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Seewölfe 412 1
Frank Moorfield 1.
Das Glasen von zehn Schiffsglocken tönte fast gleichzeitig über die Decks und zeigte das Ende der sogenannten Geisterstunde an. Demnach war es genau eine Stunde nach Mitternacht, man schrieb bereits den 19. Juli im Jahre des Herrn 1594. Der Kriegsschiffsverband, den der spanische Gouverneur auf Kuba, Don Antonio de Quintanilla, zusammengestellt hatte, war am Spätnachmittag des Vortages aufgebrochen und stand jetzt auf der Höhe der nordkubanischen Siedlung Matanzas. Der Wind wehte aus Nordosten und ermöglichte es den sechs Kriegsgaleonen und den vier Kriegskaravellen, knapp den Kurs Ost anzuliegen. Die Nacht war klar und mondhell, so daß es für die Schiffe des Verbandes nicht schwierig war, dem Flaggschiff „San Jose“, an dessen Großtopp die prunkvolle Gouverneursflagge wehte, in Kiellinie zu folgen. Trotz der vorgerückten Stunde schien Don Antonio de Quintanilla keine Ruhe zu finden. Der dicke Mann mit dem feisten Gesicht, den auffallenden Hamsterbacken und der gepflegten- Puderperücke saß dem Kapitän des Flaggschiffes, Don Garcia Cubera, in der Kapitänskammer gegenüber. Auf dem kunstvoll geschnitzten Eichentisch stand eine wertvolle Glaskaraffe, die mit Rioja gefüllt war. Das dunkelrote Getränk funkelte im Licht der zahlreichen Öllampen. Don Antonio, einer der meistgehaßten Männer in Havanna, war ziemlich aufgekratzt - jetzt, da er es endlich geschafft hatte, einen Verband gegen den Bund der Korsaren und die geheimnisumwitterte Schlangen-Insel in Marsch zu setzen. Er schob Don Garcia seinen Glaskelch entgegen. „Sie dürfen gern nachfüllen, mein Lieber“, sagte er jovial. „Ah, ich liebe diesen Wein, er gehört wirklich zu den edelsten Sorten Spaniens. Am meisten jedoch mundet er mir zu Fleisch, Wildbret und Käse. Mit
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seinem würzigen Geschmack bildet er genau den richtigen Rahmen für solcherlei Genüsse.“ O ja, ein großer Genießer war er, der Gouverneur, das bewiesen schon seine grandiose Leibesfülle und sein schmales, aufgeworfenes Genußmündchen. Und da er von Fleisch, Wildbret und Käse sprach, zogen vor dem inneren Auge Don Garcias die zwei gebratenen Fasane vorüber, die sich der erlauchte Gouverneur Seiner Allerkatholischsten Majestät zum Nachtmahl hatte zubereiten lassen. Dennoch befürchtete der Kapitän der „San Jose“, daß Don Antonio recht bald wieder Gelüste auf eine erlesene Mahlzeit Verspürte, wenn er sich nicht endlich dazu bewegen ließ, sein gewichtiges Haupt in der Koje zur Ruhe zu betten. Jetzt, der Nacht, war es der dunkle und vollmundige Rioja, der aus den Weingärten um den nordspanischen Provinzort Logrono, im Flußgebiet des Ebro, stammte. Tagsüber war es meist schwerer Portwein, mit dem Don Antonio de Quintanilla die Unmengen kandierter Früchte hinunterspülte, denen er wohl in erster Linie seine Körperfülle zu verdanken hatte. Don Garcia Cubera, ein straffer Mann mit eisgrauen Haaren, war von der plötzlichen Leutseligkeit des Gouverneurs nicht gerade begeistert, aber er kam nicht umhin, das ihm zugeschobene Glas erneut mit Rotwein zu füllen. Im stillen wünschte er Don Antonio zum Teufel, denn die ölige Freundlichkeit des Dicken konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß alles nach seiner Pfeife tanzen mußte, auch wenn er, Cubera, der Verbandsführer war und die Befehlsgewalt über die zehn Kriegsschiffe hatte. Der Capitan war ein gradliniger Mann. Menschen vom Schlage des Gouverneurs lagen ihm nicht. Er bildete sich auch nicht im geringsten etwas darauf ein, daß er der einzige war, den Don Antonio über die genaue Position der Schlangen-Insel, jenem Schlupfwinkel der berüchtigten Seewölfe, informiert hatte. Die
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Kommandanten der neun anderen Schiffe hatten hingegen Order, jeweils der Hecklaterne des Vordermannes zu folgen. Don Garcia Cubera war kein junger, unerfahrener Mann mehr, der sich von einigen überfreundlichen Worten einlullen ließ, o nein, er hatte eine gehörige Portion an Lebens- und Kriegserfahrung als Seeoffizier der spanischen Krone. Deshalb war er sich auch von Anfang an darüber im klaren gewesen, daß Don Antonio durch die Information nicht etwa Vertrauen und Wertschätzung zum Ausdruck brachte, sondern irgendwelche hinterhältigen Ziele damit verfolgte. Nur konnte die zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand durchschauen. Der Capitan vermutete jedoch, daß es Don Antonio weniger um die Ausschaltung des Seewolfs, Philip Hasard Killigrews, ging, als um die auf der Schlangen-Insel gehorteten Schätze der englischen Freibeuter. Daß er sich darin nicht getäuscht hatte, sollte er zu einem späteren Zeitpunkt erkennen. Der spanischen Krone allerdings war in erster Linie daran gelegen, den gefürchteten Seewolf und seine Mannen zur Strecke zu bringen. Der von der englischen Königin zum Ritter geschlagene Korsar Philip Hasard Killigrew galt in Spanien als gefährlicher Staatsfeind, weil er sich gegen das rücksichtslose Ausplündern der Neuen Welt und ihrer Bewohner wandte und versehen mit einem königlichen Kaperbrief -die spanischen Schatzgaleonen. die vollbeladen nach Spanien segelten, gewaltig rupfte. Und das würde nicht aufhören, solange sich dieser Mann in Freiheit befand. Don Garcia Cubera hatte ein klares Feindbild vom Seewolf, aber er konnte sich auch eine gewisse Bewunderung dieses Mannes nicht versagen, denn der Name Killigrew war eng verknüpft mit jener fürchterlichen Armada-Schlacht, die ihm noch deutlich in Erinnerung war. Er selber war Ende August 1591 unter Admiral Alonso de Bazán dabei gewesen, als die „Revenge“, das frühere Flaggschiff Sir Francis Drakes, gegen eine Übermacht
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von mehr als fünfzig Schiffen von drei Uhr nachmittags bis drei Uhr morgen kämpfte, ohne daß es seinen Landsleuten gelang, die „Revenge“ zu entern oder gar zu versenken. Die Engländer hatten gekämpft, bis das gesamte Pulver verschossen war. Den wenigen Überlebenden hatte man eine ehrenvolle Übergabe angeboten, und so war es gekommen, daß der englische Kommandant der „Revenge“, Sir Richard Greynville, schwer verletzt an Bord des spanischen Flaggschiffes starb. Die „Revenge“ aber sank erst fünf Tage später in einem Sturm. Von diesem schweren Gefecht her, bei dem von der „Revenge“ vier spanische Schiffe versenkt worden waren, hatte Cubera einen sehr gesunden Respekt und eine ziemliche Hochachtung vor den englischen Kämpfern zur See. Und dieser Killigrew hatte, so wußte er, bei der Armada-Schlacht ebenfalls kräftig mitgemischt. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß der Capitan im Gegensatz zu dem fetten Gouverneur, für den die „englischen Piraten“ schon so gut wie vernichtet waren, eher von zurückhaltender Skepsis war, die er auch nicht verhehlte. Schließlich war dieser Kriegsmarsch nicht der erste Versuch, El Lobo del Mar das Handwerk zu legen, und gar mancher, der es bisher versucht hatte, war mit blutigem Kopf zurückgekehrt. Neu beim jetzigen Unternehmen war lediglich die Tatsache, daß der Gouverneur von Havanna auf krummen Wegen einen Hinweis über die genaue Lage der Schlangen-Insel erhalten hatte. Aus diesem Grund war geplant, den legendären Stützpunkt der englischen Korsaren, der sich irgendwo in der Nähe der Turks- oder Caicos-Inseln befinden sollte, direkt anzugreifen. Das war gewiß kein leichtes Unterfangen, darüber war sich Cubera im klaren, aber gerade deshalb konnte er als erfahrener Seemann nicht verstehen, daß man die ganze Sache so überstürzt in Angriff genommen hatte. Der Verband war nicht aufeinander eingestimmt, es gab keine
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Konzeption, und man wußte noch nicht einmal genau, wie stark der Gegner war. Lediglich der Gouverneur hatte behauptet, es seien fünf Schiffe. Don Garcia Cubera ärgerte sich darüber, daß er sich um diese mitternächtliche Zeit den Kopf über diese Dinge zerbrach, während Don Antonio einen Glaskelch Rioja nach dem anderen in sich hineinsoff und dabei tat, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Als sich der Dicke ein weiteres Mal das Glas nachfüllen ließ, platzte dem Capitan beinahe der Kragen. Befand er sich nun auf Kriegsmarsch, oder geruhte der erlauchte Gouverneur eine Lustfahrt zu unternehmen? Er verspürte jedenfalls nicht die geringste Neigung dazu, dem feisten Kapaun rund um die Uhr als Gesellschafter zur Verfügung zu stehen. Don Antonio störte die schlechte Laune des Verbandsführers nicht im geringsten. „Ich hoffe, Sie haben Ihre Vorräte dieses edlen Tropfens nicht zu knapp bemessen, mein lieber Cubera“, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. „Der menschliche Gaumen gewöhnt sich rasch an einen solchen Schluck.“ „Die Vorräte sind natürlich begrenzt, Don Antonio“, erwiderte Cubera steif. „Anders geht das nun mal nicht auf einem Schiff, wie Sie wissen. Und ob der Vorrat an Rioja ausreicht“, fügte er diplomatisch hinzu, „hängt einerseits von der Dauer unserer Mission ab, andererseits natürlich auch von dem Zuspruch, den der Wein findet.“ Der Gouverneur kicherte amüsiert. „Das war eine sehr kluge Antwort, Don Garcia, aber ich kann Sie beruhigen. Unsere Mission wird bald beendet sein, und diesmal werden dieser englische Verbrecher und sein übles Piratenpack keine Chance mehr haben, das verspreche ich Ihnen.“ Capitan Cubera konnte sich eine kühle Entgegnung nicht verkneifen. „Ich bin mir da nicht so sicher“, sagte er. „Wir haben zwar Grund zu der Annahme, daß wir in der Übermacht sind, aber ich muß dennoch daran erinnern, daß wir es mit äußerst schlagkräftigen und
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intelligenten Gegnern zu tun haben, die den Schiffen der Krone schon so manches Schnippchen geschlagen haben.“ „Papperlapapp!“ Der Dicke winkte ab. „Sie sollten etwas mehr Zuversicht an den Tag legen, Don Garcia. Außerdem scheinen Sie vergessen zu haben, daß es nicht zum offenen Kampf auf See kommen wird. Das Gesindel wird ganz einfach in seinem Schlupfwinkel überrascht. Bis die begreifen, was geschieht, haben wir das Nest schon ausgeräumt.“ „Ich hoffe sehr, daß Ihre Worte in Erfüllung gehen, Don Antonio“, sagte Cubera kühl. „Das Überraschungsmoment dürfte unbestreitbar auf unserer Seite sein.“ Daß er sich mit dieser Annahme genauso irrte wie der Gouverneur, das konnte Capitan Cubera zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Ja, niemand auf Kuba ahnte auch nur im entferntesten, daß die Bewohner der Schlangen-Insel über sämtliche Einzelheiten des Unternehmens unterrichtet worden waren. Der Türke Jussuf, der zu Arne von Manteuffels Faktorei in Havanna gehörte, hatte die Ereignisse durch den zuverlässigen und bewährten Brieftäuberich Achmed zur Schlangen-Insel gemeldet. Insofern konnte auf seiten des Schiffsverbands von einem Überraschungsangriff keine Rede mehr sein. Es gab jedoch noch weitere Ereignisse, von denen weder Don Antonio noch Don Garcia etwas ahnten. Niemand hatte etwas davon bemerkt, daß sich nach dem Auslaufen des Verbands aus Havanna die Schebecke Don Juan de Alcazars „angehängt“ hatte. An Bord befanden sich außer dem Kapitän und der Crew auch Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn. Außerdem folgte den Kriegsschiffen die gekaperte Zweimast-Schaluppe der berüchtigten Black Queen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, nach ihrem Verrat der genauen Position der Schlangen-Insel vom Kriegszug der Spanier zu profitieren. Don Antonio de Quintanilla unternahm noch immer keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Stattdessen zerkaute er
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genüßlich eine weitere kandierte Frucht und trank dann einige Schlucke Wein. Cubera war daher froh, als das „traute Beisammensein“ eine plötzliche Unterbrechung erfuhr. Einer der Offiziere klopfte an das Schott der luxuriös ausgestatteten Kapitänskammer und trat ein. „Was gibt es?“ fragte Don Garcia knapp. „Die ,Gaviota` segelt zu uns auf, Senor Capitan. Offenbar hat sie eine Meldung zu überbringen.“ Er meinte damit eine Kriegs-Karavelle, die am Ende des Verbandes segelte. „Ich komme“, sagte Cubera und erhob sich. Zu Don Antonio gewandt sagte er: „Sie müssen mich leider entschuldigen, Don Antonio, aber ich muß mich um diese Sache kümmern. Gewissermaßen ruft die Pflicht, Sie verstehen?“ Der Dicke lächelte verständnisvoll. „Aber natürlich, mein Lieber. Niemand hält Sie auf. Ich hatte ohnehin vor, mich zurückzuziehen. Wahrscheinlich steht uns auch morgen ein anstrengender Tag bevor.“ Er entließ den Kapitän der „San Jose“ mit einer gnädigen Geste. Cubera aber schoß die Zornröte ins Gesicht. Am liebsten hätte er den feisten Kapaun gefragt, wieso der vergangene Tag für ihn anstrengend gewesen wäre und warum es der morgige Tag gleichfalls werden sollte. Außer seiner hemmungslosen Genußsucht hatte der Kerl ohnehin nichts im Sinn. Während für ihn, Cubera, die Meldung des Offiziers Arbeit und Wachsamkeit bedeutete, geruhte der Gouverneur gähnend in die Koje zu steigen. Der Capitan folgte dem Offizier zum Achterdeck. In der Tat, die „Gaviota“, was soviel wie Möwe bedeutet, befand sich bereits auf gleicher Höhe mit der „San José“. Der Abstand zwischen den beiden Schiffen betrug weniger als eine halbe Kabellänge. Don Garcia Cubera befand sich kaum auf dem Achterdeck, da wurde er auch schon von dem Kommandanten der Karavelle angepreit.
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„Zweimaster an der achteren Kimm gesichtet“, lautete die kurze Meldung. „Das fremde Schiff folgt dem Verband. Erwarte entsprechende Weisungen.“ Cubera befahl dem Kommandanten, die Identität des Zweimasters zu überprüfen und dann wieder Meldung zu erstatten. Danach ließ er Segel wegnehmen, um die Fahrt der „San Jose“ zu verlangsamen. Dieses Manöver sollte der „Gaviota“ nach Insichtnahme des fremden Zweimasters beim Wiederaufschließen behilflich sein. Während der Capitan die Ausführung seiner Befehle überwachte, zerzauste ihm der kühle Nachtwind das eisgraue Haar. Der Mond stand wie eine riesige gelbe Kugel am Himmel und überschüttete die kabbelige Wasserfläche mit fahlem Licht. Irgendwie hatte Cubera das Gefühl, sich an diesem Platz wesentlich wohler zu fühlen, als in der Gesellschaft des Gouverneurs von Havanna. 2. Die „Gaviota“ wendete über Backbord und ging dann auf Gegenkurs. Der Nordostwind, der jetzt raumschots einfiel, füllte die Segel und schob die Karavelle rasch voran. Der Capitan, ein ehrgeiziger und energischer Mann, setzte alles daran, dem mysteriösen Zweimaster, den er an der Kimm gesichtet hatte, so schnell wie möglich zu begegnen. Laute Kommandos brüllend, scheuchte er seine Männer an die Brassen und Schoten, damit der Wind bis zum letzten Quentchen ausgenutzt wurde. Er selbst wich nicht von seinem Platz auf dem Achterdeck und setzte immer wieder das reichverzierte Messing-Spektiv ans Auge. Das war jedoch trotz der mondhellen Nacht vergeblich, so daß er sich voll und ganz auf den Mann im Ausguck verlassen mußte. Die nächste Meldung ließ nicht lange auf sich warten. Sie erfolgte, nachdem die Kriegskaravelle das Ende des Verbandes hinter sich gelassen hatte.
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„Deck!“ brüllte der Ausguck im Großmars. „Der Zweimaster hat ebenfalls gewendet und liegt Kurs West an!“ „Verstanden!“ rief der Capitan zurück. Gleichzeitig wunderte er sich über die plötzliche Veränderung der Situation. Was hatte es mit diesem fremden Schiff auf sich? Warum wendete es und ging auf Gegenkurs? Das alles sah ganz danach aus, als habe der Segler etwas zu verbergen. Aber das war für ihn umso mehr ein Grund, sich dranzuhängen. Schon bald zeigte sich, daß die Karavelle aufholte. Der Zweimaster konnte jetzt bereits vom Achterdeck aus als Schaluppe identifiziert werden. Das weitere Verhalten des fremden Seglers sollte dem Capitan der „Gaviota“ und seinen Offizieren jedoch bald noch weitere Rätsel aufgeben. Der Kommandant erteilte gerade dem Rudergänger, der mittels des Kolderstocks die schwere Ruderpinne bewegte, einige kurze Anweisungen, da meldete sich erneut der Mann im Ausguck. „Die Schaluppe ändert ihren Kurs und hält auf die Küste zu!“ „Verdammt!“ entfuhr es dem Capitan. „Was hat das schon wieder zu bedeuten? Der Bursche scheint uns um jeden Preis entwischen zu wollen.“ Er war sich darüber im klaren, daß es für die „Gaviota“ nicht ungefährlich war, der kleineren Schaluppe bis in Küstennähe zu folgen, denn die Karavelle hatte einen wesentlich größeren Tiefgang. Aber er gab trotzdem nicht auf, biß die Zähne zusammen und setzte die Verfolgung fort. Nachdem die „Gaviota“ hart nach Backbord abgefallen war, um ebenfalls die nordkubanische Küste anzuliegen, wurden zwei Lotgasten damit beauftragt, ständig die Wassertiefe auszusingen. Die beiden Männer ließen ohne Unterbrechung die mit Lederstreifen markierten Leinen durch die Hände gleiten. Die schweren Lotbleie zogen die Leinen nach unten. Die Tiefe, die die Lotgasten aussangen, wurde immer geringer und beängstigender. Schließlich war ein Punkt erreicht, an dem eine weitere Verfolgung nicht mehr zu
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verantworten war. Die Karavelle konnte jederzeit auflaufen. Der Kommandant bemerkte sehr wohl die vorwurfsvollen und fragenden Blicke der Offiziere. „Wir sollten die Jagd unbedingt abbrechen, Senor Capitan“, sagte der Erste Offizier, der neben dem Kommandanten auf dem Achterdeck stand. „Wir müssen sonst damit rechnen, daß ein Unglück geschieht.“ Als die Lotgasten die nächste Wassertiefe aussangen, zuckte der hochaufgeschossene, schlanke Mann zusammen. Außerdem glaubte er herauszuhören, daß die Stimmen der beiden Decksleute bei jeder Meldung ängstlicher klangen. Der Capitan stieß einen Knurrlaut aus. „Sie haben natürlich recht“, sagte er knapp. „Wir werden umkehren müssen, so bedauerlich das auch ist.“ Sein Gesicht wirkte eisig, denn er gehörte nicht zu jenen Männern, die rasch aufgaben, und es schmeckte ihm nicht, einfach umkehren und dem Verbandsführer seinen Mißerfolg melden zu müssen. Im stillen jedoch sah er ein, daß es Wahnsinn wäre, die leichte Schaluppe weiterzuverfolgen. Er mußte aufgeben, ob es ihm paßte oder nicht, sonst würden sie irgendwann aufbrummen. Mit einem deftigen Fluch verschaffte sich der Capitan Luft, dann gab er den Befehl zur Umkehr. Kurz darauf ging die „Gaviota“, wieder hart am Wind auf Ostkurs, und ihr Kommandant überlegte bereits, wie er die Meldung an das Flaggschiff formulieren sollte, ohne daß seine Kapitänsehre angekratzt wurde. Die Nerven des ehrgeizigen Mannes sollten jedoch noch weiter strapaziert werden. Schon die nächste Meldung des Ausgucks veranlaßte ihn zu einem regelrechten Wutausbruch, denn der verfolgte Zweimaster reagierte auf die Umkehr der „Gaviota“ mit einer Dreistigkeit ohnegleichen: Auch er fuhr eine Wende und ging wieder auf Ostkurs. Der Capitan japste nach Luft. „Das ist unglaublich!“ stieß er hervor. „Die Kerle wissen genau, daß wir ihnen in den
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flachen Küstengewässern nichts anhaben können und spielen ihren Vorteil hemmungslos aus. Was die mit uns treiben, ist eine Art Katz-und-Maus-Spiel. Zum Teufel - ich möchte nur wissen, was das alles zu bedeuten hat!“ Der fremde Segler trieb wahrhaftig ein freches Spielchen mit der stolzen spanischen Kriegskaravelle. Verfolgte zuerst die Karavelle die Schaluppe, so war es jetzt umgekehrt. Der Zweimaster folgte dem Kriegsschiff versetzt nach Land und damit in einem Wassertiefenbereich, den die Spanier unbedingt vermeiden mußten. Das Ganze erinnerte an einen kläffenden kleinen Straßenköter, der einen riesigen Wolfshund, von dem er durch ein unüberwindliches Gitter getrennt ist, frech herausfordert. Doch was bezweckten die Kerle auf der Schaluppe damit? Wer war das überhaupt, der sich so verbissen bemühte, Fühlung an den Verband zu halten? Diese Fragen des zornigen Capitans sollten vorerst noch unbeantwortet bleiben. Gegen vier Uhr in der Frühe hatte die „Gaviota“ wieder aufgeschlossen, und der Kommandant erstattete Don Garcia Cubera Meldung über die merkwürdigen Vorgänge. Der Kapitän der „San Jose“ und seine Offiziere waren verblüfft. Ein Fühlungshalter - was soll das? fragte sich Cubera, denn er hatte zunächst angenommen, es wäre ein reiner Zufall, daß ein anderes Schiff auf dem gleichen Kurs wie der Verband lag. Jetzt aber erwachte auch in ihm das Mißtrauen. Irgendetwas stimmte da nicht. Wenn jemand dem Verband derart hartnäckig folgte und sich nicht abschütteln ließ, dann mußte er einen triftigen Grund dazu haben. Da auch Cubera keine Erklärung für die seltsamen Vorgänge fand, reagierte er und ließ kurz entschlossen den gesamten Verband stoppen. „Was haben Sie vor, Don Garcia?“ wollte der Erste Offizier der „San Jose“ wissen. Cubera ballte die Hände zu Fäusten. „Wir werden in Erfahrung bringen, wer uns da folgt, und warum er das tut“,
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erwiderte er „Wenn sich die Kerle einbilden, daß kein Schiff unseres Verbandes in der Lage sei, ihnen in flache Küstengewässer zu folgen, dann haben sie sich getäuscht. Wir werden sofort eine Schaluppe aussetzen, die nicht mehr Tiefgang hat als der Zweimaster. Und dann wollen wir mal sehen, wer uns da zum Narren hält.“ Don Garcia zog ein grimmiges Gesicht. Hatte er mal für einige Stunden keinen Ärger mit dem dicken Gouverneur, dann waren es eben andere Dinge, die ihm auf den Geist gingen. Er gab die entsprechenden Befehle. Gleich darauf wurde auf der „San Jose“ eine Schaluppe mit Pfahlmast ausgesetzt und aufgeriggt. Das leichte Fahrzeug lag nicht nur flach im Wasser, sondern würde unter günstigen Windverhältnissen auch entsprechend schnell segeln. * Dem Mund Don Garcia Cuberas entrang sich ein gequälter Seufzer, als plötzlich ein Achterdecksschott geöffnet wurde und Don Antonio de Quintanilla heraustrat. Der beleibte Gouverneur steckte in einer farbenprächtigen Uniform. Der wertvolle Degen, der an seiner Hüfte baumelte, nahm sich neben dem mächtigen Bauch recht merkwürdig aus. Der Puderperücke sah man an, daß sie frisch aufgesetzt worden war. Die weißen Strümpfe, die die strammen Gouverneurswaden verhüllten, mündeten in frischgeputzten und mit silbernen Schnallen versehenen Lackschuhen. Das weibisch wirkende Genußmündchen Don Antonios glich an diesem frühen Morgen jedoch eher einem Schmollmündchen, und Cubera sah sofort, daß die Laune des Erlauchten nicht gerade die beste war. Gegen Morgen hatte es aufgebrist, und die Dünung ließ die Kriegsschiffe heftiger in den Wellen arbeiten als sonst. Kein Wunder, daß Don Antonio Mühe hatte, sich bei seiner Körperfülle auf den Beinen zu halten.
