Silber Grusel � Krimi � Nr. 255 �
Bob Fisher �
Ausgeburten der � Hölle � Nebelgeister Nr. 43 �
Der schwarze Kinnbar...
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Silber Grusel � Krimi � Nr. 255 �
Bob Fisher �
Ausgeburten der � Hölle � Nebelgeister Nr. 43 �
Der schwarze Kinnbart verlieh dem sehnigen Mann, der von seinen Mitarbeitern nur Professor genannt wurde, ein diabolisches Aussehen. Seine dunklen, stechenden Augen blickten durch die kreisrunde Panzerglasscheibe in das Wasser, das von grellen Unterwasserscheinwerfern erhellt wurde. Fische aller Größenordnungen und Farben zogen in Schwärmen vorbei. Der Professor hatte keinen Blick für sie übrig. Seine Augen schienen die Dunkelheit hinter dem Lichtkreis zu durchbohren. »Wie sieht es aus, Professor?« ertönte eine tiefe Stimme hinter ihm. Sie gehörte einem stämmigen Mann, der eine weiße Arztjacke trug. Der Mann war dunkelhaarig, hatte ein schmales Windhundgesicht und eine gebogene Nase, die ihm das Aussehen eines Geiers verlieh. Seine grauen Augen wirkten kalt wie Gletschereis. »Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis sie zurück sind, Oswaldo«, erwiderte der Professor gelassen. Er verstand es meisterhaft, seine Erregung vor seinen Mitarbeitern zu verbergen und den Anschein des ewig Siegreichen zu wahren. »Ich wünschte, ich hätte Ihre Zuversicht, Professor«, gab Oswaldo zurück. »Die Arbeit von Jahren wäre sonst zunichte gemacht.« »Ich habe immer Erfolg«, wies der Wissenschaftler ihn mild zurecht, ohne den Blick von den dunklen Wassermassen zu wenden. »Die Weltöffentlichkeit wird erschauern, wenn sie von mir und meinen Erfolgen erfährt. Man wird vor mir zittern, mich fürchten und auf alle meine Forderungen eingehen! Nur noch wenige Wochen, dann schlage ich zu!« Oswaldo Campana, der im Norden Spaniens zu Hause war, nickte gedankenverloren. Leicht vornübergebeugt saß er hinter dem Schaltpult, das in der mittleren Druckkammer des wendigen Forschungs-Unterseebootes installiert war. Die Finger seiner rechten Hand lagen auf verschiedenfarbigen Knöpfen und Schal3 �
tern des Steuerpultes. Kleine Lämpchen flammten in unregelmäßigen Abständen auf. Plötzlich ging ein kaum sichtbarer Ruck durch die sehnige Gestalt des Professors. Die Muskeln in seinem Gesicht zuckten, und ein fanatischer Glanz trat in seine Augen. »Sie nähern sich«, verkündete er mit ruhiger Stimme. »Leitlicht und Peilsender einschalten! Öffnung der Unterdruckschleuse vorbereiten!« Oswaldos Finger glitten über die Schaltknöpfe, während er über die Schulter des Professors hinweg durch die Panzerglasscheibe starrte. Aus der tiefschwarzen Wasserwand glitten vier geschmeidige, helle Körper in das weiße Licht der Scheinwerfer. Vier sehnige menschliche Gestalten, die sich mit normalen Schwimmbewegungen fortbewegten und doch alles andere als normal waren. Diese vier menschlichen Körper wiesen die spitzen Schädel von Delphinen auf. Sie wirkten wie Geschöpfe aus einer anderen Welt, wie Ausgeburten eines teuflischen Hirns. Ein feines Summen ertönte, als Oswaldo den Peilsender einschaltete und draußen ein grünes Flackerlicht aufflammte. Die vier Amphibien reagierten auf die Zeichen wie Roboter. Ihre Schwimmbewegungen wirkten synchron, als sie die Richtung änderten und die Öffnung zur Unterdruckschleuse anpeilten. Ein triumphierendes Lächeln umspielte die Mundwinkel des Professors, der seine Geschöpfe mit sichtlichem Stolz an sich vorüberziehen sah. »Ich bin hingerissen, Professor!« ließ Oswaldo Campana sich vernehmen. »Ehrlich gesagt, ich hätte nie an diesen gewaltigen Erfolg geglaubt.« 4 �
»Wir werden von Erfolg zu Erfolg schreiten, Oswaldo«, versicherte ihm der Wissenschaftler. »Und von Mal zu Mal werden sich die Erfolge steigern.« In der Nebenkammer summte ein Aggregat. Ein leichtes Zittern ging durch den stählernen Rumpf des Tauchbootes, als sich das Schott zur Unterdruckkammer hinter den Amphibien mit den menschlichen Körpern schloß. »Ich begrüße jetzt meine Lieblinge«, ließ der Professor sich vernehmen. »Du steuerst die ›Delphin‹ zum Fundort und sicherst die Beute.« »Si, Professor«, brummte Oswaldo und begann mit den Vorbereitungen. * Sie waren zu dritt und tauchten in etwa siebzig Meter Tiefe nach einem Goldschatz, der sich an Bord der vor zweihundertsechzig Jahren gesunkenen Brigg ›Colon‹ befunden haben sollte. Alte Schiffs- und Frachtlisten wiesen jedenfalls darauf hin. Die Körper der drei Männer steckten in engen Gummianzügen und glänzten im Licht eines Unterwasserscheinwerfers, der an zwei Kabeln herabhing. Makrelen, Sardinen und Seehechte schwirrten, angelockt von dem gleißenden Licht, in Schwärmen umher. Die drei Taucher achteten nicht auf sie. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Wrack, das zu einem Viertel aus dem sandigen Grund ragte und von Algen und Muscheln überwachsen war. Mit Spezialwerkzeugen, die an Stahlseilen heruntergelassen wurden, gingen die Taucher das Schiffswrack an und lösten Balken um Balken, um an die begehrte Beute zu gelangen, die im Innern der Brigg auf sie wartete. Luftblasen quirlten aus den Ventilen und stiegen schäumend 5 �
an die Oberfläche. Es dauerte eine Weile, bis die Männer die Decksplanken soweit beseitigt hatten, daß einer von ihnen in das Innere des Wracks vorstoßen konnte. Ein Handscheinwerfer flammte auf, und wenig später kam der Taucher wieder zum Vorschein. Dabei stieß er den rechten Daumen senkrecht in die Höhe. Das hieß schlicht und einfach: Wir haben es geschafft, Sportsfreunde! Der zweite Taucher glitt geschmeidig wie ein Aal heran. An einem Kabel zog er eine Unterwasserkamera und ein Verbindungskabel hinter sich her, das sie mit dem Bergungsschiff hoch über ihnen verband. Die Blitze der Kamera in dem wasserdichten Gehäuse flammten auf und erhellten für Bruchteile von Sekunden die schweren, eisenbeschlagenen Truhen im Laderaum. Eine von ihnen klaffte etwas auf. Goldmünzen aus vergangener Zeit glänzten verlockend im Licht. Noch viermal leuchtete der Fotoblitz auf, dann zog sich der Kameramann zurück. Er hatte gerade die Kamera für weitere Aufnahmen vorbereitet, da erstarrte er in seinen Bewegungen. Seine Rechte, die den Griff am Gehäuse umklammerte, löste sich und sank kraftlos herab, während seine Augen auf etwas starrten, das sich pfeilschnell auf sie zu bewegte. Auch die beiden anderen hatten die Gefahr gewittert. Sie wandten sich in Blickrichtung ihres Kollegen und glaubten sich plötzlich in die Welt der Geister und Dämonen versetzt. Das, was da auf sie zuglitt und sie einkreiste, konnte es einfach nicht geben! Der eine wischte sich verzweifelt mit dem Handrücken über das Glas der Taucherbrille… Aber die geschmeidigen Gestalten vor ihm blieben! Sie waren mit einer Handbewegung nicht wegzuwischen. 6 �
Der dritte Taucher, der sich etwas abseits an der morschen Reling aufhielt, versuchte als einziger gegen diesen bösen Spuk anzukämpfen. Seine Hand griff nach dem Tauchermesser an seinem Gürtel und zerrte es aus der Scheide. Zu spät! Bevor er die Waffe zum Einsatz bringen konnte, glitt eine weitere Gestalt von hinten an ihn heran und schnitt ihm die Versorgungsschläuche dicht an der Sauerstoff-Flasche durch. Ein Luftschwall schoß heraus und zischte nach oben. Der zweite Taucher hatte in seiner Panik das Werkzeug fallen lassen und wollte fliehen. Mit kräftigen Stößen und Paddelbewegungen seiner Schwimmflossen an den Füßen versuchte er, aus dem Gefahrenbereich zu gelangen. Aber ihn ereilte das gleiche Schicksal. Ganz plötzlich wurde die Luftzufuhr unterbrochen, und statt Sauerstoff schoß Salzwasser in seine Lungen. Seine Bewegungen erschlafften, und dann wurde sein Körper mit gespreizten Beinen von einer Strömung erfaßt und abgetrieben. Der einzige Überlebende hatte erkannt, daß es für ihn kein Entkommen gab. Aber er tat in dieser Situation das einzige, was ihm noch zu tun übrig blieb. Der Blitz in der Unterwasserkamera flammte zweimal kurz hintereinander auf. Danach ließ der Taucher die Kamera los und tastete nach dem Schalter, der die Sprechanlage in seiner Tauchermaske betätigte. »Sie bringen uns um, Amigos!« stieß er hervor. »Paco und Silvio haben sie bereits erledigt. Es sind Monster… no, keine Menschen! Si, es sind halbe Menschen, und sie wissen mit dem Messer umzugehen… Heilige Madonna, sie dringen auf mich ein und stoßen zu. Seht euch vor… zieht die Kamera… oh…« Seine Stimme endete in einem dumpfen Gurgeln, als Salzwasser in seine Kehle drang. Dann wurde auch sein Körper von der Finsternis verschluckt. 7 �
*
Siebzig Meter über dem Ort des unheimlichen Geschehens dümpelte die ›Esperanza‹ auf den leichten Wellen des Atlantik. Die drei Männer im Ruderhaus blickten sich kopfschüttelnd an, als die Meldung aus dem Lautsprecher kam. Der eine von ihnen, ein kräftiger Typ mit braungebranntem Oberkörper, schob sich die weiße Kapitänsmütze in den Nacken und griff nach den Zigaretten neben dem Funkgerät. »Unterwasserkoller!« knurrte er und brannte sich eine Fortuna an. »Hab ich selbst mal am eigenen Leib zu spüren bekommen, als ich im Mittelmeer vor der marokkanischen Küste tauchte. Du siehst ganz plötzlich Gespenster vor dir auftauchen und erlebst sie hautnah. Ihr werdet sehen, Emilio wird sich gleich wieder melden. So ein Koller geht meistens rasch wieder vorbei.« Der Mann neben ihm, der ein verschwitztes weißes Hemd über den Jeans trug, schien sich mit der Erklärung nicht zufrieden zu geben. »Im Koller spricht man anders, Claudio«, sagte er bedächtig. »Nicht so klar und doch voller Entsetzen wie Emilio. Er ist doch ein alter Hase. Die Kinderkrankheiten unter Wasser hat Emilio längst hinter sich. Ich glaube nicht an einen Tiefenkoller.« Claudio Tolosa, der das Unternehmen leitete, zuckte die Achseln. Er machte noch ein paar hastige Züge an seiner Zigarette und schnippte sie dann durch das offene Fenster über Bord. Dann ergriff er das Mikrofon und hielt es vor die Lippen. »Emilio, bitte melden!« sagte er mit erzwungener Ruhe. »Sag’ mir, ob bei euch alles in Ordnung ist. Over!« Er drückte auf die Empfangstaste, aber im Lautsprecher blieb es ruhig. »Vielleicht hat er in seinem Koller die Verbindung unterbro8 �
chen«, suchte Claudio nach einer Erklärung. »Das würde Emilio nie tun«, meinte der andere. »Ich habe mir seine Nachricht noch mal durch den Kopf gehen lassen. Unten ist etwas faul. Wer weiß, welches Gesindel sich da herumtreibt und uns den Schatz vor der Nase wegschnappen will. Ich gehe jede Wette ein, daß jemand von unserem Unternehmen Wind bekommen hat. Weshalb erwähnte Emilio die Kamera? Wahrscheinlich deshalb, weil er damit Beweise für meinen Verdacht geschossen hat. Wer weiß, vielleicht haben sich ein paar Typen derart unkenntlich gemacht, daß er sie für Monster ansah.« Claudio Tolosa war nachdenklicher geworden. »Vielleicht ist da etwas dran«, knurrte er. »Wir haben zwar in der näheren Umgebung kein anderes Schiff ausmachen können, aber ich schlage vor, daß wir uns um die Jungs da unten kümmern. Kommst du mit, Felice?« Felice Martes, ebenfalls ausgebildeter Taucher, nickte. »Vier Augen sehen mehr als zwei«, sagte er. »Bueno, machen wir uns fertig.« Sie schlüpften in ihre Taucheranzüge und ließen sich von Pedro Viti, dem Bordmechaniker, die Sauerstoff-Flaschen auf den Rücken schnallen. Dann stülpten sie die Tauchermasken vor Mund und Nase und klemmten sich die Mundstücke der Aqualunge zwischen die Zähne. Nach kurzer Überprüfung der Atemanlagen stapften sie hinüber zur Reling, wo Pedro ihnen sicherheitshalber ein Nylonseil an den Gürtel befestigte. »Seid vorsichtig!« gab Pedro Viti ihnen mit auf den Weg. »Ich lasse die Seile langsam nach. Sollte es da unten stinken, ziehe ich euch so rasch es geht an Bord.« Claudio Tolosa und Felice Martes nickten. Dann sprangen sie ins leicht bewegte Wasser und tauchten. Aufsteigende Luftblasen und die nachgleitenden Sicherungs9 �
seile verrieten die Stelle, wo die beiden verschwunden waren. Felice und Claudio blieben unter Wasser auf Sichtweite. Langsam, um sich an die veränderten Druckverhältnisse zu gewöhnen, glitten sie in die Tiefe. Sie konnten die Stelle, an der das alte Wrack lag, unmöglich verfehlen, da neben ihnen die Kabel für Unterwasserscheinwerfer und Sprechanlage verliefen. Eine halbe Stunde, nachdem sie die letzte Meldung Emilios empfangen hatten, erreichten die beiden Taucher die Brigg. Sie verständigten sich durch Handzeichen, während sie wachsam die Umgebung nach ihren drei Kollegen absuchten. Der Scheinwerfer erhellte lediglich einen Teil des Wracks im Umkreis von fünf Metern. Dahinter war undurchdringliche Finsternis. Unruhe bemächtigte sich der beiden Männer, als sie keine Spur von ihren Kollegen fanden. Plötzlich deutete Claudio auf etwas zwischen den weißen Korallen. Es war die Unterwasserkamera, die Emilio fallen gelassen hatte. Sie hing glücklicherweise zwischen den Korallen verklemmt und war dadurch nicht abgetrieben worden. Claudio Tolosa hob die Kamera auf und blickte auf die Filmanzeige hinter der kleinen Kunstglasscheibe. Emilio hatte den ganzen Film verbraucht. Claudio löste die Sicherheitsleine von seinem Gürtel, verknotete das Gehäuse an seinem Tragegriff und zog dreimal am Seil. Sofort schwebte die Kamera in die Höhe. Wenig später kam das Seil, beschwert durch ein Bleigewicht, in die Tiefe zurück. Felice hatte sich inzwischen in der näheren Umgebung des Wracks umgesehen. Mit ruhigen Bewegungen umrundete er die Brigg und leuchtete mit seinem Handscheinwerfer auf jede erreichbare, interessante Einzelheit. Von den drei vermißten Kollegen war noch immer nichts zu entdecken, und Claudio hatte seine Theorie von einem Tiefen10 �
rausch längst aus seinen Überlegungen verdrängt. Er hatte sich inzwischen wieder angebunden, schwamm auf Felice zu und bedeutete ihm, die weitere Umgebung abzusuchen. Im Abstand von knapp zwei Metern, ständig nach allen Seiten sichernd, schwammen sie dicht über dem unebenen Meeresboden. Jeder von ihnen hatte das sichere Gefühl, daß etwas Schreckliches geschehen war und Emilios letzte Meldung bittere und tödliche Wahrheit gewesen war. Immer wieder blickten die beiden Männer sich an. Eine stumme Frage war zwischen ihnen. Ganz plötzlich erfuhren sie die schreckliche Wahrheit. Vor ihnen tauchte der reglose Körper eines ihrer Kollegen auf… Während Felice Martes sich um den Toten kümmerte und ihn am Sicherungsseil befestigte, sicherte Claudio wachsam die Umgebung ab. Langsam glitt der tote Taucher nach oben. Die Suche nach den beiden anderen Vermißten blieb ohne Erfolg. Resigniert kehrten Claudio und Felice zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Bei dem Wrack hatte sich nichts verändert; der Unterwasserscheinwerfer pendelte leicht in der schwachen Strömung. Erst jetzt kümmerte Claudio Tolosa sich um die Arbeiten, bei denen ihre drei Kollegen unterbrochen wurden. Behutsam glitt Claudio über die glitschigen Decksplanken bis zu der Stelle, wo die anderen die morschen Planken herausgerissen hatten. Mit dem Handscheinwerfer leuchtete er in den Bauch des Wracks. Er erstarrte, dann winkte er Felice aufgeregt zu sich heran und deutete in den Laderaum. Felice schwamm heran und beugte sich über das Loch. Ein Blick genügte ihm. Dann machte er kehrt. Die beiden Männer hatten genug gesehen. Langsam glitten sie in die Höhe und erreichten unter Einhaltung der Wartefrist, die 11 �
ihre Körper benötigten, um sich den veränderten Druckverhältnissen anzupassen, das Bergungsschiff, das im prallen Sonnenschein im Golf von Los Antunes, im Südwesten Spaniens, dümpelte. Pedro Viti half den schweratmenden Tauchern an Deck und befreite sie von den Sauerstoff-Flaschen. Der Blick der beiden fiel auf ihren erstickten Kollegen Silvio. Sie hatten ihn auf die Decksplanken gelegt und ihm den Taucheranzug vom Körper gestreift. Pedro deutete auf das abgeschnittene Ende des Verbindungschlauchs an der Aqualunge. »Ganz eindeutig mit einem scharfen Messer gekappt worden«, sagte er mit belegter Stimme. »Die anderen müssen in der Übermacht gewesen sein, sonst hätten unsere Amigos nicht eine solche Niederlage einstecken müssen. Mierda!« »Und wer sind diese anderen?« stieß Claudio Tolosa hervor. »Wir haben keinen Kahn in unserer Nähe ausmachen können, der Taucher an Bord gehabt haben könnte. Selbst wenn sie über die modernsten Tauchgeräte verfügten, hätten sie nach spätestens einer Stunde wieder auftauchen müssen.« »Stimmt genau«, pflichtete Felice Martes ihm bei. »Wir und die gesamte Mannschaft haben die Umgebung mit Gläsern abgesucht und nichts entdeckt. Und was das Verrückteste ist: Die Brigg wurde ausgeraubt, wie wir uns selbst überzeugen konnten.« »Noch ist nicht sicher, ob sich der Schatz wirklich im Wrack befindet«, wandte Claudio ein. »Wir wissen lediglich aus alten Unterlagen, daß an Bord der Brigg Goldmünzen lagerten. Ob sie allerdings wirklich da unten waren, wissen nur unsere toten Freunde im Jenseits. Hoffen wir, daß Emilio uns noch einen letzten Dienst erwiesen hat und sein Vermächtnis uns weiterhilft.« »Der Film ist bereits im Labor«, erklärte Pedro Viti. »Aber er12 �
hofft euch nicht zuviel von dem Ergebnis. Oder glaubt ihr, daß der arme Teufel seinen Mörder auf den Film gebannt hat?« * Der sechsundzwanzig jährige Tonio Leon, der die Expedition der ›Esperanza‹ begleitete, hatte unter anderem die Funktion des Fotolaboranten übernommen. Tonio hatte den Film aus der Unterwasserkamera Emilios entwickelt und wartete, eine Zigarette rauchend, das Ergebnis ab. Viel versprach er sich von der Ausbeute nicht. Sicher zeigten die Aufnahmen wieder das Wrack der Brigg, die Taucher bei der Arbeit und vorüberziehende Fische in Kodak-Color. Tonio stippte die aufgerauchte Zigarette in den Ascher, machte Licht und zog die Negative aus dem Entwickler. Nachdem er die Negativrolle getrocknet hatte legte er sie in den Filmbetrachter. Die ersten Aufnahmen bestätigten seine Annahme. Als er jedoch bei den letzten Aufnahmen anlangte, begannen seine Hände zu zittern, und er spürte, wie Brechreiz in ihm hochstieg. Schweiß trat auf seine Stirn. Er ließ sich stöhnend auf einen Hocker sinken. »Das gibt es doch nicht«, würgte er hervor. Seine zitternden Hände spulten die Rolle noch mal zurück. Deutlich erkannte er, was sich in den letzten Sekunden vor dem grauenhaften Ende der drei Taucher auf dem Grund des Atlantik abgespielt hatte. Der junge Spanier war vor Entsetzen wie gelähmt. Auf den Gedanken, von den Negativen Abzüge zu machen, kam er nicht. Den langen Streifen in den Händen, sprang er auf, stieß die Tür mit der Schulter auf, rannte wie von Panik erfüllt durch den Niedergang und hastete dann die Stufen hinauf an Deck. Claudio Tolosa, Felice und Pedro blickten Tonio überrascht an. 13 �
»Ist dir ein Gespenst über den Weg gelaufen?« knurrte Pedro Viti, als er in Tonios schreckensbleiches Gesicht starrte. Die Blicke der drei Männer fielen auf den Negativstreifen, den Tonio in Händen hielt. »Was ist mit dem Film?« stieß Felice Martes hervor. Tonio Leon hob den Streifen mit einer hilflosen Bewegung hoch. »Es ist grauenhaft«, würgte der junge Spanier hervor. »Seht euch das an!« Claudio nahm Tonio den Negativstreifen aus der Hand und hielt ihn gegen das Sonnenlicht. Seine Gesichtsfarbe hatte sich ins Grünliche verwandelt, und Felice, der dicht neben ihm stand, stieß rasselnd den Atem aus. »Madre de Dios«, krächzte er. »Das sieht ja aus wie in einem Gruselfilm!« »Emilio dürfte sich da unten kaum mit Filmtricks befaßt haben«, murmelte Claudio. »Seht es euch genau an! Unsere Männer wurden von Wesen angegriffen, die es einfach nicht gibt, die der Phantasie eines kranken Hirns entsprungen sein müssen. Aber die Aufnahmen beweisen das Gegenteil! Es waren Menschen mit Delphinschädeln… Seht doch, sie halten Messer in den Händen und greifen Paco und Silvio an…« Felice Martes schüttelte unwillig den Kopf. »Ich halte die Köpfe für Attrappen«, knurrte er. »Und woher bekommen die Gestalten Atemluft?« gab Claudio erregt zurück. »Ihre Körper sind nackt, und auf den Schultern sitzen Delphinköpfe. Seht ihr etwa Atemgeräte? Das sind keine menschlichen Wesen, sage ich euch.« »Fischmenschen, Amphibien also«, stieß Felice hervor und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Jetzt begreife ich auch Emilios letzte Worte. Es sind Monster keine Menschen, halbe Menschen hat er gesagt. Weshalb haben sie unsere Freun14 �
de umgebracht? Und von wem wurden sie geschaffen? Meeresdämonen vielleicht?« Claudio Tolosa hatte die anderen Negative gesichtet und einer Prüfung unterzogen. »Die Frage, weshalb man sie umgebracht hat, kann ich dir sofort beantworten«, verkündete er düster. »Paco und Silvio waren dicht am Ziel. Sie hatten den Goldschatz freigelegt, wie du auf der einen Aufnahme sehen kannst. Und was haben wir da unten beobachtet?« Felice ballte die Fäuste. »Diese Schweine!« fluchte er. »Die Amphibien haben uns den Schatz vor der Nase weggeklaut.« »Wenn es nur das wäre!« stöhnte Claudio Tolosa. »Wir haben drei gute Freunde verloren. Und das Schlimmste ist, daß wir nicht mal wissen, welche Teufelei dahintersteckt.« »Und was sollen wir jetzt unternehmen?« knurrte Felice Martes. »Sind wir jetzt gezwungen, das Unternehmen abzubrechen? Wir haben doch, die Bergungsrechte der spanischen Regierung und sind berechtigt, die vergessenen Schiffe vor unserer Küste aufzuspüren und auszubeuten. Sollen wir das lohnende Geschäft jetzt aufgeben, indem wir uns einschüchtern lassen?« »Von Einschüchtern kann nicht die Rede sein«, gab Claudio zurück. »Nur sind wir zu schwach, um gegen einen unbekannten, unheimlichen Gegner anzutreten, der uns da unten überlegen ist.« »Du hast also Angst vor diesen Amphibien«, stellte Felice Martes fest. »Wenn du mich fragst, so halte ich das Gruselkabinett da unten für einen gemeinen Trick, um uns den Aufenthalt hier zu vermiesen.« »Das ist nicht ausgeschlossen, Felice«, gab Tolosa zu. »Du hast nur vergessen, daß wir Beweise dafür haben, daß uns ein unheimlicher Gegner gegenübersteht, der uns haushoch überlegen 15 �
ist. Wir fahren zurück nach Cadiz und legen unser Beweismaterial den zuständigen Behörden vor.« »Man wird uns auslachen«, prophezeite Felice Martes. »Wir haben einen Toten an Bord«, knurrte Claudia. »Da dürfte jedem das Lachen vergehen.« * Ein triumphierendes Lächeln lag auf dem Gesicht des Professors, als er den im Heck des Unterwasserfahrzeugs gelegenen, langgestreckten Raum betrat. Der Raum war ein schwimmendes Becken. In dem kristallklaren Wasser, das von Scheinwerfern erhellt wurde, trieben vier Amphibien, wie der unheimliche Wissenschaftler die von ihm geschaffenen Fischmenschen bezeichnete. Die Amphibien wirkten erschöpft. Müde ließen sie Arme und Beine im Wasser treiben. Einen völlig gegenteiligen Eindruck machten die Delphinköpfe. Sie ragten aus dem Wasser und sogen die gefilterte Luft ein. Vergnügt und listig blinzelten sie zu dem Mann hinüber, der sich zu ihnen herabbeugte und leise auf sie einsprach. »Ihr habt mich nicht enttäuscht, meine Lieblinge«, flüsterte er. »Ihr habt eure Sache gut gemacht. Dafür werdet ihr mit besonders feinen Bissen belohnt werden. Zudem werdet ihr bald Gesellschaft bekommen. Staunen werdet ihr, meine Amphis!« Der sehnige Mann richtete sich auf und verließ den Raum. Er erreichte die Kabine, die nur er, Oswaldo Campana und seine vertrautesten Mitarbeiter betreten durften. Dieser Raum, steril wirkend wie eine Mischung aus Labor und Operationssaal, wies unter anderem eine Anzahl kleinerer Stahlfächer auf, in die Elektrokabel und feine Kupferleitungen mündeten. Außen angebrachte Manometer und Druckanzeiger regis16 �
trierten Temperatur und Spannungen des geheimnisvollen Innenlebens der Stahlfächer. Die Augen des Professors wanderten prüfend über die Kontrollanzeigen. Er nickte zufrieden, als er alles in bester Ordnung fand. In das Tauchboot war Bewegung gekommen. Der Rumpf erzitterte leicht, als die Elektromotoren summten und das stählerne Gefährt über den Meeresboden glitt. Ein modernes Radarsystem verhinderte, daß das Boot mit Riffen und anderen Hindernissen kollidierte. Der Professor verließ den Raum durch eine andere Stahltür und betrat die Kommandozentrale. Oswaldo saß hinter seinem Steuerpult und dirigierte das Unterwassergefährt seinem Ziel entgegen. Über einen Bildschirm verfolgte er den Meeresgrund, der von den Scheinwerfern erhellt wurde. Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht, als vier mit breiten Metallbändern beschlagene Kisten auf dem Bildschirm sichtbar wurden. »Meine Amphis haben perfekt gearbeitet«, stellte der Professor zufrieden fest. »Du kannst die Kisten bergen, Oswaldo. Danach steuern wir umgehend unsere Basis an.« Oswaldo nickte nur und konzentrierte sich auf seine Tätigkeit. Geschickt dirigierte er das Gefährt über die Beute. Wenig später glitten hydraulisch betriebene Greifarme aus dem Rumpf des stählernen Kolosses. Zielsicher umklammerten ihre Zähne die Kisten und hoben sie in die Druckschleuse. Nachdem das Wasser aus der Schleuse gepumpt worden war, betrat der Professor die noch feucht schimmernde Stahlkammer. In seinen Augen blitzte es triumphierend auf, als er vor den vier Kisten stand, die einen unschätzbaren Reichtum beinhalteten. Mit einem Stemmeisen brach er die erste Kiste auf. Alte spanische und portugiesische Goldmünzen schimmerten im kalten 17 �
Neonlicht. Gierig griff der Professor mit beiden Händen in den Schatz hinein und ließ die schweren Goldmünzen durch die Finger gleiten. »Das ist erst der Anfang«, murmelte er, und seine Gedanken schweiften in die Zukunft. Es war in der Tat nur der Auftakt zu weiteren scheußlichen Taten, die dem Hirn eines von Dämonen besessenen Mannes entsprangen, der sich an keine Regeln der Menschlichkeit hielt, um seine teuflischen Pläne zu verfolgen. * Ein sonniger Sonntag lag über Cadiz, der größten spanischen Hafenstadt am Atlantik. In der großen Bucht von Cadiz lagen Dutzende von Frachtschiffen vieler Nationen vor Anker. Segelund Motorboote durchschnitten das ruhige Wasser, das bei Ebbe nur wenige leichte Wellen aufwies. Am nördlichen Zipfel der auf einer Halbinsel errichteten Stadt befand sich das neue Schwimmstadion, in dem an diesem Wochenende die Landesmeisterschaften ausgetragen wurden. Die Ausscheidungskämpfe am Vortrag waren vorüber, und am heißen Sonntag ging es um den Sieg in den einzelnen Disziplinen. Vor den vollbesetzten Rängen wurde die Entscheidung im freien Stil der Männer angekündigt. Acht Meister aus sämtlichen spanischen Provinzen stiegen auf die Startblöcke. Die Stimme des Stadionsprechers überschlug sich, als der hünenhafte Favorit aus Cadiz sich vor den spanischen Meister schob und die Strecke mit vier Zehntelsekunden für sich entschied. Die Siegesfanfare ertönte wenig später, als der Sieger das Treppchen erstieg und sich feiern ließ. Die Kämpfe in den anderen Disziplinen wurden fortgesetzt. 18 �
Juan Rodrigo, der neue spanische Meister im Freien Stil, sprang vom Podest und blickte stolz lächelnd auf die Goldmedaille, die ihm der Schwimmerpräsident mitsamt einer Urkunde überreichte. Kameraverschlüsse klickten. Schwärme von Gratulanten umringten ihn und klopften ihm begeistert auf die Schulter. Nichts wie weg von hier, dachte Juan, sonst erdrücken sie dich noch. »Hola, muy bueno, Juanito!« rief ein sonnengebräunter Mann, der ein Golfhütchen trug und ein rotes Frotteetuch um seinen Hals geschlungen hatte. Er reichte Juan eine Colaflasche. »Nimm einen Schluck, du kannst ihn gebrauchen.« Juan Rodrigo, vierundzwanzig Jahre alt und Medizinstudent an der Universität in Cadiz, schnappte sich die Flasche und war froh, den Gratulanten entfliehen zu können. Als er sich aus der Menge gelöst hatte, nahm er einen Schluck aus der Flasche und lief zu den Umkleidekabinen. Sein Schritt wurde plötzlich schleppend, und er spürte, wie Müdigkeit in ihm emporkroch. Verrückt, dachte er. Du bist doch sonst nicht so schlapp nach einem Wettkampf. Wahrscheinlich ist es die Hitze, die dir heute zu schaffen macht. Die Umkleidekabinen tauchten vor ihm auf, aber ihre Umrisse verschwammen vor seinen Augen und nahmen bizarre Formen an. Keuchend lehnte Juan Rodrigo sich gegen die kühle Wand. Er schloß die Augen und spürte nicht mehr, wie die Knie ihren Dienst versagten und er wie eine erschlaffte Gummipuppe zu Boden sank. Er hörte auch nicht den erschreckten Ruf eines Masseurs, der in einer Tür erschien. »Eh, Juan, was ist los mit dir?« rief der kräftige Mann, dessen Bizeps sich unter dem T-shirt wölbten. Er packte den Schwim19 �
mer an der Schulter und rüttelte ihn sanft. Juan rührte sich nicht. Nur seine breite Brust hob und senkte sich unter den schweren Atemzügen. Der sonnengebräunte Mann, der Juan zuvor die Colaflasche gereicht hatte, tauchte auf. »Was ist passiert?« rief er beim Näherkommen. »Erschöpfung, total ausgeflippt, vermute ich«, erwiderte der Masseur. »Wir brauchen einen Arzt.« »Ich bin zufällig Arzt«, erklärte der Braungebrannte und griff nach dem Puls des Bewußtlosen. »Er muß sofort ins Hospital. Der Herzschlag ist sehr langsam. Bleiben Sie bei ihm! Ich rufe eine Ambulanz.« Der Masseur nickte nur und blickte hinter dem Arzt her, der um eine Ecke verschwand. Nach wenigen Minuten nur rollte ein weißer Ambulanzwagen des Santa-Cruz-Hospital heran. Zwei weißgekleidete Männer sprangen heraus, legten Juan behutsam auf die Trage und schoben sie in den Transportraum. »Ich begleite ihn ins Hospital«, erklärte der Arzt, während er neben dem Bewußtlosen Platz nahm. Bevor der Masseur noch etwas sagen konnte, schlossen sich die Türen, und der weiße Wagen mit dem Malteserkreuz auf den Seitenflächen verließ das Sportgelände. * Die attraktive, schwarzhaarige Reporterin des ›El Dia‹, einem überregionalen Sportmagazin, hatte ihre Aufnahmen gemacht und sah sich suchend nach Juan Rodrigo um. Die vierundzwanzigjährige Carmen Pitera, seit einiger Zeit mit dem Schwimmerstar befreundet, hatte sich ihr Interview mit Juan für den Schluß ihrer Reportage aufgehoben, da er ihr jede Menge Zeit lassen 20 �
würde. Die Kamera baumelte auf ihrer Brust, als sie leicht außer Atem die Umkleidekabinen erreichte. Dort stieß sie auf den Masseur, der hinter dem davonfahrenden Ambulanzwagen herblickte. »In welcher Kabine steckt Juan, Pepe?« fragte sie. »Juan hat schlapp gemacht, Señorita«, erwiderte der Masseur. »Totale Erschöpfung, meinte der Médico, der ihn ins Hospital begleitet. Juan hat sich vermutlich zu viel zugemutet.« Carmen Pitera blickte Pepe entsetzt an. »Madre de Dios!« stieß sie hervor. »Wo bringen sie ihn hin?« »Ins Santa-Cruz-Hospital…« Die junge Reporterin hatte genug gehört. »Ich muß mich um ihn kümmern!« rief sie und hastete hinüber zum Parkplatz, wo sie ihren knallroten MG abgestellt hatte. Nachdenklich blickte Pepe ihr nach. Dann wandte er sich ab, um die Veranstalter von dem Zwischenfall zu informieren. Carmen hatte inzwischen ihr Sport-Cabrio erreicht. Sekunden später saß sie hinter dem Lenkrad, startete und jagte mit durchdrehenden Reifen davon. Eine hellbraune Staubwolke blieb zurück. Die Reporterin schätzte, daß sie höchstens vierzig Sekunden hinter dem weißen Sanka lag. Sie trat das Gaspedal bis zur Matte durch, als sie die Küstenstraße erreichte, die an der Bucht entlangführte. Das schwarzhaarige Mädchen lenkte den MG auf die Überholspur. Weit vor sich erkannte sie den Ambulanzwagen. Irritiert kniff sie die Augen zusammen, als sie sah, wie der Sanka die Schnellstraße hinunter nach San Fernando nahm. Was ist denn in den Chauffeur gefahren? schoß es ihr durch den Kopf. Um das Hospital zu erreichen, hätte er doch bei der nächsten Kreuzung abbiegen müssen… War der Sankafahrer etwa ortsfremd? 21 �
Carmen erhöhte das Tempo und betätigte wütend das Dreiklanghorn, als ein Wagen vor ihr auf die Überholspur einkurvte. Sie mußte bremsen und verlor dadurch kostbare Sekunden. Während sie die Dammstraße hinter sich ließ und die Umgehungsstraße von San Fernando nahm, versuchte sie sich einen Reim auf den seltsamen Zwischenfall zu machen. Sie war mit Juan Rodrigo seit über zwei Jahren befreundet, und sie hatten sich vorgenommen zu heiraten, sobald Juan sein Staatsexamen hinter sich hatte. Von Anfang an hatte sie Juans sportliche Karriere verfolgt und konnte sich einfach nicht vorstellen, daß der heutige Sieg ihn umgeworfen hatte. Juan war ein kerngesunder, kräftiger und durchtrainierter Mann, dem die Sonne Andalusiens und Strapazen nichts ausmachten. Carmens ausgeprägter weiblicher Instinkt signalisierte ihr, daß an dem unerwarteten körperlichen Zusammenbruch einiges faul war. Wieso fuhr der Ambulanzwagen nicht auf schnellstem Weg ins nächstgelegene Krankenhaus, sondern auf die Küstenstraße zu? Wohin brachten sie Juan? Der Abstand zwischen dem roten MG und dem Ambulanzwagen betrug etwa sechshundert Meter. In weiten Schleifen und Kurven zog sich die Straße durch grünes Hügelland und kleine, verschlafen wirkende Ortschaften. Der Verkehr war zu dieser sonntäglichen Nachmittagsstunde mäßig. Trotzdem war Carmen immer wieder gezwungen zu bremsen, wenn sie einen Wagen überholen wollte und durch ein entgegenkommendes Fahrzeug daran gehindert wurde. Obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit neunzig Stundenkilometer betrug, fuhren Carmen sowie der Fahrer des Sanka weitaus schneller. Carmen Pitera wollte mit allen Mitteln den Ambulanzwagen einholen und zum Halten zwingen. Sie mußte sich um Juan kümmern und wissen, wie es um ihn stand. 22 �
Chiclana de la Frontera blieb zurück, und die Straße führte weiter nach Süden, nach Conil und Vejer. Der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen hatte sich nicht verringert. Lag das Ziel der Ambulanz in einem der beiden Orte? Doch die Fahrt ging noch weiter nach Süden. Carmen kannte die Straße. Bei der Sierra de la Plata wurde die Strecke kurvenreicher und der Verkehr stärker. Dort mußte es ihr gelingen, mit dem weitaus wendigeren MG den Sanka zu stellen. Der Fahrer des Ambulanzwagens schien die Gedanken, seiner Verfolgerin zu ahnen. Als sein Wagen die sich links entlangziehende Laguna de la Janda passierte, überholte er haarscharf einen Tanklaster, der schwarze Auspuffwolken hinter sich ließ. Wenige Meter weiter riß er den Wagen nach rechts auf einen geteerten Weg, der in die Sierra hineinführte. Dieser Vorgang blieb der Verfolgerin verborgen. Wenige Sekunden später überholte Carmen Pitera den Tankzug und mußte erkennen, daß der weiße Wagen verschwunden war. Doch dann sah sie im rechten Außenspiegel die Staubfahne über dem Seitenweg. Wertvolle Minuten verstrichen, bevor Carmen den MG auf der belebten Straße wenden konnte, um die Verfolgung fortzusetzen. Als sie endlich in den Seitenweg einfuhr, war von dem anderen nichts mehr zu sehen. Nur eine Staubfahne in der Feme verriet ihr, daß sich dort ein Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit entfernte. Doch so rasch ließ Carmen sich nicht ins Bockshorn jagen. Sie war eine energische Person, die nicht so leicht aufgab, wenn sie sich in etwas verbissen hatte. Juan schwebte in Gefahr, das spürte sie immer deutlicher. Sie hatte keine Ahnung, wohin der Weg führte. Er schlängelte sich an steilen und bewaldeten Hängen in ein Tal. Als sie eine Gera23 �
de erreichte, sah sie weit vor sich den himmelblauen Atlantik. Dann bemerkte sie die flachen Gebäude oberhalb des felsigen Ufers. Eine Warntafel geriet in ihr Blickfeld: »Privatstraße Durchfahrt verboten!« Carmen nahm den Fuß vom Gas und trat auf die Bremse, als der rotgestrichene Schlagbaum ihr die Weiterfahrt versperrte. An dem aufgewühlten Bankett zu beiden Seiten der Straße erkannte sie, daß hier öfters Fahrzeuge wendeten. Die junge Reporterin hatte nicht die Absicht, vor dem Schlagbaum zu kapitulieren. Sie stieg aus und ging auf die Sperre zu. Ein eisiger Schreck durchzuckte sie, als jemand sie von der Seite ansprach… * Juan Rodrigo hatte nicht die geringste Ahnung, wo er sich befand, als er verwirrt die Augen aufschlug. Er blickte in kaltes Neonlicht, das ihn im ersten Augenblick blendete. Ein leichter Druck in der Schläfengegend erinnerte ihn daran, daß ihm bei den Umkleidekabinen übel geworden war und daß er zusammengeklappt war. Wo aber befand er sich jetzt? Seufzend schwang er sich von der Kunststoffliege und kam auf die Füße. Als er an sich herunterblickte, stellte er fest, daß er immer noch die Badehose trug, die inzwischen getrocknet war. Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Raum fensterlos war und die beiden Türen innen keine Klinken hatten. Fast wie in einer Klapsmühle, überlegte Juan Rodrigo verwirrt und konnte nicht verhindern, daß sich ein Kloß in seiner Kehle breitmachte und sein Magen verkrampfte. Er neigte den Kopf nach rechts, als er hinter einer der Türen Stimmen vernahm. Doch er konnte nicht verstehen, was sie sag24 �
ten. � *
Carmens Kopf ruckte herum, und sie blickte auf einen schlanken Mann im andalusischen Reitdreß. Stiefel, dunkle Hosen, Lederchaps, weißes Rüschenhemd und ein flacher, schwarzer Cóorrdobez auf dem Kopf. »Hier ist für Sie die Welt zu Ende, Señorita«, erklärte er und glitt geschmeidig aus dem Sattel seiner braunen Araberstute. Hinter dem Schlagbaum blieb er stehen und deutete mit der behandschuhten Rechten auf das Hinweisschild. »Hier ist privates Gelände!« Die Reporterin hatte sich rasch wieder gefangen. »Hab’s gelesen«, erwiderte sie und musterte ihr Gegenüber kühl. »Dann empfehle ich Ihnen, den Wagen zu wenden und dorthin zu fahren, wo Sie hergekommen sind«, sagte der Reiter unfreundlich. Ein drohender Unterton lag in seiner Stimme. Carmens Blick wanderte über die Gestalt des anderen und blieb an seinem Gesicht haften. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen und glänzten wie feuchte Kohlen. Seine schmalen Lippen unter dem buschigen Schnurrbart glichen einer Sichel. Der Mann war ihr vom ersten Augenblick an unheimlich und unsympathisch. Sie spürte die Gefahr, die von ihm ausging. »Ich bin auf der Suche nach einem weißen Ambulanzwagen aus Cadiz«, machte sie dem Reiter klar. Der andere lachte spöttisch. »Hier in der Gegend?« mokierte er sich. »Hier ist alles gesund. Sie haben sich bestimmt in der Gegend geirrt.« Carmen schüttelte den Kopf. Sie registrierte den prüfenden Blick des Mannes, der an ihrer schlanken Gestalt herabglitt und 25 �
an den hautengen Jeans haften blieb. Ihr war, als zöge er sie mit den Augen aus. »Aber ich sah den Wagen doch in diese Richtung fahren, Señor«, gab sie unbeeindruckt zurück. »Es war ein weißer Citroen vom Santa-Cruz-Hospital in Cadiz.« Der Mann grinste sie an. »Sie sollten das Verdeck Ihres Flitzers zuklappen«, schlug er spöttisch vor. »Die Sonne scheint Ihnen nicht bekommen zu sein. Also, noch einmal: hier ist kein Ambulanzwagen durchgekommen, und es wird auch keiner erwartet. Fahren Sie jetzt zurück, wenn ich bitten darf!« Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, schwang er sich in den Sattel und trabte davon. Mit gefurchten Brauen starrte Carmen Pitera hinter dem Reiter her, der an dem hohen Stacheldrahtzaun entlangritt, der das Gelände sicherte. Carmen hatte plötzlich Zweifel. Vielleicht hatte sie sich doch geirrt und die Staubwolke, die sie gesehen hatte, stammte von einem galoppierenden Reiter. War es nicht möglich, daß sie durch das Überholmanöver und das zeitraubende Wenden auf der Hauptstraße nicht mitbekommen hatte, wohin der Sanka in Wirklichkeit gefahren war? Kopfschüttelnd kehrte sie zu ihrem MG zurück, glitt hinter das Lenkrad und wendete den Wagen. Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume, während sie die kurvenreiche, schmale Straße zurückfuhr. Das hagere Gesicht des Reiters wollte ihr nicht aus dem Sinn. Sie ahnte, daß der Mann mit den eiskalten Augen sie belogen hatte. Wie aber sollte sie das Gegenteil beweisen? Knapp eine Stunde später stoppte sie vor dem Portal des SantaCruz-Hospitals im Süden der Hafenstadt. Sie mußte sich davon überzeugen, daß sie nicht geträumt hatte. 26 �
Die Empfangsschwester blickte anzüglich auf die Uhr. Die Besuchszeit war längst vorüber. »Wurde hier vor rund zwei Stunden der Rekordschwimmer Juan Rodrigo eingeliefert, Schwester?« stieß Carmen nervös hervor. Die Empfangsschwester setzte zu einer Verneinung an, verbesserte sich dann aber sofort. »Von einer Einlieferung kann keine Rede sein«, verkündete sie. »Aber als der Ambulanzwagen draußen vorfuhr, sah ich, wie er munter ausstieg, den Kopf schüttelte und sich von einem Taxi wegbringen ließ. War sicher nichts passiert.« Carmen Pitera blickte die Schwester skeptisch an. »Sind Sie auch sicher, daß es Señor Rodrigo war?« hakte sie beharrlich nach. »Er war nur mit einer Badehose bekleidet, nicht wahr?« gab die Schwester zurück. »Si«, murmelte Carmen. »Dann gibt es wohl keinen Zweifel mehr«, tönte es zurück. Die schwarzhaarige Reporterin bedankte sich und fuhr zum Schwimmstadion zurück. Aber dort wußte man nichts vom Verbleib des neuen Meisters. Danach wuchs Carmens Unruhe noch mehr. Für sie stand fest, daß etwas Ungewöhnliches passiert war. Das Taxi hatte Juan weder ins Stadion noch zu seiner Wohnung gebracht, wie sie wenig später feststellte. * Der schlanke Reiter mit den dunklen stechenden Augen hatte nach wenigen Minuten den langgestreckten Gebäudekomplex an der Atlantikküste erreicht. Er führte die rassige Araberstute in den Stall, sperrte die Tür 27 �
hinter sich ab und betrat durch eine Verbindungstür den vorderen Gebäudeteil. Er passierte einen langen Gang, der in den benachbarten Komplex führte, und betrat einen Raum, in dem sich drei Männer aufhielten. Zwei von ihnen trugen weiße Mäntel, der dritte war sonnengebräunt und trug über Shorts ein leichtes Hemd. »Ihr habt euch nicht versehen, Muchachos«, erklärte der Reiter ohne Einleitung. »Die schwarze Kanaille war hinter euch her. Aber mir gelang es, sie abzuwimmeln.« Der Braungebrannte runzelte die Stirn. »Und was für Töne gab sie von sich?« wollte er wissen. Der Reiter wiederholte Carmens Worte und Fragen. »Glaubst du, daß sie sich mit deiner Erklärung zufriedengeben wird?« wandte er Braungebrannte skeptisch ein. »Weiber sind oft mißtrauisch und gelegentlich auch verdammt gefährlich.« Der schlanke Mann winkte gelassen ab. »So gefährlich kam mir die Kleine nicht vor«, meinte er wegwerfend. »War sicher eine seiner vielen Verehrerinnen, die nur neugierig war, wohin man ihren Angebeteten brachte.« Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte eine Weile später. Der Braungebrannte hob ab. »Institut für Meeresbiologie, Lopez am Apparat«, meldete er sich. »Oh, du bist es.« Er hörte sich an, was der Anrufer ihm mitzuteilen hatte, dann legte er zufrieden lächelnd auf und wandte sich wieder den anderen zu. »Die Señorita ist nach Cádiz zurückgefahren und hat sich im Hospital nach Rodrigo erkundigt«, erklärte er. »Sieht so aus, als wäre sie auf unseren Ablenkungstrick hereingefallen.« »Na, was habe ich euch gesagt«, grunzte der Reiter. »Was macht denn unser Neuzugang?« »Der ist munter wie ein Fisch«, sagte einer und lachte scheppernd. 28 �
Der Mann stand an einem Türspion, der in die Tür zum Nebenraum eingebaut war. »Der Bursche nimmt sicher an, daß er sich in der Klapsmühle befindet.« »Der wird sich noch wundern und sich nach einer Klapsmühle sehnen«, knurrte Alfredo Lopez zynisch. »Komm mit, Pablo«, wandte er sich an den schlanken Reiter. »Sehen wir ihn uns näher an.« Die Tür wurde geöffnet, und die beiden betraten den fensterlosen Raum. Juan Rodrigo fuhr herum, als er das Geräusch in seinem Rücken vernahm. »Vielleicht erklären Sie mir, was das alles zu bedeuten hat, Señores!« stieß er empört hervor und ging auf die beiden zu. »Wohin haben Sie mich verschleppt?« Alfredo lächelte. »Du bist in Sicherheit«, erklärte er. »In guten Händen sogar, möchte ich behaupten.« Juan Rodrigo musterte die beiden mißtrauisch. Er glaubte, den Braungebrannten wiederzuerkennen. »Ich habe nach dem Wettkampf abgebaut«, sagte er und blickte den Braungebrannten an, der ihm die Colaflasche gereicht hatte. Blitzartig erkannte er den Zusammenhang. »Zum Teufel, was war in dem Gesöff, das Sie mir gereicht haben? Jetzt begreife ich auch…« »Freiwillig wärst du unserer Einladung bestimmt nicht gefolgt«, wurde er von Alfredo Lopez unterbrochen. »Und was habt ihr mit mir vor?« fauchte Juan Rodrigo aufgebracht. »Wenn ihr mich gekidnappt habt, um ein fettes Lösegeld herauszuschinden, habt ihr euch gehörig in den Finger geschnitten. Meine Familie ist selber froh, daß sie…« »Wissen wir längst alles«, schnitt Lopez ihm das Wort ab. »Du bist es, der für uns interessant ist.« 29 �
Juan verstand überhaupt nichts mehr. »Was soll an mir denn so interessant sein?« knurrte er verständnislos. »Etwa weil ich die Meisterschaft und eine Goldmedaille gewonnen habe?« Alfredo Lopez nickte. »Indirekt schon«, bestätigte er. »Du bist einsvierundneunzig groß, breitschultrig, kräftig gebaut, ein guter Taucher mit prächtigen Lungen und ausdauernd wie ein Fisch. Genau das Modell, das wir benötigen.« »Benötigen?« echote Juan Rodrigo. »Wozu? Als Zuchtbulle etwa? Drücken Sie sich gefälligst etwas klarer aus, Mann! Ich verlange außerdem, daß Sie mich augenblicklich hier herauslassen!« »Wir bestimmen, wann du hier herauskommst, Amigo«, mischte sich Pablo Ortega, der Reiter, ein. »Und komm nicht auf den dummen Gedanken, mit Gewalt ausbrechen zu wollen. Es hat keinen Sinn.« »Was habt ihr mit mir vor?« wiederholte Juan seine Frage. Alfredo Lopez grinste kalt. »Dein Element ist doch das Wasser, nicht wahr?« sagte er. »Wir werden dafür sorgen, daß dir dieses Element erhalten bleibt und du dich wohl fühlst.« »Sauwohl sogar«, sekundierte Pablo Ortega. Im Nebenraum klingelte erneut das Telefon. Wenig später erschien einer der anderen im Türrahmen. »Der Professor möchte seinen neuen Mitarbeiter kennenlernen«, verkündete der Mann. »Komm mit, Juan«, befahl Lopez. Sie nahmen den widerstrebenden jungen Schwimmchampion in die Mitte und führten ihn durch gekachelte Gänge in das benachbarte Gebäude. Eine Treppe führte in die unteren Räume, denen man nicht ansah, daß sie in die Felsen an der steilen Küste 30 �
gesprengt worden waren. Eine als Wand getarnte Stahltür glitt summend zur Seite und schloß sich sofort wieder hinter den drei Männern. Ein unheimliches Gefühl beschlich Juan Rodrigo. Instinktiv spürte er, daß etwas auf ihn zukam, dem er nicht gewachsen war. Eine weitere Tür glitt auf, und dann standen sie in einer unterirdischen Halle, deren Mittelpunkt ein rechteckiges Wasserbecken bildete. Am Kopfende war ein breiter Stahlschieber installiert. Das Wasser schimmerte grünlich, und Juan erkannte sofort, daß es sich um Meerwasser handelte. Dann sah er den sehnigen Mann mit dem schwarzen Kinnbart. Ein unangenehmes Gefühl überkam Juan, als sich die dunklen und stechenden Augen auf ihn richteten. »Das ist unser frischer Nachwuchs, Professor«, erklärte Alfredo Lopez mit respektvoller Verbeugung. Der Professor ließ seinen Blick über die kräftige Gestalt des Schwimmers wandern und nickte zufrieden. »Eine fabelhafte Figur«, murmelte er. »Genau der Typ Mensch, den ich für meine Forschungen benötige.« Er kam langsam auf Juan Rodrigo zu, blieb dicht vor ihm stehen und betastete dann mit seinen langen und dünnen Fingern Bizeps und Brustmuskulatur des Meisterschwimmers. Juan zuckte unter den Berührungen zusammen. Er hatte das scheußliche Gefühl, als krieche eine klebrige Spinne über seine Haut. Angewidert wich er zurück, wurde aber von Lopez und Ortega festgehalten. »Keine Angst, Muchacho«, sagte der Professor kichernd. »Ich beiße dich nicht.« Er deutete auf die Wasserfläche im Becken. »Zeig mir jetzt etwas von deiner Kunst!« Juan blickte den Mann in der weißen Jacke wütend an. 31 �
»Ich bin doch kein dressierter Seehund!« stieß er hervor. »Du wirst schwimmen!« befahl der Professor gefährlich leise. »Ich bin nicht gewohnt, daß man mir widerspricht.« Als Juan Rodrigo noch immer keine Anstalten machte, den Befehl zu befolgen, packten ihn Lopez und Ortega brutal bei den Armen und stießen ihn ins Becken. Das Salzwasser schlug über Juan zusammen. Mit wenigen kräftigen Stößen brachte er sich an die Oberfläche und starrte wütend zu den drei Männern hinauf, die ihn aufmerksam beobachteten. Der Schwimmer erkannte sofort, daß er ohne fremde Hilfe das große Becken nicht verlassen konnte. Der Wasserspiegel lag mehr als einen Meter unter dem Beckenrand, und es war keine Ausstiegsleiter vorhanden. Er war in eine teuflische Situation geraten. »Nun zieh mal hübsch deine Bahn!« rief Alfredo Lopez ihm zu. »Du darfst den Professor nicht enttäuschen!« Nichts werde ich tun, dachte Juan und blieb wassertretend auf der Stelle. »Aha, du willst also nicht«, vernahm er die spöttische Stimme des Professors. »Bueno, dann eben anders!« Er gab Lopez ein Zeichen. Alfredo trat an die Wand und betätigte einen Druckschalter. Hinter der Stirnwand des Beckens summte ein Elektromotor. Juans Augen wanderten in die Richtung des Geräuschs, und er sah, wie die Stahlwand der Schleuse sich langsam in die Höhe schob. Was hat das schon wieder zu bedeuten? überlegte Juan besorgt. Hier wird wohl nur mit dreckigen Tricks gearbeitet? In der Schleuse, die dieses Becken mit einem anderen verband, entstand Bewegung. Das Wasser schäumte auf, einige Gestalten glitten geschmeidig in das Becken. 32 �
Delphine! schoß es Juan durch den Kopf, als er die listigen Gesichter der schwimmenden Säugetiere erblickte. Vier Delphine schwammen auf ihn zu und beäugten ihn neugierig. Wollen sie dich damit etwa schocken? überlegte Juan. Nun, den Spaß würde er ihnen gründlich vermiesen. Er war bereits einige Male in einem Delphinarium mit diesen intelligenten Tieren geschwommen, und er wußte, daß sie harmlos und verspielt waren. Er hörte, wie der sehnige Mann mit dem Kinnbart, den die anderen Professor betitelten, den Delphinen etwas zurief. Sofort glitten zwei der Tiere an seine Seite und nahmen ihn in die Mitte. Juan verharrte noch immer wassertretend auf dem Fleck. Dann aber fuhr er wie elektrisiert zusammen. Ein Schwall Wasser geriet in seine Kehle, und er begann zu husten und zu spucken. Hände umklammerten plötzlich seine Beine und hoben seinen Körper hoch. »Jetzt wirst du uns zeigen, was du kannst, Muchacho!« drang Alfredo Lopez’ Stimme wie aus weiter Ferne in sein Bewußtsein. Gehetzt blickte Juan in die Runde. Er konnte keinen anderen Menschen im grüntrüben Wasser entdecken, und doch hielt ihn jemand an den Beinen fest. Er starrte in die kleinen Augen der ihn umringenden Delphine, während er sich mit knappen Schwimmbewegungen an der Oberfläche hielt. Der Griff um seine Beine hatte sich gelockert, aber er wußte noch immer nicht, wer ihn da festgehalten hatte. »Du sollst schwimmen!« brüllte Lopez ihn an. Wieder packten ihn kräftige Hände, diesmal an den Oberarmen. Juan riß entsetzt die Augen auf, als er die bleichen, knochigen Finger sah, die ihn umklammerten. Die Fische waren jetzt dicht neben ihm, und in diesem Augenblick erfaßte er die schreckliche 33 �
Wahrheit. Die Delphine besaßen menschliche Körper! Er spürte ihre nackten Körper dicht an seiner Haut. Das konnte nicht wahr sein! Träumte er, war er einer Suggestion zum Opfer gefallen? War das alles nur ein Trugbild, ein wüster Alptraum? Nein, er schwamm in wohltemperiertem Meerwasser und spürte die Nähe dieser unheimlichen Amphibien. Er starrte in die listigen Augen der Delphine, während menschliche Hände ihn umklammerten. Juans Nervenkostüm verkraftete diese Belastung nicht länger. Er schloß die Augen und verlor zum zweiten Mal an diesem Tag das Bewußtsein… * Claudio Tolosa, Eigner der ›Esperanza‹ und Leiter des Tauchunternehmens vor der Südwestküste Spaniens, hatte den Hafen von Cádiz angesteuert und seine Ankunft beim Küstenschutz über Funk gemeldet. Sie hatten die ›Esperanza‹ kaum am Kai vertäut, da bekamen sie schon hohen Besuch. Zwei Offiziere der Küstenwacht und ein Beamter des Marineministeriums gingen an Bord und betraten die Kabine des Schiffseigners. »Ihr Funkspruch hat uns sehr überrascht, Señor Tolosa«, begann Capitán Sánchez. »Und wir sind sehr gespannt, mit welchen Beweisen Sie uns überzeugen wollen.« »Unsere Beweise sind hieb- und stichfest, Capitán«, knurrte Claudio Tolosa unwillig. »Ihnen werden die Augen überlaufen, das versichere ich Ihnen.« Die Gesichter der drei Besucher blieben skeptisch. Das änderte sich auch dann noch nicht, als Claudio ihnen die Unterwasser34 �
aufnahmen unter die Nase hielt. »In der Tat sehr interessant«, näselte der Capitán nach einer Weile stummen Betrachtens. »Das Fernsehen und der Film werden sich um diese Idee reißen, wenn sie davon erfahren.« »Sie glauben selbst diesen Aufnahmen nicht?« fragte Claudio Tolosa verblüfft. »Wie, verdammt noch mal, wollten wir das alles denn inszeniert haben?« »Sie haben einen Toten an Bord«, wich der Capitán aus. »Die Policia und der Gerichtsmediziner werden gleich eintreffen. Warten wir das Untersuchungsergebnis ab.« Etwa eine Stunde später hatten Polizei und Arzt ihre Untersuchungen beendet. Der Arzt hatte nur feststellen können, daß der Taucher ertrunken war, weil jemand ihm die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten hatte. Felice Martes, Claudios Kollege, und Pedro Viti bestätigten die Aussagen des Unternehmensleiters. Doch die Besucher blieben skeptisch. »Ich gebe zu, daß die Aufnahmen sehr realistisch wirken«, meinte Capitán Sánchez. »Aber Sie sollten auch uns verstehen, Señores. Bis jetzt wurde noch nie etwas über die Existenz von Fischmenschen bekannt. Deshalb müssen wir an der Echtheit der Aufnahmen zweifeln.« »Sie halten uns demnach für Schwindler?« stieß Claudio Tolosa empört hervor. »Das habe ich nicht behauptet«, winkte der Capitán mürrisch ab. »Aber Sie haben einen Toten an Bord, und zwei Männer des Unternehmens werden vermißt. Ertrunken und im Altantik verschwunden, wie Sie behaupten. Ebenso wie die Kisten mit den alten Goldmünzen. Die spanische Regierung erteilte Ihnen die Bergungsrechte unter der Auflage, daß fünfzig Prozent der Beute an den Staat fällt.« Claudio ballte die Fäuste. 35 �
»So sehen Sie das also!« knurrte er. »Sie wollen damit andeuten, wir hätten uns den Goldschatz unter den Nagel gerissen und unsere drei Mitarbeiter als lästige Mitwisser beseitigt? Die Unterwasseraufnahmen sind selbstverständlich plumper Schwindel und Sensationshascherei, um uns interessant zu machen.« »Das habe ich nicht gesagt, Señor Tolosa«, erklärte Capitán Sánchez steif. »Bis das Untersuchungsergebnis feststeht, muß ich Sie ersuchen, sich zu unserer Verfügung zu halten.« Claudio Tolosa schickte einen Fluch hinter seinen amtlichen Besuchern her, aber das half ihm auch nichts. An der Tür blieb der Capitán noch mal stehen. »Ich empfehle Ihnen, Stillschweigen über diese Geschichte zu bewahren«, verkündete er, bevor er an Deck verschwand. »Darauf solltest du dich lieber nicht verlassen, du Idiot!« behielt Claudio das letzte Wort, aber das hörten die hohen Herren zum Glück nicht mehr. * Das plötzliche Verschwinden des Schwimmchampions Juan Rodrigo erregte natürlich Aufmerksamkeit. Trotzdem wurden Carmen Piteras Aussagen von der Polizei in Cádiz angezweifelt. Ihrer Behauptung, einen Ambulanzwagen bis hinunter zur Sierra verfolgt zu haben, schenkte man keinen Glauben. Sie müsse sich in der Aufregung einfach geirrt haben, versuchte man ihr einzureden. Dagegen wurde die Aussage der Empfangsschwester vom Santa-Cruz-Hospital, die behauptete, den Rekordschwimmer draußen neben dem Sanka gesehen zu haben, akzeptiert. Allerdings hatte die Polizei nicht vermocht, einen Grund für das mysteriöse Verschwinden von Juan Rodrigo zu finden. Rät36 �
selhaft blieb auch das Auftauchen des unbekannten Arztes, der Juan in den Ambulanzwagen verfrachtet und begleitet hatte. Wie der Masseur aussagte, hatte er diesen Mann nie zuvor gesehen und in der Aufregung vergessen, sich nach dessen Namen zu erkundigen. Die Suche der Policia nach dem angeblichen Arzt lief auf vollen Touren, doch der braungebrannte Mann war wie vom Erdboden verschwunden. Eine Entführung Juan Rodrigos mit dem Zweck der Erpressung hielt man für ausgeschlossen, da er nicht aus vermögendem Haus stammte. Was diese Annahme der Polizei noch unterstützte, war die Tatsache, daß sich bisher keiner der vermeintlichen Kidnapper gemeldet hatte. Somit wurde Juan Rodrigo auf die Liste der vermißten Personen gesetzt und die Suche nach ihm zum Routinefall. * Sie saßen auf der Terrasse vor ihrer Finca am Strandrand von Córdoba, die beiden Geisterdetektive der Escuadrón Misterio, der spanischen Sektion der Ghost Squad in London. Ihnen gegenüber saß Evita, Sargento Peraltas Cousine, die seinen Mitstreiter, den englischen Psychologen Dennis Ashley vor einigen Jahren geheiratet hatte. Sie hatten ihr Frühstück beendet, genossen den schwarzen Kaffee und die Verdauungszigarette, während sie die eingegangene Post und die Morgenzeitungen studierten. »Habt ihr schon gehört, daß Juan Rodrigo kurz nach seinem Titelgewinn spurlos von der Bildfläche verschwand?« fragte Evita und blickte von ihrer Zeitung hoch. »No«, brummte Dennis Ashley. »Vielleicht hatte er den Siegesrummel satt und ist mit einer hübschen Maus auf Tauchstation gegangen.« 37 �
»Du hast vergessen, daß ich Juan von früher her kenne«, wandte die schlanke, dunkelhaarige Frau ein. »Zudem ist Juan mit einer Reporterin liiert, die für ein Sportmagazin schreibt. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, daß er sich aus freien Stücken von der Öffentlichkeit zurückziehen würde.« »Die Meisterschaften wurden gestern in Cadiz ausgetragen, nicht wahr?« José Peralta blickte von seiner Lektüre auf. »Ja.« Evita sah ihn bittend an. »Könntest du nicht…« »Ich habe ohnehin in Cadiz zu tun und werde die Ohren spitzen«, versprach José. Evita Ashley-Peralta war zufrieden und machte sich daran, den Tisch abzuräumen. »Du willst dich also mit Claudio Tolosa unterhalten?« fragte Dennis Ashley, als Evita im Haus verschwunden war. In ihrer Gegenwart sprachen sie nie über Dinge, die mit ihrer Tätigkeit zusammenhingen. »Ja, die dürftige Nachricht, die mich am Samstag erreichte, interessiert mich«, erwiderte der Sargento. »Ob etwas dran ist, wird sich herausstellen, sobald ich mit Tolosa gesprochen habe.« In diesem Augenblick kam Evita aus dem Haus zurück. Sie wirkte aufgeregt. »Ich habe soeben mit Carmen Pitera, Rodrigos Braut, gesprochen«, verkündete sie. »Sie war es, die als erste Vermißtenanzeige bei der Polizei in Cadiz erstattete. Ihrer Aussage schenkte man jedoch keinen Glauben.« Evita berichtete, was Carmen ihr über Juans Verschwinden erzählt hatte. »Ich werde sie aufsuchen, um mir selbst ein Bild zu machen«, versprach José Peralta, da er erkannt hatte, daß Evita Rodrigos Schicksal sehr am Herzen lag. Kurz vor zehn Uhr stieg der Sargento in das rote Seat-Coupe und machte sich auf die dreistündige Fahrt nach der Hafenstadt am Atlantik. 38 �
Nachdem er in einem Restaurant gespeist und sich gestärkt hatte, stattete er Claudio Tolosa einen kurzen Besuch ab, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Tolosas Geschichte ging ihm noch im Kopf herum, als er nach einer halben Stunde die ›Esperanza‹ verließ und in die Stadt zurückfuhr. Claudio Tolosa hatte bei ihm einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Der Schiffseigener war ein ehrlicher Mann und auf keinen Fall ein Spinner, wie einige hohe Persönlichkeiten ihm unterstellen wollten. José Peralta hielt ihn für einen Mann, dem man ohne weiteres seine beste Freundin und das Bankkonto anvertrauen konnte, ohne daß beides Schaden litt. Immer wieder mußte der Sargento an die Aufnahmen denken, die Claudio ihm gezeigt hatte. Er hatte keinen Kommentar dazu abgegeben. Deshalb hatte er sich zurückgezogen, um in Ruhe darüber nachdenken zu können. Er war sich nicht schlüssig darüber, ob es sich bei den Fischmenschen auf den Fotos um Wesenheiten aus dem Dämonenbereich oder um Schöpfungen eines bestialischen Teufels in Menschengestalt handelte. Peralta stellte überrascht fest, daß seine Gedanken immer wieder abzweigten und sich mit dem verschwundenen Meisterschwimmer befaßten. Sollte da etwa ein Zusammenhang bestehen? Das Telefongespräch, das seine Cousine mit der Reporterin am Morgen geführt hatte, fiel ihm ein. Man hatte deren Darstellung als unglaubwürdig verworfen. Weshalb sollte Carmen Pitera sich so etwas zusammenreimen? fragte sich Peralta. Hier ging es ihr doch nicht um eine Sensationsstory, sondern um den Mann, den sie liebte. Er hatte den Eindruck, daß an ihren Worten etwas dran war. Die Ermittlungsbehörden machten es sich seiner Ansicht nach zu 39 �
einfach. Sie urteilten nach dem Motto, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. José Peraltas nächster Schritt stand fest. Er mußte Carmen sprechen, bevor er sich um den anderen Fall kümmerte. Dabei hatte er das Gefühl, einem unheimlichen Geschehen auf der Spur zu sein. Er wußte nicht, daß ihm bei diesem Unterfangen noch die Augen übergehen würden. * Juan Rodrigo hatte keine Ahnung, wie spät es war, als er aus seiner zweiten Ohnmacht erwachte. Seufzend schlug er die Augen auf und stellte fest, daß er auf einer Liege lag. Dunkelheit und Stille umgaben ihn. Nur sein Atem war zu hören. Schlagartig kam ihm dann die Erinnerung daran zurück, was er erlebt hatte, bevor sein Bewußtsein aussetzte. Hatte er das alles nur geträumt? War er wirklich in einem Wasserbecken gewesen, in dem sich diese unheimlichen Fischmenschen an ihn herangedrängt und ihn gepackt hatten? Das bärtige Gesicht des Mannes, den die anderen Professor nannten, kehrte in seine Erinnerung zurück. Was war er für ein Mensch? War er überhaupt mit menschlichen Maßstäben zu messen? Juan erschauerte, als er an diese unheimliche Erscheinung denken mußte. Der Professor war ein Teufel in Menschengestalt, das wurde ihm jetzt klar. Was aber hatte dieser Teufel mit ihm vor? Weshalb hatte er seine Schwimmtechnik im Wasserbecken beobachten wollen? Wohl kaum, um seinen Stil zu bewundern. Was dann? Seine Ausdauer vielleicht? 40 �
Ein entsetzlicher Gedanke tauchte in Juan Rodrigo auf. Hatte der Professor ihn entführen lassen, um ihn in einen dieser Fischmenschen umzufunktionieren? Schweiß bedeckte Rodrigos Körper, als er sich ausmalte, wie dieser Teufel vorgegangen sein mochte, um die Monster zu schaffen. Wer mochten diese bedauernswerten Menschen sein, denen diese Bestie die Köpfe von Delphinen transplantiert hatte? Juans Herz krampfte sich zusammen, als er sich ausmalte, als seelenloser Fischmensch ein unwirkliches Dasein fristen zu müssen. Rodrigo schwang sich schweratmend von der Liege. Dabei stellte er fest, daß er völlig nackt war. Mit ausgestreckten Armen tastete er sich durch den dunklen Raum. Eher bringst du dich um, als daß du zum Werkzeug dieses Unmenschen wirst, schoß es ihm durch den Kopf. Er mußte feststellen, daß der fensterlose Raum außer der am Boden befestigten Liege keinerlei Einrichtungsgegenstände aufwies. Selbst zum Freitod geben sie dir keine Chance, war sein Gedanke, als er sich resigniert auf die Liege sinken ließ und den Kopf in die Hände stützte. Juan hatte schon jeden Zeitbegriff verloren, als sich endlich eine versteckte Tür öffnete und gleichzeitig das Deckenlicht aufflammte. Geblendet schloß er für eine Weile die Augen. Dann sah er den Mann, mit dem alles begonnen hatte: Alfredo Lopez, der braungebrannte Verbrecher, der ihm die Colaflasche mit dem Betäubungsmittel gereicht hatte. »Sie Schwein!« stieß er hervor. »Ihnen habe ich es zu verdanken, daß ich hier…« Lopez hielt ein Tablett mit einigen dampfenden Schalen in Händen. Hinter ihm wurde der hagere Pablo Ortega, der seinen Reitdreß mit leichter Kleidung gewechselt hatte, sichtbar. 41 �
»Aufregung schadet der Kondition, Amigo«, belehrte Lopez ihn ungerührt. »Iß das auf und leg dich wieder hin!« Jetzt oder nie! schoß es dem Entführten durch den Kopf. Er streckte die Hände aus, als wollte er das Tablett entgegennehmen, dann aber packte er zu und stieß es hoch. Die heißen Speisen klatschten in Lopez’ Gesicht. Der Getroffene schrie schmerzerfüllt auf, taumelte zurück und rieb sich die brennenden Augen. Mit einem kräftigen Stoß mit dem rechten Ellbogen, der in Lopez’ Rippen krachte, schoß Juan an ihm vorbei und stürzte sich auf den verwirrten Pablo Ortega. Juan war dem hageren Burschen körperlich haushoch überlegen. Mit zwei Hieben, hinter denen die Kraft der Verzweiflung steckte, schlug er Ortega zu Boden und rannte den kahlen Gang entlang. Nur weg von hier, war Juans einziger Gedanke. Es kümmerte ihn nicht, daß er nackt war. Er hatte auch keine Ahnung, wohin dieser Gang führte. Vielleicht in die Freiheit? Juan Rodrigo rannte an verschiedenen Türen vorbei, dann erreichte er eine Treppe, die nach oben führte. Hinter ihm ertönten laute Rufe. Lopez und Ortega hatten die Verfolgung aufgenommen. Verzweifelt bückte Juan um sich. Über einer Stahltür sah er eine Leuchtinschrift: »Eintritt verboten!« Eine andere Möglichkeit, als sich hinter dieser Tür zu verstecken, fand er im Augenblick nicht. Die Stahltür ließ sich mühelos öffnen. Er zog sie hinter sich zu und fand einen Riegel, den er rasch vorlegte. Schweratmend lehnte er sich gegen das kühle Metall. Draußen hörte er die Schritte seiner Verfolger und ihre Rufe nach Verstärkung. Irgendwo in dem Gebäude klappten Türen, ertönten weitere hastende Schritte. 42 �
Juan warf einen furchtsamen Blick in die Runde, während sein Pulsschlag in den Ohren dröhnte. Rhythmisch flammten an der einen Wandseite rote und grüne Lämpchen auf. Etwas summte gleichmäßig, und zwischendurch vernahm der junge Schwimmer das Plätschern und Gluckern einer Flüssigkeit. Viel vermochte Juan Rodrigo nicht zu erkennen. Die aufblitzenden Lichter befanden sich oberhalb kastenförmiger Behälter, die in die Wand eingelassen waren. Die Geräusche drangen aus ihrem Innern an sein Ohr. Juan packte der Mut der Verzweiflung. Im Unterbewußtsein ahnte er, daß er hier nie mehr heil herauskommen würde. Aber er konnte zerstörend eingreifen, und soviel wie möglich von den Anlagen in diesem unheimlichen Gebäude zertrümmern, um den Verbrechern eine empfindliche Schlappe beizubringen. Nach kurzem Suchen entdeckte er den Lichtschalter neben der Tür. Mehrere Neonleuchten, hinter Plastikblenden verborgen, flammten zuckend auf und tauchten den großen Raum in schattenloses Licht. Nicht weit von Juan entfernt, stand ein Stahlrohrstuhl vor einem Schreibtisch, der mit Papieren überhäuft war. Juan hastete näher, vermochte die Aufzeichnungen jedoch nicht zu entziffern, da sie zum größten Teil aus Formeln und Abkürzungen bestanden. In einem Regal hinter dem Schreibtisch standen mehrere Flaschen mit bunter Flüssigkeit. Juan hatte keine Ahnung, um welche Substanzen es sich handelte. Er schnappte sich die erstbeste Flasche, zog den Glasstöpfel heraus und schüttete den dunkelblauen Inhalt über die Aufzeichnungen. Nie gekannte Zerstörungswut packte den jungen Andalusier. Seine Hände umklammerten den Stuhl und schwangen ihn wie eine Keule durch die Luft. 43 �
Flaschen und Glasballons gingen klirrend zu Bruch. Juan merkte nicht, wie er in Glassplitter trat und seine Füße bluteten. Beißender Gestank erfüllte die Luft. Regale kippten um, ein Labortisch folgte. Nach Atem ringend blieb Juan Rodrigo schließlich vor den kastenförmigen Behältern aus Edelstahl stehen. Die bunten Lämpchen auf der Kopfleiste blinkten noch immer rhythmisch, und das Summen und Gluckern in ihrem Innern war nicht verstummt. Juan ließ den Stahlrohrstuhl achtlos fallen und starrte eine Weile gedankenverloren auf die Stahlkästen. Welches Geheimnis mochten sie bergen? Wütendes Hämmern riß Juan in die Gegenwart zurück. Es kam von der Tür her, die er von innen verriegelt hatte. Die Stahltür war stabil, und es konnte noch einige Zeit dauern, bis die Verfolger sie aufgebrochen hatten und hier hereinstürmten. Erst jetzt fielen Juan Rodrigo die Armaturen auf, die Temperaturen, Spannungen und Druck anzeigten. Drähte, Kupferrohre und Leitungen führten von der Außenseite her in die Stahlfächer. Zögernd tastete Juans rechte Hand nach dem kleinen Drehverschluß, mit denen die Türen der Kästen gesichert waren. Er schloß die Augen, als er den Verschluß umdrehte und die kleine Tür aufzog. Das Summen und Gluckern wurde lauter. »Das sollest du besser nicht tun!« ertönte plötzlich eine geisterhafte, blecherne Stimme, von der er nicht wußte, woher sie kam. Von der Eingangstür? Juans Kopf ruckte herum, und er blickte hinüber zur Tür. Nein, bei der Tür war noch alles in Ordnung. Nur das Dröhnen der Fäuste und die Flüche der Verfolger dahinter waren zu hören. Wer aber hatte zu ihm gesprochen? 44 �
»Dreh dich lieber nicht um!« ließ die geisterhafte Stimme sich wieder vernehmen. Juan Rodrigo fuhr herum. Sein Atem stockte, über seine Lippen kam ein dumpfes Stöhnen, als er in den Stahlkasten blickte. Er starrte in das fahle Gesicht eines Mannes, der kaum älter war als er selbst, wo aber war der Körper des Mannes? Nur der Kopf war sichtbar. Drähte und feine Kanülen führten in den Hinterkopf. Eine luftdichte Plastikhülle umschloß den Kopf. Blicklose Augen waren auf Juan gerichtet, der fassungslos in das erstarrte Gesicht blickte. Dann erfaßten seine Augen einen kleinen Zettel, der außerhalb der Hülle angebracht war. ›Francisco Gomez‹. Darunter stand ein Datum, das fünf Monate zurücklag. Francisco Gomez, schoß es Juan durch den Kopf. Er kannte diesen Namen nur zu gut. Gomez war portugiesischer Meister im Brustschwimmen gewesen und bei einer Segelpartie über Bord gegangen und nie wieder aufgetaucht. Hatte Gomez’ Kopf zu ihm gesprochen? Er erschauerte, als er sah, wie Gomez’ Kopf langsam die Lippen bewegte. »Jetzt kennst du das Geheimnis«, ertönte die blecherne Stimme aus dem Gehäuse. »Ich kann es nicht glauben!« brach es aus Juan hervor. »Du… du bis… bist ohne…« »Ohne Körper, ja«, erwiderte der Kopf des Portugiesen, ohne daß sich ein Muskel in seinem totenblassen Gesicht bewegte. »Ich wollte dich warnen, um dir den Anblick zu ersparen, aber du hast nicht auf mich gehört.« Die Stahltür zum Schreckenskabinett des Professors begann zu ächzen. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis die 45 �
Verfolger in den Raum stürmten und ihn überwältigten. »Versuche, ihnen zu entkommen«, sagte Gomez’ Kopf. »Und wenn es dir nicht gelingt…« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. Juan Rodrigo konnte nur noch nicken, dann drückte er die Stahltür wieder zu und drehte den Verschluß zu. Sein verzweifelter Blick galt dem Eingang. Die Tür vibrierte verdächtig und der Putz am Rahmen begann zu bröckeln. Juan befand sich in einem Zustand gefährlicher Apathie, als er den Verschluß des benachbarten Stahlkastens betätigte und die kleine Tür aufzog. Auch hier starrte er in ein geisterhaft bleiches Gesicht. Ein Name stand unter der Plastikhülle: Marco Zamorra. Juan war dieser Name ebenfalls bekannt. Sein Landsmann aus dem Norden des Landes, ein bekannter Turmspringer, war vor einigen Monaten mit seinem Wagen verunglückt und angeblich zur Unkenntlichkeit verbrannt. »Rette dich!« sagte der Kopf Zamorras mit monotoner Stimme. Juan drückte die Tür zu. Er konnte den Anblick nicht länger ertragen. Hinter ihm verstärkte sich der Lärm. Putz polterte auf den Boden; die Stahltür neigte sich langsam nach innen. Der Entführte wich zurück. Als er an dem fünften Stahlkasten vorüberkam, bemerkte er, daß die Tür offen stand und die Plastikhülle dahinter leer war. Seine Augen weiteten sich, als er den Namen auf dem kleinen Schild darunter las. Es war sein eigener! Das war zuviel für seine Nerven. Mit einem gurgelnden Schrei brach er vor dem leeren Stahlkasten zusammen. * 46 �
Mehrmals hatte Sargento Peralta versucht, Carmen Pitera zu erreichen, aber er hatte sie nicht angetroffen. In der Redaktion ihres Blattes hieß es, sie sei unterwegs. Wohin, war unbekannt. Deshalb änderte José Peralta seine Pläne und fuhr noch mal zum Hafen zurück, um Claudio Tolosa einen zweiten Besuch abzustatten. Er sah Tolosa sofort an, daß er nicht bei bester Laune war. »Halten Sie die Ohren steif«, versuchte er den Schatzsucher aufzumuntern. Sie nahmen unter dem Sonnensegel an Bord der ›Esperanza‹ Platz. »Sie haben gut reden, Sargento«, knurrte Claudio übelgelaunt. »Seit Tagen hält man uns hier fest und behandelt uns wie Schwerverbrecher. Verdammt, wir sind doch am Tod unserer Kameraden unschuldig, und ich wünschte, ich könnte das alles rückgängig machen!« »Ich glaube Ihnen«, erwiderte José Peralta. »Aber leider ist es oft schwer, den lieben Mitmenschen die Wahrheit beizubringen, besonders dann, wenn sie so unheimlich und unfaßbar ist wie in Ihrem Fall.« Claudio Tolosa nickte verbittert. »Aber die Fotos beweisen doch genug«, grollte er. »Meine Taucherkameraden hatten den Schatz in der Brigg freigelegt, wie die Aufnahmen zeigen. Erst danach wurden sie von den Amphibien angegriffen und umgebracht. Wenig später war der Schatz verschwunden, wie ich mich zusammen mit Felice selbst überzeugen konnte. Wäre die Kamera nicht zurückgeblieben, stünden wir jetzt noch vor einem Rätsel.« »Wir stehen nach wie vor vor einem Rätsel«, korrigierte José Peralta den anderen. »Wir müssen nämlich herausbekommen, woher diese unheimlichen Wesen kommen, und für wen sie 47 �
morden und rauben.« Tolosa blickte den Sargento überrascht an. »Wir?« brummte er. »Soll das heißen, daß Sie uns helfen wollen?« José Peralta hatte innerhalb weniger Sekunden einen Entschluß gefaßt. »Was denn sonst?« erwiderte er, als hätte das von vornherein festgestanden. »Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, woher diese Kreaturen stammen könnten?« Claudio zuckte die Achseln. »Gedanken schon, aber es kam nichts dabei heraus«, gab er zu. »Ich bin im Augenblick Schatzsucher und verstehe mich aufs Tauchen. Ein Hellseher bin ich leider nicht.« »Ich auch nicht«, sagte Peralta. »Irgendwer muß diese unheimlichen Geschöpfe geschaffen haben. Und zwar zu dem Zweck, den Meeresgrund zu beherrschen. Wer weiß, wie viele Taucher, bei denen man die Todesursache auf Unfälle zurückführte, bereits durch Fischmenschen ums Leben kamen. Wäre Emilio nicht so geistesgegenwärtig gewesen, die Aufnahmen zu schießen, würden wir heute noch im dunkeln tappen.« Der Eigner der »Esperanza« hob den Kopf und blickte den Geisterdetektiv gespannt an. »Jetzt sagen Sie nur nicht, Sie hätten bereits einige Anhaltspunkte, woher diese Ausgeburten der Hölle stammen könnten?« stieß er hervor. »Sagen wir, eine Vermutung, eine Theorie«, gab der Sargento bedächtig zurück. »Am vergangenen Sonntag verschwand hier in Cadiz der bekannte Rekordschwimmer Juan Rodrigo unter recht undurchsichtigen Umständen.« »Was wollen Sie damit sagen, Sargento?« murmelt er. »Glauben Sie etwa, weil er ein überdurchschnittlich guter Schwimmer 48 �
ist, hat man ihn…?« Peralta nickte ernst. »Bevor ich hierher kam, habe ich mich bei meinen Kollegen in der Vermißtenabteilung umgehört«, erklärte er. »Dabei fand ich heraus, daß Rodrigo nicht der erste Meisterschwimmer ist, dessen Schicksal ungeklärt ist. Während der letzten sechs Monate ereilte vier weitere bekannte Schwimmer ein tragisches Schicksal. Einer kam angeblich bei einem Segelunfall ums Leben, ein weiterer verbrannte bis zur Unkenntlichkeit in seinem Wagen, der dritte verschwand spurlos mit einem Segelflugzeug und der vierte bei einem Altstadtbummel. Alles ungeklärte Schicksale, finde ich.« »Hat denn niemand bei der Polizei Verdacht geschöpft?« fragte Claudio kopfschüttelnd. »Wie sollte man auch?« gab der Sargento zurück. »Bei uns gibt es auch keine Hellseher. Niemand hatte einen Grund, ein Verbrechen dieser Größenordnung dahinter zu vermuten. Erst euer unheimliches Unterwasserabenteuer hat mir da ganz neue Perspektiven eröffnet.« »Das ist ja unvorstellbar«, stöhnte Claudio Tolosa. »Da werden Menschen zu Mörderfischen umfunktioniert um für ein teuflisches Verbrechen Handlungsdienste zu leisten! Haben Sie die Untersuchungsbehörden über Ihre Theorie unterrichtet?« Der Sargento schüttelte den Kopf. »Obwohl ich zu dem Club gehöre, werde ich damit noch eine Weile warten«, erwiderte er lächelnd. »Ich kenne nämlich zur Genüge die Skepsis meiner Vorgesetzten und der Eierköpfe bei der Staatsanwaltschaft. Bevor ich keine handfesten Beweise auf den Tisch lege, beiße ich bei denen auf Granit. Zudem besteht noch eine andere Gefahr: Wenn wir die Geschichte an die große Glocke hängen, kann es sein, daß die Gegenseite sich in ihr Schneckenhaus zurückzieht. No, wir halten dicht! Ich habe noch 49 �
eine Fahrt vor und gehe einer bestimmten Spur nach, die bisher nicht beachtet wurde.« Der Schiffseigner drang nicht weiter in den Sargento ein. »Und was stelle ich in der Zeit an?« knurrt er. »Däumchen drehen und Löcher in die Luft starren?« »Ganz im Gegenteil«, gab Peralta zurück. »Sie machen in der Zeit die ›Esperanza‹ startklar. Nehmen sie genügend Wasser und Proviant an Bord und stellen Sie noch ein paar tüchtige Leute ein!« Tolosa legte den Kopf schief. »Das sagen Sie, ein Mann von der Kripo?« brummte er. »Sie haben vergessen, daß die Hafenbehörde…« »Ich verfüge über einige gute Beziehungen«, unterbrach ihn der Sargento. »In welcher Gegend wollten Sie Ihr nächstes Tauchunternehmen starten?« Claudios Gesicht drückte Erleichterung aus. »Kommen Sie mit in meine Kabine, Sargento«, sagte er. »Ich zeige Ihnen die Seekarten und Aufzeichnungen.« Die beiden Männer betraten die geräumige Kabine des Schiffseigners und beugten sich über den großen Kartentisch. »Ich habe die einzelnen Wrackliegestellen vor der Küste in mühevoller Kleinarbeit ausbaldowert«, erklärte Tolosa. »In Archiven und Seefahrtsämtern habe ich Aufzeichnungen gesichtet, alte Dokumente und Seekarten gesammelt und das Material ausgewertet. So erfuhr ich die Namen und Ladungen der versunkenen Schiffe, Galeonen und Briggs. Ich tat mich mit Felice Martes zusammen. Wenig später hatten wir die ersten Erfolge zu verzeichnen und entdeckten eine portugiesische Galeone mit einigen hundert Goldmünzen an Bord. Von dem Erlös, von dem ich die Hälfte an den Staat abführen mußte, finanzierte ich unser neues Schiff und verbesserte unsere Ausrüstung. Ein weiterer Fund gestattete es uns schließlich, einige tüchtige Leute einzu50 �
stellen. Was danach geschah, wissen Sie selbst.« José Peralta hatte interessiert zugehört. »Die Gegenseite muß von Ihren Erfolgen Wind bekommen haben«, meinte der Sargento. »Sie hat sich an Ihre Fersen geheftet, euch die Schwerstarbeit machen lassen, um dann ohne große Mühe absahnen zu können.« »Und das mit Hilfe dieser Fischmenschen«, warf Claudio Tolosa bitter ein. Peralta nickte. »Ich könnte mir vorstellen, daß derjenige, der diese Monstren schuf, erst dann auf den Gedanken kam, Schatztaucher zu überfallen und auszurauben, als er dicht vor der Pleite stand«, überlegte er laut. »Seine grausigen Experimente dürften Unsummen verschlungen haben.« »Sie haben vor, der Gegenseite mit meiner Hilfe eine Falle zu stellen«, erkannte Claudio. »So ähnlich«, gab José Peralta zu. »Bis dahin müssen wir Augen- und Ohren offenhalten und unsere Fühler ausstrecken.« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Claudio. »Wer wußte von dem letzten Unternehmen, als Sie die versunkene Brigg aufspürten?« wurde der Sargento konkreter. Der Schiffseigner hob überrascht die Brauen. »Ich habe die Bergungsaktion vorschriftsmäßig bei den zuständigen Behörden angemeldet und das Schürfrecht erworben«, erklärte er. »Zu Außenstehenden haben wir schon allein aus Konkurrenzgründen kein Wort fallenlassen. Auch die Presse wurde nicht informiert. Glauben Sie etwa…« José Peralta zuckte die Achseln. »Wir dürfen keine Möglichkeit auslassen«, meinte er und warf einen Blick auf die Borduhr. »Also, zu niemand ein Wort über den bevorstehenden Ausflug!« »Auch nicht zu meiner Besatzung und meinem Teilhaber?« 51 �
fragte Claudio Tolosa. »Es ist besser, wenn es alle erst kurz vor dem Auslaufen erfahren«, entschied der Mann von der Escuadrón Misterio. »Und die Behörden?« »Die werden von mir eingeweiht«, schloß der Sargento die Unterhaltung. * Carmen Pitera, die junge Reporterin, hatte sich seit dem Verschwinden ihres Freundes Juan Rodrigo erschreckend verändert. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie aß kaum noch und rauchte ununterbrochen. Drei Tage waren vergangen, ohne daß sie ein Lebenszeichen von Juan erhalten hatte. Bei der Polizei hatte man ihr immer wieder versichert, daß man alles tue, um den Vermißten wiederzufinden. Doch nach wie vor hatte Carmen das Gefühl, daß die Behörden in der falschen Richtung ermittelten. Der Fahrer des Ambulanzwagens hatte erklärt, Juan Rodrigo zum Santa-Cruz-Hospital gebracht zu haben. Dort sei Rodrigo jedoch wieder fit gewesen und habe es abgelehnt, das Hospital zu betreten. Der Schwimmer sei danach mit einem Taxi in die Stadt zurückgefahren. Diese Aussage deckte sich haargenau mit der der Empfangsschwester. Carmen Pitera war jedoch davon überzeugt, daß die beiden sich geirrt haben mußten. Immer wieder hatte sie sich ihre Verfolgungsjagd bis hinunter zu dem Privatweg ins Gedächtnis zurückgerufen. Dabei war sie zu dem Schluß gekommen, keinen Fehler gemacht zu haben. Ganz deutlich hatte sie gesehen, wie der weiße Sanka in den Asphaltweg eingebogen war und eine Staubfahne hinter sich ge52 �
lassen hatte. Sie mußte an den Reiter mit den kalten Augen und dem unsympathischen Gesicht denken, der sie so kaltschnäuzig abgefertigt hatte. Bei der Polizei hatte man ihr lediglich gesagt, daß sich auf dem abgezäunten Gelände bis hinunter zur Küste ein privates Institut für Meeresbiologie befände, zu dem Unbefugte keinen Zutritt hätten. Natürlich habe man sich dort nach einem Ambulanzwagen erkundigt; die Auskunft sei jedoch negativ gewesen. Schließlich hatte die Reporterin den Entschluß gefaßt, auf eigene Faust zu ermitteln und herauszufinden, wohin man ihren Freund verschleppt hatte. Das schwarzhaarige Mädchen ahnte nicht, in welche Gefahr es sich begab. Am späten Nachmittag schlüpfte Carmen in einen enganliegenden Jeansanzug und deftige Halbstiefel. In ihrer Umhängetasche verstaute sie eine Kneifzange, eine Taschenlampe, Zigarren und Feuerzeug. Sie war bereits an der Tür, da fiel ihr noch etwas ein. Hastig kritzelte sie ein paar Zeilen auf einen Notizblock auf ihrem Schreibtisch vor dem Fenster. Dann verließ sie das Haus, schwang sich in ihren roten MG und lenkte den flachen Flitzer aus der Hafenstadt hinaus. Eine Stunde später lag die Sierra de la Plata vor ihr, und mit traumwandlerischer Sicherheit fand sie den Asphaltweg wieder, den sie vor zwei Tagen gefahren war. Obwohl es inzwischen dunkel war, fuhr sie ohne Licht durch das hügelige und kurvenreiche Gelände. Wenig später stellte sie den MG hinter einer Buschkette neben der Straße ab. Sie hielt diese Vorsichtsmaßnahme für angebracht, da sie damit rechnete, daß die Gegend bewacht wurde. Carmens Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit ge53 �
wöhnt, als sie zu Fuß weiterging. Wenige Minuten später tauchte der Schlagbaum mit dem Verbotsschild vor ihr auf. Lauschend blieb die Reporterin stehen. Nur der Wind rauschte in den Zweigen der Büsche. Irgendwo pfiff ein Nachtvogel, zirpten Grillen. Ihre Hand glitt über das kühle Stahlrohr des Schlagbaums. Sie nahm all ihren Mut zusammen, als sie darunter durchschlüpfte und die andere Seite erreichte. Alles blieb still, während sie lautlos weiterging. Als sie den Gipfel eines Hügels erreicht hatte, blieb sie stehen. Unter ihr lag die Küste und die unendliche Weite des Atlantik. Und dann entdeckte sie die langgestreckten, flachen Gebäude oberhalb der Klippen. Hinter einigen Fenstern des Instituts brannte Licht. Vorsichtig schlich Carmen Pitera auf die Gebäude zu. Der Weg war zu beiden Seiten eingezäunt. Carmen entdeckte dahinter eine große Anzahl betonierter Becken, in denen sich leise plätschernd Tausende von Fischen tummelten. Eine große Warntafel mit Leuchtschrift wies darauf hin, daß Unbefugten das Betreten des Versuchsgeländes strengstens verboten sei. Carmen ignorierte die Warnung und schlich weiter. Vor den hellen Gebäuden war eine Plattform, auf der einige Fahrzeuge abgestellt waren. Neugierig huschte sie darauf zu und schaltete die Taschenlampe an. Das Licht glitt über einen Land-Rover, einen Jeep, einen Kranwagen und zwei Seat-Limousinen. Nichts deutete darauf hin, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Aus einem offenen Fenster drangen Musik, gedämpfte Stimmen und das Klirren von Gläsern. Auf Zehenspitzen umrundete Carmen die Fahrzeuge. Am Ende der Parkfläche befand sich ein Flachbau, der einer große Garage ähnelte. Sie erreichte das erste Kipptor und blieb dicht 54 �
daran gepreßt stehen. Sie hatte die Taschenlampe ausgeschaltet, als ihre Hand den Drehgriff umschloß und ihn herumdrehte. Ein metallisches Klicken ertönte. Das Mädchen hielt erschrocken den Atem an, aber niemand schien etwas gehört zu haben. Ein fataler Irrtum, wie sie bald feststellen mußte. Ihr Eindringen war längst durch eine elektronisches Warnsystem registriert worden. Carmen drückte die Tür hoch und wollte ins Innere schlüpfen. In diesem Augenblick krallte sich eine kräftige Hand in ihre rechte Schulter. Sie stieß einen entsetzten Schrei aus, als jemand sie herumriß. Die Reporterin wollte sich losreißen, aber der harte Griff lockerte sich nicht. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die Umrisse der hageren Gestalt des Mannes, der sie festhielt. Eine Blendlaterne flammte auf. Der grelle Lichtschein stach in ihre Augen. Geblendet schloß sie die Lider. »Sieh mal einer an«, knurrte eine Männerstimme. »Unsere vorwitzige Amiga! Was hast du hier zu schnüffeln?« »Lassen Sie mich los!« stieß Carmen Pitera hervor. »Ich habe nichts getan…« Der Mann lachte hämisch auf. »So?« knurrte er. »Und was wolltest du in einer fremden Garage? Komm mal mit ins Haus! Ich glaube, du hast uns eine Menge zu sagen.« Carmen vor sich her schiebend erreichten sie einen dunklen Durchgang. Das Licht ging an, als die Tür sich hinter ihnen schloß. Und jetzt erkannte Carmen Pitera den Mann wieder, der ihr am Schlagbaum begegnet war. Pablo Ortega führte das Mädchen in einen gemütlich eingerichteten Besucherraum, vor dessen Fenster eine Jalousie herabgelassen war. 55 �
»Nimm Platz!« befahl Pablo und drückte die junge Frau in einen Sessel. Unter gesenkten Lidern warf sie einen raschen Blick in die Runde. An den Wänden hingen Fotos und Drucke von Fischen und Meerestieren aller Art. »Was schnüffelst du hier herum?« knurrte Pablo. »Wolltest du einen Wagen stehlen?« »Sehe ich aus wie eine Diebin?« stieß Carmen hervor. »Nun, vielleicht hast du dich auf Ambulanzwagen spezialisiert«, gab Pablo grinsend zurück. »Könnte doch eine Macke von dir sein, oder?« »Mein Freund ist mit einem weißen Sanka entführt worden«, erklärte Carmen mit fester Stimme, aber ihre Knie zitterten. »Und der soll ausgerechnet hier sein?« knurrte der hagere Mann. »Ich habe dir schon mal gesagt, daß es hier keinen Sanka gibt, auch in den Garagen nicht. Und deinen verdammten Amigo habe ich auch noch nie gesehen.« »Na schön«, murmelte Carmen. »Dann kann ich jetzt wohl gehen.« Pablo drückte sie in den Sessel zurück. »Du bleibst hier!« knurrte er. »Du hast genau gewußt, daß niemand das Gelände betreten darf.« »Bueno, dann liefern Sie mich der Policia aus«, forderte Carmen ihn auf. »Auf keinen Fall dürfen Sie mich widerrechtlich hier festhalten.« »Halt die Luft an, Chica!« Mit schnellem Griff hatte er ihre Schultertasche an sich gerissen und ihren Inhalt auf den Tisch ausgekippt. Grinsend hob er die Kneifzange hoch. »Sieh einer an. Die hast du bestimmt nicht mitgeschleppt, um dir den Giftzahn zu ziehen, wie? Was glaubst, was die Policia sagen wird, wenn sie das Einbruchswerkzeug sieht? Sie wird dich wegen versuchten Einbruchs einbuchten.« 56 �
Er wandte sich ab, um seine Erregung zu verbergen. Das schwarzhaarige Mädchen war in höchstem Grad gefährlich für sie und ihre Pläne, das stand für ihn fest. Aber er konnte nicht über ihr Schicksal entscheiden. »Du bleibst vorerst hier«, bestimmte er, warf den Inhalt in die Tasche zurück und ging zur Tür. »Schreien ist zwecklos! Ein Fluchtversuch genauso!« Bevor Carmen etwas erwidern konnte, hatte er die Tür von außen zugedrückt und den Schlüssel umgedreht. Carmen brannte sich eine Zigarette an und dachte über die verfahrene Situation nach. Sicher würde der hagere Mann jetzt mit den anderen Leuten im Gebäude darüber beraten, was sie mit ihr anfangen sollten. Hätte Carmen in diesem Augenblick geahnt, daß sie nur knapp fünfzig Meter von dem geliebten Freund entfernt war, hätten ihre Gedanken sich in einer anderen Richtung bewegt. * Als Juan Rodrigo aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte, stellte er fest, daß er in demselben kahlen Raum war, in dem er sich zuvor befunden hatte. Diesmal brannte die Deckenleuchte. Was war mit ihm geschehen? Er fühlte sich eigenartig leicht, fast als schwebe er auf einer Wattewolke. Die schreckliche Szene, die er in dem Experimentierraum erlebt hatte, fiel ihm wieder ein. Aber seltsam, sie erregte ihn nicht mehr. Juan ahnte nicht, daß man ihm eine Psychodroge injiziert hatte, die Gleichgültigkeit in prekären Situationen bewirkte. Erst jetzt bemerkte er das Tablett auf dem Boden. Auf einem Teller lagen ein kaltes Huhn, Salat und einige Vitamintabletten. Daneben ein volles Glas Milch. Wie lange er nichts mehr gegessen und getrunken hatte, wußte er nicht. Aber er war hungrig. 57 �
Bedächtig begann er zu essen und zu trinken. Ein seltsames Gefühl befiel ihn, als er gesättigt war. Er ließ sich wieder auf die Liege zurücksinken und starrte in das Licht über sich. Plötzlich mußte er an Carmen Pitera denken. Ob sie noch an ihn dachte und sich über sein Verschwinden Sorgen machte? Du hättest ihr schreiben sollen, überlegte er, ohne sich darüber klar zu werden, daß er dazu gar keine Gelegenheit gehabt hatte. Das Gesicht des braungebrannten Mannes, der ihn in den Ambulanzwagen verfrachtet hatte, tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Hatte der Mann sich nicht als Arzt vorgestellt? Und was war in dem Getränk gewesen, das er ihm gereicht hatte? Juans Glieder begannen zu zittern, als sich die Erinnerungslücken langsam schlossen, und die künstliche Gelassenheit fiel von ihm ab. Wer war dieser Professor, der ihn ins Wasserbecken hatte werfen lassen, um sich an seinen Schwimmbewegungen zu ergötzen? Und dann… waren diese unheimlichen Wesen dicht neben ihm aufgetaucht. Ein Geräusch riß ihn aus seinen beklemmenden Gedanken. Die Tür ging auf, und der hagere Mann betrat den Raum. Sofort glitt die Tür hinter ihm zu. Beim Anblick dieses Mannes fiel es Juan wie Schuppen von den Augen. Er sah die leere Plastikhülle wieder vor sich, unter der sein Name gestanden hatte. »Hola, hat’s geschmeckt, Muchacho?« erkundigte sich Pablo Ortega nach einem Blick auf den leeren Teller. Juans Kopf ruckte herum. Sein Gedankengang war durch Pablos unerwarteten Besuch unterbrochen worden. Seine Augen weiteten sich, als er die dunkelbraune Rindledertasche in der Hand des anderen sah. Er erkannte sie sofort wieder, denn er hatte sie Carmen vor einigen Wochen zum Geburtstag geschenkt. »Wie kommen Sie an die Tasche?« stieß er hervor. 58 �
»Sie gehört deiner Freundin Carmen«, sagte Pablo Ortega. »Sie gab sie mir, als sie mich bat, dich zu grüßen. Leider konnte sie nicht selbst kommen…« Juan ballte die Fäuste. Obwohl die Droge seine Sinne noch lähmte, erfaßte er, daß der Hagere log. »Wo ist Carmen?« ächzte er. »Was habt ihr mit ihr gemacht?« »Der Kleinen geht’s gut«, erwiderte Pablo mit schmierigem Grinsen. »Ich habe Papier und Kugelschreiber dabei. Was glaubst du, wie sie sich freuen wird, wenn sie einen Brief von dir erhält.« »Sie ist also in eurer Gewalt«, murmelte Juan Rodrigo. »Ob sie es bleibt, kommt ganz auf dich an«, knurrte Pablo. »Ihr wollt mich nur bluffen«, krächzte Juan. »Ihr habt mit ihr das gleiche vor wie mit mir. Ihr wollt sie zu einem Monstrum um…« Die Stimme versagte ihm, und er schluchzte auf. »Du erinnerst dich also wieder an das, was du gesehen hast«, stellte Ortega fest. »Du möchtest sicher nicht, daß deine Kleine plötzlich kopflos durch die Gegend schwimmt, wie?« »Halten Sie den Mund!« stieß Juan hervor. »Ich mag nicht daran denken.« Pablo kostete seine Überlegenheit genüßlich aus. »Ist doch alles halb so wild«, verkündete er, »Zuerst wird der Körper völlig unterkühlt und auf eine Temperatur von unter zwanzig Grad gebracht. Ich habe selbst mal zugeschaut, und du kannst es mir glauben. Man spürt wirklich nichts. Dann beginnt die große Stunde des Professors. Mit einigen gekonnten Schnitten trennt er den Kopf vom Rumpf und schließt dann die beiden Körperteile an eine von ihm entwickeltes Versorgungssystem an, damit beide Teile voll funktionsfähig bleiben. Eine Herz-Lungen-Maschine, ausgeklügelte Elektroanlagen sorgen dafür, daß…« Juan Rodrigo hielt sich die Ohren zu. 59 �
»Das dürft ihr mit Carmen nicht machen!« schrie er. »Bringt mich um, aber laßt das Mädchen leben.« »Bueno, dann wirst du jetzt schreiben, was ich dir diktiere«, sagte Pablo Ortega lächelnd. * Kurz vor Sonnenuntergang versuchte José Peralta noch mal, die junge Reporterin zu erreichen. Er hielt vor dem gepflegten Vorstadthaus an, in dem Carmen bei einer älteren Tante wohnte. Doña Rosalia Gonzales, eine mütterlich wirkende, grauhaarige Frau, blickte den dunkelhaarigen, breitschultrigen Besucher fragend an. »Ich möchte zu Señorita Pitera«, sagte er und nannte seinen Namen. »Carmen ist vor über einer halben Stunde weggefahren«, erwiderte Rosalia Gonzales. Ihr Gesicht wirkte besorgt. »Ist etwas nicht in Ordnung?« hakte der Sargento sofort nach. Die Frau hob die Schultern. »Ich weiß nicht«, erwiderte sie. »Sie ist seit einigen Tagen so verändert. Carmen hatte es sehr eilig und verabschiedete sich nicht mal von mir, als sie wegfuhr. Vielleicht hat sie in ihrem Zimmer einen Nachricht hinterlassen. Das tut sie meistens.« Sie verschwand im Hintergrund des Hauses und kehrte kurz darauf mit bleichem Gesicht zurück. Ihre Hände, die den Notizblock hielten, zitterten leicht. José überflog die in aller Eile hingekritzelten Zeile: »Ich halte die Ungewißheit nicht mehr aus«, las er halblaut. »Deshalb sehe ich mich dort um, wo alles begann, vor der Küste, an der Schranke…« Der Sargento hatte genug erfahren. Er wußte, wo das Mädchen zu finden war. 60 �
»Ich kümmere mich um Ihre Nichte«, versprach er der besorgten alten Dame und machte sich auf die Fahrt nach Süden. * Pablo Ortega grinste triumphierend, als er mit dem Brief zu Alfredo Lopez zurückkehrte. »Er hat einen hübschen Brief geschrieben«, verkündete er und schob das Blatt Papier in einen frankierten Umschlag. In diesem Augenblick ertönte ein Summer, und ein rotes Licht über der Tür flackerte auf und ab. Die beiden Männer warfen sich einen raschen Blick zu. Durch eine getarnte Luke in der Wand suchte Lopez die Umgebung mit einem Nachtglas ab. »Wir bekommen Besuch!« stieß er hervor. »Ein Polizeiwagen!« Pedro ließ den Brief in der Tasche verschwinden. »Die Bullen kommen uns wie gerufen«, fuhr Alfredo Lopez fort. »Erledige du das und übergib ihnen das Mädchen!« Pablo Ortega hastete ins Freie und machte Licht. Den heranrollenden Wagen beachtete er nicht. Erst als dessen Scheinwerfer über ihn hinwegstrichen, wandte er sich um und ging auf den Renault zu. »Hier ist Privatgelände!« rief er dem Uniformierten hinter dem Lenkrad zu, der sich aus dem Wagen schob. »Was liegt denn an?« »Ist mir bekannt«, erwiderte der Uniformierte. »Ich verfolgte einen betrunkenen Autofahrer, der in das Gelände da oben flüchtete. Und da die Schranke offen war, nahm ich an, der Bursche in dem gelben Seat sei hier gelandet.« »Hier war niemand«, sagte Pablo. Er wollte fortfahren, aber der Uniformierte ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich wäre auch nicht so weit gefahren, wenn mir nicht ein her61 �
renloser roter MG da oben am Straßenrand aufgefallen wäre«, fuhr er fort. Ortega überlief es in diesem Augenblick siedendheiß. An den Wagen des Mädchens hatte er nicht mehr gedacht. Nur gut, daß sie die Kleine nicht beseitigt hatten. »Der gehört wohl diesem kleinen Biest«, knurrte er mit gespielter Empörung. »Ich wollte Ihnen bereits vorhin sagen, daß ich froh bin, daß Sie zufällig hier vorbeigekommen sind. Bei einem Rundgang vor einer Stunde erwischte ich ein junges Mädchen, das dabei war, in unsere Garagen einzudringen. Ob ihr der Wagen gehört?« »Haben Sie die Kleine festgehalten?« »Sie ist im Haus«, sagte Pablo. »Ich wollte schon die Guardia anrufen, damit die sie abholt.« Der Uniformierte lachte. »Da habe ich den Weg wenigstens nicht umsonst gemacht«, sagte er. »Bueno, dann zeigen Sie mir mal den Vogel!« Carmen Pitera protestierte energisch, als der Uniformierte sie auf Grund von Pablos Anschuldigungen für festgenommen erklärte und sie zu seinem Einsatzwagen brachte. »Versuchen Sie nicht zu fliehen«, warnte er sie, »sonst werde ich ungemütlich!« »Brauchen Sie noch meine schriftliche Aussage?« wollte Ortega – wissen, bevor der Wagen davonrollte. »Darüber wird Capitán Velasques in Facinas befinden«, gab der Uniformierte zurück. »Jedenfalls wird die Muchacha eine Weile in der Zelle schmoren müssen.« Hinter der hochgestellten Schranke stoppte der dunkelgrüne Polizei-Renault. Der Beamte ließt die Schranke wieder herab und fuhr dann bis zu der Stelle, wo Carmen ihren MG abgestellt hatte. »Steigen Sie in Ihren Wagen und fahren Sie hinter mir her.«, 62 �
sagte er. »Und verschwinden Sie mir nicht! Ich bin nämlich mächtig froh, daß ich Sie gefunden habe.« Carmen wunderte sich über den plötzlich veränderten Tonfall des zuvor barschen Beamten. Eine Viertelstunde später erreichten sie Facinas, und Carmen folgte dem Renault in den Hof der kleinen Polizeistelle. Der Uniformierte stieg aus und nahm die Dienstmütze ab, als er auf den MG zuging. »Ich heiße José Peralta«, stellte er sich vor. »War ziemlich leichtsinnig von Ihnen, ins Gelände des Instituts einzudringen. Dort sieht man Fremde nicht gern. So können Sie Ihrem Freund Juan auf keinen Fall helfen.« Carmen war ausgestiegen und blickte Peralta mit großen Augen an. »Wie kommen Sie darauf?« stieß sie verwirrt hervor. »Woher wissen Sie überhaupt, daß ich…« »Wir fahren gleich zurück zu Ihrer Tante«, schnitt der Sargento ihr das Wort ab. »Dort sprechen wir weiter über die Geschichte.« Die Reporterin staunte nicht schlecht, als José Peralta im Polizeigebäude verschwand und wenig später in saloppem Zivil zurückkehrte. »Sie sind gar nicht von der Polizei?« fragte sie. »Teils, teils«, sagte José lächelnd. »Fahren wir.« Es war weit nach Mitternacht, als die beiden in Carmens Zimmer saßen und José der Reporterin die Fragen beantwortete, die ihr auf der Seele brannten. »Ich benötigte natürlich eine Weile, Capitán Velasques in Facinas von meinem Plan zu überzeugen und ihn soweit zu bringen, daß er mir mit einer Uniform und seinem Dienstwagen aushalf«, erklärte der Sargento. »Der Capitán wird uns auch weiterhin unterstützen.« »Woher wußten Sie, wohin ich gefahren bin?« wollte Carmen 63 �
wissen. José Peralta erklärte ihr die Zusammenhänge, die ihn auf ihre Spur gebracht hatten. »Sie glauben mir also, daß ich gesehen habe, wie der weiße Ambulanzwagen…« »Weshalb sollte ich Ihnen nicht glauben?« »Dann vermuten sie also auch, daß man Juan dort unten gefangen hält?« fragte Carmen hastig. »Dazu fehlen uns leider die Beweise«, erwiderte der Sargento. »Ohne stichhaltige Gründe kann niemand das Institut unter die Lupe nehmen. Leider hat die Polizei dort keinen Sanka entdecken können. Vergessen Sie nicht die Aussagen der Empfangsschwester und des Sankafahrers, der einen Schwimmer gefahren hat!« »Die beiden haben entweder gelogen oder sich geirrt«, beharrte das schwarzhaarige Mädchen. »Ich werde mich darum kümmern«, versicherte José Peralta. »Aber ich muß Sie dringend bitten, nichts mehr auf eigene Faust zu unternehmen.« Carmen nickte zögernd. »Und was wird aus Juan?« fragte sie leise. »Ich werde versuchen, ihn schnellstens zu finden«, erwiderte der Sargento, der nicht wagte, ihr von seinem schrecklichen Verdacht zu erzählen. »Noch etwas, Carmen: Verlassen Sie während der nächsten Tage nicht das Haus.« »Weshalb nicht?« »Denken Sie daran, daß Sie offiziell wegen versuchten Einbruchs in Facinas sitzen«, sagte José lächelnd. »Der Capitán ist eingeweiht. Wir müssen den Schein wahren. Die Burschen da hinter der Schranke sind höllisch mißtrauisch.« »Sie denken aber auch an alles«, murmelte Carmen. Sie spürte jedoch, daß der Sargento ihr nicht alles erzählt hatte. 64 �
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»Das hätten wir hinter uns«, sagte Pablo händereibend am nächsten Morgen. »Ich habe Pepe den Brief mitgegeben. Er wird ihn heute noch in Portugal in den Kasten werfen. Die Kleine wird staunen, wenn sie Post von ihrem Don Juan erhält.« »Der Professor hat sich inzwischen über Funk gemeldet«, erklärte Alfredo Lopez. »Sieht ganz danach aus, als werde er in Kürze wieder mit der ›Delphin‹ und seinen Lieblingen auf Schatzsuche gehen. Wir sollen alle Vorbereitungen treffen.« »Und was ist mit unserem Superschwimmer?« wollte Pablo wissen. »Wollte er ihn sich nicht schon morgen vornehmen?« »Darüber hat er noch keine Entscheidung getroffen«, gab Alfredo zurück. »Wir sollen ihm weiter Psychopharmaka spritzen, damit sich sein Nervenkostüm beruhigt hat, wenn es soweit ist. Oswaldo ist im Augenblick bei ihm und untersucht ihn. Er ist ganz begeistert vom Körperbau des Burschen. Am liebsten würde er die Transplantation allein vornehmen.« »Dafür würde der Professor ihn in einen Schwertfisch verwandeln«, kicherte Pablo. »Er wünscht übrigens, daß du heute beim Capitán antanzt und deine Aussage zu Protokoll gibst«, fuhr Lopez fort. »Er möchte nicht, daß die Policia noch mal im Gelände aufkreuzt. Ab sofort soll auch die Schranke verschwinden und der Zaun verstärkt werden. Der Professor will, daß das Institut nur noch vom Wasser aus erreichbar ist.« Eine Stunde später machte Pablo Ortega sich mit seinem Seat auf den Weg. In Facinas gab er seine Aussage zu Protokoll, und ihm wurde bestätigt, daß die Einbrecherin hinter Gittern saß. Im Anschluß dran fuhr Pablo hinauf nach Cadiz, wo er sich zwei Tage aufhalten wollte, um wichtige Besorgungen zu ma65 �
chen. Sichtlich zufrieden trat er am nächsten Vormittag den Rückweg an. Als er durch die Stadt fuhr, machte er jedoch eine Entdeckung, die ihn bis in die Grundfesten erschütterte. * Carmen Pitera hielt sich strikt an das Versprechen, das sie José Peralta am Vortag gegeben hatte. Ihr roter MG stand in der Garage, und sie hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu Juan ab. Ob der Sargento es schaffen würde, Juans Spur aufzunehmen? Die Türklingel schrillte. Sie hörte, wie ihre Tante öffnete und Post entgegennahm. Wenig später betrat die alte Dame ihr Zimmer und reichte ihr stumm einen Luftpost-Expreßbrief. Er war in Faro in Portugal abgestempelt. Für Sekunden stockte Carmen der Atem. Sie hatte sofort Juans Handschrift erkannt. Ihre Hände zitterten, als sie den Umschlag aufriß und den Bogen herausnahm. Auch diese Zeilen waren zweifellos von Juan geschrieben worden. Carmen zwang sich zur Ruhe und las die kurze Nachricht. Was mochte Juan dazu getrieben haben, sich nach Portugal abzusetzen, um von dort aus weiter nach Frankreich zu fliegen? Wovon wollte er leben? Carmen wußte, daß seine Ersparnisse nicht ausreichten, um drei oder vier Monate im Ausland zu leben. Carmen Pitera kam nicht in den Sinn, daß Juan Rodrigo unter seelischem Zwang geschrieben haben könnte. Sie las den Brief noch mal durch. Die Hauptsache war, daß Juan lebte und er sie nicht vergessen hatte. Sie griff nach dem Telefon und drehte die Nummer in die Scheibe, die José Peralta ihr hinterlassen hatte. Aber der Sargen66 �
to war nicht erreichbar. Das Mädchen in der Zentrale ließ sich Carmens Nummer geben und sagte, daß der Sargento am späten Nachmittag zurück sei. Die junge Reporterin hinterließ noch, daß sie einen Brief von dem verschwundenen Juan erhalten habe, dann legte sie auf. Sie wirkte befreit, als sei eine Zentnerlast von ihrer Seele gewichen, und sie sah nicht ein, weshalb sie sich nun doch ihrem freiwilligen Hausarrest unterwerfen sollte. Carmen ließ den Brief auf dem Schreibtisch liegen und verließ das Haus, nachdem sie ihrer Tante die frohe Botschaft mitgeteilt hatte. Dann fuhr sie mit ihrem MG in die Stadt, um sich endlich wieder in der Sportredaktion sehen zu lassen. * Pablo Ortega glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können, als er den roten MG an sich vorüberfahren sah. Was ihn bestürzte, war die Tatsache, daß hinter dem Lenkrad das schwarzhaarige Mädchen saß, das er hinter Gittern glaubte. Da ist etwas faul, überlegte er, während er die Verfolgung aufnahm. Was wurde hier gespielt? Weshalb hatte Capitán Verlasques ihm einen Bären aufgebunden? Du mußt sofort die Zentrale informieren, schoß es Pablo durch den Kopf. Andererseits durfte er Carmen nicht aus den Augen verlieren. Er folgte dem roten Flitzer bis zu einem Gebäude in der Avenida de Alcacar. Er sah, wie Carmen ausstieg und das große Gebäude betrat. Obwohl ihr Verhalten völlig unverdächtig wirkte, bekam Pablo Magenbeschwerden. Der Capitán hatte sie absichtlich belogen! Er mußte einen triftigen Grund dafür gehabt haben… Pablo stellte seinen Seat im Schatten einer Fächerpalme ab. Von hier aus konnte er den Eingang zum Zeitungsgebäude beobach67 �
ten, ohne selbst aufzufallen. Er stieg aus und entdeckte wenige Meter entfernt eine Telefonzelle. Zwei Minuten später hatte er Alfredo Lopez in der Leitung. Alfredo holte geräuschvoll Luft, als er Pablos Bericht gehört hatte. »Bleib ihr auf den Fersen«, entschied er dann. »Beobachte, mit welchen Personen sie Kontakt aufnimmt, und wohin sie fährt! Ich informiere inzwischen den Professor von der Situation. Ruf wieder an, wenn sich etwas tut!« Pablo Ortega wartete über eine Stunde. Da ihm die Zeit zu lang wurde, rief er noch mal Alfredo an. »Ich habe soeben mit dem Professor gesprochen«, kam Lopez direkt zur Sache. »Wir brechen hier vorerst die Zelte ab und verfrachten alles in die ›Delphin‹. Für alle Fälle.« »Und das Mädchen?« knurrte Pablo. »Versuche, sie hierher zu bringen«, gab Alfredo zurück. »Falls es dir gelingt, schalte sie aus! Sie zu, daß es wie ein Unfall aussieht…« »Wird gemacht«, knurrte Pablo und legte sich weiterhin auf die Lauer. * Ein Geräusch hatte Juan Rodrigo geweckt. Er schlug die Augen auf und blickte in das bärtige Gesicht des Professors. Die kohlschwarzen Augen tasteten seinen Körper ab. Dann huschte ein zufriedenes Grinsen über sein Gesicht. »Wir werden eine Reise machen, Amigo«, sagte der Bärtige leise. »Eine Reise, die dein Dasein entsprechend verändern wird. Du wirst zu meinen auserwählten Lieblingen gehören und ein neues Element kennenlernen.« Juan nahm die Worte in sein Bewußtsein auf, aber er wußte ih68 �
ren Sinn nicht zu deuten. Die Drogen, die man ihm injiziert hatte, lähmten sein Denkvermögen. »Wohin?« fragte er müde. »Ich werde zwei Wesen aus dir gestalten«, fuhr der Professor fort. »Eines, das willenlos meinen Befehlen gehorcht, ein zweites, das meine Anordnungen versteht und mitdenkt.« Gleichgültig hörte Juan ihm zu und stand gehorsam auf, als der Professor ihn dazu aufforderte. Wie eine willenlose Marionette folgte er ihm durch einen kahlen Gang und über eine Treppe, die in die Tiefe führte und in eine große Druckschleuse mündete. Eine weitere Treppe endete bei einer Schleuse, die unter Wasser lag. Ein Drucksystem führte den Professor und sein Opfer in den stählernen Leib der ›Delphin‹, die unter der Wasseroberfläche lag. Oswaldo Campana, der engste Mitarbeiter des verbrecherischen Mannes empfing sie mit breitem Grinsen. »Der beste Fang, den wir je gemacht haben«, meinte er. »Wann nehmen wir ihn uns vor?« »Nach Beendigung unseres nächsten Unternehmens«, war die Antwort. »Fette Beute in Sicht?« fragte Oswaldo. »Wenn die Informationen, die ich heute erhalten habe, stimmen, sind unsere weiteren Forschungen auf Jahre hinaus gesichert. Sind alle Leute an Bord?« »Alle«, sagte Oswaldo. »In fünfzig Minuten kommt die Flut, dann können wir auslaufen.« »Und unser Schlepper, die ›Marguerita‹?« »Liegt auf Position vor der Küste.« Der Professor nickte zufrieden. »Kümmere dich um unseren Nachwuchs, Oswaldo«, sagte er. »Ich habe noch mit Alfredo zu reden.« Durch die Schleuse kehrte er an die Oberfläche zurück. Alfredo Lopez erwartete ihn im 69 �
Hauptbüro des Instituts. »Weitere Nachrichten von Pablo?« »Er ist dem Mädchen auf der Spur«, erwiderte Lopez. »Was soll mit ihr geschehen, falls er sie hierher bringt?« »Sie darf auf keinen Fall hier bleiben«, erklärte der Professor. »Verfrachtet sie sofort in den Kajütkreuzer und bringt sie zur ›Marguerita‹. Wer weiß, vielleicht ist sie ein brauchbares Objekt für meine Forschungen… Mit einem weiblichen Wesen habe ich noch nie gearbeitet. Die Sache wäre einen Versuch wert.« »Vielleicht könnten sich auf diese Weise unsere Amphibien untereinander fortpflanzen«, warf Alfredo grinsend ein. »Wer weiß«, erwiderte der Bärtige lächelnd. »Seid auf alle Fälle wachsam. Die Tarnung muß bis ins letzte perfekt sein. Ihr geht weiter eurer offiziellen Tätigkeit nach.« Lopez nickte. »Wann werden Sie zurückkommen, Professor?« wollte er wissen. »Sobald sich der Sturm gelegt hat«, war die Antwort. »Ich kann mich auf euch verlassen?« »Wie immer«, versicherte Alfredo Lopez. * Der Sargento der Escuadrón Misterio befand sich an Bord der ›Esperanza‹, um mit Claudio Tolosa und Felice Martes die letzten Einzelheiten für ihr bevorstehendes Unternehmen zu besprechen. »Wir werden nach Anbruch der Dunkelheit auslaufen«, erklärte José Peralta. »Probleme sind nicht zu erwarten. Unsere Expedition ist inzwischen zu einer Topsecret-Sache geworden.« »Dann dürfte es fraglich sein, ob wir überhaupt mit diesen Monstren zusammentreffen«, gab Claudio zu bedenken. »Ich glaube nicht«, erwiderte Peralta grinsend. »Ich habe einige 70 �
gezielte Indiskretionen begangen.« In welche Richtung verriet er jedoch nicht. Pedro Viti schob in diesem Augenblick den Kopf durch das Kabinenfenster. »Da ist ein Anruf für Sie. Ihre Zentrale will Sie sprechen.« Fünf Minuten später kehrte José Peralta zu Claudio zurück. »Ist was passiert?« »Ich weiß nicht«, murmelte der Sargento nachdenklich. »Carmen Pitera rief in meiner Zentrale an. Juan Rodrigo hat ihr aus Portugal geschrieben.« »Das ist ja ein Ding«, knurrte Claudio. »Damit wäre der Fall doch erledigt, oder?« »Oder er fängt damit erst richtig an«, meinte José Peralta weniger optimistisch. »Ich rief in Carmens Wohnung an. Sie hat das Haus entgegen meiner dringenden Empfehlung verlassen.« »Weshalb sollte sie nicht?« »Weil sie sich angeblich immer noch in Haft befindet«, knurrte der Sargento. »Ich muß sofort in die Stadt. Wenn ich die Kleine finde, lege ich sie übers Knie.« »Dadurch wird unser Auslaufen also verschoben«, meinte Claudio trocken. »No, ihr lauft planmäßig aus. Sollte ich bis dahin nicht zurück sein, komme ich mit dem Hubschrauber nach.« Mit einem unguten Gefühl in der Magengrube fuhr José in die Stadt. * Die stählerne Schleuse in den schwarzgrauen Felsen an der Küste öffnete sich, und die ›Delphin‹, wie der Professor das Unterwasserfahrzeug getauft hatte, schob sich ins Meer. Die starken Elektromotoren summten, und ein leichtes Vibrieren ging durch 71 �
den stählernen Schiffskörper. Oswaldo Campana stand hinter dem Steuerpult und beobachtete den Radarschirm, der ihm die natürlichen Hindernisse vor der Küste aufzeigte. Langsam glitt die ›Delphin‹ in fünfzehn Meter Tiefe durch einen Kanal, der in die Riffe gesprengt worden war. Unter Wasser steuerte Oswaldo die ›Delphin‹ auf die ›Marguerita‹ zu, die als Forschungsschiff weit draußen ihren Dienst versah. Die Umrisse des breiten Kiels tauchten auf dem Radarschirm auf. Ein Greifhaken glitt aus dem Rumpf der ›Marguerita‹ und schnappte am Bug der ›Delphin‹ in eine Stahlöse ein. Sofort stellte Oswaldo die Elektromotoren ab, um die Batterien zu schonen. Im Schlepp steuerte die ›Delphin‹ ihr Ziel weit draußen im Atlantik an. Der Professor und sein Assistent verließen die Kommandozentrale. Im Maschinenraum gaben sie Anweisung, die Objekte umzuschleusen. Als die beiden den langgestreckten Raum im Heck der ›Delphin‹ betraten, glitten die vier Amphibien in das kristallklare Wasser des Beckens. »Meine Amphis!« rief der Professor verzückt, und er konnte sich nicht sattsehen an den Monstren, die weder Mensch noch Fisch waren. Oswaldo nahm vier Messer und schob sie in die dafür vorgesehenen Schlaufen dicht an der Wasseroberfläche. »Seht ihr sie, meine Amphis?« rief der Bärtige den Monstren zu. »Nehmt sie euch und zeigt, daß ihr nichts verlernt habt.« Er stieß einige Pfiffe aus, die von den stählernen Wänden widerhallten. Die Delphinköpfe, die aus dem Wasser ragten, legten sich lauschend zur Seite. Dann glitten die grauenhaften Schöpfungen heran. Menschenarme schoben sich aus dem Wasser, Menschenhände griffen nach den Schnappmessern und verschwanden wieder unter Wasser. 72 �
Oswaldo drückte einen Schalthebel herunter. Von der Decke senkte sich eine Puppe, die in Taucherkleidung steckte. Auf dem Rücken war eine Aqualunge befestigt, deren Atemschläuche zum Kopf der Puppe führten. Jetzt stieß der Professor drei schrille Pfiffe aus. Im Wasser entstand Bewegung. Der erste Fischmensch tauchte blitzschnell unter und schoß auf die Puppe zu. Ein Unterwasserlautsprecher übertrug die Kommandopfiffe. Zufrieden lächelnd beobachteten die beiden Männer, wie das erste Monster die Taucherpuppe anging. Der Arm mit dem Messer schoß vor und durchschnitt den Luftschlauch. Sofort war der zweite Fischmensch heran und vollführte die gleiche rasche Bewegung. »Sie haben nichts verlernt, meine Amphis«, murmelte der Professor stolz. »Und jetzt zeigt, das ihr das andere auch noch könnt.« Oswaldo ließ die Puppe emporschnurren, dann senkte sich eine mit Steinen beschwerte Holztruhe auf den Grund des Beckens. Die Delphinköpfe stießen zwitschernde Pfeiftöne aus, als verständigten sie sich untereinander. »Hebt die Kiste an und tragt sie ans andere Ende des Beckens!« befahl der Professor und stieß wieder einige Pfiffe aus. Zwei Amphibien glitten mit geschmeidigen Schwimmbewegungen in die Tiefe. Durch das klare Wasser war deutlich zu sehen, wie ihre Hände die Griffe packten, die Beinbewegungen heftiger wurden und die schwere Kiste sich vom Boden abhob. Geschickt wendeten die nackten Körper und zerrten die Kiste ans andere Ende des fünf Meter langen Beckens. »Einmalige Geschöpfe«, murmelte Oswaldo begeistert. »Sie reagieren wie Computer, wie ferngesteuerte Wesen aus einer anderen Welt.« »Phantastische Wesen«, bestätigte der Professor. »Gib jetzt die Befehle über Unterwasserschall.« 73 �
Oswaldo betätigte einige Tasten, die elektrische Impulse auf die Monstren übertrugen. Die Amphibien reagierten auf die gleiche Weise wie zuvor. Zwei glitten in die Tiefe und brachten die schwere Kiste an ihren alten Platz zurück. »Sie sind in Hochform«, sagte der Professor. »Laß sie jetzt in ihr Becken zurückschleusen. Ich kümmere mich inzwischen um unseren Zuwachs.« Als er wenig später die Kabine betrat, wo sie Juan Rodrigo untergebracht hatten, stellte er die Instrumententasche ab und musterte den leicht dahindämmernden Rekordschwimmer. Juan blickte den Professor stumpf an. Er war in diesem Augenblick zu keiner Gegenwehr fähig, und sein Gehirn erfaßte nicht die wahren Umstände, denen er hilflos ausgesetzt war. Der Wissenschaftler stopfte sich die Stöpsel des Stethoskops in die Ohren und horchte die Herz- und Lungenfunktion Juans ab. Er nickte zufrieden. Sein Opfer war kerngesund. Die nächste Tätigkeit des Schwarzbärtigen bestand darin, den Körper des jungen Mannes zu vermessen. Körperlänge, Brustumfang, Beinund Armlängen, Breite der Schultern und Halsumfang wurden notiert. Nachdenklich bückte der Professor auf die nackte Gestalt seines Opfers. Er nahm einen Filzschreiber und zog einen dünnen Strich um Hals und Nacken Juans. Es war die gedachte Linie, an der er das Skalpell anzusetzen gedachte, wenn er zur Transplantation überging. Zufrieden mit seinen makabren Untersuchungen kehrte er zu Oswaldo zurück, der soeben über Funk mit der Zentrale an der Küste sprach. Die Nachrichten, die er empfing, waren beunruhigend. *
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Carmen Pitera hatte den Mann nicht bemerkt, der ihr seit einiger Zeit beharrlich durch die Stadt folgte. Sie war glücklich darüber, daß Juan ein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, wenn sie auch die Tatsache bedrückte, daß er sie aus einer plötzlichen Laune heraus Hals über Kopf verlassen hatte. Aber er würde zu ihr zurückkommen, das wußte sie. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie den Sargento anrufen mußte. Um den Weg abzukürzen, nahm sie die schmale, wenig befahrene Straße am alten Hafen, im Süden der Bucht. Als das Mädchen die abbruchreifen Lagerhallen erreicht hatte, bemerkte sie den grünen Seat im Rückspiegel. Den Fahrer konnte sie nicht erkennen, weil er die Sportmütze auf die Brauen gezogen hatte. Carmen konzentrierte sich wieder auf die holprige, von Schlaglöchern übersäte Straße. In diesem Augenblick sah sie, wie der Seat sie überholte und sich vor ihren MG setzte. Als die Bremslichter des Seat aufleuchteten, trat auch sie auf die Bremse. Im gleichen Moment sprang der Mann aus dem Wagen und jagte auf sie zu. Jetzt erkannte Carmen den Mann wieder: Pablo Ortega! Verzweifelt legte sie den Rückwärtsgang ein und ließ die Kupplung unter Vollgas los. Doch da warf sich der Mann über sie und drehte den Zündschlüssel herum. Carmen versuchte zu schreien, aber Pablo preßte seine Hand auf ihren Mund und erstickte ihren Aufschrei im Ansatz. Der Mann verfügte über Bärenkräfte. Mit einem Ruck zerrte er das wild um sich schlagende Mädchen aus dem Sitz und trug sie hinüber zu seinem Wagen. Er zerrte mit einer Hand ein Tuch aus der Tasche und stopfte es ihr als Knebel zwischen die Zähne. Dann stieß er die Kofferraumklappe auf, fischte eine Schnur heraus und band Carmen die Hände auf den Rücken. Pablo warf einen raschen Blick in die Runde. Niemand war in der Nähe. Erneut packte er die Reporterin und warf sie in den 75 �
Kofferraum. Dann schlug die Klappe über ihr zu. Ortega hatte es jetzt eilig, von hier wegzukommen. Er warf sich hinter das Lenkrad und jagte davon. Etwa fünfzig Minuten später rollte der Seat hinunter zum Anlegeplatz der institutseigenen Boote im Süden der Bucht. Pablo stieß den Wagen rückwärts in einen leeren Schuppen. Ein Stichkanal, in dem ein Kajütkreuzer vertäut war, hatte leichten Wellengang. Bevor der hagere Mann das Mädchen aus dem Kofferraum holte, trat er ins Freie und vergewisserte sich, daß er keine ungebetenen Zuschauer hatte. Die Luft war rein. Rasch kehrte er in den großen Bootsschuppen zurück und öffnete den Kofferraum. Carmen Pitera hatte den Knebel ausgespuckt. Der Sauerstoff im Kofferraum schien verbraucht zu sein, denn sie schnappte gierig nach Luft. Pablo kümmerte sich nicht um ihren Zustand. Brutal hob er sie heraus und trug sie an Bord des Kajütkreuzers. Dann stieß er sie hinunter in die geräumige Kajüte. »Schreien ist zwecklos, Chica!« machte er ihr klar. »Hier draußen hört dich niemand.« Erschöpft sank Carmen Pitera auf einen Sitz. »Was haben Sie mit mir vor?« stieß sie schweratmend hervor. Und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Der Brief hatte wahrscheinlich nur dazu gedient, um sie aus dem Haus zu locken. Sicher hatten sie Juan dazu gezwungen, ihr zu schreiben. José Peralta, ihr Retter in der Not, fiel ihr ein. Sie hätte seine strikten Anweisungen befolgen sollen. Aber die Reue kam zu spät… Carmen stieß sich vom Sitz hoch und spürte, wie sich die Schlinge um ihre Handgelenke auf dem Rücken löste. Ein harter Ruck, und sie hatte die Hände frei. Mit dem Mut der Verzweiflung stürzte sie sich auf Pablo, trat 76 �
ihm gegen das Schienbein und wollte an ihm vorbeiwischen. Pablo brüllte wütend auf und warf sich auf das Mädchen. Ihre Hände krallten sich in seine Haare und zerrten daran. Ein brutaler Fausthieb gegen ihre Rippen ließ ihren Griff erlahmen. Aber nur vorübergehend. Die Reporterin wollte sich horchrappeln, verlor jedoch das Gleichgewicht und stürzte neben den Mann im Mittelgang der Kabine. Jetzt sah Pablo Ortega seine Chance. Keuchend warf er sich erneut über das Mädchen. Ein Fausthieb gegen ihre Schläfe löschte ihren Widerstand schlagartig aus. Schweratmend und fluchend kam Pablo auf die Beine. Nach einem prüfenden Blick auf die Bewußtlose stapfte er hinauf zur Fly-Bridge und sperrte die Kabinentür zu. Er mußte schleunigst zur Zentrale zurück. * Als Carmen Pitera wieder zu sich kam, spürte sie das Zittern des Schiffsrumpfes und hörte das Dröhnen des Dieselmotors. Sie hob den Kopf und erkannte sofort die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Sie befand sich auf einem fahrenden Boot, in der Gewalt eines brutalen Verbrechers, und diesmal konnte ihr niemand mehr helfen. Mühsam kam sie auf die Beine. Ihre Schläfe schmerzte und war geschwollen. Die junge Frau ließ sich auf die Sitzbank sinken und stützte den Kopf in die Hände. Wirre Bilder tanzten vor ihren Augen. Sie sah sich in der Gewalt wilder Tiere, von Raubkatzen, die sie auf Schritt und Tritt bewachten. Carmen vermochte diese Vision nicht mehr zu ertragen und riß die Augen auf. Dabei fiel ihr Blick auf ein Stück Papier, das auf dem Kabinentisch lag. Ihre Hand tastete nach dem postkarten77 �
großen Papier und drehte es herum. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. Es handelte sich um ein Foto, das ihre Schreckensvision bei weitem übertraf. Sie würgte. Übelkeit und Angst, Grauen und Schrecken erfaßten sie, während sie auf die Aufnahme starrte, die einen menschlichen Körper zeigte, dem ein Delphinkopf aufgepflanzt war. Schlagartig wurde ihr bewußt, was Juan Rodrigo bevorstand. Blühte ihr das gleiche Schicksal? Rosalia Gonzales blickte José Peralta beunruhigt an. »Carmen hat Sie doch angerufen und Ihnen von dem Brief berichtet, den Juan ihr geschrieben hat«, erklärte sie hastig. »Daraufhin ist sie in die Stadt gefahren, um ihre Redaktion aufzusuchen. Sie glauben nicht, wie glücklich das Mädchen war.« Der Sargento war alles andere als glücklich. »Wann wollte sie zurück sein, Señora?« fragte er so gleichmütig wie möglich. »Bereits vor einer Stunde.« José Peralta verriet Rosalia Gonzales nicht, daß sämtliche Streifenwagen der Stadt den roten MG suchten. Bis zu dieser Stunde jedoch ohne Erfolg. »Hat Carmen hinterlassen, wohin sie noch fahren sollte?« fragte der Sargento. »Sehen wir nach.« Peralta entdeckte sofort den in Portugal abgestempelten Brief auf dem Schreibtisch. Er studierte den Inhalt aufmerksam. Es mußte sich um Juans Handschrift handeln. Zwei Tatsachen aber machten José mißtrauisch. Briefpapier und Kuvert waren spanischer Herkunft, von der Sorte, wie es nur im ›Corte Ingléss‹ einer spanischen Kaufhauskette, verkauft wurde. Wenn Juan aber, wie er schrieb, Hals über Kopf nach Portugal gereist sei, so hatte er kaum spanisches Briefpapier mitgenommen. Ferner fand der Sargento es eigenartig, daß der Brief eine An78 �
zahl Schreibfehler aufwies. Juan war Student und hatte seine bisherigen Prüfungen bestens bestanden. Das setzte eine sichere Beherrschung der Schriftsprache voraus. Was hatte das zu bedeuten? War der Brief von jemand meisterhaft gefälscht worden, um das Mädchen aus dem Haus zu locken? Hatte die Gegenseite herausgefunden, daß Carmen gar nicht in Facinas hinter Gittern saß? Der Sargento las den Brief ein zweites und ein drittes Mal. Dann glaubte er, des Rätsels Lösung gefunden zu haben. Juan Rodrigo hatte absichtlich eine Reihe grammatikalischer Fehler gemacht, um dem Empfänger einen versteckten Hinweis zu geben! »Sie haben nichts dagegen, wenn ich den Brief mitnehme?« erkundigte er sich. »Stimmt etwas nicht?« Die alte Dame schien zu spüren, daß etwas in der Luft lag. José zuckte nur die Achseln. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Señora Gonzales hob ab und gab den Hörer sofort an Peralta weiter. Der Einsatzleiter der Verkehrspolizei meldete sich. »Wir haben den roten MG im alten Hafen bei den Schuppen gefunden«, berichtete er. »Von Carmen Pitera keine Spur. Einige Anzeichen sprechen dafür, daß sie zum Bremsen gezwungen und dann mit Gewalt aus dem Wagen gezerrt wurde. Ein Angler beobachtete einen grünen Seat, der mit hoher Geschwindigkeit davonraste. Die Kennzeichen konnte er nicht erkennen.« José dankte für den Anruf und ließ sich seine Sorgen um das Mädchen nicht anmerken, als er sich verabschiedete, in seinen Wagen stieg und in der nächsten Seitenstraße hielt. Dort nahm er sich den Brief noch mal vor. Er fischte sämtliche Schreibfehler heraus und ergänzte die falsch geschriebenen oder ausgelassenen Stellen und Interpunk79 �
tionen. Das Ergebnis war verblüffend. Juan Rodrigo hatte ihm einen wertvollen Hinweis gegeben. »Professor tranpla… Mensch u Delph… Bin in Gefahr… Carmen in Gewalt? Hilfe! Bin in unterird. Labor Nähe Meer. Hilfe!« Der Sargento blickte nachdenklich auf die entschlüsselte Nachricht. Als Juan den Brief geschrieben hatte, konnte Carmen sich doch unmöglich in Gefahr befunden haben. Oder doch? Während er weiterfuhr, überdachte er diesen Punkt sehr gründlich. Und plötzlich glaubte er, die Zusammenhänge zu kennen. * In einer Höhe von sechshundert Metern flog ein Hubschrauber der Küstenwache über die Straße, die hinunter nach Süden führte. José Peralta hatte den Sitz neben dem Piloten eingenommen. Ungeduldig blickte er auf die belebte Nationalstraße unter sich. An sämtlichen wichtigen Punkten und Kreuzungen hatte die Polizei Kontrollstellen errichtet, die jeden grünen Seat überprüften. Doch der Gesuchte war nicht darunter, wie Peralta über Funk erfuhr. »Fliegen Sie bis hart an die Grundstücksgrenze des Instituts für Meeresbiologie«, schlug er vor. »Mal sehen, was sich da tut.« Die große Wasserfläche der weiten Bucht lag weit rechts von ihnen, als der Helikopter die Grenze abflog. Peralta pfiff leise durch die Zähne, als er entdeckte, daß der Schlagbaum durch einen hohen Stacheldrahtzaun ersetzt worden war. Man schien da unten neuerdings eine ausgesprochene Abneigung gegen Besucher zu haben. Von seinem Platz aus sah er die zahlreichen Zuchtbecken des Instituts. Ob sie dort auch Delphine züchteten? 80 �
Aus seinen Unterlagen, die der Küstenschutz und die Behörden ihm überlassen hatten, sah Peralta, daß das Institut eine eigene Landestelle für hauseigene Boote unterhalb der Bucht unterhielt. Er zeigte dem Piloten auf der Karte, wohin er anschließend fliegen sollte. Fünf Minuten später schwebten sie über der Anlegestelle mit den großen Bootshaus. Außer einem älteren Dieselkahn, der an einem Steg dümpelte, war nichts zu entdecken. »Landen Sie oberhalb der Straße!« rief José dem Piloten zu. Der nickte nur und ließ die Maschine auf die bezeichnete Stelle herabsinken. Noch während die Rotorblätter ausschwangen, sprang der Sargento ins Freie. Er lief den gewundenen Zufahrtsweg zum Ufer hinunter. Im Sand, der den Asphalt bedeckte, erkannte er deutlich die Reifenspuren eines Wagens, die direkt zu dem Bootsschuppen führten. Er war nicht sonderlich überrascht, als er im Schuppen den gesuchten grünen Seat entdeckte. Bevor er sich näher mit dem Wagen befaßte, forderte er den Piloten auf, Capitán Velasques in Facinas an Bord zu nehmen und herzubringen. Peralta legte die Hand auf die Motorhaube des Seat. Sie war noch warm. Der Wagen war nicht versperrt, und die an der Lenksäule befestige Zulassung verriet, daß der Wagen dem Institut gehörte. Der Kofferraum war ebenfalls nicht abgeschlossen. Bis auf ein zusammengerolltes Taschentuch enthielt er nichts. José nahm das Tuch mit spitzen Fingern hoch. Es war in der Mitte feucht. Hatte man damit das Mädchen geknebelt? Zehn Minuten später traf Capitán Velasques ein. Er grunzte zufrieden, als er den Wagen sah. Neugierig beugte er sich über den Kofferraum und leuchtete ihn mit der Taschenlampe ab. »Sehen Sie sich das an«, knurrte er dann. »Das ist der Beweis, daß man jemand im Kofferraum transportiert hat. Sehen Sie die 81 �
Schürfspuren von Absätzen auf der Gummimatte? Sie sind ganz frisch…« »Wir müssen uns beeilen, Capitán!« stieß der Sargento hervor. »Fliegen wir hinüber zum Institut! Jetzt geht’s aufs Ganze!« * Pablo Ortega hatte den Kajütkreuzer unterhalb der Steilküste angelegt. In den Fels geschlagene Stufen führten hinauf zu den Forschungsgebäuden. Er hatte gerade den Steg betreten, da kamen ihm Alfredo Lopez und einer ihrer Leute entgegen. »Hast du sie erwischt?« rief Lopez von weitem. Pablo deutete mit dem Daumen hinter sich. »Sie schläft«, knurrte er, ohne zu erwähnen, aus welchem Grund Carmen in Ohnmacht gefallen war und daß er das Foto hatte verschwinden lassen. »Bueno, Pepe übernimmt den Kahn und bringt sie zur ›Delphin‹«, ordnete Lopez an. Ohne Pablo eine weitere Erklärung zu geben, sprang Pepe ans Steuer, startete den Motor und jagte hinaus in die Bucht. »Los, nach oben!« stieß Lopez hervor. »Die Policia kann jeden Augenblick hier aufkreuzen!« Sie hetzten die Stufen hinauf und verschwanden wenig später in einem der Nebengebäude. »Was ist passiert?« keuchte Pablo außer Atem. »Sieht so aus, als suchten sie das Mädchen«, erklärte Alfredo Lopez. »Vorwärts, wir gehen unserer Beschäftigung nach und wissen von nichts.« Ortega nickte. »Ist unten alles in Ordnung?« wollte er wissen. »Die Tarnung ist perfekt. Los, zieh dich um!« Alfredo Lopez trug hüfthohe Wasserstiefel, als sich der Hub82 �
schrauber auf die Plattform hinter den Gebäuden herabsenkte. Der Mann hatte ein an einer Stange befestigtes Fischnetz in der Hand. Sein Gesicht drückte Erstaunen aus, als er auf den Hubschrauber zuging. Er erkannte den Capitán sofort. Den kräftigen dunkelhaarigen Mann an dessen Seite hatte er jedoch noch nie zuvor gesehen. »Ola, Capitán!« rief Alfredo beim Näherkommen. »Seit wann gehen Sie in die Luft? Ist etwas passiert?« Er lehnte das tropfnasse Netz gegen die Mauer. »Handelt es sich etwa um das Mädchen, das bei uns eingebrochen hat?« »Die Kleine ist uns ausgerissen«, erwiderte Velasques. »Suchen Sie die Ausreißerin etwa hier?« fragte Alfredo spöttisch. »Sie würde sich hüten…« Der Capitán zuckte nur die Achseln und stellte José vor. »Das ist Sargento Peralta von der Verkehrspolizei. Er war es, der das Mädchen auf ihrem Grundstück festnahm und bei mir ablieferte.« »Freut mich«, brummte Alfredo. Er hatte sofort das Gefühl, daß er sich vor diesem Peralta in acht nehmen mußte. »Bueno, was kann ich für Sie tun?« »Ich hätte mich gern noch mal mit Señor Ortega unterhalten«, sagte Peralta. »Er ist doch anwesend, oder?« »Natürlich. Wo sollte er sonst sein? Weshalb fragen Sie?« »Benutzte er in den letzten zwei Stunden einen der Wagen?« Alfredo Lopez war auf der Hut. »Ach, Sie meinen, weil wir die Schranke da oben beseitigt haben? In der letzten Zeit hatten wir zu viele ungebetene Besucher.« »Haben Sie etwas zu verbergen?« stieß Peralta nach. »Das weniger«, gab Lopez zurück. Er deutete auf die Versuchsbecken. »In den Becken befindet sich die Aufzucht einiger tausend wertvoller Fischsorten, die wir vor dem Aussterben bewah83 �
ren wollen. Seitdem uns jemand einige Fische vergiftete, sind wir vorsichtig geworden. Bueno, Señor Ortega benutzte von unserer Anlegestelle aus den dort abgestellten Wagen.« »Einen grünen Seat, nicht wahr?« hakte Peralta nach. »Sie sagen es.« »Wo finde ich Ortega jetzt?« fuhr José fort. »Irgendwo im Gebäude. Soll ich ihn rufen?« »Wenn Sie nichts dagegen haben, suche ich ihn selbst.« »Natürlich. Sie wissen sicher noch den Weg.« Der Sargento ließ den Capitán mit Lopez allein und betrat das Gebäude durch die Tür, die er in der Nacht bereits einmal benutzt hatte. In dem langen Flur blieb er stehen und rief laut nach Ortega. Ein Mann in einem weißen Kittel kam aus einer Tür. »Pablo dürfte unten bei einem der Innenbecken sein«, sagte er und beschrieb Peralta den Weg. Der Sargento nahm die Stufen und hielt dabei die Augen offen. Er prägte sich sämtliche Einzelheiten ein, während er nach unten lief. Die Stahltür zu dem Innenbecken war nur angelehnt. Und dann sah er Pablo Ortega. Der hagere Mann trug ebenfalls hohe Gummistiefel. Seine Hände steckten in Stulphandschuhen. Ortega stand bis zu den Hüften im Becken und beobachtete die Bewegungen langer, schlanker Fische, die im Wasser flitzten. »Sie kenne ich doch!« rief er aus, als er Peralta erblickte. »Sie waren es, der uns von dieser diebischen Elster befreit hat. Was liegt denn noch an?« Er streifte sich die Handschuhe ab und stieg aus dem Becken. »Zitteraale«, erklärte er. »Bei den Biestern braucht man Handschuhe. Dreht sich’s noch immer um die Kleine?« »Sie sagen es«, erwiderte der Sargento. »Die junge Dame ist ausgebrochen, kurz nachdem Sie beim Capitán waren.« »Das ist ja ein Ding!« knurrte Pablo. »Wohin sind Sie nach dem Besuch beim Capitán gefahren?« 84 �
fragte Peralta sachlich. »Hab’ ein paar Besorgungen gemacht und bin dann zum Bootshaus hinuntergefahren«, erwiderte Pablo. »Welchen Wagen haben Sie benutzt? Und um welche Zeit kamen Sie wieder hier an?« »Mierda, soll das ein Verhör sein?« legte Pablo empört los. »Ich bat Sie nur, mir ein paar Fragen zu beantworten.« »Also gut, ich habe den Seat genommen, der im Bootsschuppen für uns bereit steht«, gab Pablo zu. »Zurück war ich um die Mittagszeit. Und die verdammte Kleine habe ich auch nicht gesehen. Genügt das?« »Nicht ganz«, blieb der Sargento kühl. »Ein Angler draußen an der Bucht hat gesehen, wie ein Mädchen mit einem Boot hierher fuhr.« »Hier ist kein Boot mit einem Mädchen gelandet«, knurrte Ortega. »Das hätten wir gemerkt.« »Auch, wenn Sie sich hier unten aufhalten?« fragte José spöttisch. »Wo ist übrigens das Boot, mit dem Sie herkamen? Von der Luft aus konnten wir nichts erkennen.« Pablo schluckte. Daran hatte er nicht gedacht. »Einer unserer Mitarbeiter ist damit hinausgefahren, um die Reusen vor der Küste zu kontrollieren«, knurrte er heiser. Peralta glaubte ihm kein Wort, aber er ließ sich nichts anmerken. »Vielleicht ist Ihnen doch etwas entgangen«, meinte er. »Sie haben sicher nichts dagegen, wenn ich mich ein wenig im Gebäude umsehe?« »Von mir aus, wenn der Leiter des Instituts, Señor Lopez nichts dagegen hat?« José trat hinaus auf den Gang und stieß die erste Tür an der Seite auf. Er blickte in einen Raum, in dem einige große Aquarien aufgebaut waren. Eine Menge bunter kleiner Fische tummelte 85 �
sich in ihnen. Auch in den anderen Räumen konnte Peralta nichts Verdächtiges feststellen. Er sah Pumpanlagen, die Meerwasser in die Becken pumpten, und entdeckte Labors, in denen Leute dabei waren, winzige Meeresbewohner unter Mikroskopen zu beobachten. Am untersten Treppenabsatz blieb José stehen. Von hier aus zweigte keine weitere Tür mehr ab. Aber einige Spuren auf den Fliesen erweckten sein Interesse. Es war eine dünne Schleifspur, die sich bis an die glatte Wand hinzog und mehr verriet als all die dekorativen Einrichtungen. Peralta glaubte längst nicht mehr daran, daß sich das Mädchen und Juan noch in diesem Gebäude aufhielten. Kurz vor sieben Uhr verließ er den Bau und ging auf Velasques zu, der sich oben umgesehen hatte. »In den Gebäuden ist alles in Ordnung!« rief der Sargento. »Wie sieht’s hier draußen aus? Keine Versteckmöglichkeiten?« »Bei den Aalen im Becken dürfte sie sich kaum verborgen haben«, erwiderte der Capitán. »Señor Lopez war so liebenswürdig, mich überall herumzuführen. Ein interessanter Betrieb.« Sie verabschiedeten sich und kehrten zum Hubschrauber zurück. * José Peralta hatte es geschafft, pünktlich vor dem Auslaufen der ›Esperanza‹ an Bord zu sein. »Sie sehen ziemlich ausgelaugt aus«, fand Claudio Tolosa, als der Sargento sich in einen Sessel in der Kabine sinken ließ und sich eine Ducados zwischen die Lippen klemmte. »So fühle ich mich auch«, knurrte José und blies den Rauch in die Luft. Der Diesel ließ die ›Esperanza‹ erzittern, als das Taucherschiff 86 �
den Hafen von Cadiz verließ. »Sind Sie wenigstens weitergekommen, Sargento?« fuhr Claudio fort. »Was ist aus dem Mädchen geworden?« »Carmen wurde entführt, aber ich glaube zu wissen, wohin man sie verschleppt hat. Ist Ihnen der Forschungskutter ›Marguerita‹ ein Begriff?« Claudio nickte. »Ein harmloser Kahn«, meinte er wegwerfend. »Tuckert draußen auf dem Meer herum, fängt Fische aller Art, entnimmt Wasserproben, Algen und Plankton und…« »Die ›Marguerita‹ gehört dem Institut«, wurde er von José unterbrochen. »Hui!« machte Claudio. »Sie vermuten, daß sich nicht nur die Entführten an Bord befinden, sondern auch die verfluchten Monstren von dort aus gesteuert werden?« »Sie«, brummte José. »Und weshalb lassen Sie nicht ein Aufgebot von Marine und Luftwaffe einsetzen?« stieß Claudio hervor. »Ein Großeinsatz würde alles verderben«, gab Peralta zurück. »Die zuständigen Behörden wissen Bescheid, aber man überließ es mir und einigen Spezialisten, Beweise zu sichern und zu versuchen, die Entführten zu retten.« »Spezialisten?« knurrte der Schiffseigner. »Kampfschwimmer der Marine, die sich bereits im Atlantik tummeln«, erwiderte Peralta. »Hoffentlich kommen wir nicht zu spät«, murmelte Claudio Tolosa. José Peralta zeigte sich optimistisch. »Diesem Teufel in Menschengestalt, der sich Professor nennt, werde ich gehörig auf den Schwanz treten«, prophezeite er. *
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Nach zwei Stunden flotter Fahrt hatte der Kajütkreuzer die ›Marguerita‹ erreicht. Niemand war an Bord des Kutters zu sehen. Pepe dirigierte das Boot nach Steuerbord, griff nach dem Mikrophon und teilte seine Ankunft mit. Wenig später begann neben dem Kajütkreuzer das Wasser zu sprudeln und der Turm der ›Delphin‹ schob sich über die Wasseroberfläche. Dann öffnete sich das Luk und Oswaldos Kopf kam heraus. »Hast du die Kleine dabei?« rief er. Pepe nickte. Er verschwand in der Kajüte und kehrte mit dem bewußtlosen Mädchen zurück. Vorsichtig hob er sie über Bord und ließ sie in das Turmluk gleiten, wo sie von Oswaldo in Empfang genommen wurde. Sofort schloß sich das Luk, und die ›Delphin‹ ging wieder auf Tauchstation. Pepe gab wieder Vollgas und steuerte die Küste an. Oswaldo musterte das Mädchen mit Kennerblick, als er Carmen in den Raum trug, in dem der Professor vor einem Funkgerät saß, das ihn mit dem Institut verband. »Es läuft alles nach Plan!« rief er Oswaldo gelassen zu und warf einen raschen Blick auf das Mädchen. »Bring sie hinüber zu dem Jungen! Verpaß ihr eine Droge, damit sie nicht zu sehr rebelliert!« Nachdem Oswaldo verschwunden war, widmete er sich wieder seinem Gesprächspartner. »Die Policia ist mit hängenden Ohren abgezogen«, vernahm er Alfredos Nachricht. »Unsere Tarnung hat sich als perfekt erwiesen.« »Haltet trotzdem die Augen offen und teilt mir jede Kleinigkeit mit, die von Bedeutung sein könnte!« »Claro! Wie geht die Expedition weiter?« Der verbrecherische Mann kicherte siegessicher. 88 �
»Die ›Esperanza‹ ist planmäßig ausgelaufen und nimmt Kurs auf das Wrack der ›Isabel‹, das achtzig Meilen vor der Küste liegt. Das Wrack soll Gold und Silber im Wert von mehreren Millionen an Bord haben. Damit sind meine Forschungen für mehrere Jahre gesichert.« Der Professor unterbrach die Funkverbindung und stellte die Bordsprechanlage an, die ihn mit sämtlichen Stationen der ›Delphin‹ verband. Diesmal aber wollte er mit niemand sprechen. Ihm ging es darum, das Gespräch zwischen zwei Menschen zu belauschen. * Juan Rodrigo lag in dem kleinen Raum auf einer Gummimatte. Die Geschehnisse der letzten Stunden hatte er desinteressiert über sich ergehen lassen. Er wandte nicht mal den Kopf, als sich das Schott öffnete und Oswaldo das bewußtlose Mädchen auf die weiche Matte legte. Juan hatte nicht erkannt, daß das Mädchen, das sich seinetwegen in tödliche Gefahr begeben hatte, dicht neben ihm lag. Nachdem Oswaldo verschwunden war, schlug Carmen Pitera die Augen auf. Sie brauchte eine Weile, um sich zurechtzufinden. Sie vernahm das Summen der Elektromotore, registrierte die stählernen Wände, und dann vernahm sie den regelmäßigen Atem eines Menschen dicht neben sich. Carmen wälzte sich herum. Ein wilder Schrei kam über ihre Lippen, als sie in Juans Gesicht blickte. »Juanito!« flüsterte sie und schlang ihren Arm um den nackten Oberkörper des jungen Mannes. »Du lebst. Ich habe es gewußt!« Juan blickte sie nachdenklich an, dann trat ein Erkennen in seine Augen. »Carmen, du hier?« stieß er hervor. »Wo kommst du her? Hat 89 �
man dich auch…?« »Ich habe dich gesucht, Querido«, sagte Carmen. »Ich war zuletzt auf einem Kajütboot. Wo sind wir?« »Ich vermute in einem Unterwasserboot«, gab er ruhig zurück. »Was haben sie mit dir gemacht, Juanito?« fragte Carmen leise. »War es schlimm?« »Schlimm?« murmelte Juan. »Nein, noch nicht. Sie wollen mich…« Er unterbrach sich, und in seine Augen trat ein entsetzter Ausdruck. »No, ich kann es dir nicht sagen.« Carmen mußte an das Foto denken, das sie in der Kajüte entdeckt hatte. Ihre Lippen begannen zu zittern. »Du… du meinst… diese schrecklichen Fischmenschen?« brachte sie hervor. »Der Mann, der mich entführte, besaß ein Foto, worauf sich ein Monster befand. Ist es wahr, Juan, oder ist das alles nur ein böser Traum?« Die Droge, die Oswaldo ihr zuvor injiziert hatte, begann ihre Wirkung zu zeigen. Das Mädchen wirkte ruhiger, als es diese Worte ausstieß. »Es ist kein Traum«, gab Juan zurück. »Ich habe sie selbst gesehen, diese Delphinköpfe mit den menschlichen Leibern. Der seltsame Professor wird mich auch in ein solches Wesen verwandeln. Ich kann es nicht behindern.« Die junge Reporterin registrierte die Veränderung, die in ihr vorging, und sie wunderte sich, wieso sie plötzlich alles so gelassen hinnahm. »Erzähl mir alles, was du weißt, was du bisher gesehen und erlebt hast!« drängt sie. »Wer weiß, vielleicht ist es noch nicht zu spät. Es gibt da jemand, dem ich grenzenlos vertraue, ein Mann, der uns helfen wird, wenn es in seinen Kräften steht.« Langsam berichtete Juan von seinen grauenhaften Erlebnissen. Das Mädchen nickte, obwohl sie nichts mehr verstand. Ihre Lieder sanken herab, dann schlief sie mit dem Kopf auf Juans Brust ein. 90 �
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Die Morgensonne tauchte die Fluten des Atlantik in flüssiges Gold, als die ›Esperanza‹ ihr Ziel erreicht hatte und Claudio Tolosa den Treibanker werfen ließ. Die Männer an Bord des Taucherschiffes waren längst munter und trafen ihre Vorbereitungen für die ersten Tauchunternehmungen. Claudio hatte bereits vor Wochen die Tiefe erkundet und Teile des Wracks freilegen lassen. Stürme hatten ihn damals daran gehindert, das Unternehmen fortzusetzen. Er schätzte, daß sie, wenn alles glatt ging, bereits am späten Nachmittag fündig werden konnten. Unter ungewöhnlichen Sicherheitsvorkehrungen gingen die Taucher in die Tiefe. Während jeweils drei Männer arbeiteten, wurden sie von vier weiteren, mit Harpunen bewaffneten Kollegen bewacht. Mehrere starke Unterwasserscheinwerfer erhellten den Schauplatz um das Wrack. Alarmgeräte, die an Kabeln herabhingen, waren für jeden erreichbar. Zudem hatte man eine Unterwasser-Fernsehkamera herabgelassen und beobachtete die Arbeiten auf dem Monitor in der Kabine des Schiffseigners. Solange man die wertvolle Beute nicht freigelegt hatte davon war man an Bord überzeugt würde sich der unheimliche Gegner kaum zeigen. Nur drei Leute hatten zu Claudios Kabine Zutritt. Der Sargento von der Escuadrón Misterio hatte darauf bestanden, um in Ruhe seinen Plänen nachgehen zu können. Seine Haupttätigkeit bestand zu diesem Zeitpunkt darin, sich mit dem Funkgerät zu befassen und mit einigen für ihn wichtigen Stellen in Kontakt zu bleiben. Vom Küstenschutz hatte er soeben erfahren, daß sich die ›Marguerita‹ knapp dreißig Meilen südlich von ihrem Standort be91 �
fand. Die nächste Meldung, die José Peralta erhielt, war schon brisanter. Sie kam von der Einsatzleitung der Kampfschwimmer, die sie an der Küste aufhielt, von wo aus sie ihre Einsätze steuerten. »Beim Institut läuft alles seinen normalen Gang«, erklärte der Einsatzleiter. »Aber was glaubst du, was unsere Jungs vorhin unterhalb der Klippen entdeckt haben?« »Mach’s nicht so spannend«, knurrte der Sargento ungeduldig. »Schon mal was von einem U-Boot-Bunker gehört?« tönte es zurück. »Bueno, ich habe die Aufnahmen, die meine Jungs unter Wasser geschossen haben, vor mir liegen. Es handelt sich um eine vermutlich hydraulisch betätigte Stahlschleuse von sechs Metern Breite und sieben Metern Höhe. Der Grund vor der Schleuse ist glatt. Sieht aus, als hätte man hier die Klippen einfach wegrasiert.« José Peralta pfiff begeistert durch die Zähne. »Ihr seid nicht mit Gold zu bezahlen«, sagte er. »Setz dich mit den zuständigen Leuten in Verbindung. Das gesamte Gelände unter und über Wasser ist hermetisch abzuriegeln. Keine Sardine darf entwischen.« »Verstanden! Aber hineinlassen dürfen wir jeden, wenn ich richtig verstanden habe. Hast du an etwas Besonderes gedacht?« »Si, an ein Ding aus Stahl, das genau in die Schleuse paßt.« »Ich melde mich, sobald so ‘ne Riesenzigarre auftaucht«, tönte es zurück. »Wovon reden Sie die ganze Zeit, Sargento?« erkundigte sich Claudio, der dem Funkgespräch gespannt gefolgt war. »Glauben Sie etwa, daß man die Fischmenschen von einem U-Boot aus auf uns losläßt?« »Kein U-Boot«, gab Peralta zurück. »Vor knapp vier Jahren verschwand ein Tauchboot, eine Sonderkonstruktion, die mit einem Batyskaph Ähnlichkeit hat, weit draußen im Atlantik. Sie 92 �
wurde von einem Professor Ernesto Morena konstruiert und für Tiefseeforschungszwecke eingesetzt. Trotz intensiver Suche hat man nie wieder etwas von dem Tauchboot und seiner Besatzung entdeckt.« »Ich habe davon gehört«, murmelte Claudio. »Aber ich kann mir nicht vorstellen…« »Morena war zudem einer der besten Mediziner, die es gab«, zeigte der Sargento sich bestens informiert. »Er war auch einer der ersten, der sich mit Transplantationen aller Art befaßte.« Claudio Tolosa wechselte die Gesichtsfarbe. »Und Sie glauben, daß dieser Mann noch lebt und er es ist, der die Monster geschaffen hat?« stieß er hervor. »Ich muß diese Möglichkeit in Betracht ziehen«, murmelte Peralta. Er hängte sich erneut ans Funkgerät und war in kürzester Zeit mit dem Marineministerium verbunden. Er trug sein Anliegen sachlich vor, und man sicherte ihm jede Unterstützung zu. »Mann, Ihre Beziehungen möchte ich haben!« knurrte Claudio. »Und wie geht’s jetzt weiter?« »Sobald die erste Mannschaft wieder auftaucht, gehen wir mit der zweiten auf Tauchstation«, erklärte der Sargento. »Wird es ernst?« »Bitterer Ernst, wenn mich nicht alles täuscht«, erwiderte José Peralta. Die Sorge um die beiden jungen Menschen, die sich in der Gewalt des Gegners befanden, lastete wie ein Zentnergewicht auf seiner Seele. * Acht Taucher umkreisten das Wrack der ›Isabel‹, das schräg im Sand lag und von Algen und Muscheln übersät war. Mit Spezialgeräten hatte die erste Mannschaft die Planken bearbeitet, war aber noch nicht viel weiter gekommen. Claudio, der neben Peral93 �
ta schwamm, deutete mißmutig an, daß sie sich verschätzt hatten und es noch einige Tage dauern konnte, bis sie den Rumpf durchbrochen hatten. Das hatte der Sargento ebenfalls erkannt. Aber so lange konnte er nicht warten. Deshalb startete er einen Bluff. Über Telefon gab er zur ›Esperanza‹ durch, daß es sich nur noch um eine halbe Stunde handeln könne, bis sie an den Schatz heran waren. Claudio gab den anderen ein Zeichen, ab sofort äußerst wachsam zu sein und jederzeit mit einem Angriff zu rechnen. Während drei Taucher die alte Galeere bearbeiteten, hielten sich die anderen im weiteren Umkreis auf und suchten die Umgebung ab. Sie hatten die langen Messer griffbereit in den Gürteln und schußbereite Harpunen in den Händen. In unmittelbarer Nähe hingen an Stahlseilen weitere Sauerstoffflaschen, um unter Wasser die Aqualungen wechseln zu können, wenn es hart auf hart ging. Alle dachten das gleiche: Lagen sie vergebens auf der Lauer, oder würden die Monstren dann angreifen, wenn sie am wenigsten darauf vorbereitet waren? Zehn Minuten, bevor ihr Sauerstoffvorrat erschöpft war, hängten sie sich gegenseitig die Ersatzflaschen um. Damit hatten sie für eine weitere knappe Stunde Atemluft. Plötzlich stieß Claudio den Sargento heftig an und deutete auf vier silbrig glänzende Gestalten, die sich rasch durch das Wasser bewegten. Im Abstand von knapp zwei Metern, auseinandergezogen wie eine Flugzeugformation, kamen sie auf die Taucher zu. Zuerst waren lediglich die Delphinköpfe zu sehen, dann aber die menschlichen Körper. Jedes der vier Monstren hielt ein langes Messer in der Hand. Obwohl alle mehr oder weniger auf den unheimlichen Anblick vorbereitet gewesen waren, starrten drei der Taucher entsetzt auf die Amphibien und wollten flüchten. 94 �
Claudio und zwei andere bedeuteten ihnen, zu bleiben und die Messer zu ziehen, Angewidert und fasziniert zugleich beobachtete José Peralta die herangleitenden Monstren. Er bemerkte, wie sich eines der Wesen absonderte und sich auf den Taucher auf der anderen Wrackseite stürzen wollte. Mit einigen schnelle Schwimmstößen war Peralta an der Stelle. Er sah, wie der Fischmensch die Hand zum tödlichen Stoß hob. Dem Sargento blieb keine andere Wahl. Blitzschnell riß er die Harpune hoch, zielte kurz und drückte ab. Die Harpune zischte wie ein Blitz durch das Wasser und bohrte sich in den Körper des monströsen Angreifers. Ein Ruck ging durch den Körper. Blut färbte das Wasser rot. Dann waren die anderen Amphibien heran. Peralta spürte eine Bewegung hinter sich. Er tauchte tiefer und fuhr blitzschnell herum, das Messer in der Hand. Die Klinge des Angreifers fuhr dicht an seinem Gesicht vorbei. Jetzt stieß der Sargento zu. Er spürte, wie sie die Klinge bis zum Heft in den Körper des Monsters bohrte. Rasch zog er sie wieder heraus und schwamm aus der Zone, in der die Amphibie verblutete. Sand wölkte hoch und verschlechterte die Sicht. Claudio und zwei Taucher hatten einen der Angreifer umzingelt. Verbissen stießen sie mit ihren Messern auf ihn ein. Der Wille zu überleben, war stärker als Angst und Abscheu vor diesen gespenstischen Wesen. Der Sargento erkannte nach einem raschen Rundblick, daß den Männern keine Gefahr mehr drohte. Langsam schwamm er aus dem Lichtkreis. Und da sah er, wie der vierte Fischmensch sich zur Umkehr wandte. Waren diese Wesen in der Lage, die kritische Situation zu erfassen? José Peralta nahm sich nicht die Zeit, langwierige Betrachtungen darüber anzustellen. In sicherem Abstand schwamm er hinter dem Monster her, das sich im Tempo eines guten Schwim95 �
mers vorwärtsbewegte. José schätzte, daß er einen Kilometer zurückgelegt haben mußte, als weit vor ihm ein Lichtpunkt aufblitzte. Das Monster hielt genau darauf zu. Der Sargento handelte reaktionsschnell, als plötzlich zwei Scheinwerfer aufflammten und die Umgebung in gleißende Helligkeit tauchten. Er tauchte tiefer und ging hinter einer Koralle in Deckung. Von seinem Versteck aus machte er die Umrisse eines Tauchbootes und den Fischmenschen aus, der ein blaues Punktlicht ansteuerte. Dann sah Peralta die runde Panzerglasscheibe, die in den Stahlrumpf des Gefährts eingelassen war, und das hagere, bärtige Gesicht eines Mannes hinter der Scheibe, der wie gebannt ins Wasser starrte und dabei die Lippen bewegte. Unter dem blauen Punktlich öffnete sich ein Schott. Der Fischmensch hielt darauf zu und verschwand dahinter. Peraltas Gestalt straffte sich. Sein erster Gedanke war, sich in die Höhle des Löwen zu begeben und dem Monster zu folgen. * Mit zusammengepreßten Lippen stand der Professor hinter der Panzerglasscheibe. »Sie kommen zurück, meine Amphis«, murmelte er. »Leitlicht einschalten, Oswaldo! Dann Peilton und Scheinwerfer!« Eine Amphibie geriet in den Lichtkreis. »Teufel!« fluchte der Bärtige plötzlich. »Wo sind die anderen? Peilton verstärken, Schleuse öffnen!« Ultraschallgeräte sandten ihre Impulse durch das Wasser, aber sie wurden nicht mehr wahrgenommen. »Sie kommen nicht!« tobte der Professor und hämmerte mit der Faust gegen die Panzerglasscheibe. »Oswaldo, was hat das zu bedeuten? Ist etwas mit den Geräten nicht in Ordnung? Du 96 �
mußt sie rufen, immer wieder rufen!« Silbrighelle Schatten tauchten im Hintergrund auf. »Haie!« stieß der Professor hervor. »Sie müssen von Haien angegriffen und vernichtet worden sein. Meine armen Amphis!« Oswaldo wartete keine weiteren Anweisungen mehr ab. Er schloß die Schleuse und schaltete die Scheinwerfer aus. »Wir fahren zu Basis zurück!« ließ der Professor sich schließlich vernehmen. Er wandte sich um und ging hinüber zum Druckraum, in dem sich das überlebende Monster befand. Aber er mußte erkennen, daß es mit seiner teuflischen Schöpfung zu Ende ging. Körper und Schädel bluteten aus mehreren Wunden und färbten das Wasser im Becken rot. »Diese verdammten Haie!« krächzte er. Er war derart verblendet, daß er gar nicht auf den Gedanken kam, es könnten sich andere Gegner eingefunden haben, die es mit seinen Horrorwesen aufgenommen hatten. Dann straffte sich seine Gestalt, und er kehrte zu Oswaldo zurück. »Wir machen weiter! Wir haben zwar einen Rückschlag erlitten, aber wir werden ihn rasch wieder aufholen. Unser jungen Freund da hinten wird uns keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Ich gehe in den Operationsraum. Bring ihn herüber! Ich beginne sofort damit, seinen Körper zu unterkühlen. Bis wir zurück in unserer Basis sind, hat er die richtige Temperatur. Wie lauten die letzten Meldungen vom Institut?« »Alles in bester Ordnung«, verkündete Oswaldo. »Alfredo hat im Radio gehört, daß die Polizei in der Nähe der portugiesischen Grenze Spuren des Vermißten aufgenommen hat.« »Wir können also in aller Ruhe weiterarbeiten«, murmelte der Professor zufrieden. Als er wenig später den kleinen OP betrat, lag Juan Rodrigo bereits auf dem Kühlbett, über das seine Plexiglashaube gestülpt war. Leichter Reifansatz an der Unterseite der Haube zeigte, daß 97 �
der Unterkühlungsprozeß bereits in vollem Gang war. Der Professor machte sich an einigen Instrumenten zu schaffen. Immer wieder blickte er hinüber zu der kräftigen Gestalt Juans, der sich im Tiefschlaf befand und keine Ahnung hatte, was um ihn herum vorging. * José Peralta hatte für Sekunden mit dem Gedanken gespielt, sich hinter dem Monster durch die Druckschleuse in die ›Delphin‹ einzuschmuggeln. Aber er hatte den Einfall rasch wieder verworfen, da ihm dieses Einmann-Unternehmen aussichtslos erschien. Er wartete, bis das Tauchboot davonglitt, dann machte auch er sich auf den Rückzug. Langsam tauchte er auf und blickte in die Runde. Weit im Hintergrund schwamm die ›Esperanza‹. Peralta zog eine wasserdichte Leuchtpistole aus dem Gürtel und jagte eine rote Leuchtkugel in den blauen Himmel. Wenig später wurde von dem Taucherschiff eine grüne Leuchtkugel abgefeuert. Man hatte ihn gesehen und fuhr jetzt mit voller Fahrt auf ihn zu. Peralta war überzeugt davon, daß die ›Delphin‹ ihre Unterwasserfahrt fortsetzte und ihr Versorgungsschiff, die ›Marguerita‹ anlaufen würde. Eine Viertelstunde später wurde er an Bord des Taucherschiffes gezogen. Claudio Tolosa schob ihm eine brennende Ducados zwischen die Lippen. »Haben Sie die vierte Bestie noch erwischt?« wollte er wissen. »No, sie ist mir entwischt«, knurrte José und berichtete, was er gesehen hatte. »Was wir erlebt haben, war wie in einem Horrorfilm«, berichtete Claudio anschließend. »Dank deiner Hilfe haben wir die Fischmenschen besiegt. Dann aber kamen die Haie und stürzten 98 �
sich auf die blutenden Körper. Wir hielten uns in Deckung der Galeere auf und hockten da wie im Theater auf einem Logenplatz.« »Wir sollten den Haien dankbar sein«, brummte der Sargento, während seine Gedanken bei Carmen und Juan Rodrigo weilten. »Wie geht es jetzt weiter?« wollte Claudio wissen. »Ihr könnt jetzt ungefährdet eurer Arbeit nachgehen«, erwiderte der Sargento überzeugt. »Und Sie?« »Ich fordere einen Hubschrauber an«, erklärte Peralta. »Hoffentlich kann ich das Schlimmste verhindern.« »Wir drücken Ihnen die Daumen«, versicherte Claudio und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mann, wie können wir Ihnen nur danken?« * Sie hatten sich in einer abgelegenen Bucht an der Küste versammelt. Über mehrere Funksprechgeräte liefen ununterbrochen die neuesten Meldungen ein. Spezialisten hatten die Frequenz herausgefunden, auf der sich die ›Delphin‹ mit den Leuten im Institut unterhielt. Die Gespräche waren recht aufschlußreich, und die Männer erkannten, daß sie blitzschnell zuschlagen mußten, sobald Großalarm gegeben wurde. Ein Aufklärungsflugzeug der Marine kurvte über dem Atlantik und gab laufend die Position des Tauchbootes durch, das sie über Sonar-Radar verfolgten. Den aufgefangenen Gesprächen nach zu urteilen, schien sich die Gegenseite sicher zu fühlen. Dann empfingen sie die Nachricht, wonach der verbrecherische Professor verlangte, daß der große Operationssaal im Institut vorbereitet werden sollte, um sofort an die Arbeit gehen zu 99 �
können. José Peralta, mit den Gegebenheiten am besten vertraut, traf rasch eine Entscheidung. »Der Funkverkehr muß sofort gestört werden!« knurrte er. Danach suchte er sich sechs Männer aus, alles Kampfschwimmer, Männer, die weder Tod noch Teufel fürchteten. »Wir lassen uns bis dicht an die Felsenküste bringen«, erklärte er. »Dann stürmen wir die Festung.« Ein flaches Motorboot nahm die Männer auf und brachte sie bis auf einen Kilometer unterhalb des Instituts an die Küste heran. Einer nach dem anderen ließ sich über Bord fallen. Dicht unter der Wasseroberfläche schwammen sie in breiter Formation auf die Felsen zu und trafen sich unterhalb der Anlegestelle. Sie schnallten Schwimmflossen und Aqualungen ab und zogen ihre Waffen aus den wasserdichten Behältern. Niemand begegnete ihnen, als sie die Felsentreppe hinaufhuschten. Auch der Platz hinter den Gebäuden war leer. Der Sargento, der die Leitung übernommen hatte, führte seine Begleiter bis an den Haupteingang, der von innen verschlossen war. Doch die Tür bildete für sie kein Hindernis. Zwei Minuten später war sie aufgebrochen, und die Männer verteilten sich im Innern des Instituts. Der Sargento und einer der Kampfschwimmer hasteten die Stufen hinab bis zu der Stelle, wo ihm die Schleifspuren aufgefallen waren. »Irgendwo muß sich ein Kontakt befinden, der die Geheimtür betätigt«, flüsterte er. »Sieht aus wie eine normale Wand«, wunderte sich sein Begleiter, Peralta war anderer Ansicht. Er fingerte ein taschenlampengroßes Suchgerät hervor und ließ es über die Wand kreisen. Als er die rechte Seite erreicht hatte, begann es zu summen. Er ließ 100 �
das Gerät wieder verschwinden und schlug mit der flachen Hand gegen die Stelle. Ein hinter dem Putz befindlicher Kontakt wurde ausgelöst. Summend glitt die Wand zur Seite und gab eine breite Treppe frei, die in die Tiefe führte. Lautlos glitten die beiden Männer nach unten. Ein breiter Gang tat sich vor ihnen auf. Mehrere Türen führten in Nebenräume. Irgendwo summte ein Aggregat. Dann hörten sie Stimmen hinter einer der Türen. Peralta erkannte sofort Alfredos Organ wieder! Der Bursche bemühte sich vergebens, Kontakt mit der ›Delphin‹ aufzunehmen. »Verdammt, die Verbindung ist unterbrochen!« hörten sie ihn fluchen. »Was soll’s?« ertönte Pablos Stimme. »Der Professor wird in spätestens einer halben Stunde einlaufen.« »Ich bleibe trotzdem am Gerät«, fuhr Alfredo Lopez fort. »Du kannst schon zur Schleusenkammer gehen und die ›Delphin‹ einschleusen. Ich komme später nach.« Peralta gab seinem Begleiter einen Wink, sich zu verziehen. Sie waren gerade hinter einer Mauernische verschwunden, da erschien Pablo auf dem Gang und stiefelte auf die breite Tür im Hintergrund zu. Die beiden warteten, bis Ortega in der Schleusenkammer verschwunden war. »Du legst den Burschen da drin auf Eis«, flüsterte José seinem Kampfgefährten zu. »Ich kümmere mich um den anderen.« Sein Begleiter betrat den Funkraum, ohne anzuklopfen. Die Geräusche, die Peralta kurz darauf vernahm, waren kurz und hart. Dann herrschte Stille. Auf Zehenspitzen schlich der Sargento weiter. Was der Professor und seine Handlanger hier unten geschaffen hatten, war eine Meisterleistung, das mußte José neidlos anerkennen. Ein Jammer, daß die Anlage nur verbrecherischen Zwecken gedient hat101 �
te. Vor einer Tür, der er ansah, daß sie vor kurzem ausgebessert worden war, blieb er stehen. Summende und glucksende Geräusche drangen hindurch. Wachsam betrat er den Raum und fand den Lichtschalter. Seine Augen wanderten über die Einrichtung, in der jemand gewütet zu haben schien. Fünf Stahlkästen mit flackernden Lämpchen hingegen wirkten unversehrt. Der Sargento fragte sich, welchen Zweck die in die Wand eingelassenen Behälter erfüllen mochten. Neugierig trat er auf ein Fach zu und zog die Tür auf. Entsetzt prallte er einen Schritt zurück, als er in das fahle Gesicht in der Haube sah. »Dieses Untier!« stieß der Sargento hervor, als er den Kopf des Mannes erblickte, dessen Augen auf ihn gerichtet waren. Bei all seinen Begegnungen mit Dämonen und Wesenheiten aus dem Schattenreich war ihm nichts Grausigeres begegnet. »Fliehen Sie!« kam es über die Lippen des Opfers, von dem nur noch der Kopf existierte. »Sie können sprechen?« ächzte Peralta und nahm all seine Kraft zusammen. »Sie, der Professor hält unsere Köpfe am Leben«, erwiderte der Kopf blechern. »Wir sind in der Lage zu denken und zu sprechen. Wo unsere Körper sind, wissen wir nicht. Zerstören Sie die Anlage, die uns am Leben erhält. Sie helfen uns damit…« »Ich komme wieder«, preßte José Peralta hervor. Er riß die anderen Türen auf und entdeckte die Köpfe der drei anderen seit langem vermißten Männer. Als er das fünfte Fach öffnete, blickte er auf die leere Kapsel, die für Juan Rodrigo bestimmt war. Peralta machte hastig kehrt und verließ das Gruselkabinett des Professors. Draußen atmete er tief durch. Sein Begleiter kam hinzu. »Der Bursche befindet sich im Tiefschlaf«, kommentierte er tro102 �
cken. »Auf zum Endspurt!« José verriet dem anderen nichts von der grauenhaften Entdeckung, die er soeben gemacht hatte. Hinter der letzten Tür rauschte Wasser, dröhnten Motoren. Sie öffneten die Tür einen Spalt breit und sahen, wie das Tauchboot durch die Schleuse glitt und langsam auftauchte. Noch griffen die beiden Männer nicht ein. Sie mußten warten, bis die Besatzung trockenen Boden unter den Füßen hatte. »Hol die anderen!« flüsterte Peralta seinem Begleiter zu. »Beeilt euch und seid leise!« Den schußbereiten Revolver in der Hand, sah José dem Schauspiel zu, das sich seinen Augen bot. Was würde ihn erwarten? Würden sie Juan und Carmen in verändertem Zustand herausschleppen? Er sah Ernesto Morena, den er nach einem Archivfoto sofort wiedererkannte. Er war in Begleitung eines kräftigen Mannes. Wenig später brachten zwei Männer Juans nackte Gestalt an Land. Er lag in einer durchsichtigen Hülle. Peralta atmete erleichtert auf, als er sah, daß Juan noch atmete. Ein dritter Mann führte die schwarzhaarige Reporterin ins Freie. José hatte den Eindruck, daß sie unter Drogeneinfluß stand. Ihre Bewegungen wirkten wie die einer Marionette, und ihre Augen blickten starr. Hinter dem Sargento wurde es lebendig. Fünf seiner Leute erschienen auf dem Schauplatz. Peralta verständigte sich leise mit ihnen, dann stürmten sie in die große Schleusenkammer. Die Überraschung lag auf ihrer Seite und war vollkommen. »Hände hoch!« befahl der Sargento der Escuadrón Misterio. »Bei der geringsten Bewegung schießen wir!« Die Verbrecher gehorchten verblüfft. Sofort stürmten drei der Kampfschwimmer in die Kammer. Zwei packten den Behälter, in dem Juan lag, der dritte führte Carmen hastig hinaus. 103 �
»Wer sind Sie?« stammelte Professor Morena. »Ein dreckiger Bulle!« schrie Pablo Ortega. Er ließ die rechte Hand blitzschnell sinken und zerrte eine Pistole aus der Tasche. Bevor er abdrücken konnte, schoß Peraltas Begleiter. Pablo schrie gellend auf und kippte kopfüber in das Becken. »Das Spiel ist aus, Morena!« verkündete der Sargento eisig. »Sie haben lange genug ihr Unwesen getrieben.« »Sie wissen, wer ich bin?« krächzte der Professor in fassungslosem Erstaunen. »Ich weiß alles!« erwiderte Peralta. »Aber Sie werden keine Monster mehr schaffen, um mit ihrer Hilfe die Meere zu verunsichern.« Morena gab sich noch nicht geschlagen. »Sie werden das Gebäude nicht lebend verlassen!« drohte er. »Und ich werde weiterarbeiten! Ich werde weitere Wesen schaffen, die mir helfen, sämtliche Schätze der Meere zu erbeuten. Und dann wird die Stunde kommen, wo ich die Welt beherrsche!« »Sie sind wahnsinnig!« Stellte der Sargento verächtlich fest. »Im übrigen ist der Gesamtkomplex umstellt. Vorwärts, folgen Sie mir!« Der Verbrecher stieß ein schrilles Lachen aus, dann sprang er blitzschnell an die Wand und betätigte einen Schalter. »Sie werden mit drauf gehen!« stieß er hämisch lachend hervor. »In drei Minuten fliegt alles in die Luft.« José Peralta war davon überzeugt, daß der größenwahnsinnige Morena die Wahrheit sagte. »Verschwinden wir!« wandte er sich an seinen Mitstreiter. »Selbst wenn er uns geblufft haben sollte, entkommt er uns nicht mehr.« Sie knallten die Tür hinter sich zu, jagten die Stufen hinauf und erreichten mit keuchenden Lungen das Freie. Hier wimmelte es 104 �
bereits von ihren Leuten. »Bringt euch in Deckung!« schrie der Sargento ihnen zu. »Der Laden fliegt gleich in die Luft!« Der Professor hatte nicht geblufft. Wenige Sekunden später ertönte eine dumpfe Explosion. Eine Druckwelle erfaßte die Männer und strich wie ein Gluthauch über sie hinweg. Wie ein Kartenhaus sackten die Institutsgebäude in sich zusammen und begruben alles unter sich. Eine graue Staubwolke hob sich in den Himmel und verdunkelte für eine Weile die Umgebung. * Morena hat dir die Entscheidung abgenommen, dachte der Sargento schaudernd, als ihm die Bitte einfiel, die der Kopf des Unglücklichen ausgesprochen hatte. Langsam ging er auf den Rettungshubschrauber zu, in den sie Juan Rodrigo und Carmen Pitera gebracht hatten. »Sie werden durchkommen, und Juan wird schlimmstenfalls einen Schnupfen zurückbehalten«, versicherte der Arzt, der sich um die beiden kümmerte. »Und ich bin froh, daß sie das Ende nicht miterlebt haben«, murmelte José Peralta. »Sie werden alles vergessen, was sie erlebt haben. Dafür werden wir sorgen.« Er blickte dem Hubschrauber nach, der sich in die Lüfte erhob und in der Ferne verschwand. Evita würde mit ihm zufrieden sein. Ihr Idol konnte weiter die Sportwelt begeistern, aber nur diese Welt… ENDE
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Aus der Feder von Dan Shocker stammt der nächste Nr. 256 (129. Grusel-Shocker mit Larry Brent)
Der Kopf des Todes-Pharao �
Ted Hawker bricht auf der Straße tot zusammen. Herzschlag, heißt es. Wirklich? Hawker schrieb ein Buch über bisher unbekannte Grabstätten ägyptischer Pharaos. Francis Crease ist der Navigator der britischen Luftwaffenmaschine, die die Maske des Pharao nach London transportierte. Als Crease nach Hause kommt, ist sein Haus bis auf die Grundmauern abgebrannt. Eine Luftwaffenhelferin bekommt eine Glatze, der Pilot der Maschine verliert beide Hände… ein Offizier, der sich auf die Transportkiste mit der Maske setzte, bekommt einen unheilbaren Hautausschlag… Doch dies alles ist erst der Anfang. Die Rache des Pharao setzt sich fort. Sie läßt keinen in Ruhe… Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7, der den Auftrag hat, die Maske sicherzustellen, macht eine grausige Entdeckung: sie ist verschwunden! Diebe haben sie entwendet. Damit ist die Gefahr unkontrolliert geworden. Larry Brent und Morna Ulbrandson kommen ihrem Kollegen zu Hilfe, als der in arge Bedrängnis gerät. Nun tauchen auch die lebenden Mumien auf, und die Skarabäus-Käfer, eine neue ägyptische Plage, fallen über die PSA-Agenten her. Was es mit dem Rachefeldzug des Todes-Pharao auf sich hat, müssen Sie einfach gelesen haben. Ein echter SHOCKER-SHOCKER!
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