen mit den Augen, wenn sie aufstand und um den Tisch herumging. Ich wäre auch neidisch, wenn ich sie nicht kennen würde, dachte Charles, während er beobachtete, wie Barbara wieder Platz nahm und dabei charmant lächelte. Wenn ich sie nicht kennen würde, würde ich sie sicher näher kennen lernen wollen, überlegte er weiter und betrachtete dabei ihr Gesicht. Sie war eine sture, widerspenstige ... Plötzlich fiel ihm ein, dass er sie an diesem Morgen praktisch in den Armen gehalten hatte. Genauso gut hätte er sie auch küssen können. Im Geiste sah er ihre schläfrigen blauen Augen vor sich, die weichen, vollen Lippen, und im Geiste neigte er den Kopf und ... Nein. Mühsam riss Charles sich zusammen. Er konnte es sich nicht leisten, sich derartigen Fantasien hinzugeben. Die Besprechung lief ausgesprochen gut. Nun, da Barbara dabei war, funkelten die Teilnehmer sich wenigstens nicht mit dem wütenden Ausdruck an, der besagte, dass sie keine Ahnung hatten, worüber gerade gesprochen wurde, es
ihnen aber auch egal war, weil sie sich ohnehin unsympathisch fanden. Er brauchte eine Sekretärin, und er würde Barbara eine Menge Geld zahlen, damit sie das nächste Jahr bei ihm blieb und ihn unterstützte. Daher durfte er es auf keinen Fall riskieren, sie zu verlieren, indem er sich ausmalte, wie es wäre, wenn ... Wieder riss er sich zusammen, und diesmal kostete es ihn noch mehr Mühe. Jemand anders ergriff nun auf Englisch das Wort, und der Mann, der zu seiner, Charles, Linken saß, lächelte Miss Woodward hilflos an und bat sie, für ihn zu dolmetschen. Die übrigen Besprechungsteilnehmer folgten Barbara mit den Augen, als sie aufstand und sich zwischen ihn und den Glücklichen setzte, der kein Englisch sprach. Er musste ein Lächeln unterdrücken, als sie sich zu dem Mann hinüberbeugte und etwas in der Sprache seiner Wahl zu ihm sagte. Sie sollte ihr Talent nicht so vergeuden, dachte er und nahm sich vor, noch einmal mit ihr darüber zu reden. Dann fiel ihm jedoch sein Gespräch mit ihr über dieses Thema ein, und er rief sich ins Gedächtnis, dass er es sich nicht leisten konnte, derartige Gedanken zu hegen. "Ich glaube, wir sind uns grundsätzlich einig", erklärte er dann. "Lassen Sie uns zur nächsten Frage übergehen." Barbara dolmetschte in leisem Tonfall für den Mann, der neben ihr saß. Es scheint nicht allzu schlecht zu laufen, überlegte sie dabei. Es war schwer für sie, mitzuhalten, denn neben dem Übersetzen versuchte sie, sich Notizen zu machen, und bemühte sich außerdem, Charles zu ignorieren. Nach ihrer Auseinandersetzung mit ihm schien sie sich seiner Gegenwart noch deutlicher bewusst zu sein, und immer wieder ließ sie den Blick in seine Richtung schweifen und musterte sein markantes Profil. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie so ein ganzes Jahr überstehen sollte.
Andererseits konnte sie erst um neun mit der Arbeit anfangen, wie sie sich ins Gedächtnis rief. Daher würde sie Charles nicht zu einer Zeit allein antreffen, in der sie eigentlich beide im Bett hätten liegen sollen. Und wenn sie ihm auch sonst gelegentlich aus dem Weg gehen konnte, würde sie es schon schaffen. Es verging eine Woche, in der Barbara glaubte, an ihrem Vorsatz festhalten zu können. Charles kam weiterhin zu nachtschlafender Zeit ins Büro und ging gegen neun, weil er noch eine Verabredung zum Abendessen hatte. Sie kam um neun und blieb bis mindestens zehn, wobei sie über ihre Überstunden peinlich genau Buch führte. Sie hatte so viel zu tun, dass es ihr oft gelang, fünf oder zehn Minuten überhaupt nicht an ihn zu denken. Er machte keine Bemerkungen mehr über ihr Aussehen und empfahl ihr auch nicht mehr, eine Firma zu gründen. Doch leider gab es mit Charles irgendwann immer Probleme. Er versuchte nicht nur, den osteuropäischen Markt zu erobern, sondern expandierte auch immer noch innerhalb des Vereinigten Königreichs. Derzeit arbeitete man an einem Angebot für die Entwicklung eines individuell zugeschnittenen Softwarepakets sowie eines umfangreichen Schulungsprogramms für eines der größten Unternehmen des Landes. Mike Carlin, der zuständige Projektleiter, war außerdem für die Akquisition neuer Kunden in Polen zuständig. Am Montagnachmittag rief Charles ihn zu sich, um den Stand der Dinge zu besprechen. Barbara führte Protokoll. Mike sah übernächtigt aus, doch Charles schien es nicht zu bemerken, sondern überschüttete ihn mit Fragen, die Mike irgendwie beantwortete. "Es scheint gut zu laufen", erklärte Charles schließlich. "Ich muss Ihnen ja nicht sagen, dass Zeit von entscheidender Bedeutung ist." Er lächelte jungenhaft. "Apropos... Gerade hat
jemand von Barrett angerufen und gesagt, in zwei Wochen wollen sie das Angebot haben. Es bleibt also noch genug Zeit für die Feinabstimmung. Wie sieht es aus?" Mike schien noch blasser zu werden, als er ohnehin schon war. "Na ja, es wird", erwiderte er stockend. "Ich würde gern sehen, wie weit Sie inzwischen sind." "Es ... es ... es sind sechs verschiedene Punkte. Man kann sich noch kein richtiges Bild davon machen ..." "Das reicht mir", meinte Charles. "Ich lasse es mir von Ihrer Sekretärin bringen." Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer. "Hier Mallory. Könnten Sie mir bitte die Barrett-Akten bringen? Barrett. Richtig. Und beeilen Sie sich bitte, ja?" Nachdem er aufgelegt hatte, besprach er mit Mike einige Punkte, die die polnischen Kunden betrafen. Ungefähr eine Viertelstunde später betrat eine Sekretärin den Raum, eine einzige dünne Akte in der Hand. "Das ist leider alles, was ich finden konnte", entschuldigte sie sich. Charles nahm die Akte entgegen und blätterte sie durch. Sie enthielt lediglich einige in Stichworten abgefasste Vorschläge. "Ich brauche den aktuellen Stand der Dinge", sagte er ungeduldig. "Mike, holen Sie mir doch bitte die Akten." Als Barbara Mikes verzweifelten Gesichtsausdruck sah, sagte sie aus einem Impuls heraus: "Ich habe die Akte noch nicht nach unten geschickt, Charles. Tut mir Leid, mir war nicht ganz klar, wovon du sprichst." Beide Männer sahen sie verständnislos an. "Ich habe einige Male bei Barrett gearbeitet", improvisierte sie weiter. "Man ist dort sehr penibel. Mr. Carlin hat mir seine Entwürfe gegeben. Sie waren nicht schlecht, aber einiges war verbesserungsbedürftig. Ich habe ihm vorgeschlagen, sie durchzugehen und Vorschläge zu machen." "Dann lass mal sehen", meinte Charles.
"Sei nicht albern", erwiderte sie, woraufhin Mike und die Sekretärin sie beinah ehrfürchtig betrachteten. "Es ist sinnvoller, wenn du sie erst siehst, nachdem ich sie den Anforderungen von Barrett entsprechend umgestaltet habe." "Also morgen." "Am Freitag sind sie fertig." "Ich würde sie gern morgen haben", beharrte er. "Mal sehen, was ich tun kann", sagte sie freundlich. "Ich gehe davon aus, dass du mich heute nicht mehr brauchst." "Heute kann ich dich nicht entbehren", entgegnete er. "Gut, dann bekommst du die Akte am Freitag." Sie lächelte engelsgleich, bevor sie hinzufügte: "Ich habe noch einige Fragen an Mr. Carlin. Also wenn es dir recht ist, gehe ich jetzt mit ihm in sein Büro." Sie wandte sich an Mike, der daraufhin unmerklich nickte. Sobald sie in seinem Büro waren, sank er auf seinen Schreibtischstuhl und barg das Gesicht in den Händen. "Danke, dass Sie mir zu Hilfe gekommen sind", meinte er, "aber früher oder später wird er es sowieso erfahren. Ich schaffe es einfach nicht. Am besten sage ich es ihm gleich ..." Barbara hatte die Akte aufgeschlagen. Sie enthielt kaum mehr als einige Notizen. "Hat Mallory keine anderen Angebote gemacht?" fragte sie. "Doch, aber keins in diesem Umfang. Die Zeit ist ohnehin zu knapp, selbst wenn ich mich nur damit befassen würde." Er schloss für einen Moment die Augen. "Sicher haben Sie von Barrett einiges an Material bekommen, oder?" hakte sie nach. "Ja, aber Sie verstehen offenbar nicht", sagte er scharf. "Die Zeit ist einfach zu knapp ..." "Für Sie. Natürlich verstehe ich das. Aber für mich ist es nicht zu spät." Aufmunternd lächelte sie ihm zu. "Ich habe tatsächlich einmal für Barrett gearbeitet und weiß, was man dort erwartet. Ich werde einen Rohentwurf machen. Wenn Charles
den vorliegen hat, sagen Sie ihm, dass das Polen-Projekt Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert und jemand anders das Barrett-Projekt weiterführen soll." Mike betrachtete sie müde. "Ich kann doch nicht Ihre Arbeit als meine ausgeben." Barbara zuckte die Schultern. "Sie wissen, dass Sie gute Arbeit leisten. Nächstes Mal lassen Sie sich von Charles nicht mehr aufdrücken, als Sie bewältigen können. Auf lange Sicht ist das auch besser für die Firma. Und darum geht es doch, oder?" Stirnrunzelnd trommelte er auf den Schreibtisch. "Ich weiß nicht... Mallory sagt, Sie seien hervorragend, aber ..." "Aber was?" "Er hat mir eine Geschichte über Vendler Morris erzählt. Es ging um einen Bericht über den Euro." Wieder schloss er kurz die Augen. "Ein typisches Vendler-Morris-Fiasko. Sie haben ständig neue Mitarbeiter darauf angesetzt und wieder abgezogen, bis schließlich ein heilloses Durcheinander herrschte. Dann haben sie eine Aushilfe eingestellt, die sich als eine Art verrückte Linguistin mit einem ausgeprägten Gespür für Zahlen erwies und drei Monate an dem Projekt gearbeitet hat..." Barbara unterdrückte einen Schauer. Man hatte sie damals mit der Versprechung gelockt, dass es auf keinen Fall länger als drei Wochen dauern würde, denn sie hatte anschließend nach Kreta fliegen wollen. Sie hatte eines der Dokumente Korrektur lesen sollen. Dabei hatte sie Unstimmigkeiten bei den Zahlen entdeckt und begonnen, diesen auf den Grund zu gehen. Aus den drei Wochen waren erst vier, dann fünf, dann sechs geworden, und immer noch hatte man sowohl bei Vendler Morris als auch bei ihrer Zeitarbeitsfirma gesagt, wenn sie nur noch eine Woche bleiben könnte, würde man alles unter Kontrolle bekommen. Dass Charles von dieser Geschichte wusste, war ihr neu, doch er hatte vor einigen Jahren Software
für Vendler Morris entwickelt. Offenbar hatte er damals davon gehört. Carlin betrachtete sie skeptisch. "Die Rede ist aber nicht von drei Monaten, sondern von drei Tagen." "Ja", bestätigte Barbara, "aber ich habe schon ganz genaue Vorstellungen. Es ist zumindest einen Versuch wert." Er wirkte vielmehr resigniert als überzeugt. "Wenn es Ihnen wirklich nichts ausmacht..." "Vermutlich wird es mir sogar Spaß machen", erwiderte sie wahrheitsgemäß. Sie nahm die Akte mit und verbrachte die Mittagspause zum ersten Mal nicht an ihrem Schreibtisch, sondern in der Cafeteria. Dort nahm sie sich einen Cappuccino und drei verschiedene Desserts und setzte sich in eine Ecke, um sich in Ruhe die Notizen sowie das Material anzusehen, das Barrett zur Verfügung gestellt hatte. Nachdem sie die Akte wieder zugeklappt hatte, zwang sie sich, nicht mehr daran zu denken. Vorerst hatte sie ohnehin keine Zeit dazu, da sie am Nachmittag diverse äußerst wichtige Dinge für Charles erledigen musste. Charles verließ um neun die Firma, da er wieder zum Abendessen verabredet war. Sie wusste immer die Namen der betreffenden Frauen, denn er schrieb sie in seinen Kalender und strich sie manchmal auch wieder durch. Heute Abend war es Karina. Wie sonst auch musste Barbara sich zwingen, sich nicht vorzustellen, wie Karina aussah, weil sie sich nicht unnötig quälen wollte. Sobald sie allein war, nahm sie die Akte hervor. Da ihr Schreibtisch sehr voll war, ging sie in Charles' Büro, um sich an seinem Besprechungstisch auszubreiten. Bedrückt betrachtete sie die Unterlagen. Das Problem war, dass sie nicht mit zwei, sondern drei Weltanschauungen konfrontiert war. Die Philosophie der Mallory Corporation war, dass die Evolution des Menschen auf Umwegen zu einer letzten und
größten Errungenschaft geführt hatte - dem Computer. Hardware war toll, Software noch toller, und es gab kein Problem, das nicht mit einer Kombination aus beiden gelöst werden konnte. Die Hochglanzprospekte bestachen durch zahlreiche Tabellen und Diagramme, und offenbar hatten sich bereits viele Kunden davon überzeugen lassen. Die Philosophie von Norman Barrett, dem zweiundsiebzigjährigen Gründer der Barrett Corporation, war, dass für eine florierende Firma lediglich eine mechanische Schreibmaschine und eine kompetente Schreibkraft Vonnöten waren. Alles Überflüssige wie zum Beispiel Hochglanzprospekte war ihm suspekt, da es seiner Meinung nach nur Kosten verursachte. Die Philosophie des Leiters des Benutzerservice bei Barrett war etwas fortschrittlicher, denn seiner Meinung nach war modernste Technologie unerlässlich für die Wettbewerbsfähigkeit einer Firma. Allerdings musste ein Softwarepaket seiner Ansicht nach komplexe Aufgaben verrichten können, durfte die Anwender jedoch nicht dazu verleiten, selbst damit herumzuexperimentieren. Angestrengt dachte Barbara darüber nach, wie sie allen gerecht werden konnte. Unterbewusst hatte sie sich den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, aber das Problem erschien immer noch unlösbar. Sie ging zu Charles' Schreibtischsessel, setzte sich darauf und begann, sich zu drehen ... Ihrer Meinung nach hatte es überhaupt keinen Sinn, die Lösung eines Problems zu erzwingen. Man musste sich Zeit lassen, bis man eine Eingebung hatte. Um elf hörte sie draußen Stimmen im Flur. "Tut mir Leid, dass ich dich mit in die Firma nehmen musste", sagte Charles. "Aber ich habe noch etwas zu erledigen."
"Macht nichts", erwiderte eine Frauenstimme. "Ich würde mir gern dein Büro ansehen." "Da gibt es nicht viel zu sehen", erklärte er mit einem amüsierten Unterton. Denkst du, dachte Barbara, die förmlich erstarrt war. "Ich gehe erst einmal für kleine Mädchen", meinte die Frau. "Das ist gleich um die Ecke", informierte er sie. "Die erste rechts, dann links, dann gegenüber vom Aufzug ..." "Wenn wir die zweite Flasche nicht auch noch geleert hätten, würde ich es vielleicht allein finden", erwiderte sie lachend. "Du musst wenigstens ein Stück mitkommen." "Was ist es dir wert?" "Was hattest du denn im Sinn?" Charles lachte. "Das sage ich lieber nicht. Komm, hier entlang." Barbara sprang auf, eilte zum Tisch und sammelte in Windeseile die Unterlagen zusammen. Sie konnte es nicht riskieren, sein Büro zu verlassen, aber wo sollte sie sich verstecken? Panikerfüllt sah sie sich um. Es gab einen Wandschrank, in dem immer ein Ersatzanzug hing, doch die Türen hatten keine Griffe. Sie lief auf die nächstbeste Tür zu und drückte dort, wo eigentlich der Griff hätte sein müssen. Die Tür schwang auf, und eine Überwachungskamera kam zum Vorschein. Als Barbara wieder Schritte im Flur hörte, quetschte sie sich in den engen Schrank und schloss die Tür hinter sich. Man konnte zwar nicht in den Schrank sehen, von hier aus aber den ganzen Raum überblicken. Sie beobachtete, wie Charles allein hereinkam, zu einem Aktenschrank ging und einige Unterlagen herausnahm. Dann lehnte er sich an den Schrank und blätterte in den Unterlagen. Kurz darauf kam die Frau herein. Barbara schluckte. Die Frau war groß und schlank, hatte unmöglich lange Beine und den Gang eines Models. Ihr Haar
war blond gesträhnt, ihre Augen blau. Sie war perfekt geschminkt und trug ein enges schwarzes Kleid mit einem dazu passenden Gehrock. Sie zog den Gehrock aus, während sie auf Charles zuging, und blieb schließlich neben ihm stehen. Charles schien die Akte interessanter zu finden als die atemberaubende Frau an seiner Seite, denn er blätterte immer noch darin. Nach ungefähr zwei Sekunden beschloss die Frau, die Initiative zu ergreifen. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und küsste ihn auf den Mund. Warum konnte ich das nicht? fragte sich Barbara. Weil du absolut keinen Grund zu der Annahme hattest, dass er an dir interessiert ist, meldete sich eine boshafte innere Stimme. Im Gegensatz zu dir hat er diese Frau immerhin zum Essen eingeladen. Schließlich legte Charles die Akte weg, legte der Frau einen Arm um die Taille und begann, sie routiniert zu küssen. Es sah nicht gerade so aus, als wäre er in Leidenschaft entbrannt, doch es schien ihm Spaß zu machen. Barbara spürte, wie ihr übel wurde. Natürlich hatte sie immer gewusst, dass Charles zahlreiche Freundinnen hatte. Allerdings war es etwas ganz anderes, es zu wissen, als es tatsächlich mitzuerleben. Zu sehen, wie er eine andere Frau küsste und dabei die Hand immer tiefer gleiten ließ. Ich sehe einfach nicht mehr hin, sagte sie sich und kniff daraufhin die Augen zu. Warum komme ich nicht darüber hinweg? überlegte sie verzweifelt. Sie mochte Charles ja nicht einmal. Aber immer, wenn sie ihn wieder sah, war es dasselbe ihr war, als würde sie der Schlag treffen, während er überhaupt nichts empfand. Würde ihr Leben immer so dahinplätschern? Barbara biss die Zähne zusammen. Ob es anders wäre, wenn sie mit ihm schlafen würde? Charles hatte sich ihr gegenüber schon einige Male abfällig über Frauen geäußert, hinter denen er her gewesen war und die er dann hatte fallen lassen. Einmal
hatte sie ihn sogar angeschrien und ihm vorgeworfen, er wäre egoistisch, doch er hatte lediglich die Schultern gezuckt und erwidert, er würde es nicht mit Absicht machen und wenn es einmal passiert wäre, dann wäre es eben passiert. Vielleicht schaffte sie es ja, ihn zu vergessen und ihr Leben weiterzuleben. Schließlich war er nichts Besonderes. Er hatte gesagt, sie wäre hübsch. Sie konnte ihn verführen und sich anschließend jemand anders suchen, der nicht so ein Mistkerl war. Noch immer hatte sie die Augen zusammengekniffen. Obwohl sie sich krampfhaft bemühte, an etwas anderes zu denken, schaffte sie es nicht. Viel war nicht zu hören. Was die beiden wohl gerade machten? Ich könnte ihn verführen, sagte sich Barbara, aber sie glaubte es eigentlich nicht. Vielleicht würde Charles darauf eingehen, wenn sie den ersten Schritt machte. Momentan konnte sie es sich durchaus vorstellen, die Initiative zu ergreifen, doch wenn sie ihm gegenüberstand, sah es schon anders aus. Da sie sich so stark zu ihm hingezogen fühlte, würde sie sofort die Nerven verlieren, wenn er spöttisch auf sie herabblickte. Als sie schließlich wieder die Augen öffnete, stellte sie fest, dass niemand im Raum war. Sie wollte gerade den Schrank verlassen, als ihr einfiel, dass Charles und die Frau womöglich noch in der Nähe waren. Daher wartete sie noch eine Viertelstunde, bevor sie herauskam und ihre Unterlagen wieder auf den Tisch legte. In diesem Moment fiel ihr die Lösung ein. Was sie anstreben mussten, war ein idiotensicheres Basisprogramm, das keine Schulung erforderte und mit dem auch eine Aushilfe zurechtkam. "So einfach zu bedienen wie eine Schreibmaschine", konnte der passende Slogan lauten. Entsprechend schlicht würde auch die Präsentation ausfallen. In einem anderen Abschnitt würde man auf die Optionen hinweisen, die den Kunden von Barrett offen standen. Später,
wenn das eigentliche Angebot erfolgte und auf die Marktchancen des Produkts hingewiesen wurde, konnte man die Hochglanzprospekte als Hilfsmittel benutzen und Mr. Barrett darauf hinweisen, dass er einiges für sein Geld bekam. Barbara setzte sich« an den Tisch und machte sich an die Arbeit. Auf ein leeres Blatt Papier zeichnete sie Kreise und Pfeile. Dann riss sie Seiten aus den Prospekten, ordnete sie neu an und kombinierte sie mit den Materialien, die Barrett zur Verfügung gestellt hatte. Als sie zufrieden war, stand sie auf und ging zu ihrem Computer. Einiges von dem Material, das sie brauchte, konnte sie als Datei abrufen. Nachdem sie Kopien davon angefertigt hatte, fuhr sie mit ihrer Arbeit fort. Obwohl sie sehr müde war, machte sie wie besessen weiter, um nicht an Charles denken zu müssen. Um vier Uhr morgens hatte sie einen vorläufigen Entwurf fertig gestellt.
6. KAPITEL "Morgen fliegen wir nach Prag. Buch uns einen Flug, so dass wir um zwei da sind, Business Class, und zwei Hotelzimmer für vier Nächte", sagte Charles. Es war Mittwochabend acht Uhr. Barbara krauste die Stirn. Sie liebte Charles, vertrat jedoch nicht die Ansicht, dass er der Mittelpunkt des Universums war. Daher wollte sie ihm auch nicht das Gefühl vermitteln, dass sein Ehrgeiz und seine Fähigkeit, niemanden an sich heranzulassen, ihm das Recht gaben, keine Unannehmlichkeiten auf sich nehmen zu müssen. Leider dachten seine Mitmenschen - oder zumindest der weibliche Teil - da anders. Wenn sie die anderen Frauen in der Firma ermunterte, sich gelegentlich bei ihm zu beschweren, wehrten diese immer gleich ab. Und ständig kamen atemberaubend schöne Frauen ins Büro, mit denen er zum Abendessen verabredet war, und warteten auf ihn, manchmal sogar eine Stunde. Keine von ihnen warf ihm je vor, dass er sich verspätet hatte oder bereits nach fünf Minuten wieder ging, so wie sie, Barbara, es getan hätte. Oft riefen sie auch aus dem Restaurant an, wo sie offenbar auf ihn warteten. Sie hätte ihm die kalte Suppe ins Gesicht geschüttet, doch es sah so aus, als würde er nie die Quittung für sein Verhalten bekommen. Alle schienen zu glauben, dass er ihnen einen Gefallen tat, wenn er überhaupt auftauchte. ' Es war höchste Zeit, ihm eine Lektion zu erteilen.
"Bitte", sagte Barbara. "Und versuch, die Unterlagen hier fertig zu machen, damit ich sie im Flugzeug bearbeiten kann." Er warf einen Stapel Papiere auf den Schreibtisch. "Bitte", sagte sie wieder. "Und vergiss nicht den Laptop - nein, bring gleich zwei mit. Ich gebe dir die überarbeitete Version, damit du im Flugzeug weitermachen kannst, aber ich brauche auch einige Dateien." "Wie heißt das Zauberwort?" Charles warf ihr einen finsteren Blick zu. "Ich dachte, ich würde dich ausreichend dafür entschädigen, dass du meine Launen erträgst. Für fünf Prozent der Mallorin-Aktien solltest du ohne das Zauberwort leben können." Barbara sah ihm in die Augen. "Das kann ich auch. Allerdings bist du zu allen anderen auch unhöflich, und die werden nicht überdurchschnittlich bezahlt." "Mir sind noch keine Klagen zu Ohren gekommen", meinte er schulterzuckend. "Nein, aber da du nie jemandem zuhörst, überrascht mich das auch nicht." Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch. "Es ist nett von dir, dass du dir so viel Mühe machst, aber lass es einfach, ja?" "Nein", erwiderte sie ausdruckslos und fuhr sich verzweifelt durchs Haar, bis es zu Berge stand. "Du hast hoch qualifizierte Mitarbeiter, aber sie liefern keine erstklassige Arbeit ab, denn wenn Probleme auftauchen, wollen sie dich damit nicht behelligen. Was für einen Sinn hat es, den osteuropäischen Markt zu erobern, wenn es nicht einmal hier richtig läuft?" "Auf Grund deiner langjährigen Erfahrung weißt du darauf sicher eine Antwort", sagte er. "Dazu braucht man keine Erfahrung. Ich bin erst seit kurzer Zeit hier und weiß bereits besser über den Laden Bescheid als du."
"Du hattest schon immer eine gute Auffassungsgabe", bemerkte er kühl. "Zumindest was meine Arbeit betrifft. Würde es dir etwas ausmachen, den Flug und die Zimmer zu buchen, bevor die Reisebüros schließen?" Barbara biss sich auf die Lippe und griff zum Telefon, um die Nummer des Reisebüros zu wählen, das sie immer anrief. Während sie in der Warteschleife hing, fuhr sie fort: "Du kennst mich, Charles. Wenn du eine Sekretärin gewollt hättest, die dir immer nach dem Mund redet, hättest du ohne weiteres jemanden finden können. Falls du gehofft hast, ich würde in den Lobgesang einstimmen, verschwendest du deine Zeit und dein Geld." Charles wollte gerade etwas erwidern, als sich die Mitarbeiterin des Reisebüros meldete. Nachdem Barbara den Flug und die Hotelzimmer gebucht hatte, legte sie auf. "Die bekommst du bis morgen." Sie nahm die Unterlagen vom Schreibtisch und drehte sich zum Computer um. Obwohl sie ihn nicht sah, spürte sie, dass Charles immer noch an ihrem Schreibtisch stand. Sie hörte, wie er den Hörer abnahm und eine Nummer wählte. Einige Sekunden vergingen. "Julia?" fragte er dann. "Hier Charles. Es gibt leider eine Krise, und es sieht so aus, als könnte ich nicht weg. Können wir es verschieben, bis ich aus Prag zurück bin? Du bist ein Schatz. Bye." Er legte wieder auf. "So, das wäre erledigt", meinte er dann kühl. "Das kann warten, Barbara. Lass uns zusammen essen gehen und alles besprechen." Barbara wirbelte auf ihrem Stuhl herum. " Was?" rief sie wütend. "Du versetzt diese Frau und besitzt die Frechheit, stattdessen mich zum Essen einzuladen?" Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch. "War sie eine Freundin von dir?"