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Er trat grußlos und mit mürrischem Gesicht an den Capitan und die Offiziere heran. „Was geht hier vor, Don Garcia?“ fragte er übergangslos. „Warum segelt der Verband nicht weiter? Und warum lassen Sie eine Schaluppe aussetzen?“ Der Verbandsführer berichtete dem Gouverneur in kurzen Worten von dem Zweimaster, der sich als hartnäckiger Fühlungshalter erwiesen hatte, und erklärte ihm seine Absicht, das fremde Schiff mit der ausgesetzten Schaluppe zu verfolgen. Dieser Bericht hob die Laune Don Antonios keineswegs. Es wäre zuviel verlangt gewesen, von einem Mann wie ihm auch noch strahlende Laune zu erwarten. Denn er hatte in der Nacht miserabel geschlafen, weil die Koje in der Kapitänskammer, die Cubera für ihn geräumt hatte, zu eng und zu hart war. Der Erlauchte reagierte deshalb ziemlich unwirsch. „Das sind völlig unnötige Mätzchen, Don Garcia“, nörgelte er. „Wenn wir wegen jedem Fischerkahn, dem wir begegnen, den Verband anhalten, erreichen wir diese verfluchte Schlangen-Insel erst am Jüngsten Tag.“ Cubera unterdrückte mühsam seinen Zorn. „Ich weise Sie darauf hin, Don Antonio, daß hier nicht von einem Fischerkahn die Rede sein kann. Fischer haben keinen Grund und wohl auch nicht die nötige Dreistigkeit, einem Kriegsschiffsverband wie dem unsrigen zu folgen. Da muß schon etwas anderes dahinterstecken, und ich halte es für meine Pflicht, der Sache auf den Grund zu gehen.“ Das wabblige Gesicht Don Antonios lief rot an. Ein Widerspruch war wohl das letzte, was er so früh am Morgen zu ertragen bereit war. „Ich pfeife auf diese verdammte Schaluppe, Capitan!“ keifte er mit schriller Stimme. „Dieses Schiff interessiert mich nicht. Wir werden ihm bei nächster Gelegenheit eben eine Kugel unter die Wasserlinie jagen. Jetzt aber erwarte ich, daß der Verband sofort weitersegelt.“
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Auch Don Garcia Cubera konnte seinen Zorn nicht mehr zurückhalten. Auf seiner Stirn erschien eine steile Falte, seine dunklen Augen verengten sich. „Ich muß Sie offenbar daran erinnern“, sagte er mit frostiger Stimme, „daß ich der Kommandant der ,San Jose' und damit auch der Verbandsführer bin. Daher lasse ich mir in meine Entscheidungen nicht hineinreden. Der Zweimaster wurde von einem unserer Schiffe, der ,Gaviota', bereits die halbe Nacht hindurch beobachtet und stückweise sogar verfolgt, doch nicht einmal das hat ihn daran gehindert, weiterhin Fühlung zu halten. Das beweist meiner Meinung nach zur Genüge, daß irgendetwas gegen uns im Gange ist. Zumindest aber ist das fremde Schiff verdächtig, so daß es sträflicher Leichtsinn wäre, die Sache mit einem Schulterzucken abzutun.“ Noch während Cubera sprach, hatte es den Anschein, als zeichne sich auf Don Antonios hochrotem Gesicht ein Wutausbruch ab. Doch seine Gesichtsfarbe wechselte, wie der Capitan feststellte, ziemlich rasch ins Grünliche. Der Gouverneur begann plötzlich zu wanken, als sei er selber ein Schiff in starker Dünung, dann hielt er sich rasch am Handlauf der Querbalustrade fest und begann heftig zu schlucken. Cubera begriff augenblicklich, was da vor sich ging. Die Anzeichen waren ihm wohlbekannt, am liebsten hätte er trotz seines Zornes in diesem Augenblick laut gelacht. Er bemühte sich jedoch weiterhin um Korrektheit und fragte höflich: „Fühlen Sie sich nicht wohl, Don Antonio?“ Der Dicke rollte mit den Augen und preßte die rechte Hand auf die Magengegend. Mit der Linken hielt er sich weiterhin an der Querbalustrade fest. Seinem leidenden Gesichtsausdruck nach zu urteilen, mußten quälende Vorgänge in seinem Leib die Ursache der Unpäßlichkeit sein. Vor lauter Schlucken brachte der Gouverneur kein Wort heraus. Einen Augenblick später blähte er plötzlich die Hängebacken auf, als wolle er die
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ausgesetzte Schaluppe an die kubanische Küste misten, und watschelte in höchster Eile zum Schanzkleid. Dabei kreuzte einer der Köche der „San Jose“, der auf Wunsch eines Lakaien Wasser in die Kapitänskammer gebracht hatte, seinen Weg. Der Mann sah, welche Nöte den seekranken Gouverneur plagten, und konnte sich ein spöttisches Grinsen nicht verkneifen. Dann aber beeilte er sich, aus der Nähe Don Antonios zu gelangen, und er wußte auch warum. Don Garcia Cubera wußte es ebenfalls, denn auch er hatte mit Entzücken festgestellt, daß der erlauchte Gouverneur genau auf die Luvseite zueilte. Und da passierte es auch schon. Der Dicke preßte den gewaltigen Bauch gegen den Handlauf. des Schanzkleides. Dabei gab er ein Geräusch von sich, das an das Röhren eines brünstigen Hirsches erinnerte. Sekunden danach flog ihm nahezu der gesamte Mageninhalt um die Ohren. Da er sich die Luvseite ausgesucht hatte, zeigte es sich, daß der Wind stärker war als die mehr oder weniger verdauten kandierten Früchte, mit denen der Gouverneur jetzt seine schöne Uniform besudelte. O ja, Don Antonio kriegte ein richtig klebriges Gesicht. Seine etwas verrutschte Perücke war plötzlich mit Fragmenten des letzten Abendessens geschmückt, und über die wunderschönen weißen Strümpfe zogen sich häßliche braune Spuren. Der Erlauchte verdrehte ob der unsäglichen Pein die Augen und begann erneut zu röhren. Nachdem die Natur bei dem etwas stärkeren Seegang ihr Recht bis zur letzten Neige gefordert hatte, hing Don Antonio de. Quintanilla wie ein Häuflein Elend am Schanzkleid und stank wie ein ausgewachsener Ziegenbock. Die Senores auf dem Achterdeck schauten diskret woandershin und bemühten sich, nicht allzu auffällig zu grinsen. Don Garcia Cubera genoß die Leiden Don Antonios bis zur letzten Sekunde. Die unappetitlichen Ereignisse entschädigten
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ihn für so manchen Ärger, den er seit gestern mit dem Dicken gehabt hatte. Als Verbandsführer einer königlichen Kriegsflotte erinnerte er sich jedoch bald wieder an seine Höflichkeitspflichten. Deshalb trat er –nachdem keine Gefahr mehr bestand, plötzlich eine kandierte Frucht aufs Auge zu kriegen - voller Mitgefühl auf den Gouverneur zu. „Ich bedauere Ihr Unwohlsein außerordentlich, Don Antonio“, sagte er. „Da jedoch lediglich der stärkere Seegang dafür verantwortlich ist, werden Sie sich bald wieder besser fühlen.“ Die Antwort des Gouverneurs bestand aus einem langgezogenen Stöhnen, das entfernt an eine kranke Kuh erinnerte. „Wenn ich Ihnen eine kleine Empfehlung geben darf“, fuhr Cubera voller Hilfsbereitschaft fort, „dann rate ich Ihnen, sich wieder hinzulegen und es mit kalten Wadenwickeln zu versuchen. Diese erweisen sich in solchen Fällen des Unwohlseins immer wieder als sehr gutes Mittel.“ Der Capitan wußte zwar, daß er im Augenblick blanken Unsinn redete, denn kalte Wadenwickel wirken gegen die Seekrankheit nicht im geringsten, aber er wollte den Dicken so schnell wie möglich vom Achterdeck weghaben. „Lassen Sie es mich wissen, falls ich irgendetwas für Sie tun kann“, fügte er noch hinzu und schickte dann den Zweiten Offizier los, um zwei der insgesamt fünf Lakaien zu holen, die in Havanna mit Don Antonio an Bord gekommen waren. Der Gouverneur drehte sich mühsam um und lehnte sich gegen das Schanzkleid. Daß er damit die völlig verkleckerte Vorderfront zur Schau stellte, kümmerte ihn im Augenblick wenig. „Danke“, hauchte er mit zittriger Stimme. „Lassen Sie mich in meine Koje bringen.“ „Das habe ich bereits veranlaßt“, sagte Cubera. Aber der Erlauchte war noch nicht am Ende. „Noch etwas ...“, setzte er mühsam hinzu. „Ja?“ Don Garcia war ganz Ohr.
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„Wer - wer war das, der vorhin mit der leeren Wasserschüssel an mir vorbeiging?“ Der Capitan war über diese Frage sehr verwundert. Eigentlich müßte der Gouverneur im Moment ganz andere Sorgen haben, so sagte er sich. „Das war einer unserer Köche“, erwiderte er. „Er hat wohl Wasser in Ihre Kammer gebracht.“ Don Antonio nickte gequält. „Ich - ich verlange, daß dieser Mann mit sechs Peitschenhieben bestraft wird, sobald ich wieder wohlauf bin.“ „Warum das denn?“ Cubera war überrascht. „Wegen ungebührlichen Grinsens“, lautete die Antwort. „Ich habe sehr wohl zur Kenntnis genommen, daß dieser Mensch anzüglich grinste, als er meine - meine Unpäßlichkeit bemerkte.“ „Sind Sie da völlig sicher?“ wollte der Capitan wissen. „Völlig!“ Für einen Moment sah es aus, als würden die Leiden des Gouverneurs eine plötzliche Fortsetzung finden, und Don Garcia wollte schon einen Schritt zurückweichen, aber Don Antonio blieb verschont und preßte nur die Hände gegen den Bauch. Endlich erschienen die beiden Lakaien und nahmen den Gequälten in ihre Mitte. Daß sie dabei die Nasen rümpften, die sie sonst so hoch zu tragen pflegten, war nicht zu übersehen. „Ich werde mich zu einem späteren Zeitpunkt um die Angelegenheit kümmern“, versprach Cubera noch, dann verschwanden die Lakaien mit ihrem Gebieter unter Deck. Don Garcia veranlaßte sofort, daß das Deck und das Schanzkleid von den übelriechenden Spuren gesäubert wurden, die der Gouverneur hinterlassen hatte. Dann erst wandte er sich an seine Offiziere. „Hat der Koch tatsächlich gegrinst?“ fragte er. „Hat es jemand von Ihnen gesehen?“ „Nicht nur der Koch, wir alle haben gegrinst, Senor Capitan“, erwiderte der Erste wahrheitsgemäß.
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„Das mag durchaus sein“, sagte Cubera trocken. „Aber bei dem Koch hat es der Gouverneur gesehen, und jetzt verlangt er, daß der Bursche mit sechs Hieben bestraft wird. Wenn er nach seiner Genesung noch immer darauf besteht, werde ich leider dafür sorgen müssen, ihm Genugtuung zu verschaffen, denn das Grinsen kann als Gouverneursbeleidigung ausgelegt werden. Wenn es wirklich sein muß, werde ich jedoch vorher mit dem Zuchtmeister reden.“ Die Senores konnten sich denken, was er damit meinte. Doch sie zogen vor, jetzt lieber zu schweigen. Wenn der Kommandant der „San Jose“ jedoch geglaubt hatte, in den nächsten Stunden Ruhe vor dem Gouverneur zu haben und sich endlich um seine eigentlichen Aufgaben kümmern zu können, dann hatte er sich getäuscht. Schon nach wenigen Minuten erschien einer der beiden Lakaien, die den Erlauchten unter Deck gebracht hatten, und zog ein wichtigtuerisches Gesicht. „Senor Capitan“, sagte er hochnäsig, „der Gouverneur wünscht heißes Wasser, da er die Absicht hat, ein Bad zu nehmen. Natürlich muß dazu auch eine Badewanne zur Verfügung gestellt werden.“ Don Garcia schluckte. „Eine Badewanne?“ wiederholte er. „So was haben wir nicht an Bord. Wir können Don Antonio lediglich eine Waschbalje überlassen, wie sie auch von den Seeleuten für ihre Wäsche benutzt wird.“ Der Lakai zog blasiert eine Augenbraue hoch, drehte sich um und eilte in die Kapitänskammer zurück. Cubera kratzte sich am Hinterkopf und kam aus dem Wundern nicht mehr heraus. „Eine Badewanne!“ murmelte er. „Das wird ja immer schöner auf meinem Schiff ...“ Als er sich um die ausgesetzte Schaluppe kümmern wollte, kehrte der Lakai zurück. „Womit kann ich diesmal dienen?“ fragte der Kapitän gereizt. „Wird für die Badewanne auch noch ein Deckel gebraucht?“
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Der Lakai hörte vornehm über die Spitze hinweg, deutete eine leichte Verbeugung an und verkündete in diskretem Ton: „Der erlauchte Gouverneur pflegt nicht in Waschbaljen des gewöhnlichen Schiffsvolkes zu baden, Senor Capitan. Wenn es schon eine hölzerne Balje sein muß, dann wünscht Don Antonio eine neue. Eine bereits benutzte Balje ist ihm nicht zuzumuten.“ Don Garcia wurde wütend. Er bedachte den Lakaien, der sich aufspielte, als sei er der Gouverneur, mit einem grimmigen Blick. „Dann muß eben der ganze Verband nach Havanna zurücksegeln“, erklärte er rigoros, „um dort eine unbenutzte neue Balje zu holen. An Bord haben wir jedenfalls nur gebrauchte, wie das auf Kriegsschiffen üblich ist. Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß diese Schiffe für Kriegszwecke, nicht aber für Badezwecke ausgerüstet sind. Richten Sie das bitte dem Gouverneur aus.“ Die Offiziere hatten schon wieder was zu grinsen, als der Lakai mit eingeschnapptem Gesicht verschwand. Doch das leidige Kapitel war noch lange nicht abgeschlossen, das sollte ihnen rasch bewußt werden. Kaum war der Lakai verschwunden, da kehrte er auch. schon zurück. Und das bereits zum dritten Male. „Na, was ist?“ fauchte Cubera. „Wollen Sie die Balje jetzt endlich haben? Für uns gibt es schließlich auch noch was anderes zu tun, als uns um neue oder gebrauchte Waschzuber zu kümmern, verdammt noch mal!“ Der Lakai ließ sich jedoch nicht sonderlich beeindrucken. Sich auf der Seite des Stärkeren wissend, setzte er eine hochnäsige Miene auf. „Es tut mir leid, Senor Capitan“, sagte er, „aber so einfach läßt sich Don Antonio nicht abspeisen. Er hat befohlen, Cardenas anzulaufen und dort eine Badewanne zu besorgen.“ Cubera war völlig entgeistert. „Er hat es - befohlen?“ vergewisserte er sich.
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„Jawohl, das hat er“, erwiderte der Lakai. Don Garcia Cubera verspürte eine schier unbändige Lust, dem geschniegelten Kerl in den Hintern zu treten, doch er hatte genug Selbstbeherrschung, um jetzt nicht aus der Haut zu fahren. „Na schön“, sagte er sarkastisch. „Da unternehmen wir eben einen netten kleinen Ausflug nach Cardenas. Wenn es dem Senor Gouverneur egal ist, wann wir den Schlupfwinkel der englischen Piraten erreichen, dann sehe auch ich keinen Grund zur Eile.“ Der Erste Offizier, den er gerade angeblickt hatte, nickte steif. „Wollen wir wirklich ...?“ „Wollen?“ Cubera lachte hart. „Sagen wir lieber, man erweist uns die Ehre und gönnt uns die kleine Freude, nach Cardenas segeln zu dürfen. Warum auch nicht! Vielleicht finden wir dort tatsächlich eine wunderschöne Badewanne. Es soll sogar welche geben, die vergoldet und an den Rändern mit Rubinen und Edelsteinen besetzt sind ...“ Der Kommandant der „San Jose“ war sich längst darüber im klaren, daß ihm mit dem Dicken noch allerlei bevorstand. Die unglaubliche Sache mit der Badewanne würde erst den Auftakt bilden. Innerlich kochend vor Wut, ließ der Capitan die bereits ausgesetzte und aufgeriggte Schaluppe in Schlepp nehmen. Sie sollte, wenn man auf der Reede vor Cardenas ankerte, in den Hafen segeln, um die verdammte Badewanne zu besorgen. 3. Die letzten grauen Schatten der Nacht hatten sich längst verzogen. Die Sonne war bereits wie ein feuriges Ungetüm hinter der östlichen Kimm hervorgekrochen, als der spanische Kriegsschiffsverband am frühen Morgen des 19. Juli 1594 auf der Reede von Cardenas vor Anker ging. Da die Hauptaufgabe des Verbandes an jenem Tag darin bestand, dem seekranken Gouverneur von Havanna eine Badewanne zu besorgen, achtete kaum jemand auf das, was draußen auf See vor sich ging.
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Um die geheimnisvolle Schaluppe, die sich als frecher Fühlungshalter erwiesen hatte, kümmerte sich gegenwärtig niemand, denn die diesbezüglichen Pläne des Kommandanten waren ja von den Badewünschen des erlauchten Gouverneurs durchkreuzt worden. So lag denn der fremde Zweimaster seelenruhig an der Grenze der Sichtweite in Nähe der Küste und wartete ab, was weiter passieren würde. Auch jenem Dreimaster, der weit im Norden den ankernden Verband überholte und auf Ostkurs segelte, schenkte man keinerlei Aufmerksamkeit. Selbst, wenn man ihn gesichtet hätte, wären höchstwahrscheinlich nur die Spitzen der Lateinersegel zu sehen gewesen. Bei dem Dreimaster handelte es sich um eine schlanke Schebecke mit Lateinerrigg, wie sie vor den Küsten Nordafrikas gebräuchlich war. Der Rumpf des Seglers war schwarz gestrichen, das Schanzkleid hingegen leuchtete in grellem Rot Der weit vorragende Vorsteven, auf dem der Bugspriet befestigt war, endete in einem wild aufgerissenen Löwenmaul. Die Dreieckssegel boten einen merkwürdigen Anblick, denn sie waren von oben nach unten rot und weiß gestreift. Auffallend war auch die Armierung: das kleine Schiff hatte auf jeder Seite elf Geschützpforten. Die Männer des Don Juan de Alcazar, des Sonderbeauftragten der spanischen Krone im Range eines Generalkapitäns, hatten die Schebecke im Kampf gegen den algerischen Piratenkapitän Mubarak erbeutet und fuhren auf ihr unter dem Kommando Don Juans. Der Dreimaster war bereits am Vorabend in Havanna ausgelaufen, um dem spanischen Verband unauffällig zu folgen oder ihn gar - gemäß einer besonderen Strategie - zu überholen. Die beste Gelegenheit dazu hatte sich an diesem frühen Morgen geboten, als die Kriegsschiffe vor Anker gegangen waren. Don Juan, ein eleganter Mann mit schwarzen Haaren und scharfgeschnittenem Gesicht, schüttelte verwundert den Kopf.
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„Es ist rätselhaft“, sagte er, „warum der ganze Verband in Cardenas vor Anker geht. Es kann ihnen doch unmöglich bereits das Trinkwasser oder die Verpflegung ausgegangen sein.“ Jörgen Bruhn, der dunkelblonde Hamburger, zuckte mit den Schultern. „Vielleicht holen sie weitere Verstärkung, um den Verband zu vergrößern.“ „Das glaube ich nicht“, meinte Don Juan. „In dieser Hinsicht gibt es in Cardenas nichts mehr zu holen, denn man hat bereits alle vorhandenen Kräfte für das Unternehmen gegen die Engländer abgezogen.“ Auch Arne von Manteuffel, der seine Faktorei in Havanna in den bewährten Händen Jussufs zurückgelassen hatte, zerbrach sich den Kopf. Doch alle Überlegungen, die die Männer auf der Schebecke anstellten, verliefen gewissermaßen im Sande, denn keiner von ihnen verfiel auch nur im entferntesten auf die Idee, daß man bestrebt war, eine Badewanne für den Gouverneur zu beschaffen. Somit blieb das Motiv, das die Spanier veranlaßt hatte, die Anker zu werfen, vorerst ein Geheimnis für Don Juan, seine Freunde und für die neunköpfige Besatzung. Es gab jedoch noch ein weiteres Geheimnis an Bord der Schebecke. Zumindest war es eins für Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn. Arne, der blonde Hüne aus Kolberg, hoffte jedoch, daß sich schon bald eine Gelegenheit ergeben würde, Don Juan reinen Wein einzuschenken. Don Juan de Alcazar war im Auftrag der spanischen Krone in die Karibik gesegelt, um Philip Hasard Killigrew, den Seewolf, zur Strecke zu bringen. Doch auf Grund der bisherigen Ereignisse war sein Glauben an die Richtigkeit seines Auftrages bereits sehr ins Wanken geraten, denn Philip Hasard Killigrew hatte sich ihm gegenüber trotz harter Kämpfe stets fair und hilfsbereit verhalten. Er, Don Juan, hatte deshalb seine Meinung über diesen Mann weitgehend korrigieren müssen und sah inzwischen sogar ein, daß
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der Engländer gute und berechtigte Gründe hatte, dem hemmungslosen Morden und Plündern der Spanier in der Neuen Welt, so gut es ging, Einhalt zu gebieten. In Arne von Manteuffel hatte er bereits einen Freund gefunden, der ihm schon einige Male selbstlos das Leben gerettet hatte. Zuletzt war das in Havanna der Fall gewesen, als der hinterhältige Gouverneur ihm sogar einen Frauenmord anhängen wollte, weil er ihm nicht auf den Leim gegangen war. Genaugenommen hatte sich Don Juan in Havanna in einer ausweglosen Situation befunden, und sein Leben war keine einzige Silbermünze mehr wert gewesen. Daß er dennoch aus der Misere herausgekommen war, hatte er in erster Linie diesem blonden Deutschen, der dem Seewolf auf eine so merkwürdige Weise ähnlich war, zu verdanken. Auch bei der Befreiung seiner kleinen Schebecken-Besatzung hatte der Deutsche mitgewirkt, und gestern, nach Einbruch der Dunkelheit, hatte er dabei geholfen, die noch von zwei Posten bewachte und vom Gouverneur beschlagnahmte Schebecke zu entern und auszurüsten. Danach war man dann zusammen aus Havanna ausgelaufen, um dem Verband des Gouverneurs zu folgen. Don Juan, ein aufrechter und ritterlicher Mann, war sich darüber klar, daß er tief in der Schuld Arnes stand. Aber daß der Deutsche in Wirklichkeit der Vetter des Seewolfs war und sie eigentlich von der Art seines ursprünglichen Auftrags her Todfeinde sein müßten, das wußte er noch nicht. Die Männer an Bord der Schebecke verstanden sich prächtig und waren sich darüber einig, daß man dem hinterhältigen und selbstsüchtigen Treiben Don Antonios einen Riegel vorschieben mußte. Sie hatten sogar schon ganz konkrete Vorstellungen davon, wie sie ihren Teil dazu beitragen konnten. *
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Die Schaluppe, die die „San Jose“ ausgesetzt und in Schlepp genommen hatte, segelte in den Hafen von Cardenas. An Bord befanden sich ein Teniente, ein Bootsmann, ein paar Rudergasten und vier von den fünf Lakaien des Gouverneurs. Die Badewanne war somit zu einer hochoffiziellen Angelegenheit geworden. Auch unter der Besatzung der „San Jose“ und den Seesoldaten hatte sich das Badebegehren des Erlauchten bereits herumgesprochen. Manchen entlockte die Geschichte ein spöttisches Grinsen, viele jedoch schüttelten verärgert den Kopf und stießen leise Verwünschungen gegen den Gouverneur aus. Für sie war der Dicke ein selbstherrlicher und genußsüchtiger Despot, für den das Leben im Gegensatz zum harten und rauhen Seemanns- und Soldatendasein nur aus Luxus und Vergnügungen bestand. Die meisten von ihnen wären nicht einmal verwundert gewesen, wenn der Gouverneur auch noch einige seiner Mätressen an Bord gebracht hätte, um sich mit ihnen in der Kapitänskoje zu vergnügen. Somit war verständlich wenn der Beliebtheitsgrad Don Antonios an Bord des Flaggschiffes in dem Maße abnahm, wie der Dicke seine unverschämten Ansprüche stellte. Don Garcia Cubera blickte immer wieder zum Hafen hinüber. Auf seinen Zügen zeichnete sich eine gewisse Ungeduld ab. Für ihn, den altgedienten Seeoffizier, war immer noch unfaßbar, was da vor sich ging und zu was er sich hatte nötigen lassen. Obwohl er einen unbändigen Zorn auf den Gouverneur mit sich herumtrug, hatte er es doch nicht gleich am ersten Tag auf einen großen Krach ankommen lassen. Vielleicht aber, so meinte er, würde sich das eines Tages nicht mehr vermeiden lassen Zunächst aber mußte er abwarten, mit welchen Überraschungen und Allüren Don Antonio de Quintanilla noch aufwarten würde. Endlich, nach Stunden, segelte die kleine Schaluppe wieder auf das Flaggschiff zu. Es war bereits später Vormittag.
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„Hoffentlich haben sie eine Badewanne, damit wir endlich weitersegeln können“, sagte Don Garcia mehr zu sich selbst. Doch der Erste, der sich in seiner Nähe befand, hatte die Worte gehört. „Ich fürchte, man wird Sie enttäuschen, Senor Capitan“, sagte er, denn er hatte ein Spektiv ans Auge gesetzt. „Was wollen Sie damit sagen?“ „An Bord der Schaluppe befindet sich keine Badewanne”, erwiderte der Erste Offizier. „Der Behälter sieht mehr nach einer Balje aus. Offenbar hat man auch in Gardenas keine neue und ungebrauchte Badewanne für Don Antonio auftreiben können ...“ Cubera riß dem Ersten das Spektiv aus der Hand und blickte hindurch. „Tatsächlich“, murmelte er. „Sie haben nur eine Balje.“ Dieser Feststellung folgte ein langer Fluch, der den Ersten geflissentlich weghören ließ. „Hoffentlich ist es eine neue Balje“, fuhr der Capitan fort, „sonst läßt uns der Erlauchte womöglich nach Havanna zurücksegeln, um endlich zu seiner verdammten Badewanne zu kommen.“ Die Balje war neu. Das bestätigte sich wenig später, als die Schaluppe längsseits schor. Eine neue Badewanne jedoch hatte man trotz stundenlanger Suche nicht auftreiben können, wie einer der Lakaien mit fast weinerlicher Stimme berichtete. Auch diejenigen unter der Besatzung, die die Badewannen-Geschichte bisher nicht so recht geglaubt hatten, ließen sich jetzt von ihrer Richtigkeit überzeugen, denn die riesige Balje, die an Bord der „San Jose“ gehievt werden mußte, war nicht zu übersehen. Wie einige sarkastisch feststellten, war sie sogar groß genug, um eine Kuh darin zu baden. Sogar auf den anderen Schiffen des Verbandes, an denen die Schaluppe mit ihrer sonderbaren Fracht vorbeigesegelt war, faßten sich einige der Offiziere und Capitans an den Kopf. Wer jedoch meinte, die leidige Angelegenheit sei mit dem Besorgen eines nagelneuen Badebehälters endlich aus der Welt geschafft, mußte sich rasch eines
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Besseren belehren lassen. Der Ärger mit Don Antonio de Quintanilla war noch lange nicht zu Ende. Es erwies sich bald, daß die große Balje nicht durchs Achterdecksschott paßte, so sehr man sich auch abmühte. Das Ding war zu sperrig und irgendwo blieb es immer hängen. Den Decksleuten, die sich damit herumplagten, glänzte bereits der Schweiß auf der Stirn. Einige begannen zu fluchen, zumal die vier Lakaien händeringend dabeistanden und immer wieder beteuerten, wie dringlich die Angelegenheit sei. Einer von ihnen, ein dürrer, weibischer Kerl, begann laut zu jammern. „Warum stellt sich dieses Gesindel nur so dumm an?“ Er vollführte eine verzweifelte Geste. „Wie soll Don Antonio denn baden, wenn die Balje nicht endlich an Ort und Stelle gebracht wird? O Gott, was tun wir bloß? Er kann doch nicht hier draußen baden, vor den Augen des gemeinen Schiffsvolks!“ Cubera beobachtete die vergeblichen Bemühungen kopfschüttelnd und stemmte die Hände in die Hüften. „Sie haben noch etwas Wichtiges vergessen“, sagte er giftig. „Der Erlauchte könnte sich hier draußen in der kühlen Brise erkälten. Nicht auszudenken, wenn er auch noch mit Fieberträumen in der Koje liegen müßte ...“ Zu den Decksleuten gewandt fuhr er fort: „Aufhören! Selbst ein Idiot sieht deutlich, daß der verdammte Waschzuber nicht durch das Schott paßt.“ Die Männer setzten die Balje ab und wischten sich den Schweiß von der Stirn. „Was sollen wir tun, Senor Capitan?“ fragte einer. „Am besten wäre, man würde das Ding über Bord werfen“, erwiderte Cubera unwirsch. „Da dann aber Don Antonio nicht baden könnte, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als die Balje über die Heckgalerie hereinzuhieven.“ So geschah es denn auch - mit viel Schweiß und harter, zeitraubender Arbeit. Cubera war schon nahe daran, Zustände zu kriegen, denn die Balje mußte mit Hängen
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und Würgen sowie unter dem fürchterlichen Gefluche der Decksleute in eine leere Kammer bugsiert werden. Leer war sie jedoch nur deshalb, weil man das festgefügte Mobiliar vorher entfernt hatte, sonst hätte der Platz für die Balje nicht ausgereicht. Als das Ding endlich auf den Planken stand, fiel Don Garcia Cubera siedendheiß ein, daß jetzt die Süßwasservorräte der „San Jose“ rasch schwinden würden, denn der Erlauchte würde todsicher nicht in Meerwasser baden. Und heiß mußte das Wasser auch sein. „Zum Teufel!“ fluchte er. „Man sollte die verdammte Balje in Schlepp nehmen und den Kerl so lange hineinsetzen, bis ihn die Mittagssonne braun geröstet hat.“ Der Erste Offizier hörte wieder einmal weg. Im Grunde war er jedoch der gleichen Meinung wie der Capitan. Auf der „San Jose“ herrschte wegen der Badewünsche des Gouverneurs bald die reinste Wuhling. Da die Balje ein geradezu unheimliches Fassungsvermögen hatte, mußten Unmengen von Süßwasser in beide Kombüsen des Flaggschiffs transportiert werden - in die Achterdeckskombüse und in die Vorschiffskombüse. Dann mußte das Wasser in allen zur Verfügung stehenden Kesseln erhitzt werden, denn man konnte Don Antonio ja nicht zumuten, in kaltem Wasser zu baden, das würde seine Unpäßlichkeit nur verstärken. Sehr eilig war die Angelegenheit außerdem, das wurde dem Capitan mit Nachdruck in Erinnerung gebracht. Der dürre Lakai erschien plötzlich auf dem Achterdeck. Capitan“, schnarrte er, „Don Antonio läßt ausrichten, daß er sofort zu baden wünscht, und zwar solange das Schiff noch auf Reede einigermaßen ruhig vor Anker liegt.“ Don Garcia ballte die Hände und schluckte. „Verdammt!“ brüllte er dann. „Das kann er haben, wenn er bereit ist, ins kalte Wasser zu steigen.“ Er drehte sich um und hieb mit beiden Fäusten mehrmals auf den Handlauf
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der Querbalustrade. Irgendwie mußte er sich abreagieren, um dem dürren Lakaien nicht an die Gurgel zu fahren. Etwas ruhiger geworden, sagte er zu dem hochnäsigen Kerl: „Richten Sie Don Antonio aus, daß er sich zumindest so lange gedulden muß, bis das Wasser erhitzt ist. Und erinnern Sie ihn daran, daß uns lediglich zwei Kombüsen für insgesamt zweihundert Mann an Besatzung und Seesoldaten zur Verfügung stehen. Wir können das Wasser somit nur kübelweise erwärmen, und das dauert eben seine Zeit“ „Jawohl, Senor Capitan!“ sagte der Lakai, hob die Nase und verschwand wieder unter Deck. Cubera wanderte wutentbrannt auf dem Achterdeck hin und her. „Wenn das so weitergeht“, schimpfte er, „lasse ich mich an Land setzen und zähle lieber auf einer einsamen Insel die Kokosnüsse, als das hier zu ertragen!“ Trotzdem ging es vorerst so weiter. Da der von der Seekrankheit gepeinigte Don Antonio de Quintanilla sehnsüchtig auf sein Bad wartete und sämtliche Kombüsenherde für. das Erhitzen des Badewassers eingesetzt waren, fiel natürlich das mittägliche Backen und Banken mit warmer Mahlzeit aus. Für Pfannen war da absolut kein Platz mehr auf den Feuerstellen. Ob es der Besatzung paßte oder nicht, sie mußte an diesem Mittag mit Kaltrationen vorlieb nehmen. Da half kein Fluchen und kein Nörgeln, wenn es um Achterdecksbelange ging, hatte das gewöhnliche Decksvolk zurückzustehen. Für Leute wie Don Antonio war das eine Selbstverständlichkeit, denn ein sauberer Gouverneur war seiner Meinung nach weit mehr wert als das undefinierbare Zeug, das die Köche in ihren Töpfen anrührten. Außerdem lungerten ohnehin genug Kerle an Bord herum und hatten nichts zu tun. Woher sollten die überhaupt Hunger haben? In Wirklichkeit sah es an diesem Mittag so aus, daß viele Decksleute nicht einmal die Zeit hatten, ihre Kaltration zu verspeisen,
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denn ab sofort hatte das Wasserschleppen absoluten Vorrang. Das kalte Wasser mußte von den untersten Laderäumen, wo es in Fässern gelagert wurde, Pütz für Pütz zu den Kombüsen geschleppt werden. Dort wurde es mühsam erwärmt und dann in gleicher Weise zu der sogenannten „Baljenkammer“, gebracht. Und das alles nur wegen eines einzigen Mannes, der zu baden wünschte und offenbar meinte, seinen feudalherrlichen Residenz-Gewohnheiten auch auf einem Kriegsschiff, das sich auf Kriegsmarsch befand, frönen zu können. Cubera raufte sich die Haare. „Eins können Sie mir glauben, Senores“, klagte er seinen Offizieren, „ich habe in meiner langen Laufbahn schon viele haarsträubende Dinge erlebt. Heute aber ist der schwärzeste Tag meines Lebens.“ Der Zweite Offizier lachte verhalten. „Er wird vorübergehen, Senor Capitan. Außerdem bleibt uns die Hoffnung, daß Don Antonio nicht jeden Tag zu baden wünscht, sonst haben wir nach einigen Tagen keinen Tropfen Trinkwasser mehr in den Fässern.“ Der Capitan warf ihm einen wilden Blick zu. „Malen Sie bloß nicht den Teufel an die Wand“, sagte er, „denn wir scheinen ihn ohnehin schon an Bord zu haben.“ Don Garcia Cubera war völlig geschafft. Zum erstenmal seit langer Zeit spürte er, daß er Nerven hatte und keine zwanzig mehr war. Dennoch blieben ihm einige weitere Dinge an diesem Tag nicht erspart. Kaum hatte der Gouverneur gebadet, stand schon das nächste Problem an: Die Unmengen von Badewasser, das die Lakaien mit allerlei duftenden Ingredienzien angereichert hatten, mußte wieder von Bord geschafft werden. Das war jedoch nur zu bewerkstelligen, indem man wieder mühsam zu putzen begann. Kübel für Kübel mußte aus der riesigen Balje geschöpft, aus der Kammer getragen und außenbords gekippt werden. „Zumindest riecht es hier jetzt besser als vorher“, bemerkte einer der Männer
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flüsternd. „Zu Beginn stank es nämlich wie in einem Ziegenstall.“ Ein Leidensgenosse nickte mit grimmiger Miene. „Wenn wir die ganze Brühe über Bord gekippt haben, stinken die Fische nach Flieder und Rosenöl“, sagte er. Kein Wunder, wenn an Bord des Flaggschiffs die Despektierlichkeit Einzug hielt. Die Männer murmelten außer bissigen Bemerkungen leise Flüche und Verwünschungen vor sich hin, zumal eine ganze Gruppe von Aufklarern - natürlich minderes Volk vom Vordeck - damit beschäftigt war, die „Baljenkammer“ einigermaßen trocken zu kriegen. Wenig später verspürte der Erlauchte nach dem erfrischenden Bad einen gewaltigen Appetit und wünschte umgehend zu speisen. Das wiederum war kaum in die Tat umzusetzen, da die Kombüsen für längere Zeit nicht benutzbar gewesen waren. Trotzdem begannen drei der fünf Lakaien in der Offizierskombüse herumzuhantieren, um ihrem Gebieter so bald wie möglich eine erlesene Mahlzeit auftischen zu können. Die kriecherischen Kerle wußten nur zu gut, daß sich der Dicke in einen reißenden Löwen verwandelte, wenn sein hungriger Magen nicht schnellstens beruhigt wurde. Zudem fühlte er sich jetzt, da die Schiffe vor Anker lagen, wesentlich wohler. Warum sollte da einem opulenten Mahl etwas im Wege stehen? Als es wegen des ständigen Herumhantierens der Lakaien auch noch Krach in der Offizierskombüse gab, begann Don Garcia Cubera, der Kommandant dieses wahrhaft königlichen Schiffes, mit sämtlichen Heiligen zu hadern. Im stillen war er davon überzeugt, daß an diesem Tag, der noch lange nicht zu Ende war, sein eisgraues Haar noch eine Spur grauer werden würde. Um die Zeit, in der der gesamte Verband vor Cardenas ankerte, nicht gar so nutzlos zu vertun, hatte der Capitan inzwischen die Schaluppe mit dem Teniente und ein paar Seesoldaten zur Erkundung westwärts
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geschickt. Er wollte endlich diesen verdächtigen Zweimaster, der sich als dreister Fühlungshalter erwiesen hatte, kontrollieren lassen. Irgendwie, so hatte er das Gefühl, mußte er der Besatzung seines Schiffes wieder zu Bewußtsein bringen, daß man sich nicht auf einer Lustfahrt, sondern auf Kriegsmarsch befand - auf einem Marsch zur Schlangen-Insel, um dem berüchtigten Seewolf das Handwerk zu legen. 4. Die Schaluppe, die dem spanischen Kriegsschiffsverband seit der vergangenen Nacht Kopfzerbrechen bereitete, schwojte westlich von Cardenas, dicht unter der Küste, an der Ankertrosse. Daß der kleine Zweimaster in den flachen Küstengewässern vor der Verfolgung durch die spanischen Kriegsschiffe sicher war, hatte sich ja deutlich genug gezeigt. Warum sich also Sorgen bereiten? Sobald der Verband weitersegelte, würde man sich wieder dranhängen. Dennoch war es auch für die Besatzung dieses geheimnisvollen Seglers unerklärlich, warum sich die Spanier nach Cardenas verholt hatten. In diesem verschlafenen Nest gab es ganz bestimmt keinen Krieg zu gewinnen, und daß man den Seewolf dort nicht suchte, war so gut wie sicher, denn der fette Gouverneur kannte jetzt die Position der SchlangenInsel. Nachdem die kleine Crew und die zweiköpfige Schiffsführung die verschiedensten Vermutungen über die Verhaltensweise der Spanier angestellt hatten, gaben sie es auf, sinnlos herumzurätseln. Man würde eben warten, bis die Anker wieder gelichtet wurden. „Ich wette, daß wir den Dons inzwischen so lästig geworden sind wie eine Schmeißfliege“, sagte der hünenhafte Neger mit dem wilden Bart. „Immer wenn sie zuschlagen wollen, huscht das Biest davon - und kehrt gleich wieder zurück.“ Der Mann war von muskulöser Gestalt. In dem Gürtel, der seine weiße Pumphose
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festhielt, trug er eine doppelläufige Pistole und ein Entermesser. In der rechten Hand hielt er ein Spektiv aus Messing, das er jetzt wieder ans Auge hob. „Na so was!“ fuhr er amüsiert fort. „Die hatten sogar eine Schaluppe an Bord. Jedenfalls segelt so ein Ding zum Hafen rüber.“ „Das ist ja interessant“, bemerkte die halbnackte Frau, die neben ihn getreten war. „Von einer Schaluppe haben wir bisher nichts bemerkt. Wahrscheinlich hat sie das Flaggschiff erst vor kurzem ausgesetzt.“ Der Schwarze starrte immer noch durch das Spektiv. Auf seinem nackten Oberkörper spielten die Muskeln. „Ich möchte zu gern wissen, was die Dons in Cardenas wollen“, sagte er. „Vielleicht hat der Mastochse von einem Gouverneur etwas Wichtiges vergessen. Oder er holt sich einige Hafenhuren an Bord, um sich die Zeit zu vertreiben, wer weiß.“ Er lachte dröhnend. „Wie dem auch sei, Caligula“, sagte die Frau an seiner Seite, „darüber brauchen wir uns den Kopf nicht mehr zu zerbrechen. Wichtiger ist für uns die Tatsache, daß die Dons eine oder vielleicht sogar mehrere Schaluppen zur Verfügung haben, denn das verändert unsere Situation. Die verdammte Kriegskaravelle konnten wir ja noch abhängen, eine Schaluppe aber kann uns in den Küstenbereich folgen.“ „Na und?“ erwiderte Caligula. „Wir werden uns doch wohl gegen eine Handvoll Dons auf einer Schaluppe zu wehren wissen, he?“ Die Frau lächelte. „Natürlich. Aber das ist nicht das Problem. Ich halte vielmehr den Zeitpunkt für verfrüht. Wir können uns nicht ewig in Küstennähe verstecken, und auf offener See können wir uns aufgrund des ungleichen Kräfteverhältnisses ohnehin nicht mit den Dons anlegen. Machen wir sie aber jetzt schon durch einen Kampf über Gebühr auf uns aufmerksam, laufen wir Gefahr, von ihnen erkannt zu werden. Demnach ist es wichtiger für uns, in ihren Augen möglichst unauffällig und harmlos