Einen flüchtigen Moment lang suchte sie nach Worten, doch ihr fiel nichts Passendes ein. Sie hob die Hand und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Dann ließ sie die Hand wieder sinken und sah ihn herausfordernd an. Sie wusste, dass sie sich eigentlich bei ihm hätte entschuldigen müssen, aber das hatte sie schon seit Jahren tun wollen. Es war überfällig gewesen. Seine Wange hatte sich erst weiß, dann rot gefärbt. Das verschaffte ihr Genugtuung. Der Ausdruck in seinen Augen verschaffte ihr nicht ganz so viel Genugtuung, denn er war wütend und nachdenklich zugleich. Letzteres beunruhigte sie. "Ich dachte, ich sollte die Dreckarbeit selbst machen", erklärte Charles. "Wie konntest du das tun?" Wütend funkelte sie ihn an. "Denkst du überhaupt je an andere? Nur weil dir zufällig eingefallen ist, dass du noch etwas erledigen musst, meinst du ..." Zu ihrem Verdruss begann er nun, schallend zu lachen. Seine grünen Augen blitzten, und er wirkte plötzlich viel jünger. "Barbara, Schatz", meinte er lächelnd. "Falls du glaubst, ich würde lieber mit der einzigen Frau auf diesem Planeten essen gehen, die mir nicht immer nach dem Mund redet und von der ich nicht einmal einen Gutenachtkuss erwarten kann ... Ich dachte, es wäre dir wichtig. Die nächste Woche wird ziemlich hektisch. Also wenn es etwas zu besprechen gibt, sollten wir es jetzt tun. Außerdem hatte ich mich mit Julia nur locker verabredet." Wieder trat der nachdenkliche Ausdruck in seine Augen. "Das behauptest du", protestierte Barbara. "So wie ich es sehe, warst du der Meinung, du könntest deine Pläne im letzten Moment ändern. Aber woher willst du wissen, dass sie es auch so gesehen hat?" Charles zuckte die Schultern. "Weil es ein Spiel für Erwachsene ist, Schatz. Ich weiß, dass du es nicht spielst. Du
musst mir glauben, dass die Leute, die es tun, die Regeln kennen." "Und du stellst die Regeln selbst auf." Er lächelte nachsichtig und nahm ihren Mantel von der Garderobe. Barbara zögerte. Wenn sie am nächsten Tag nach Prag fliegen musste, blieb ihr weniger Zeit für die Vorbereitung der Präsentation bei Barrett. Bisher hatte sie lediglich einen ersten Entwurf, und daher lag eine arbeitsreiche Nacht vor ihr. Außerdem hatte Charles sich unmöglich benommen. Dafür durfte sie ihn nicht auch noch belohnen. Andererseits war es die ideale Gelegenheit, ihn auf die Probleme hinzuweisen, die sein Führungsstil nach sich zog. Und wann würde sie je wieder die Möglichkeit haben, mit ihm essen zu gehen? "Woher willst du überhaupt wissen, dass ich das Spiel nicht spiele?" erkundigte sie sich entrüstet. Hocherhobenen Hauptes ging sie um den Schreibtisch herum, um ihm ihren Mantel zu entreißen. Als er ihn ihr jedoch hinhielt, ließ sie sich widerstrebend von ihm hineinhelfen. Einen Moment lang lagen seine Hände auf ihren Armen, bevor er sie freigab. Er betrachtete sie mit einem bedauernden Lächeln, das völlig untypisch für ihn war. "Weil du dich seit deinem elften Lebensjahr nicht verändert hast." Obwohl sie sich dagegen wehrte, spürte sie, wie ihr Ärger unter seinem fragenden, beinah liebevollen Blick verflog. Doch sie kannte Charles. Er wusste genau, was er tat. Finster sah sie zu ihm auf. "Woher willst du das wissen?" "Das willst du bestimmt nicht wissen." Er lächelte charmant. "Du sagst immer noch das, was du denkst. Die erste Regel des Spiels ist, sich nichts anmerken zu lassen ..." "Es sei denn, du kannst jemanden überrumpeln. Die Regel gefällt mir nicht. Es bedeutet ja nicht, dass ich völlig unerfahren bin."
"Heißt das, ich kann dir doch einen Gutenachtkuss geben?" Seine Augen funkelten. "Ich kann es kaum erwarten." Unwillkürlich senkte Barbara den Blick. "Falls wir noch essen gehen wollen, dann lass uns aufbrechen", erklärte sie schroff. "Ich habe noch eine Menge zu tun." Eine halbe Stunde später saßen Barbara und Charles in einer kleinen Nische in einem Restaurant, das so teuer war, dass keine Preise in der Speisekarte standen. "In Anbetracht der Tatsache, was ich dir zahle, sollten wir uns die Rechnung eigentlich teilen", bemerkte Charles lächelnd in Anbetracht ihrer entsetzten Miene, als sie einen Blick in die Speisekarte warf. "Aber ich will nicht so sein. Du hast vor, mich zur Schnecke zu machen, weil ich meinen Mitarbeitern zu viel abverlange, stimmt's? Aber vergiss nicht, dass ich nicht immer so bin." Zum ersten Mal vergaß Barbara ihre Befangenheit. "Damit hat es nichts zu tun", sagte sie. "Du verlangst ihnen Unmögliches ab, und sie glauben, sie müssen es schaffen, weil sie sonst Versager sind." Er zuckte die Schultern. "Wenn man Ergebnisse haben will, muss man seine Mitarbeiter fordern." Ohne an den Preis zu denken, gab sie ihre Bestellung auf. "Du verlangst zu viel von ihnen. Sie sind alle überarbeitet, und wenn man überarbeitet ist, macht man dumme Fehler. Außerdem können sie nicht weit im Voraus denken, weil sie so überlastet sind." "Bisher scheint es funktioniert zu haben", erinnerte er sie. "Scheint so." Sie trank einen Schluck Wein. "Du vergisst, dass wir unter Zeitdruck stehen", meinte er. "Wir müssen uns ranhalten." Im Kerzenschein raten seine harten Züge noch deutlicher hervor. Barbara zwang sich weiterzusprechen, indem sie alles aufführte, was ihr bisher aufgefallen war. Er hörte geduldiger
zu, als sie erwartet hatte, doch sie hatte das Gefühl, dass er ihr lediglich ihren Willen ließ. Sie waren fast fertig mit dem Essen, als Charles schließlich lächelte. "Du hast vielleicht Recht, aber wir arbeiten an einem großen Projekt. Daher muss ich meinen Mitarbeitern noch eine Weile Unmögliches abverlangen." "Apropos", sagte Barbara, "ich muss noch einiges für die Präsentation bei Barrett machen. Brauchst du mich wirklich in Prag?" "Ja", erwiderte er. "Du musst nur noch formatieren, stimmt's? Leg mir morgen alles auf den Schreibtisch. Ich werde einen Blick darauf werfen, bevor wir fliegen, und es dann Mike geben, damit er es fertig stellt." Besorgt fragte sie sich, ob sie noch rechtzeitig fertig werden würde. Sie war mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen sehr zufrieden gewesen, doch bei der Vorstellung, dass Charles es nüchtern betrachtete, sah sie plötzlich nur noch die Schwachpunkte. "Also gut", sagte sie widerstrebend. Charles trank ebenfalls einen Schluck Wein und betrachtete sie nachdenklich über den Hand seines Glases hinweg. "Du bist wirklich sehr schön." Kühl erwiderte sie seinen Blick. "Die erste Kegel des Spiels lautet: ,Sag nicht, was du denkst'." "Wer hat gesagt, dass ich das Spiel spiele?" erkundigte er sich leise. Das Lächeln, das seine Lippen umspielte, ermutigte sie fortzufahren. "Du spielst immer irgendein Spielchen." Nun lachte er. "Stimmt", bestätigte er. "Das Komische ist, dass ich mir deine Freunde überhaupt nicht vorstellen kann. Auf welchen Typ Mann stehst du?" Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache, und Barbara blickte ihn starr an. "Oh, auf keinen bestimmten Typ", brachte sie schließlich mühsam hervor.
"Du hast viele Männer, stimmt's?" Er betrachtete sie spöttisch. "Und bist du besser als ich, wenn du sie sitzen lässt?" "Es könnte kaum schlimmer sein", erklärte sie scharf. Charles lachte schallend. Erschrocken stellte er fest, dass er sich nicht entsinnen konnte, wann er ein Abendessen das letzte Mal so genossen hatte. "Genossen" war nicht das richtige Wort. Er hatte sich bei Barbara beschwert, dass sie ihm ständig widersprach, aber Tatsache war, dass er sich in ihrer Gegenwart viel lebendiger fühlte als in Gegenwart anderer Frauen. Julia hätte ihm in allem zugestimmt, und er hätte die ganze Zeit gewusst, dass er sie haben konnte. Barbara dagegen ... Als er sich daran erinnerte, wie sie ihn geohrfeigt hatte, musste er wieder lachen. Barbara versuchte, das Gespräch wieder auf die Firma zu bringen, doch Charles bog ihre Fragen immer wieder ab. Schließlich sagte sie: "Wenn du nicht darüber reden willst, brauchst du es auch nicht. Ich gehe jetzt lieber ins Büro zurück." Er schüttelte den Kopf. "Ich will dir nicht zu viel abverlangen. Ich bringe dich nach Hause." "Lieber nicht, sonst muss ich morgen sehr früh erscheinen. Mir fällt es leichter, lange aufzubleiben." "Na gut. Vielleicht komme ich nach. Ich muss auch noch einiges erledigen." Sie wusste nicht, wie sie ihn davon hätte abbringen können. Aber wenn sie Glück hatte, bekam er nicht mit, was sie machte. Kurz darauf fuhren sie zur Firma zurück. Charles parkte den Wagen in der Tiefgarage und stellte den Motor ab. Dann wandte , er sich an Barbara. "Wahrscheinlich ist es gut, dass wir in die Firma zurückgefahren sind", meinte er. "Wenn ich dich nach Hause gebracht hätte, hätte ich vielleicht vergessen, dass du meine Sekretärin bist, und wäre noch mit reingekommen." "Ich bin nicht nur eine Sekretärin, sondern Aktionärin", erwiderte sie forsch. "Und es gibt keine Regel, die es verbietet,
mit Aktionärinnen zu schlafen. Andererseits besitze ich nur fünf Prozent der Aktien und bin eine hundertfünfzigprozentige Sekretärin. Daher sollten wir lieber nicht zu weit gehen." Es war fast dunkel im Wagen. Wenn sie seine Züge hätte erkennen können, hätte sie das wahrscheinlich nicht gesagt. Nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, erwiderte er: "Wenn jemand anders das zu mir gesagt hätte, wusste ich, wie ich es verstehen sollte, aber bei dir bin ich mir nicht so sicher." Seine Stimme hatte einen amüsierten Unterton. "Falls ich es falsch verstanden habe, könntest du dann bitte daran denken, dass du mich heute Abend schon einmal geohrfeigt hast?" Er neigte den Kopf und presste die Lippen auf ihre. Aufseufzend drängte Barbara sich ihm entgegen. Am nächsten Tag würde es ihr vermutlich Leid tun. Es würde ihr vermutlich Leid tun, sobald es vorbei war. Denn es würde gleich vorbei sein, und dann würde Charles sie genauso behandeln wie seine anderen Eroberungen - wie Dreck. Doch es war noch nicht vorbei, und es war wunderschön. Was immer auch passieren mochte, zumindest küsste er sie einmal wirklich, und es war viel besser als in ihren Träumen. Vielleicht würde es von nun an auch in ihren Träumen schöner sein. Verlangend erwiderte sie das erotische Spiel seiner Zunge und hoffte dabei, dass er noch nicht aufhören und sie anschließend nicht verachten würde. Als er merkte, dass sie seine Zärtlichkeiten erwiderte, küsste er sie noch leidenschaftlicher, und ihr schien es, als würde er wesentlich mehr Begeisterung an den Tag legen als der Frau gegenüber, die er mit in sein Büro genommen hatte. Allerdings hatte diese Frau auch mit einer Akte konkurrieren müssen. Barbara legte ihm eine Hand um den Nacken und schob die Finger in sein kurzes Haar. Charles lachte kehlig und löste sich schließlich von ihr. "Wie weit kann man denn mit einer Aktionärin gehen, die fünf Prozent der Aktien besitzt?" fragte er leise.
Sie wandte den Kopf, so dass ihre Lippen wieder seine fanden. Nun würde er jeden Moment zu dem Ergebnis kommen, dass es vorbei war, obwohl es im Grunde nie richtig angefangen hatte. Sein Mund war so weich und doch so fest. Und offenbar hatte Charles sich vor dem Restaurantbesuch noch einmal rasiert, denn seine Haut war ganz glatt. Barbara legte die andere Hand auf seine Wange. Als er mit der Zungenspitze über die Innenseite ihrer Lippen strich, erwiderte sie das erotische Spiel, und er lachte wieder auf. "Barbara", sagte er, ohne sich von ihr zu lösen. Erneut begann er, sie noch leidenschaftlicher zu küssen, und sie war wie elektrisiert. So weit war sie noch nie mit einem Mann gegangen. Alle, die versucht hatten, sie richtig zu küssen, hatten ihr daraufhin vorgeworfen, sie würde nichts für sie empfinden. Natürlich hatte sie nicht gesagt, dass sie sogar sehr viel empfand, allerdings für einen überheblichen Egoisten, gegen den sie so viel Sex-Appeal hatten wie eine nasse Socke. Was soll ich tun? fragte sich Barbara. Wenn sie einfach nur dasaß, würde Charles denken, sie wäre völlig unerfahren und würde sich noch mehr einbilden, als es ohnehin schon der Fall war. Plötzlich ging die Beifahrertür auf, und Charles löste sich von ihr. Dann öffnete er seine Tür, stieg aus und knallte die Tür zu. Benommen blickte Barbara ihn an. Was, in aller Welt, hatte sie falsch gemacht? Charles war um den Wagen herumgegangen und stand nun neben ihrer Tür. Er atmete schwer. "Komm, Fünf Prozent", sagte er leise. "Ich kann dich nicht richtig küssen, wenn der Schaltknüppel im Weg ist." Er nahm ihre Hand, zog sie aus dem Wagen und schloss die Tür hinter ihr. Barbara lehnte sich gegen den Wagen. Jetzt konnte sie sein Gesicht besser erkennen - die grünen Augen, die vor Verlangen funkelten, die Lippen, die noch feucht von ihren Küssen waren, und das zerzauste schwarze Haar. Sie konnte nur noch daran
denken, dass es wenigstens noch nicht vorbei war. Aus großen Augen blickte sie zu ihm auf. Charles neigte den Kopf, um die Lippen wieder auf ihre zu pressen, und sie legte ihm die Arme um den Nacken. Während er erneut ein erotisches Spiel mit der Zunge begann, drängte er sich ihr entgegen. Sie konnte nicht mehr klar denken, das Blut rauschte ihr in den Ohren, und sie nahm nur noch ihn wahr. Er schob ein Bein zwischen ihre, so dass sie spürte, wie erregt er war, und das war sehr aufregend. Selbst wenn er sie nicht liebte, körperlich begehrte er sie genauso wie sie ihn - zumindest in diesem Moment. Wenn sie wieder zur Vernunft kam, würde sie daran denken, dass er noch nie besonders wählerisch gewesen war. Aber noch musste sie nicht zur Vernunft kommen. Schließlich löste er sich von ihr. "Verdammt!" fluchte er leise. "Was ist?" brachte sie hervor. Dir Herz pochte wie wild. "Das weißt du verdammt gut." Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Sanft strich Charles ihr übers Haar. "Unter dem Feuer verbirgt sich Feuer", sagte er leise. "Aber dass ich es ausgerechnet jetzt herausfinden musste ..." Starr blickte sie ihn an. Seine grünen Augen verrieten ungezügelte Leidenschaft, und diese Leidenschaft hatte sie entfacht. "Ich kann dich nicht einmal fragen, wo du die ganze Zeit warst." Er schloss für einen Moment die Augen und wich dann einen Schritt zurück. Als er die Augen wieder öffnete, lag ein spöttischer Ausdruck darin, "wann immer du die Gelegenheit dazu hattest, hast du mir gesagt, was für ein egoistischer, überheblicher Mistkerl ich bin. Musstest du dich ausgerechnet jetzt mit dem Feind verbrüdern, Barbara?" "Ich habe mir den Zeitpunkt nicht ausgesucht", erwiderte sie atemlos. "Du hast mir noch nie vorher gesagt, dass du mich küssen willst."
"Selbst meine Überheblichkeit hat Grenzen", bemerkte Charles trocken, und sie sah, wie seine Brust sich hob und senkte. "Heißt das, du hättest es zugelassen, wenn ich dich gefragt hätte?" Barbara schluckte. "Vielleicht", meinte sie betont locker. "Nur um zu sehen, was an dir so toll ist." "Und wie lautet das Urteil?" Am liebsten hätte sie ihm eine spöttische Antwort gegeben, aber was hätte es genützt? Ihm war schließlich klar, was sie empfand. "Es war schön", erwiderte sie daher nur und betrachtete anerkennend seine Lippen. Er fluchte leise, dann lachte er. "Für jemanden, dem die erste Regel des Spiels nicht zusagt, bist du auch nicht schlecht. Komm, Fünf Prozent, lass uns nach oben gehen. Wir haben noch zu tun."
7. KAPITEL Während Barbara sich an ihren Computer setzte, ging Charles in sein Büro. Obwohl er viel zu tun hatte, saß er zunächst nur auf seinem Schreibtischsessel und blickte zum Fenster hinaus. Sein Herz klopfte noch immer schneller, Es war idiotisch von ihm gewesen, es so weit kommen zu lassen, aber er war schließlich auch nur ein Mensch. Als er daran dachte, wie weich ihre Lippen gewesen waren und wie leidenschaftlich Barbara seinen Kuss erwidert hatte, wunderte er sich darüber, dass er sich überhaupt hatte beherrschen können. Energisch versuchte er, sich zusammenzureißen und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er drehte sich mit dem Stuhl zurück, nahm einige Papiere aus seiner Aktentasche und betrachtete sie wütend. Barbara arbeitete unterdessen fieberhaft an dem Entwurf für die Präsentation, der am nächsten Morgen fertig sein musste. Um drei Uhr druckte sie die Unterlagen aus und tat sie in eine Mappe, die sie in Charles' Eingangskorb legte. Charles, der gerade in einer Akte blätterte, blickte auf, als sie sein Büro betrat. "Sind das die Unterlagen für die Präsentation bei Barrett? Prima. Ich sehe sie mir gleich morgen früh an. Da wir erst um zehn zum Flughafen fahren müssen, haben wir vorher noch etwas Zeit." Es ärgerte sie ein wenig, dass er nicht gleich einen Blick hineinwerfen wollte, doch es war seine Entscheidung.
Er stand auf. "Wenn das alles ist, bringe ich dich jetzt nach Hause." "Du hast mir noch etwas zum Schreiben gegeben, bevor wir zum Restaurant gefahren sind", erinnerte Barbara ihn. "Das kannst du morgen machen, bevor wir aufbrechen. Erzähl mir nicht, dass ich dich nicht nach Hause bringen soll, Fünf Prozent. Darauf freue ich mich schon die ganze Nacht." Sie spürte, wie ihr erst heiß und dann kalt wurde. "Auf den Nachtbus werde ich jedenfalls nicht warten", erklärte sie scharf. Während der Fahrt schwieg Charles, und Barbara hing ihren Gedanken nach. Sicher würde er sie nach dem, was vorgefallen war, nicht einfach absetzen, oder doch? Glaubte er, sie erwartete, dass er sie wieder küsste? Würde er mit hineinkommen wollen? Schließlich hielt er vor dem Haus, in dem sie wohnte, und stellte den Motor ab. Sie öffnete die Beifahrertür. "Danke für's Bringen", sagte sie höflich. "Ich begleite dich zur Tür", erklärte er ausdruckslos. Er stieg aus, kam um den Wagen herum, um ihr herauszuhelfen, und brachte sie dann zur Tür. Sie öffnete ihre Handtasche und suchte darin nervös nach dem Schlüssel. "Was machst du da, Barbara?" erkundigte er sich mit einem amüsierten Unterton. Erschrocken zuckte sie zusammen und ließ die Handtasche fallen, so dass der Inhalt über den Boden verstreut wurde. Sie ging in die Hocke, um die Sachen wieder einzusammeln, doch Charles kam ihr zuvor. Er kniete sich hin, drehte die Handtasche um und tat alles wieder hinein. Schließlich lag nur der Schlüsselbund auf dem Boden. Charles reichte ihr die Tasche, hob den Schlüssel auf und stand wieder auf. Sie erhob sich ebenfalls.
"Ich kann nicht lange bleiben", sagte er, während er die Tür aufschloss, "aber da du darauf bestehst, komme ich noch auf einen Sprung mit rein." Barbara musste ein nervöses Kichern unterdrücken. Er hielt ihr die Tür auf, folgte ihr hinein und schloss die Tür hinter ihnen. Einen Moment lang stand sie neben ihm im Dunkeln. Sie hätte das Licht einschalten sollen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Es war, als würden Charles und sie unwiderstehlich zueinander hingezogen. Später vermochte sie nicht mehr zu sagen, ob sie die Initiative ergriffen hatte. Ihr schien es, als würde sie nicht mehr dagegen ankämpfen, und plötzlich lag sie in seinen Armen, und er küsste sie leidenschaftlich. Ihr war, als würde sie mit ihm verschmelzen, und sie hatte ganz weiche Knie. Sie legte ihm die Anne um den Nacken und schmiegte sich an ihn. Er war wie ein Fels in der Brandung. Erst nach einer ganzen Weile löste Charles sich von ihr. "Ich sollte jetzt gehen", flüsterte er ihr ins Ohr, so dass sie seinen warmen Atem spürte. "Ja, das solltest du", bestätigte sie. "Ich tue es aber nicht. Los, Barbara, zeig mir, wie die anderen fünf Prozent leben." "Meine Wohnung ist oben, und die Treppe ist genau vor uns. Ich habe einen eigenen Eingang." Sein Lachen war wie ein Streicheln. "Gut, dass wir das geklärt haben. Komm, sehen wir uns deine Wohnung an, ja?" "Ja." Ohne das Licht einzuschalten, ging Barbara die Treppe hoch und hörte, wie Charles ihr folgte. "Du hast die Schlüssel", sagte sie atemlos, als sie oben war. Er hatte sie zweimal geküsst. Dreimal sogar, wenn der Kuss im Wagen und der Kuss im Haus einzeln zählten. "Stimmt. Welcher ist es?" Er hielt ihr den Schlüsselbund hin, und als sie auf den entsprechenden Schlüssel deutete und dabei flüchtig seine Hand
berührte, verspürte sie ein heftiges Prickeln. Wie ist es bloß möglich, dass er eine so verheerende Wirkung auf mich ausübt? überlegte sie verzweifelt. Sie war mit anderen Männern ausgegangen und hatte versucht, ihn zu vergessen. Doch wie sollte man jemanden vergessen, wenn die Küsse anderer Männer so aufregend waren wie nasse Socken? Charles schloss die Tür zu der kleinen Zweizimmerwohnung auf, in der sie seit fünf Jahren wohnte, und öffnete sie. Nachdem Barbara das Licht eingeschaltet hatte, ging sie ihm voran ins Wohnzimmer. Es war mit Büchern vollgestopft, und auf dem Kaminsims standen einige Familienfotos, unter anderem ein Gruppenbild, das an einem Weihnachtsfest entstanden war und auf dem er auch war. Er schob die Hände in die Hosentaschen und begann, auf und ab zu gehen. "Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Barbara lächelte verlegen. Nach dem leidenschaftlichen Kuss im Dunkeln war es komisch, in ihm Licht zu sehen. Und es war komisch, nein, wundervoll, dass er in ihrer Wohnung war, denn niemals hätte sie es sich träumen lassen, dass er sie hier besuchen würde. Später, wenn er seine nächste Freundin hatte, konnte sie sich in ihrer Wohnung umblicken und würde ihn im Geiste vor sich sehen. Plötzlich hockte er sich vor ein Regal und nahm ein Buch heraus. "Dass du das noch hast..." "Welches Buch ist das?" fragte sie. "Zazie Dans le Metro. Ich habe es dir zu Weihnachten geschenkt, als du ungefähr vierzehn warst." "Natürlich habe ich es noch", erwiderte sie lässig. "Ich habe noch nie ein Buch weggeworfen." Es war das erste Buch auf Französisch, das sie gelesen hatte. Obwohl es schwer zu verstehen gewesen war, hatte sie sich tapfer hindurchgekämpft. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie es unter dem Tannenbaum ausgepackt hatte. Zuerst hatte
sie nicht gewusst, von wem es war, doch dann hatte sie seinen Namen gelesen, und ihr war klar gewesen, dass er es ihr nur ihrer Eltern zuliebe gekauft hatte. Trotzdem war es für sie das schönste Geschenk gewesen. "Ein kleiner Teufel hat einen anderen verdient", hatte die Widmung gelautet, und darunter hatte ihn kühner Handschrift sein Name gestanden. Charles sah sie mit funkelnden Augen an. "Dann ist mir einiges klar. Viele der Bücher kamen mir nämlich bekannt vor." "Es war sehr nett, dass du an mich gedacht hast", sagte Barbara höflich. Eine Zeit lang hatte sie alle Bücher, die er ihr je geschenkt hatte, nebeneinander aufbewahrt. Zum Glück hatte sie sie später unter die anderen geordnet, die in alphabetischer Reihenfolge standen. "Ja, nicht?" Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch. "Besonders in Anbetracht der Tatsache, dass ich ein egoistischer, arroganter Mistkerl bin." "Möchtest du einen Drink?" wechselte sie schnell das Thema. Er stand auf. "Nein, ich möchte keinen Drink. Ich möchte mich vergewissern, dass kein Irrtum vorgelegen hat." "Irrtum?" wiederholte sie. Nun lächelte er sein charmantes Lächeln, das so typisch für ihn war und bei dem sie immer weiche Knie bekam. "Im Wagen war es dunkel", sagte er ernst. "Dir ist vielleicht nicht klar gewesen, dass du einen egoistischen, arroganten Mistkerl geküsst hast, dem das Wohlergehen seiner Mitarbeiter egal ist. Unten im Treppenhaus war es auch dunkel. Ich hätte irgend jemand sein können." "Sei nicht albern", meinte sie von oben herab. "Es war doch nur ein Kuss. Dafür brauchte ich kein Führungszeugnis." "Das freut mich zu hören." Das Funkeln in seinen Augen strafte seinen ernsten Tonfall Lügen. "Du siehst ja selbst, dass ich immer noch derselbe egoistische, arrogante Mistkerl bin. Und ich möchte nicht, dass es dir zu spät bewusst wird, wenn ich dich wieder küsse."
Dann schob er eine Hand in ihr Haar und neigte den Kopf, um sie erneut zu küssen. Barbara legte ihm eine Hand auf die Schulter und öffnete bereitwillig die Lippen. Das ist jetzt das vierte Mal, dachte sie verwundert. Und da es vielleicht das letzte Mal war, dass er sie küsste, wollte sie es auskosten. Diesmal war sein Kuss sanfter als vorher. Charles hielt immer noch ihren Kopf umfasst, und obwohl er sie ansonsten kaum berührte, war sie sich seiner Nähe umso deutlicher bewusst. Bisher hatte sie ihn immer nur ansehen können, doch nun konnte sie alles tun, was sie wollte. Während sie die Hand höher gleiten ließ und in sein Haar schob, überlegte sie, wonach sie sich sonst noch gesehnt hatte. Oft hatte sie seine breiten Schultern und seinen muskulösen Oberkörper bewundert. Sie schob die andere Hand unter sein Jackett und ließ sie auf Seinem Rücken ruhen, während sie unter seinem zärtlichen Kuss förmlich dahinschmolz. Sie standen neben dem langen Sofa, das ihre Mutter ihr geschenkt hatte, und nach einer Weile setzte Charles sich und zog sie zu sich hinunter. Warum hört er jetzt auf? fragte Barbara sich verwirrt, als er sich dann plötzlich von ihr löste. "Macht es dir etwas aus, wenn wir die Bücher auf den Boden legen?" erkundigte er sich lächelnd. Ihr Blick fiel auf die Bücher, die auf dem Sofa lagen, und sie schüttelte den Kopf. Mit einer schwungvollen Bewegung fegte er die Bücher herunter. Dann schwang er die langen Beine aufs Sofa, legte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellbogen. "Willst du dich zu mir legen, Fünf Prozent?" Mit dem Gesicht zu ihm legte sie sich ebenfalls hin. Flüchtig streifte er ihre Lippen, und sie überlegte, ob es immer noch das vierte Mal war. Vielleicht auch viereinhalb, dachte sie.
"Leg dich auf den Rücken", sagte er leise. "Du hast jede Menge Platz." Sie drehte sich auf den Rücken und sah zu ihm auf. "Bist du dabei, mich zu verführen, Charles?" "Bestimmt nicht. Erstens bist du meine Sekretärin, und ich lehne es grundsätzlich ab, mich mit meiner Sekretärin einzulassen. Zweitens besitzt du lediglich fünf Prozent der Aktien, und daher kann ich nicht zu weit gehen, wie du selbst gesagt hast. Und drittens ..." Seine Augen funkelten amüsiert. "... haben wir die Zeit nicht." Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Das hier ist nur zur Probe. Stört es dich?" Da er so arrogant war, hätte sie eigentlich eine sarkastische Antwort geben müssen, aber der belustigte Ausdruck in seinen Augen war geradezu entwaffnend. Nun musste sie auch lächeln. Wie sollte sie eine finstere Miene machen, wenn der Mann, dem sie bisher nur in ihren Träumen näher gekommen war, sie bereits viereinhalb Mal geküsst hatte? Sie schüttelte den Kopf. "Dass du so nett bist, hat mich stutzig gemacht. Du fängst gerade an zu üben, stimmt's?" "Mh." Wieder streifte er ihre Lippen mit seinen. "Ich würde gern herausfinden, wie weit eine Aktionärin, die nur fünf Prozent der Aktien besitzt, mit einem großspurigen Firmeninhaber gehen würde, der nur an sich denkt..." Barbara lächelte ihn an. Von nun an würde sie immer, wenn sie auf ihrem Sofa saß, daran denken, wie sie hier mit Charles gelegen hatte. "Es scheint dich nicht allzu sehr zu stören", fuhr er fort. "Wenn man bedenkt, wie oft du mir ..." Wieder berührte er ihre Lippen. "... unmissverständlich zu verstehen gegeben hast ..." Noch ein Kuss. "... was du von mir hältst ..." Seine Augen funkelten. "Du bist so verdammt schön, Barbara." Dann wurde er ernst. "Aber wenn ich irgendetwas tue, was dir nicht gefällt, musst du es mir sofort sagen. Schließlich kann ich es mir nicht leisten, es mir mit meinen Aktionären zu verscherzen."