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zu erscheinen. Wir werden es dann später auf der Schlangen-Insel leichter haben, wenn es darum geht, die Reichtümer des Seewolfs einzuheimsen.“ Wie zufällig streichelte die Frau den Griff ihrer Pistole. Ihre dunklen Augen waren auf die östliche Kimm gerichtet, und ihr Gesicht war in diesem Augenblick maskenhaft starr -wie meist, wenn sie an die Niederlagen dachte, die ihr der Seewolf bereitet hatte. Ja, die Black Queen bot nach langer Zeit des Siechtums, das auf eine schwere Verletzung zurückzuführen war, wieder einen imposanten Anblick. War sie nach der Meuterei auf ihrem ehemaligen Zweidecker „Caribian Queen“ auch ganz „unten“ gewesen, so hatte sie doch wieder von vorn angefangen. Der Name Black Queen würde in der gesamten Karibik bald wieder genauso gefürchtet sein wie früher, daran gab es für sie keinen Zweifel. Hatte sich erst ihr Plan, den Seewolf durch die Spanier vernichten zu lassen, bewährt, würde ihr bei ihren Machtansprüchen über die Karibik niemand mehr im Wege stehen, der an Stärke mit dem Seewolf vergleichbar wäre. Sie hatte ihre Fäden so geschickt geknüpft wie eine Spinne, indem sie dem fetten Gouverneur die genaue Lage der Schlangen-Insel verraten hatte. Seitdem verliefen die Dinge ganz nach ihren Vorstellungen. Die Negerin hatte einen geradezu athletischen Körperbau. Dazu gehörten feste Brüste, die sie unbedeckt zur Schau trug, ein markantes Gesicht mit vollen, sinnlichen Lippen und hervortretenden Wangenknochen. Aber auch die Pistole und das Entermesser schienen bei ihr fast schon zu den Körpermerkmalen zu gehören. Sie trug die Waffen in einem breiten Ledergürtel, der ihren Lendenschurz an den Hüften zusammenhielt. Schon von ihrem Äußeren her paßte die Black Queen hervorragend zu Caligula, dem Sohn des berüchtigten Oberschnapphahns Caligu, der einst in der Windward-Passage sein Leben ausgehaucht hatte. In der Tat war sie nach
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der langen Zeit des Siechtums, in der es niemand für möglich gehalten hatte, daß sie jemals wieder gesunden würde, und nach all den empfindlichen Schlappen, die ihr der Seewolf und seine Freunde bereitet hatten, wieder Caligulas Geliebte geworden. Aber auch was Intelligenz, Verschlagenheit, Brutalität und Skrupellosigkeit betraf, ergänzten sich die beiden in einer erstaunlichen Weise. Nach kurzem Überlegen verzog die Queen das Gesicht zu einem Lächeln. „Ich habe bereits eine Idee“, fuhr sie fort. Caligula setzte das Spektiv ab. „Und die wäre?“ „Ganz einfach“, antwortete die schwarze Piratin. „Einfacher geht es schon fast nicht mehr.“ „Dann mach's nicht so spannend“, sagte Caligula, packte sie und versuchte sie an sich zu ziehen. Aber die Queen klopfte ihm auf die Finger. „Nicht hier!“ sagte sie schroff. „Und nicht jetzt!“ Er verstand und zog seine Arme zurück. „Laß hören, welche Taktik du dir ausgedacht hast.“ Die Black Queen verschränkte die Arme und blickte aufs Meer hinaus, als wolle sie die glitzernde Wasserfläche bewundern. Jetzt, um die Mittagszeit, hatte die Sonne ihren höchsten Stand erreicht, doch der Himmel war zeitweise bedeckt. Die sonst so sengende Hitze war einer kühlen Brise gewichen. „Wenn die Spanier eine Schaluppe auf uns ansetzen, um uns zu kontrollieren“, begann die schwarze Piratin, „dann werden wir uns am besten nicht von der Stelle rühren.“ „Bist du übergeschnappt?“ fragte Caligula. „Willst du dich selber ausliefern?“ „Ich denke nicht daran“, entgegnete die Queen kühl. „Aber überlege doch mal, was dieser Zweimaster für ein Schiff ist. Es handelt sich um einen ehemaligen KüstenHandelssegler, den wir im kleinen Fischerhafen von Cabanas gekapert haben. In den Laderäumen befinden sich noch viele Waren des ursprünglichen Eigners ...“
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Jetzt ging Caligula blitzartig ein Licht auf. „Ich hab's!“ unterbrach er die Queen. „Dort unten lagern Tuchballen, Werkzeuge, Töpfe, Pfannen und anderer Kram. Und du gedenkst, in die Rolle einer Händlerin zu schlüpfen und einen biederen und harmlosen Eindruck zu erwecken, nicht wahr?“ „So ist es“, sagte die Queen. „Ich werde eine ehrbare Kaufmannsfrau sein, und ein Mann der Besatzung wird sich als Kaufmann und Eigner des Handelsfahrers ausgeben. Ich denke da an Pablo, zu dem paßt die Rolle am besten.“ Caligula hieb sich auf die Schenkel und brüllte vor Lachen. „Die ehrbare Kaufmannsfrau kauft dir selbst der dümmste Don nicht ab“, sagte er japsend. „Man kann sich verändern“, fuhr die Queen unbeirrt fort. „Ich kann mir ein Kleid überwerfen, Töpfe und Pfannen spülen und auch sonst die unterwürfige Ehefrau Pablos mimen. Du hingegen wirst den Rudergänger darstellen, Und die anderen werden fleißig das Deck schrubben. Waffen werden selbstverständlich nicht sichtbar getragen.“ Das alles paßte hervorragend zusammen, das mußte sich Caligula eingestehen. Pablo, einem dicklichen und äußerst gerissenen Kreolen, den sie von einer früher gekaperten, kleinen Silber-Galeone übernommen hatten, würde jeder die Rolle des Kaufmanns abkaufen. Was die Queen betraf, so hatte sie ihre Verwandlungskünste schon oft unter Beweis gestellt. Den letzten überzeugenden Beweis aber würden die Waren unter Deck liefern. Die Spanier würden die Schaluppe für einen Handelssegler halten müssen. „Die Idee ist gut“, lobte Caligula. „Aber wie willst du den Dons unsere Verhaltensweise während der vergangenen Nacht erklären? Wir haben die Kerle doch regelrecht an der Nase herumgeführt.“ „Kein Problem“, meinte die die Piratin. „Ich habe dafür eine einleuchtende Erklärung bereit, die Pablo als Eigner und
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Händler vortragen wird. Du wirst sehen, die Kerle fallen darauf herein.“ Im stillen bewunderte Caligula diese Frau, obwohl er manchmal der Meinung war, daß sie nach ihrer Genesung nicht mehr ganz die alte war. An Intelligenz und Gerissenheit jedoch hatte sie absolut nichts eingebüßt. Und ihr rassiges Aussehen hatte sie auch wieder zurückgewonnen. Einen Augenblick später löste er seine begehrlichen Blicke von ihrem wohlproportionierten Körper, denn sie rief den dicken Pablo und die anderen verluderten Kerle herbei, um sie über die zukünftige Rolle zu unterrichten, die sie im Bedarfsfall zu spielen hatten. * „Sie kommen tatsächlich!“ rief Caligula. „Die Schaluppe läuft genau auf uns zu.“ Die Black Queen nickte grimmig, Pablo und die anderen Schnapphähne grinsten erwartungsvoll. Caligula hatte schon vor einiger Zeit beobachtet, wie die Schaluppe der Spanier vom Hafen zurückgekehrt war. Doch Einzelheiten hatte er nicht erkennen können, denn der Himmel hatte sich bedeckt, vereinzelt waren graue Wolken aufgezogen, und die Luft war dunstig. Seit mehr als einer Stunde bestand auf größere Entfernung kaum noch Sicht. Auch jetzt hatte er die Schaluppe erst durch den Kieker erspäht, als sie schon ziemlich dicht herangesegelt war. „Von mir aus kann das Spielchen beginnen“, sagte die Queen, die in einem etwas schmuddelig aussehenden grünen Kleid steckte, das auf Taille gearbeitet war und ihre Körperformen eher betonte als verdeckte. Sie vergewisserte sich mit raschen Blicken, daß niemand mehr sichtbar eine Waffe trug. Caligula, der den Rudergänger mimte, lungerte scheinbar gelangweilt an der Pinne herum. Die anderen Burschen fingen an, mit Bürste und Scheuerstein das Deck zu schrubben und das dazu nötige Wasser mit Schlagpützen an Bord zu hieven.
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Die schwarze Piratin begab sich an eine kleine Balje, in der schmutzige Töpfe und Pfannen im Wasser lagen. Sie begann das Zeug zu spülen, während Pablo, ihr beleibter „Gatte“ und seines Zeichens Schiffseigner sich damit begnügte, die Aufsicht zu führen. Der Zweimaster bot im Handumdrehen ein friedliches und beschauliches Bild. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, daß hier eine kleine, aber gefährliche Wolfsherde in Schafspelzen lauerte. Je mehr sich die Schaluppe näherte, desto beschäftigter taten die Piraten ihre Arbeit. Lediglich Pablo stützte noch immer die Hände in die Hüften und sah der Ankunft des kleinen Seglers gelassen entgegen. Natürlich waren die .Schnapphähne über die Besatzung der Schaluppe genau im Bilde. Das Kommando führte ein Teniente, dann waren da noch ein Bootsmann, der als Bootssteurer fungierte, und acht Seesoldaten, deren Helme nicht zu übersehen waren. Nach kurzer Zeit ging die Schaluppe längsseits. Der Teniente in seiner schmucken Uniform stand breitbeinig am Backbordschanzkleid. Die Piraten, die eifrig das Deck schrubbten, hoben neugierig die Köpfe, doch Pablo scheuchte sie augenblicklich an die Arbeit zurück. Einem von ihnen trat er sogar gekonnt in den Hintern. „Wollt ihr wohl weiterarbeiten, ihr faulen Hunde!“ schimpfte er so laut, daß es die Spanier deutlich hören konnten. „Was glaubt ihr wohl, für was ich euch bezahle, he?“ Die Black Queen blickte, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, zu den Spaniern hinüber. Sie zog eine nasse Pfanne aus dem Spülwasser und begann sie umständlich abzutrocknen. Pablo eilte jetzt dienstbeflissen zum Steuerbordschanzkleid „seines“ Schiffes. „Buenos dias, Senores!“ rief er mit überschwenglicher Freundlichkeit. „Womit kann ich Ihnen dienen?“ „Teniente Rodriguez vom Flaggschiff ,San Jose' Seiner Majestät des Königs von Spanien“, stellte sich der Uniformierte in
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militärisch straffem Ton vor. Barsch fügte er hinzu: „Wer seid ihr, und was sucht ihr hier?“ Pablo vollführte eine einladende Geste. „Mein Name ist Pablo, Senor. Ich bin ein einfacher und ehrbarer Kaufmann und betreibe mit meinem Zweimaster Küstenhandel“, erwiderte er. „Kein leichtes Geschäft übrigens, vor allem, wenn man mehrere hungrige Mäuler zu stopfen hat. Sie sehen ja, wie faul diese Kerle hier sind. Wenn man nicht ständig hinter ihnen her ist, lungern sie nur herum. Wenn aber die Zeit zum Backen und Banken da ist, werden sie lebendig, und meine arme Frau“, er deutete auf die Black Queen, „kann kaum soviel kochen, wie diese nutzlosen Hunde fressen.“ Während Pablo wortreich den ehrbaren Händler mimte, ließen der Teniente und der Bootsmann ihre Blicke über den Zweimaster schweifen. Aber keiner von ihnen entdeckte etwas Auffälliges. Der junge Teniente winkte schließlich ab. „Lassen Sie das Geschwätz! Wenn Sie Küstenhandel betreiben, warum spionieren Sie dann hinter einem Kriegsschiffsverband her?“ Pablo tat erstaunt. „Aber Senor, dazu gibt es für mich doch gar keine Veranlassung. Ich bin froh, wenn ich irgendwo meine Ware verkaufen kann und von dem Piratengesindel, das sich zuweilen hier herumtreibt, in Ruhe gelassen werde.“ „Sie sind aber während der Nacht dem Verband hartnäckig gefolgt“, beharrte der Teniente. „Und als man Sie kontrollieren wollte, sind Sie geflüchtet und haben sich dann aber wieder an den Verband gehängt. Dafür erwarte ich eine Erklärung.“ Pablo lachte. „Ach, so meinen Sie das, Senor! Jetzt verstehe ich erst Sie müssen schon entschuldigen, denn ein Mann wie ich hat den Kopf voll von geschäftlichen Dingen. Aber die Erklärung ist ganz einfach, und die Madonna ist Zeuge, daß ich Ihnen die Wahrheit sage. Ich bin dem Verband keineswegs gefolgt, sondern habe nur eine einzige Karavelle gesichtet, und das nur,
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weil ich zufällig den gleichen Kurs gesegelt bin. Als dann plötzlich in der Nacht ein Kriegsschiff auf mein winziges Schiffchen zulief, Senor, da habe ich es, offen gesagt, mit der Angst zu tun gekriegt, denn ich vermutete auf Grund meiner bisherigen schlechten Erfahrungen, daß es sich vielleicht nur um ein getarntes Piratenschiff handeln könnte. Deshalb habe ich es vorgezogen, lieber die Flucht zu ergreifen. Als dann keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, wagte ich, meinen Kurs vorsichtig fortzusetzen.“ Der Teniente nickte. Eigentlich klang das ganz einleuchtend, was der dickliche Kreole da von sich gab. Handelssegler wurden gern von Küstenräubern oder Piraten überfallen, weil es da fast immer etwas zu holen gab. Außerdem - was sollte der Dicke mit den paar unbewaffneten Leuten auch für Interessen an dem Verband haben? Es wäre ja direkt vermessen gewesen, wenn er kriegerische Zwecke verfolgt hätte. Dennoch nahm der Teniente seinen Auftrag ernst. „Gut“, sagte er. „Kann ich Ihre Ladung sehen?“ „Aber natürlich, Senor, dem steht absolut nichts im Wege. Darf ich Sie auf mein Schiff bitten? Es wird Sie gewiß niemand an der Ausübung Ihrer Pflicht hindern.“ Der Dicke verbeugte sich tief. Der Teniente, der Bootsmann und zwei Soldaten enterten über. Die übrigen sechs Seesoldaten blieben in der Schaluppe und starrten neugierig herüber. Ihr Interesse galt jedoch ausschließlich der Black Queen und ihren Körperformen. Pablo rief zwei seiner Kerle herbei und ließ eine Mitteldecksluke öffnen. „Ich habe Tuchballen geladen, Senor, außerdem Töpfe und Werkzeuge.“ Der Teniente warf einen prüfenden Blick hinein. „In Ordnung“, sagte er schließlich, denn dort unten im Laderaum befanden sich tatsächlich eine Menge gewöhnlicher Handelsgüter, wie sie überall auf den Seglern der Küstenhändler zu finden
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waren. Der Dicke hatte offenbar die Wahrheit gesagt. Der Teniente wunderte sich etwas darüber, daß die gesamte Crew nur aus Farbigen bestand, aber das war in der Karibik nicht unbedingt außergewöhnlich. Die Kerle grinsten zwar alle harmlos, besonders vertrauenerweckend sahen sie allerdings nicht aus. Aber wer konnte schon etwas für sein Aussehen. Der Blick des jungen Offiziers wandte sich rasch von den schmuddeligen Kerlen ab und blieb auf der Frau des Händlers haften. Ein Rasseweib! fuhr es ihm durch den Kopf, zumal die gutgebaute Negerin jetzt auch noch freundlich lächelte und einen kleinen Knicks andeutete, bevor sie sich wieder ihren Töpfen zuwandte. Pablo deutete voller Besitzerstolz auf sie. „Meine Frau hat es nicht leicht auf diesem Schiff“, sagte er, „aber es wird eben jede Hand gebraucht. Und seit sie sich an Bord befindet, herrschen hier Ordnung und Sauberkeit. Sie ist wirklich eine sehr tüchtige Frau, Senor.“ „Ja, ja, das sieht man“, murmelte der Teniente, der sich im stillen darüber wunderte, daß eine so schöne und rassige Frau ihr Leben. auf einem solch erbärmlichen Kahn verbrachte. Na ja, dachte er, an dem Geschmack oder der Auswahl mancher Weiber kann man wirklich zweifeln. Irgendwie ging ihm nicht in den Kopf, was diese Frau, deren Sinnlichkeit kaum zu übersehen war, an so einem Kerl wie diesem schmierigen Dicken fand. Da würde der große, muskulöse Bursche, der in der Nähe der Pinne herumlungerte und gelangweilt gähnte, schon eher zu diesem Rasseweib passen... Caligula bemerkte den Blick des Offiziers und bemühte sich schleunigst, gleichmütig wegzuschauen. Eine Spur zu gleichgültig allerdings. Das wiederum fiel dem etwas bullig wirkenden Bootsmann auf. Er hatte die ganze Zeit schon den muskulösen Schwarzen gemustert, weil der Kerl ihn an jemand erinnerte. Jetzt aber fiel ihm plötzlich ein, wo er den Hünen mit dem
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wilden Bart schon einmal gesehen hatte. Und nahezu gleichzeitig lief es ihm eiskalt über den Rücken. Aber da gab es keine Zweifel mehr, das war der Bursche, der in Havanna - war es nicht im April gewesen? -Amok gelaufen und daraufhin verhaftet worden war. Danach war er aus dem Gefängnis geflohen und untergetaucht. Sogar die Reitersoldaten und Bluthunde des Gouverneurs hatten ihn nicht zurückholen können. Im Gegenteil - einige davon waren auf der Strecke geblieben. Er selber war damals an Land gewesen und hatte Teile des blutigen Dramas miterlebt. Ja, da war er sich absolut sicher: das war der Kerl. Sofort trat der Bootsmann auf den Teniente zu und neigte sich an dessen linkes Ohr. „Vorsicht, Teniente“, flüsterte er. „Den Kerl an der Pinne kenne ich. Es handelt sich um den Burschen, der in Havanna Amok gelaufen und dann aus dem Kerker geflohen ist. Er ist äußerst gefährlich.“ Der Teniente zuckte zusammen. Er erinnerte sich blitzartig, denn er hatte von dieser wüsten Sache gehört. Hatte man ihm und seinen Soldaten etwa eine Falle gestellt? War das vielleicht doch kein Handelssegler? Die Hand des Offiziers zuckte zum Griff seiner Pistole, gleichzeitig wollte er seine Seesoldaten auffordern, die Waffen auf diese Kerle anzulegen. Doch dazu war es bereits zu spät. Der Teniente kam nicht mehr dazu, den Hahn seiner Steinschloßpistole zu spannen oder auch nur einen einzigen Befehl zu geben. Caligula reagierte bereits vor ihm, denn die Aufmerksamkeit und das Getuschel des Bootsmannes hatten ihn sofort mißtrauisch werden lassen. Mit einer fließenden Bewegung hatte er ein Messer aus seiner Pumphose gezaubert. Noch bevor der Teniente seine Waffe hochreißen konnte, zischte es durch die Luft und bohrte sich in seine Brust - ein absoluter Meisterwurf bei dieser Schnelligkeit und bei der Entfernung.
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Der Teniente stöhnte auf und griff sich an die Brust. Die Finger seiner rechten Hand öffneten sich und ließen die Pistole fallen. Dann brach der Offizier zusammen. Er war bereits tot, als sein Körper auf die Planken krachte. Dieser brutale Mord bildete den Auftakt zu einem schnellen und tödlichen Kampf. Die biederen Küstenhändler verwandelten sich ähnlich wie Caligula in Sekundenschnelle in reißende Bestien. Plötzlich hielten sie Waffen in den Händen, und niemand wußte woher. Selbst das rassige Negerweib, das eifrig Töpfe und Pfannen gespült hatte, verwandelte sich in eine Wildkatze. Sie ließ eine Pfanne fallen, dann zuckte ihre rechte Hand in eine Öffnung ihres Kleides und erschien mit einem blitzenden Entermesser. Was sich dann abspielte, war geradezu gespenstisch. Während sich Caligula und die Black Queen auf den Bootsmann und die beiden Seesoldaten konzentrierten, die mit dem Teniente an Bord geentert waren, hechteten die übrigen Schnapphähne auf die spanische Schaluppe hinüber und widmeten sich den restlichen sechs Soldaten. Diese starrten noch immer verdattert auf den Teniente, der tot auf den Decksplanken lag. Die Helmträger waren total überrascht und reagierten daher viel zu spät. Die schwarze Piratin und ihre Kerle aber fackelten nicht lange. Während das Teufelsweib den Bootsmann, dem es noch gelang, ebenfalls eine Pistole zu ziehen, mit dem Entermesser erledigte, fiel Caligula wie ein gereizter Tiger über die beiden Seesoldaten her. Innerhalb von wenigen Augenblicken lagen auch sie am Boden und starrten mit gebrochenen Augen in den Himmel. Auf der Schaluppe der Spanier verlief der Überraschungsangriff ähnlich. Die völlig verdutzten Soldaten, die gleich dem Teniente an einen harmlosen Handelssegler geglaubt hatten, griffen zwar noch zu den Blankwaffen, aber sie hatten keine Chance mehr.
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Die Männer der Queen, einschließlich des dicken Pablo, der sich plötzlich als wieselflink erwies, hausten wie die Wölfe. Als es für die Queen und Caligula auf dem eigenen Schiff nichts mehr zu tun gab, hechteten sie sofort hinterher auf die Schaluppe. Das alles spielte sich in einer gespenstischen Stille ab. Niemand schrie oder brüllte, außer dem Röcheln und Stöhnen der Sterbenden und dem Trampeln der Stiefel war kaum etwas zu hören. Es fiel nicht ein einziger Schuß. Die zehn Männer, die von der „San Jose“ herübergesegelt waren, um den Zweimaster zu kontrollieren, wurden ausnahmslos mit Messern und Schiffshauern getötet. Als das grausige Werk beendet war, grinste Pablo triumphierend. „Na, wie habe ich den Eigner gespielt?“ „Du warst gut, Pablo“, sagte die Black Queen, die sich jetzt das verhaßte Kleid vorn Körper riß. „Aber leider hat das Ganze nichts genutzt.“ „Daran war ich nicht schuld“, beteuerte Pablo, der sehr wohl den Jähzorn der Queen kannte. „Das behauptet auch niemand“, mischte sich Caligula ein. „Die Komödie hat bestens funktioniert, die Dons haben uns sämtliche Geschichten abgekauft. Nur der verdammte Kerl von einem Bootsmann scheint mich von irgendwoher erkannt zu haben. Mir fiel schon seit einer Weile auf, daß er mich ständig anstarrte. Als er dann mit dem Teniente zu flüstern begann und dieser zur Waffe griff, blieb mir nichts anderes übrig, als zu reagieren.“ „Daran läßt sich jetzt nichts mehr ändern“, sagte die Queen. „Ich hatte mir den Verlauf der Sache zwar anders vorgestellt, aber es ging eben nicht. Vielleicht wäre es besser gewesen, du hättest dich von Anfang an unter Deck versteckt. Aber selbst da hätte man damit rechnen müssen, daß die Dons das Schiff durchsuchen. Strich drunter, wir haben noch anderes zu tun.“ Im Weiteren erwiesen sich die Piraten als eingespielte Crew. Sie verstanden ihr
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Handwerk, und war es auch noch so schmutzig. Die Toten warf man einfach über Bord, danach wurde auf der spanischen Schaluppe alles zusammengerafft, was immer man brauchen konnte. Darunter vier Drehbassen. „Was sollen wir mit der Schaluppe machen?“ wollte Pablo wissen. „Sollen wir sie anzünden?“ „Bist du wahnsinnig?“ fauchte die Queen. „Willst du vielleicht die Aufmerksamkeit des gesamten Verbandes auf uns lenken? Der Kahn wird schlicht und einfach angebohrt. Be- - vor der Himmel wieder klarer und die Sicht besser wird, ist er verschwunden, und die Dons können sich die Köpfe darüber zerbrechen, wo er geblieben ist.“ So geschah es auch. Die Schaluppe wurde angebohrt und zog rasch Wasser. Die Queen und ihre Schnapphähne aber gingen an Bord ihres Zweimasters zurück und setzten eilig die Segel. „Wir verholen uns hinter eine Koralleninsel“, entschied die Black Queen. „Dorthin kann uns so leicht niemand folgen, und sehen wird man uns auch nicht.“ Caligula nickte zustimmend. „Das ist gut“, meinte er. „Die Dons können bei der derzeitigen Sicht ohnehin nichts bemerkt haben.“ Die Auswahl an Koralleninseln war groß. Sie erstreckten sich immer zahlreicher werdend der Küste entlang nach Osten und boten genug abgeschirmte Buchten, in denen man sich verstecken konnte. Noch unterwegs beobachteten die Piraten grinsend den Untergang der spanischen Schaluppe. Zuerst versank der Vorsteven, wenig später ging auch der Rest mit einem lauten Zischen und Gurgeln auf Tiefe. Außer einigen treibenden Holzstücken erinnerte nichts mehr an den kleinen Segler und seine Besatzung. Der Zweimaster der Black Queen ging bald darauf in einer winzigen und versteckt gelegenen Bucht vor Anker. Gleich danach wurde ein Ausguck an Land geschickt. der
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beobachten sollte, was sich auf der Reede tat. Da der spanische Verband jedoch schon bei normalen Sichtverhältnissen an der äußersten Grenze der Sichtweite ankerte, war vorerst noch nichts zu sehen. Die Luft war immer noch grau und dunstig. Die Schnapphähne hofften, daß irgendwann im Laufe des Tages der Himmel aufreißen würde. 5. An Bord der spanischen Kriegsschiffe hatte niemand etwas von den Vorgängen um die ausgesetzte Schaluppe bemerkt. Der kleine Segler war nach dem Ablegen von der „San Jose“ bald von den Dunstschwaden verschluckt worden. Auf dem Flaggschiff galt zudem die Aufmerksamkeit von Offizieren, Besatzung und Seesoldaten einem ganz anderen Ereignis. Don Antonio de Quintanilla, der erlauchte Gouverneur von Kuba, war nach seinem Badevergnügen und nach einem üppigen Mahl frisch eingekleidet auf dem Achterdeck er- schienen und hatte vom Kommandanten der „San Jose“ die sofortige Bestrafung jenes Mannes verlangt, der ihn, wie er fest behauptete, während seiner Unpäßlichkeit unverschämt und schadenfroh angegrinst hätte. Damit lernten Don Garcia Cubera und seine Offiziere den Dicken wieder einmal von einer neuen Seite kennen. Er erwies sich nicht nur als hinterhältig und genußsüchtig, sondern auch als kleinlich und nachtragend. Dennoch stiegen die Senores nie ganz dahinter, weshalb dem Gouverneur die Bestrafung so wichtig war. Offensichtlich wollte er jedoch ein Exempel statuieren, weil er genau wußte, daß nahezu alle, die das Geschehen an der Luvseite mitverfolgt hatten, am Grinsen gewesen waren. Der kleine, etwas untersetzte Mann, der zu den Köchen der Achterdeckskombüse gehörte, hatte zwar seine Unschuld beteuert, doch sein Wort stand gegen das des Gouverneurs, und damit war sein
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Schicksal besiegelt. Ja. Don Antonio hatte ihm sogar eine noch strengere Bestrafung angedroht, für den Fall, daß er weiterhin seine Unschuld beteuere. Pflichtgemäß waren inzwischen alle Besatzungsmitglieder und Seesoldaten angetreten, um der Auspeitschung zwecks Abschreckung beizuwohnen. Zwei Soldaten rissen dem Koch, der voller Wut die Lippen zusammenkniff, das Hemd vom Leib. Danach mußte sich der Mann bäuchlings gegen eine Gräting legen, die man schräg gegen die Wanten gelehnt hatte. Schließlich wurde er mit der Hüfte und mit gespreizten Armen auf der Gräting festgebunden. Ein Sargento, der zum Zuchtmeister bestimmt worden war, hatte bereits die neunschwänzige Katze aus dem Gürtel gezogen. Er sah den Capitan abwartend an. Don Garcia Cubera nickte. Der Profos holte weit aus und schlug laut mitzählend zu. Der Gouverneur stand mit unbewegtem Gesicht neben dem Capitan des Flaggschiffes und sah der Auspeitschung zu. Seinem feisten Gesicht war nicht die geringste Gefühlsregung zu entnehmen. Den ersten Hieb, der ihm hart und brennend über den Rücken fuhr, verkraftete der Koch. Beim zweiten drang bereits ein Stöhnen über seine Lippen. Die Haut sprang auf und innerhalb von Sekunden zogen sich blutige Striemen über seinen Rücken. Doch der Zuchtmeister mußte unbarmherzig fortfahren, bis alle sechs Hiebe verabreicht waren. „Hoffentlich läßt sich das der Kerl eine Belehrung sein“, sagte der Gouverneur. „Außerdem hatte ich den Eindruck, daß der Profos beim Verabreichen der Hiebe sehr zimperlich vorgegangen ist. Ich erwarte, daß er das nächste Mal etwas kräftiger zuschlägt oder aber durch einen anderen Zuchtmeister ersetzt wird.“ Der Capitan nickte mit steinernem Gesicht. „Ich werde es veranlassen, Don Antonio.“ Der zerschundene Rücken des Kochs wurde gleich an Ort und Stelle vom Feldscher verarztet. Doch das fand Don
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Antonio nicht mehr sehenswert. Vielleicht verspürte der Erlauchte jetzt, nachdem ihm Genugtuung widerfahren war, und aufgrund des üppigen Mahles, zu dem man ihm wunschgemäß einen ganzen Krug Rioja gereicht hatte, eine gewisse Schläfrigkeit. „Don Garcia“, sagte er zum Kapitän des Flaggschiffes, „ich werde mich jetzt zurückziehen und etwas ruhen.“ „Bitte sehr“, bemerkte der Capitan. Er hatte absolut nichts dagegen, wenn sich der Dicke zurückzog. Auf diese Weise war er ihn wenigstens für ein paar Stunden los. Er begleitete ihn sogar bereitwillig zur Kapitänskammer, um zu verhindern, daß er sich unterwegs neue Schikanen einfallen ließ. „Ich wünsche eine angenehme Ruhe“, sagte Cubera noch und wollte die Kammer wieder verlassen. Doch Don Antonio hatte noch einige Wünsche. „Einen Moment noch, Don Garcia“, sagte er. „Ich denke, daß wir jetzt wieder ankerauf gehen und weitersegeln sollten.“ Der Gouverneur war wieder ganz der alte. Seit geankert wurde, war seine Übelkeit verklungen, und er begann offensichtlich wieder Interesse für die eigentlichen Aufgaben des Verbandes zu zeigen. Trotzdem war der Capitan mit dem Vorschlag Don Antonios nicht einverstanden. „Wir haben zwar schon sehr viel Zeit verlören“, entgegnete er, „aber wir können nicht einfach davonsegeln, solange die Schaluppe nicht zurück ist.“ Don Antonio fuhr herum. „Haben Sie etwa doch die Schaluppe wegen dieses angeblichen Fühlungshalters losgeschickt?“ Er legte unwillig die Stirn in Falten, denn er hatte es von Anfang an für unnötig gehalten, sich um das geheimnisvolle „Anhängsel „ zu kümmern. „Ja, das habe ich“. Doch der Dicke vollführte eine wütende Geste. „Wir segeln trotzdem weiter. Ich habe keine Lust, auf eine Schaluppe zu warten, die man zu sinnlosen Spazierfahrten
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losgeschickt hat. Wir haben schließlich anderes zu tun, als uninteressante Schiffe zu besichtigen. Außerdem bin ich nicht gewohnt, auf etwas zu warten, das sollten Sie inzwischen wissen.“ Don Garcia Cubera glaubte, sich verhört zu haben. Der Gouverneur hatte sich in den letzten Stunden zwar einiges an Dreistigkeiten und Unverschämtheiten geleistet, jetzt aber erwartete er allen Ernstes, daß man ohne die Schaluppe weitersegeln würde, nur weil er keine Lust verspürte, auf deren Rückkehr zu warten. Das schlug dem Faß den Boden aus. Cubera schluckte, sein Gesicht lief hochrot an, dann endlich platzte ihm der Kragen. „Don Antonio!“ begann er mit ungewöhnlicher Schärfe. „Wenn Sie schon von Gewohnheiten sprechen, dann muß ich Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, daß man auf den Schiffen Seiner Majestät des Königs gleichfalls nicht gewohnt ist, einen Kriegsmarsch wegen der Badewünsche eines Gouverneurs zu unterbrechen und darauf zu warten, bis dieses Bad samt anschließendem Festmahl beendet ist ...“ „Ich muß doch sehr bitten!“ unterbrach ihn der Dicke wütend. „Mäßigen Sie sich, Don Garcia!“ Doch der Capitan geriet jetzt erst richtig in Fahrt. Er stützte die Fäuste in die Hüften und funkelte den Gouverneur zornig an. „Es ist nicht an mir, Maß zu halten“, fuhr er fort. „Nicht ich habe befohlen, Cardenas anzulaufen, um eine Badewanne zu besorgen. Und es war auch nicht meine Idee, anschließend die halbe Mannschaft mit Wasserpützen beschäftigt zu halten. Ich bin mir als Kapitän dieses Schiffes sehr wohl der Tatsache bewußt, daß sich der Verband auf Kriegsmarsch befindet. Wenn Sie allerdings diese Fahrt in eine Lustfahrt umwandeln wollen, stelle ich Ihnen selbstverständlich anheim, das Kommando über die ,San Jose' zu übernehmen.“ Das Gesicht des Dicken glich inzwischen einer vollreifen Tomate. Vor Wut und Erregung blies er seine Hamsterbacken auf und starrte den Capitan aus zusammengekniffenen Augen an.
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„Ich finde Ihre Worte ungeheuerlich, Capitan Cubera!“ keifte er los. „Sind Sie sich darüber im klaren, mit wem Sie reden? Sie unterstellen mir, ich würde ein Flaggschiff Seiner, Majestät zu einer Lustfahrt mißbrauchen. Dabei war lediglich erforderlich gewesen, einige lebensnotwendige Utensilien zu besorgen, an die Sie bei der Ausrüstung des Schiffes nicht gedacht haben. Ich fordere Sie hiermit nochmals auf, sich zu mäßigen. Außerdem ist es angebracht, daß Sie sich bei mir für Ihre infamen Unterstellungen entschuldigen, sonst sehe ich mich tatsächlich veranlaßt, selbst das Kommando über dieses Schiff zu übernehmen.“ Cubera war zu sehr in Fahrt, um noch klein beigeben zu können. Er hatte schon genug hingenommen und heruntergeschluckt. Jetzt wollte er auf Biegen und Brechen eine Entscheidung herbeiführen, um für eine klare Linie auf der „San Jose“ zu sorgen. „Eine Badewanne, Don Antonio, gehört nicht zur Ausrüstung eines Kriegsschiffes, wie Sie sehr wohl wissen. Infolgedessen ist es auch kein Versäumnis meinerseits, wenn Sie keine an Bord vorgefunden haben. Für eine Entschuldigung sehe ich zudem keine Veranlassung, da ich lediglich feststehende Tatsachen ausgesprochen habe. Wenn Sie jedoch glauben, das Kommando übernehmen zu müssen oder zu wollen, werde ich Sie nicht daran hindern, aber ich weise Sie schon jetzt darauf hin, daß ich nicht versäumen werde, ein Protestschreiben an die Admiralität abzufassen, in dem ich klar und deutlich schildern werde, was sich hier in den letzten Stunden abgespielt hat, und was der Gouverneur von Havanna – offenbar aus mangelnder Sachkenntnis – darunter versteht, einen Kriegszug gegen einen nachweisbar harten und kampferprobten Gegner durchzuführen.“ Die Stimme des FlaggschiffKommandanten hatte nichts von ihrer, ursprünglichen Schärfe eingebüßt. Er brauchte deshalb auch nicht lange auf eine entsprechende Reaktion zu warten.
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Der Dicke hieb mit der Faust auf den Tisch. „Schweigen Sie endlich, Senor Cubera!“ keifte er schrill. „Ich denke nicht daran!“ gab der Capitan ungerührt zurück. „Sie wissen nämlich so gut wie ich, daß nahezu zweitausend Besatzungsmitglieder und Seesoldaten auf einem Kriegsmarsch erwarten dürfen, entsprechend geführt zu werden. Diese Führung wird jedoch zu blankem Unsinn, wenn ein Mann wie Sie den gesamten Kampfverband von zehn Schiffen mehrere Stunden lang zum Narren hält, nur weil es ihn gerade danach gelüstet, zu baden und seiner eigenen Bequemlichkeit nachzugehen.“ „Senor Cubera!“ Die Stimme des Dicken wurde immer höher. „Ich bin noch nicht am Ende, Don Antonio“, donnerte Cubera. „Sie wissen genau, daß auf See andere Gesetze gelten als an Land. Jegliche Führungsschwäche in einem Kriegsverband ist tödlich, und zwar für alle, und zu einer solchen Führungsschwäche wird es zwangsläufig kommen, wenn Sie weiterhin versuchen, sich in die Angelegenheiten des Kommandanten einzumischen und sich dessen Befehlsgewalt anzumaßen. Die Besatzung weiß irgendwann nicht mehr, auf wessen Befehle sie zu achten hat und wird dadurch in ihrer Kampfkraft geschwächt. Also: Entweder bin ich als Flaggschiff-Kommandant der Verbandsführer, dem niemand, auch Sie nicht, hineinzureden hat, oder aber ich lehne jede weitere Verantwortung ab, die Sie dann voll zu tragen haben.“ Der Dicke kreischte vor Erregung, Empörung und Wut. Fast sah es aus, als würde ihn jeden Augenblick der Schlag rühren. Sein Gesicht war immer noch hochrot, seine feisten Wangen wabbelten. Mühsam stemmte er sich jetzt von seinem Stuhl hoch und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Kommandanten. „Capitan Cubera!“ schrie er. „Ich erkläre Sie hiermit für abgesetzt. Da ich keine andere Möglichkeit mehr sehe, Ihre
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Raserei zu stoppen, muß ich selbst die Führung des Verbandes übernehmen.“ Davon ließ sich Cubera jedoch nicht beeindrucken. „Ich bedaure das sehr, Don Antonio“, fuhr er mit harter Stimme fort. „Nicht etwa wegen meiner Person, sondern wegen der Besatzungsmitglieder und Seesoldaten, die sich an Bord der zehn Schiffe befinden. Ich bezweifle nämlich Ihre Qualifikation, einen Kriegsschiffsverband an den Feind zu führen. Mangelnde Qualifikation aber bedeutet Mißerfolg, und Mißerfolg bedeutet den sinnlosen Tod von zweitausend Männern, wenn man einmal von dem Verlust von zehn Kriegsschiffen Seiner Majestät absieht“, Cubera ging einen Schritt auf den Gouverneur zu und sah ihm fest in die Augen. „Ich hoffe sehr, daß Sie sich über eins im klaren sind: ein erfolgloser Kriegsmarsch kann auch für Sie den Seemannstod bedeuten!“ „Ungeheuerlich!“ kreischte der Gouverneur, der beim letzten Satz des Capitans doch eine Spur blasser geworden war. „Das ist empörend! Noch nie hat jemand gewagt, den Gouverneur von Kuba mit solchen Respektlosigkeiten zu überhäufen! Ich werde Sie einem Kriegsgericht überstellen, Senor Cubera. Jawohl, sofort nach der Rückkehr werde ich in Havanna ein Kriegsgericht einsetzen, damit dieser unerhörte Akt der Widersetzlichkeit und Gouverneursbeleidigung geahndet wird. Sagte ich Widersetzlichkeit? Viel schlimmer! Meuterischer Ungehorsam das ist der richtige Ausdruck für Ihre unverschämte Verhaltensund Redensweise! Und eins kann ich Ihnen jetzt schon garantieren, Senor Cubera: Die Todesstrafe wird Ihnen sicher sein.“ Der Dicke hatte die Hände zu Fäusten geballt und bebte am ganzen Leibe. Er hatte bewußt nicht mehr von Don Garcia gesprochen, sondern von einem Senor Cubera, weil er ihn bereits als abgesetzt betrachtete. Cubera ließ sich jedoch keine Angst einjagen. „Sie sind im Irrtum, Don Antonio“.