"Na gut." Ihr war, als würde sie sich in seinen grünen Augen verlieren. "Das freut mich, denn der egoistische, arrogante Mistkerl knöpft gerade das Kleid der Aktionärin auf, die fünf Prozent der Aktien besitzt." Er begann, ihr Kleid aufzuknöpfen, und sah ihr dabei unverwandt in die Augen. "Da er so egoistisch ist, weiß er vielleicht nicht, wann er aufhören muss." Aus großen Augen sah sie zu ihm auf. Seine Hand lag jetzt auf ihrer Taille, und Barbara wagte kaum zu atmen, aus Angst, den Bann zu brechen. "Hör nicht auf", flüsterte sie schließlich. "Ich muss aufhören", erwiderte er leise. "Ich habe alle Knöpfe aufgemacht." Dann schob er die Hand unter ihr Kleid und ließ sie einen Moment auf ihrem Schenkel ruhen, bevor er sie ganz behutsam höher gleiten ließ. Erneut hauchte er einen Kuss auf ihre Lippen. "Der egoistische, arrogante Mistkerl berührt jetzt deine Brust", flüsterte er, während er den Daumen über ihren BH gleiten ließ. "Hör auf damit", brachte sie hervor. Sofort zog er die Hand zurück. "Ich meine, hör auf, darüber Witze zu machen", sagte sie heiser. "Das brauchst du nicht. Es gefällt mir." Charles lächelte. "Tut mir Leid." Dann schob er das Kleid auseinander und hakte den SpitzenBH auf, der einen Vorderverschluss hatte. Anschließend zog er ihr die Strumpfhose aus. Nachdem er sie eine ganze Weile betrachtet hatte, sah er ihr wieder in die Augen. "Ich habe gesagt, dass du schön bist, aber ich habe nicht annähernd gewusst, wie schön." Er ließ den Blick tiefer schweifen und streichelte ihren flachen Bauch. Barbara erschauerte heftig bei der Berührung. Als er den Kopf neigte und eine Knospe mit der Zunge zu liebkosen begann, atmete sie scharf ein, denn es war unglaublich
erregend. Nie hätte sie es für möglich gehalten, so empfinden zu können. Warum konnte es nicht ewig andauern? Doch Charles hörte nicht auf, und als er es schließlich doch tat, widmete er sich der anderen Knospe. Barbara erschauerte ein ums andere Mal, bis sie vor Verlangen zu vergehen glaubte. Als hätte er es gespürt, ließ er eine Hand tiefer gleiten und schob sie in ihren Spitzenslip. Plötzlich verlegen, zuckte sie zurück. Daraufhin ließ er sofort die Hand sinken und blickte sie an. "Es ... es tut mir Leid", brachte Barbara hervor. "Das braucht es nicht", erwiderte er leise. "Ich möchte, dass du mir sagst, was du willst." Er betrachtete ihr lebhaftes Gesicht - die dunklen Augenbrauen, die blauen Augen und die vollen Lippen. Im Lauf der Jahre hatte sie ihn unzählige Male auf die Palme gebracht, aber seltsamerweise hatte er sie trotzdem immer lieber gemocht als die meisten Frauen, die ihn vorbehaltlos bewunderten. Jetzt sah er sie mit ganz anderen Augen. Plötzlich warf Barbara ihm einen schalkhaften Blick zu. "Du könntest auch einige Sachen ablegen", sagte sie. Charles lachte auf. "So viel du willst." Nachdem er sie noch einmal geküsst hatte, setzte er sich auf und schob dabei die Beine unter ihre. Er zog das Jackett aus und warf es zu Boden, dann nahm er die Krawatte ab. "Wie weit soll ich gehen?" fragte er. "Jetzt übernehme ich." Sie legte ihm die Hände auf die Schultern und richtete sich auf, so dass sie auf seinem Schoß saß. Langsam begann sie, sein Hemd aufzuknöpfen, und als er ihr sein charmantes Lächeln schenkte, küsste sie ihn und machte weiter. Er lächelte immer noch, als sie das Hemd aus dem Hosenbund zog. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass er so locker sein konnte. In der letzten halben Stunde hatte er vermutlich öfter gelächelt als in den vergangenen fünfzehn Jahren - richtig gelächelt.
Die Vorstellung, dass er dasselbe mit zahllosen anderen Frauen gemacht hatte, an denen er bereits am nächsten Tag das Interesse verloren hatte, war seltsam. Sie, Barbara, wusste, dass sie sich bis an ihr Lebensende an jede Einzelheit dieser Nacht erinnern würde. Tatsache war jedoch, dass er sie am liebsten nie wieder gesehen hätte, wenn sie ihm seinen Willen gelassen hätte. "Was ist?" fragte Charles. "Was?" "Ich weiß nicht. Du hast mich eben so komisch angesehen." Barbara rang sich ein Lächeln ab. "Ich weiß nicht. Wahrscheinlich habe ich nur überlegt, ob ich dir auch die Hose ausziehen soll." "Komm, küss mich noch einmal." Als er sie daraufhin an sich zog, um sie ausgiebig zu küssen, versuchte sie, nicht daran zu denken, dass alles bald vorbei sein würde. Doch ein Teil des Zaubers war verflogen. Natürlich war es wunderschön, in Charles' Armen zu liegen, aber selbst in diesem Moment konnte sie die Angst nicht verdrängen. Schließlich löste sie sich von ihm und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. "Es ist sechs Uhr, Charles", sagte sie. "Du musst nach Hause fahren und packen." "Muss ich das wirklich?" "Du wolltest doch noch ins Büro, bevor wir fliegen. Wenn du bis acht da sein willst, musst du jetzt gehen." "Wahrscheinlich hast du Recht." "Natürlich habe ich Recht", bekräftigte sie und stand auf. Charles erhob sich ebenfalls und blieb neben ihr stehen. Er sieht wirklich fantastisch aus, dachte sie bedrückt. So lässig gefiel er ihr viel besser als sonst. Nur leider würde sie ihn so nicht mehr oft zu sehen bekommen.
Noch während sie das dachte, begann er, sein Hemd zuzuknöpfen. Dann zog er sein Jackett über und steckte die Krawatte in die Tasche. Barbara hakte ihren BH zu und begann, ihr Kleid zuzuknöpfen. Er lächelte bedauernd. "Das sehe ich gar nicht gern." Verlegen erwiderte sie sein Lächeln. Vielleicht würde er sie nie wieder so anlächeln. "Und was sagst du mir zum Abschied?" fragte er. Barbara schmiegte sich an ihn, um ihn zu küssen. Schon längst hatte sie aufgehört zu zählen. Es konnte der zwanzigste, aber genauso gut auch der hundertste Kuss sein. Sie wusste nur noch, dass es der letzte war. Verzweifelt versuchte sie, sich für immer einzuprägen, wie es war, so von Charles begehrt zu werden. Schließlich löste er sich von ihr. "Ich hoffe, die Polizei hält mich nicht wegen Trunkenheit am Steuer an", meinte er. "Ich glaube, wir haben in der Schule mal ein Gedicht gelesen, in dem stand, dass Küsse wie Wein sind. Das war noch stark untertrieben." Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stieß einen leisen Pfiff aus. "Du solltest auch lieber anfangen zu packen. Wir sehen uns dann um neun im Büro, ja?" Sie nickte schweigend. "Prima." Er küsste sie noch einmal - und diesmal war es definitiv das letzte Mal -, bevor er ging.
8. KAPITEL Um kurz vor neun kam Barbara ins Büro. Sie hatte geduscht, sich umgezogen und ihre Sachen gepackt und fühlte sich ganz gut in Anbetracht der Tatsache, dass sie kaum geschlafen hatte und der einzige Mann, den sie je geliebt hatte, sie mit Missachtung strafen würde, weil sie ihn geküsst hatte. Die Tür zu Charles' Büro stand offen. "Nein, natürlich ist das kein Problem", sagte Charles gerade. "Es müssen noch einige Feinabstimmungen gemacht werden, aber bis Dienstag ist das vorläufige Angebot fertig. Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben." Nachdem Barbara ihre Unterlagen neben den Computer gelegt und diesen eingeschaltet hatte, ging sie zur Tür. Er blätterte mit finsterer Miene in den Präsentationsunterlagen, und als er aufblickte und sie sah, würde seine Miene noch finsterer. "Guten Morgen, Barbara", grüßte er kühl. "Würdest du bitte kurz reinkommen?" Barbara ging zu ihm. Dass er so tat, als wäre nichts geschehen, war nicht das, was ihr in diesem Moment zu schaffen machte "Was ist los?" erkundigte sie sich eisig. "Woher hast du das hier?" "Woher ich das habe?" "Woher hast du das Material, das du neu formatiert hast?" "Na ja, von Mr. Carlin ..." begann sie unsicher.
"Du hast offenbar die falsche Diskette genommen." "Stimmt etwas nicht?" "Das kann man wohl sagen", erwiderte Charles grimmig. "Stornier bitte die Reservierungen für Prag, ja? Ich kann jetzt nicht hier weg. Und lass sofort Mike Carlin kommen." Sie kehrte in ihr Büro zurück, um beim Reisebüro anzurufen. Anschließend rief sie Mike Carlin an und teilte ihm mit, dass Charles ihn sehen wolle. Dann ging sie wieder zu Charles. "Was ist das Problem?" fragte sie herausfordernd. Er zog eine Augenbraue hoch. "Ich weiß, es war nur gut gemeint, aber du hast leider mit dem falschen Material gearbeitet. Wenn du mir die Unterlagen gezeigt hättest, als ich dich darum gebeten habe, hätte ich es dir schon vor zwei Tagen sagen können." Verächtlich warf er die Mappe beiseite. "Die Leute von Barrett wollen das vorläufige Angebot bereits am Dienstag haben. Ich muss mich jetzt selbst darum kümmern und kann es mir daher nicht leisten, nach Prag zu fliegen." Da sie Mike nicht in Schwierigkeiten bringen wollte, zog sie es vor, den Mund zu halten. Fünf Minuten später kam Mike herein. Er wirkte immer noch sehr mitgenommen. "Hallo, Mike", begrüßte Charles ihn. "Charles", erwiderte Mike. "Ich habe mir die Präsentationsunterlagen angesehen", erklärte Charles. "Einige Punkte sind nicht schlecht, aber ich habe eine Frage." "Und die wäre?" meinte Mike resigniert. "Ich würde gern wissen", sagte Charles trügerisch sanft, "warum das gesamte Angebot auf der alten Version unserer Software basiert." Mike betrachtete ihn schweigend. "Und?" hakte Charles nach. Mike presste die Lippen zusammen. "Der Grund ist, dass die Akte, die Sie gesehen haben, alles enthielt, was ich für das
Projekt gemacht hatte. Alles, was Ihnen vorliegt, hat unsere Sekretärin erstellt. Es basiert auf unseren früheren Angeboten und auf dem Material, das Barrett uns zur Verfügung gestellt hat. Die neue Version haben wir erst danach entwickelt, und ich habe vergessen, es ihr zu sagen." Einen Moment lang herrschte Schweigen, bis Charles Mike schließlich in eisigem Tonfall klarmachte, was er davon hielt, dass er diese Aufgabe an eine der Sekretärinnen delegiert hatte, statt sich selbst darum zu kümmern. "Ich habe nie Ihre Fähigkeiten in Frage gestellt, Mike", erklärte er dann, "aber damit sind Sie ganz offensichtlich überfordert. Ich habe Sie wohl überschätzt." Mike kniff die Augen zusammen. "Ich hatte viele gute Ideen, die Sie nicht aufgreifen wollten. Unsere Konkurrenten sind unabhängig davon auch darauf gekommen und haben damit Erfolg gehabt. Es besteht also kein Grund zu der Annahme, dass es Fehlinvestitionen gewesen wären." Er zuckte die Schultern. "Aber als meine Frau vor einigen Jahren schwanger wurde, dachte ich, ich könnte es mir nicht leisten, Risiken einzugehen." Seine Augen funkelten, als er Charles ansah. "Jetzt ist mein Kind zwei Jahre alt, und ich habe von seiner Entwicklung so gut wie nichts mitbekommen. Seit einem Jahr habe ich nicht einen einzigen Abend mit meiner Frau verbracht. Seit der Geburt habe ich nicht einen Tag mit meiner Frau und meinem Kind verbracht, einschließlich Weihnachten. Ich weiß nicht, welche Risiken ich ihnen ersparen wollte, aber es hätte nicht schlimmer sein können, als sie so zu vernachlässigen." Er warf seine Kopie des Angebots auf Charles" Schreibtisch. "Sie werden noch heute meine schriftliche Kündigung bekommen." Dann wandte er sich ab und verließ den Raum. Charles' Miene verriet nicht das geringste Bedauern, wie Barbara feststellte. Er muss doch irgendetwas empfinden, dachte sie. Mike war einer seiner Proteges gewesen, ein
Studienabbrecher, dem er eine Chance gegeben und der sich als hervorragender Mitarbeiter erwiesen hatte. Er würde ihn doch nicht einfach gehen lassen, oder? "So, bis Montag muss es fertig sein", erklärte Charles. "Hast du die Buchungen rückgängig gemacht? Gut. Wir haben vier Tage Zeit. Ich sehe mir deine Arbeit noch einmal genau an und bringe alles, was überholt ist, auf den neusten Stand. Wenn wir zusammenarbeiten, müssten wir es schaffen." Sie verschränkte die Arme vor der Brust. "Du willst ihn also einfach gehen lassen?" fragte sie ungläubig. "Wenn er nicht von sich aus gekündigt hätte, hätte ich ihn gefeuert", erwiderte er grimmig. Wütend funkelte sie ihn an und überlegte dabei, ob die starke körperliche Anziehungskraft zwischen ihnen die Wut dämpfte, die sie meistens auf ihn hatte. Scheinbar nicht, denn am liebsten hätte sie die Vase, die in seinem Zimmer stand, über seinen Kopf geleert. "Du hast mir mal gesagt, er wäre brillant", erklärte Barbara vorwurfsvoll. "Wir wollen nicht den Nobelpreis, sondern kämpfen um Marktanteile, und unsere Konkurrenten sich einige der mächtigsten Unternehmen überhaupt. Wenn jemand da nicht mithalten kann, sind wir ohne ihn besser dran." "Also wirklich!" sagte sie scharf. "Meiner Meinung nach wären deine Mitarbeiter ohne dich besser dran. Wenn sie einen Chef hätten, der nicht von ihnen erwarten würde, dass sie alle Superhelden sind, wären sie ein unschlagbares Team. Das Know-how deiner Mitarbeiter ist dein größter Aktivposten, und in Anbetracht der Tatsache, dass du gerade einen deiner besten Mitarbeiter vergrault hast, würde ich sagen, dass die cleversten Leute nicht an der Spitze sind. Ich finde, du solltest ihn zurückrufen, ihm sechs Monate Erziehungsurlaub anbieten und dich bei ihm entschuldigen."
"Du kannst natürlich gern eine eigene Meinung haben", erwiderte Charles kühl. "Und nun lass uns mit der Arbeit anfangen." "Nein, danke. Wenn Mike geht, gehe ich auch." Er zuckte die Schultern. "Ich möchte dich nur daran erinnern, dass du die fünf Prozent nicht bekommst, wenn du vor Ablauf eines Jahres aufhörst. Für mich war es nicht gerade das beste Geschäft, das ich je gemacht habe, aber du solltest es dir vielleicht überlegen, bevor du auf etwas verzichtest, das wahrscheinlich einige Millionen Pfund wert ist." "Wenn du weiterhin brillante Mitarbeiter entlässt, wird es nicht einmal das Papier wert sein, auf dem es steht", bemerkte sie scharf. "Außerdem mag ich Mike, und es würde mir Spaß machen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Ist deine Personalpolitik eigentlich deine eigene Erfindung, oder stammt die Theorie aus grauer Vorzeit?" Charles presste die Lippen zusammen. "Es steht dir nicht zu, meine Entscheidungen zu kritisieren, Barbara. Ich wusste, dass es ein Fehler war, dich zu küssen." "Ja", bestätigte Barbara. "Es ist merkwürdig, nicht? Bevor du mich geküsst hast, war ich immer deiner Meinung." Er warf ihr einen Blick zu, der unverhohlene Abneigung verriet. "Denk wenigstens darüber nach", bat sie. "Ich glaube nicht, dass die Leute von Barrett sich mit der Art von Präsentation zufrieden gegeben hätten, die ihr sonst immer gemacht habt. Und weder Mike noch sonst jemand hätte gewusst, was sie von euch erwarten." Eindringlich sah sie ihn an. "Selbst wenn du glaubst, Mike hätte es schaffen müssen, warum solltest du dich von ihm trennen? Du hast doch selbst gesagt, er sei brillant. Glaubst du, dass du so leicht jemanden findest, der so geniale Ideen hat?"
"Du magst ihn tatsächlich", meinte er nervös. "Vielleicht hat er seine Frau und sein Baby nicht nur wegen seiner Arbeit vernachlässigt." Was er da andeutete, war so lächerlich, dass sie laut lachen musste. "Er ist nicht mein Typ", erwiderte sie und lächelte unwillkürlich, als ihr einfiel, dass der einzige Mann, den sie je begehrt hatte, sie tatsächlich geküsst hatte. Und selbst wenn es ihm jetzt Leid tat, so konnte er es nicht mehr rückgängig machen. Ihre Augen funkelten. "Ich dachte, du stehst nicht auf einen bestimmten Typ", sagte Charles. "Das habe ich auch nicht", log sie, "aber Mike Carlin gehört nicht zu den Männern, auf die ich stehe. Andererseits hätte ich nicht gedacht, dass du deine männlichen Mitarbeiter danach aussuchst, ob ich vielleicht mit ihnen schlafen würde." Der wütende Ausdruck in seinen Augen war einem amüsierten Funkeln gewichen. "Wie, zum Teufel, bin ich bloß auf die Idee gekommen, ein Jahr mit dir zusammenzuarbeiten?" "Ich weiß nicht", parierte sie sofort. "Ich weiß nur, dass es nicht wegen meines Äußeren war, denn du hast gesagt, dass du dich nicht mit deiner Sekretärin einlassen willst. Allerdings hatte ich vor kurzem den Eindruck, als hättest du deine Meinung in der Hinsicht geändert. Vielleicht solltest du deine Meinung auch ändern, was den Mitarbeiter betrifft, den du mal als Genie bezeichnet hast." Charles trommelte auf den Schreibtisch. "Vielleicht hast du Recht", erklärte er schließlich zu ihrer Verblüffung. "Vielleicht sollte ich mir noch mal überlegen, wie weit ich mich mit meiner Sekretärin einlassen soll. Aber eins nach dem anderen." Er nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. "Mallory hier. Ich möchte mit Mike Carlin sprechen. Ist er nicht in seinem Büro? Ach so. Sagen Sie ihm bitte, er soll rangehen, ja?" Dann drückte er die Lautsprechertaste. Nach einer kurzen Pause erklang die Stimme der Sekretärin:
"Tut mir Leid, aber er möchte nicht mit Ihnen sprechen, Mr. Mallory." Charles lachte auf. "Das kann ich ihm nicht verdenken, aber es muss sein. Ich möchte, dass Sie zu ihm gehen und ihm ein Wort sagen. Vielleicht geht er dann ans Telefon." "Und wie lautet das Wort?" fragte die Sekretärin skeptisch. "Erziehungsurlaub." "Ich werde es versuchen, Sir." Wieder folgte eine Pause. Dann meldete sich Mike. "Hier Carlin." "Mike." Geistesabwesend fuhr Charles sich durchs Haar. "Barbara hat mich gerade darauf aufmerksam gemacht, dass wir mit einem Stellengesuch kein zweites Genie finden. Sie meint, wir sollten alles tun, um Sie zum Bleiben zu bewegen, und hat einen sechsmonatigen Erziehungsurlaub vorgeschlagen. Ich weiß nicht, ob ich es mir erlauben kann, aber was sagen Sie dazu: sechs Monate bezahlten Erziehungsurlaub bei freier Arbeitseinteilung, damit Sie zwischen den Windeln nicht den Verstand verlieren?" Es entstand eine lange Pause. Schließlich fragte Mike: "Soll das ein Witz sein?" "Ich mache nie Witze über Babys, Mike. Sie sind viel tapferer als ich. Ich setze den Vertrag auf, und Barbara wird ihn gleich schreiben. Gehen Sie nur nicht, ohne es sich noch einmal zu überlegen." Charles legte auf und lächelte Barbara spöttisch zu. "Und?" Sie zog eine Augenbraue hoch. "Vielleicht werde ich meine Aktien doch nicht verkaufen." "Noch besitzt du keine Aktien." "Heute Nacht hat dir das kein Kopfzerbrechen bereitet." Er lächelte jungenhaft. "Da hatte ich andere Dinge im Sinn." Dann stand er auf. "Ich weiß, dass es keine gute Idee ist, dich zu küssen." Er kam um den Schreibtisch herum, blieb vor ihr stehen und betrachtete sie. "Aber ich tue es trotzdem."
Er neigte den Kopf und presste die Lippen auf ihre. Es ging leider viel zu schnell, doch sie wollte sich nicht beschweren, denn schließlich hatte sie geglaubt, er würde ihr von nun an die kalte Schulter zeigen. "Ich komme an deinen Schreibtisch und diktiere dir den Vertrag", sagte er schließlich, als wäre nichts gewesen. "Wir legen ihn Mike lieber vor, bevor er aus reiner Sturheit doch geht." "So etwas würdest du natürlich niemals tun", spottete Barbara, deren Lippen nach ,dem Kuss immer noch prickelten. Vielleicht sollte sie es auch einmal probieren und sagen: "Ich weiß, dass es keine gute Idee ist, dich zu küssen, aber ich tue es trotzdem." Wenn er sie fallen ließ, konnte sie die Initiative ergreifen. "Ich überlege gerade, was ich an seiner Stelle tun würde", meinte Charles. "Ich wäre längst verschwunden." Vielleicht sollte ich jetzt schon die Initiative ergreifen, dachte sie. Als sie die Lippen auf seine presste, lachte er und erwiderte ihren Kuss. Es war gar nicht so schlecht! Wenn er irgendwann die x-te Freundin hatte und sie längst nicht mehr bei ihm arbeitete, konnte sie ihn ab und zu in der Firma aufsuchen und ihn auf diese Weise überraschen. "Du bist wirklich reizend, Barbara, und ich könnte den ganzen Tag so weitermachen, aber wir müssen ein Genius beschwichtigen und ein Angebot ausarbeiten." Seine Augen funkelten. "Wollen wir den Vertrag aufsetzen?" Während er den Vertrag für Mike diktierte, stand er hinter ihr. Nachdem sie diesen ausgedruckt hatte, unterzeichnete er ihn und sah sie dann an. "Du bist ganz schön teuer für mich, Barbara", sagte er. "Erst ringst du mir ein Angebot ab, das ich sonst niemals gemacht hätte, und nun bringst du mich dazu, Geld für jemanden
rauszuschmeißen, der noch vor kurzem mit seiner Bezahlung zufrieden war." Noch immer glaubte sie, seine Lippen auf ihren zu spüren. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie sich diesen Unsinn gefallen lassen musste. "Meiner Meinung nach", erwiderte sie kühl, "habe ich meinen Wert bereits unter Beweis gestellt, indem ich dich daran gehindert habe, einen deiner besten Mitarbeiter rauszuwerfen. Ganz zu schweigen von der Arbeit, die ich in die Präsentation gesteckt habe ..." Sie verstummte, als sie seinen grimmigen Gesichtsausdruck sah. "Stimmt", bestätigte Charles, "ich bin noch gar nicht dazu gekommen, es zu erwähnen." Er warf ihr einen abschätzenden Blick zu. "Wir müssen darüber reden, wenn du zurück bist." "Worüber?" "Darüber, dass du nicht nur eine potentielle Aktionärin oder eine Aushilfssekretärin bist. Manche Dinge ändern sich nie, stimmt's?" Der Ausdruck in seinen Augen war unergründlich, doch das bedeutete nicht, dass er ihr gefallen musste. "Was meinst du?" fragte Barbara. "Du weißt ganz genau, was ich meine", erwiderte Charles. "Einmal hat dir nicht gereicht, oder? Du stehst immer noch im Schatten, weil du Angst vor dem Rampenlicht hast, und langweilst dich deswegen." Er zog eine Augenbraue hoch. "Du tust so, als würde es dir genügen, als Sekretärin tätig zu sein, aber das ist nicht der Fall, stimmt's? Kein Wunder, dass du es nie länger als einen Monat am Stück aushältst." "Das ist nicht fair", protestierte sie. "Ich habe es nur getan, weil Mike keine Zeit hatte und ich nicht wollte, dass er Schwierigkeiten bekommt..." "Mit dem Ergebnis, dass alles schief gelaufen ist und es mich beinah einen meiner besten Mitarbeiter gekostet hätte." Ruhig sah er ihr in die Augen. "Du bist immer noch ein
unverbesserlicher Ghostwriter, Barbara. Findest du nicht, dass es langsam an der Zeit ist, damit aufzuhören?" Barbara biss sich auf die Lippe. "Bring Mike jetzt den Vertrag", fuhr er fort. "Wir haben nicht viel Zeit. Aber bevor wir zur Sache kommen ..." Er lächelte humorlos. "... sollten wir noch einmal miteinander reden."
9. KAPITEL Barbara ging mit dem Vertrag in der Hand nach unten. Sie traf Mike in seinem Büro an, umgeben von halb vollen Kartons. Grimmig blickte er zu ihr auf. Sie reichte ihm den Vertrag. "Es ist kein schlechtes Angebot", erklärte sie. "Aber das bedeutet nicht, dass Sie es auch annehmen müssen. Charles ist ein unmöglicher Chef. Für Sie wäre es besser, wenn Sie sich selbstständig machen würden." Mike überflog den Vertrag und sah anschließend wieder zu ihr auf. "Nein, das stimmt nicht", erwiderte er und lächelte bedauernd. "Ideen zu haben ist eine Sache, Kapital daraus zu schlagen eine ganz andere. Wenn Charles mich lässt, würde ich lieber hier bleiben." "Sie müssen tun, was Sie für richtig halten. Allerdings brauchen Sie sich nicht von ihm herumschikanieren zu lassen. Charles ist überheblich und denkt nur an sich. Ich begreife einfach nicht, warum alle sich sein Verhalten gefallen lassen." Er lächelte jungenhaft. "Weil er besser ist als wir alle, so ungern ich das auch zugebe. Das letzte Jahr ist die Hölle gewesen. Trotzdem arbeite ich lieber mit Mallory zusammen als mit jemandem, der Rücksicht auf meine Gefühle nimmt, aber nur halb so viel Grips hat wie er."
Barbara seufzte. Eigentlich hätte sie sich freuen müssen, weil sie alles versucht hatte, um Charles umzustimmen. Dass Mike sich dem Fanclub sofort wieder anschloss, war jedoch ziemlich deprimierend. "Soll ich ihm dann ausrichten, dass Sie es sich noch einmal überlegen?" erkundigte sie sich. "Ich schicke ihm eine E-Mail." Er setzte sich an den Computer und begann zu tippen. Sie seufzte wieder. Hoffentlich teilte er Charles mit, er müsse sich das Angebot erst gründlich durch den Kopf gehen lassen, und verlangte von ihm, ein halbes Jahr lang einmal pro Woche auf sein Kind aufzupassen, um sein Verhalten wieder gutzumachen. Allerdings war das vermutlich nur Wunschdenken. Langsam verließ sie Mikes Büro. Charles wartete auf sie. Es würde genauso sein wie beim letzten Mal. Manchmal hatte sie geglaubt, er hätte es vergessen oder zumindest abgehakt, doch er würde ihr niemals verzeihen. Er würde sie immer für das hassen, was sie ihm angetan hatte. Da sie ihm jetzt nicht gegenübertreten konnte, beschloss sie, in die Cafeteria zu gehen. Vielleicht würden drei Stück Kuchen sie etwas ablenken. Nachdem sie sich fünf Desserts und einen Cappuccino genommen hatte, setzte Barbara sich an einen Tisch und blickte starr aufs Tablett. Sie konnte sich nicht mehr entsinnen, wie sie damals auf die Idee gekommen war. Charles war eines Tages mit einer Mathearbeit aus der Schule gekommen, die unter Klausurbedingungen, also ohne Hilfsmittel, zu Hause geschrieben werden sollte. Wie üblich machte er die Aufgaben, die ihm leicht fielen, in weniger als fünf Minuten, und ließ dann alles liegen, weil er sich langweilte. Stattdessen verbrachte er den Nachmittag mit Monica Lewis, mit der er bereits zwei Wochen zusammen war - eine Woche länger als mit seinen
früheren Freundinnen. Bisher hatte er immer schlechte Noten für die Aufgaben bekommen, zu denen er sich herabgelassen hatte, und nun sollte eine weitere dazukommen. Als Barbara sich während seiner Abwesenheit heimlich in sein Zimmer schlich, sah sie die Arbeit auf seinem Schreibtisch liegen. Aus Neugier warf sie einen Blick darauf und stellte dabei fest, dass sie viele der Aufgaben lösen konnte, weil er ihr die Problemstellungen bereits bei anderen Gelegenheiten erklärt hatte. Da er vermutlich erst in den frühen Morgenstunden zurückkommen und nichts mehr daran machen würde, beschloss sie, die restlichen Aufgaben zu lösen. Sie konnte seine Handschrift nachahmen, und wenn er eine Eins bekam, würde sie es ihm sagen, und er würde aus allen Wolken fallen. Zuerst verlief alles nach Plan. Charles kehrte in den frühen Morgenstunden zurück, wachte spät auf und kam zum Frühstück herunter, als sie gerade zur Schule gehen wollte. "Sieht so aus, als komme ich wieder zu spät", meinte er gleichgültig und ließ sich beim Kaffeetrinken Zeit. Die Unterlagen hatte er achtlos in seine Mappe getan, und es war offensichtlich, dass er nicht einmal mehr einen Blick darauf geworfen hatte. Der erste Ärger bahnte sich am darauf folgenden Nachmittag an. Charles war mit Monica unterwegs, und Barbara saß zu Hause und schlug die Zeit tot, als das Telefon klingelte. Sie ging im selben Moment ran, als ihr Vater oben den Hörer abnahm. Am Apparat war der Direktor von Charles' Schule, in der auch ihr Vater Lehrer war. "Hallo, Giles, hier ist Robin. Wir haben ein kleines Problem." Es folgte eine kurze Pause. "Es geht um Charles' Mathearbeit. Ich muss dir sicher nicht sagen, dass er sich in diesem Schuljahr nicht besonders angestrengt hat, und nun hat er plötzlich eine Eins geschrieben. Seine Lehrerin meinte, die Arbeit könne unmöglich von ihm stammen. Es ist dieselbe Arbeit, die du letztes Jahr bei deinen Schülern hast schreiben lassen. Ich weiß,
wie vorsichtig du bist, Giles, aber könnte es sein, dass er die Lösungen bei dir im Schreibtisch gefunden hat?" Ihr Vater hatte viele gute Eigenschaften, doch Ordnungssinn zählte eindeutig nicht dazu - auf seinem Schreibtisch herrschte Chaos. "Soweit ich weiß, habe ich die Lösungen im Aktenschrank, und der ist abgeschlossen", erwiderte er skeptisch. "Es kann sein, dass ich sie rausgenommen habe, aber wenn er sie finden konnte, ist er besser als ich ..." "Ja, danke, das wollte ich nur wissen", meinte der Direktor. Offenbar war er davon überzeugt, dass Charles geschummelt hatte. Es gab nur eine Möglichkeit. Am nächsten Tag fuhr Barbara mit dem Fahrrad zur Schule. Sobald sie außer Sichtweite des Hauses war, schlug sie jedoch den Weg zu Charles' Schule ein. Nachdem sie ihr Fahrrad vor dem Gebäude abgestellt hatte, ging sie zum Direktor und legte ein Geständnis ab. Dieser reagierte jedoch anders, als sie erwartet hatte. Er ließ Charles aus dem Unterricht rufen, und der betrat mit trotziger Miene das Zimmer. "Sie sind sich vermutlich bewusst, dass Sie sich mit Ihrer Mathearbeit des Schummelns verdächtig gemacht haben, Mallory." Der Direktor musterte ihn streng. "Ich kann keine Unehrlichkeit dulden, aber falls Sie die Lösungen in Giles' Unterlagen entdeckt haben und der Versuchung nicht widerstehen konnten, hätte ich Verständnis dafür. Sollten Sie jedoch versuchen, die Schuld einem Kind in die Schuhe zu schieben, sieht die Sache ganz anders aus." Charles zog eine Augenbraue hoch. "Ich habe leider nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie reden, Sir." Er zuckte die Schultern. "Sind die Anforderungen mittlerweile so niedrig, dass man sich mit einer Sechs des Schummelns verdächtig macht?" "Es ist keine Sechs, sondern eine Eins", plapperte Barbara drauflos. "Ich habe alle Aufgaben gelöst, die du nicht gemacht hast. Es war ganz einfach, und jetzt will er mir nicht glauben."