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„Ich im Irrtum?“ Der Gouverneur trommelte sich mit den Fäusten gegen die Brust. „Da gibt es keinen Irrtum, Sie Meuterer! Für Kerle wie Sie gibt es nur die Todesstrafe, dafür verbürge ich mich.“ Der Capitan schüttelte den Kopf. „Sie sollten erst nachdenken und dann reden, Senor Gouverneur. Nach den Regeln der Kriegsgerichtsbarkeit der spanischen Marine kann ich, meinem Rang entsprechend, nur von einem Kriegsgericht der Admiralität zur Verantwortung gezogen und abgeurteilt werden. Und diese Admiralität befindet sich bekanntlich nicht in Havanna, sondern in Madrid. Das, Senor Gouverneur, sollten Sie Ihrem hohen Amte entsprechend eigentlich wissen ...“ „Halten Sie endlich den Mund, Sie Verbrecher!“ schrie der Gouverneur außer sich vor Wut. „Wollen Sie mir auch noch Belehrungen erteilen? Wenn ich sage, Sie werden in Havanna vor ein Kriegsgericht gestellt, dann wird das auch der Fall sein, darauf können Sie sich verlassen. Ich bin kein Mann, der leere Worte macht.“ Cubera näherte sich dem Dicken um einen weiteren Schritt. Dieser wich unwillkürlich zurück. „Ich habe nicht die Absicht, Sie zu belehren“, sagte er hart, „sondern ich rufe lediglich Tatsachen in Ihr Gedächtnis zurück, die Ihnen offenbar entfallen sind. Normalerweise müßten Sie nämlich wissen, daß es eine Anmaßung ist, ein Kriegsgericht gegen einen Seeoffizier der königlich-spanischen Marine in Havanna einzuberufen. Sie würden sich damit des Amtsmißbrauchs und der Überschreitung Ihrer Kompetenzen schuldig machen. Sie als Gouverneur haben zivile und polizeiliche Gewalt, aber nicht das Recht der Gerichtsbarkeit über die spanische Land- oder Seestreitkräfte. Ich meinerseits bin jederzeit bereit, mich einem Kriegsgericht in Madrid zu stellen. In Havanna jedoch werde ich mich jedem Versuch, mich vor ein Scheingericht zu zerren, widersetzen. Und ich werde auch nicht davor zurückschrecken, mich dabei der Mittel zu bedienen, die mir als
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Kommandant eines Kriegsschiffes Seiner Majestät zur Verfügung stehen.“ Wumm, das saß! Don Antonio schluckte hart und beinahe sah es danach aus, als würde sich sein Gesicht wieder grün verfärben. Doch diesmal war es nicht die Seekrankheit, die ihn die Farbe wechseln ließ. Er hatte vielmehr damit gerechnet, daß Cubera vor ihm kuschen würde, wie es bisher alle getan hatten, wenn man einmal von dem Sonderbeauftragten der Krone, Don Juan de Alcazar, absah. Cubera jedoch schien zum Äußersten entschlossen zu sein und drohte sogar mit Maßnahmen. Gleich, mit welchen Geschützen man auffuhr, der Mann mit dem eisgrauen Haar ließ sich nicht einschüchtern, und das verwirrte den Erlauchten für einige Augenblicke. Dann aber ging er blitzschnell zu einer völlig anderen Taktik über und demonstrierte wieder einmal eine seiner bekannten Sinneswandlungen. Er verzog das wabbelige Gesicht urplötzlich zu einem Lachen, ging auf Cubera zu und legte ihm die dicken Wurstfinger seiner rechten Hand auf die Schulter. „Mein lieber Don Garcia“, flötete er und strahlte im Handumdrehen eitel Wohlwollen aus. „Warum erregen wir uns eigentlich so sehr? Es hat doch wirklich keinen Sinn, daß wir uns zerstreiten, da wir doch ein gemeinsames Ziel vor Augen haben.“ Cubera war verblüfft. Schon begann er am Verstand des Gouverneurs zu zweifeln, dann aber begriff er, daß diese total veränderte Verhaltensweise zu den Raffinessen Don Antonios gehörte. „Ich verstehe Ihre Worte nicht“, entgegnete er. Seine Blicke wurden mißtrauisch. „Was soll das plötzlich heißen?“ Der Dicke lachte noch immer und bemühte sich, seiner Stimme einen betont ruhigen Klang zu geben. „Ich will damit lediglich sagen, daß die Vorwürfe auf beiden Seiten sicherlich gar nicht so schlimm gemeint waren. Sie wissen ja, wie das ist, Don Garcia. Wenn
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man erregt ist oder plötzlich Probleme auftreten, da ergibt manchmal ein Wort das andere. Im Grunde genommen sind wir jedoch beide bisher gut miteinander ausgekommen, nicht wahr?“ Cubera verstand beinahe die Welt nicht mehr. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Der Dicke war auf einmal die Liebenswürdigkeit in Person und tat, als sei überhaupt nichts gewesen. „Von Problemen im eigentlichen Sinne ist mir nichts bekannt“, sagte er schließlich frostig. „Es war lediglich notwendig, auf diesem Schiff die Kompetenzen abzustecken.“ „Na also“, sagte Don Antonio lächelnd und sah aus wie ein frisch gebackener Kuchen, „das ist ja geschehen. Selbstverständlich kann gar nicht die Rede davon sein, daß Sie, verehrter Capitan, Ihr Kommando abgeben sollen. Ich weiß natürlich sehr gut, daß Sie der richtige Mann an der richtigen Stelle sind, und daran soll sich absolut nichts ändern. Verzeihen Sie, Don Garcia, wenn ich eben etwas zu heftig war, aber daran waren sicher noch die Auswirkungen meiner Unpäßlichkeit schuld.“ Nein, so etwas hatte Cubera in seiner langen Laufbahn als Seeoffizier wirklich noch nicht erlebt. Soeben hatte ihn der Gouverneur seines Kommandos enthoben, obwohl er gar keine Befugnis dazu hatte, und nun bestätigte er ihn plötzlich wieder darin. Der Capitan war klug genug, um zu wissen, daß der Dicke mit seinem raschen Sinneswandel nicht etwa seine Meinung oder seine wahren Absichten aufgab, sondern lediglich versuchte, seine Ziele auf einem anderen Weg zu erreichen. Er, Cubera, mußte jetzt wirklich auf der Hut sein, damit er nicht von diesem gerissenen Halunken übertölpelt wurde. Am besten, er zog sich zunächst einmal zurück, damit ihm die übertriebene Freundlichkeit des Dicken nicht den Magen umdrehte. „Ich werde darüber nachdenken“, sagte er. Don Garcia Cubera war sich darüber klar, daß hier nur ein Burgfrieden geschlossen worden war. Er mußte sich von nun an
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doppelt vorsehen, denn der Gouverneur mit seinen weibischen Allüren, seiner hemmungslosen Genußsucht und seinen Überspanntheiten war gefährlicher, als er bisher angenommen hatte. Er mußte sich davor hüten, ihn zu unterschätzen. 6. Die Dunstfetzen, die wie Leichentücher über der Wasserfläche hingen, lösten sich mehr und mehr auf. Nur die besonders dichten Schwaden schoben sich wie geisterhafte Gebilde der Kimm entgegen. Vereinzelt kündigten helle Streifen in der Wolkendecke an, daß sich das Licht der Sonne kraftvoll hindurchzwängen wollte. Die große Jolle, die man auf Befehl Capitan Cuberas von der „San Jose“ abgefiert hatte, war bereits mehrere Kabellängen vom Flaggschiff entfernt. Trotzdem gellte der Besatzung, zu der wiederum einige Seesoldaten gehörten, noch immer das laute Geschrei der Möwen in den Ohren. Die Vögel waren über die Kombüsenabfälle hergefallen, die man an der Leeseite des Flaggschiffes über Bord gekippt hatte. „Die streiten sich bestimmt um die Reste der Gouverneursmahlzeit“, brummte einer der Männer, aber so, daß es der junge Teniente, der das Kommando übernommen hatte, nicht hören konnte. „Das Viehzeug zankt sich um gebratene Täubchen und Fasanenbrüstchen.“ Ein anderer Mann der Besatzung, ein stämmiger Bursche mit kantigem Gesicht und dichten Augenbrauen, winkte verächtlich ab. „Vielleicht sind's auch nur kandierte Früchte. Wie man hört, soll der dicke Kerl dieses Zeug massenhaft fressen. Den Möwen wird's bestimmt schlecht davon.“ „Da kannst du auch wieder recht haben, Amigo. Das Zeug soll ihm ja richtig um die Ohren geflogen sein, als er gegen den Wind gekotzt hat.“ Die Männer lachten rauh. Erst als sie ein strenger Blick des Teniente traf, wurden ihre Gesichter wieder ernst.
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„Ich verlange etwas mehr Aufmerksamkeit!“ rief der Offizier barsch. „Wir haben schließlich einen Auftrag zu erfüllen, falls das noch nicht jedem bekannt sein sollte.“ Die Männer wußten sehr wohl, was er damit meinte. Sie waren aufgebrochen, um die Schaluppe unter dem Kommando des Teniente Rodriguez zu suchen, die seit Stunden überfällig war. Gleichzeitig hatten sie den Auftrag, nach dem fremden Zweimaster Ausschau zu halten, der offenbar seinen Ankerplatz an der Sichtgrenze verlassen hatte oder aber von den Dunstschwaden eingehüllt worden war. Vorerst aber fand man weder das eine noch das andere. Der Dunst schien in der Tat alles verschluckt zu haben, selbst die „San Jose“ war bereits in der trüben Masse hinter der Jolle verschwunden. Der Himmel riß jedoch auf, die Sicht würde schon bald besser werden. „Sobald sich der Dunst verzogen hat, werden wir sehen, wo sich die Schaluppe herumtreibt“, sagte der Teniente zu dem Mann an der Ruderpinne. „Meines Erachtens können beide Schiffe nicht weit von uns entfernt sein.“ „Vielleicht ist der rätselhafte Zweimaster wieder geflohen“, sagte der Rudergänger, „und unsere Schaluppe verfolgt ihn.“ „Das ist nicht auszuschließen.“ Eine weitere halbe Stunde lang tat sich nichts. Nirgends - auch nicht schattenhaft waren die Konturen einer Schaluppe zu entdecken. Erst . die Meldung eines jungen Seesoldaten ließ den Teniente aufhorchen. „Senor!“ rief er erregt. „Dort treibt etwas!“ Er deutete auf eine Stelle Backbord voraus. Die Männer spähten in die angezeigte Richtung. „Sieht fast aus wie ein menschlicher Körper“, sagte der Teniente und hob sofort den Kieker ans Auge. „Vielleicht ist's auch nur ein Stück Holz“, brummte der Rudergänger. Küstennähe ist es nicht ungewöhnlich, wenn etwas im Wasser treibt.“ „Nein“, erwiderte der Teniente mit erregter Stimme, „ich bleibe dabei: es ist ein
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menschlicher Körper. Schwimmbewegungen sind nicht festzustellen, demnach kann es sich um einen Toten handeln.“ Sofort gab er den Befehl, nach Backbord abzufallen und Kurs auf den treibenden „Gegenstand“ zu nehmen. Schon bald war mit dem bloßen Auge zu erkennen, daß es sich um einen Menschen handelte. „Scheint tatsächlich eine Wasserleiche zu sein“, sagte der Rudergänger ziemlich unbeeindruckt. Doch schon wenig später ging das Entsetzen an Bord der Jolle um. „Mein Gott?“ entfuhr es dem Teniente. „Das ist doch - das ist doch ...“ Die Männer bekreuzigten sich. Für einen Moment herrschte Totenstille. Jeder hatte inzwischen erkannt, um wen es sich bei der im Wasser treibenden Gestalt handelte: es war der Bootsmann der gesuchten Schaluppe. „Nehmt das Segel weg!“ befahl der Teniente. „Wir müssen den Mann an Bord holen.“ Sein Befehl wurde augenblicklich ausgeführt. Die Jolle wurde an den Bootsmann heranmanövriert, dann wurde er geborgen. Auf den Gesichtern der Männer lag das Grauen, als sie die nasse und regungslose Gestalt auf den Planken liegen sahen. „Er ist durch mehrere Messerstiche getötet worden“, stellte der Teniente mit gepreßter Stimme fest, „daran gibt es keinen Zweifel.“ „Das ist ein schlechtes Omen“, sagte der Rudergänger. „Was ist mit den anderen Männern und der Schaluppe passiert?“ Er sprach damit die Frage aus, die im Augenblick jeden an Bord der Jolle bewegte, und auf die es noch keine Antwort gab. Dennoch war sich jeder darüber im klaren, daß irgendetwas Schlimmes geschehen war. Wer hatte den Bootsmann erstochen und warum? Waren auch die anderen tot? Dem Teniente wurde die Sache allmählich unheimlich. „Wir müssen auf der Hut sein“, sagte er. „Wenn die Schaluppe in Schwierigkeiten
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geraten ist, kann uns das mit der kleinen Jolle noch leichter passieren.“ „Was wollen Sie tun, Teniente?“ Der Rudergänger hatte seinen Platz an der Pinne wieder eingenommen. „Wir werden umkehren und Meldung erstatten.“ So geschah es auch. Die Jolle wendete und nahm mit ihrer grausigen Fracht an Bord Kurs auf das Flaggschiff. Die Leiche des Bootsmannes hatte man mit einer Persenning abgedeckt. Auf der „San Jose“ ahnte man nichts Gutes, als man die Jolle so rasch zurückkehren sah. Allein –ohne die überfällige Schaluppe. So war denn auch Capitan Cubera zutiefst betroffen, als der Teniente Meldung erstattete. Auch er stand vor einem Rätsel. Wo nur konnte die Schaluppe samt dem Teniente, den Besatzungsmitgliedern und Seesoldaten geblieben sein? Hing das Verschwinden des Seglers und der Mord an dem Bootsmann mit dem fremden Zweimaster zusammen? Wenn ja, dann mußte ein Kampf stattgefunden haben. Aber er konnte sich nicht entsinnen, Schüsse gehört zu haben. Cubera schüttelte den Kopf. Die Sache wurde immer verworrener. Und da hatte der Gouverneur noch gemeint, es sei unwichtig, sich um jenen mysteriösen Fühlungshalter zu kümmern. Wie es schien, war es jetzt wichtiger denn je, daß der Sache auf den Grund gegangen wurde, ob das dem Dicken paßte oder nicht. Vorsichtshalber ließ er den Erlauchten benachrichtigen. Und der erschien obwohl er zu ruhen gewünscht hatte tatsächlich an Deck. „Was gibt es, mein lieber Don Garcia?“ Er war noch immer die Liebenswürdigkeit in Person und nichts an ihm ließ erkennen, daß es noch vor kurzem in der Kapitänskammer zu einem fürchterlichen Krach zwischen ihm und Cubera gekommen war. „Die Schaluppe, die den Fühlungshalter in Augenschein nehmen sollte, scheint in ernsthafte Schwierigkeiten geraten zu
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sein“, erklärte Cubera. Und spitz fügte er hinzu: „Die Leiche des Bootsmannes, die unsere Leute aus dem Wasser geborgen haben, scheint der endgültige Beweis dafür zu sein, daß die Schaluppenbesatzung anderes zu tun hatte, als uninteressante Schiffe zu besichtigen.“ Er zitierte damit Worte, die der Gouverneur in der Kapitänskammer mit, hochnäsigem Gesicht geäußert hatte. Der Dicke bemerkte die Spitze sehr wohl, aber er ließ sich im Hinblick auf seine „neue Strategie“ nichts anmerken und floß förmlich über vor huldvoller Geneigtheit. „Wir werden diesem Mann, der sein Leben der spanischen Krone in treuer Pflichterfüllung geopfert hat, sofort ein ehrenvolles christliches Seemannsbegräbnis zukommen lassen“, entschied er und setzte eine zutiefst bekümmerte Miene auf. „Was gedenken Sie wegen der verschwundenen Schaluppe zu unternehmen, Capitan?“ Offenbar wollte er durch diese Frage zum Ausdruck bringen, daß er Cubera wieder als Kommandanten des Flaggschiffes anerkannte. Überhaupt war sein ganzes Gebaren darauf ausgerichtet, sich nach den unrühmlichen Ereignissen dieses Tages wieder ins rechte Licht zu rücken. „Wir müssen so schnell wie möglich feststellen, was mit den übrigen Männern geschehen ist“, erwiderte Cubera. „Ich werde deshalb anordnen, daß jedes Schiff unseres Verbandes eine größere Jolle auszusetzen und zu bewaffnen hat. Danach werden wir das gesamte See- und Küstengebiet westlich der Reede genau absuchen. Auch unsere Jolle, die den Bootsmann gefunden hat, wird wieder an der Suche beteiligt sein.“ „Sehr gut“, lobte der Gouverneur. „Ich bin ebenfalls dafür, daß wir die Lage klären, bevor wir die Reede verlassen. Es wäre im Hinblick auf unser eigentliches Ziel nicht gut, wenn wir bereits vorher Risiken eingingen.“ Don Garcia Cubera schluckte eine geharnischte Erwiderung hinunter, denn während der Auseinandersetzung in der Kapitänskammer hatte sich der Dicke
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genau gegenteilig geäußert und sogar von ihm verlangt, ohne die Schaluppe weiterzusegeln. Der Capitan konnte nicht verhindern, daß Verachtung und Abscheu vor diesem Mann in ihm wuchsen. Als Verbandsführer gab er jetzt die entsprechenden Befehle, die den übrigen neun Kriegsschiffen rasch übermittelt wurden. Bald darauf schwärmten zehn bewaffnete Boote nach Westen aus. Auf der „San Jose“ wurde inzwischen die Bestattung des Bootsmannes vorbereitet. Die Leiche, die von den Feldscheren flüchtig untersucht worden war, lag noch auf den Planken der Kuhl. Einige Kameraden des Toten und der Segelmacher schlugen den leblosen Körper in ein Stück Segeltuch ein, beschwerten ihn am Fußende mit zwei Kanonenkugeln und vernähten das Tuch an seinen Enden. Danach wurde der Leichnam auf einer breiten Planke aufgebahrt. Nachdem sich die Besatzung und die Seesoldaten auf der Kuhl und dem Vordeck versammelt hatten, erschien der Capitan mit einer Bibel in der Hand. Der Gouverneur watschelte wie eine gemästete Ente hinter ihm her. Don Garcia Cubera schlug das Buch auf und . begann mit lauter Stimme vorzulesen. Wohl um den Kampfgeist der gesamten Mannschaft zustärken, zitierte er zum Abschluß noch einige Verse aus dem 94. Psalm, in dem von Vergeltung die Rede ist. „Sie rotten sich zusammen wider den Gerechten und verurteilen unschuldig Blut“, las er. „Aber der Herr ist mein Schutz, mein Gott ist der Hort meiner Zuversicht. Und er wird ihnen ihr Unrecht vergelten und sie um ihrer Bosheit willen vertilgen! Der Herr, unser Gott, wird sie vertilgen!“ „Amen!“ rief der Gouverneur und zog ein gar frommes und gottergebenes Gesicht. Cubera fuhr mit fester Stimme fort: „Wer immer auch für den Tod des Bootsmannes verantwortlich ist, wer immer ihn auf heimtückische Weise ermordet hat - er muß dar fit rechnen, daß wir ihn mit der Hilfe des Herrn, unseres Gottes, zur,
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Rechenschaft ziehen werden. Jedenfalls werden wir nichts unversucht lassen, seinen Tod zu sühnen. Der Herr sei deshalb auch mit unseren Booten und ihren Besatzungen, die ausgelaufen sind, um die Lage zu klären.“ Im Anschluß an diese Worte sprach der Capitan ein Gebet, dann packten einige Decksleute die bette Planke mit der in Segeltuch eingenähten Leiche, hievten sie auf das Schanzkleid und hoben sie am Kopfende ein Stück an. Der tote Bootsmann trat seine letzte Reise an, rutschte von der Planke und klatschte ins Wasser, wo er von den beiden Kanonenkugeln sofort in die Tiefe gezogen wurde. Nach Beendigung der Zeremonie kam in der Mannschaft lebhaftes Gemurmel auf. Gar mancher vermutete, daß der Bootsmann nur der Anfang war. Wer wußte schon, was mit der Schaluppe geschehen war und ob die anderen Mitglieder ihrer Besatzung noch am Leben waren? Diese bange Frage schwebte über den Decks der zehn Schiffe, die sieh eigentlich auf Kriegsmarsch befanden, um den geheimnisumwitterten Schlüpfwinkel des Seewolfs anzugreifen. * Der verluderte Kreole, der mit Hilfe eines Spektivs pausenlos auf das Meer hinausgestarrt hatte, stieß einen lauten Fluch aus, drehte sich um und rannte den Abhang hinunter. Schon nach wenigen Minuten hatte er das Ufer jener versteckten Bucht erreicht, in der der Zweimaster der Black Queen vor Anker gegangen war. Wild gestikulierend winkte er zu der Schaluppe hinüber, die wegen ihres geringen Tiefgangs ziemlich dicht am Ufer lag. „Was gibt's?“ wollte Caligula wissen, der die Hände trichterförmig um den Mund gelegt hatte. „Die Dons haben eine Jolle losgeschickt!“ meldete der Kreole. „Die haben was aus
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dem Wasser gefischt. Wahrscheinlich eine Leiche!“ „Na und?“ rief Caligula zurück. „Jetzt können sie sich wenigstens die Köpfe darüber zerbrechen, wie die ins Wasser geraten ist.“ Er lachte dröhnend. Der Ausguck winkte abwehrend. „Das ist noch nicht alles!“ rief er eilig und hob die Stimme. „Jetzt sind nämlich zehn Jollen aufgetaucht, die einen breiten Suchstreifen bilden und genau auf uns zuhalten.“ Caligulas Lachen verstummte augenblicklich, zumal jetzt auch die schwarze Piratin, die neben ihm aufgetaucht war, ein ernstes Gesicht zog. „Verdammt!“ stieß er hervor. „Das hört sich nicht besonders gut an. Wenn die Spanier die ganze Küstengegend durchkämmen, finden sie uns hier.“ „Du hast es erfaßt“, sagte die Queen mit einem spöttischen Unterton. „Also müssen wir schnellstens wieder aus dieser hübschen Bucht verschwinden.“ Ohne weitere Zeit zu verlieren, befahl sie, den Ausguck an Bord zu holen, die Anker zu hieven und die Segel zu setzen. Wo ihr das nicht schnell genug ging, half sie in altbewährter Weise nach – hier mit einem Fausthieb, dort mit einem Fußtritt oder einer bösen Verwünschung. Die Kerle wußten sehr genau, wann es angebracht war, sich vor dieser Frau in acht zu nehmen. Dennoch schafften es nicht alle, ihre unmittelbare Nähe zu meiden. Daß sie jetzt wütend war, konnte niemand übersehen. Ja, ihre Laune war sogar verdammt mies. Kein Wunder, denn der Weg zur erhofften Vernichtung des Bundes der Korsaren, die sie durch ihren Verrat so geschickt in die Wege geleitet hatte, schien plötzlich mit tausend Hindernissen gepflastert zu sein. Dabei bekümmerte es sie keineswegs, daß eine spanische Schaluppe samt Crew und Seesoldaten - die ja eigentlich gegen den Bund der Korsaren eingesetzt werden sollten -ausgeschaltet worden war. Aber daß plötzlich die Dons von allen Seiten die
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Küste absuchten, das gehörte nicht unbedingt zu ihren ursprünglichen Plänen. Auch Caligula zog nun ein unwilliges Gesicht. „Wenn wir noch ein paar Dons auf Tiefe schicken“, sagte er, „schaden wir zwar den Spaniern, aber wir nutzen den Bastarden von der Schlangen-Insel. Und das entspricht wohl nicht gerade unseren Vorstellungen, nicht wahr?“ Die Queen funkelte ihn zornig an. „Halt lieber das Maul. Kluge Reden kann ich zur Not selber führen. Oder denkst du, ich wüßte das nicht selbst? Schließlich hat es an dir gelegen, daß wir die Schaluppe abräumen mußten. Hättest du dich nicht so auffällig verhalten, wärst du wahrscheinlich nicht erkannt worden. Jetzt aber haben wir die Dons erst richtig auf dem Hals. Und noch einmal kaufen die uns die biederen Kaufleute bestimmt nicht ab.“ Caligula brauste auf. „Was kann ich denn dafür, wenn mich einer der Kerle erkannt hat, he? Glaubst du vielleicht, ich habe mir alle Leute gemerkt, denen ich bisher begegnet bin?“ Die Queen winkte ab. „Schluß jetzt! Debattieren bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns schleunigst verholen, das ist wichtiger. Wenn es den Dons gelingt, uns hier aufzuspüren und die Bucht abzuriegeln, dürfte einiger Ärger zu erwarten sein.“ Daran zweifelte an Bord des Piratenschiffes niemand. Auch der dicke Pablo nicht, dessen schmieriges Grinsen längst einer besorgten Miene gewichen war. Schon bald strich der Zweimaster entlang der Küste nach Westen ab -mit zehn bewaffneten Jollen im Rücken. * Den Spaniern entging nicht, daß der Zweimaster aus einer Bucht zwischen den Koralleninseln ausbrach und westwärts davonsegelte. Doch sie waren sich auch darüber klar, daß es keinen Sinn hatte, den Segler zu verfolgen, denn er war
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wesentlich schneller als die Jollen mit ihrer einmastigen Besegelung. „Zum Teufel mit diesem Mistkahn!“ fluchte der junge Teniente von der „San Jose“, der mit seiner Meldung an Capitan Cubera die Suchaktion ausgelöst hatte. „Das ganze Verhalten dieser Burschen sieht nach Flucht aus, und wir können ihnen bestenfalls hinterher winken.“ Auch der Rudergänger zuckte mit den Schultern. „Da ist nichts zu machen, Teniente. Bei Zweimastern können wir nicht mithalten. Trotzdem werde ich das verdammte Gefühl nicht los, daß diese Kerle etwas mit dem Verschwinden unserer Schaluppe zu tun haben.“ Der Teniente blickte durch das Spektiv und drehte an dessen einfacher Optik herum, was jedoch die Sicht kaum verbesserte. „Wahrscheinlich handelt es sich um jenen Fühlungshalter. der schon in der vergangenen Nacht von der ,Gaviota` gesichtet und verfolgt wurde“, sagte er. „Die Burschen hatten sich hinter einer Koralleninsel versteckt, aber von unserer Schaluppe ist nach wie vor nichts zu sehen. Um ehrlich zu sein - ich habe ein verdammt schlechtes Gefühl, wenn ich an die Besatzung denke.“ Der Rudergänger nickte mit düsterem Gesicht. „Das habe ich schon lange, Teniente. Warum sollte der Bootsmann der einzige gewesen sein, den man niedergemacht hat? Irgendwie deutet das Ganze darauf hin, daß der Zweimaster mit unseren Leuten aneinandergeraten ist. Bisher hat das zwar niemand ausgesprochen, aber ich bin so frei, es zu tun, obwohl es meine ganz persönliche Meinung ist.“ „Und die ist höchstwahrscheinlich nicht einmal falsch“, sagte der Teniente, der immer noch durch das Spektiv starrte. Bald darauf sorgte etwas für Aufregung, was von einer der anderen Jollen entdeckt wurde. Die Sicht war inzwischen erheblich besser geworden. Die Sonne hatte die Wolkendecke durchbrochen und übergoß die Wasserfläche mit silbrigem Licht.