Daraufhin erklärte der Direktor nachsichtig an sie gewandt, ihre Loyalität sei sehr rührend, und streng an Charles gewandt, im schlimmsten Fall drohe ihm die Verweisung von der Schule. "Mein Leben ist zerstört", erwiderte Charles gespielt entsetzt. "Was habe ich nur getan?" "Das ist nicht witzig", belehrte der Direktor ihn wütend. "Ich finde es zum Brüllen komisch", sagte Charles. "Die Schule ist mir völlig egal, aber ich habe nicht geschummelt, und ich lasse mich nicht wegen etwas rausschmeißen, das ich nicht getan habe." Der Direktor verschränkte die Arme vor der Brust. "Na schön, Mallory", sagte er scheinbar versöhnlich, aber ihr war klar, dass es nichts Gutes verhieß. Er war so unansehnlich, dass nicht einmal seine Sekretärin ihn ansah, während sich nach Charles alle Mädchen umdrehten. Es war offensichtlich, dass er Charles hasste. "Ich bin geneigt, zu glauben, dass Sie schlichtweg nie daran interessiert waren, Ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen", fuhr er fort. "Trotzdem ist es seltsam, dass Ihr Interesse gerade dann erwacht, wenn Sie Hilfe von außen erwarten konnten, und sei es unbeabsichtigt." Er lächelte. "Deshalb will ich Ihnen die Gelegenheit geben, sich von dem Verdacht rein zu waschen. Ich werde Ihre Lehrerin bitten, eine neue Arbeit mit ganz neuen Fragen anzuberaumen. Diese Arbeit können Sie unter Aufsicht schreiben - sagen wir, in vierzehn Tagen." Charles warf ihm einen kühlen Blick zu. "Gut, aber ich setze erst wieder einen Fuß in die Schule, wenn Sie sich bei mir entschuldigen. Ich komme in vierzehn Tagen wieder. Komm, Barbara, ich bringe dich nach Hause." Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ er das Zimmer. Barbara folgte ihm nach draußen, und in dem Bemühen, mit ihm Schritt zu halten, vergaß sie sogar ihr Fahrrad. "Charles", sagte sie atemlos, "warte doch!" Als er ungeduldig stehen blieb und sie wütend anfunkelte, brachte sie hervor:
"Warum lässt du mich nicht die Arbeit schreiben? Dann müssen sie mir glauben. Ich habe ihnen gesagt, dass du nichts damit zu tun hast, aber sie haben mir nicht geglaubt!" Dass man ihr nicht glauben würde, hätte sie nie für möglich gehalten. Sie hatte angenommen, sie müsste sich einfach schuldig bekennen, doch offenbar traute man ihr eine derartige Leistung nicht zu. Genau wie bei Charles hieß es bei ihr immer, sie könne sich mehr Mühe geben. Charles betrachtete sie mit unverhohlener Wut. "Eine tolle Idee!" bemerkte er sarkastisch. "Warum kümmerst du dich nicht einfach um deinen Kram, Barbara? Such dir jemanden in deinem Alter zum Spielen, und lass mich in Ruhe." Dann ging er hocherhobenen Hauptes davon und zog sich für die nächsten beiden Wochen in sein Zimmer zurück. Irgendwie schaffte er es, den Stoff von zwei Jahren in zwei Wochen nachzuholen. Er ging zur Schule, um die Arbeit zu schreiben, und bekam eine Eins. Dann ging er von der Schule ab und verließ ihr Elternhaus. Offenbar hatte er dann denselben Ehrgeiz an den Tag gelegt wie während der Vorbereitungen für die Klausur, denn er hatte eine eigene Firma gegründet und bereits im ersten Geschäftsjahr hunderttausend Pfund herausgeholt. Mit fünfundzwanzig war er fünf Millionen wert gewesen. Manchmal besuchte er ihre Eltern, sprach jedoch nie darüber, warum er damals weggegangen war. Und das Verhältnis zu ihr, Barbara, war seitdem merklich abgekühlt. Er wurde immer reicher, wechselte weiterhin jede Woche die Freundin, und ihr hatte er niemals verziehen. Finster betrachtete Barbara ihre fünf Desserts. Sie brachte keinen Bissen hinunter. Gleich würde sie nach oben gehen müssen, und Charles würde ihr sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und ihn in Ruhe lassen. Schließlich stand sie auf und ging zum Aufzug. Es war besser, wenn sie es gleich hinter sich brachte.
Als sie sein Büro betrat, ging Charles gerade ungeduldig auf und ab. "Wo, zum Teufel, bist zu gewesen?" fuhr er sie an. Barbara blieb auf der Schwelle stehen und schlang die Arme um sich, um nicht zu zittern. "Tut mir Leid. Es tut mir Leid, dass ich dein Leben zerstört habe, Charles. Das mit der Arbeit tut mir Leid. Ich habe nicht gewollt, dass es so kommt. Du warst mit Monica Lewis unterwegs, und ich wollte dich beeindrucken. " Unvermittelt blieb er stehen. "Wovon, zum Teufel, redest du?" "Ich weiß, dass du es mir nie verzeihst. Es war nicht richtig von mir. Ich habe einfach nicht nachgedacht." Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. "Es war nicht richtig", räumte er ein und lächelte bedauernd, "aber es hat auch nicht gerade mein Leben zerstört. Ich habe mich in der Schule so gelangweilt und habe nur das Nötigste getan. Ich hätte noch jahrelang so weitermachen können, ohne ein Ziel vor Augen. Jene beiden Wochen waren eine Feuerprobe, aber wenigstens ist mir klar geworden, was ich erreichen kann, wenn ich will, und dass ich auf der Schule nur meine Zeit verschwende." Nun lächelte er jungenhaft. "Mir ist klar geworden, dass ich zu Geld kommen kann, wenn ich etwas in zwei Wochen schaffe, wofür andere Leute zwei Jahre brauchen, und ich hatte Recht. Mir ist klar geworden, dass ich alles erreichen kann, wenn ich nur hart genug arbeite." "Und warum hasst du mich dann?" fragte sie. "Ich hasse dich nicht. Natürlich war ich damals wütend, denn schließlich hättest du mich beinah vor allen bloßgestellt. Aber dadurch war ich wenigstens gezwungen, endlich etwas aus meinem Leben zu machen." "Dann verstehe ich nicht, warum du immer noch so ein wütendes Gesicht machst. "Schließlich bist du Multimillionär und das nur meinetwegen."
"Das könnte man so sagen. Man könnte allerdings auch sagen, dass du eine mittellose Aushilfssekretärin bist - und das nur meinetwegen." "Ich weiß nicht, wovon du redest." Das Ganze lag fünfzehn Jahre zurück! Warum musste er sich immer noch den Kopf darüber zerbrechen? Charles seufzte. "Wie du dich sicher erinnerst, hast du dein Verbrechen gestanden, und niemand hat dir geglaubt, weil deine Zensuren genauso schlecht waren wie meine und du außerdem sechs Klassen unter mir warst. Du hättest die Arbeit nur zu gern für mich geschrieben, aber das hätte ich niemals zugelassen." Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch. "Wenn ich es getan hätte, wäre allen klar geworden, was in dir steckt. Ich weiß nicht, warum du unbedingt jemanden brauchtest, der dir sagt, dass du alles erreichen kannst, aber es war so, und die Gelegenheit habe ich dir nicht gegeben. Und jetzt, fünfzehn Jahre später, hältst du dich immer noch im Hintergrund, als wäre deine Arbeit nichts wert, wenn die Leute wüssten, dass es deine ist. Du bist nicht mehr zwölf, Barbara." Er zuckte die Schultern. "Findest du nicht, du solltest langsam erwachsen werden?" Starr blickte Barbara ihn an. War es tatsächlich möglich, dass Charles sie niemals gehasst hatte? "Du hasst mich also wirklich nicht?" "Natürlich hasse ich dich nicht", erwiderte er gereizt. "Warum hätte ich dir immer Weihnachtsgeschenke schicken sollen, wenn ich dich hassen würde?" "Ich dachte, du hättest es nur getan, um meine Eltern nicht zu verletzen." "Barbara, ich bin ein egoistischer, überheblicher Mistkerl, wie du mir ständig vorhältst. Glaubst du, ich hätte mir immer die Mühe gemacht, ein Geschenk zu suchen? Außerdem ..." Seine Augen begannen zu funkeln. "Wie kannst du nach dieser Nacht glauben, ich würde dich hassen?"
"Weil du immer behauptest, Sex hätte nichts mit Gefühlen zu tun. Aber ich bin froh, dass du mich nicht hasst." Sie fröstelte innerlich, weil sie Angst hatte. "Allerdings verbitte ich mir in Zukunft Dinge dieser Art." Charles tippte auf ihre Präsentationsunterlagen. "Wenn du für mich arbeitest, übernimmst du auch die Verantwortung für deine Arbeit." "Aber wenn ich die Verantwortung übernommen hätte, hättest du es mir nicht gegeben." "Natürlich nicht, denn du kannst unmöglich deine Aufgaben als Sekretärin wahrnehmen und gleichzeitig Projekte dieser Art bewältigen." Wieder zog er eine Augenbraue hoch. "Aber du hättest es geschafft, wenn du die richtigen Informationen gehabt hättest, stimmt's? Ich wäre also ein Idiot, wenn ich dich als Sekretärin behalten würde." "Ich dachte, du würdest ohne mich nicht auskommen", protestierte Barbara. Er lächelte jungenhaft. "Als Sekretärin warst du immer überbezahlt. Mal sehen, ob ich mehr für mein Geld bekommen kann, wenn ich dich befördere." Da sie befürchtete, jeden Moment in Ohnmacht zu fallen, hielt sie sich am Türrahmen fest. Charles sprach weiter und redete davon, welche Aufgaben sie übernehmen könnte, wenn sie ihre Fähigkeiten für die Firma einsetzte. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, keine Diktate mehr aufnehmen zu müssen, überlegte sie. Allerdings war es so, dass Charles auf die eine oder andere Art immer irgendetwas diktierte. Andererseits hatte es ihr großen Spaß gemacht, die Präsentationsunterlagen zu erstellen. Und sie fühlte sich ihm durchaus gewachsen, zumal sie nun wusste, dass er sie nicht hasste. "Es klingt interessant", sagte sie daher. "Gut", erwiderte er.
"Und niemand wird denken, dass ich mich nach oben geschlafen habe. Wenn ich mit dir geschlafen hätte, hättest du nie wieder ein Wort mit mir gewechselt." "Was?" Seine grünen Augen funkelten bedrohlich. "Das ist doch allgemein bekannt. Oder vielmehr ist es denen bekannt, die dich kennen. Die Frauen, die dich gerade erst kennen gelernt haben» wissen es offenbar nicht. Aber dann schläfst du mit ihnen, und einige Tage später wissen sie Bescheid." Wütend sah er sie an. "Das stimmt nicht. Natürlich hatte ich einige One-Night-»Stands, aber es ist nicht die Regel. Falls die Leute das wirklich denken, schätzen sie mich ganz falsch ein." Sie lächelte ihn an. Nun, da sie nicht mehr seine Sekretärin war, würde sie ihm gegenüber nicht mehr ganz so höflich sein müssen. "Du willst damit also sagen, dass du ab und zu mit einer Frau geschlafen und sie am nächsten Tag angerufen hast." "Na ja..." "Einige Tage später", verbesserte sie sich. "Ja." "Aber manchmal vielleicht nur, weil du es versprochen hattest." "Manchmal schon." Barbara zog eine! Augenbraue hoch. "Hast du es je getan, weil du es auch wolltest? Ich meine, warst du je enttäuscht, wenn die Frau nicht da war? Warst du jemals nicht enttäuscht, wenn sie sich gemeldet hat?" Charles dachte eilten Moment nach. "Ich kann mich nicht daran erinnern", sagte er schließlich. "Aber das bedeutet nicht, dass es nicht der Fall war." Er zuckte die Schultern. "Ich analysiere meine Gefühle normalerweise nicht, wenn ich zum Hörer greife. Manchmal rufe ich an, manchmal kommt etwas dazwischen. Ende der Geschichte." "Hm, wenn ich wirklich so gut bin, wie du glaubst, bin ich froh, dass wir nicht weitergegangen sind. So wie es aussieht,
verlierst du keine Sekretärin, sondern bekommst ein Präsentationsgenie. Wenn wir miteinander geschlafen hätten, wäre ich meinen Job jetzt wahrscheinlich los." Charles erwiderte nichts darauf, sondern betrachtete sie mit einem seltsamen Gesichtsausdruck. Im Lauf der Jahre hatte er ein Händchen dafür entwickelt, verborgene Talente zu entdecken, und dabei spielte es für ihn keine Rolle, ob jemand gute Zeugnisse oder andere nachweisbare Qualifikationen hatte. Die Mallory Corporation hatte die meisten Konkurrenten weit hinter sich gelassen, weil ihr Gründer seine Mannschaft handverlesen hatte. Normalerweise warb er Leute ab, die in ihrem Job nicht weiterkamen, und verschaffte ihnen erst einmal eine Atempause. Bisher waren alle sprachlos gewesen und hatten ihm versprochen, ihr Bestes zu geben, um sein Vertrauen in sie zu rechtfertigen. Keiner von ihnen hatte es gleichgültig hingenommen. Keiner hatte sich zu Kritik an seinem Privatleben hinreißen lassen - bis jetzt. Charles ging zu Barbara, die immer noch an der Tür stand. "Barbara, Schatz", sagte er leise, "wenn wir miteinander geschlafen hätten, wärst du jetzt nicht so kratzbürstig - erstens weil es dir gefallen hätte und zweitens weil du dich wieder danach sehnen würdest. Aber ich würde dir nicht aus dem Weg gehen, Fünf Prozent, denn wenn ich mit dir geschlafen hätte, würde ich es auch wieder tun wollen." Als sie zu ihm aufblickte und den Ausdruck in seinen Augen sah, bekam sie weiche Knie. Sie rief sich jedoch ins Gedächtnis, dass dieser Ausdruck sich innerhalb weniger Sekunden ändern konnte, denn Charles war unberechenbar. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. Vielleicht konnte man sich nicht auf ihn verlassen. Trotzdem war es so immer noch besser, als mit ansehen zu müssen, wie er anderen
Frauen ewige Hingabe schwor oder zumindest einen TwoNight-Stand in Aussicht stellte. "Das sagst du doch immer, bevor du mit einer Frau schläfst", erklärte sie unbeeindruckt. "Danach wird dir klar, dass du nicht an ihr interessiert bist, und das zeigst du ihr dann auch. Lass es lieber, Charles. Diesmal gewinnst du nicht. Ich kenne dich." Er betrachtete sie teils amüsiert, teils verzweifelt. "Wenn wir heute Nacht weitergegangen wären, wie du es ausdrückst, hätte ich bereits gewonnen. Aber wir müssen es erst einmal verschieben." Dann ließ er den Daumen über ihre Lippen gleiten, wobei er sie unverwandt ansah. Schließlich zuckte er lachend die Schultern und küsste sie. Leidenschaftlich erwiderte sie seinen Kuss. Es würde natürlich nicht von Dauer sein, doch sie gab sich gern der Illusion hin, dass Charles sie unwiderstehlich fand. Es würde schrecklich sein, wenn er sich einer anderen Frauen zuwandte, aber vielleicht würde sie es ja schaffen, sich nur an die schönen Momente zu erinnern. "Wir können uns glücklich schätzen, wenn wir in den nächsten vier Tagen zwanzig Stunden Schlaf einschieben können", sagte er jetzt. "Wir dürfen keine Zeit verlieren, denn wir müssen bis Montag Topergebnisse erzielen." Er zog eine Augenbraue hoch. "Und das bedeutet, dass wir uns keine Ablenkungen erlauben können. Wir müssen unsere Beziehung aufs Geschäftliche beschränken, Barbara." "Ich verstehe", konterte Barbara. "Wenn du mich das nächste Mal küssen willst, halte ich dich höflich, aber bestimmt davon ab. Soll ich etwas Langes anziehen, das meine Formen verbirgt?" "Mach dich lieber an die Arbeit", erwiderte er. "Ruf die Personalleiterin an, und bitte sie, eine neue Sekretärin zu suchen. Sie muss fügsam sein und darf nichts dagegen haben, früh aufzustehen."
"Ja, Mr. Mallory. Sehr wohl, Mr. Mallory. Sie sind so wundervoll, Mr. Mallory. Ich werde sehen, was ich tun kann."
10. KAPITEL Charles lehnte sich auf seinem Schreibtischsessel zurück und machte ein finsteres Gesicht. Barbara und er arbeiteten seit zwei Tagen ununterbrochen. Die letzte Version der Präsentationsunterlagen lag vor ihm auf dem Schreibtisch. Und die ehemalige perfekte Sekretärin saß ihm gegenüber und erklärte gerade, dass seine Kritik in den meisten Punkten ungerechtfertigt war. Teilweise musste er ihr Recht geben. Allerdings hätte auch nur ein Idiot geglaubt, dass er sich auf seine Arbeit konzentrieren konnte, wenn er kurz vorher beinah mit Barbara geschlafen hätte. Theoretisch hatte er, Charles, gerade wieder ein verborgenes Talent entdeckt. Barbara war noch cleverer als Mike Carlin, und es war eine Freude, sie in Aktion zu erleben. Allerdings war sie auch wesentlich attraktiver als Mike Carlin. Je geschäftsmäßiger ihre Sachen waren, desto häufiger musste er daran denken, wie er sie vor wenigen Tagen ausgezogen hatte. Wenn er sie dann ansah, zog sie jedes Mal die Augenbrauen hoch und lächelte spöttisch, weil sie genau wusste, was in ihm vorging. Dann musste er an sich halten, um sie nicht in die Arme zu nehmen. Wenn er am Dienstagmorgen nur eine Stunde länger geblieben wäre und mit ihr geschlafen hätte, dann hätte er Mike behalten und sie befördern können, und es hätte keine Rolle gespielt, weil er sie vergessen hätte.
Nun, da es um einen der wichtigsten Verträge für die Firma ging und die Aufgabe seine ganze Aufmerksamkeit erforderte, ertappte er sich dabei, wie er seine neue Präsentationsexpertin im Geiste auszog. Noch nie hatte ihm eine Herausforderung ernsthaft Kopfzerbrechen bereitet, doch bisher hatte er sich auch jeder Herausforderung mit derselben Zielstrebigkeit gestellt wie jener lächerlichen Mathearbeit damals. Er konnte es sich einfach nicht leisten. "Du weißt, dass ich Recht habe." Barbara kam um den Schreibtisch herum, setzte sich auf die Kante und blätterte in den Unterlagen. "Wenn du das hier rausnimmst, klingt das Ganze viel zu technisch." Charles funkelte sie an. Eigentlich verhielt sie sich genauso wie immer. Sie war schon immer in den unpassendsten Momenten zu ihm gekommen und hatte sich auf das nächstbeste Möbelstück gesetzt, um ihn zu nerven. Doch jetzt hatte sie nicht mehr die schlaksigen Beine einer Zwölfjährigen, und er musste den Impuls unterdrücken, die Hand darüber gleiten zu lassen. "Vielleicht hast du Recht", erwiderte er kurz angebunden. Dann stand er auf, schob die Hände in die Hosentaschen und begann, in seinem Büro auf und ab zu gehen. "Natürlich habe ich Recht." Sie stand ebenfalls auf. "Und wirf mal einen Blick auf dieses Kreisdiagramm, das du mit reinnehmen wolltest ..." "Ich weiß, was du meinst", sagte er schnell, da sie im Begriff war, zu ihm zu kommen. Wenn sie es tat, konnte er für nichts garantieren. "Warum machst du nicht mit den Abschnitten für die einzelnen Abteilungen weiter? Ich muss noch etwas programmieren." Einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie weiterdiskutieren, doch dann zuckte sie die Schultern und verließ den Raum. Eigentlich hatte er es so gewollt, aber kaum war sie draußen, hätte er sie am liebsten zurückgerufen.
Wann immer andere Männer sich ihm gegenüber darüber beklagt hatten, dass sie eine Frau nicht aus dem Kopf bekommen konnten, hatte er sich ihnen überlegen gefühlt. Die Frauen spielten grundsätzlich die zweite Geige in seinem Leben, denn an erster Stelle stand seine Arbeit. Das wussten sie auch, und den meisten machte es nichts aus. Manchmal machte ihm eine Frau eine Szene und verließ ihn, doch das kostete ihn lediglich ein Schulterzucken. Es sah nicht so aus, als würde Barbara ihn verlassen, und trotzdem hatte er das ungute Gefühl, dass es ihm nicht gefallen würde, wenn sie es tat. Hätte ich bloß mit ihr geschlafen, als ich die Gelegenheit dazu hatte, dachte Charles zum unzähligsten Mal. Aber es war noch nicht zu spät. Sobald sie dieses Projekt beendet hatten, würde er sie zum Essen ausführen, sie anschießend mit in seine Wohnung nehmen, und danach konnte er sein gewohntes Leben weiterführen. Etwas besser gestimmt, setzte er sich an seinen Computer und versuchte, sich aufs Programmieren zu konzentrieren. Barbara kehrte an ihren Schreibtisch zurück, um mit ihrer Arbeit weiterzumachen. Sie hatte Charles die Meinung gesagt, doch sie fragte sich, ob er es sich wirklich zu Herzen genommen hatte. Seit zwei Tagen zerbrach sie sich den Kopf darüber, was er in ihr gesehen hatte. Zuerst war er die Präsentationsunterlagen durchgegangen und hatte sie zerrissen. Dann hatte er das Handbuch für die neue Version der Software mit ihr zusammen durchgearbeitet und sich von ihr erklären lassen, wie deren Merkmale in der Präsentation am besten hervorgehoben werden konnten. Anschließend hatte er sie weggeschickt und sie beauftragt, innerhalb von zwei Stunden einen Entwurf zu machen. Sie hatte ihm den Entwurf drei Stunden später vorgelegt, und er hatte ihn ebenfalls zerrissen und sie wieder weggeschickt. Diesmal hatte er ihn nicht zerrissen, aber viel zu viel daran auszusetzen gehabt. Und nun musste sie die Abschnitte für die
einzelnen Abteilungen verfassen. Wahrscheinlich zerreißt er das auch, dachte sie ärgerlich. Wahrscheinlich wünscht er sich, er hätte mit Mike Carlin zusammengearbeitet. Als das Wochenende vorüber war, schien es ihr, als hätte sie ungefähr zwanzig Versionen verfasst. Charles war sehr sparsam mit Lob, seine Kritik fiel dagegen immer sehr harsch aus. Noch nie zuvor war sie so müde gewesen. Und noch nie zuvor hatte ihr etwas so viel Spaß gemacht. Es spielte keine Rolle, ob Charles sie anschrie, denn er hatte ihr etwas gegeben, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie es wollte. Bisher hatte sie immer geglaubt, es wäre ihr egal, ob jemand anders die ganze Anerkennung einsteckte, solange man die Qualität der Arbeit würdigte. Allerdings war ihr erst jetzt klar geworden, dass man keinerlei Risiken eingehen konnte, wenn man unerkannt bleiben wollte. Nun, da sie die Präsentation ganz offiziell vorbereitete, konnte sie auch unkonventionelle Ideen einbringen, und ihr wurde bewusst, wie brillant Charles war. Wie bereits angekündigt, war er auf Distanz gegangen, doch immer wenn sie ihre Ideen verteidigte, sah er ihr in die Augen, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Sie würde jedenfalls nie wieder neben ihm sitzen und ihn verstohlen mustern. Sie hatte versprochen, ihr Bestes zu geben, und genau das tat sie auch. Allerdings hatte sie nicht wieder die Initiative ergriffen und ihn geküsst. Sie hatte auch nichts gesagt. Aber sie hatte nicht versprochen, ihn nicht anzusehen. Charles hatte sein Jackett ausgezogen und seine Krawatte abgenommen. Sie konnte ihn betrachten und sich dabei daran erinnern, wie sie sein Hemd aufgeknöpft und die Hände darunter geschoben hatte, wie sie ihn gestreichelt und wie er sie geküsst hatte. Am Montagmorgen um drei war Barbara fertig. Sie nahm die Unterlagen und ging damit in sein Büro. Charles saß vor dem
Computer. Er schob seinen Stuhl zurück und deutete auf den Bildschirm. "Was hältst du davon?" fragte er. Auf dem Bildschirm stand der Satz "So einfach zu bedienen wie eine Schreibmaschine". Nach einigen Sekunden verschwand er, und es erschienen eine Reihe von Optionen und eine Menüleiste am oberen Rand. Als Barbara diese anklickte, wurde ein Standardbrief geöffnet, und oben erschien eine neue Menüleiste. "Der Gedanke, der dahinter steckt, ist, dass wir unsere Konkurrenten zu einer Verlängerung herausfordern." Charles wirkte sehr übernächtigt, aber er lächelte. "Die Leute kaufen unsere Software, und dann können sie alle Programme benutzen." "Das ist brillant." Wie gebannt blickte Barbara auf den Bildschirm. Es sah ganz einfach aus, doch je einfacher etwas aussah, desto mehr Arbeit steckte darin. "Das musste reichen, um ihnen eine ungefähre Vorstellung zu vermitteln." Er schaltete den Computer aus, stand auf und streckte sich. "Aber..." begann sie. "Was aber?" "Könnten unsere Konkurrenten sich nicht etwas Ähnliches ausdenken?" fragte sie skeptisch. Charles zuckte die Schultern. "Klar könnten sie das, wenn sie die Informationen über Barrett hätten, die du mir gegeben hast. Und vielleicht hätten sie sich diese Informationen auch beschafft, wenn sie genauso viel zu verlieren gehabt hätten wie wir, aber das haben sie nicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach kennen viele Leute in der Firma bereits das eine oder andere Standardsoftwarepaket. Also werden sie dafür stimmen, und unsere Konkurrenten werden wohl versuchen, zu verkaufen, was sie haben. Die einzige Chance, die wir haben, ist, sie zu überraschen."
Barbara seufzte. Er hatte natürlich Recht. Sie hatten so viel Arbeit hineingesteckt, und trotzdem hatten sie kaum eine Chance. Jedenfalls hatten sie getan, was sie konnten. Barbara gähnte mehrmals, denn in den letzten Tagen hatte sie kaum geschlafen. Ihr Kopf war schwer, und ihre Augen brannten. "Dann sind wir also fertig?" erkundigte sie sich. "Fürs Erste ja. Lass uns ins Bett gehen, ja?" Starr sah sie ihn an. "Was, jetzt?" Charles erwiderte ihren Blick und lachte dann. Er war zum Umfallen müde. Es würde ihm nicht gerade dabei helfen, Barbara zu vergessen, wenn er mit ihr ins Bett ging und sofort das Bewusstsein verlor. "Und ich dachte, ich hätte immer nur das eine im Sinn. Barbara, Schatz, ich weiß, es ist schon ein Weilchen her, aber es gibt so etwas wie Schlaf. Und schlafen tut man im Bett. Du kannst gern mit mir in meinem Bett schlafen. Verführen werde ich dich lieber später, wenn ich bei vollem Bewusstsein bin." Verlegen errötete sie. Wenn man bedachte, wie Charles sie das ganze Wochenende angesehen hatte, dann hatte sie bestimmt keine voreiligen Schlüsse gezogen. "Schon gut", versicherte sie. "Wenn du lieber einen Korb bekommen möchtest, wenn du bei vollem Bewusstsein bist, warte ich gern," Wieder lachte er. "Darauf falle ich nicht rein. Ich bin wirklich zu müde. Du kannst gern in meinem Bett schlafen. Ansonsten bringe ich dich nach Hause." Gerade noch war sie wütend auf ihn gewesen, doch die Vorstellung, allein nach Hause zu fahren, deprimierte sie. Vier Tage lang war sie fast ununterbrochen mit ihm zusammen gewesen. Wenn sie nach Hause fuhr, würde es vorbei sein, wenn sie mit ihm fuhr, noch nicht. Es war vielleicht nicht sehr konsequent, aber er hatte es ihr angeboten.
"Kann ich wirklich?" fragte Barbara. "Was?" "Mit dir schlafen. Mit zu dir fahren. Ich bin so müde. Zu mir fährt man mindestens eine halbe Stunde, und deine Wohnung ist nur fünf Minuten entfernt." Charles blickte sie starr an. Schließlich zog er eine Augenbraue hoch. "Vielleicht würde ich dich verstehen, wenn mein Gehirn richtig funktionieren würde, aber irgendwie bezweifle ich es." "Was gibt es da zu verstehen? Ich bin müde. Wenn ich mit zu dir fahre, bekomme ich mehr Schlaf. Du hast es mir doch selbst angeboten." Müde fuhr er sich durchs Haar. Dann zuckte er die Schultern. "Also gut. Gehen wir." "Ich rufe uns ein Taxi. In diesem Zustand solltest du nicht fahren." Sie nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Zu ihrem Erstaunen erhob Charles keine Einwände, sondern zog sein Jackett über und wartete. Offenbar war er noch erschöpfter, als sie angenommen hatte. Als sie unten ankamen, wartete das Taxi bereits dort, und fünf Minuten später hielt der Fahrer vor dem ehemaligen Lagerhaus an der Themse, in dem Charles ein Penthouse hatte. Er gab dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld. Dann stiegen sie aus, und Barbara folgte ihm zum Aufzug. Wenige Sekunden später glitten die Aufzugtüren auseinander, und vor ihnen erstreckte sich ein großer Raum mit einer atemberaubenden Aussicht. "Wo ist das Schlafzimmer?" fragte Barbara, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. "Hier entlang", erwiderte Charles und führte sie durch eine Tür auf der anderen Seite des Raums. "Brauchst du einen Schlafanzug?" Er war zu einer anderen Tür gegangen, die offenbar zu einem begehbaren Kleiderschrank führte. "Nicht nötig." Sehnsüchtig blickte Barbara zu dem großen Bett.
"Zieh lieber einen an. In deinen Sachen kannst du nicht schlafen. " Er warf ihr einen schwarzen Seidenpyjama zu. "Ich gebe dir eine Minute", fügte er lächelnd hinzu, bevor er in dem begehbaren Kleiderschrank Verschwand. Schnell zog sie Sich aus und schlüpfte in den Pyjama. Da die Hose immer wieder herunterrutschte, ließ sie sie schließlich auf dem Boden liegen und ging zum Bett. Als Charles wieder erschien, trug er lediglich eine Schlafanzughose. Trotz ihrer Müdigkeit betrachtete sie ihn wie gebannt, denn die vielen Stunden im Fitnessstudio hatten sich offenbar ausgezahlt. Er lächelte jungenhaft. "Nur ein Vorgeschmack auf spätere Freuden. Komm, lass uns ein bisschen schlafen." Dann legte er sich neben sie. Sie hatte befürchtet, kein Auge zutun zu können, wenn er halb nackt neben ihr lag, doch innerhalb weniger Sekunden war sie eingeschlafen. Als Barbara sechs Stunden später aufwachte, schien die Sonne ins Zimmer, und ihre Müdigkeit war verflogen. Charles lag auf der Seite und hatte einen Arm um sie gelegt. Als sie sich auch auf die Seite drehte, um ihn anzusehen, bewegte er sich, wachte jedoch nicht auf. Fasziniert betrachtete sie seine dichten langen Wimpern und die stoppeligen Wangen. Ich hatte Recht, dachte sie bedrückt. Es ist wirklich herrlich, neben ihm aufzuwachen. Einen Moment lang gab sie sich der Fantasie hin, dass sie von nun an immer neben ihm aufwachen würde. Sie würde ihn wach küssen und beobachten, wie er langsam die Augen öffnete und ein Lächeln seine Lippen umspielte... Sie seufzte, weil sie wusste, dass es reines Wunschdenken war. Es war schade, denn sie wären ein gutes Team gewesen. Charles brauchte eine Frau, die sich von seinem Geld, seinem scharfen Verstand, seinem Charisma, seinem Aussehen und
seinem Charme nicht beeindrucken ließ. Natürlich war er da anderer Meinung. Aber es hat keinen Sinn, sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die ich sowieso nicht ändern kann, sagte sich Barbara. Sie kuschelte sich enger an ihn und berührte seine Lippen mit ihren. Sein Mund war ganz heiß. Als sie den Druck verstärkte, erwiderte Charles den Kuss und zog sie an sich. Schließlich öffnete er die Augen und löste sich von ihr. "Es überrascht mich, dass du dich so lange beherrschen konntest", bemerkte er lächelnd, auf einen Ellbogen gestützt. "Wenn du dein Gesicht am Wochenende hättest sehen können ... Jetzt weiß ich auch, was ,mit Blicken verschlingen' bedeutet." Barbara lachte. "Na ja, ich habe dir nicht versprochen, dich nicht anzusehen." "Dabei fällt mir ein ... Wir haben noch etwas zu erledigen, stimmt's?" "Falls ich alles noch mal schreiben soll, lautet die Antwort nein," "Das habe ich nicht gemeint." Er zog eine Augenbraue hoch. "Ich habe immer gesagt, dass ich mich nicht mit meiner Sekretärin einlassen will, aber von Präsentationsexpertinnen war nicht die Bede. Ich habe mehr oder weniger versprochen, dich zu verführen, sobald ich die Zeit dazu habe." "Das hast du", bestätigte sie freundlich. "Und ich habe versprochen, dir einen Korb zu geben. Soll ich es jetzt tun oder später, wenn du die Zeit hast, mich zu verführen?" Charles öffnete den Mund, doch sie sprach ungerührt weiter: "Ich warne dich, denn es kann lange dauern. Da ich deinen Terminkalender kenne, weiß ich, dass du in absehbarer Zukunft keine Zeit hast, selbst wenn ich mitmachen würde - was ich nicht tue. Selbst als deine Präsentationsexpertin muss ich gelegentlich deine Stimme hören."
Er lächelte und küsste sie dann so leidenschaftlich, dass sie ganz schwach wurde. Eine ganze Weile später hob er den Kopf. "Und ich habe mich all die Jahre gefragt, wie ich dich zum Schweigen bringen kann." Seine Augen funkelten spöttisch. "Seit wann kümmert es dich, was ich sage?" fragte Sie außer Atem. "Du würdest dich wundem." Seine Stimme war sanft wie ein Streichern, seine Augen so grün wie die tropische See. Kein Wunder, dachte Barbara zynisch, schließlich hat er noch nicht mit mir geschlafen. Der Große Verführer ist ausgeschlafen und kann es jetzt kaum erwarten. Dass sie ihm kein Wort glaubte, bedeutete allerdings nicht, dass es ihr keinen Spaß machte. "An deiner Stelle würde ich meinen Charme für die Präsentation aufsparen", erklärte sie. "Die Leute von Barrett zahlen besser, und sie fallen vielleicht darauf rein." "Wer sagt, dass ich zu Barrett fahre?" Charles zog eine Augenbraue hoch. "Ich muss nach Prag fliegen, Barbara. Ich hätte schon vor drei Tagen da sein sollen." "Und wer geht dann zu Barrett?" fragte sie verblüfft. "Mike?" "Mike? Warum? Weil er vor fünf Monaten einige Notizen gemacht hat?" Er betrachtete sie spöttisch. "Nein, ich habe an jemanden gedacht, der die Präsentationsunterlagen in- und auswendig kennt." Entsetzt sah sie ihn an. "Nein." "Was soll das heißen? Es liegt doch auf der Hand, dass du es machen musst." "Von wegen. Ich habe so etwas noch nie gemacht. Es geht um ein Millionengeschäft. Ich wusste gar nicht, wo ich anfangen sollte..." "Dann wirst du es eben lernen", erklärte er ungerührt. "Warum sollte ich jemanden hinschicken, der weniger qualifiziert ist, nur weil du Lampenfieber hast?"
Barbara schloss verzweifelt die Augen. "Und wann soll die Präsentation stattfinden?" erkundigte sie sich matt. "Nächste Woche. Sie wollen das vorläufige Angebot morgen haben, und am nächsten Montag werden alle Mitbewerber antreten. Somit hast du eine Woche Zeit, um dich auf die Präsentation vorzubereiten. Es ist ein Kinderspiel." Sie schauderte und öffnete die Augen wieder. Flehend sah sie ihn an. "Es tut mir Leid, Charles, aber ich kann nicht. Du musst dir jemand anders suchen. Ich werde alles vermasseln, und du wirst den Auftrag nicht bekommen ..." "Nein, das wirst du nicht", fiel Charles ihr ins Wort. "Du wirst jetzt beweisen, dass du dein Geld wert bist. Tut mir Leid, aber du bist die Richtige für diesen Job. Ende der Geschichte." "Ich möchte meinen alten Job wiederhaben." Er lächelte jungenhaft. "Das geht nicht. Du weißt, dass ich nicht mit meiner Sekretärin schlafen kann." "Ich will nicht, dass du mit mir schläfst", sagte sie scharf. "Natürlich willst du das", entgegnete er fröhlich. "Wir warten damit, bis ich aus Prag zurück bin. Du bringst das Geschäft mit Barrett unter Dach und Fach, ich bezirze die Tschechen, und dann feiern wir. Abgemacht?" "Nein." "Also abgemacht." Nachdem er sie noch einmal leidenschaftlich geküsst hatte, sah er ihr wieder in die Augen. "Ich kann es kaum erwarten."
11. KAPITEL Am Dienstagmittag flog Charles nach Prag. Nachdem er es sich auf seinem Sitz in der Business Class bequem gemacht hatte, öffnete er seine Aktentasche und nahm die Unterlagen heraus, die er durchgehen wollte. Es handelte sich um Firmenberichte, Hintergrundmaterial sowie eine Aufschlüsselung der aktuellen Zahlen, die seine neue Sekretärin ihm ausgedruckt hatte. Als er darin blätterte, wurde er immer wütender. Es waren die Zahlen von Februar, aber jetzt war Juni, und trotzdem stand auf der Akte "Ergebnisse - neuste Aufschlüsselung", wie er feststellte. Tatsächlich gab es eine Reihe aktuellerer Ausdrucke, nur hatten die dämlichen Aushilfen, die die Personalleiterin ihm im Lauf der Monate angedreht hatte, diese nicht in diese Akte geheftet. Mit finsterer Miene tat Charles die Akte wieder in seine Tasche. Das hatte er nun davon, dass er Barbara befördert hatte. Spontan beschloss er, sie gleich nach seiner Ankunft in Prag anzurufen. Er hatte den Laptop und einen tragbaren Drucker dabei. Sie konnte ihm die Datei per E-Mail übermitteln, und er würde nicht einmal mit seiner dämlichen Sekretärin sprechen müssen. Da er die Zahlen nicht durchgehen konnte, nahm er sich die Firmenberichte und das Hintergrundmaterial vor. Barbaras Behauptungen sind wirklich absurd, dachte er. Es stimmte nicht,
dass er mit den Frauen nicht mehr sprach, wenn er mit ihnen geschlafen hatte. Sobald er wieder in London war, würde er mit Barbara schlafen und sie vergessen und ihr damit beweisen, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Er würde sie beruflich fördern. Wenn er in letzter Zeit an sie dachte, stellte er sich immer vor, wie es sein würde, sie auszuziehen und es nicht bei einigen Küssen bleiben zu lassen. Diesmal sah er sie allerdings vor sich, wie sie aufgebracht ihren Standpunkt hinsichtlich der Präsentation verteidigte. Ganz unerwartet verspürte er dabei einen Anflug von Zärtlichkeit, den er sofort unterdrückte. Derartige Gefühle hatte er seit damals nicht mehr zugelassen, weil sie seiner Karriere hinderlich gewesen wären. Barbara war clever und konnte viel erreichen, doch sie hatte noch einen langen Weg vor sich. Er musste ihr Aufgaben geben, bei denen ihre mangelnde Erfahrung kein Hindernis sein würde, denn sonst würde es ihr Selbstvertrauen schwer erschüttern. Diesmal wird es anders sein, beschloss er. Als Teenager war er von sich eingenommen und egoistisch gewesen, und Barbara hatte ihn immer so behandelt, als hätte er sich überhaupt nicht verändert. Er würde ihr beweisen, dass sie sich irrte. Zuerst wurde er mit ihr schlafen, dann würde er sich ihr gegenüber wieder wie ein älterer Bruder verhalten - so wie er es eigentlich damals hätte tun sollen. Er konnte sich wieder Frauen suchen, die ihn nicht von seiner Arbeit ablenkten, und Barbara würde sehen, wie großzügig und selbstlos er wirklich war. Charles schlug einen Jahresbericht auf und beschloss, nicht mehr an sie zu denken. Nachdem er einige Seiten gelesen hatte, ertappte er sich jedoch dabei, wie er wieder an sie dachte. Er biss die Zähne zusammen und las weiter und stellte dann fest, dass er den Moment im Geiste noch einmal durchlebte, als er von ihrem Kuss aufgewacht war. Was, zum Teufel, war bloß mit ihm los? Was immer es war, es gefiel ihm nicht. Ich werde mit
ihr schlafen, sobald ich zurück bin, entschied er. Je eher er sie aus seinen Gedanken verbannte, desto besser. Barbara war froh, dass Charles nicht in der Firma war. Sie quetschte alle Mitarbeiter von Mallory aus, die je ein Verkaufsgespräch geführt hatten, und entführte dann Mike Carlin, um sich von ihm in die neue Software einweisen zu lassen. Anschließend rief sie bei den Zeitarbeitsfirmen an, für die sie einmal tätig gewesen war, und bestellte einige Aushilfen, um das Programm an ihnen zu testen. Schließlich kaufte sie sich ein neues Kostüm und übte die Präsentation immer wieder vor laufender Videokamera. Es fiel ihr schwer, nicht an Charles zu denken, zumal er ständig anrief. Nicht, dass er ausdrücklich nach ihr fragte. Oft hatte er eine der ahnungslosen Aushilfen am Apparat, die er dann zusammenstauchte, bis diese den Hörer aufknallte und in Tränen aufgelöst weglief. Dann rief er in der Zentrale an und ließ sich zu ihr, Barbara, durchstellen. "Wo haben sie die bloß aufgetrieben?" erkundigte er sich jedes Mal aufgebracht und stellte anschließend eine Frage, die man nur verstehen konnte, wenn man entweder ein Genie war oder über telepathische Fähigkeiten verfügte. Irgendwie fand sie jedoch immer heraus, was er wollte, und beschaffte ihm die gewünschten Informationen. Zum Schluss sagte er ihr dann, sie solle ihre Zeit nicht mit banalen Bürotätigkeiten vergeuden. "Falsch", verbesserte sie ihn beim vierten Mal. "Du solltest meine Zeit nicht vergeuden. Aber da du dich zu mir hast durchstellen lassen, muss es dringend sein." "Das ist es auch - deswegen brauchte ich ja eine kompetente Sekretärin und nicht so eine Pfeife." "Eine kompetente Sekretärin braucht sich nicht mit Chefs wie dir herumzuschlagen", erwiderte sie fröhlich. "Was macht die Präsentation?" erkundigte sich Charles. "Frag bitte nicht." "Ich habe es aber gerade getan."
"Ich kenne die Unterlagen in- und auswendig", erklärte sie. "Ich habe mir ein neues Kostüm gekauft. Ich habe vor laufender Videokamera geübt. Es wird eine Katastrophe." "Du wirst sie umhauen. Hat das Kostüm einen kurzen Rock?" "Ziemlich kurz." "Ich wusste, dass du die Richtige dafür bist. Weißt du, was ,Ich kann dich nicht vergessen auf Tschechisch heißt?" "Nein." "Ich auch nicht. Und auf Ungarisch?" "So gut ist mein Ungarisch nicht." "Dann muss es eben unausgesprochen bleiben. Sayonara, Schatz." Charles hatte aufgelegt. Nachdem Barbara den Hörer einen Moment lang starr angeblickt hatte, hängte sie ebenfalls ein. Ob er es ernst gemeint hatte? Sie verspürte ein angenehmes Prickeln, doch dann rief sie sich ins Gedächtnis, dass er sehr charmant sein konnte, wenn er wollte, und dass er immer charmant war, wenn er eine Frau ins Bett bekommen wollte. Und wenn sich die Präsentation tatsächlich als Fiasko erwies, würde er seinen Charme sicher nicht mehr an sie verschwenden. Barbara schauderte und begann, die Unterlagen zum vierzigsten Mal durchzugehen. Es war leicht, sich zur Vernunft zu ermahnen, wenn sie nicht mit ihm sprach. Als das Wochenende näher rückte, war sie erleichtert, aber kaum hatte sie am Freitagabend ihre Wohnung betreten, als das Telefon klingelte. Es war Charles. "Ich bin nicht mehr im Dienst", erklärte sie. "Ich auch nicht", erwiderte er. "Ich wünschte, du wärst bei mir." "Mir geht es genauso. Dann könnte jemand anders die Präsentation machen." "Du wirst deine Sache gut machen", versicherte er. "Kann ich irgendetwas für dich tun?" "Nein, ich wollte nur mit dir reden. Sitzt du auf dem Sofa?"
"Ja." "Ich wünschte, ich wäre bei dir." Darauf konnte sie nichts erwidern, denn sie musste daran denken, wie sie neben ihm auf dem Sofa gelegen hatte. "Sag etwas", forderte er sie mit einem amüsierten Unterton auf. "Sehnst du dich auch nach mir?" "Das kann ich nicht leugnen", sagte sie scharf. " Sicher kannst du das." Barbara schloss die Augen. Warum fiel ihm alles so leicht? Er hatte keine Angst davor, zurückgewiesen zu werden. Er sagte einfach, was er dachte. Also warum konnte sie es nicht? "Na ja, ich..." begann sie. "Ich ... ich wünschte auch, du wärst bei mir." "Wenn ich aufwache, denke ich immer an dich. Denkst du auch an mich?" "Manchmal." Charles lachte auf. "Nur manchmal?" "Manchmal wache ich auf und denke an die Präsentation", sagte sie. "Manchmal denke ich an dich." "Ich denke an dich, kurz bevor ich die Augen aufmache", meinte er leise. "Ich stelle mir vor, dass ich die Augen öffne und in deine Augen schaue, die so blau sind wie Saphire. Habe ich dir schon gesagt, wie schön du bist?" "Einige Male." Sie hatte oft gehört, wie er diese Dinge anderen Frauen gesagt hatte. Komisch, dass sie dabei trotzdem ein erregtes Prickeln verspürte. "Stimmt etwas nicht?" fragte er. "Nein. Es ist nur komisch, zu hören, wie du diese Dinge zu mir sagst." "Willst du damit sagen, dass ich es nicht ernst meine?" "N... nicht unbedingt. Ich meine, ich glaube, du willst tatsächlich mit mir schlafen." "Das ist noch milde ausgedrückt", erwiderte er amüsiert. "Macht das was?"
"Nein, natürlich nicht." "Aber du glaubst, dass du danach nie wieder von mir hören wirst." "Nein. Ich werde nämlich nicht mit dir schlafen, weil ich mit meinem Chef reden muss." "Weißt du, was ,Du hast es mir angetan' auf Rumänisch heißt?" erkundigte sich Charles. "Nein." "Macht nichts, Schatz. Wenn ich zurück bin, werde ich dir beweisen, dass du mich falsch eingeschätzt hast." "Hm. Hast du zufällig ein Wörterbuch TschechischEnglisch?" "Irgendwo muss eins sein. Warum?" Er lächelte immer noch. "Schlag mal das englische Wort ,nein' nach. Vermutlich hast du es noch nie gehört. Gute Nacht, Charles." Barbara legte auf. Wenige Sekunden später klingelte das Telefon wieder, doch sie ignorierte es. Das geschah ihm recht. Als es schließlich verstummte, wünschte sie allerdings, sie hätte abgenommen. Am Samstag- und am Sonntagabend rief Charles wieder an. Er erzählte vom Stand der Verhandlungen und von Prag und sagte erneut, er wünsche, sie wäre mitgekommen. Barbara konnte sich nicht entsinnen, dass er sich je so viel Mühe gegeben hatte, wenn er mit einer Frau schlafen wollte, aber er war ja auch weit weg. Sie hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht und konterte mit frechen Bemerkungen, woraufhin er ihr lachend versicherte, er würde sie dazu bringen, ihre Worte zurückzunehmen. Einen Moment lang war sie sogar geneigt, ihm zu glauben. Als Barbara am Montag bei Barrett eintraf, waren ihre beiden Konkurrenten bereits da und beäugten einander misstrauisch. Sie warfen ihr einen flüchtigen Blick zu, als sie den Raum betrat, und beachteten sie dann nicht mehr. Beide sahen offenbar weder in ihr noch in Mallory eine Bedrohung. Sie biss die Zähne zusammen und nahm sich vor, es ihnen zu zeigen.
Eine Sekretärin führte sie in ein kleines Besprechungszimmer, in dem einige Mitarbeiter von Barrett sie bereits erwarteten. Sie, Barbara, war als Letzte an der Reihe. Drei Stunden später ging es ihr besser. Ihre Konkurrenten hatten die Präsentationen mit der Lässigkeit langjähriger Routine durchgeführt. Sie beobachtete, wie der alte Mr. Barrett sich Notizen machte und dabei die buschigen Augenbrauen zusammenzog. Es war offensichtlich, dass er vieles völlig überflüssig fand. Dann war es Zeit für die Mittagspause. Gerade als alle sich hinsetzen wollten, spielte Barbara ihren Trumpf aus. Sie ging zum Leiter des Benutzerservice und fragte höflich: "Könnten Sie die Personalabteilung bitte veranlassen, um zwei zwanzig Aushilfen herzuschicken?" Dieser zog indigniert eine Augenbraue hoch. "Ich weiß nicht, über welche Qualifikationen diese Aushilfen verfügen müssen, aber Sie können von Glück sagen, wenn Sie so kurzfristig jemanden bekommen." Barbara lächelte. "Ganz recht", bestätigte sie kühl. Plötzlich waren alle aufmerksam geworden, und der Ausdruck in seinen Augen verriet so etwas wie Interesse. "Welche Qualifikationen müssen sie denn mitbringen?" "Ich möchte zehn Aushilfen, die mit dem Softwarepaket von Mr. Rogers gearbeitet haben ..." Lächelnd wandte sie sich an ihren ersten Konkurrenten. "... und zehn, die sich mit der neusten Version von Mr. Peters" Softwarepaket auskennen." Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Abteilungsleiters. "Wir werden sehen, was wir tun können." Er griff zum Telefon und erteilte die entsprechenden Anweisungen. Nach dem Essen führte Barbara die zwanzig Aushilfen sowie zehn Mitarbeiter von Barrett in den Schulungsraum, wo man ihren Anweisungen gemäß auf jeweils zehn Computern die Softwarepakete der Konkurrenz und von Mallory installiert
hatte. Die Aushilfen, die bereits mit dem Softwarepaket von Mr. Rogers gearbeitet hatten, wurden vor die Computer mit der Software von Mr. Peters gesetzt und umgekehrt. Die zehn Mitarbeiter von Barrett mussten sich vor die Computer mit der Software von Mallory setzen. Dann erklärte Barbara ihnen die Aufgabenstellung. Jeder sollte drei Dokumente erstellen, anschließend ins Besprechungszimmer kommen und die Dokumente in die dafür vorgesehenen Körbe tun. Zurück im Besprechungszimmer, begann sie mit ihrer Präsentation. Innerhalb einer Viertelstunde befanden sich die mit der Software von Mallory erstellten Dokumente in dem dafür vorgesehenen Korb. Eine weitere halbe Stunde später trafen einige der Aushilfen mit den Dokumenten ein, die sie mit der Software von Mr. Rogers und Mr. Peters erstellt hatten. "Vor nicht allzu langer Zeit", sagte sie, "konnte man sich darauf verlassen, immer eine Schreibkraft zu bekommen, die sich mit jedem Programm auskannte." Sie lächelte und blickte zu Mr. Barrett. "Mittlerweile ist das nicht mehr so einfach, denn Fortschritt bedeutet nicht immer eine Verbesserung. Je komplizierter ein Softwarepaket ist, desto größer ist die Gefahr, dass nur eigens dafür geschulte Anwender es benutzen können. Deswegen ist es so wichtig, jederzeit über eine einfache Version verfügen zu können." Mr. Barrett war nicht der Typ, der lächelte, doch seine Miene war längst nicht mehr so finster wie am Vormittag. "Mallory ist nicht die bekannteste Firma", fuhr Barbara fort, "aber das sollte sie vielleicht sein. Ihre Mitarbeiter haben gerade drei Standarddokumente mit unserem Softwarepaket erstellt, ohne vorher eine Schulung gemacht zu haben. Bei uns bekommen Sie etwas für Ihr Geld, denn unser Programm ist so einfach anzuwenden, dass Sie den größtmöglichen Nutzen aus Ihrem größten Aktivposten ziehen können - Ihren Mitarbeitern."
Sie schenkte ihren Konkurrenten ein engelsgleiches Lächeln und verließ dann das Podium. Mr. Barrett kam auf sie zu und schüttelte ihr die Hand. Der Leiter des Benutzerservice kam ebenfalls zu ihr und machte ein noch freundlicheres Gesicht. Die gequälten Mienen ihrer beiden Konkurrenten sprachen für sich. Barbara tat ihre Unterlagen wieder in ihre Aktentasche. "Ihnen ist sicher klar, dass unsere Software dasselbe leistet", sagte Mr. Rogers mit einem gezwungenen Lächeln zu Mr. Barrett. "Die Präsentation war nicht schlecht", meinte Mr. Peters, "aber wenn Sie sieh das Produkt ansehen, werden Sie feststellen, dass es nichts Neues ist." Er warf Barbara einen ärgerlichen Blick zu. "So etwas hätte ich auch zusammenstellen können." "Stimmt", bestätigte Mr. Barrett trocken, "aber Sie haben es nicht getan." Während Mr. Rogers und Mr. Peters in ihren Firmenwagen davonfuhren, nahm Barbara die U-Bahn. Sie zitterte immer noch innerlich, als sie die Präsentation im Geiste Revue passieren ließ. Am nächsten Abend wurde Charles aus Prag zurückkehren. Angenommen, sie würde tatsächlich mit ihm schlafen und die Präsentation würde sich als großer Erfolg erweisen - würde das einen Unterschied machen? Würde er hinterher noch mit ihr reden? Sie schlenderte gerade die Straße entlang und dachte über diese Frage nach, als ihr plötzlich ein schrecklicher Gedanke kam. Sie hatte Charles gegenüber mehr als einmal angedeutet, dass sie sexuell sehr erfahren war. Was würde er nur denken, wenn sie tatsächlich mit ihm schlief? Was, wenn er die Wahrheit erriet? Sie kam gerade an einer Buchhandlung vorbei und ging spontan hinein, um sich bei den Sexualratgebern umzusehen. Nachdem sie allen Mut zusammengenommen hatte, wählte sie
den Titel Ja! Sie können Ihren Mann befriedigen und ging damit zur Kasse. Es war drei Uhr nachmittags. Da sie zu nervös war, um ins Büro zurückzukehren, beschloss sie, sich den restlichen Nachmittag freizunehmen und zu lernen. Drei Stunden später saß Barbara mit glühenden Wangen auf ihrem Sofa. Ihr neues Buch enthielt zahlreiche gute Tipps, die durch Illustrationen veranschaulicht wurden. Das Problem war nur, dass sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, diese bei Charles auszuprobieren. Für die anderen Frauen, mit denen er geschlafen hatte, waren diese Dinge vermutlich selbstverständlich - wahrscheinlich hatte eine von ihnen Ja! Sie können Ihren Mann befriedigen sogar geschrieben, aber sobald er mit ihr schlief, würde er merken, dass sie völlig unerfahren war. Sie wollte gerade noch einmal eines der Kapitel lesen, als ihr etwas einfiel, das sie vergessen hatte und das in dem Buch nicht behandelt wurde. Die Verfasserin ging nämlich davon aus, dass die Leserinnen irgendwann schon einmal mit einem Mann geschlafen hatten und lediglich ihre Technik verbessern wollten. Wie man einem Don Juan gegenüber verbergen konnte, dass man noch Jungfrau war, stand nicht darin. Weil es unmöglich ist, dachte Barbara bitter und legte das Buch weg. Es ist ja nicht so, als hätte ich es nicht versucht, überlegte sie wütend. Nichts wäre ihr lieber gewesen, als sich mit einem anderen Mann über ihre Liebe zu Charles hinwegzutrösten. Daher war sie auch mit anderen Männern ausgegangen, doch es hatte nie gefunkt. Barbara schnitt ein Gesicht. Sie hatte behauptet, dass sie nicht mit ihm schlafen würde, aber nun wurde ihr klar, dass sie sich in ihrem tiefsten Inneren immer danach gesehnt halte. Selbst wenn sie seine dreitausenddreihundertdreiundsiebzigste Eroberung war, war es immer noch besser als gar nichts.