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Die Jolle, die von einer der Kriegskaravellen ausgesetzt worden war, gab ständig Signale. „Die haben wohl auch schon gemerkt, daß der Zweimaster davonsegelt“, sagte der Rudergänger ungerührt. Der Teniente lächelte bitter. „Danach sieht es nicht aus. Die haben was anderes entdeckt. Ich fürchte, ich weiß auch schon was.“ Er hatte sich nicht getäuscht. Die Jolle hatte eine weitere Leiche gesichtet - einen der Bootsgasten der vermißten Schaluppe. Noch während man den Toten aus dem Wasser fischte, erreichte die Jolle von der „San Jose“ den Schauplatz. Der Bootsgast, den man ebenfalls durch Messerstiche getötet hatte, war nicht der einzige Fund. In den Wellen schwamm auch eine Öskelle -ein schaufelartiges Holz zum Leerpützen auf Beibooten und Jollen. Auch dieses Werkzeug wurde aus dem Wasser geholt. Es war mit dem eingebrannten Zeichen „SJ“ versehen und gehörte demnach zur „San Jose“. „Mein Gott!“ stieß der Teniente hervor. „Welche Überraschungen stehen uns wohl noch bevor?“ Die Bootsführer der Jollen hatten längst eingesehen, daß eine weitere Verfolgung des Zweimasters keinen Sinn hatte. Der Segler war schon fast hinter der Kimm verschwunden. Die Jollen scharten sich deshalb um die Fundstellen. „Wir werden mit dem Draggen fischen“, entschied der Teniente. „Das ist besser, als die Zeit nutzlos zu vertun.“ Er meinte damit den kleinen, vierarmigen Bootsanker, den man zuweilen auch als Suchanker benutzte, weil sich gar manches in ihm verfing und ans Tageslicht geholt wurde. Das Grauen nahm kein Ende. Schon innerhalb der nächsten Viertelstunde entdeckte man in dem klaren Wasser, das zudem in Küstennähe ziemlich flach war, das Wrack der gesuchten Schaluppe. Und noch etwas später wurde die Leiche von Teniente Rodriguez nach oben gehievt. In seiner Brust steckte noch das Messer, mit dem man ihn getötet hatte.
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Zahlreiche Männer, selbst die hartgesottensten Seesoldaten, bekreuzigten sich, denn jetzt gab es keinen Zweifel mehr, daß man die Schaluppe überfallen, sämtliche Besatzungsmitglieder ermordet und das Schiff versenkt hatte. Die düstere Ahnung, die die Männer seit Stunden mit sich herumgetragen hatten, war durch diese Funde bestätigt worden. Sämtliche Bootsführer der Spanier waren sich darüber einig, daß sich die Mörder auf jenem Zweimaster befanden, der seit wenigen Minuten hinter der westlichen Kimm verschwunden war. Der Teniente von der „San Jose“ hob drohend die rechte Faust und schüttelte sie in Richtung Horizont, aber auch diese ohnmächtige Geste gab den Toten das Leben nicht zurück und führte die Meuchelmörder nicht ihrer gerechten Strafe zu. Mit dieser niederschmetternden Erkenntnis brach man die Suche nach der Schaluppe ab. Es ging ohnehin bereits auf den Abend des 19. Juli zu. Ein vertaner Tag neigte sich seinem Ende entgegen, daran änderte auch das malerische Bild der untergehenden Sonne nichts. Vertan war er, weil man den unseligen Entschluß gefaßt hatte, vor der Reede von Cardenas vor Anker zu gehen, um dem dicken Gouverneur von Havanna eine Badewanne zu besorgen. Und vertan war er außerdem wegen der dramatischen Ereignisse, die sich im Dunst des Nachmittages hier draußen vor der nordkubanischen Küste abgespielt haben mußten. Die Stimmung der Spanier war gedrückt, als sie in der Abenddämmerung mit einigen Leichen an Bord zu ihren Schiffen zurückkehrten. Capitan Cubera war für einen Moment wie betäubt, als er die schlechten Nachrichten vernahm. Die Befürchtungen, die er im stillen gehegt hatte, waren durch die Funde endgültig bestätigt worden. Die Schaluppe mußte er jetzt schweren Herzens abschreiben, die Besatzung und die Seesoldaten ebenfalls. Was aber hatte es mit diesem verfluchten Zweimaster auf sich? Welche Ziele
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verfolgten diese Leute? Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß man es mit einfachen Piraten zu tun hatte, die darauf aus waren, Beute zu schlagen. Solche Schnapphähne würden sich nicht gerade einen Kriegsschiffs-Verband für ihren Raid aussuchen. Nein, diese Burschen mußten andere Ziele verfolgen, vielleicht sogar Ziele, die mit dem Kriegsmarsch in Zusammenhang standen. Aber welche? Don Garcia Cubera fand keine Erklärung. So blieb ihm als Verbandsführer nichts anderes übrig, als der „Gaviota“, die auch beim Weitermarsch die Schlußposition behalten sollte, die Order zu erteilen, scharf nach dem „Fühlungshalter“ Ausschau zu halten und ihn nach eigenem Ermessen - sollte er wieder erscheinen anzugreifen und zu stellen. „Mögen uns alle Heiligen beistehen“, murmelte Cubera mit verkniffenem Gesicht, „denn wir müssen unbedingt wissen, wer hinter dieser üblen Sache steckt.“ Als die Abenddämmerung hereinbrach, wurde der Kriegsmarsch ostwärts fortgesetzt - mit einem Gouverneur in der Kapitänskammer, der ungeduldig mit seinen Wurstfingern auf die Tischplatte trommelte, weil man ihm das Abendessen noch nicht serviert hatte. 7. In der Nacht des 19. Juli 1594 strich eine frische Brise über den Nicolas-Kanal, der sich zwischen den Cay-Sal-Brücken im Norden und der Sabana-Inselkette im Süden hinzieht. Von einigen wandernden Wolkenfetzen abgesehen, war die Nacht klar und mondhell. Die kleine Dreimastkaravelle mit Lateinerrigg, die sich im westlichen Bereich des Nicolas-Kanals befand, rauschte fast lautlos durch die Dünung. Außer dem leisen Ächzen und Stöhnen im Gebälk des Schiffes war nur das Plätschern des Wassers zu hören, das gegen den schlanken Rumpf schlug.
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Das vollbusige hölzerne Weib mit dem Gesicht einer Xanthippe, das als Galionsfigur diente, ragte weit über das Wasser hinaus - als starre es angestrengt in die Dunkelheit. Ja, sie war schon ein schönes und wendiges Schiffchen - die „Empress of Sea II.“, mit der Old Donegal Daniel O'Flynn am 10. Juli von der Schlangen-Insel aufgebrochen war, um weit westwärts Aufklärung zu fahren. Der Bund der Korsaren hatte in letzter Zeit auch allen Grund dazu, seinen Patrouillendienst auszudehnen, denn die Nachrichten, die die Brieftauben Jussufs aus Havanna brachten, wurden von Mal zu Mal schlechter. Seit man erfahren hatte, daß dem Gouverneur von der Black Queen eine Nachricht über die Position der Insel zugespielt worden war, mußte man doppelt vorsichtig sein. Das galt natürlich auch für die kleine Crew der „Empress of Sea“. Gerade jetzt, bei Nacht, mußte man die Augen offenhalten, wenn man einen Aufmarsch der Dons entdecken wollte. So war denn auch die gesamte Crew auf den Beinen : Martin Correa, der Bootsmann und Lotse, die beiden Dänen Nils Larsen und Sven Nyberg sowie Philip und Hasard, die Zwillingssöhne des Seewolfs. Old Donegal, der grauhaarige Alte mit dem zerfurchten Gesicht und dem Holzbein, war etwas brummig, denn er befand sich bereits seit neun Tagen in See und hatte immer noch nichts gesichtet, was auf einen Kriegsmarsch der Spanier schließen ließ. „Wir haben uns wirklich schon ziemlich weit nach Westen vorgewagt, aber es tut sich nichts“, sagte er zu Martin Correa. „Entweder braucht der Gouverneur tatsächlich so lange, bis er einen Verband zusammengestellt hat, oder aber der Dicke hat Schiß gekriegt.“ Von den Ereignissen der letzten Tage wußte der Alte nichts, da ließen ihn selbst seine berühmten Ahnungen und Visionen im Stich. Martin Correa, ein kräftiger Mann Ende der Zwanzig, sah das alles nicht so pessimistisch.
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„Der Gouverneur kratzt bestimmt alle Schiffe und Soldaten zusammen, deren er habhaft werden kann. Dazu wird auch nötig sein, daß er Schiffe aus anderen kubanischen Häfen abzieht. Wenn man dann noch die Zeit für die Ausrüstung eines ganzen Verbandes hinzurechnet, dann kommt schon einiges an Zeit zusammen. Wenn du mich fragst, Donegal, ist es durchaus normal, daß wir bis jetzt noch nichts gesichtet haben.“ „Ich frag' dich aber nicht!“ knurrte der Alte mit verbiestertem Gesicht. Der dunkelblonde Mann mit dem kantigen Gesicht und dem festen Kinn lächelte. „Auch gut, Donegal“, sagte er. „Aber deshalb dauert's trotzdem seine Zeit.“ Die Augen Old O'Flynns waren in die Ferne gerichtet, als könne er hinter die nachtschwarze Kimm blicken. „So ein Täubchen müßte man sein“, sinnierte er, „wie Omar oder Suleika. Es würde mir verdammt viel Spaß bereiten, mal eben so nach Havanna zu flattern und die Lage zu peilen. Ein kleiner Rundflug über dem Hafen, und ich wüßte, was gespielt wird. Vielleicht würde ich sogar einen Blick durch das Schlafzimmerfenster des Gouverneurs werfen, um zu sehen, was der Erlauchte so treibt.“ Correa konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, wenn er sich den rauhbeinigen Alten als Täubchen vorstellte. Auch die Zwillinge boxten sich feixend in die Rippen, denn sie hatten die Worte ihres Großvaters mitgekriegt. Der Bootsmann räusperte sich schließlich. „Aufs Taubenleben würde ich an deiner Stelle verzichten“, sagte er. „Das hat nämlich auch seine Schattenseiten. Nachdem du in Havanna gelandet wärst, würde dich Jussuf ohne mit der Wimper zu zucken in den Verschlag sperren, und zum Backen und Banken würde er dir bestenfalls eine Handvoll Körner vorwerfen ...“ „Und außerdem gibt's dazu nur einen Schluck Wasser“, fügte Hasard junior von einem Ohr bis zum anderen grinsend hinzu. „Wenn so ein Täuberich nämlich
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Rum trinkt, kann er nicht mehr gerade fliegen.“ Philip junior, sein Bruderherz, bestätigte das eifrig nickend. „Genauso ist es“, sagte er. „Das arme Vögelchen fliegt dann womöglich direkt in die Bratpfanne des Gouverneurs, und der verspeist es dann zum Frühstück.“ Old Donegal, der gerade einen kräftigen Schluck aus seiner Muck mit Rum und heißem Wasser genommen hatte, warf den dreizehnjährigen Jungen einen grimmigen Blick zu. „Wer hat euch denn gefragt, ihr Grünschnäbel, he? Was versteht ihr denn schon vom Fliegen?“ „Jedenfalls genug“, erwiderte Philip keck, „um zu wissen, daß es ein Täuberich mit Holzbein nie bis Havanna schaffen würde.“ Dem Alten blieb die Spucke weg. Seine Kinnlade klappte nach unten, während Martin Correa vor Lachen laut losbrüllte. „Hört euch diese Windelpisser an!“ schimpfte Donegal. „Ich glaube, es wird langsam Zeit, daß ich euch mal wieder als Schwabber benutze und das Deck damit aufklare. So was stärkt nämlich - wie unser verehrter Mister Carberry immer sagt - den Charakter und festigt den Respekt vor erwachsenen Menschen. Und wenn ich euch dann noch die Ohren langziehe, seid ihr wieder so lammfromm wie Noahs Friedenstäubchen.“ Schon machte der Alte eine Handbewegung in die Richtung, in der sich Philips Ohren befanden, doch der war darauf gefaßt und wich flink einen Schritt zurück. Natürlich hatten sich die beiden Burschen auch einen Fluchtweg offen gelassen, direkte Gefahr drohte somit im Augenblick nicht. Die „Rübenschweinchen“, wie man sie oft nannte, kannten ihren Großvater, der eigentlich überhaupt kein Opatyp, sondern ein Haudegen von echtem Schrot und Korn war, nur zu gut. Deshalb wußten sie auch, wie man ihn schnell wieder von seinem charakterbildenden Vorhaben ablenken konnte.
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„Übrigens, Mister O'Flynn, Sir“, sagte Jung-Hasard artig. „Was sind das für Friedenstäubchen, von denen du eben gesprochen hast? Sind die auch bis nach Havanna geflogen und haben dem Gouverneur ins Bett geschaut?“ „Unsinn!“ brummte Donegal und kratzte sich die grauen Bartstoppeln. „Das waren die Friedenstäubchen Noahs. Als die herumgeflattert sind, gab es das lausige Havanna noch nicht, und das Rübenschwein von einem Gouverneur ebenfalls nicht -leider, sonst wäre der Kerl nämlich bei der großen Sintflut ersoffen, jawohl.“ Martin Correa mischte sich augenzwinkernd ein. „Ich denke, Noah ließ damals einen Raben aus der Arche fliegen. Warum redest du da von Täubchen?“ „Weil ich das besser weiß“, beharrte Old Donegal. „Wer von euch Grünlingen hat schon eine Ahnung von den Dingen, die damals bei der Sintflut passiert sind, als die Arche Noahs schon über fünf Monate auf dem Gipfel des Berges Ar – Arfa… äh auf dem Dings-Berg stand.“ „Meinst du den Berg Ararat in der Türkei?“ fragte Martin Correa. Old O'Flynn war verblüfft. „Genauso heißt der. Woher weißt du das, zumal du doch keine Ahnung von solchen geschichtlichen Begebenheiten hast?“ „Ach“, Martin Correa tat gelangweilt, „irgendjemand hat mir die Geschichte mal aus der Bibel vorgelesen, und da ist eben einiges hängengeblieben. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, daß Noah einen Raben aus der Arche fliegen ließ. Der Bursche kehrte aber bald zurück, weil er nirgends ein trockenes Plätzchen fand. Später ließ man dann eine Taube auf, und als die mit einem Olivenblatt im Schnabel zurückflog, wußte Noah, daß das viele Wasser abgeflossen war.“ „Na so was!“ staunte Donegal. „Besser hätte ich die Geschichte auch nicht erzählen können. Bist schon ein kluges Kerlchen, Martin. Gehörst nicht zu der Sorte von Blödmännern, die schon bei ihrer Geburt mit dem Kopf auf die Planken
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gedotzt sind und seitdem einen Sprung in der Schüssel haben ...“ Jetzt grinste der Alte wahrhaftig. „Übrigens“, fuhr er fort, „wie sind wir überhaupt an dieses Thema geraten? Wir segeln hier nachts durch den verdammten Nicolas-Kanal und lassen Täubchen umherschwirren. Viel lieber wüßte ich, welchen Kurs der spanische Verband nehmen wird, wenn er gegen die Schlangen-Insel aufmarschiert. Vielleicht warten wir hier an der falschen Stelle, und die Dons sind längst an uns vorbeigesegelt.“ Der Alte war wieder in die Wirklichkeit zurückgekehrt und wurde so brummig wie zuvor. Martin Correa, der noch immer über das deftige Lob Donegals lächeln mußte, zuckte mit den Schultern. „Daß wir die Dons verpaßt haben, glaube ich nicht. Ein solcher Verband hat es immer eilig, wenn er erst einmal aufgebrochen ist, denn er möchte nicht, daß sich sein Vorhaben vorzeitig herumspricht. Aus diesem Grund wählt man fast immer den kürzesten Weg, und was die Schlangen-Insel betrifft, ist das nun einmal die Passage durch den NicolasKanal. Wir müssen nur ein bißchen Geduld haben. Wenn die Dons aufkreuzen, können wir sie nicht verpassen.“ Old Donegal sah das zwar ein, aber er grummelte dennoch herum und . war mächtig unruhig. Mal stelzte er auf seinem Holzbein zu Nils Larsen, der am Ruder stand, mal kehrte er zu Martin Correa zurück. Seine Augen waren überall, denn schließlich war er hier der Kapitän, und die „Empress“, jawohl. die war sein Schiffchen. Hesekiel Ramsgate hatte sie auf der Werft der Schlangen-Insel nach seinen Wünschen gebaut. Etwa zwei Stunden vor Mitternacht ließ Old O'Flynn abermals Rum mit heißem Wasser ausgeben. „Damit die Klüsen klar bleiben“, sagte er. Und außerdem könne man bei entsprechender innerer Anfeuchtung des Körpers bei Nacht besser sehen.
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Die Meinung des alten Rauhbeins schien sich prompt zu bestätigen, denn die Männer hatten kaum ihre Mucks ausgetrunken, da begann das erwärmende Gesöff bei Philip junior zu wirken. Der Bengel war flink wie ein Affe in den Ausguck aufgeentert und wahrschaute schon wenige Minuten später die kleine Crew. „Deck!“ brüllte er. „Von Westen segelt ein Dreimaster heran.“ Die Männer horchten auf. Old Donegal hob sofort den Kieker ans Auge, obwohl damit bei Nacht nicht viel anzufangen war. „Was ist das für ein Dreimaster? Willst du wohl die Klüsen besser aufreißen? Für was wohl habe ich euch Grünschnäbel am Rum schnuppern lassen?“ „Einen Adlerblick kriegt man davon auch nicht gerade“, meinte Jung-Hasard, der ebenfalls scharf in die Dunkelheit spähte. Doch schon nach wenigen Augenblicken ließ sich Philip erneut aus dem Ausguck vernehmen. „Es scheint eine Schebecke zu sein!“ rief er. „Eine Schebecke?“ Old Donegal schüttelte verwundert den Kopf. „Davon gibt's hier nicht viele. Wenn du wirklich keinen schrägen Blick drauf hast und dich nicht irrst, geht mir sogar ein kleines Lichtlein auf.“ „Mir ebenfalls“, sagte Martin Correa. „Bei der Schebecke dürfte es sich wohl kaum um das Flaggschiff eines spanischen Verbands handeln. Demnach bleibt nur eine Möglichkeit übrig ...“ „Don Juan de Alcazar!“ unterbrach ihn der Alte. „Unser anhänglicher Freund, der es nicht lassen kann, sich die Zähne an uns auszubeißen.“ Keiner der Crew hatte die Schebecke des Algeriers Mubarak je gesehen, aber jeder wußte von den Erzählungen der Freunde her, was sich vor knapp einem Monat bei Great Abaco mit den algerischen Piraten abgespielt hatte. Somit war ihnen auch bekannt, daß deren Schebecke von der Crew Don Juans übernommen worden war. Die Spanier waren damit nach Havanna zurückgesegelt.