Sie hatte nicht die Wahl zwischen einer gemeinsamen Zukunft mit dem Mann, den sie liebte, und einem One-NightStand, sondern zwischen einer Zukunft ohne den Mann, den sie liebte, und einer Zukunft ohne den Mann, den sie liebte, und ohne Erinnerungen an eine Nacht in seinen Armen. Allerdings war es eine Sache, sich zu entscheiden, aber eine ganz andere, es Charles wissen zu lassen. Er war nicht dumm und würde sofort die richtigen Schlüsse ziehen. Sobald er herausfand, dass sie noch Jungfrau war, würde er wissen wollen, warum und, was noch schlimmer war, warum sie ihre Jungfräulichkeit ausgerechnet an den Mann verlieren wollte, den sie immer nur kritisiert hatte. Dann würde sie nicht nur ohne ihn weiterleben müssen, sondern er würde es zudem wissen. Nein, sie konnte es nicht tun. Sie würde ihm klarmachen müssen, dass ihre Beziehung zueinander rein geschäftlich war.
12. KAPITEL Am nächsten Abend kehrte Charles aus Prag zurück. Barbara hatte sich nach einigem Kopfzerbrechen entschieden, länger in der Firma zu bleiben und auf ihn zu warten. Um halb sieben wurde die Tür zu ihrem Büro geöffnet, und er kam herein. Obwohl er nur eine Woche weg gewesen war, setzte Barbaras Herz bei seinem Anblick einen Schlag aus, so atemberaubend sah er aus. "Wie war's in Prag?" fragte sie. "Es war eine Herausforderung." Er lächelte jungenhaft. "Zu schade, dass ich meine Sekretärin vorher befördert hatte. Ich habe es trotzdem überlebt." "Gut?, erwiderte sie matt und überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte. "Ich glaube, die Präsentation ist gut gelaufen." "Gut?" "Natürlich ist es noch zu früh, um Genaueres ..." Charles lachte. "Das ist es nicht. Das hier hat man mir gerade gegeben." Er warf einen Brief auf ihren Schreibtisch. Barbara nahm den Brief und las ihn. Er stammte von Mr. Barrett, der die Firmenleitung von Mallory dazu beglückwünschte, dass sie seinen Bedürfnissen so entgegenkomme. Der Vertrag würde umgehend folgen, und er freue sich auf eine weitere Zusammenarbeit mit ihnen.
"Das glaube ich nicht", sagte sie verblüfft. "Warum nicht? Du wusstest, was sie wollten, und hast sie überzeugt." Charles lächelte sie an. "Komischerweise freue ich mich am meisten darüber, dass ich wieder ein verborgenes Talent entdeckt habe." Sie lächelte verlegen. "Ja, aber es war nur ein Zufall, dass ich vorher bei Barrett gearbeitet habe." Er zuckte die Schultern. "Jeder hätte über die Informationen verfügen können, aber nicht jeder hätte damit etwas anzufangen gewusst." Er strich ihr mit einem Finger über die Wange. "Jedenfalls haben wir jetzt etwas zu feiern." "Ja", bestätigte sie unbehaglich. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Gut, dass ich dich noch hier erwischt habe - vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass du momentan nichts zu tun hast. Komm, lass uns zusammen essen gehen." Das hielt sie für keine gute Idee. Mit ihm essen zu gehen war kein Problem, doch eins konnte zum anderen führen - und sie konnte sich denken, wohin es seiner Meinung nach führen würde. Andererseits fiel ihr auch keine plausible Begründung ein, mit der sie die Einladung hätte ausschlagen können. Außerdem wollte sie die Einladung gar nicht ausschlagen, denn sie würde nicht ewig bei Mallory arbeiten, und wie oft wurde sie noch Gelegenheit haben, mit Charles essen zu gehen? Zudem lächelte er sie so an, wie er sonst die anderen Frauen angelächelt hatte. Sie hatte ihm gerade einen Auftrag an Land gezogen, der ihm Millionen von Pfund einbringen würde. Kein Wunder also, dass er sie mochte. Also warum sollte sie es nicht auskosten? "Also gut", willigte sie daher ein. Obwohl das Restaurant für seine hervorragende Küche bekannt war, nahm Barbara den Geschmack des Essens kaum wahr. Charles, der ihr gegenübersaß, lächelte die ganze Zeit. Diesmal handelte es sich nicht um ein Geschäftsessen, sondern
er wollte einfach nur mit ihr zusammen sein. An diesen Abend würde sie sich ihr Leben lang erinnern. "Was sagst du dazu?" fragte er schließlich gegen zehn. "Hast du Lust, mit zu mir zu kommen und dir die Jazz-CD anzuhören?" Eigentlich hätte sie Nein sagen müssen. Doch wann würde sich ihr je wieder eine solche Gelegenheit bieten? Sie konnte mit zu ihm fahren, und dann würde er sie zumindest wieder küssen. Wahrscheinlich würde er wütend reagieren, wenn sie ihm sagte, dass sie nicht weitergehen wolle, aber so würde sie wenigstens zusätzlich von diesen Küssen zehren können. "Gern", erwiderte Barbara daher. Charles lächelte jungenhaft. "Dann lass uns gehen." Sie fuhren zu seinem Penthouse. Das letzte Mal war sie so müde gewesen, dass sie sich nur flüchtig umgesehen hatte, doch nun ging Barbara zu der hohen Fensterfront im Wohnzimmer und blickte staunend auf die funkelnden Lichter der Stadt. Im Hintergrund erklang leise Jazzmusik. "Möchtest du etwas trinken?" fragte Charles. "Einen Brandy? Oder einen Kaffee?" "Einen Brandy", erwiderte Barbara, denn sie konnte eine Stärkung gebrauchen. "Kommt sofort." Er ging zu einem Schrank und kam dann mit zwei Gläsern in Händen zu ihr, von denen er ihr eines reichte. "Auf meine rechte Hand. Mallorys Geheimwaffe." Sie trank einen großen Schluck Brandy. Charles neigte den Kopf und streifte ihre Lippen mit seinen. "Komm, setz dich." Barbara folgte ihm zum Sofa. Der Brandy schien ihr zu helfen, denn sie hatte nun wieder einen klaren Kopf. Nachdem sie noch einen Schluck getrunken hatte, nahm sie neben Charles auf dem Sofa Platz. "Charles?"
"Ja." Er legte ihr den Arm um die Schultern und sah sie mit funkelnden Augen an. "Ich muss dir etwas sagen." "Hm?" Er strich ihr übers Haar. Sie trank noch einen Schluck und leerte somit das Glas. Dann zwang sie sich, ihm in die Augen zu blicken. "Ich kann nicht mit dir schlafen." Endlich hatte sie es ausgesprochen. "Hast du etwa immer noch Angst, ich würde hinterher nicht mit dir reden?" neckte er sie. "Ich schwöre dir, dass es nicht der Fall sein wird. Schließlich kann ich meiner Geheimwaffe nicht die kalte Schulter zeigen." "Trotzdem möchte ich es nicht. Ich dachte, ich müsste es dir fairerweise sagen." Sein Selbstbewusstsein schien nicht den geringsten Schaden genommen zu haben. "Habe ich etwas Falsches gesagt?" erkundigte Charles sich leise. "Dann nehme ich es zurück." Wieder berührte er ihre Lippen mit seinen, bis sie sich an ihn schmiegte. Daraufhin löste er sich von ihr und blickte auf sie hinab. "Du bist so schön. Aber das ist nicht alles. Du hattest schon immer etwas Wildes, Ungezähmtes. Immer wenn ich euch Weihnachten besucht habe und in Begleitung einer schönen Frau war, hat sie neben dir wie eine Hauskatze neben einer Tigerin gewirkt." Er zog eine Augenbraue hoch. "Und bevor ich dich begrüßen konnte, habe ich schon deine Krallen gespürt." Dann küsste er sie verlangend. "Ich kann gar nicht sagen, wie oft ich mich danach gesehnt habe. Oder wie oft ich mich gefragt habe ..." Wieder zog er eine Augenbraue hoch. "Es tut mir Leid", beharrte Barbara. Dass er so selbstherrlich war, machte es ihr leichter. "Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen." "Du hast was?" meinte er verblüfft. "Ich warte noch auf den Richtigen. Ich möchte, dass es etwas bedeutet." Sie konnte nicht umhin, insgeheim über seinen
fassungslosen Gesichtsausdruck zu triumphieren. "Ich warte auf den Mann, mit dem ich mein Leben verbringen will. Er soll der Erste sein." "Du bist noch Jungfrau." "Ja." Es läuft ganz gut, dachte sie. Zumindest hatte er anscheinend nicht erraten, mit wem sie ihr Leben verbringen wollte. "Aber ..." Charles betrachtete sie skeptisch. "Warum hast du mir das nicht neulich gesagt?" "Weil du gesagt hast, du könntest nicht mit deiner Sekretärin schlafen." "Warum habe ich bloß das Gefühl, dass mehr dahinter steckt? Immerhin bist du mitgekommen. Und erzähl mir jetzt nicht, dass du nur die CD hören wolltest." "Es macht mir nichts aus, dich zu küssen", erklärte Barbara. "Es gefällt mir. Aber ich möchte nicht, dass du frustriert bist und dann mir die Schuld gibst." Betont unschuldig sah sie ihn an. Einen Moment lang funkelten seine Augen vor Wut. Dann lachte er unvermittelt. "Ich hätte mir denken gönnen, dass es nicht so einfach sein wird. Warum gebe ich mich überhaupt mit dir ab? Ich kenne ein Dutzend Frauen, mit denen ich hätte essen gehen können und die anschließend mit zu mir gekommen wären." "Du hast doch immer behauptet, du würdest mich verführen", erinnerte sie ihn. "Allerdings bedeutet das nicht, dass du es auch schaffst." "Nein", bestätigte er. "Aber ich hätte schwören können ..." Wieder zog er eine Augenbraue hoch. "Ich weiß, dass du mich für arrogant hältst, aber ich dachte immer, bei dir würde ich nur meine Zeit vergeuden - bis vor kurzem." Er lächelte. "Du küsst nicht wie jemand, der es dabei belassen möchte. Und so wie du mich neulich angesehen hast..." "Du bist sehr attraktiv", meinte sie wegwerfend.
"Ja, nicht?" Er lächelte noch breiter. "Na, wenigstens hebst du deine Küsse nicht für Mr. Right auf." Dann neigte er den Kopf, um die Lippen auf ihre zu pressen. Sein Mund war weich und warm, und Barbara öffnete bereitwillig die Lippen und legte Charles die Arme um den Nacken. Ihr schien es, als wäre es ein Jahr her, dass er sie das letzte Mal geküsst hatte, und diesmal war es noch viel besser. Diesmal muss ich es mir genau einprägen, dachte sie. Das erotische Spiel seiner Zunge erregte sie ungemein, und sie schob eine Hand in sein Haar, während sie mit der anderen sein Gesicht umfasste. Es war sehr aufregend, seinen Kopf zwischen den Händen zu halten, während Charles sie immer verlangender küsste. Warum kann es nicht ewig dauern? dachte sie benommen. Nun ließ er eine Hand zu ihrer Taille gleiten. In letzter Zeit trug sie bei der Arbeit immer Kostüme, und er zog die Bluse aus dem Rockbund. Unwillkürlich hielt Barbara den Atem an, als sie seine warme Hand auf der Haut spürte, und atmete schließlich langsam aus. Daraufhin ließ er die Hand zu ihren Brüsten gleiten und strich mit dem Daumen über ihren Spitzen-BH. Da er sie jetzt etwas verhaltener küsste, konnte sie sich ganz auf seine Liebkosungen konzentrieren. Sie zitterte unkontrolliert, und heiße Wellen der Erregung durchfluteten sie. Irgendwann löste er sich von ihr, ohne jedoch die Hand von ihrer Brust zu nehmen. "Hör nicht auf", flehte sie und blickte ihn verlangend an. Charles lächelte schwach. "Barbara, Schatz, hast du dir je Gedanken darüber gemacht, wem du die Schuld geben willst, wenn du frustriert bist?" "Niemandem", erwiderte sie heiser. "Das wäre also geklärt", meinte er schulterzuckend und begann, geschickt ihre Bluse aufzuknöpfen Nachdem er ihr den BH abgestreift hatte, neigte er den Kopf, um die Knospen mit
Lippen und Zunge zu liebkosen. Sein Mund war heiß auf ihrer Haut, und sie seufzte erregt auf. Daraufhin hob Charles den Kopf. "Warum hast du aufgehört?" erkundigte Barbara sich matt. Ihr Herz raste, und das Blut rauschte ihr in den Ohren. "Weil es lächerlich ist." Er strich ihr übers Haar. "Barbara, du weißt, dass du mich willst. Du begehrst mich genauso wie ich dich, und das will etwas heißen. Wenn diese fixe Idee, dich für den Richtigen aufzubewahren, schon seit Jahren dein Lebensmotto ist, sollte ich vielleicht nicht von dir verlangen, es sofort aufzugeben, aber wann hast du das letzte Mal richtig darüber nachgedacht?" "Das weiß ich nicht mehr", sagte sie wahrheitsgemäß. "Na ja, du kennst dich offenbar selbst am besten." Wieder lächelte er. "Aber vielleicht solltest du dich an mein Motto halten." "Und das wäre?" "Wichtig ist nicht, ob man mit jemand anders schläft, bevor man die große Liebe findet, sondern ob man danach mit jemand anders schläft." Barbara lachte. "Das hätte ich mir denken können." "Sicher. Aber ist da nicht etwas Wahres dran? Wenn du Mr. Right gefunden hättest, wärst du jetzt nicht hier, oder wenn du hier wärst, würdest du ihn mit einem Kuss genauso betrügen, als wenn du mit mir schlafen würdest. Es würde Sinn machen, jemandem treu zu sein, der tatsächlich existiert, aber momentan gibt es niemanden. Du kannst lediglich wissen, was du jetzt empfindest. Ist es nicht besser, zu diesen Gefühlen zu stehen? Wenn du je jemanden kennen lernst und den Rest deines Lebens mit ihm verbringen willst, kannst du auch zu den Gefühlen stehen. Aber in der Zwischenzeit solltest du zu den Gefühlen stehen, die du jetzt empfindest."
Eins muss man ihm lassen, dachte sie. Er weiß immer, was er sagen soll. Es klang so aufrichtig. Wenn man ihn so reden hörte, hätte man annehmen können, dass Charles nur das Beste für sie wollte. Aber was spielte es schon für eine Rolle? Wichtig war, dass er es ihr leicht gemacht hatte. "Hm", meinte sie, "vielleicht hast du Recht." "Was?" fragte er erschrocken. "So habe ich es noch nie betrachtet. Es macht wirklich keinen Sinn, jemandem treu zu sein, der vielleicht nicht einmal existiert." "Genau." Er sah aus, als würde er seinen Ohren nicht trauen. "Die Frage ist nur, ob ich jetzt mit dir schlafen möchte." "Ja." Nun wirkte er ausgesprochen misstrauisch. "Und ich glaube, ich möchte es. Wollen wir ins Schlafzimmer gehen?" "Warum habe ich bloß das Gefühl, dass mehr dahinter steckt?" "Keine Ahnung", erwiderte sie. "Tatsache ist, du bist so hinterhältig, dass du glaubst, andere seien es auch." Betont unschuldig sah sie zu ihm auf. "Versprichst du mir, dass du zärtlich bist?" "Lieber nicht, denn im Moment würde ich dir gern den Hals umdrehen. Ich würde gern wissen, was für ein Spielchen du spielst." Barbara lächelte. Sie fühlte sich großartig, denn sie würde mit dem Mann schlafen, den sie liebte. Natürlich würde er danach nicht mehr mit ihr reden, aber früher oder später würde er ohnehin eine andere finden. Früher oder später würde er ohnehin kein Wort mehr mit ihr wechseln, doch dann hatte sie wenigstens mit ihm geschlafen. "Was für ein Spielchen?" erkundigte sie sich unschuldig. "Wie du bereits sagtest, begehre ich dich genauso wie du mich." Nach einer Pause fügte sie hinzu: "Würdest du wirklich nie
wieder mit einer anderen Frau schlafen, wenn du die richtige finden würdest?" Charles zögerte und zuckte dann die Schultern. "Ja. Sie wäre nicht die Erste, aber sie wäre die Letzte." "Und du hoffst, dass du ihr nicht zu schnell begegnest." Er lachte. "Oh, das würde ich nicht sagen. Aber jetzt haben wir genug über mich gesprochen. Nun wollen wir uns dir und deinen Bedürfnissen widmen."
13. KAPITEL Später vermochte Barbara nicht mehr zu sagen, was am schönsten gewesen war. Nach dem, was sie von ihren Freundinnen gehört hatte, hatte sie angenommen, das erste Mal wäre immer eine Enttäuschung. Und da sie es sich so oft vorgestellt und sich so danach gesehnt hatte, musste es einfach eine Enttäuschung sein, wie sie geglaubt hatte. Es war keine Enttäuschung gewesen. Sie waren in Charles' Schlafzimmer gegangen, und sie hatte angefangen, sich auszuziehen und ihre Sachen auf den Boden zu werfen. Daraufhin hatte Charles gelacht. Dann hatte er jungenhaft gelächelt. Es war dasselbe Lächeln, dem sie vorher immer zu widerstehen versucht hatte. Doch diesmal musste sie ihm nicht widerstehen. Er begann ebenfalls, sich auszuziehen und seine Sachen auf den Boden zu werfen, und plötzlich stand er nackt neben ihr und zog sie an sich. Ihre Wange ruhte an seiner Brust, und Barbara konnte seinen Herzschlag spüren. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie sich in seinen Armen so geborgen fühlen würde. Sie legte ihm die Arme um die Taille und schloss die Augen. "Das tust du nur, weil du Angst hast hinzusehen", neckte er sie. "Und du willst nur angeben, weil du so viel Zeit im Fitnessstudio verbracht hast", konterte sie. "Ich finde, wir sollten
das Licht ausmachen, denn während du dich im Fitnessstudio gequält hast, habe ich immer im Bett gelegen." Er hatte gelacht und die Lippen auf ihre gepresst, und sie hatte seinen Kuss leidenschaftlich erwidert. Und genauso hatte sie es in Erinnerung - eine seltsame Mischung aus Lachen und Leidenschaft. Und selbst als er sie zum Gipfel der Ekstase gebracht hatte, war es nicht rein körperlich gewesen, wie sie es erwartet hatte, weil Charles in gewisser Weise bei ihr gewesen war. Nun lag er auf der Seite und sah sie an, den Kopf in die Hand gestützt. "Und?" Barbara betrachtete ihn fasziniert. Er sah wunderschön aus. Seine grünen Augen funkelten, sein kurzes schwarzes Haar war etwas feucht, und seine Züge wirkten noch markanter, weil ihm das Licht nicht ins Gesicht fiel. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich verplappern und ihm ihre Liebe gestehen. "Es war wunderschön", sagte sie. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Eigentlich hättest du ,Das war alles?' sagen und mich zusammenstauchen müssen." Etwas anderes, das sie nicht erwartet hatte, war diese Vertrautheit zwischen ihnen. Barbara schien es, als könnte sie ihm alles sagen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie es vermutlich auch tun. "Es war anders, als ich erwartet hatte." Offen sah sie ihm in die Augen. "Ich dachte, es wäre unpersönlicher, weil ... na ja, weil du es schon so oft gemacht hast." Charles zögerte, dann lächelte er ironisch. "Das ist es manchmal auch. Für mich ist es in gewisser Weise wohl auch das erste Mal gewesen. Ich glaube nicht, dass ich je mit einer Frau geschlafen habe, die ich so gut kannte." Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob er das besser fand, und von ihm gehört, dass es für ihn auch wunderschön gewesen war, schöner als je zuvor. Am liebsten hätte sie von ihm gehört, dass
ihm plötzlich klar geworden sei, dass er sie liebe und sie heiraten wolle. "War ... ist es denn anders?" erkundigte sie sich. "Es ist sehr erotisch." Ohne den Blick abzuwenden, streckte er die Hand aus und ließ sie über ihren Körper gleiten. "Aber das liegt zum Teil vielleicht daran, dass du normalerweise immer in die Defensive gehst." "In ... in die Defensive?" "Angriff ist die beste Verteidigung. Seit ich mich entsinnen kann, hast du mich immer angegriffen." Er beugte sich über sie und presste die Lippen auf ihre. Während Barbara das erotische Spiel seiner Zunge erwiderte, schob sie die Hand in sein Haar und ließ sie dann immer tiefer gleiten, über seinen Nacken, die breiten Schultern und den muskulösen Rücken bis zu seiner schmalen Taille. Sein Körper war so schön, und für eine kurze Zeit gehörte er ihr. Am nächsten Morgen würde Charles sich wieder anziehen, und es würde keine Vertrautheit mehr zwischen ihnen geben. Da sie nie wieder mit ihm im Bett liegen würde, wollte sie es auskosten. Sie legte ein Bein auf seins und zog ihn weiter an sich. Dabei spürte sie seine wachsende Erregung, und er lachte kehlig. Dann liebte Charles sie wieder, genauso leidenschaftlich und zärtlich zugleich wie beim ersten Mal. Unwillkürlich fragte sich Barbara, wie es sein würde, sich ihr Leben lang daran erinnern zu müssen. Für einen Moment schloss sie die Augen, und als sie sie wieder öffnete, stellte sie fest, dass er sie ansah. Er lag wieder neben ihr, den Kopf wieder in die Hand gestützt. Sie hatte gehört, dass Männer danach immer einschliefen, doch Charles war hellwach und beobachtete sie lächelnd. "Du kannst schlafen, wenn du willst", sagte sie. "Ich kann was?" "Schlafen. Tun Männer das normalerweise nicht danach?" Er lächelte noch breiter. "Ich möchte diesen Moment auskosten und ihn mir einprägen, damit ich daran denken kann,
wenn du mir wieder sagst, was für ein egoistischer, arroganter Mistkerl ich bin." Barbara lächelte ebenfalls. "Wenn ich gewusst hätte, dass es so einen Eindruck auf dich macht, hätte ich es noch öfter gesagt. Jedenfalls macht es nur deswegen so einen Eindruck, weil alle anderen Frauen dir gegenüber so unkritisch sind." "Sie haben nur andere Interessen. Sie suchen einen wohlhabenden, erfolgreichen Mann, der sie groß ausführt." Das klang ziemlich deprimierend, doch sie hatte viele der Frauen gesehen, mit denen Charles ausging. Sie waren ausnahmslos wunderschön, und er schonte wahrscheinlich ihre Gefühle, indem er ihnen verschwieg, wie wunderbar es war, nur um der körperlichen Befriedigung willen mit einer wunderschönen Frau zu schlafen. Barbara betrachtete ihn nachdenklich. "Fühlst du dich manchmal einsam?" fragte sie schließlich aus einem Impuls heraus. "Nein, ich glaube nicht." Obwohl sie nicht geglaubt hatte, dass grenzenlose Vertrautheit zwischen ihnen herrschte, beunruhigten seine Worte sie, und sie wandte den Blick ab. "Tut mir Leid." Charles umfasste ihr Kinn und zwang sie, ihn wieder anzusehen. Ironisch verzog er den Mund, "Ich wollte nicht ... Ich glaube nicht, dass ich mich je so einsam fühle, dass ich das Bedürfnis habe, jemandem mein Herz auszuschütten, aber das heißt nicht..." Er verstummte und runzelte die Stirn. "Manchmal langweile ich mich. Aber das hast du wohl nicht gemeint." "Du langweilst dich?" "Ich habe immer mit Frauen gespielt, die die Regeln kennen. Es hat funktioniert, denn wir hatten immer guten Sex, aber wenn es vorbei ist, will man keinen Small Talk mehr machen. Mir ist wahrscheinlich gar nicht klar gewesen, wie oft ich neben
einer Frau gelegen und mir gewünscht habe, einer von uns wäre irgendwo anders." Starr blickte sie ihn an. Anscheinend wollte er ihr damit sagen, dass es mit ihr anders war, aber inwiefern war es anders? Bedeutete es, dass er am nächsten Morgen noch mit ihr sprechen würde? Dass er wieder mit ihr schlafen würde? "Du bist mir schon immer auf die Nerven gegangen, aber ich habe dich immer gemocht", fuhr er fort. "Nachdem das mit der Mathearbeit passiert war ... Ich weiß nicht, du hast so wütend gewirkt. Manchmal hatte ich den Eindruck, du würdest mich hassen. Ich dachte, ich hätte dein Leben zerstört. Vielleicht ist es deswegen anders - es ist, als hätten wir immer Freunde sein sollen." Barbara rang sich ein Lächeln ab, denn das Wort "Freunde" stand in krassem Gegensatz zu ihren Empfindungen. Es lief darauf hinaus, dass sie ihre Gefühle wieder vor ihm verbergen musste, sonst würde er sich darauf besinnen, wie nett und unkompliziert es mit all den Supermodels gewesen war. "Ich hasse dich nicht", erklärte sie. "Das muss mein Glückstag sein", erwiderte er lächelnd. "Ich sollte das Beste daraus machen." Sie liebten sich wieder und wieder - es war, als könnte Charles nicht genug von ihr bekommen. Als es irgendwann dämmerte, schlief er ein. Barbara konnte nicht schlafen. Sie lag da und betrachtete ihn. Wenn er aufwachte, würde er sich vielleicht auch wünschen, sie wäre irgendwo anders. Es wurde zusehends heller. Eine Zeit lang hatte sie geglaubt, ihn vergessen zu können, wenn sie mit ihm schlief, weil er auch meistens nach einer Nacht das Interesse an einer Frau verlor. Doch sie hatte das Gefühl, dass es niemals der Fall sein würde. Nun war es Tag. Sie wagte es nicht, Charles mit einem Kuss zu wecken. Was, wenn er die Augen öffnete und der Ausdruck darin Langeweile verriet?
Noch während sie darüber nachdachte, bewegte sich Charles und streifte dabei ihr Bein. Daraufhin öffnete er die Augen und lächelte schläfrig. "Ich habe es also nicht geträumt", sagte er. "Es ist wirklich passiert." "Ja", bestätigte Barbara nervös. "Tut es dir Leid?" "Nein", erwiderte sie, noch nervöser. "Komm her und küss mich." Er legte den Arm um sie und zog sie an sich, um sie zu küssen. "Du bist wundervoll", sagte er leise. Hingebungsvoll schmiegte sie sich an ihn. Warum konnte es nicht immer so sein? Während er Barbara weiter küsste, wurde er allmählich wach. Die Situation war seltsam, aber er konnte nicht sagen, warum. Irgendetwas fehlte. Doch er wollte später darüber nachdenken und es genießen ... Plötzlich fiel es ihm ein. Er hätte es eigentlich nicht genießen dürfen. Wenn es so gewesen wäre wie sonst, hätte er es auch nicht genossen. Mit der körperlichen Befriedigung wären Langeweile und Ungeduld einhergegangen, untrügliche Zeichen dafür, dass er bereits jegliches Interesse an der Frau verloren hatte und sein bisheriges Leben weiterleben konnte. Jetzt allerdings war er weder ungeduldig, noch langweilte er sich. Er empfand ... Er wusste nicht, was er empfand. Es war schön gewesen, doch so empfand man nicht, wenn man das Interesse an jemandem verloren hatte. Es beunruhigte ihn ein wenig. Aber vielleicht mache ich mir unnötig Sorgen, sagte sich Charles. Schließlich War die Nacht sehr aufregend gewesen, und nach einem solchen Erlebnis verlangte es einen nicht nur um der Abwechslung willen nach etwas weniger Aufregendem. Außerdem hatte er Barbara immer gemocht. Daher hatte er auch nicht erwarten können, dass es ihm mit ihr genauso
ergehen würde wie mit den anderen Frauen. Daher musste er nehmen, was kam, und dankbar dafür sein. "Herrlich, so aufzuwachen", sagte er und hob den Kopf. "Wie spät ist es eigentlich?" "Ungefähr sieben", erwiderte sie. "Ich muss nach Hause und mich umziehen." "Stimmt", meinte er lächelnd. Sie ist wirklich reizend, dachte er. Am liebsten wäre sie noch geblieben, aber es hätte sie zu sehr verletzt, wenn sie das Gefühl gehabt hätte, dass Charles sie loswerden wollte. Daher versuchte sie, sich von ihm zu lösen. Er verstärkte jedoch seinen Griff und presste wieder die Lippen auf ihre. Bereitwillig schmiegte sie sich an ihn und erwiderte seinen Kuss so leidenschaftlich, als wäre es der erste. Viel, viel später löste er sich von ihr. Seine Augen funkelten. "Es war also tatsächlich kein Traum." "Was soll das heißen?" fragte Barbara gereizt. Wenn sie nicht aufpasste, verplapperte sie sich womöglich noch. "Ach, nichts." Er lächelte bedauernd. "Was meinst du - sollen wir uns heute frei nehmen? Ich kann meiner Sekretärin sagen, dass ich den Tag im Bett verbringe." Verblüfft blickte sie ihn an. Es war das erste Mal, dass ihm etwas wichtiger war als seine Arbeit. "Vielleicht muss ich noch mehr tun, um dich umzustimmen", fügte er hinzu. Dann neigte er den Kopf und begann, ihre Knospe mit der Zunge zu liebkosen. Sie erschauerte heftig. Nun, da sie wusste, welche Lust er ihr bereiten konnte, schien sie noch stärker auf seine Zärtlichkeiten zu reagieren. Als er sie schließlich wieder ansah, verriet der Ausdruck in seinen Augen starkes Verlangen. "Barbara", sagte Charles leise. "Barbara. Barbara." Barbara schloss für einen Moment die Augen. Eigentlich konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen, als bei ihm zu
bleiben. Doch es war schrecklich, ihm so nahe zu sein und gleichzeitig so zu tun, als wäre es etwas rein Körperliches. "Was ist?" fragte er dicht an ihrem Ohr, Sie öffnete die Augen wieder. "Es ist nur ..." Vielleicht konnte sie es riskieren, etwas zu sagen, das nur ein bisschen der Wahrheit entsprach. "Es ist ein bisschen überwältigend. Ich möchte nichts als selbstverständlich betrachten, aber könnten wir nicht...?" "Was?" Noch immer lächelte er sie an. "Könnten wir heute Abend wiederkommen?" Da, sie hatte es ausgesprochen. Jetzt würde er irgendeine Ausrede ersinnen. "Klar, wenn du willst." "Dann lass es uns tun. Und jetzt ziehe ich mich lieber an." Bevor er sie daran hindern konnte, stand sie auf. "Es macht dir doch nichts aus, wenn ich dusche, oder?" "Nur zu." Barbara hob ihre Sachen auf und verließ das Zimmer. Charles legte sich wieder hin und runzelte die Stirn. Überwältigend, hatte sie gesagt. Das hörte natürlich jeder Mann gern, wenn er der Erste gewesen war. Aber hatte sie das wirklich gemeint? Und was wollte sie nicht als selbstverständlich betrachten? Charles rief sich ins Gedächtnis, was er in dieser Nacht gesagt hatte. Er hatte nichts gesagt, was er/nicht auch so gemeint hatte, doch was war, wenn Barbara mehr hineininterpretierte? Oder ihren Gefühlen zu viel Bedeutung beimaß? "Verdammt!" fluchte er. Er konnte alles im Keim ersticken, indem er ihr mitteilte, dass es besser sei, wenn sie doch nicht wieder miteinander schliefen. Das Problem war nur, dass er wieder mit ihr schlafen wollte, und wenn er es nicht tat, würde es ihn vermutlich noch mehr beschäftigen als vorher. Er wollte nur nicht, dass Barbara es zu ernst nahm. Warum musste alles nur so kompliziert sein? Falls sie an diesem Abend wiederkam, musste er es ihr fairerweise sagen.
Aber er wollte ihre Gefühle nicht verletzen, und was sollte er ihr schon sagen? Schließlich hatte er noch keine Frau so gemocht wie sie. Erleichtert lief Charles sich ins Gedächtnis, dass er an diesem Abend eine Verabredung mit Julia hatte. Als Barbara kurz darauf wieder hereinkam, war sie fertig angezogen und ihr Haar noch feucht vom Duschen. Sie ist so schön, dachte er. Am liebsten hätte er ihr die Sachen vom Leib gerissen und sie wieder ins Bett gezogen, doch das war keine gute Idee. "Mir ist gerade etwas eingefallen", erklärte er beiläufig. "Was?" fragte sie. Nun würde sie die Ausrede zu hören bekommen. Charles zog eine Augenbraue hoch. "Ich bin heute Abend mit Julia verabredet. Ich kenne deine Ansichten über mein Verhalten Frauen und besonders ihr gegenüber, aber selbst ich glaube, dass es zu viel wäre, sie zweimal hintereinander so kurzfristig zu versetzen. Andererseits kann ich auch schlecht mit ihr ausgehen, wenn ich lieber mit dir schlafen würde. Was meinst du?" Barbara verspannte sich. Am liebsten hätte sie ihm deutlich die Meinung gesagt, doch was hätte es genützt? Bisher hatte es ja auch keine Wirkung bei ihm gezeigt. Er hatte bekommen, was er wollte. Daher konnte sie auch nicht erwarten, dass er seinen Charme nun bei ihr versprühte. Schließlich hatte sie sich nie irgendwelchen Illusionen über seinen Charakter hingegeben. Ihr Pech, dass sie sich ausgerechnet in einen Mann verliebt hatte, der so sensibel war wie ein Karton. "Ich weiß nicht", erwiderte sie entnervt. "Du bist derjenige, der die Regeln kennt." "Ich glaube, ich bringe es hinter mich", erklärte er. "Dann kannst du mich hinterher wenigstens nicht mehr als egoistisch bezeichnen." Seine Augen funkelten amüsiert. "Andererseits muss ich mir irgendetwas einfallen lassen, wie ich mich vor
einem Gutenachtkuss drücken kann. Ich halte es nämlich für keine gute Idee, sie zu küssen, wenn ich mit dir schlafen will." "Vielleicht möchtest du bis dahin mit ihr schlafen", bemerkte sie scharf. Charles lächelte entzückt. Wie hatte er sich nur Gedanken darüber machen können, sie würde das Ganze womöglich zu ernst nehmen? Jetzt würde sie ihm gleich sagen, wie egoistisch er sei und wie sehr sie sich darauf freue, einen anständigen Mann kennen zu lernen, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. "Behaupte bitte nie, dass du eifersüchtig bist. Oder mach mich glücklich - erzähl mir nicht, dass du nicht eifersüchtig bist. Soll ich absagen?" "Natürlich nicht", sagte Barbara steif. "Du hast Recht, du solltest sie nicht wieder versetzen." "Also gut, ich werde brav sein. Wie werden es morgen Abend nachholen. Abgemacht?" Verlangend und verzweifelt zugleich betrachtete Sie sein Gesicht. Natürlich begehrte Charles sie, aber er würde sich nicht so nach ihr verzehren wie sie sich nach ihm. Er würde sich nicht an jede einzelne Minute ihrer gemeinsamen Nacht erinnern. Er betrachtete vieles als selbstverständlich. Wenn er sich seiner Sache doch nur einmal nicht so sicher sein würde! Doch sie konnte ihm diese Lektion nicht erteilen. Sie lächelte widerstrebend. "Abgemacht."
14. KAPITEL Um neun betrat Barbara ihr Büro. Es sah noch genauso aus, wie sie es hinterlassen hatte. Als sie den Computer einschaltete, stellte sie fest, dass sie eine E-Mail von Charles bekommen hatte. Er schlug einige Aufgaben vor, die sie erledigen konnte, bevor er ihr ein neues Projekt gab. Etwas Persönliches stand nicht darin. Sie stützte das Kann in die Hände. Er geht mit Julia essen, dachte sie und presste die Lippen zusammen. Den ganzen Tag würde sie daran denken müssen, und am Abend würde sie die beiden im Geiste vor sich sehen. Am folgenden Abend würde sie ihn sehen, und am nächsten Tag würde Charles wieder mit einer anderen Frau ausgehen, wenn sie von ihm erwartete, dass er sie heiratete. Warum muss ich mir das antun? dachte Sie wütend. Für sie war es das Beste, wenn sie es jetzt beendete. Seine anderen Freundinnen hegten wahrscheinlich die Hoffnung, dass Charles sich änderte. Sie hatten ihn ja auch nicht fünfzehn Jahre lang in Aktion erlebt. Barbara blickte auf den Bildschirm. Im Grunde hatte sie nichts mehr zu tun. Sie würde sich noch einmal mit den Leuten von Barrett in Verbindung setzen müssen, um die Einzelheiten zu besprechen, doch die Zusammenstellung des Softwarepakets würde jemand anders übernehmen. Wenn Charles tatsächlich dieselbe Meinung von ihr gehabt hätte wie von seinen anderen
Talenten, hätte er sie sicher schon längst mit einem neuen Projekt betraut. Offenbar hat er in der Hinsicht auch das Interesse an mir verloren, überlegte sie bedrückt. Sicher hatte er es zu dem Zeitpunkt ernst gemeint, aber vielleicht hatte er es auch im Überschwang der Begeisterung gesagt, weil er mit ihr hatte schlafen wollen. Wahrscheinlich würde er sie bei guter Bezahlung weiterbeschäftigen, ohne ihr eine besondere Aufgabe zu geben, und nach Ablauf des Jahres beschließen, ihren Vertrag nicht zu verlängern. Das konnte ihr nur recht sein, doch dann konnte sie im Grunde gleich nach Sardinien fliegen. Barbara krauste die Stirn. Zum ersten Mal hatte sie eine interessante Aufgabe gehabt, und eine solche Chance würde sich ihr nie wieder bieten. Daher konnte sie sich genauso gut selbst eine Aufgabe suchen. Wenn sie einen weiteren Auftrag dieser Größenordnung an Land zog, würde Charles sieh vielleicht nicht mehr fragen, ob er ihr aus dem Weg gehen sollte... Nein, sagte sie sich entschieden. Es lag einzig und allein an ihr, etwas daraus zu machen. Sie stand auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. Ein neuer Auftrag, dachte sie. Die meisten großen Firmen arbeiteten bereits mit einem bestimmten Softwarepaket. Warum sollte man daran etwas ändern. Das würde niemand machen. Aber angenommen, eine Firma wurde von einer größeren aufgekauft, die mit einem anderen Softwarepaket arbeitete? Daraus konnte Mallory keinen Vorteil ziehen. Aber angenommen, zwei Firmen verhandelten über eine Fusion, und keine der beiden Seiten wollte das Gesicht verlieren? Während ihrer Tätigkeit bei diversen Investmentbanken hatte sie eine Vorstellung davon bekommen, wie viel Geld so etwas kosten konnte. Ein neues Softwarepaket in beiden Firmen zu installieren würde wesentlich teurer sein, als eines der beiden
alten zu übernehmen. Man musste nur die richtigen Leute ansprechen. Nachdem Barbara bei Barrett angerufen hatte, um einen Termin beim Leiter des Benutzerservice zu vereinbaren, ging sie in die firmeneigene Bibliothek, suchte dort die letzten Ausgaben sämtlicher Wirtschaftsmagazine heraus, holte sich einen Kaffee und Gebäck aus der Cafeteria und kehrte in ihr Büro zurück, um nachzudenken. Charles verbrachte den Vormittag damit, das aufzuarbeiten, was während seiner Abwesenheit liegen geblieben War. Dabei dachte er ärgerlich an seine Verabredung mit Julia und herrschte ständig seine Sekretärin an. Nach dem Essen fuhr er mit der Arbeit fort und dachte weiterhin ärgerlich an Julia. Er wollte nicht Julia, sondern Barbara sehen. Natürlich konnte er zu ihr gehen, aber was war, wenn sie es falsch verstand? Andererseits konnte er sie dann wenigstens wieder küssen. Gegen vier fiel ihm ein, dass er Barbara versprochen hatte, ihr ein neues Projekt zu geben. Daher beschloss er, nach unten zu gehen und mit ihr darüber zu sprechen. Wenigstens würde sie dann nicht mehr glauben, dass er kein Wort mehr mit einer Frau wechselte, nachdem er mit ihr geschlafen hatte. Er traf Barbara im Schneidersitz auf ihrem Schreibtisch an. Auf dem Boden lagen zahlreiche Wirtschaftsmagazine. Sie las gerade in einer Zeitschrift und machte sich dabei Notizen. In diesem Moment sah sie fast genauso aus wie damals, wenn sie auf irgendeinem Möbelstück vor ihm gehockt und ihn mit Fragen gelöchert hatte. Als sie aufblickte, setzte sie sofort jene spöttische Miene auf, die offenbar ihm vorbehalten war. "Das wäre doch nicht nötig gewesen, Charles." "Was wäre nicht nötig gewesen?" erkundigte er sich überrascht. "Dass du zu nur kommst. Du hättest mir durch deine Sekretärin ein Dutzend Rosen schicken lassen können. Was
wäre, wenn ich auf falsche Gedanken gekommen wäre? Was wäre, wenn ich losgelaufen wäre und ein Hochzeitskleid gekauft hätte?" Charles musste lachen. "Hör auf damit." "Man kann in dieser Hinsicht gar nicht vorsichtig genug sein. Manche Frauen begreifen es einfach nicht. Ich dagegen weiß, dass, nur weil ich bei dir einziehe ..." "Wie bitte?" Entsetzt sah er sie an, bis er das boshafte Funkeln in ihren blauen Augen bemerkte. "Du hast Recht, ich hätte dir ein Dutzend Rosen schicken sollen, aber nur die Stiele mit den Dornen. Zu schade, dass meine Sekretärin nach der Mittagspause gegangen ist!" "Wirklich schade!" pflichtete sie ihm bei. "Und so unvernünftig. Schließlich konntest du ja nicht wissen, dass sie nicht über telepathische Fähigkeiten verfügt. Außerdem braucht ein Mann in deiner Position die Worte bitte und danke nicht zu benutzen. Woher solltest du wissen, dass sie so hohe Erwartungen stellt?" Charles schloss die Tür hinter sich und ging auf den Schreibtisch zu. "Ja, woher?" wiederholte er. Dann nahm er sie in die Arme und presste die Lippen auf ihre, um sie verlangend zu küssen. Barbara ließ die Zeitschrift fallen und erwiderte seinen Kuss. Den ganzen Tag lang hatte sie die vergangene Nacht immer wieder im Geiste Revue passieren lassen, und nun küsste er sie unerwartet wieder. Schließlich löste er sich von ihr und lächelte sie an. "Habe ich dir je gesagt, dass du einen zur Verzweiflung bringst?" "Nicht direkt." Sie umfasste seinen Nacken und zog seinen Kopf wieder zu sich herunter. Sein Mund war heiß und fordernd - sie hätte schwören können, dass Charles auch den ganzen Tag an nichts anderes gedacht hatte.
"Du bringst einen zur Verzweiflung", sagte er eine ganze Weile später. "Außerdem erinnerst du mich daran, dass ich einmal eine Sekretärin hatte. Was ist dein Geheimnis?" "M... mein Geheimnis?" fragte Barbara erschrocken. "Oh, mein Geheimnis", fuhr sie erleichtert fort, als ihr klar wurde, was er meinte. "Das ist nur gesunder Menschenverstand." In seinen Augen lag ein nachdenklicher Ausdruck, der ihr überhaupt nicht gefiel. Dir war nicht entgangen, dass Charles sofort entspannter gewirkt hatte, als sie damit begonnen hatte, ihn zu beleidigen. "Bist du mit der Arbeit im Rückstand?" erkundigte sie sich. "Ich stelle dir meine Sekretärin zur Verfügung, denn ich habe nichts zu tun. Ich sage ihr nur schnell, dass sie sich nichts dabei denken soll, wenn du schreist." Sie stand auf und ging zur Tür. "Carol, würde es Ihnen etwas ausmachen, nach oben zu gehen und Mr. Mallory zu helfen?" Die verträumte Art, mit der sie Mr. Mallory betrachtete, ließ darauf schließen, dass Carol neu in der Firma war. "Natürlich nicht", erwiderte sie begeistert. "Er würde sich sehr darüber freuen." Barbara gab Charles, der ihr ins Vorzimmer gefolgt war, einen Knuff. "Oh ... ja, das würde ich", sagte er. "Vielen Dank." "Es ist mir ein Vergnügen, Mr. Mallory", flüsterte Carol. "Lassen Sie sich durch seine Wortwahl nicht stören", riet Barbara. "Für seine Kinderstube kann er schließlich nichts. Und er meint es gar nicht so, wenn er schreit. Mr. Mallory ist ein Schaf im Wolfspelz. Er..." "Hören Sie nicht auf Barbara." Charles schenkte Carol das für ihn so typische charmante Lächeln, das alle Frauen schwach machte. "Ich bin nicht sehr umgänglich und meine alles, was ich sage, auch genau so, aber ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie es sich trotzdem gefallen lassen würden. Auf meinem Schreibtisch liegen einige Bänder. Wenn Sie die Briefe
schreiben und ausdrucken würden, wäre es eine große Hilfe für mich. Bitte", fügte er hinzu und umfasste Barbaras Ellbogen. "Natürlich, Mr. Mallory." Carol schaltete ihren Computer aus und verließ den Raum. "Sie sind so wundervoll, Mr. Mallory", fügte Barbara hinzu. "Die Arme. Warum bist du eigentlich hier, Charles?" Er lächelte jungenhaft. "Nicht nur, um dir etwas zu beweisen, falls du das meinst. Ich hatte ja gesagt, dass ich dir ein neues Projekt geben will, und das wollte ich mit dir besprechen. Möchtest du einige Schulungen machen? Ich möchte schließlich nicht, dass du wegen fehlenden Hintergrundwissens Probleme bekommst." Barbara senkte den Blick. Würde sie es denn nie lernen? Sie schöpfte wieder Hoffnung, wenn er auch nur ein Minimum an Freundlichkeit an den Tag legte. Energisch straffte sie sich. "Ich habe schon eine Idee. Komm mit in mein Büro." "Sagte die Spinne zur Fliege", spottete Charles. "Schon gut, schon gut." Er folgte ihr in ihr Büro. "Schieß los." "Feffel & Meyers", sagte sie. "Was ist mit denen?" Er lehnte sich an die Wand und blickte auf Barbara hinunter. "Abgesehen von der Tatsache, dass sie uns schon seit Jahren aus dem Weg gehen." "Und Rutherford Carlisle." "Was ist mit denen?" "Es sind zwei der größten unabhängigen Investmentbanken des Landes", sagte sie. "Letztes Jahr haben sie über eine Fusion verhandelt, aber keiner der beiden möchte nachgeben. Feffel arbeitet mit einem System unseres größten Konkurrenten, Rutherford mit einem unseres zweitgrößten, und jeder will seines beibehalten. Mal angenommen, wir können sie davon überzeugen, dass es eine dritte Möglichkeit gibt?" Ihre Augen funkelten. "Ich hatte mal einen Kollegen, Peter, der jetzt bei Feffel Karriere gemacht hat. Ich könnte mal mit ihm
essen gehen und ihn aushorchen. Und bei Rutherford habe ich eine Zeit lang gearbeitet. Daher kenne ich den richtigen Ansprechpartner. Was hältst du davon? Wenn die Fusion stattfindet, haben wir es mit einem Großunternehmen zu tun. Und wenn wir das als Kunden gewinnen könnten, wäre es eine tolle Werbung für uns." Charles blickte sie an. Sie hatte Recht. Er hatte überlegt, wie er sie langsam auf große Aufgaben vorbereiten konnte, und sie war ihm um Längen voraus. Er musste sich eingestehen, dass er beeindruckt war. "Dass es eine gute Idee ist, brauche ich dir wohl nicht zu sagen", erwiderte er langsam. Komisch war nur, dass er sich betrogen fühlte, weil er nun nicht mehr die Gelegenheit hatte, ihr zu helfen. "Dann soll ich Peter also anrufen?" "Klar." Barbara warf ihm einen schalkhaften Blick zu. "Ich kann es gar nicht abwarten, ihm zu erzählen, was ich jetzt mache. Er hat mir nämlich immer gesagt, ich könnte seinen Job auch machen. Ich werde wohl vorschlagen, etwas ganz Teures zu bestellen, und dann darauf bestehen zu bezahlen. Ich rufe ihn gleich an." Sie nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Charles beobachtete sie amüsiert. "Ich würde mich gern mit dir treffen, bevor du nach New York fliegst", sagte sie, nachdem sie Peter erreicht hatte. "Ich sehe mal in meinem Terminkalender nach ... Ach so. Nein, morgen passt es mir." Sie nannte eine Zeit und ein Restaurant und legte schulterzuckend auf. Dann wandte sie sich an ihn. "Es macht dir doch nichts aus, oder? Peter fliegt in einigen Tagen nach New York, und ich dachte, ich sollte das Eisen schmieden, solange es heiß ist." "Klar", meinte er und wartete darauf, dass sie vorschlug, stattdessen am übernächsten Abend essen zu gehen. Das tat sie jedoch nicht.
"Kannst du mir einige Zahlen besorgen?" fragte sie. "Du weißt besser als ich, wie das Angebot aussehen könnte." "Klar." Er musste ein Lächeln unterdrücken. Allein mit ihr zusammen zu sein brachte ihn zum Lachen, denn sie war witzig, clever und leidenschaftlich. Immer wenn er sie in- und auswendig zu kennen glaubte, überraschte sie ihn aufs Neue. Warum konnte er es nicht einfach genießen? "Hör mal, warum isst du nicht heute mit mir zu Abend, damit wir darüber sprechen können? Ich kann die Verabredung mit Julia verschieben." Entgeistert sah Barbara ihn an. Dass er mit Julia essen ging, passte ihr natürlich überhaupt nicht, doch bei der Vorstellung, mit ihm essen zu gehen, nachdem er die Verabredung mit Julia selbstherrlich abgesagt hatte, sah sie rot. "Gern", meinte sie daher freundlich, "aber es würde nichts bringen, denn es ist bereits halb fünf, und du wirst die Daten nicht mehr rechtzeitig beschaffen können. Warum besprechen wir es nicht einfach morgen bei einem Sandwich?" Sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Offenbar hatte Charles überhaupt nicht damit gerechnet, dass sie Nein sagen könnte. Er lächelte charmant. "Zweimal darf ich raten", sagte er leise. Barbara lächelte ebenfalls. "Es war schön heute Nacht, aber das hier ist sehr wichtig. Ich muss ausgeschlafen sein, wenn ich meine Sache gut machen soll. Vielleicht können wir ein andermal zusammen essen gehen. Kannst du mir die Zahlen bis morgen Mittag besorgen? Toll." Charles überlegte, ob er je vorher von einer Frau einen Korb bekommen hatte. "Es freut mich, dass es dir Spaß gemacht hat", bemerkte er spöttisch. "Ich will mal sehen, ob ich dir einige Zahlen beschaffen kann. Dann bis morgen."
15. KAPITEL Barbara verbrachte den Abend hauptsächlich damit, an die vergangene Nacht zu denken und nicht daran zu denken, dass Charles mit Julia essen ging. Was war, wenn Julia ihn zuerst küsste? Irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass er dann großen Widerstand leisten würde. Oder was war, wenn er seine Meinung änderte und die Initiative ergriff? Charles verbrachte den ersten Teil des Abends damit, an die vergangene Nacht zu denken und sich zu wünschen, er hätte die Verabredung mit Julia nicht verschoben. Bisher hatte er Julia nie als Fußabtreter betrachtet, doch plötzlich fiel ihm auf, dass sie immer einer Meinung mit ihm war. Sie war so schön wie eh und je, aber er langweilte sich. Als sie beim Dessert waren, sagte Julia zum ersten Mal an diesem Abend etwas Interessantes. Nein, "interessant" war das falsche Wort. "Erschreckend" passte eher. "Es ist also endlich passiert", erklärte sie ein wenig traurig. "Was ist passiert?" fragte er. Er hatte ihr gerade erzählt, dass er wieder ein Talent entdeckt hatte. "Du hast dich verliebt." Sie lächelte bedauernd. "Ich dachte, dir würde so etwas nicht passieren." "Das würde es auch nicht", protestierte er entsetzt. "Sie ist eine attraktive Frau und sehr clever, aber ich habe mich nicht in sie verliebt. Ich kenne ihre Familie schon seit Jahren, und sie ist eine gute Freundin..."
"Es ist also rein platonisch", bemerkte sie skeptisch. "Nein, nicht direkt", räumte er ein. "Aber was spielt das schon für eine Rolle? Sie ist wirklich unmöglich. Sie ist die Letzte, die ich ... mit der ich zusammenleben würde." Julia wirkte nicht überzeugt. "Wenn du meinst. Aber ich möchte heute lieber nicht mit zu dir kommen, Charles." Charles betrachtete ihr glänzendes blondes Haar und ihre atemberaubende Figur in dem engen schwarzen Kleid. Er konnte sich auch kaum vorstellen, Julia mit nach Hause zu nehmen. "Wie du willst", erwiderte er. Was, zum Teufel, war bloß mit ihm los? Nachdem er sie in ein Taxi verfrachtet hatte, kam er bereits um elf nach Hause. Ärgerlich ging er im Wohnzimmer auf und ab, wobei sein Blick immer wieder aufs Sofa fiel, wo er am Vorabend mit Barbara gesessen hatte. Am liebsten hätte er sie angerufen und sie gefragt, ob sie einen Rat brauche, nur um von ihr zu hören, dass sie allein zurechtkomme. Reiß dich zusammen, sagte er sich dann. Frauen sind unverbesserliche Romantikerinnen. Selbst wenn eine Beziehung nur auf Sex gründete, führte sie ihrer Meinung nach gleich zum Altar. Selbst wenn er heiraten würde, wäre Barbara die letzte Frau gewesen, die er genommen hätte. Es musste eine Frau sein, die repräsentieren konnte, gelassen und weltgewandt, eine Frau wie Julia. Bei der Vorstellung, den Rest seines Lebens mit Julia zu verbringen, verzog Charles das Gesicht. Es war entsetzlich. Aber ich muss ja nicht heiraten, sagte er sich. Erfolgreich war er ohnehin. Wenn er Mallory zu einem Großunternehmen ausbauen wollte, brauchte er nur so weiterzumachen wie bisher, indem er sich gute Leute suchte und ihnen die Chance gab, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Leute wie Barbara. Vielleicht sollte er sie anrufen. Er nahm den Hörer ab und wählte ihre Nummer.
"Hallo?" meldete sich Barbara. "Barbara?" "Charles? Stimmt etwas nicht?" Ihr erstaunter Tonfall erinnerte ihn daran, dass er keinen Grund hatte, sie anzurufen. "Nein, ich... ich habe mich nur gefragt, ob du dir noch Gedanken über den Deal mit Meffel & Fires ... ich meine Feffel & Meyers gemacht hast. Soll ich dich für das Essen morgen instruieren?" "Ich glaube, einige Zahlen reichen erst mal. Du kannst sie mir morgen beim Mittagessen geben. Ich möchte Peter nicht erschlagen." Allein der Klang ihrer heiseren Stimme weckte sein Verlangen. "Ich wünschte, du wärst bei mir", sagte Charles in dem Tonfall, dem bisher keine Frau hatte widerstehen können. "Was?" Er lachte. "Ich wünschte, du wärst bei mir. Ich habe den ganzen Abend an dich gedacht. Für Julia ist es sicher kein Vergnügen gewesen." "Nein", pflichtete sie ihm bei. Schade, dass sie nicht hier ist, dachte er bedauernd. Dann hätte er sie ihn die Arme nehmen und küssen können, und sie wäre nicht mehr so distanziert gewesen. "Also dann übermorgen?" Barbara schwieg einen Moment. "Charles, würde es dir etwas ausmachen, wenn wir unsere Beziehung wieder aufs Geschäftliche beschränken?" fragte sie schließlich. "Die letzte Nacht war sehr schön, aber ich würde mich wohl immer fragen, ob du nicht eine Frau kennen lernst, die du interessanter findest. Du hast mir mal gesagt, dass die meisten Frauen, mit denen du dich triffst, die Spielregeln kennen. Daher wäre es vielleicht besser, wenn du dich auch weiterhin mit ihnen treffen würdest. Natürlich ist das kein Hindernis für eine gute Zusammenarbeit."
Das hörte er nicht zum ersten Mal. Daher versuchte er es mit den Phrasen, mit denen er bisher immer Erfolg gehabt hatte, doch sie ließ ihn nicht aussprechen. "Lieber nicht", erklärte sie schlicht. "Und jetzt muss ich wirklich schlafen. Gute Nacht, Charles." Dann legte sie auf. Nachdem Charles den Hörer eine Weile starr angeblickt hatte, knallte er ihn wütend auf. Noch vor einer halben Stunde war er sich ganz sicher gewesen, dass er bald wieder mit Barbara schlafen würde, und nun hatte sie ihm den Laufpass gegeben. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Und ihm gefiel nicht, dass er so enttäuscht war und sie am liebsten gleich wieder angerufen hätte, um ihr zu sagen, dass es sich um ein Missverständnis handele und er sie niemals wegen einer anderen Frau fällen lassen würde, weil er sich nicht vorstellen könne, mit einer anderen Frau zusammen zu sein. Was war bloß mit ihm los? Barbara hat Recht, sagte er sich grimmig. Er hatte einen Fehler gemacht, als er sich mit einer Frau eingelassen hatte, die die Regeln nicht kannte. Er konnte es sich nicht leisten, ständig an sie zu denken. Es war besser, wenn er sich wieder mit den Frauen traf, die er verstand und die ihn verstanden. Er nahm seinen Organizer aus der Brusttasche und begann, die Namen aufzurufen: Anabel, Belinda, Caroline, Diane ... Dann nahm er den Hörer ab, um einige Anrufe zu tätigen.