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Die Brummigkeit verschwand augenblicklich aus dem verwitterten Gesicht des alten O'Flynn. „Endlich mal ein Don, mit dem man sich in dieser einsamen Gegend gemütlich unterhalten kann“, sagte er und ließ zum Zwecke dieser Unterhaltung sofort die Karavelle gefechtsklar machen. Schebecken hatten in der Karibik Seltenheitswert, und wenn sich dieser verflixte Menschenjäger namens Don Juan de Alcazar, was anzunehmen war, auf der Schebecke befand, dann war der Alte grimmig entschlossen, ihm ein zweites Mal was überzubraten - genau wie vor einem Monat bei Great Abaco. „Wir werden dem Sonderbeauftragten Seiner Allerkatholischsten Majestät eine Sonderbehandlung angedeihen lassen“, erklärte der Alte. Die Zwillinge streuten bereits Sand aus, holten glühende Holzkohle aus der Kombüse und verteilten die Messingbecken auf die Drehbassen. Außerdem schleppten sie Pistolen, Musketen, Blunderbusse und Flaschenbomben heran. „Auf eine solche Sonderbehandlung sollten wir lieber verzichten“, sagte Martin Correa, und Sven Nyberg pflichtete ihm bei. „Warum das? Habt ihr plötzlich Schiß? So kenne ich euch Kerle gar nicht!“ „Natürlich haben wir keine Angst“, sagte Martin Correa, „soweit solltest du uns kennen. Aber ich denke daran, daß Hasard ausdrücklich angeordnet hat, jegliche Feindberührung zu vermeiden.“ Old Donegal verstand die Welt nicht mehr. „Aber das bezieht sich doch wohl nicht auf so ein kleines Techtelmechtel zwischen der ,Empress' und einer afrikanischen Schebecke.“ „Auf was sonst?“ fragte Sven. „Es könnte doch immerhin möglich sein, daß die Schebecke eine Art Vorhut für den spanischen Verband bildet. In diesem Fall wären auch die anderen Schiffe nicht weit entfernt. Durch ein kleines ,Techtelmechtel', wie du das nennst, würden wir im Handumdrehen das
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Interesse des ganzen Verbandes auf uns ziehen. Und genau das sollten wir vermeiden.“ Old Donegal plusterte sich auf wie ein Kampfhahn. „Feindberührung hin und Feindberührung her“, stieß er grimmig hervor. „Noch habe ich ja gar keinen Feind berührt, nicht wahr? Nicht mal mit der Fingerspitze habe ich ihn angetippt. Wer sagt überhaupt, daß es sich um einen Feind handelt?“ „Eben drum“, meinte Sven Nyberg, „dann brauchen wir ja auch nicht gefechtsklar zu machen.“ Er ahnte längst, daß den Alten mal wieder das Fell juckte. Tagelang umhersegeln und nach etwas Ausschau halten, das lag dem alten Kampfhahn nicht. Er brauchte Beschäftigung, sonst war es mit ihm bald nicht mehr auszuhalten, und er würde immer knurriger und brummiger werden. „Vorsicht ist aber die Mutter der Weisheit“, sagte Donegal jetzt belehrend. „Auch wenn wir den anderen nur mal eben beschnuppern wollen, sollten wir - schon wegen der Ungewißheit - unbedingt den Finger am Abzug haben.“ Donegal bestand darauf, daß die Gefechtsbereitschaft der „Empress of Sea II.“ beibehalten wurde. Und sollte sich auf der Schebecke, so meinte er, nur eine Schar hübscher Jungfrauen befinden, dann könne man all die Kracher ja wieder einpacken und sich angenehmeren Dingen zuwenden. „Wenn das eben eine gewisse Mary O'Flynn gehört hätte“, sagte Martin Correa lachend und meinte damit die bessere Hälfte Old Donegals - Mary O'Flynn, geborene Snugglemouse -, die in „Old Donegals Rutsche“ auf der SchlangenInsel mit eiserner Hand regierte. „Kann sie ja nicht gehört haben“, sagte der Alte. „Und außerdem sind auf der Schebecke sowieso keine Jungfrauen, da würde ich wetten Auf eine solche kuriose Wette aber wollte sich natürlich niemand einlassen, und so segelten die beiden Schiffe im fahlen Mondlicht aufeinander zu. Die „Empress of Sea“ raumschotts, die merkwürdige
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Schebecke hart am Wind über Steuerbordbug. Eine gewisse mehr oder weniger zärtliche „Berührung“ war nahezu unvermeidlich. 8. Ramon Vigil, der Bootsmann der Schebecke, wischte sich mit der Hand über die Augen. „Träume ich, oder sehe ich Gespenster?“ Er kniff die Augen zu und öffnete sie wieder, aber das Bild des kleinen Dreimasters, der direkt auf ihr Schiff zuhielt, veränderte sich nicht. „Das ist doch genau dieser verdammte Kahn, der uns vor einem Monat so gründlich aufs Kreuz gelegt hat!“ „Ja, das ist er“, bestätigte ein anderer Spanier, der zur Crew gehörte. „Er hat uns sogar so an der Nase herumgeführt, daß man sich heute noch deshalb schämen muß.“ Er meinte damit das Katz-und-Maus-Spiel, das der Alte mit ihrer früheren Schaluppe getrieben hatte. Und letztlich hatte er das Schiff auch noch versenkt. Die Crew konnte sich mit Hilfe des lecken Beibootes gerade noch auf Great Abaco retten. , Don Juan de Alcazar, Arne von Manteuffel und Jörgen Bruhn hatten die Meldung vom Herannahen der Karavelle gehört und betraten das Achterdeck. Auch Don Juan erkannte den kleinen Dreimaster sofort, und im Geiste hörte er bereits wieder das meckernde Ziegenbocklachen des Alten mit den silbernen Haaren, das ihn bereits bei seiner damaligen Niederlage so sehr genervt hatte. „Da gibt es nicht den geringsten Zweifel“, sagte Don Juan. „Das ist der Alte mit dem Holzbein, der unsere Schaluppe zerschossen hat. Was mag dieser Teufelskerl heute im Schilde führen?“ Arne und Jörgen blickten der kleinen Karavelle mit großem Interesse entgegen, doch sie erkannten sie nicht auf Anhieb als die „Empress of Sea“ von Old O'Flynn, denn der Bau und Stapellauf des Schiffes
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hatte erst stattgefunden, als sie bereits in Havanna waren. Durch die verblüfften Ausrufe der Schebecken-Crew und durch die Bemerkungen Don Juans begriffen sie jedoch schnell, um was für ein Schiff es sich da handelte. Jörgen Bruhn stieß Arne unauffällig in die Seite. Dieser nickte verstehend. Auch das noch, dachte er erbittert. Muß uns ausgerechnet Donegal mit seiner heißgeliebten „Empress“ entgegensegeln? Wußte der Teufel, welche Absichten der Alte hatte. Daß er mit seinem Schiffchen und den dazugehörigen Waffen umzugehen verstand, war den Gesprächen der Spanier deutlich zu entnehmen. Was blieb ihm, Arne, jetzt anderes übrig, als den Stier bei den Hörnern zu packen. Er mußte jetzt endlich Farbe bekennen, sonst würde Donegal womöglich ahnungslos den Kampf eröffnen. Was er solange hinausgezögert hatte, mußte jetzugesagt werden. Er mußte Don Juan darüber aufklären, wer er eigentlich war. Arne von Manteuffel, der sonst weder Tod noch Teufel fürchtete, verspürte plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Das erinnerte ihn an seine Lausbubenzeit im heimatlichen Kolberg. Dort hatte sich ebenfalls dieses Gefühl eingestellt, wenn es darum ging, einen Schabernack einzugestehen. Hier ging es jedoch nicht um einen Lausbubenstreich. Die Lage war ernst und hatte sich durch das plötzliche Auftauchen der „Empress“ zugespitzt. Don Juan de Alcazar war zwar ein absolut fairer und charakterfester Mann, aber er war auch ein hoher Beamter der spanischen Krone, und er hatte den Sonderauftrag, den Bund der Korsaren zur Strecke zu bringen. Wie würde er jetzt reagieren, wenn er sich zu erkennen gab? Jawohl, das würde die letzte Probe sein. Gleich würde sich zeigen, ob Don Juan bereit war, sich auf die Seite des Bundes der Korsaren zu stellen, dessen Ziele er in letzter Zeit mehr und mehr bejaht hatte. Nicht nur das faire Verhalten der Seewölfe,
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auch das Treiben der eigenen Landsleute in der Neuen Welt hatte diesem gradlinigen Mann in mancherlei Hinsicht die Augen geöffnet. Die laute Stimme Don Juans riß Arne aus seinen Gedanken. „Klarschiff zum Gefecht!“ Die kleine Crew flitzte bereits über die Decks, um sich für die Begegnung mit der Karavelle zu rüsten. „Noch einmal soll uns der Alte nicht an der Nase herumführen“, „Und ein zweites Mal lassen wir uns auch nicht das Schiff unterm Hintern wegschießen“, fügte Ramon Vigil hinzu. „Wir werden trotzdem den Kampf nicht eröffnen“, entschied Don Juan. „Die Gefechtsbereitschaft besteht vorerst nur aus Sicherheitsgründen.“ Jetzt mischte sich Arne ein. „Das halte ich für sehr vernünftig, Don Juan“, sagte er. „Ich wollte Sie ohnehin gerade bitten, sich zurückzuhalten, denn ich bin davon überzeugt, daß sich die Sache auf eine friedliche Weise beilegen läßt.“ Don Juan warf ihm einen erstaunten Blick zu. „Wie meinen Sie das, Senor de Manteuffel? Ich kann Sie vor diesem alten Mann nur warnen. Der würde selbst dem Teufel noch ein Schnippchen schlagen.“ „Ich werde mit ihm reden“, sagte Arne gelassen, „und ich glaube bestimmt, daß er auf mich hören wird. Ich finde es nämlich an der Zeit, einige Dinge klarzustellen.“ Er konnte sich denken, daß Old Donegal auf die erste Brieftaubenmeldung hin hier Aufklärung fuhr. Don Juan jedoch kapierte überhaupt nichts mehr. Er sah Arne an, als habe der den Verstand verloren. „Entschuldigen Sie, Senor de Manteuffel, aber woher wollen Sie wissen, daß dieser Alte mit sich reden läßt? Und über was wollen Sie mit ihm reden?“ Arne lächelte und legte Don Juan beschwichtigend die rechte Hand auf die Schulter.
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„Einen kleinen Moment, mein Freund“, sagte er. „Das werden Sie gleich besser verstehen.“ „Na gut“, sagte Don Juan verunsichert. „Ich will Sie nicht von Ihrem Vorhaben abbringen. Solange man uns nicht angreift, werden wir ebenfalls Ruhe bewahren.“ Arne begab sich aufs Vorschiff. Als der Dreimaster auf Rufweite heran war und es im hellen Mondlicht den Anschein hatte, als wolle das vollbusige Weib an seiner Galion das weit aufgerissene Löwenmaul am Bug der Schebecke küssen, begann er zu winken. „Mister O'Flynn!“ rief er. „Nicht schießen! Hier steht Arne von Manteuffel!“ Don Juan de Alcazar hörte ihm verblüfft zu. Der Deutsche kennt den Alten! schoß es ihm blitzartig durch den Kopf. Und ebenso blitzartig wurde ihm klar, daß damit eine Verbindung zwischen Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel bestehen mußte - wie er aufgrund der starken Ähnlichkeit schon immer vermutet hatte. Jawohl, dem Sonderbeauftragten Seiner Allerkatholischsten Majestät ging in diesem Augenblick ein Licht nach dem anderen auf, und nachdem er das Überraschungsmoment überwunden hatte, verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Das hätten Sie mir auch gleich sagen können, Sie verdammter Bastard!“ Arne grinste genauso. „Sie haben recht!“ rief er zurück, „aber eigentlich war da nie so richtig Zeit dazu!“ Mit langen Schritten ging der Deutsche auf Don Juan zu. Old Donegal Daniel O'Flynn jedoch war total verwundert über die Tatsache, hier auf Arne zu stoßen, und hätten in diesem Augenblick einige Windsbräute und Wassergeister auf dem Achterdeck seiner „Empress“ einen Reigen getanzt, dann hätte er nicht erstaunter sein können. Dennoch reagierte er sofort, denn er hatte die Gestalt und Stimme Arnes sofort erkannt. Er halste und ging in den Wind, so daß die merkwürdige Schebecke mit den
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rot-weiß gestreiften Segeln längsseits der „Empress“ steuern konnte. Erst als sich die Bordwände berührten, erkannte er Don Juan de Alcazar. Und jetzt war es in erster Linie Sven Nyberg zu verdanken, daß den Alten nicht augenblicklich der Schlag traf, denn Sven hatte im richtigen Moment eine Rumflasche bereit, die er ihm einfach in die Hände drückte. „Damit du was zum Festhalten hast, Mister O'Flynn“, sagte er trocken. Donegal, der noch immer ein entgeistertes Gesicht zog, nickte dankbar. Und schließlich hatte er die Situation voll und ganz begriffen. Er tat deshalb das einzig Richtige und reichte Don Juan die Rumflasche hinüber. „Ich bin doch mächtig froh“, sagte er mit all seiner Kapitänswürde, „daß wir dieses Mal nicht aufeinander schießen, sondern in aller Freundschaft einen zwitschern können.“ Der Spanier nahm die Flasche und trank einen kräftigen Schluck. Arne von Manteuffel stellte die kleine Crew der „Empress of Sea II.“ vor. Zunächst natürlich Old Donegal Daniel O'Flynn, dann Martin Correa sowie Nils Larsen und Sven Nyberg, die beiden Dänen, und zum Schluß sagte er: „Das sind Philip und Hasard junior, meine Neffen und die Söhne meines Vetters Philip Hasard Killigrew. Unsere Väter waren Brüder.“ „Nachdem mir einiges klarer geworden ist, freue ich mich, Sie alle kennenzulernen“, sagte Don Juan lächelnd und drückte jedem einzelnen die Hand. Zum Schluß auch Arne. Das geschah stumm, aber die Blicke der beiden Männer verständigten sich auch ohne Worte. Old Donegal nuckelte inzwischen nochmals kräftig an der Flasche und' grummelte vor sich hin. „Es ist wirklich nichts unmöglich auf dieser buckligen Welt“, sagte er. „Jetzt fehlen nur noch die süßen kleinen Friedenstäubchen - diejenigen mit einem Kleeblatt im Schnabel ...“
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„Mit einem Olivenblatt meinst du“, berichtigte ihn Martin Correa! „Ja, ja, schon gut”, murmelte der Alte. „Ist mir auch völlig egal, was für ein Grünzeug das war.“ 9. Für die „Berührung“ mit dem ehemaligen Feind ließ man sich nur eine knappe Stunde Zeit. Danach hatte man sich im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig beschnuppert. Auch die kleine Schebecken-Crew einschließlich Ramon Vigils hatte darauf gebrannt, den tollkühnen Alten und seine Männer kennenzulernen, denen sie bislang trotz ihrer Niederlage bei Great Abaco die Bewunderung nicht versagt hatten. Die Spanier waren nicht wenig erstaunt darüber, daß zur winzigen Besatzung der „Empress of Sea“ sogar zwei halbwüchsige Jungen gehörten - die Söhne des Seewolfs. Und sie waren froh, daß es zu einem friedlichen Zusammentreffen gekommen war. Die Meinung und den Standpunkt ihres Kapitäns, Don Juan de Alcazar, teilten sie voll und ganz und waren bereit, auch weiterhin für ihn durch dick und dünn zu gehen. Zum Abschied mußte die Crew der „Empress“ abermals alle Hände schütteln. „Dann wollen wir mal keine Zeit verlieren“, sagte Old Donegal, „und dafür sorgen, daß dem Erlauchten aus Havanna der dicke Hintern poliert werden kann.“ Als die „Empress of Sea II“ von der Schebecke abgelegte, winkten ihr alle hinterher. „Ein bewundernswerter Mann, dieser Senor O'Flynn“, sagte Don Juan. „Ja, er ist schon in Ordnung“, erwiderte Arne. „An Schwung und Tatkraft hat es ihm noch nie gefehlt. Kein Wunder, daß er auf der Schlangen-Insel sogar eine Kneipe eröffnet hat, die ,Old Donegals Rutsche' heißt. Zudem hat er noch eine resolute Lady geehelicht, die den Laden auf Vordermann bringt.“ Alle weiteren Pläne den Kriegsmarsch der Spanier betreffend, hatte man bereits in der
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Kapitänskammer der Schebecke abgesprochen. Die „Empress of Sea“ ging auf Kurs Ost und jagte unter vollem Preß zur SchlangenInsel zurück, mit der Meldung, daß der spanische Verband im Anmarsch sei. Gleichzeitig hatte Old Donegal auch die erstaunliche Nachricht zu übermitteln, daß Don Juan de Alcazar bereit sei, auf der Seite des Bundes der Korsaren zu kämpfen, und das schon jetzt beim Anmarsch seiner Landsleute. Auf der Schebecke aber hatte man einen Plan geschmiedet, der voll und ganz an die bewährte Kampftaktik der Seewölfe erinnerte. „Wir werden uns hier im Nicolas-Kanal auf die Lauer legen und dem Flaggschiff einen eisernen Gruß verpassen. Das wird den gesamten Verband aufhalten, was dann für Ihre Leute zumindest einen Zeitgewinn bedeutet.“ So hatte Don Juan vorgeschlagen, und so sollte es auch geschehen. Die Ereignisse dieser Nacht sollten sich schon bald zuspitzen, denn die Besatzung der Schebecke mußte nicht lange auf das Auftauchen des Verbandes warten. Allen voran segelte das stolze Flaggschiff „San Jose“, auf dem sich Don Antonio de Quintanilla befand. Von jetzt an ging alles sehr schnell. Don Juan paßte den richtigen Augenblick ab und fuhr dann aus dunklem Hintergrund einen tollkühnen Durchbruch zwischen dem Flaggschiff und der nachfolgenden Galeone. Dabei erwies sich die Schebecke als äußerst schnell und wendig. Die beim Auftauchen von Old O'Flynns Dreimaster angeordnete Gefechtsbereitschaft hatte man be- stehen lassen, und jeder Mann an Bord wußte, was zu tun war. Gerade als sich der Mond für kurze Zeit hinter einigen vorbeiziehenden Wolkenfetzen verkroch, strich die Schebecke am Heck der „San Jose“ vorbei. Don Juan gab das vereinbarte Zeichen. Das Zündkraut knisterte, die Feuerflämmchen fraßen sich mit rasender Geschwindigkeit durch die Zündkanäle
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und dann donnerten mit ungeheurem Getöse mehrere Drehbassen gleichzeitig los und hieben ihre Ladungen mit Wucht in das Heck .des Flaggschiffs. Die Männer, darunter auch Arne und Jörgen, hatten voll auf die Ruderanlage des Flaggschiffs gezielt, und das häßliche Krachen und Splittern von Holz bewies ihnen, daß das Ziel mehr als einen Treffer abgekriegt haben mußte. Jede freie Hand auf der Schebecke war jetzt mit den entsprechenden Segelmanövern beschäftigt, so daß das ehemalige Piratenschiff schon wieder in der Dunkelheit verschwunden war, bevor man an Bord der „San Jose“ überhaupt reagieren konnte. Ja, man hatte nicht einmal erkannt, um was für ein Schiff es sich gehandelt hatte. * Auf dem Flaggschiff war der Teufel los. Während Don Garcia Cubera pausenlos irgendwelche Befehle brüllte, rannten die Besatzungsmitglieder und Seesoldaten ziellos durcheinander. Doch niemand konnte verhindern, daß das Schiff aus dem Ruder lief und die Segel killten. Jeder hatte zwar die Drehbassen-Schüsse gehört, deren Treffer das Schiff erschüttert hatten. aber keiner wußte so recht, was eigentlich geschehen war. Auch die Senores auf dem Achterdeck blickten sich ratlos an. „Unglaublich!“ rief der Erste Offizier, der wie die anderen lediglich die Konturen eines Schiffes in der Dunkelheit verschwinden sah...Das kann nur dieser verfluchte Zweimaster gewesen sein, der uns am Nachmittag entwischt ist.“ „Ich meine, es war ein Dreimaster“, gab der Zweite Offizier zu bedenken. Der Capitan fuhr zornig dazwischen. „Ob Zwei- oder Dreimaster ist im Augenblick völlig unerheblich, meine Herren. Wichtiger ist, daß das Schiff sofort gefechtsklar gemacht wird, weil weitere Angriffe zu erwarten sind. Außerdem muß sofort festgestellt werden, was wir für Schäden haben. Ich vermute, daß die
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Ruderanlage getroffen wurde. Wo sind eigentlich die Schiffszimmerleute?“ Nach einigem Hin und Her wurden die Zimmerleute aufgetrieben und schickten sich sofort an, das Heck zu überprüfen. Noch bevor Capitan Cubera jedoch weitere Anordnungen treffen konnte, flog ein Achterdecksschott auf und Don Antonio de Quintanilla wankte kreidebleich auf ihn zu. Auf seinen Zügen lag unverkennbar hündische Angst, die rechte Hand hielt er gegen die Herzgegend gepreßt. „Was - was ist geschehen, Don Garcia?“ fragte er mit bebenden Lippen. „War das ein Anschlag auf mein Leben?“ „Wie kommen Sie darauf, Don Antonio?“ Cubera hätte den Dicken in diesem Augenblick am liebsten über Bord geworfen. „Die Bleiglasfenster der Kapitänskammer sind zersplittert, und die Kammer ist übersät mit Glas und Holz. Es ist direkt ein Wunder - und der heiligen Madonna sei Dank -, daß ich noch am Leben bin.“ Die fünf Lakaien des Gouverneurs erschienen jetzt ebenfalls kreischend und teilweise mit langen Nachthemden bekleidet auf dem Achterdeck und versuchten, ihren Gebieter zu stützen - für den Fall, daß er weiche Knie bekam. „Wahrscheinlich sind die Fenster durch einige Splitter zerschlagen worden“, sagte Cubera unwirsch. „Der Angriff hat jedenfalls dem Schiff gegolten und mit Sicherheit nicht Ihnen persönlich.“ Der Gouverneur atmete auf. „Da bin ich aber beruhigt“, sagte er schnaufend. „Ich leider überhaupt nicht“, knurrte Cubera. „Offenbar haben wir einen schweren Ruderschaden, und das kann uns sehr viel Zeit kosten. Unter Umständen kann sogar das ganze Unternehmen in Frage gestellt werden.“ „Dann lassen Sie die Sache schnellstens beheben“, sagte Don Antonio, der jetzt an Oberwasser gewann. Der Capitan vollführte eine bedauernde Handbewegung. „So schnell geht das nicht, Don Antonio. Die Schiffszimmerleute sind gegenwärtig
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dabei, das Ausmaß der Schäden zu überprüfen. Erst dann können geeignete Maßnahmen getroffen werden. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte, es gibt eine Menge für mich und die Besatzung zu tun.“ Cubera ließ den Gouverneur einfach im Kreise seiner Lakaien stehen und gab seine weiteren Befehle. Der gesamte Verband ging vor Treibanker, während die Zimmerleute noch immer mit hektischer Eile die Ruderanlage untersuchten. Dazu war erforderlich geworden, Lampen zu setzen. Trotzdem konnte man in der Dunkelheit nicht alles erkennen und infolgedessen auch keine richtigen Reparaturen vornehmen. „Wir müssen vor Treibanker bleiben, Capitan“, sagte einer der Zimmerleute, „und den Tag abwarten. Anders geht es leider nicht.“ Der Capitan kochte vor Wut, aber das änderte nichts an den Tatsachen. Der Verband würde sehr viel Zeit verlieren. So schaukelte denn die „San Jose“ Stunde um Stunde gefechtsklar, aber
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manövrierunfähig in der Dünung. So sehr man auch nach dem unheimlichen Angreifer Ausschau hielt - man konnte nichts entdecken. Der Segler war wie ein Spuk aus dem Nichts erschienen und ebenso schnell dorthin zurückgekehrt. So sah es jedenfalls aus. Doch schon bald - etwa eine Stunde nach Mitternacht – man schrieb schon den 20. Juli im Jahre des Herrn 1594 - wurde man eines Besseren belehrt. Der vermeintliche Spuk wiederholte sich - nur an anderer Stelle. Wiederum krachte und donnerte es durch die Dunkelheit, und wie Capitan Cubera bald erfuhr, hatte es diesmal die Ruderanlage der „Gaviota“ erwischt, die den Abschluß des Verbandes bildete. Und wieder hatte niemand den Angreifer gesehen. Ja, es war, als habe bei diesem Kriegsmarsch der Teufel die Hand im Spiel. Kein Wunder, daß die abergläubischsten unter der Besatzung mit angstvollen Gesichtern das Kreuzzeichen schlugen ...
ENDE