16. KAPITEL Das Essen mit Peter verlief besser, als Barbara gehofft hatte. Zuerst war er etwas skeptisch, als er hörte, dass die gesamte Belegschaft mit einer neuen Software arbeiten sollte. Nachdem sie ihm von der Präsentation bei Barrett erzählt hatte, bestätigte er jedoch ihre Vermutung, dass die beiden Systeme einen rein symbolischen Wert hatten. "Aber das wird natürlich niemand zugeben", erklärte er. "Kannst du es nicht wie eine rein pragmatische Entscheidung aussehen lassen? In jeder Firma gibt es Leute, die schwören, dass man einen bestimmten Arbeitsgang mit ihrer Software in zwei Sekunden erledigen kann, für das die andere zwei Stunden braucht. Wenn wir ein System hätten, das beides kann ..." Lächelnd erwiderte sie, das sei eine gute Idee, die das Ganze in einen anderen Blickwinkel rücke. Charles wäre verblüfft gewesen, wenn er dabei gewesen wäre. In den nächsten beiden Wochen stürzte sie sich in die Arbeit. Dadurch gelang es ihr auch, nicht an Charles zu denken. Nachdem sie das Telefonat mit ihm beendet hatte, war sie fassungslos gewesen, weil sie sich selbst um mindestens eine weitere Nacht mit ihm gebracht hatte. Und das nur aus Stolz. Jetzt war es geschehen, und Charles nahm sie beim Wort, was nur bewies, dass er sich im Grunde nie wirklich für sie interessiert hatte. Sie hatte den Eindruck, dass er nun jeden Abend mit einer anderen Frau ausging. Wenn sie ihn am
Spätnachmittag in seinem Büro anrief, um ihn etwas zu fragen, erklärte er immer, er sei in Eile, weil Elinor, Fiona oder Gina jeden Moment zur Tür hereinkommen würde. Wenigstens habe ich diesen Job, dachte Barbara grimmig. Es machte ihr zwar keinen so großen Spaß mehr, weil sie sich nicht mehr mit Charles streiten und ihn von seiner Arbeit ablenken konnte, aber es war besser als gar nichts. Eine weitere Woche verging. Eines Mittags traf Barbara die Personalleiterin in der Cafeteria. Diese wirkte ziemlich mitgenommen. "Was ist Ihr Geheimnis?" fragte sie, als sie, ihre Tabletts in Händen, von der Kasse weggingen. "Mein Geheimnis?" wiederholte Barbara lächelnd. "Was Mr. Mallory betrifft, meine ich. In den letzten drei Tagen hat er sechs Sekretärinnen verschlissen. Sie haben bisher das größte Durchhaltevermögen bewiesen." Mrs. Cox seufzte. "Ich weiß, dass es eine großartige Chance für Sie ist, Barbara, aber ich habe Ihre Beförderung mit gemischten Gefühlen verfolgt. Zuerst dachte ich, Sie hätten ihn irgendwie bekehrt. Ein Mädchen hat mir erzählt, er wäre richtig nett zu ihr gewiesen. Jetzt ist er wieder der alte Sklaventreiber und sogar noch schlimmer als vorher." "Wenn man sich sein Verhalten gefallen lässt, glaubt er, dass er sich noch mehr rausnehmen kann", erklärte Barbara streng. Mrs. Cox seufzte. "Ein Mädchen hat es nur eine Stunde bei ihm ausgehalten. Ich frage mich, was er zu ihnen sagt." "Soll ich mal mit ihm reden?" erbot sich Barbara. "Mit Mr. Mallory?" "Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich werde mit Mr. Mallory reden, ob es ihm nun gefällt oder nicht."
Es war schon eine Weile her, dass sie Charles die Meinung gesagt hatte. Sie konnte ihn zwar nicht küssen, aber sie konnte ihn beleidigen. Es würde ihnen beiden gut tun. Ihre Augen funkelten kampflustig, als Barbara kurz darauf im Aufzug nach oben fuhr. Eine schluchzende Sekretärin kam ihr entgegengelaufen und floh durch eine Tür, auf der "Notausgang" stand. Sofort ertönte ohrenbetäubendes Sirenengeheul. Nachdem Barbara den Alarm ausgeschaltet hatte, ging sie auf die Tür zu Charles' Büro zu. Da Charles gerade telefonierte, wartete sie draußen. "Ich weiß, Liebes", sagte er gerade, "aber es ist ganz neu für mich. Ich war noch nie verliebt." Er lachte. "Ja, natürlich ist es wundervoll, aber es ist ein absoluter Albtraum." Da sie ganz weiche Knie hatte, lehnte sie sich gegen die Wand, Er hatte also eine andere Frau kennen gelernt, und diesmal war es etwas Ernstes. "Nein, ich habe es Barbara noch nicht erzählt", fuhr er fort. "Schließlich ist so etwas nicht gerade einfach. Du kennst sie ja..." Sie biss sich auf die Lippe. Es war also jemand, den sie kannte. "Ich weiß wirklich nicht, wie sie darauf reagieren wird." Er machte eine Pause und lachte dann wieder. "Du hast gut reden, Liebes. Aber ich will es so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich sage dir dann Bescheid, wie es gelaufen ist." Barbara biss die Zähne zusammen. Das hielt sie keine Minute länger aus. Charles würde ihr sagen, dass er der Frau begegnet war, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte. War es Hilary? Oder Irene? Er würde ihr erklären, dass er sich verliebt hatte, und sie würde so tun müssen, als wäre es ihr egal. Es war ihr aber nicht egal. Sie wollte ihn, und sie konnte ihn nicht haben. Stattdessen machte sie nun Karriere, obwohl sie es
nie gewollt hatte. Vielleicht konnte sie Charles nicht haben, doch dafür konnte sie etwas anderes haben. Sie würde nach Sardinien fliegen.
17. KAPITEL Die Sonne tauchte den halbmondförmigen Strand und das klare blaue Wasser in gleißendes Licht. Barbara saß unter einem großen gestreiften Sonnenschirm. Sie hatte sich von Kopf bis Fuß mit Sunblocker eingecremt, da sie mit ihren roten Haaren sehr empfindliche Haut hatte. Sie war einmal schwimmen gegangen und las nun einen Krimi von Agatha Christie auf Italienisch - es war der einzige Roman in der Landessprache gewesen, den sie an dem kleinen Kiosk bekommen hatte. "Buon giorno, Poirot", sagte Colonel Hastmgs. "Buon giorno, Hastings", erwiderte der Detektiv. So weit, so gut. Vor ihrem Sonnenschirm tauchte ein Schatten auf dem Sand auf. Barbara hielt den Blick gesenkt, denn sie hatte den größten Teil ihres Urlaubs damit verbracht, aufdringliche Sardinier abzuwimmeln, und war nicht in der Stimmung, wieder einen abzuweisen. "Buon giorno, signorina", sagte eine tiefe Stimme. "Kann ich mich zu Ihnen setzen? Da Sie lesen, sind Sie für eine Unterbrechung bestimmt dankbar." Barbara sah auf. Ihr Blick glitt über lange, schlanke Beine, eine schmale Taille, eine muskulöse Brust und breite Schultern, die von zahlreichen Trainingsstunden im Fitnessstudio zeugten. Dann begegnete sie dem Blick grüner Augen. Er trug eine schwarze Badehose und hatte ein Handtuch in der Hand.
Er legte das Handtuch in den Sand und setzte sich darauf. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. "Charles?" "Hast du eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, um dich zu finden?" fragte Charles. "Warum bist du überhaupt verschwunden? Ich dachte, du hättest dich in dein neues Projekt gestürzt." "Ich weiß", erwiderte Barbara schnell. "Ich bin nur zu dem Ergebnis gekommen, dass es nichts für mich ist. Tut mir Leid, dass ich so überstürzt abgehauen bin, aber ich dachte, ich hätte genug Vorarbeit geleistet, dass jemand anders es übernehmen kann." Charles betrachtete ihr Gesicht, das noch schöner war, als er es in Erinnerung hatte. Ihr Haar war flammend rot, ihre Augen waren so blau wie das Meer. Wie hatte er auch nur einen Moment lang glauben können, sie wäre nicht die Richtige für ihn? Und wahrscheinlich hatte er die einzige Chance vertan, die er je gehabt hatte. "Na ja, es ist deine Entscheidung", meinte er. Solange er sie nicht gefragt hatte, wusste er wenigstens nicht, dass es hoffnungslos war. Dass sie kein finsteres Gesicht machte, war vielleicht ein gutes Zeichen. Resigniert dachte er daran, dass er wochenlang nach ihr gesucht hatte. Er war jeden Abend mit einer anderen Frau ausgegangen, doch irgendwie waren sie alle gleich gewesen. Sie hatten alle mehr oder weniger feinfühlig versucht, von ihm zu erfahren, wann sie ihn wieder sehen würden, und er hatte sie wie immer abblitzen lassen. Dann hatte er es begriffen. Es war ihm egal, ob es ihnen passte oder nicht, denn es spielte für ihn keine Rolle, ob er sie wieder sah oder nicht. Sie waren alle austauschbar. Doch er war nie einer Frau wie Barbara begegnet, und er würde auch nie wieder einer Frau wie ihr begegnen. Wenn er
sich ihr gegenüber nicht richtig verhielt, würde er sie verlieren, und sie war nicht austauschbar. Das Problem war nur, dass er sie vorher so behandelt hatte, als wäre sie es. Also warum hätte sie sich noch mit ihm abgeben sollen? Und wie hätte er sie umstimmen sollen? Es war nicht so, dass die Frauen, mit denen er ausgegangen war, sich ihm gegenüber nicht richtig verhalten hatten und er sich deswegen nicht in sie verliebt hatte. Keine Frau konnte in ihm die Gefühle wecken, die Barbara in ihm weckte, und vermutlich konnte er Barbara nicht dazu bringen, seine Gefühle zu erwidern, wenn sie nicht schon so empfand. Und genau das wollte er jetzt in Erfahrung bringen. "Ich bin aber nicht deswegen hier", erklärte Charles daher. "Wir müssen noch etwas klären. Ich wollte mit dir reden, aber plötzlich warst du weg." Barbara biss sich auf die Lippe. "Müssen wir wirklich darüber reden?" fragte sie verzweifelt. "Es ist so schön hier. Können wir es nicht einfach genießen und schweigen?" Ruth ist eine unverbesserliche Romantikerin, dachte er wütend. Es war doch offensichtlich, dass er seine Zeit verschwendete. Trotzdem konnte er nicht einfach so wieder abreisen. "Ich möchte dir nicht den Urlaub verderben", erwiderte er trocken. "Andererseits hat es mich viel Mühe gekostet, dich zu finden. Was ich dir zu sagen habe, wirst du vielleicht nicht gern hören, aber ich finde, ich bin es dir irgendwie schuldig." "Du schuldest mir gar nichts", versicherte sie schnell. "Sicher, wir haben miteinander geschlafen, aber wir beide ... Haben wir es nicht beide als das betrachtet, was es war?" "Und was war es?" erkundigte er sich mit grimmiger Miene. "Wir haben uns von unseren Gefühlen leiten lassen. Wir haben uns keine Versprechungen gemacht." "Nein."
Charles legte sich auf die Seite und stützte sich auf den Ellbogen. Unwillkürlich betrachtete sie ihn fasziniert. Es war erst drei Wochen her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, doch ihr kam es vor, als wären es drei Jahre. Er sieht müde aus, dachte sie. Wahrscheinlich hat er viel gearbeitet. "Ich glaube, ich verschwende meine Zeit", fuhr er fort. "Schließlich hast du nie ein Geheimnis aus deinen Gefühlen gemacht. Auch in der Nacht nicht." Barbara seufzte. "Wovon redest du eigentlich, Charles?" Er zog eine Augenbraue hoch. "Machst du es einem Mann, der dir einen Heiratsantrag machen will, immer so schwer?" Sprachlos sah sie ihn an. Sie hörte, wie die Wellen an den Strand schlugen. "Wie bitte?" brachte sie schließlich hervor. Immerhin war das kein Nein. Charles lächelte. "Ich weiß, es kommt ein bisschen plötzlich, aber du hast mir auch keine Gelegenheit gegeben, es dir zu erklären." Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. "Da gibt es nichts zu erklären. Du hast den Verstand verloren. Wahrscheinlich bist du völlig überarbeitet. Es würde dir gut tun, in der Sonne zu liegen und dich zu entspannen." "Ich wüsste eine Menge Dinge, die mir gut tun würden", erklärte er kühl. "Du könntest Ja sagen. Du könntest wieder mit mir schlafen. Du könntest mich ausreden lassen." Wieder biss sie sich auf die Lippe. Charles wirkte so verändert. Bisher war er Frauen gegenüber immer so charmant, so weltgewandt gewesen. So hatte sie ihn noch nie erlebt. "Sag, was du willst", forderte sie ihn schließlich auf. "Danke." Er runzelte die Stirn und sah sie dann an. "Mir ist klar geworden ... Ich meine, ich weiß, dass ich mich in den Wochen nach unserer gemeinsamen Nacht nicht gerade ... Das heißt..." Verzweifelt fuhr er sich durchs Haar. "Verdammt, ich habe deiner Mutter gesagt, dass es so nicht funktioniert!" "Du hast was?"
Charles lächelte jungenhaft. "Du glaubst doch nicht etwa, ich wäre hier, wenn ich nicht vorher mit ihr geredet hätte, oder? Schließlich bin ich nicht geisteskrank." "Meine Mutter hat dir gesagt, du sollst mir einen Heiratsantrag machen?" fragte Barbara. Charles lächelte wieder, als er ihren ungläubigen Gesichtsausdruck sah. "Sagen wir, sie hat mich ermutigt." Er zuckte die Schultern. "Nach unserer gemeinsamen Nacht wüsste ich, dass ich alles falsch gemacht habe. Schließlich hatte ich jahrelang immer nur getan, was ich wollte. Ich war es gewohnt, die Dinge unter Kontrolle zu haben. Aber du hattest es mir wirklich angetan. Ich konnte mich nicht einmal mehr richtig auf meine Arbeit konzentrieren." Ironisch verzog er den Mund. "Als ich in Prag war, habe ich ständig aus irgendeinem Grund in der Firma angerufen. Natürlich hatte ich meine Gründe, aber ich war so nervös, bis ich dich am Apparat hatte, und kaum hatte ich aufgelegt, war ich wieder nervös." Verlegen sah sie ihn an. "Ich fand auch, dass du oft angerufen hast. Aber ich dachte, das würdest du immer tun, wenn du in Prag wärst und die Frau, mit der du schlafen willst, in London." "Ich war noch nie in Prag, also kann von ,immer' nicht die Rede sein. Allerdings hätte ich mir früher eine Frau gesucht, die nicht so weit weg ist." "So ähnlich habe ich auch gedacht", gestand sie. "Es war so untypisch für dich. Aber wenn du mit mir gesprochen hast, warst du genauso wie immer." "Wie kannst du so etwas behaupten?" protestierte er. "Ich habe noch nie versucht, einer Frau auf Tschechisch und Ungarisch zu sagen, dass ich sie nicht vergessen kann." In seinen Augen lag ein verlangender Ausdruck. "Ich dachte, ich könnte dich vergessen, aber nachdem wir miteinander geschlafen hatten, war es noch schlimmer. Ich musste ständig an dich denken."
Charles lächelte bedauernd. "Dass eine Frau solche Gefühle in mir weckte, passte mir überhaupt nicht. Deswegen habe ich mich so unmöglich benommen, dass du dich in deiner Meinung über mich bestätigt fühlen musstest." Barbara schloss die Augen. Die frische Meeresluft kühlte ihr Gesicht. Die Wellen schlugen immer noch leise an den Strand. Der Sand unter ihrem Handtuch war weich. Sie machte Urlaub auf Sardinien, so viel stand fest. Aber hatte sie völlig den Verstand verloren? Vielleicht hatte sie Charles nur in ihrer Fantasie heraufbeschworen, weil sie sich so nach ihm sehnte. Barbara öffnete die Augen wieder. Charles lag immer noch neben ihr. Es sah so aus, als wäre er tatsächlich bei ihr. Es sah so aus, als ob ... "Ist alles in Ordnung?" erkundigte er sich. "Ich glaube schon. Einen Moment lang habe ich mich gefragt, ob ich übergeschnappt bin, weil ich zu viel gearbeitet habe. Ich glaube, du bist wirklich hier und kein Produkt meiner Fantasie. Ich traue nur meinen Ohren nicht." Er runzelte die Stirn. "Ich mache alles falsch. Ich hätte sagen sollen, ich bin aufgewacht und mir ist klar geworden, dass ich die Frau meines Lebens gefunden habe." Wieder lächelte er bedauernd. "Aber so ist es nicht, stimmt's? Du willst nicht wahrhaben, dass jemand in dein Leben tritt und es auf den Kopf stellt. Ich wollte nicht, dass mein Leben auf den Kopf gestellt wird." "Oh", sagte Barbara skeptisch, denn er sah eigentlich aus wie immer. Lediglich sein Charme schien nicht mehr so leicht zu verfangen wie sonst. "Also, was meinst du?" fragte Charles. "Na ja, es ist dir offenbar ernst, wenn du die weite Reise auf dich genommen hast, aber du siehst nicht aus wie jemand, dessen Leben durcheinander geraten ist. Willst du damit sagen, dass du...?" Sie konnte den Satz nicht beenden.
"Dass ich dich liebe?" Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch. "Ja. Ich musste mich ausgerechnet in die Frau verlieben, die mir nicht immer nach dem Mund redet. Kein Wunder, dass ich so unausstehlich bin!" Er ließ den feinen weißen Sand durch die Finger rieseln und sah sie unvermittelt an. "Manchmal hätte ich dir am liebsten den Hals umgedreht. Kein Wunder, dass es so lange gedauert hat, bis mir klar geworden ist, was mit mir los ist. Aber ich langweile mich ohne dich. Mein Büro erscheint mir leer ohne dich und meine Wohnung auch. Ich möchte, dass du mich heiratest. Willst du darüber nachdenken?" Im Flugzeug hatte er sich im Geiste vierhundert verschiedene Heiratsanträge zurechtgelegt, und das hier war Nummer dreihundertachtundneunzig gewesen. Allerdings hatte er ihm nicht gerade zum Vorteil gereicht. Kein Wunder, dass Barbara nicht sonderlich begeistert wirkt, dachte Charles bitter. Wahrscheinlich überlegt sie gerade, wie sie es mir am schonendsten beibringt. Starr blickte Barbara ihn an. Charles hatte geredet und geredet, und sie hatte ihn in keinster Weise ermutigt. Sie wusste, dass es nicht fair war, aber sie hatte ihr Geheimnis so lange für sich behalten. Würde er seine Meinung ändern, wenn sie es ihm anvertraute? "Charles ..." begann sie. "Ja, Barbara?" "Ich muss dir etwas sagen." Er runzelte die Stirn. "Gibt es einen anderen Mann?" "Nein. Es gibt keinen anderen Mann." Sie atmete tief durch und sah ihm dann in die Augen. "Es hat nie einen anderen Mann gegeben." Damit hatte er nicht gerechnet. "Was soll das heißen - es hat nie einen anderen Mann gegeben? Du hast doch gesagt, du hättest viele Männer gemocht."
"Das war gelogen. Ich wollte nicht, dass du es weißt." Finster sah sie ihn an. "Wenn ich es mir hätte aussuchen können, wärst du der Letzte gewesen, in den ich mich verliebt hätte." "Danke." "Aber ich hatte keine Wahl. Es ist einfach passiert. Ich habe immer so empfunden. Ich konnte noch nie einen anderen Mann ansehen. Und dass du so unmöglich warst, schien keine Rolle zu spielen." Entgeistert sah er sie an. "Neulich Nacht... Als du gesagt hast, du würdest auf den Mann warten, mit dem du dein Leben verbringen willst, hast du also mich gemeint?" "O nein", entgegnete sie schnell, "Das war auch gelogen. Ich meine, ich hatte jahrelang versucht, mich in einen anderen Mann zu verlieben, um dich zu vergessen, und wenn ich jemanden gefunden hätte, dann hätte ich wahrscheinlich mit ihm geschlafen. Nur leider habe ich niemanden gefunden. Aber ich dachte, wenn du wüsstest, dass ich noch Jungfrau bin, würdest du misstrauisch werden. Deswegen habe ich das Erste gesagt, was mir in den Sinn gekommen ist." Charles lachte schallend. "Barbara, Schatz, kein Wunder, dass ich nicht ohne dich leben kann. Du bist völlig übergeschnappt." "Und das macht dir nichts aus?" "Dass du übergeschnappt bist?" "Dass ich die ganze Zeit in dich verliebt war." Jetzt konnte sie ihre Worte nicht mehr zurücknehmen, falls er es sich anders überlegte. Charles betrachtete Barbara. Sie hätte es nicht gesagt, wenn es nicht gestimmt hätte. Sie hatte also immer ihm gehört. Er war nicht die ganze Zeit in sie verliebt gewesen, denn schließlich war sie damals noch ein Kind gewesen. Doch obwohl er im Lauf der Jahre so viele Frauen kennen gelernt hatte, so hatte ihm immer etwas gefehlt, oder?
Er lächelte schief. "Na ja, vielleicht habe ich die ganze Zeit nach jemandem wie dir gesucht, aber es gibt niemanden wie dich. Du bist eine kleine Giftnudel, die nur die Augen aufzumachen braucht, und schon ist die Luft elektrisch geladen." Barbara riskierte es, sein Lächeln zu erwidern. Anscheinend hatte sie ihn nicht verschreckt, denn er sah sie an, als könnte er nicht genug von ihr bekommen - als könnte er niemals genug von ihr bekommen. "Heißt das, ich bekomme die fünf Prozent Aktien an Malierin trotzdem?" fragte sie. "Ich glaube, du wirst mehr als das bekommen." Sie lächelte noch breiter. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er einen Ehevertrag aufsetzen würde. Es musste ihm also ernst sein. "Weißt du, was ,Ich möchte, dass alle meine Kinder so aussehen wie du' auf Estnisch heißt?" erkundigte er sich. "Nein." "Und was heißt ,Wenn du nicht bei mir bist, denke ich nur an dich' auf Tamil?" "Auch nicht." "Und was heißt ,Du kannst eine eigene Firma gründen, und wenn es dich langweilt, kümmere ich mich darum' auf Maltesisch?" "Das weiß ich auch nicht genau." "Dann versuchen wir es mit etwas Leichtem. Was heißt ,Ich liebe dich' auf Englisch?" "Ich liebe dich", erwiderte sie. "Gut. Sehr gut. Ich liebe dich auch." Er streckte die Hand aus und strich Barbara das Haar aus dem Gesicht. Dann neigte er den Kopf, um sie zu küssen. Sie klammerte sich an ihn, als wäre er das einzig Verlässliche in einer verrückten Welt. Schließlich hob er den Kopf. "Wann willst du denn heiraten?" fragte sie.
Charles lächelte jungenhaft und küsste sie noch einmal, bevor er antwortete. "So bald wie möglich. Deine Mutter hat mir versprochen, dir ein Hochzeitskleid zu nähen." Entsetzt sah sie ihn an. "O nein!" "O doch. Wir können erst heiraten, wenn sie damit fertig ist, und da sie nie fertig wird, haben wir eine Chance, die sich uns vielleicht nie wieder bietet. Jetzt oder nie, Barbara. Was meinst du?" "Jetzt natürlich", erwiderte sie. "Jetzt und für immer."
EPILOG "Kannst du bitte einen Moment stillhalten, Liebes?" fragte Ruth, die neben ihr auf dem Boden kniete. "Aber die Trauung sollte schon vor einer Stunde anfangen", protestierte Barbara. "Es macht doch nichts, wenn der Saum noch nicht fertig ist." Ihr rotes Haar glänzte unter dem Schleier, und ihre schlanke Figur kam in dem Kleid aus elfenbeinfarbener Seide, das oben eng anlag und unten weit ausgestellt war, hervorragend zur Geltung. Von dem sechs Meter langen Saum hatte Ruth bereits einen Meter mit winzigen unsichtbaren Stichen umgesäumt - nur fünf Meter waren noch übrig. Plötzlich klopfte jemand wütend an die Tür. "Was geht da drinnen vor, Barbara?" ließ sich der Bräutigam ärgerlich vernehmen. "Wir beenden gerade den Saum", erwiderte Barbara. "Charles!" rief Ruth bestürzt. "Geh sofort weg! Du darfst vor der Trauzeremonie nicht mit Barbara sprechen." "Wenn sie nicht in zwei Sekunden rauskommt, spreche ich vielleicht nie wieder mit keiner von euch beiden. Ich heirate sie nicht wegen ihres Saums, Ruth. Gib sofort meine Braut frei." Sie lächelte nachsichtig und fuhr mit ihrer Arbeit fort. "Ich bin fast fertig, mein Lieber", verkündete sie fröhlich. Die Tür ging auf, und Charles kam herein. Er trug einen schwarzen Frack und sah atemberaubend attraktiv aus,
allerdings auch ziemlich wütend. Als er Barbara sah, hellte seine Miene sich auf. "Hallo, du Schöne", sagte er. "Wulst du mich heiraten?" "Ja", erwiderte Barbara. "Gott sei Dank. Immerhin hast du mich vor dem Altar stehen lassen." "Tut mir Leid." Lachend streichelte sie seine Wange. "Du bist so verdammt schön." Er neigte den Kopf und küsste sie. "Charles!" rief Ruth entsetzt. "Du darfst die Braut erst küssen, wenn der Pfarrer es sagt!" "Zu spät", meinte er ungerührt. "Und was ist nun mit dem Saum?" "Nur noch fünf Meter", erklärte sie. "Danach müssen wir nur noch etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes und etwas Blaues auftreiben, und dann sind wir fertig." "Also gut." Charles ließ den Blick durch den Kaum schweifen und entdeckte dabei Barbaras Aktentasche. Am Nachmittag zuvor hatte er mit ihr über eine Strategie gesprochen, herumgealbert und bunte Nadeln in eine Karte gesteckt. Die blauen Nadeln standen für Mallory. Er öffnete die Aktentasche und nahm die beiden Schachteln mit den blauen Nadeln heraus. "Das sind meine", sagte er. "Die ist neu." Er hielt die betreffende Schachtel hoch, "Die ist alt." Er hielt die andere Schachtel hoch. "Und hiermit leihe ich sie Barbara." Charles kniete sich neben Ruth auf den Boden und begann ungeduldig, den Saum mit den Nadeln umzustecken. "Aber Charles", sagte Ruth bestürzt, "wie soll Barbara mit Nadeln in ihrem Kleid zum Altar gehen?" Als er aufblickte, machte er ein zerknirschtes Gesicht. "Gib deinem Herzen einen Stoß, Ruth! Als sie nicht gekommen ist, dachte ich, sie hätte es sich anders überlegt. Ich dachte, sie hätte
mich versetzt, um es mir heimzuzahlen, weil ich im Lauf der Jahre auch so viele Frauen versetzt habe." "So etwas würde Barbara doch nicht tun", protestierte Ruth. "Sicher würde sie das." Er warf Barbara einen spöttischen Blick zu. "Genau das liebe ich ja so an ihr. Trotzdem würde ich sie gern heiraten, bevor sie ihre Meinung ändert." "Na ja ..." meinte Ruth unglücklich. Barbara legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte ihm lächelnd in die Augen. "Ich werde nie meine Meinung ändern", versicherte sie. "Es tut mir Leid, dass ich dich habe warten lassen, aber nun, da du hier bist..." Flehend sah sie ihn an. Lachend legte Charles die Schachtel weg. "Nun, da ich hier bin, ist es mir egal, wie lange es dauert. Was haltet ihr davon: erst der Empfang, dann die Trauung. Ich rufe Mike an und sage ihm, er soll alles veranlassen. Ich bleibe bei euch und leiste euch Gesellschaft," Sie erinnerte ihn daran, dass dann niemand auf dem Empfang sei. "Stimmt", räumte er ein. "Dann bezeichnen wir es nicht als Empfang, sondern als kleine Erfrischung vor der Hochzeit. Wozu ist ein Trauzeuge schließlich gut?" Er nahm sein Handy aus der Tasche und rief Mike an. "Das wäre erledigt", meinte er, nachdem er den Anruf beendet hatte. Barbara betrachtete ihn. "Du bist vielleicht arrogant. Warum hast du nicht einfach hier angerufen, wenn du dein Handy dabeihattest?" Charles lachte. "Ich wollte dich sehen, weil ich befürchtet habe, du wärst vielleicht zur Vernunft gekommen. Dann hätte ich dich nämlich küssen müssen, bis du wieder den Verstand verlierst. Ich küsse dich jetzt auch lieber, nur um sicherzugehen." Er küsste sie so verlangend, dass sie ganz weiche Knie bekam und sich an ihm festhalten musste.
Ruth erinnerte ihn streng daran, dass er dazu später noch genug Zeit haben würde, bevor sie mit ihrer Arbeit weitermachte. Fünf Stunden später heirateten Barbara und Charles. Niemand machte eine Bemerkung über den Saum ihres Kleids, aber alle waren sich darüber einig, dass Barbara eine wunderschöne Braut war. Der Bräutigam konnte kein Auge von ihr wenden.
-ENDE